Archiv für November 23rd, 2006

Kurz korrigiert (288-294 293 292)

Klar, am Anfang war die Lage unübersichtlich, und “Bild” war bei weitem nicht das einzige Medium, das in der Berichterstattung über den Emsdettener Amoklauf den ein oder anderen Fehler gemacht hat. Aber schließlich hat “Bild” ja seit Juli wieder eine Korrekturspalte. Genutzt hat sie die in den vergangenen beiden Tagen allerdings nicht. Dabei hätte sie lang werden können:

  • “Bild” schrieb über Bastian B., er habe “mit Freunden ‘Gotcha’” gespielt. Offenbar war er jedoch “Airsoft”-Spieler.
  • “Bild” schrieb, die Polizei habe im Wohnhaus der Eltern “eine Gaspistole, eine Softairwaffe und ein Luftgewehr (Pumpgun)” sichergestellt. Tatsächlich ist “Pumpgun” jedoch kein Synonym für “Luftgewehr”.*
  • “Bild” schrieb, die Schwester von Bastian B. sei auf dieselbe Schule gegangen, wie Bastian B. Tatsächlich geht sie jedoch nicht auf die Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten, sondern offenbar auf das Martinum Gymnasium.
  • “Bild” schrieb, Bastian B. habe für das Computerspiel Counter Strike “schon als 12-Jähriger (…) ein dreidimensionales Modell seiner Schule” programmiert. Das hatten zwar tatsächlich Schüler der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) erzählt, “Spiegel Online” berichtete jedoch vorgestern, dass es höchst zweifelhaft sei, dass eine solche “map” der GSS überhaupt existiert und dass Bastian B. sie programmiert hat.**
  • “Bild” zeigte eine Abbildung der vermeintlichen map der GSS Emsdetten (siehe Ausriss unten). Tatsächlich handelt es sich, wie derselbe “Spiegel-Online”-Artikel deutlich machte, dabei jedoch um eine ganz andere GSS in Melsungen.
  • “Bild” schrieb in Bezug auf die Counter-Strike-map, Bastian B. sei “nächtelang (…) per Joystick durch die virtuellen Schulflure” gerannt und habe versucht, “in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Lehrer und Schüler zu erschießen”. Tatsächlich gibt es in Counter Strike jedoch keine Schüler und Lehrer, sondern lediglich “Terroristen”, “Counterterroristen” und gegebenenfalls Geiseln, die allerdings nicht mal die Geiselnehmer erschießen dürfen, ohne Strafpunkte zu bekommen. (Übrigens wird Counter Strike in der Regel nicht mit dem Joystick gespielt, sondern mit der Tastatur).
  • “Bild” schrieb über “Counterstrike (ab 16)”: “Spezialität: Headshots (Kopfschüsse)! Blut spritzt dabei.” Tatsächlich “spritzt” in der in Deutschland ab 16 frei erhältlichen Version kein Blut. (Wahrscheinlich ist deshalb auf dem Screenshot, den “Bild” heute abdruckt und dazu schreibt, “blutspritzende Opfer einer ‘Counterstrike’-Kampfsequenz” auch kein Blut zu sehen.)

Sicher, das mögen keine besonders gravierenden Fehler sein, aber dafür nutzt “Bild” die Korrekturspalte ja ohnehin nicht.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

*) Nachtrag, 22.00 Uhr: Wir müssen uns leider in einem Punkt korrigieren: Offenbar handelt es sich bei dem sichergestellten Luftgewehr um eine Pumpgun, wie einer Pressemitteilung der Polizei zu entnehmen ist.

**) Nachtrag, 22.35 Uhr: Wie es aussieht, gibt es doch eine Counter-Strike-map der GSS Emsdetten, wie “Spiegel Online” inzwischen berichtet. Ob “Bild” die auch kannte, bleibt offen.

Wenn “Bild” mitfühlend berichtet

Am 10. September vergangenen Jahres nahm die Polizei am Münchner Flughafen einen 36 Jahre alten Türken fest, dem vorgeworfen wurde, gut elf Jahre zuvor seine Ex-Freundin ermordet und sich danach in die Türkei abgesetzt zu haben.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am Tag der Festnahme, dass der Verdächtige in München seine Lebensgefährtin besuchen wollte, eine Deutsche, die er vor einiger Zeit geheiratet hatte.

Und dass ein Mitarbeiter der Polizei die bereits vorbereitete Pressemeldung von der Festnahme dummerweise einen Tag zu früh an die Öffentlichkeit gegeben hatte, machte die Sache damals interessant — außer natürlich für “Bild”.

Denn “Bild” berichtete unter der Überschrift:

“Münchnerin heiratete diesen eiskalten Killer”

Und nicht nur das. “Bild” nannte den wegen seiner ungewöhnlichen Schreibweise leicht identifizierbaren, echten Vornamen und den echten Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens, ihren Beruf und das Wohnviertel, in dem sie lebte. Und nicht nur das: “Bild” behauptete zudem, die Heirat mit dem Verdächtigen sei für die Mittvierzigerin, die “noch mal einen zehn Jahre jüngeren Mann abgreifen” konnte, “wie ein Hauptgewinn im Lotto” gewesen.

Wie die “Süddeutsche Zeitung” heute schreibt, hatte der “Bild”-Bericht für die Frau, die ihren Mann “völlig ahnungslos” geheiratet habe, weitreichende Konsequenzen, weswegen sie auf Schadenersatz und Schmerzensgeld geklagt hat. Und über den ersten Verhandlungstag vorm Münchner Landgericht heißt es:

Die Richter der 9. Kammer machten gestern keinen Hehl daraus, dass sie der Klägerin auf jeden Fall Schmerzensgeld zusprechen werden — und zwar mindestens 50 000 Euro, doppelt so viel, wie bisher gefordert. Denn der Betrag sei nicht nur als Genugtuung für die Betroffene zu verstehen, sondern auch als Prävention: Das Blatt habe mit seiner Berichterstattung “ohne Not jemanden individualisierbar gemacht” und obendrein beleidigt – “Medien sollen davon abgehalten werden, so etwas zu tun”.

“Wenn jemand einen Tiefschlag erhalten hat und dann noch eins übergebraten bekommt, ist das besonders gemein”, sagte der Vorsitzende Thomas Steiner. Die Pressekammer legte Bild-Anwalt Kai Fickert nahe, die Chefredaktion zur freiwilligen Schmerzensgeldzahlung zu bewegen. Denn je länger man über den Fall nachdenke, desto teurer werde es: Der Betrag könne sich — “je nach Verhalten von Bild” — noch erhöhen. Bis Mitte Januar wurden den Parteien Bedenkzeit eingeräumt.

Nach unseren Informationen hat “Bild” sich mit der Behauptung zu verteidigen versucht, die Frau sei nicht erkennbar und die Berichterstattung mitfühlend gemeint gewesen.

Allgemein  

Im Zweifel war’s immer der Trittbrettfahrer

Es ist nicht völlig auszuschließen, dass Charlotte Roche vor fünf Jahren nach dem Tod ihrer Brüder nicht von der “Bild”-Zeitung erpresst wurde. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass alle Leute gelogen haben, die sich damals als “Mitarbeiter der ‘Bild’-Zeitung” oder “‘Bild’-Reporter” ausgaben oder sagten, sie handelten “für die ‘Bild’-Redaktion” oder seien “für ‘Bild’ tätig”. Das Münchner Landgericht hält es zwar für “eher fernliegend”, dass es sich bei all diesen Menschen, von denen sich die Moderatorin verfolgt fühlte, um “Trittbrettfahrer” handelte. Aber auszuschließen ist es nicht. Einen Beweis dafür, dass die “‘Bild’-Leute” auch “Bild”-Leute gewesen seien, konnten nach Ansicht des Gerichtes weder Charlotte Roche noch der “Stern” vorlegen, der im vergangenen Dezember behauptet hatte, “Bild”-Leute hätten Roche erpresst.

Deshalb untersagte das Gericht gestern, wie die “Süddeutsche Zeitung” berichtet, dem “Stern” diese Behauptung.

Und deshalb verbreitete die “Bild”-Zeitung heute eine Pressemitteilung, in der es heißt:

“Außer Kontrolle” – “Stern” unterliegt BILD

(…) Nach der Entscheidung darf der “Stern” weder behaupten noch verbreiten, dass BILD-Mitarbeiter Charlotte Roche nach dem schweren Unfall ihrer Brüder angerufen, telefonisch massiv behelligt, ihr für ein Foto nachgestellt, bei dem Sender “Viva” angerufen oder ein Interview verlangt hätten.

In der Pressemitteilung steht nicht, dass ein solches Vorgehen nach Ansicht des Gerichtes “schmierigsten Journalismus auf der untersten Stufe journalistischen Wirkens darstellen” würde. Und den darf man der “Bild”-Zeitung natürlich nicht nachsagen. Es sei denn, man kann es beweisen.

Das Gericht zweifelte in seinen Entscheidungsgründen, ob die Klage der Axel Springer AG gegen den “Stern” “sinnhaft” gewesen sei. Denn der “Stern” habe durchaus das Recht zu behaupten, dass sich mehrere Menschen, die Charlotte Roche zusetzten, als “Bild”-Mitarbeiter ausgaben. Und er habe das Recht, diese Tatsache zu werten. “Journalistisch geschickt aufbereitet”, so das Gericht, könnte dies für die Axel Springer AG “ein weitaus verheerenderes Echo haben” als die ursprüngliche Behauptung des “Stern”.

Die “SZ” nennt den Sieg Springers daher einen “Pyrrhus-Sieg”.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

6 vor 9

«Sie klingen verbittert» – «Das bin ich»
(weltwoche.ch, Pierre Heumann)
Ahmed Sheikh, Chefredaktor des TV-Senders Al-Dschasira, hält die Lage im Nahen Osten für hoffnungslos. Daran – und an den dauernden Niederlagen gegen Israel – werde sich nichts ändern, solange die Araber bei ihren Regimen keine Reformen durchsetzen.

Hochglanz für Hochschüler
(dradio.de, Thomas Wagner)
Sie heißen “Mensa”, “Campus” oder “Audimax”, auf den ersten Blick sehen sie aus wie Hochglanz-Broschüren, die für Autos, Parfums oder exklusive Kleidung werben. Wer darin herumblättert, entdeckt dann plötzlich Artikel über Karrierechancen und Studiengebühren. Hochschulmagazine sind auf dem Vormarsch. Auch etablierte Zeitungsverlage entdecken Studierende als Klientel der Zukunft – und reagieren mit entsprechenden Magazinen.

Mediale Heuchelei – Hämische Schlagzeilen gegen Fußballexperten Jürgen Klopp
(ndr.de, Video)
Zapp über die heuchlerische Doppelmoral einiger Sportjournalisten.

Von gestern
(fr-aktuell.de, Christoph Twickel)
Die Neunziger sind wieder da. Eher die frühen Neunziger, jene Zeit, in denen Zeitschriften noch ein bisschen unverschämt sein durften. In denen ein Tom Kummer die wirklich interessanten Interviews mit Prominenten einfach erfand und ein Uwe Kopf in seine Schreibmaschine wilde Hass-Kolumnen schlug. Helden von gestern, die unter die Kategorie “Was macht eigentlich…? ” fallen. Und was machen sie? Sie schreiben für Faces.

Pendlitzerpreis 2006: Übergabe-Gala mit viel Prominenz
(pendlerblog.blogspot.com)
Der diesjährige Pendlitzerpreis ist am Montag im Braunen Mutz Basel verliehen worden. Gewinner der begehrten Journalistenauszeichnung ist Wolfgang Bortlik.

“Ich knall euch alle ab!”
(taz.de)
Nichts ist nach dem Amoklauf von Emsdetten so vorhersehbar wie die “Christiansen“-Sendung vom kommenden Sonntag. Vorschau auf eine gesamtgesellschaftlich hochbrisante Expertendebatte.