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Linke Wahlkampf-Berichterstattung

Die Axel Springer AG behält sich das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten. Das kann man aus einer Stellungnahme folgern, die die Rechtsabteilung des Verlages gegenüber dem Presserat abgegeben hat.

Es geht um die Art, wie die “Bild am Sonntag” im vergangenen Bundestagswahlkampf die Steuerpläne der Parteien darstellte (wir berichteten). In einer Übersicht zum Ausschneiden und Aufheben stellte sie scheinbar die unterschiedlichen Positionen der Parteien dar. Bei der Linken fanden sich — als einziger Partei — ausschließlich Pläne für Steuererhöhungen. In seinem auf der nächsten Seite stehenden Leitartikel bestätigte der “stellvertretene (sic!) Chefredakteur” Michael Backhaus den Eindruck: “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen.” Das war angesichts des Wahlprogramms, das Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen vorsah, objektiv falsch …

… nach Ansicht der Abteilung Verlagsrecht der Axel Springer AG jedoch absolut zulässig. Sie erklärte gegenüber dem Presserat, bei dem wir uns über die Berichterstattung der “Bild am Sonntag” beschwert hatten, dass der Presserat selbst schon 1990 festgestellt habe, dass es nicht zu kritisieren sei, wenn eine Zeitung lediglich über einen bestimmten Ausschnitt aus einem Wahlprogramm berichte. Die Richtlinie 1.2 im Pressekodex, die sich mit der Wahlkampfberichterstattung beschäftigt, sei bloß eine “Kann-Bestimmung”.

In dieser Richtlinie heißt es:

Zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, dass die Presse in der Wahlkampfberichterstattung auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt.

Ob eine Zeitung dieser Empfehlung folgen wolle, müsse ihr selbst überlassen bleiben, argumentiert Springer. Der Verlag beharrt zudem darauf, dass der von uns bemängelte Kasten die Forderungen der Linkspartei korrekt wieder gegeben habe — die Erhöhung des Steueraufkommens sei ein zentraler Bestandteil des Wahlprogramms.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates widersprach:

Zwar kann eine Redaktion selbst entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzt, wenn sie über Wahlprogramme berichtet und ist nicht gezwungen, jeweils alle Details zu nennen. Insbesondere in Kombination mit dem Kommentar-Satz “Die Linke denkt nur ans Erhöhen” wird jedoch der Eindruck erweckt (…), es gebe keinerlei Steuersenkungs-Pläne im Programm. Die Darstellung ist irreführend, da nicht mitgeteilt wird, dass DIE LINKEN für etliche Gruppen die Steuern senken wollen. Im Sinne einer umfassenden Information des Lesers wäre es notwendig gewesen, auch das zumindest zu erwähnen. Das hätte die Sorgfaltspflicht erfordert.

Der Presserat erteilte “Bild” deshalb einen “Hinweis”, die Schwächste der drei (allesamt folgenlosen) Beanstandungs-Formen des Gremiums.

Nicht bemängelt wurde vom Presserat, dass die “Bild am Sonntag” einer Gegendarstellung, in der Oskar Lafontaine später den falschen Behauptungen der Zeitung widersprach, den Satz hinzufügte, sie sei zu deren Abdruck “unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt” verpflichtet — und so den falschen Eindruck erweckte, Lafontaines Äußerungen seien unwahr.

AFP, AP, Bild  etc.

Journalistische Kurzzeitgedächtnisarbeiter

Diese Schlagzeile ist aus der “Bild” vom 20. Mai 2009:

Und diese aus der “Bild” von heute:

Und wenn Sie jetzt meinen, dass dieser Herr Schäfer von der “Bild”-Zeitung entweder sehr leicht zu schockieren ist oder ein sehr schlechtes Gedächtnis hat (oder beides), dann haben Sie natürlich Recht.

Allerdings ist er damit nicht allein. Weil die alte Geschichte, dass auf viele Kurzarbeiter Steuer-Nachzahlungen zukommen, heute noch einmal auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung steht, halten sie diverse andere Medien reflexartig für eine Neuigkeit. Die Nachrichtenagentur AFP meldete eilig noch mitten in der Nacht: “‘Bild’: Hunderttausende Kurzarbeiter müssen Steuern nachzahlen”. Die Konkurrenz von AP, die schon im Mai unter Berufung auf “Bild” berichtet hatte: “Hunderttausende Kurzarbeiter erwartet höhere Steuerlast”, titelte diesmal: “Finanzamt bittet Hunderttausende Kurzarbeiter zur Kasse”.

“Focus Online”, “Spiegel Online” — sie alle trotten kopflos hinterher und meldeten unter Bezug auf “Bild” aufgeregt, was lange bekannt ist und in den vergangenen Monaten vielfach aufgeschrieben wurde.

Und wetten? Sie würden es jederzeit wieder tun.

Mit großem Dank an das Finblog!

Korrespondenz-Klitterung

Kai Diekmann, Nachwuchs-Komiker und Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, ärgert sich, dass das “Medium Magazin” Stefan Kornelius von der “Süddeutschen Zeitung” mit einem Preis für Enthüllungen über den tödlichen Luftangriff in Kundus würdigt, der seiner Meinung nach der “Bild”-Redaktion gebührt. Diekmann findet das Votum der Jury lachhaft und lehnt es deshalb ab, bei derselben Gelegenheit in der Kategorie “Unterhaltung” für sein oft für selbstironisch gehaltenes Blog ausgezeichnet zu werden.

Das teilte er dem “Medium Magazin” gestern in einem Brief mit, den er heute in seinem Blog veröffentlichte und der angesichts der Forderung, die Recherchequalität seiner Zeitung anzuerkennen, einen lustigen kleinen Fehler enthält. Diekmann schreibt den Namen seines “von mir als guten Freund geschätzten Kollegen” falsch:

Das ist ein bisschen peinlich, weshalb Diekmann inzwischen so tut, als sei ihm das gar nicht passiert. Ein paar Stunden später sah derselbe Brief von gestern in seinem Blog plötzlich so aus:

Welche Fassung Diekmann tatsächlich losgeschickt hat, weiß man beim “Medium Magazin” noch nicht. Es ist natürlich auch völlig egal. Bemerkenswert ist nur, dass Diekmann sich zwar über anderer Leute Tipp- und Namensfehler mokiert, seine eigenen aber einfach unauffällig nachträglich ungeschehen macht.

Focus  

Bei Burda haben sich zwei gefunden

Manchmal sind es gerade scheinbar besonders unterschiedliche Partner, die perfekt zusammenpassen. Eine journalistische Zeitschrift und eine kommerzielle Kontaktbörse zum Beispiel.

Die Illustrierte “Focus” macht seit längerer Zeit fleißig Schleichwerbung für die Partnervermittlung Elitepartner.de. Die Kontaktbörse gehört der Tomorrow Focus AG, der Internet-Tochter des Burda-Verlages, der den “Focus” herausgibt.

Aus dem Pressekodex:

Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Dem Branchendienst “Meedia” ist aufgefallen, dass “Focus” und “Focus Online” immer wieder auf “ElitePartner” verweisen, ohne die geschäftliche Verquickung offenzulegen, wie es der Pressekodex eigentlich vorschreibt. Eine “Focus”-Sprecherin sagte gegenüber “Meedia”, man achte selbstverständlich “immer darauf, transparent zu berichten und gerade im Falle von Beteiligungen unseres Unternehmens diese auch zu erwähnen”. Wenn dieser Hinweis fehle, sei das “wohl aus Platzgründen ausnahmsweise nicht möglich gewesen”.

Das ist natürlich nicht wahr.

Der gedruckte “Focus” hat in den vergangenen beiden Jahren am 21. Januar 2008, 5. Mai 2008, 23. Juni 2008, 8. September 2008, 3. November 2008, 29. Dezember 2008, 16. Februar 2009, 27. April 2009, 27. Juli 2009, 10. August 2009 und 14. Dezember 2009 über “ElitePartner” berichtet. In keinem Fall hat der “Focus” die eigene Beteiligung an dem Unternehmen erwähnt.

Der “Focus” berichtet vor allem gerne über sinnlose Ergebnisse nicht-repräsentativer Umfragen, die das Schwesterunternehmen “ElitePartner” in großer Zahl veröffentlicht, um in die Medien zu kommen. (Ähnlich aussageschwache Umfrageergebnisse des Konkurrenzunternehmens “Parship” haben es seit Jahren nicht mehr in den “Focus” geschafft.) Gelegentlich äußert sich die Illustrierte aber auch über “ElitePartner” direkt und schreibt zum Beispiel:

Spezialisiert auf Klasse: Mittels eines Persönlichkeitstests verkuppelt die Hamburger Partneragentur Elitepartner.de anspruchsvolle Singles mit festen Bindungsabsichten.

Dafür war Platz.

Bild, dpa  etc.

Europäische Irrsinns-Verwechslung

Es mag, wie “Bild” meint, ein “Skandal”, ein “neuer Justiz-Irrsinn”*, ein “Paukenschlag-Urteil”, ein “Hammer-Urteil”, ein “Fehlurteil” sein. Eines aber ist es auf keinen Fall: ein “EU-Urteil”.

Die “EU” ist zwar für die “Bild”-Zeitung so etwas wie ein Synonym für “Irrsinn”, aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der in der vergangenen Woche urteilte, dass Deutschland einen inhaftierten Schwerverbrecher freilassen und ihm 50.000 Euro Schmerzensgeld zahlen muss, ist keine Einrichtung der EU, sondern des Europarates. Dem gehören 47 Länder an, darunter die Schweiz, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, die Türkei und Russland.

Wenn man sich also darüber empören will, dass das dafür zuständige Gericht der Meinung ist, dass Deutschland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hat, ist der Böse dennoch in keiner Weise die Europäische Union oder eine ihrer Organisationen.

Und das Traurige ist, dass die “Bild”-Zeitung mit ihrem Unwissen nicht allein ist. Auch “Welt”, “Hamburger Abendblatt” und die Nachrichtenagentur dpa berichteten entsprechend falsch. Die Liste der Medien, die in den vergangenen Monaten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als “EU-Gericht” bezeichnet haben, ist lang und reicht von “Spiegel Online” über den “Tagesspiegel” und die “Berliner Zeitung” bis zur “taz”.

*) … obwohl das ach so irrsinnige Urteil immerhin auf einem fundamentalen Grundsatz des Rechtsstaates beruht: Nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz). Ein Verbrecher hatte geklagt, weil er seit 18 Jahren in Sicherungsverwahrung gehalten wird. Zum Zeitpunkt seiner Verurteilung 1986 war diese Maßnahme aber auf zehn Jahre begrenzt. Das Gesetz wurde erst später geändert und nachträglich auf den Fall angewendet.

Mit Dank an Dominik M., Gunther S., Th. K., Katharina B., Ivo B. und Lars!

Gong  

Der Geist der gekauften Weihnacht

Jetzt wollen wir für einen Moment innehalten und an die denken, denen es nicht so gut geht. Diejenigen, die sich nicht einmal ein eigenes Weihnachtsessen leisten können: die Leute vom “Gong”.

Der “Gong” war einmal, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, die vielleicht respektabelste Fernsehzeitschrift: journalistisch, kritisch, gut informiert. Das ist lange her.

Andererseits, “raffinierte Rezept-Ideen” für ein “zauberhaftes 3-Gänge-Menü mit Hühnersuppe, Steak und Schokoladeneistorte”, das ist doch auch was.

Es ist ein besonderes Festtagsessen, das der “Gong” seinen Lesern auf drei Seiten vorschlägt, und das nicht nur, weil es dank “fertiger Zutaten” besonders “schnell gezaubert” ist. Fangen wir mit der Vorspeise an:

Das ist doch mal ein Service: Wie oft haben Sie schon im Laden vor den Regalen gestanden und sich gefragt, welche von den verdammten Tütensuppen nehm’ ich? Der “Gong” schlägt einfach mal “etwa Knorr” vor — was eigentlich gar nicht nötig ist, denn Lebensmittel mit dem Namen “Suppenliebe” gibt es nur von Knorr.

Knorr ist übrigens eine Marke der Firma Unilever, genau wie Mazola, Rama, Cremissimo und Cremefine, um jetzt einfach willkürlich ein paar herauszugreifen…

Und man möchte sich gar nicht ausmalen, wie traurig das Weihnachtsmahl im “Gong” ausgesehen hätte, wenn die Firma Unilever sich nicht so barmherzig gezeigt hätte, der Zeitschrift nicht nur ein paar Rezeptideen, sondern auch noch schöne Fotos von den fertigen Gerichten zur Verfügung zu stellen:

Wünschen wir dem “Gong” also gesegnete Festtage. Und gute Besserung.

Mit Dank an Max M.!

Will the real Kai Diekmann please stand up?

Nach wie vor ungeklärt ist, wer unter dem Namen “Kai Diekmann” in dem Blog Kai-Diekmann.de der Axel Springer AG schreibt. Zunehmend deutlicher wird allerdings, dass es sich nicht um den bekannten Chefredakteur gleichen Namens handeln kann.

Der Blogger “Kai Diekmann” macht sich heute wieder einmal über den Anwalt Johannes (“Jony”) Eisenberg lustig, der für viele Mandanten erfolgreich gegen Lügen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen der “Bild”-Zeitung vorgegangen ist. Vor einigen Tagen hatte “Diekmann” in seinem Blog ein Interview veröffentlicht, das den spektakulären Eindruck erwecken sollte, mit eben diesem gegnerischen Anwalt geführt worden zu sein. Eisenberg hat nun vorhersehbar auf die Provokation reagiert und “Diekmann” aufgefordert, das zu unterlassen. “Diekmann” hat daraufhin ebenso vorhersehbar enthüllt, dass es ein ganz anderer Johannes Eisenberg war, mit dem er gesprochen hatte, und arbeitet weiter an seinem Image als coole Sau inmitten einer Welt voller klagewütiger Spaßbremsen:

Nur zur Klarstellung: Es kann doch wohl keiner geglaubt haben, Johannes sei Jony. Am allerwenigsten Jony selbst! Sie, liebe Blog-Freunde, haben für diese Erkenntnis nur gefühlte zehn Minuten gebraucht!!!

Oder ist alles noch viel schlimmer? Schlägt sich Jonys Verfolgungswahn Empfindlichkeit jetzt schon darin nieder, dass er sogar Interviews mit Namensvettern verbieten will? (…)

Lieber Jony, ich kann Dir als Dein Freund und Genosse wirklich nur noch raten: Mach doch mal Urlaub (vielleicht sogar in Thüringen, Tschechien oder im Erzgebirge…). Das wirkt bei Überspannungen Wunder.

Wegen so eines Spaßes gleich den Rechtsweg beschreiten — das würde “Kai Diekmann”, der Blogger, nicht tun.

Im Gegensatz zu Kai Diekmann, dem Chefredakteur der “Bild”-Zeitung.

Vor einem Dreivierteljahr begann Stefan Sichermann*, der Chefredakteur der sympathischen, nicht-kommerziellen Satireseite “Der Postillon”, unter dem Namen “DerChefred” zu twittern. Sein erster Eintrag lautete: “So der Chefredakteur von Der
Postillon ist jetzt auch bei Twitter! Geil!” Als Homepage gab er den “Postillon” an. Aber als Profilfoto benutzte er ein Bild von Kai Diekmann. Was er schrieb, las sich so:

Nun würde man sagen: Es kann doch wohl keiner geglaubt haben, “DerChefred” sei Kai Diekmann. Selbst die Blog-Freunde von “Kai Diekmann” hätten für diese Erkenntnis nur gefühlte zehn Minuten gebraucht (!!!). Aber Diekmann sah da offensichtlich eine reale Verwechslungsgefahr …

… und schaltete, sicher geplagt von schlimmen Überspannungen, seinen Anwalt ein. Der hatte ebenfalls keine Mühe, den wahren Absender zu erkennen, und mahnte ihn ab:

(…) Der Betrieb dieses Profils und insbesondere die unerlaubte Veröffentlichung des Bildes meines Mandanten stellt einen rechtswidrigen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und Recht am eigenen Bild gemäß § 22 KUG dar. Die unerlaubte Bildveröffentlichung erfüllt außerdem den Straftatbestand des § 33 KUG. (…)

Stefan Sichermann hat daraufhin das Bild Diekmanns sofort aus seinem Twitter-Profil genommen, das zu diesem Zeitpunkt das Interesse von gerade einmal 13 Followern (regelmäßigen Lesern) erreicht hatte. Obwohl er sich — abgesehen von der Verwendung des urheberrechtsfreien Fotos — nie als Kai Diekmann ausgegeben hat, war die Sache damit nicht erledigt: Diekmanns Anwalt schickte ihm eine Rechnung. Er setzte den Streitwert auf 7500 Euro fest und errechnete daraus Gebühren in Höhe von 661,16 Euro — ein erheblicher Betrag für den 28-jährigen Volontär. Sichermann schaffte es mithilfe eines befreundeten Anwaltes immerhin, die Forderung unter Verweis auf den übertrieben hoch festgesetzten Streitwert auf einen “niedrigen dreistelligen Betrag” herunterzuhandeln.

Ein niedriger dreistelliger Betrag für die harmlose, weitgehend unbeachtete und erkennbar scherzhaft gemeinte Verwendung eines Fotos, in der ausgerechnet der “Bild”-Chefredakteur eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes sah.

Soviel zum Verfolgswahn des wahren Kai Diekmann.

*) Hinweis: Stefan Sichermann schreibt gelegentlich für BILDblog.

Bild  

Ohr-ab-Verleger findet Killerapplikation

Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, hat vor einigen Monaten angekündigt, mit kostenpflichtigen Anwendungen für das iPhone neue Einnahmen zu generieren. In der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” sprach er von einer geradezu “heiligen Verantwortung”, die die Verleger hätten, “alles zu versuchen, um eine Wirtschaftsgrundlage für die digitale Welt zu schaffen”. Entscheidend sei bei den Bezahlmodellen, die Frage zu beantworten, “warum der angebotene Journalismus attraktiv, unverwechselbar und unverzichtbar ist”.

Was es kostet

“Wenn man jeden Tag 60 Cent sparen kann, tun die einmaligen 79 nicht weh”, freut sich ein Nutzer in den Kommentaren in Apples “App Store”. Nicht ganz: Für die 79 Cent gibt es nur 30 Tage lang Zugang zu den Inhalten und einer tagesaktuellen “Bild” im PDF-Format. Danach muss man monatlich seinen Account verlängern — für 1,59 Euro ohne bzw. 3,99 Euro mit PDF. In seiner großen Eigen-Werbung weist “Bild” auch auf die möglichen Folgekosten hin, im “App Store” fehlt ein Hinweis darauf.

Als Teil dieser Strategie, zu der auch die Forderung gehört, sogenanntes “geistiges Eigentum” gesetzlich stärker zu schützen, hat die “Bild”-Zeitung heute eine neue iPhone-Anwendung (“App”) veröffentlicht. Zu dem kostenpflichtigen Angebot gehört neben allem möglichen ein Spiel, mit dem man typische “Bild”-Schlagzeilen automatisch generieren kann. Damit bekommen iPhone-Besitzer erstmals die Möglichkeit, für einen solchen Gimmick Geld zu zahlen.

Bislang war das nur kostenlos möglich: Das “Bild”-kritische Weblog “BILDblog.de” hatte im Juni 2006 eine virtuelle Maschine veröffentlicht, die aus vier zufällig kombinierten Wörtern lebensechte “Bild”-Schlagzeilen produziert wie: “Porno-Hund frisst Nazi”, “Hitler-Penis köpft Busen”, “Ohr-ab-Mullah verklagt Rentner” und “Grinse-Äquator belügt Erde”. Erklärt wurde das Konzept u.a. mit dem Satz:

Jetzt bist Du an der Reihe, der größten Zeitung Deutschlands die größten Schlagzeilen Deutschlands zu liefern!

Das kostenlose Angebot, das sich auch heute, dreieinhalb Jahre später, gewisser Beliebtheit erfreut, heißt “Schlagzeil-o-mat”.

Die neue kostenpflichtige “Bild”-Applikation hingegen, die vier Wörter zufällig zu Schlagzeilen wie “Luxus-Koch streichelt Marsmensch”, “Drama-Star entschuldigt Einbrecher” und “Kunst-Koch jagt Mond” kombiniert, heißt “SchLACHzeil-O-Mat”. Die Zeitung bewirbt sie mit den Sätzen:

Sie wollten schon immer mal Chefredakteur der BILD sein und die Schlagzeilen machen über die Deutschland spricht? Dann haben Sie jetzt die Chance dazu.

 
Übrigens, der echte Überschriftengenerator von “Bild” hat gestern zu einem vier Jahre alten Foto eines verletzten Polizisten folgende erwartungsfroh klingende Schlagzeile produziert:

Der 1. Tote wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Gerügt: Leckerer Likör und typische Zigeuner

Das gekauft wirkende Loblied auf eine Fluggesellschaft ist nicht der einzige Artikel aus der “Welt am Sonntag”, der jetzt vom Presserat beanstandet wurde, weil er das Trennungsgebot von Werbung und Redaktion verletzt. Das Gremium rügte auch einen “WamS”-Artikel, in dem ein Münchner “Barchef” das hohe Lied auf ein Mixgetränk mit dem Likör einer bestimmten Marke sang. Genauer:

Wer derzeit in die Gläser der Republik schaut, sieht vor allem: Orange. Aperol Sprizz heißt das süffige Sommer-“Must-have”, wie man so sagt, von einem Trend zu sprechen wäre fast schon untertrieben, denn das modische Getränk ist allgegenwärtig. (…)

Spätestens seit diesem Frühling hat der Sprizz seinen Siegeszug durch ganz Deutschland angetreten, unterstützt von einem klug gemachten Fernsehwerbespot, in dem zwei Mädels per Handzeichen signalisieren, dass sie dazugehören zur großen, fröhlichen Aperol-Gemeinde. Diese wächst weiter, und man fragt sich, was den kollektiven Erfrischungsrausch in diesem Maße ausgelöst haben könnte. In der Eckkneipe wird ebenso “gesprizzt” wie am Gestade der hippen, innerstädtischen Strandbar.

Glaubt man den dort durch ausreichend Sprizz-Bestellungen Seliggewordenen in ihren Liegestühlen, dann entspringt der Kombination Strandbar und Sprizz der Erholungswert eines kleinen Italien-Urlaubs für zwischendurch. Dolce Vita in Dortmund. Oder Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, Berlin. (…)

Bei der “Welt am Sonntag” hielt man das womöglich für Journalismus, der Presserat war weniger besoffen. Er rügte allerdings nur “Welt Online”, wo der “WamS”-Artikel offenbar ursprünglich zudem “mit einem großformatigen Werbefoto des Likör-Herstellers, auf dem der Schriftzug des Getränks plakativ hervorgehoben wurde” illustriert war.

* * *

Wenn sich jemand beim Presserat über einen Online-Artikel beschwert, schaut das behördenähnliche Gremium anscheinend nicht nach, ob der nicht einfach aus der Zeitung übernommen worde. Das zeigt auch die Rüge für die Berichterstattung von Bild.de über ein Familiendrama, bei dem eine Mutter sich und ihre drei Kinder in einem Auto angezündet und so getötet hatte. Bild.de zeigt in einer Bilderstrecke nicht nur abwechselnd Fotos von dem ausgebrannten Auto und dem Abtransport einer Leiche und Werbung u.a. für das Kontaktportal StayFriends (“Schulfreunde wiederfinden”), sondern auch sechs offenbar private Fotos von den Kindern und der Mutter. Nach Ansicht des Presserates verletzt das die Persönlichkeitsrechte der Opfer. Die identifizierende Berichterstattung habe vor allem mit Rücksicht auf die Angehörigen unterbleiben müssen. Bild.de habe außerdem gegen das Gebot verstoßen, bei Selbstmorden besonders zurückhaltend zu berichten.

Aber die gerügte Berichterstattung auf Bild.de stammt aus der gedruckten “Bild”-Zeitung. An zwei Tagen in Folge berichteten die “Bild”-Leute Noel Altendorf, Matthias Lukaschewitsch, Rainer Mittelstaedt, Peter Rossberg und Marco Zitzow detalliert, in großer Aufmachung und mit privaten Fotos von den Opfern über den Fall. “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hat die Suizid-Berichterstattung seines Blattes vor längerer Zeit zur Chefsache gemacht. Dennoch verstößt “Bild” in diesen Fällen immer wieder gegen den Pressekodex. Oder deswegen.

* * *

Die “Thüringer Allgemeine” kassierte eine Rüge für einen Artikel, in dem sie mit Peter Albach abrechnete, dem Bürgermeister von Weißensee, der bis zur jüngsten Wahl auch für die CDU im Bundestag saß. Denn was die Zeitung ihren Lesern verschwieg: Der Autor des kritischen Textes hatte bis kurz zuvor noch die Öffentlichkeitsarbeit für die Stadt Weißensee gemacht. Anscheinend gab es dann eine unschöne Trennung, jedenfalls einen Interessenskonflikt — der Presserat rügte die mangelnde Transparenz, die das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien gefährde.

* * *

Der “Sarstedter Anzeiger”, der zur “Hildesheimer Allgemeinen Zeitung” gehört, wurde für die Berichterstattung über eine Familie gerügt, die in so katastrophalen hygienischen Verhältnissen lebte, dass das Jugendamt die 16-jährige Tochter in seine Obhut nahm. Der “Sarstedter Anzeiger” habe so viele Details benannt und Fotos gezeigt, dass die Familie für die breite Öffentlichkeit erkennbar geworden sei — obwohl kein öffentliches Interesse vorgelegen habe.

* * *

Und dann war da noch Holger Borchard, Redakteur der “Offenbach-Post” in Langen, der anscheinend verzweifelt nach Wegen sucht, seine Abneigung gegen Sinti und Roma auszurücken. In einem Artikel über Betrüger, die behaupten, für die Langener Tafel zu sammeln, formulierte er vermeintlich oberschlau:

Der Zeuge, nach eigenen Worten selbst Nutznießer der Langener Tafel, hatte der Polizei gegen 14.30 Uhr vier Frauen “südländischen Aussehens” gemeldet, die Passanten auf der Bahnstraße um Spenden für die Langener Tafel anbettelten. Die ausgesandte Funkstreife fing das beschriebene Quartett, darunter eine Zehnjährige, Minuten später auf der Einkaufsmeile ab. Zur — laut Polizeisprecher Henry Faltin “nicht gerade einfachen” — Überprüfung der Personalien wurden die Vier auf die Wache mitgenommen.

Bei den drei erwachsenen Frauen handelte es sich um eine Südosteuropäerin, eine Staatenlose und eine Deutsche — alle einwandfrei einer Volksgruppe zuzuordnen, deren Namen eine Zeitung heute nicht mehr schreiben darf, weil sich sie sich damit garantiert eine Rüge vom Presserat einhandelt. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir es wie die Ordnungshüter beim unverfänglichen Hinweis auf besagter Damen Vorliebe für bunte Kleider belassen …

Der Presserat rügte den “klaren Verstoß” gegen das Diskriminierungsverbot im Pressekodex. Die Online-Ausgabe der “Offenbach-Post” habe mit ihrer “ironisch-herabsetzenden Umschreibung” der Frauen aus vermeintlicher Rücksicht auf den Pressekodex noch mehr betont, dass die angeblichen Täterinnen einer ethnischen Minderheit angehören — ohne einen sachlichen Grund zu nennen, warum das relevant ist.

Die feengleichen Damen von Singapore Airlines

Kann sein, dass alles nur ein großes Missverständnis ist. Dass die Hymne, die der Schriftsteller und Journalist Philipp Tingler am 30. August in der “Welt am Sonntag” auf die Erste Klasse der Singapore Airlines geschrieben hat, die famose, fantastische, süchtig machende Erste Klasse von Singapore Airlines, in Wahrheit eine ironische Abrechnung mit der ekelhaften Oberflächlichkeit und Käuflichkeit des Reisejournalismus ist.

Oder eben einer der plumpesten Werbetexte, die sich in jüngerer Zeit in deutschen Medien als Artikel getarnt haben.

Ich spreche heute zu Ihnen aus einem Land, wo jede Bewegung zart ist, jeder Wunsch erfüllbar und das Porzellan von Givenchy. Es dies [sic!] ein Land, wo es keine bösen Worte gibt, höchstens manchmal milde Turbulenzen, kein garstiges Licht, keinen störenden Laut. Ein Land, durch das Zauberwesen huschen, die unendlich viele Kaffeevarianten kennen; Feen, die Ihnen ein Bett im Himmel machen und für jedes Problem eine Lösung finden. Ich spreche zu Ihnen aus der First Class von Singapore Airlines.

Ich hatte perfekte Voraussetzungen, die First Class von Singapore Airlines zu testen (…). “Gelegentlich müssen wir die Passagiere der Businessclass davon abhalten, hierher abzudriften”, erklärt mir die reizende Dame von Singapore Airlines, die mich durch die Hallen für die First Class führt. (…) Es gibt hier einen Chef, der Pancakes zubereitet, die heutige Tagesspezialität, nebst anderen Köstlichkeiten, und Natasha, eine weitere reizende junge Dame vom Singapore Airlines Public Affairs Department, die hierhergekommen ist, um mir Gesellschaft zu leisten, sagt: “Verderben Sie sich nicht den Appetit. Im Flugzeug gibt es gleich eine Delikatesse nach der anderen.” (…)

Die Boeing-777-300-Flotte von Singapore Airlines, die neben Zürich unter anderem Frankfurt, Mailand und Barcelona bedient, ist ziemlich neu und verfügt in der sogenannten Premiumkabine ganz vorne im Flugzeug über acht riesige First-Class-Sessel in zwei Reihen. Diese lederbezogenen und knapp 90 Zentimeter breiten Sessel sind der geräumigste Sitz, der jemals von einer Fluggesellschaft für den kommerziellen Flugbetrieb eingeführt wurde, sagt Singapore Airlines. (…)

Auch bei Singapore Airlines ist, wenn es um die sogenannte “New First Class” in der B 777 geht, in der ich unterwegs bin, die Rede von “feingenarbtem Leder” und “exquisiten Polstern” und “üppigen Duvets” — doch das hier, diese real existierende First Class Cabin, ist tatsächlich ein Refugium, wo Luxus und Erlebnis noch Bedeutung haben, wo Reisen noch glamourös und stilvoll ist, wie früher, als ein Flugticket noch keine Massenware war. (…) Während ich nun ein ansehnliches Steak verschlinge, schaue ich auf meinem 58-Zentimeter-Flachbildschirm (“dem größten im Himmel”, wie Singapore Airlines sagt) “Frost/Nixon” und ein paar Folgen von “Beautiful People”.

Das Unterhaltungsprogramm von Singapore Airlines heißt KrisWorld und umfasst an Bord der Boeing 777 ungefähr 1000 Optionen, neben Spielfilmen und Fernsehformaten auch Spiele und Audioprogramme sowie ein interaktives Sprachlernprogramm. (…)

Stattdessen fühle ich mich ein wenig schläfrig, und so bringt mir die feengleiche Dame von Singapore Airlines meinen Givenchy-Pyjama und mein Frischmacher-Kit von Ferragamo (…).

Es ist eine süße Grausamkeit, seinen ersten First-Class-Flug in der First Class von Singapore Airlines zu absolvieren, denn diese Klasse ist wie Heroin, sie macht schnell abhängig, und der Entzug ist grausam. Nein, nicht wie Heroin, das klingt zu fies, eher wie der Garten Eden oder das Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen und einem reife Früchte in den Mund fallen. Moment mal, was ist eigentlich mit den Leuten im Paradies passiert? Gab es da nicht ein unschönes Ende? Bei Singapore Airlines weiß man zum Glück darum — und bietet an Bord keine Äpfel an.

Mit dieser, nun ja, Pointe endet der eigentliche Artikel (es folgen dann natürlich noch detaillierte Angaben über Buchungsmöglichkeiten und Preise). Der Text rief aber dann doch nicht die Humorpolizei, sondern nur den Deutschen Presserat auf den Plan. Der stellte fest, dass der Autor den Namen der Fluglinie “nicht weniger als 14 Mal” nannte, die Bilder “PR-Fotos der Fluggesellschaft” waren und der Autor seine “ausschließlich positiven Erfahrungen so schwärmerisch” darstellte, “dass die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Kodex deutlich überschritten wurde”.

Der Presserat sprach eine Rüge aus.

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