Archiv für März 31st, 2006

“Bild” missversteht Ältestenrat

Was macht eine Zeitung wie “Bild” mit unliebsamen Tatsachen? Ignorieren? Muss nicht. Ins Gegenteil verdrehen geht auch.

Der Ältestenrat des Bundestags hat gestern einstimmig (ohne den Namen der Zeitung zu nennen) die “Bild”-Kampagne gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert gerügt. Die Überschrift der Erklärung lautet: “Ältestenrat weist Angriffe auf den Bundestagspräsidenten zurück.” Diese Angriffe seien “im Ton verletzend und sachlich unbegründet”. Und weiter:

Das Verfahren [mit dem die Diäten festgesetzt werden] ist grundsätzlich öffentlich, nachvollziehbar und für jedermann transparent. Die öffentliche Auseinandersetzung und Begleitung der Debatte über verschiedene Lösungsmöglichkeiten ist ausdrücklich erwünscht.

Respekt vor demokratischen Entscheidungen — und dieser schließt die Achtung demokratischer Verfahrenswege und Zuständigkeiten ein — ist unerlässlich für das Funktionieren und die Akzeptanz einer Demokratie. Diese leidet, wenn Parlamentariern unter Aufbietung fragwürdiger publizistischer Methoden Festlegungen aufgenötigt werden sollen, bevor ihnen überhaupt die notwendige Entscheidungsgrundlage vorliegt. Der “publizistische Pranger” ist kein Instrument demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.

Der Ältestenrat bittet daher um Mäßigung im Ton, Sachlichkeit in der Auseinandersetzung und konstruktive Begleitung des demokratischen Entscheidungsfindungsprozesses.

(Hervorhebungen von uns.)

Und so “berichten” die “Bild”-Redakteure Stefan Ernst und Dirk Hoeren heute über diese einstimmige Kritik an der “Bild”-Berichterstattung:

Der Bundestags-Ältestenrat begrüßte die öffentliche Diäten-Diskussion. Eine Begleitung der Debatte sei “ausdrücklich erwünscht”, hieß es gestern in einer einstimmig gefaßten Erklärung. Zugleich wies der Ältestenrat eine angebliche Presse-Kampagne zurück: “Der ‘publizistische Pranger’ ist kein Instrument demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.”

Stefan Ernst und Dirk Hoeren. Inoffizielle Mitarbeiter im Ministerium für Wahrheit.

Danke für die sachdienlichen Hinweise!

Nachtrag, 18.00 Uhr. Nobert Lammert begann die heutige Plenarsitzung damit, dass er die Kernsätze des Ältestenrates zitierte, und fügte hinzu:

Da die betroffene Zeitung heute aus dieser Stellungnahme des Ältestenrates die Mitteilung macht, der Ältestenrat begrüße die öffentliche Debatte, dachte ich, es wäre sowohl zur Information der Öffentlichkeit wie zur Urteilsbildung des Hauses angemessen, auf den vollständigen Zusammenhang hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Patchworken mit Christiane Hoffmann

Christiane Hoffmanns “Bild”-Kolumne heißt jeden Tag “Ich weiß es!”. Vermutlich weil es den Grafikern zu mühsam ist, das Logo je nach Bedarf gegen “Könnte ungefähr hinkommen!”, “Ziemlich grob geraten!” und “Frei erfunden!” auszutauschen.

Gestern hat die “Bild”-Kolumnistin den Weg gewählt, aus drei Ereignissen, die zu unterschiedlicher Zeit an unterschiedlichen Orten stattgefunden haben, ein einziges zu machen.

Christiane Hoffmanns Patchwork-Geschichte geht so:

So toben sich Kate Moss und ihr Drogenfreund nach dem Sex aus

(…) Heimlich trafen sich die beiden zu einer “Sauf- und Sexnacht”, wie die britische Zeitung “News of the World” berichtete.

Im Abstand von 90 Minuten verließen Pete [Doherty] und Kate das konspirative Haus eines befreundeten Künstlers. Tja, wurden dabei natürlich erwischt. Und zum Dank setzte es Prügel!

Pete ging mit Regenschirm auf das Auto eines Paparazzo los, zertrümmerte seine Scheibe. Kate schlug wie eine Furie mit ihrer Handtasche auf Fotografen ein. (…)

Richtig ist, dass laut “News of the World” Moss und Doherty eine gemeinsame Nacht mit “WILDEM SEX” verbrachten und das Haus im Abstand von 90 Minuten verließen, wobei sie von Fotografen erwischt wurden. Nur: von irgendeiner Schlägerei ist da nicht die Rede. Und die angebliche Wilde-Sex-Nacht fand schon von Freitag auf Samstag vergangener Woche stand.

Zum Handtaschen-Angriff von Kate Moss kam es erst drei Tage später, am Dienstag. Er hatte deshalb natürlich auch nichts mit der Sex-Nacht zu tun. Und er ereignete sich auch nicht vor dem Haus, in dem Doherty und Moss die Nacht verbracht haben sollen, sondern vor einem anderen Haus.

Dienstag war ebenfalls der Tag, an dem Pete Doherty einen Paparazzo mit einem Regenschirm angriff. Nicht vor dem Haus mit dem wilden Sex, auch nicht vor dem Haus mit dem Handtaschen-Zwischenfall, sondern auf offener Straße. Zwei Fotografen sollen ihn verfolgt haben, als er mit seinem frisch gekauften, angeblich achten Jaguar herumfuhr.

Und wenn man, wie Christiane Hoffmann, einfach nach Gutdünken Orte, Zeitangaben und Zusammenhänge verändert, sieht das so aus:

(Überschrift: Wilde-Sex-Geschichte, Foto rechts unten: Handtaschen-Geschichte, Fotoleiste oben: Regenschirm-Geschichte.)

Und als sei das noch nicht schlimm genug, vermischt Bild.de das alles unauffällig mit einer vierten Geschichte und illustriert Hoffmanns Kolumne mit Fotos, die Doherty bei einem wiederum ganz anderen Ausraster zeigen: vor einer Woche nach einer gerichtlichen Anhörung.

Danke an Michael K.!