Archiv für Februar 2nd, 2007

Ohne Kleine Anfrage kein Preis

Gestern wollte “Bild” ihren Lesern in Hessen mal auf einer ganzen Zeitungsseite erklären, welche Parlamentsabgeordneten faul und welche fleißig sind:

"Wie fleißig sind Hessens Politiker?"

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie es zu dieser Schlagzeile gekommen ist: Entweder hat man bei “Bild” nicht sehr lange über den “BILD-Test” nachgedacht, und sich für ein einziges untaugliches Kriterium entschieden — oder man hat sehr lange nachgedacht, festgestellt, dass Politikerfleiß irgendwie nicht so richtig messbar ist, und sich dann für ein einziges untaugliches Kriterium entschieden.

“Bild” behauptet nämlich, die Zahl der Kleinen Anfragen, die Politiker an die Landesregierung stellen, belege ihren Fleiß. (Kleine Anfragen sind übrigens eher ein Instrument der Opposition, die Regierung zu kontrollieren, weshalb Regierungspolitiker naturgemäß eher weniger Kleine Anfragen stellen, wie “Bild” immerhin auch selbst andeutet.)

Die “Frankfurter Rundschau” schreibt heute zum “Bild”-Artikel:

Im hessischen Landtag tippen sich Politiker aller Couleur am Donnerstag an die Stirn. “So ein Schwachsinn”, entfährt es einem. “Irrsinnig”, sagt eine. Sie haben Recht. (…) Auch sonst missrät der Bild alles Denkbare. Die Zahlen, die sie benutzt, sind falsch. Den Namen des Spitzenreiters, den sie ausgemacht hat, schreibt sie verkehrt. Auf Rang zwei lässt sie eine Abgeordnete folgen, die dort selbst nach Bild-eigener Zählung nicht stehen dürfte. Und dann findet sich das Foto eines älteren Herrn auf der Seite, dem vorgeworfen wird, nie Fragen zu stellen. Kein Wunder. Der frühere Landtagspräsident Klaus-Peter Möller schied schon 2003 aus. Heute sitzt dort nur noch sein junger Namensvetter Klaus Peter Möller.

Und wir wollen dem allenfalls noch hinzufügen, dass man die Hessische Landesregierung, anders als “Bild” meint, natürlich auch nicht “Senat” nennt.

Mit Dank an die Hinweisgeber.

Nachtrag, 20.04 Uhr (mit Dank an Denis S.): Jetzt ahnen wir, wie es passieren konnte, dass “Bild” die Hessische Regierung als “Senat” bezeichnet: Der gleiche “BILD-Test” erschien nämlich vor vier Wochen in der Hamburger “Bild” — von einem anderen Autor, aber mit zum Teil quasi identischen Formulierungen:

Der Kerl nervt, stöhnen Senatoren. Der Mann ist fleißig, sagen Abgeordnete anerkennend. (…) Dressel ist der absolute Fragekönig der Hamburger Bürgerschaft (…).
(“Bild”-Hamburg vom 30.12.2006)

Der Kerl nervt, stöhnt die Landesregierung wohl ab und an. Der Mann ist fleißig, sagen Abgeordneten-Kollegen, meist aus dem eigenen Lager. (…) Thorsten Schäfer-Gümpel war (…) der “König der Kleinen Anfragen” (…).
(“Bild”-Frankfurt vom 1.2.2007)

Immerhin: Der Hamburger “Test” erschien nicht unter der Überschrift “Wie fleißig sind Hessens Politiker?”, sondern unter der Überschrift “Wie fleißig sind Hamburger Politiker?”. Und die getesteten Abgeordneten waren natürlich auch andere.

Kurze Frage

Mal ehrlich: Was sind das für Menschen bei “Bild”, die jemanden, weil er einen Weinkrampf bekommen hat, zum “Verlierer” des Tages* machen?

*) Den Bundestagsabgeordneten Peter Hettlich hat das als stellvertretenden Vorsitzenden des Verkehrsauschusses veranlasst, in einen Brief an “Bild”-Chef Kai Diekmann (liegt uns vor) “gegen die diffamierende Art und Weise der Darstellung” zu protestieren, hinter der Hettlich “eine gezielte Indiskretion seitens der DB AG” vermutet.

Nachtrag, 16.40 Uhr (mit Dank an einen treuen Leser): Wenn man z.B. der “Welt” glaubt oder gmp-architekten.de, stimmen nicht mal Name (“Meinhardt”?) und Alter (“71”?) des Mannes, dessen Weinkrampf ihn für “Bild” zum “Verlierer” macht.

Nachtrag, 5.2.2007: Die “diffamierende Art und Weise der Darstellung” fasst “Bild” selbst heute übrigens in der Formulierung “(BILD berichtete)” zusammen.

“Bild” und der Phantom-Stein

"Nach 58 Jahren Ehe: Opa Horst (83) erschlägt Oma Erna (83) mit Stein"

Wir haben uns ehrlich bemüht. Wir haben den Text, der unter der obigen “Bild”-Schlagzeile steht, mehrfach aufs Genaueste studiert. Wort für Wort haben wir ihn überprüft. Wir haben gelesen, dass “Opa Horst” seiner Frau mit einem “Zweikilo-Gewicht von der Waage” auf den Kopf und “mit der Faust ins Gesicht” geschlagen habe. Dass er ihr “den Hals durchgeschnitten” habe, kommt sogar zwei Mal im Text vor. Aber den “Stein” aus der großen Überschrift (und dem Teaser bei Bild.de) konnten wir beim besten Willen nicht wiederfinden.

Mit Dank an Michael L. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 13.38 Uhr: Dank eines Lesers haben wir den Stein jetzt gefunden. Allerdings nicht bei “Bild”, sondern in einer Pressemitteilung des Landgerichts Verden. Und erschlagen wurde “Oma Erna” damit nicht.

6 vor 9

Auf YouTube ist Rache süss
(blick.ch, Peter Padrutt und Simone Matthieu)
Lehrer werden zu Affen gemacht. Die Ex zur Schlampe degradiert. Und Kollegen an den Pranger gestellt. YouTube machts möglich. Vor allem für Junge.

Elementarteilchen
(brandeins.de, Wolf Lotter)
Wo sich alles schnell verändert, scheint alles unscharf zu sein.
Das liegt am Auge des Betrachters. Wer sich nicht mitbewegt, sieht schlecht. Ganz besonders im World Wide Web.

Oft bloss nachgeplappert (+)
(nzz.ch, ras.)
Medienberichte sind oft wesentlich geprägt durch das, was die Öffentlichkeitsarbeiter vorgekaut haben. Eine neue Studie veranschaulicht dies am Beispiel der Informationsarbeit zweier kantonaler Verwaltungen. Schlecht weg kommen vor allem die lokalen Radios und Fernsehen.

»Ich zeige Prominente in ihrem natürlichen Lebensraum«
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Gerald Selch)
Ron Galella war einer der ersten Paparazzi. Seine Opfer: Stars wie Mick Jagger, David Bowie und Grace Jones.

Der Unvergleichliche
(zeit.de, Johannes Voswinkel)
Russlands Präsident Putin bittet zum öffentlichen Gespräch. Die Presse kommt und buckelt.

Flaggschiff soll Luxusjacht werden
(fr-online.de, Sebastian Moll)
Massenentlassungen, neue Strukturen, anderer Erscheinungstag: Das US-Magazin “Time” steckt in der Krise.