Archiv für Oktober 1st, 2006

Springers Leitlinien leiten nicht

“[Unsere journalistischen Leitlinien] sind ein Schutzwall für unabhängigen Journalismus. Wir haben sie in einer Zeit eingeführt, in der der kommerzielle Druck auf Redaktionen immer größer wird. Jeder wird natürlich beobachten, wie wir damit umgehen – das macht uns angreifbarer als diejenigen, die still ihre faulen Kompromisse machen.”

Mathias Döpfner, Vorstandschef Axel Springer AG, 13. März 2004

 

Ganz konkret zeigt sich der Umgang der Axel Springer AG mit diesen Leitlinien natürlich einfach daran, dass Bild.de sich konsequent weiter als Schleichwerbeportal positioniert und exakt dieselben Schleichwerbe-Praktiken pflegt, die Bild.de von Gerichten bereits zweimal untersagt wurden. (Oder daran, dass der Berater des “Bild”-Chefredakteurs seine jahrelange Werbekampagne für eine Nassrasierer-Marke im Blatt fortsetzt.)

Aber die Bedeutungslosigkeit dieser “journalistischen Leitlinien” ist noch grundsätzlicher. Im Sommer haben wir versucht, eine Stellungnahme des Verlages zu den merkwürdigen Werbepraktiken im Spiele-Ressort von Bild.de zu bekommen. Wir wollten, dass uns jemand erklärt, warum diese Praktiken, die wir als Schleichwerbung bezeichnen würden, anscheinend nicht gegen die “journalistischen Leitlinien” verstoßen.

Was dann passierte, ist vielleicht ganz aufschlußreich.

Wir haben eine Mail an Tobias Fröhlich geschrieben, der Pressesprecher für “Bild” und Bild.de ist. Nach mehreren Nachfragen bekamen wir die Antwort, er werde sich mit der Sache nicht befassen. Wir haben daraufhin eine Mail an Edda Fels geschrieben, die Leiterin Unternehmenskommunikation bei der Axel Springer AG. Wir baten sie, uns einen Ansprechpartner für unser Anliegen zu nennen. Sie gab uns zur Antwort, soweit sie wisse, sei Herr Fröhlich an der Sache dran. Als wir sie darauf aufmerksam machten, dass für Herrn Fröhlich die Sache längst erledigt sei und fragten, ob es “irgendeinen Ansprechpartner in der Axel Springer AG” gibt, der dem Vorwurf von Verstößen gegen die “journalistischen Leitlinien” nachgeht, bekamen wir keine Antwort mehr. Stattdessen meldete sich einige Tage später Herr Fröhlich und bat um Verständnis, dass er “jetzt nicht im Detail auf Ihre Darstellung in Ihren Fragen eingehen möchte”. Eine Antwort in der Sache erhielten wir nicht.

Als nächstes wandten wir uns mit einem Brief an Mathias Döpfner. Wir baten ihn um Unterstützung, da er noch wenige Wochen zuvor bei einer Tagung des “Netzwerk Recherche” die Bedeutung der “journalistischen Leitlinien” betont hatte. Wir fragten ihn:

Warum geht meinem Hinweis, Bild.de verstoße systematisch gegen die “Journalistischen Leitlinien”, niemand nach — und sei es nur, um den Vorwurf zu entkräften? Wer sorgt intern dafür, dass die “Leitlinien” nicht nur eine Monstranz sind, die auf Festtagen vorgezeigt wird, sondern eine tatsächliche Bedeutung im Alltag haben? Und an wen kann man sich wenden, wenn man einen Verstoß gegen die “Leitlinien” festgestellt zu haben glaubt?

Herr Döpfner hat uns nicht geantwortet.

An seiner Stelle schrieb uns wieder Edda Fels:

Wir können uns nur wiederholen, aber das tun wir gern.

1) Selbstverständlich gilt die Trennungsregel zwischen Redaktion und Anzeigen auch für Bild.T-Online.

2) Online und Print sind zwei unterschiedliche Mediengattungen, dies sieht auch die gängige Rechtsprechung mit Bezug auf Kennzeichnung von werblichen Inhalten so.

3) Sites mit werblichem Inhalt sind auch bei BTO [Bild.T-Online] gekennzeichnet.

Damit endeten unsere Versuche, jemanden in der Axel Springer AG zu finden, der für die Einhaltung der journalistischen Leitlinien zuständig ist. Unsere Vermutung: Es gibt niemanden. Möglichen Verstößen wird nicht nachgegangen. Die Leitlinien sind in der Praxis der Redaktionen ohne Bedeutung.

Eine Antwort auf unsere Fragen haben wir nicht bekommen. Aber natürlich ist auch das eine Antwort. Die journalistischen Leitlinien sind offenbar nur dazu da, dass Mathias Döpfner bei Medienkongressen und in Interviews über sie reden kann.

Symbolbild am Sonntag (Wiedervorlage)

Was stand denn nun wirklich auf dem ominösen Zettel, den Nationaltorwart Jens Lehmann beim WM-Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Argentinien aus dem Stutzen zog?

Gute Frage eigentlich, die Kinonews.de heute (zum bevorstehenden Kinostart von Sönke-Wortmanns WM-Doku “Deutschland. Ein Sommermärchen”) auf einer mit dem Wort “Anzeigensonderveröffentlichung” überschriebenen “BamS”-Seite stellt.

Neu allerdings ist die Frage nicht. Vor einer Woche schon stand sie ganz ähnlich auch im “Spiegel”:

Was stand drauf auf jenem Zettel, den Torhüter Jens Lehmann während des Elfmeterschießens gegen Argentinien studierte?

Seltsam ist sie allerdings schon, die ganze Fragerei jetzt — vor allem für “BamS”-Leser. Hatte ihre Zeitung doch bereits vor einem Vierteljahr auf der Titelseite — zwischen den Worten “BamS enthüllt” und “Lehmanns Elfer-Spickzettel” — ein handbeschriebenes, zerknittertes Stück Papier abgebildet, das bei Bild.de (siehe Ausriss) bis heute mit den Worten “Das stand auf dem Zettel von Lehmann” verlinkt ist.

Okay, wir wissen längst: Der “BamS”-Zettel damals war “nicht echt” (“Berliner Zeitung”) bzw. “nachempfunden” (“BamS”) und “völlig falsch” (Jens Lehmann). Wie falsch, wissen wir allerdings erst, seit der “Spiegel” vor einer Woche exklusiv Auszüge aus einem Begleitbuch zu Wortmanns WM-Film abdruckte* — und “Bild”-Leser immerhin seit Freitag.

Zum Vergleich:

Aber zum Glück gibt es ja in der “Bild am Sonntag” eine “Korrektur”-Rubrik. Und deshalb wissen “BamS”-Leser seit heute immerhin, dass…

… ähm, dass die zweite Belagerung Wiens durch türkische Heere nicht 1668, sondern 1683 stattfand.

*) Weil Lehmann den zerknitterten Zettel direkt in die Wackelkamera von Sönke Wortmann hält, können sich demnächst auch alle “Sommermärchen”-Zuschauer davon überzeugen, dass zumindest die Zerknitterung des “BamS”-Zettels dem Original täuschend echt nachempfunden ist!

Kurz korrigiert (266)

Wir können uns nur wiederholen: Die “Bild am Sonntag”-Kolumne von Martin S. Lambeck heißt “Die Woche in Berlin”. Vielleicht sollte er das ernst nehmen und wirklich keine Abstecher mehr nach München, Brasilien, Washington — oder in den Kongo machen. Heute schreibt Lambeck, Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hätte dort vergeblich darauf gewartet, von Präsident Laurent Kabila empfangen zu werden.

Kein Wunder: Laurent Kabila ist am 16. Januar 2001 ermordet worden. Präsident der Demokratischen Republik Kongo ist sein Sohn Joseph Kabila.

Danke an Karim A. für den Hinweis!

Nachtrag, 2. Oktober. Bild.de hat den Fehler inzwischen korrigiert.