Archiv für März 13th, 2006

Rechen-Skandal

"Renten-Skandal -- Minister-Pensionen steigen elfmal stärker als die Durchschnittsrente"

Und weil das Kleingedruckte unter der großen Überschrift der gestrigen “Bild am Sonntag” so leicht übersehen werden kann, schreiben wir’s gerne noch einmal im Wortlaut:

“Minister-Pensionen steigen elfmal stärker als die Durchschnittsrente”

Denn es stimmt nicht. Und weitaus sinnvoller wäre deshalb das Wort “Rechen-Skandal”. Oder die Überschrift müsste lauten:

“Minister-Pensionen sind elfmal höher als der Rentenzuwachs eines Durchschnittsrenters”

Denn um auf ihre beeindruckenden Zahlen zu kommen, verglich die “BamS” in dem dazugehörigen Artikel mehrfach auf geradezu böswillige Weise Äpfel mit Birnen, Blaukraut mit Brautkleid oder Wacholder mit Bambus. Ein Beispiel? In Anlehnung an die Überschrift behauptet “Bild”-Autor Dirk Hoeren in der “BamS”:

“Wer also 2005 zu Ministerehren gekommen ist und 15 Jahre im Amt bleibt, hätte 2019 einen Pensionsanspruch von 54 Prozent erreicht: rund 6922 Euro und damit elfmal soviel wie ein Durchschnittsverdiener.”

Das ist falsch. Im Jahr 2019 wäre der Pensionsanspruch eines Ministers nur knapp 4,9-mal höher als die sog. “Bruttostandardrente” von monatlich 1414 Euro, die ein Durchschnittsverdiener bekäme. Und das liegt zum einen schlichtweg daran, dass der Minister (12.820 Euro/Monat) nun mal mehr verdient als der Durchschnittsverdiener (3452 Euro/Monat). Zudem ist sein Pensionsanspruch (54 Prozent) tatsächlich höher als die Rente eines Arbeiters oder Angestellten (46,3 Prozent). Allerdings nicht elf-, sondern 1,17mal.

Komplett ausgedacht hat sich die “BamS” ihr “elfmal soviel” und “elfmal stärker” allerdings nicht: Laut aktuellem Rentenversicherungsbericht, auf den sich “Bild” bezieht, soll es bis 2019 einen Anstieg der “Bruttostandardrente” um 630 Euro geben. Und diese 630 Euro passen tatsächlich ohne Probleme “elfmal” in die von der “BamS” herbeizitierte Gesamtsumme von 6922 Euro Minister-Pension — was zwar völlig korrekt, aber ungefähr so aussagekräftig ist wie der Satz, ein Wachholderbaum sei bis zu elfmal höher, als Bambus in einem Jahr wachsen kann.

Es sieht so aus, als wäre Dirk Hoeren der “RentenLügner” der “BamS”.

Mord, was sonst?

Die 21. Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts muss derzeit klären, ob Armin Meiwes, der sogenannte “Kannibale von Rotenburg”, einen Mord beging, als er einen Menschen auf dessen Wunsch schlachtete und aß. Meiwes war in erster Instanz nur wegen Totschlages verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen erfolgreich Revision beim Bundesgerichtshof ein. Der verlangte vom Gericht, drei Mordmerkmale zu prüfen: Töten zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus niedrigen Beweggründen und zur Ermöglichung weiterer Straftaten.

Das Gericht prüft also, ob Armin Meiwes juristisch gesehen einen Mord begangen hat.

Vielleicht ist das angesichts der Unfassbarkeit des Geschehens zu abwegig für Bild.de. Dort steht heute:

Im ersten Prozeß hatte ihn das Landgericht Kassel nur wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Können sie dem “Kannibalen von Rotenburg” jetzt den Mord nachweisen?

Den Mord. Als sei längst klar, dass es sich genau darum gehandelt habe. Mit einem einzigen kleinen Wort macht Bild.de aus einem Bericht eine Vorverurteilung.

Nachtrag, 21.30 Uhr. Offenbar hat Bild.de unsere Argumentation eingeleuchtet. Zumindest steht dort plötzlich nicht mehr “den Mord” sondern “einen Mord”.

Der mächtigste Mann des deutschen Sports

Die Titelgeschichte des aktuellen “Spiegel” beschäftigt sich mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann. In dem langen Stück geht es unter anderem auch um die “Bild”-Zeitung und ihren stellvertretenden Chefredakteur und Sportchef Alfred Draxler:

Zwei Tage nach dem Spiel [gegen Italien] schrieb er in “Bild”: “Wenn Klinsmann jetzt wirklich in dieses Flugzeug steigt, dann sollte er am besten gleich ganz in Amerika bleiben.” (…)

Draxlers Büro liegt im zehnten Stock des Axel-Springer-Hauses in Hamburg. Er hat einen wunderbaren Blick über die Stadt, in seinem Regal stehen ein kleiner Humidor und ein Großer Brockhaus, von dem die Bände 13 bis 22 fehlen. Er trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Hose und hellbraune Schuhe. Sein Haar ist nach hinten gekämmt. Er ist der mächtigste Mann des deutschen Sports.

Gleichzeitig ist er die ganz große Unschuld des deutschen Sports. Seine beiden zentralen Sätze lauten: “Der Vorwurf einer Kampagne gegen Klinsmann ist völlig absurd.” Und: “Wir berichten sachlich.”

Ist “Grinsi-Klinsi” sachlich?

“Grinsi-Klinsi ist eine Boulevard-Zeile.”

Da ist er natürlich fein raus, wenn alles, was eine Boulevard-Zeile ist, nicht im Widerspruch zur Sachlichkeit steht. Da kann er fleißig holzen, und das macht er auch. (…)

Es gibt verschiedene Gerüchte. “Bild” führe eine Kampagne gegen Klinsmann, weil man für dessen alten Widerpart Matthäus ist, weil es vor zehn Jahren mal einen Rechtsstreit wegen eines Fotos gab. In Wahrheit geht es wohl wieder um Unabhängigkeit. Draxler ist es gewöhnt, dass die Größen des Fußballs eng mit “Bild” zusammenarbeiten, Kolumnen schreiben oder jederzeit Informationen ausplaudern.

“Bild” ist Teil des Fußballbetriebs, Klinsmann nicht. Wenn etwas ausgeplaudert wird, nennt er das “Informationskorruption”. Er steht “Bild” nicht jederzeit zur Verfügung, schon gar nicht mit privaten Geschichten. Er will in seinem Umfeld keine Leute, die mit “Bild” eng verbunden sind. Er will die traditionelle Macht von “Bild” über die Nationalmannschaft brechen.

Draxler bleibt auch in diesem Punkt geschmeidig: “Wir arbeiten sehr gut zusammen, sehr professionell, wir haben jederzeit Zugang.”

Heute, nach vielen, vielen, vielen, vielen, vielen, vielen, vielen bissigen Bemerkungen über den Sonnenschein und die Temperaturen in Kalifornien, räumt “Bild” übrigens ein, dass Klinsmann einen auch für “Bild” akzeptablen Grund dafür hatte, nach dem Italien-Spiel nicht in Deutschland zu bleiben. Einen privaten Grund, den er gestern gegenüber dem ZDF und auf der DFB-Homepage nannte und den “Bild” zitiert:

“In dieser Woche (am 8. März – die Red.) war der erste Jahrestag des Todes meines Vaters. Und ich hatte meiner Mutter schon lange versprochen, daß wir diese für sie schweren Tage gemeinsam in Kalifornien verbringen.”

“Bild” kommentiert das mit den Worten:

Klinsi hätte sich viel Ärger ersparen können, wenn er früher seinen Grund für das Schwänzen des FIFA-Workshops verraten hätte.

Klar: Wenn er sowas nicht mit “Bild” abspricht, muss er halt die Konsequenzen tragen und wilde Unterstellungen von “Bild” über seinen Sonnenhunger in Kauf nehmen.

Ach, und leider hat gestern niemand rechtzeitig Franz Josef Wagner Bescheid gesagt.

Allgemein  

“BamS” nicht mehr ganz frisch

BamS enthüllt: "Frische" Äpfel sind ein Jahr alt

Lustig: Da haben die Äpfel doch etwas mit dieser fast ganzseitigen “Bild am Sonntag”-Geschichte gemein. Die ist nämlich auch nicht mehr ganz frisch. Und eine “Enthüllung” schon gar nicht.

Einen ausführlichen Bericht darüber, wie Äpfel mit modernen Lagermethoden und dem Einsatz eines Mittels namens 1-Methylcyclopropen (MCP) ein Jahr lang scheinbar frisch gehalten werden können, verschickte die Nachrichtenagentur dpa nämlich schon am 9. Februar 2006 an ihre Kunden.

Zur “Enthüllung” hat dpa den Bericht damals nicht hochgejazzt — aus gutem Grund. Das gleiche Thema hatte die “taz” schon am 21. Dezember 2005 behandelt. Und die berief sich wiederum auf einen Bericht des Branchendienstes “foodanddrinkeurope.com” vom 13. Dezember 2005. Darin wird übrigens Karl Schmitz, der Verbandschef der deutschen Obst- und Gemüseerzeuger, mit den kritischen Worten zitiert, dass die neuen Methoden die Apfel-Saison unnötig verlängerten und zu einem Überangebot führten:

“From July to September this year, there were the same varieties available from three seasons: the ‘old’ 2004 European crop; the 2005 southern hemisphere crop; and the new northern hemisphere crop, all of similar quality.”

Die “BamS” zitiert Schmitz dagegen so:

“Dem Verbraucher werden künftig gleichzeitig Äpfel aus drei verschiedenen Ernten verkauft (…)”

“Künftig”? Nein: schon im vergangenen Sommer. Aber vielleicht dachte die “BamS”, dass die Apfelhersteller mit diesen Praktiken warten, bis sie die Geschichte “enthüllt” hat.

Danke an Moritz K. für den Hinweis!