Archiv für März 10th, 2006

Ungeprüft übernommen (1)

Okay, eigentlich ist es wohl ein Fehler der Nachrichtenagentur AFP. Deren deutschsprachiger Dienst berichtete nämlich am Dienstag über die (notwendige) “Entrümplung” britischer Gesetze. Einen aktuellen Anlass für die Meldung gab es nicht. Britische Medien hatten vor knapp einem Jahr über das 40-jährige Bestehen der für die “Entrümplung” zuständigen Law Commission berichtet und vor knapp zwei Monaten über eine sachdienliche Ausstellung der Law Society.

Dennoch übernahmen verschiedene deutschsprachige Medien die AFP-Meldung. Und darin heißt es u.a. (und mit Verweis auf das 2004 erschienene Buch “The Strange Laws of Old England” von Nigel Cawthorne) über den so genannten “Town Police Clauses Act”:

“Er verbietet es, Wäsche auf der Straße auszubreiten, Teppiche auszuschlagen, anzügliche Lieder zu singen, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen, im Garten zu zündeln, Drachen steigen zu lassen, auf dem Eis zu laufen, ständig an der Türe anderer Leute zu klingeln oder öffentliche Lampen auszumachen.”

Und das ist so nicht ganz richtig. Denn der Act (von dem AFP zudem behauptet, er sei “von 1872”, obwohl er eigentlich aus dem Jahr 1847 stammt) verbietet nirgends, “ohne Grund die Feuerwehr zu rufen”, sondern Schusswaffen abzufeuern (wie vor drei Wochen auch noch die französische AFP korrekt zu berichten wusste).

Heute aber, mit drei Tagen Verspätung, findet sich das alles auch im Angebot von Bild.de wieder — in redaktionell bearbeiteter Form, also unter Verzicht auf jegliche Quellenangabe (und den Cawthorne-Verweis). Stattdessen behauptet Bild.de in der Rubrik “Zum Ablachen” über “Gesetze, die die Welt nicht braucht”:

Verrückte Gesetze der Briten -- Es ist ebenfalls untersagt, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen. („Town Police Clauses Act“ von 1872)

Aber wer weiß: Womöglich liegen Bild.de-Redakteure auch bei der Lektüre von §145 StGB unterm Tisch und kriegen sich nicht ein vor Lachen.

Mit Dank an Beate T. und Nikolai S. für die Hinweise.

Nachtrag, 11.3.2006: Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass heute, einen Tag nach der verzögerten, fehlerhaften Berichterstattung bei Bild.de, auch Spiegel Online die fehlerhafte AFP-Meldung ungeprüft übernommen* hat.

*) Nur zur Info: Der Presserat ist der Ansicht, dass eine Zeitung darauf vertrauen können müsse, “dass das, was eine Nachrichtenagentur verbreitet, auch inhaltlich richtig ist. Die pressegemäße Sorgfalt verlangt demnach keine eigene Überprüfung des Wahrheitsgehaltes mehr.”

Robin Hood für ganz Arme

“Bild” hat sich was ausgedacht. Sie will angeblich die “Rentenlügner” verklagen. Und das macht sie heute zum Seite-1-Aufmacher. Der Text dazu auf Seite zwei beschäftigt sich dann ein wenig mit Norbert Blüm und mit Gerhard Schröder, um mit folgenden Worten zu schließen:

BILD wird eine renommierte Anwaltskanzlei beauftragen, gegen mögliche Versäumnisse und offenkundige Lügen verantwortlicher Rentenpolitiker juristisch vorzugehen! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!

Offen bleibt allerdings, wen “Bild” eigentlich genau “verklagt” (siehe Ausriss). Norbert Blüm, weil er 1986 Plakate geklebt hat? Oder Gerhard Schröder, weil er 1998 versprach den demographischen Faktor bei der Rentenversicherung abzuschaffen, das tat und dann feststellte, dass das ein Fehler war?

Auch sonst scheint “Bild” in Rechtsdingen nicht allzu firm. So scheint sie den Unterschied zwischen Zivilrecht und Strafrecht nicht so recht zu kennen. Also: Im Zivilrecht würde man tatsächlich jemanden verklagen, doch der Staatsanwalt hätte nichts damit zu tun. Im Strafrecht wiederum kommt zwar der Staatsanwalt zum Einsatz, doch man kann niemanden verklagen (sondern lediglich anzeigen). Aber Schwamm drüber.

Georg Gafrons Kommentar befasst sich mit demselben Thema, und er endet so:

BILD will es genau wissen: Kann man wirklich nichts gegen den jahrelangen, systematischen Rentenbetrug der Politik tun? Darum werden jetzt die Renten-Lügner verklagt!

Und es mag ja ganz rührend sein, wie “Bild” sich hier als “Anwalt des Volkes” inszeniert, aber wir müssen den Kampf “für Sie” (siehe Ausriss) leider bremsen. Denn wir wissen zufällig, wie der Dresdner Notar Peter Horn de la Fontaine die Fragen, die “Bild” hier scheinbar so sehr bewegen, beantwortet.

Frage eins:

Dürfen Politiker uns ungestraft belügen?
Horn de la Fontaine:
Leider ja. Sie können von ihrem Arbeitgeber – den Bürgern – weder haftbar gemacht noch entlassen werden, allenfalls abgewählt werden.

Frage zwei:

Kann ich Politiker wegen ihrer Lügen bei Polizei oder Staatsanwaltschaft anzeigen?
Horn de la Fontaine:
Nein! Es gibt keinen einzigen Paragraphen in unseren Gesetzen, der Lügen von Politikern oder falsche Wahlversprechen unter Strafe stellt. Einzige Ausnahme: Falschaussagen von Politikern vor Gericht oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß.

Frage drei:

Kann ich Politiker wegen Lügen bei Gericht verklagen?
Horn de la Fontaine:
Nein. Eine solche Klage würde sofort abgewiesen. Was kein Gesetz verbietet, kann kein Gericht bestrafen.

Damit wäre das dann wohl geklärt.

Na ja, eines vielleicht noch: Wir haben Horn de la Fontaine nicht selbst befragt, damit er die “Bild”-Geschichte gerade rückt. Das hatte “Bild” nämlich schon erledigt. Am 10. November 2005:

Mit Dank an Christian S. für den sachdienlichen Hinweis.

Fortsetzung folgt …

Mehr dazu hier, hier, hier und hier.