Autoren-Archiv

Bild.de liefert “Terror”-Futter für Islamhasser und rechte Hetzer

+++ Messermann erschossen! Polizei verhindert Terror-Anschlag in Gelsenkirchen! +++

… schreibt der AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber.

++ Angreifer erschossen: Islamistischer Terror-Anschlag vereitelt! ++

… schreibt die AfD-Fraktion, die im nordrhein-westfälischen Landtag sitzt.

+++ Islamistischer Terror? Bewaffneter greift Polizeiwache an, ruft “Allahu akbar” und wird erschossen! +++

… schreibt der AfD-Landesverband Hessen.

Islamisch motivierter Anschlag konnte vereitelt werden!

… schreibt Pierre Jung, Sprecher des AfD-Kreisverbandes Hamm.

Polizei verhindert Terror-Anschlag!

… schreibt Dimitri Schulz, der für die AfD im hessischen Landtag sitzt.

Sie alle beziehen sich in ihren Facebook-Posts auf einen Artikel, der gestern Abend bei Bild.de erschienen ist. Darin geht es um einen Vorfall in Gelsenkirchen: Ein Mann soll sich einer Polizeiwache genähert und dabei mit einem Gegenstand, wohl einem Stock, auf einen Streifenwagen geschlagen haben. Zwei Polizisten, die vor der Wache standen, sollen ihn aufgefordert haben, dies zu unterlassen und stehenzubleiben. Der Mann soll auf sie zugegangen sein und in der anderen Hand ein Messer getragen haben. Daraufhin soll einer der Polizisten den Mann erschossen haben.

Ob es sich dabei um einen “Terror-Anschlag” handelte, den die Polizisten vereitelten, ob es tatsächlich einen islamistischen Hintergrund gab, und ob der Mann wirklich “Allahu Akbar” rief — all das war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bild.de-Beitrags alles andere als klar. Und dennoch titelte die Redaktion auf ihrer Startseite:

Screenshot Bild.de - Messer-Mann (37) erschossen - Polizei verhindert Terror-Anschlag in Gelsenkirchen

Sowas greifen die AfD-Abgeordneten, -Landesverbände und -Fraktionen genauso gern auf wie die Facebook-Gruppen “Unsere Heimat Deutschland”, “Deutschland – quo vadis”, “Frankfurt gegen Salafismus – Das Original”, “Patrioten des Vaterlands 5” und so weiter. Auch die NPD verbreitet den Bild.de-Artikel, der laut dem Analysetool CrowdTangle allein bei Facebook bisher mehr als 5000 Mal geteilt wurde.

Direkt zu Beginn ihres Textes schreiben die zwei “Bild”-Autoren Celal Çakar und Frank Schneider:

Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Terror-Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!

Das ist gleich aus drei Gründen interessant: Erstens hat die Polizei nicht gesagt, dass sie “sicher” sei, dass es sich um einen “versuchten Terror-Anschlag auf Polizisten” handele. Der dpa sagte ein Sprecher, dass ein möglicher terroristischer Hintergrund Gegenstand der Ermittlungen sei. Und auch Zeugenaussagen, nach denen der Mann “Allahu Akbar” gerufen habe, und die erst die zwei “Bild”-Autoren ins Spiel brachten (“Zeugen schilderten BILD, der Mann habe stattdessen laut ‘Allahu Akbar’ (arabisch ‘Gott ist groß’) gerufen”), seien einem Polizeisprecher zufolge erstmal nur “Gerüchte”, die bislang nicht bestätigt seien.

Zweitens lautete dieser erste Satz des Bild.de-Artikels mal ziemlich anders. In einer früheren Version behaupteten Çakar und Schneider noch selbst, dass es sich um einen “Terroranschlag” handelt, und schoben nicht die Polizei als vermeintliche Quelle vor:

Die Polizei hat im Ruhrgebiet einen Terroranschlag verhindert!

Und drittens hat die Polizei inzwischen bekanntgegeben, dass sie nicht von einem terroristischen Hintergrund ausgehe.

Das ist inzwischen auch bei Bild.de angekommen. Die Überschrift hat die Redaktion klammheimlich geändert in:

Screenshot Bild.de - Messer-Mann (37) erschossen - Polizisten in Gelsenkirchen angegriffen

Und den ersten Satz genauso klammheimlich in:

Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!

Einen Korrekturhinweis darauf, dass man mal etwas völlig anderes berichtet hat, gibt es nicht. Nur zur Erinnerung: Bild.de wird von einem Mann geleitet, der über sich selbst gern sagt, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.”

Mit Dank an @MeiersKaettche für den Hinweis!

Bei “Bild” ein Pop-Star

Bei “Bild” und Bild.de stört es sie, wie Jens Söring, der wegen Doppelmordes in den USA rechtskräftig verurteilte wurde, obwohl an seiner Schuld erhebliche Zweifel bestanden und bestehen, nach seiner Freilassung und der Abschiebung in Deutschland empfangen wurde. Söring sei …

Screenshot Bild.de - Ein Mörder, kein Pop-Star!

Es ist ein verstörendes Signal: Ein in den USA rechtmäßig verurteilter Doppelmörder wird in Deutschland empfangen wie ein Popstar.

kommentiert “Bild”-Redakteur Philip Fabian. Und es scheint, als hätte Fabian in den vergangenen Tagen nicht allzu häufig ins eigene Blatt geschaut oder Bild.de besucht. Dort weist die Redaktion zwar bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass es sich bei Söring um einen “Doppelmörder” handelt, ansonsten aber berichtet sie über den Mann wie sie sonst nur über (Pop-)Stars berichtet.

Die “Bild”-Medien folgen Jens Söring bei jedem Schritt und dokumentieren alles. Sörings “ANKUNFT AM FLUGHAFEN”:

Screenshot Bild.de - Sörings Ankunft am Flughafen Frankfurt - Er blickte dreimal in den Himmel - Hach Gott, ist das schön

Sörings Begrüßungskomitee:

Screenshot Bild.de - Zwölf Jahre Kampf für Sörings Freiheit - In inniger Umarmung mit einem Doppelmörder

Sörings Zukunftspläne:

Screenshot Bild.de - Nach 33 Jahren US-Haft kehrt der Doppelmörder zurück - Sörings Pläne für sein Leben in Deutschland

Sörings Klamotten:

Screenshot Bild.de - Jens Söring nach 33 Jahren Knast wieder in Deutschland - Im Jogginganzug lässt sich der Doppelmörder durch Hamburg fahren

Sörings Schuhe:

Screenshot Bild.de - Doppelmörder Söring in Frankfurt gelandet - 33 Jahre im Knast waren Schnürsenkel verboten - In weißen Sneakern in die Freiheit

In “Bild” gab es eine ganze Söring-Seite:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht über eine komplette Seite mit verschiedenen Artikeln über Jens Söring

Und bei Bild.de einen Livestream von der Landung in Frankfurt am Main (“BILD LIVE BEI DER LANDUNG VON JENS SÖRING”).

Außerdem hat die Redaktion eine Liste erstellt mit Erfindungen und Ereignissen, die Söring durch seine “33 Jahre hinter Gittern” verpasst habe:

Screenshot Bild.de - 33 Jahre hinter Gittern - Was Jens Söring im Knast alles verpasst hat

Darunter so prägende Sachen wie Matthias Reims Song “Verdammt, ich lieb’ dich” oder “DSDS und Dieter Bohlen”. Und wirklich Wichtiges wie die Terroranschläge vom 11. September 2001, von denen man aber natürlich auch im Gefängnis etwas mitbekommen kann. Außerdem habe Söring verpasst, dass “Deutschland vier Mal Fußballweltmeister” wurde, was einfach nur Blödsinn ist, weil Jens Söring beim ersten Weltmeistertitel 1954 überhaupt noch nicht geboren war und beim zweiten 1974 noch nicht im Gefängnis saß*.

Am beklopptesten aber ist der Bild.de-Artikel über Sörings Flug nach Deutschland:

Screenshot Bild.de - Doppelmörder Söring im Flugzeug nach Deutschland - Western, Huhn, Orangensaft - danach schlief er ein

Der Text hält, was die Überschrift befürchten lässt:

Die Maschine rüttelt heftig, beim Durchqueren einer Schlechtwetterfront gibt es Turbulenzen. Passagier Söring bleibt inzwischen gelassen — und er hat das Entertainment-System entdeckt, eine Stewardess gab ihm zuvor Ohrenstöpsel.

Wenige Reihen weiter erreicht eine weitere Flugbegleiterin den Deutschen: “Huhn oder Pasta?”, wird er gefragt. Er bestellt Huhn. Dazu einen Becher Orangensaft. Dann noch einen — und ist dann wieder vertieft in das Unterhaltungssystem. Später schläft er ein — der Film läuft noch.

Mittlerweile ist der Flieger in Frankfurt gelandet. Zuvor gab es Frühstück: Croissants und Joghurt. Söring greift zu.

Solche Nichtigkeiten, zumal in dieser Fülle, berichten die “Bild”-Medien nicht mal über die größten Pop-Stars.

Mit Dank an Oliver H., Christian G., Markus T., @J_MkHk, @moejevski und @spokenxD für die Hinweise!

*Korrektur, 17:11 Uhr: Bei den vier Weltmeistertiteln haben wir Blödsinn erzählt: Bild.de meint die zwei WM-Titel für die deutschen Fußballer und die zwei WM-Titel für die deutschen Fußballerinnen, während Jens Söring im Gefängnis saß. Damit ist “Deutschland vier Mal Fußballweltmeister” richtig. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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“Bild” schickt Bodo Ramelow in einen erfundenen “Shitstorm”

Ein “Shitstorm” ist laut Duden ein “Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht”.

Bei “Bild” haben sie hingegen eine leicht andere, eigenwillige Definition, und die geht in etwa so: Um einen “Shitstorm” handelt es sich, wenn auf einen Witz bei Twitter weit über 200 Personen mit “Gefällt mir” reagieren, mehr als 30 Personen ihn per Retweet verbreiten und zwölf Personen auf den Tweet antworten, wobei die Antworten vor allem mit einem Daumen nach oben, lachenden Gesichtern, vielen Herzchen und Aussagen wie “Sehr schön … danke dafür :-)” oder “Herrlich” versehen sein müssen. Oder anders: Wir finden Linken-Politiker und Ministerpräsident Bodo Ramelow blöd, also lasst uns ihm mal einen “Shitstorm” andichten:

Ausriss Bild-Zeitung - Was wollten Sie uns damit sagen, Herr Ramelow?

Shitstorm für MP Bodo Ramelow (Linke)!

Grund sei dieser “schräg formulierte Nachrichten-Mix des Politikers auf Twitter”:

Screenshot eines Tweets von Bodo Ramelow - Was die Woche passierte und die Welt bewegte: Betrunkener Waschbär fährt erster Klasse mit der DB bis Bremen - nur dadurch entkam er dem Erfurter Stadtjäger. Die Stadtmusikanten müssen ab sofort geändert werden und eine  Greta war die Zugbegleiterin.

Die Thüringen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung schreibt über die Reaktionen:

Ein verärgerter User antwortete: “Bodo lass das, Witze kann nicht jeder, mach lieber ordentliche Politik!”

Andere fanden, dass sich der Beitrag wie ein Antrag auf Pensionierung lese, fragten beim MP sogar nach, ob er alkoholisiert gewesen sei.

… wobei die Sache mit der “Pensionierung” mit einem Zwinkern versehen ist. Ansonsten sehen die Antworten auf Ramelows Tweet so aus:








Das ist, neben aktuell 247 Mal “Gefällt mir” und 31 Retweets, der “Shitstorm”, den die “Bild”-Redaktion herbeifantasiert hat.

Dazu auch aus unserem Archiv:

“Bild” lässt getöteten “GEZ-Mann” wegen offener Gebühren klingeln

In Köln ist am vergangenen Freitag ein Mann erstochen worden. Tatverdächtig ist ein anderer Mann, der inzwischen in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wurde.

“Bild” berichtete am Samstag groß auf der Titelseite über den Fall. Die Redaktion zeigte ein unverpixeltes Foto des Opfers und schrieb dazu:

Ausriss Bild-Titelseite - Er klingelte wegen offener Gebühren - GEZ-Kassierer an Haustür erstochen!
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auch bei Bild.de war ein Foto des Mannes ohne jegliche Unkenntlichmachung auf der Startseite zu sehen. Dort war nicht von “GEZ-Kassierer”, sondern von “GEZ-Mann” die Rede:

Screenshot Bild.de - GEZ-Mann - Als er klingelte, stach der Killer zu

Nun gibt es die GEZ, die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, schon seit einigen Jahren nicht mehr, aber das nur nebenbei. Vermutlich meinen die “Bild”-Medien den Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klingeln allerdings nicht “wegen offener Gebühren” an Haustüren. Das erklärt auch ein Sprecher des Beitragsservice in den Artikeln von “Bild” und Bild.de — was die Redaktion bei ihrer Wahl von Überschrift und Dachzeile offenbar nicht sonderlich interessiert hat.

Das Opfer war auch gar nicht bei der GEZ beziehungsweise dem Beitragsservice angestellt, sondern bei der Kämmerei der Stadt Köln. Auch das steht im Artikel der “Bild”-Medien. Die Stadtkämmerei schaut durchaus bei säumigen Beitragszahlerinnen und -zahlern vorbei. Doch der Einsatz, bei dem der Mann erstochen wurde, soll damit überhaupt nichts zu tun gehabt haben, wie man ebenfalls bei “Bild” und Bild.de nachlesen kann:

Nach BILD-Informationen aus der Behörde soll es bei [dem Tatverdächtigen] aber nicht um Rundfunkgebühren gegangen sein — was [das Opfer] dort kassieren wollte, teilte die Stadt nicht mit.

Der Einsatz des Mannes, der nicht für die GEZ/den Beitragsservice arbeitete, soll also rein gar nichts mit Gebühren der GEZ/des Beitragsservice zu tun gehabt haben, was die “Bild”-Redaktion auch alles wusste — und dennoch titelt sie: “Er klingelte wegen offener Gebühren – GEZ-Kassierer an Haustür erstochen!”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Bild” spielt üblen Klimafehlpass

Irgendwas mit Geflüchteten, irgendwas gegen die Grünen — das landet bei “Bild” und Bild.de selbstverständlich auf der Titel- und Startseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Heftige Kritik von anderen Parteien - Grüne wollen deutschen Pass für Klima-Flüchtlinge
Screenshot Bild.de-Startseite - Plan der Grünen - Klima-Flüchtlinge sollen deutschen Pass bekommen

Über den “PLAN DER GRÜNEN” schreiben Filipp Piatov, Karina Mössbauer und Peter Tiede:

Kann jeder Klima-Flüchtling bald Deutscher werden?

Dieser Grünen-Plan hat es in sich: Ganze Bevölkerungsgruppen sollen wegen des Klimawandels umsiedeln dürfen. Und zwar AUS der ganzen Welt IN die ganze Welt!

Es geht um sogenannte Klimapässe. Das “Bild”-Trio erklärt das folgendermaßen:

Klima-Flüchtlinge aus aller Welt sollen in Industrie-Länder auswandern dürfen. Auch nach Deutschland. Und bei Ankunft gleich den deutschen Pass bekommen. “Eine Staatsbürgerschaft im aufnehmenden Land kann eine Option sein”, sagte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (64, Grüne) zum Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Natürlich verdrehen Piatov, Mössbauer und Tiede Claudia Roths “kann eine Option sein” direkt in “gleich den deutschen Pass bekommen”. Und sie verzichten darauf, einen ganz entscheidenden Satz Roths ebenfalls zu zitieren. Auf die Frage “Sollen die Betroffenen bei Ankunft in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten?” antwortete die Grünen-Politikerin im Interview mit dem “Redaktionsnetzwerk Deutschland”:

Das internationale Recht fordert dazu auf, Staatenlosigkeit zu vermeiden. Genau solche Fragen müssen wir also dringend international diskutieren. Eine Staatsbürgerschaft im aufnehmenden Land kann eine Option sein.

(Hervorhebung durch uns.)

Es geht Claudia Roth bei ihrer Aussage zur Staatsbürgerschaft im aufnehmenden Land also nicht um “jeden Klima-Flüchtling”, wie “Bild” es ins Spiel bringt, sondern nur um die, bei denen eine Staatenlosigkeit droht. Ausführlicher wird das in einem Antrag der Bundestagsfraktion der Grünen (PDF) erklärt:

Auch muss sich die internationale Staatengemeinschaft darauf einigen, wie sie mit dem erwartbaren Verlust ganzer Staatsgebiete umzugehen gedenkt. Entsprechende Debatten und Verhandlungen bedürfen deutlich mehr Nachdruck. Wenn absehbar ist, dass beispielsweise Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, muss dringend festgelegt werden, welche völkerrechtlichen Folgen der Verlust des Territoriums für die Betroffenen, ihre Staatsangehörigkeit und ihren Schutzanspruch mit sich bringt. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass Staatenlosigkeit de facto und de jure verhindert wird. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, Lösungen international voranzutreiben — etwa die Idee eines Klimapasses, dessen individueller Ansatz den Betroffenen ermöglicht, selbstbestimmt und frühzeitig über ihre Migration zu entscheiden.

Roth spricht in diesem Zusammenhang zum Beispiel von “den Bürgerinnen und Bürgern pazifischer Inselstaaten wie Tuvalu oder Kiribati”, “deren Land vollständig im Meer zu verschwinden droht”.

Das Ziel des “Grünen-Plans” ist übrigens auch nicht primär, dass Personen “AUS der ganzen Welt IN die ganze Welt”, etwa nach Deutschland, umsiedeln. Danach gefragt, ob es nicht erstmal darum gehen müsse, “dass Menschen in ihrer Heimat bleiben können”, antwortete Claudia Roth:

Unbedingt, das muss oberste Priorität haben

Und auf die Frage, ob die Menschen, die wegen des Klimawandels bereits heute umsiedeln oder fliehen müssen, “herkommen dürfen” sollen:

Die wenigsten wollen das. Natürlich will die Kaffeebäuerin aus dem Benin nicht nach Bamberg ins Anker-Zentrum. Wenn sie schon umsiedeln muss, dann wenigstens regional. Es geht also primär darum, Mechanismen und Lösungsansätze vor Ort zu unterstützen — in der afrikanischen Tschad-Region zum Beispiel, wo große Dürre herrscht, oder in Bangladesch, wo ganze Landstriche vom Meer verschluckt werden.

Auch im Antrag der Grünen heißt es nicht etwa, dass bloß alle “Klima-Flüchtlinge” nach Deutschland kommen sollen, sondern: “den Betroffenen das Recht zu garantieren, innerhalb ihres Landes, in der Region und gegebenenfalls über die eigene Region hinaus umzusiedeln”.

Das “Redaktionsnetzwerk Deutschland” hat Claudia Roth noch gefragt, ob sie denn keine Sorge habe, mit ihren Forderungen “den migrationsfeindlichen Diskurs zu befeuern”. Roth sagte dazu:

Ich lasse mich in meiner Politik nicht von Angst leiten. Sonst hätten die Angstmacher längst gewonnen.

Der “Bild”-Artikel von heute zeigt, dass die Angstmacher es auf jeden Fall weiter versuchen.

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Das Geschlecht eines Menschen bestimmt immer noch “Bild”

Georgine Kellermann ist eine mutige Frau. Im Alter von 62 Jahren hatte die Leiterin des WDR-Studios in Essen ihr Coming-out als Transgender. In einem Beitrag der WDR-Sendung “Aktuelle Stunde” spricht Kellermann über diesen großen persönlichen Schritt und nennt dabei auch ihren Beruf als einen der Gründe, warum das Coming-out für sie erst jetzt möglich war:

Um die Welt fliegen und Geschichten erzählen — meine Angst war, dass das nicht mehr passieren würde. Ich war so glücklich in dem, was ich tat, dass meine Sorge einfach war: Wenn ich jetzt werde, wer ich bin, dass ich dann nicht mehr tun kann, was ich liebe.

Auch die “Bild”-Redaktion berichtet heute in ihrer Bundesausgabe über Kellermann:

Ausriss Bild-Zeitung - WDR-Studio-Leiter ist jetzt Leiterin

Und nennt die Person, die klarmacht, dass sie als Frau leben möchte, “TV-Mann”, “TV-Moderator” und schreibt konsequent nur “er”:

Ausriss Bild-Zeitung - Der TV-Mann lebt nun als Frau Georgine Kellermann

Er wollte sein wahres Ich nicht mehr verstecken.

In der WDR-Sendung “Aktuelle Stunde” hat TV-Moderator Georg Kellermann (62) erklärt, dass er nun offiziell als Georgine Kellermann lebt.

Schon in der Pubertät habe Kellermann, der mittlerweile das WDR-Studio in Essen leitet, gespürt, dass er im falschen Körper stecke.

Trotzdem lebte er nur im Privaten als Frau.

Wenn Georgine Kellermann über sich selbst schreibt, benutzt sie Worte wie “Journalistin” oder “Korrespondentin”, also die weibliche Form. Die “Bild”-Redaktion interessiert es aber natürlich nicht, was andere Menschen wollen.

“The Buzzard”, Versteckte TikTok-Videos, Böhmermanns Abschied

1. Ein merkwürdiges Verbrechen
(spiegel.de, Thomas Fischer)
Der frühere Bundesrichter und heutige “Spiegel Online”-Kolumnist Thomas Fischer schreibt über den Tötungsdelikt von Augsburg und geht auch auf die Berichterstattung darüber ein: “Auf der Stecke bleiben dabei die Betroffenen: Die Tatopfer, aber auch die Beschuldigten. Sie werden zu Spielbällen einer willkürlich, zufällig und zynisch erscheinenden Konstruktion von Medien-Wirklichkeit erniedrigt. Auch die Wahrheit bleibt auf der Stecke, wenn Kriminalität nurmehr als Abfolge von ‘Unfassbarem’, als Anlass sich steigernden ‘Abscheus’, als unterhaltsame Serie über die schlimmsten Täter, die ärmsten Opfer und die härtesten Knäste wahrgenommen wird.”

2. Den Blick auf die Welt weiten – mit rechtsradikalen Blogs?
(uebermedien.de, Felix Huesmann)
“Mit Buzzard bekommst du einen ganz neuen Zugang zur Nachrichtenwelt. Eine App, die deinen Blick weitet für Perspektiven des ganzen Meinungsspektrums”, verspricht das Medien-Startup “The Buzzard” und sammelte bei einem Crowdfunding rund 170.000 Euro ein. Nun gibt es aber reichlich Gegenwind: In einer Art Prototyp gehörte zum “ganzen Meinungsspektrum”, das “The Buzzard” abbilden will, auch das rechtsextreme und islamfeindliche Blog “PI-News”. Mehrere prominente “The Buzzard”-Unterstützerinnen und -Unterstützer sind inzwischen abgesprungen, die Rechtfertigungen der Projektverantwortlichen machen es eher nur schlimmer. Felix Huesmann schreibt bei “Übermedien”: “‘The Buzzard’ hat es nach zweieinhalb Jahren laufenden Betriebs des Prototyps nicht geschafft, ein funktionierendes Konzept für den Umgang mit rechtsextremen, rassistischen und verschwörungstheoretischen Seiten zu entwickeln.”

3. “Kollegen sind immer mehr Drohungen ausgesetzt”
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Oliver Das Gupta hat sich mit Jamie Angus, dem Direktor der BBC World Service Group, über Journalismus in Zeiten des britischen Wahlkampfs, Drohungen gegen BBC-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, sowie Boris Johnsons Weigerung, dem bekannten Journalisten Andrew Neil ein Interview zu geben, unterhalten.

4. TikTok: Ich habe China kritisiert, dann wurden meine Videos versteckt
(vice.com, Sebastian Meineck)
Bei “Vice” wollten wissen: “Was passiert, wenn wir auf TikTok China kritisieren?” Daher postete Tech-Redakteur Sebastian Meineck mehrere Videos mit Hashtags wie #freexinjiang, #chinacables oder #culturalgenocide in dem Sozialen Netzwerk. Das Ergebnis seines Experiments: Videos, die aus der Hashtag-Suche der Smartphone-App verschwinden, wofür laut TikToks PR-Abteilung natürlich nur ein “Bug” verantwortlich sein soll.
Weiterer Lesetipp: “TikTok ist die angesagteste Video-App unter Kindern und Jugendlichen. Doch manche Nutzer verleiten ihre Zuschauer in Livestreams zu virtuellen Geldgeschenken — mit fragwürdigen Versprechungen”: Die dubiose Seite der TikTok-Welt (spiegel.de, Markus Böhm).

5. Das Coming-out einer Transgender-Chefin im WDR
(wdr.de, Andrea Moos, Video: 4:16 Minuten)
Georgine Kellermann ist Chefin im WDR-Studio in Essen. Mit 62 Jahren hat sie ihr Coming-out als Transgender. Dass das für sie erst jetzt möglich ist, liege auch an ihrem Beruf: “Um die Welt fliegen und Geschichten erzählen — meine Angst war, dass das nicht mehr passieren würde. Ich war so glücklich in dem, was ich tat, dass meine Sorge einfach war: Wenn ich jetzt werde, wer ich bin, dass ich dann nicht mehr tun kann, was ich liebe.”

6. Böhmermanns Abschied: So war die letzte Ausgabe vom “Neo Magazin Royale”
(rnd.de, Imre Grimm)
Gestern lief die letzte Folge “Neo Magazin Royale” bei ZDFneo. Moderator Jan Böhmermann wechselt kommendes Jahr ins ZDF, also das richtige, große ZDF. Imre Grimm hat sich das “Neo Magazin Royale”-Finale angeschaut und überlegt, was Böhmermann fürs Hauptprogramm noch fehlt.

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Unfallursache: Frau

Im baden-württembergischen Gerlingen ist, hehe, in der Nacht zu Mittwoch ein Auto, prust, in eine Hauswand gekracht, und, gleich kommt die Pointe, am Steuer saß, zwinkerzwinker, eine Frau!

Oder wie “Bild” schlagzeilt:

Ausriss Bild-Zeitung - Morgens um 4 Uhr und eine Frau am Steuer - dazu ein Foto des zerstörten Unfallwagens

Ja, doch, die “Bild”-Redaktion bewegt sich noch immer auf dem Niveau von eigentlich längst eingemotteten Stammtischkloppern wie “Frau am Steuer, das wird teuer”: Es sei “keine Bombe” gewesen, die dort am Unfallort eingeschlagen ist, …

sondern ein BMW. Mit einer Frau (26) am Steuer, morgens um 4 Uhr.

In den 43 Zeilen, die der Artikel aus der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung umfasst, war zwar Platz für eine Beschreibung der “großen Steinbrocken”, die nun “auf dem schönen, weißem Ledersofa liegen”, und für den Hinweis, dass die Fahrerin “in einer Linkskurve (…) die Kontrolle über ihren Wagen” verlor; die wahrscheinlichen Unfallursachen passten aber leider nicht mehr hinein. Neben zu hoher Geschwindigkeit dürfte das vor allem Alkohol gewesen sein. Das zuständige Polizeipräsidium Ludwigsburg schreibt in seiner Pressemitteilung jedenfalls:

Vermutlich infolge von Alkoholeinwirkung und nicht angepasster Geschwindigkeit ist die 26-jährige Fahrerin (…) von der Fahrbahn abgekommen (…)

Bei der Autofahrerin stellten Polizeibeamte Anzeichen von Alkoholeinwirkung fest und veranlassten die Entnahme einer Blutprobe.

Bei “Bild” machen sie daraus lieber: Unfallursache: Frau.

Mit Dank an @Medienfestival für den Hinweis!

Bedrohung durch Neonazis, Redaktion im Schleudergang, Esoterik-Murks

1. So bedrohen Neonazis kritische Journalisten
(blog.zeit.de, Jonas Miller & Jens Eumann & Henrik Merker)
Journalistinnen und Journalisten, die über Rechtsextremismus und Neonazis berichten, sind immer wieder Einschüchterungsversuchen und Angriffen ausgesetzt. Im “Störungsmelder”-Blog bei “Zeit Online” erzählen Jonas Miller, Jens Eumann und Henrik Merker, “wie es ist, im Fadenkreuz der Szene zu stehen.”

2. Daphne Caruana Galizia: Druck auf Maltas Regierung steigt
(ndr.de, Ellen Trapp, Video: 6:00 Minuten)
Zwei Jahre ist es her, dass die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia durch einen Anschlag mit einer Autobombe ermordet wurde. In den vergangenen Wochen ist wieder Bewegung in den Fall und die dazugehörigen Ermittlungen gekommen — bis hin zu einer Rücktrittsankündigung von Maltas Premierminister Joseph Muscat. Ellen Trapp fasst die Ereignisse im Medienmagazin “Zapp” zusammen.

3. Eine Redaktion im Schleudergang
(sueddeutsche.de, Verena Mayer & Jens Schneider)
Die frühere Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk legten gestern ein Gutachten zur Stasi-Vergangenheit des Neu-Verlegers Holger Friedrich vor, der gemeinsam mit seiner Frau Silke den Berliner Verlag und damit auch die “Berliner Zeitung” gekauft hatte. Verena Mayer und Jens Schneider fassen die Ergebnisse des Gutachtens (und zusätzlich die weiteren Querelen rund um die Friedrichs) zusammen: “Die Gutachter betonen ausdrücklich ihren Respekt gegenüber den Redaktionen des Berliner Verlags, ‘die in einer schwierigen Situation versucht haben, trotz bestehender Abhängigkeitsverhältnisse so unabhängig wie irgend möglich vorzugehen und vor allem den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden’.”
Weiterer Lesetipp: Die “Berliner Zeitung” richtet sich in einem “In eigener Sache” an die Leserinnen und Leser und veröffentlicht neben einem Brief des Gutachter-Duos Birthler und Kowalczuk auch dessen ausführlichen Bericht.

4. Medien wollen mehr
(taz.de, Christian Rath)
Ein Bündnis aus Journalistengewerkschaften und dem Deutschen Presserat, dem Netzwerk Recherche, Verlegerverbänden und dem Verband privater Medien sowie ARD und ZDF fordert vom Bundestag ein Presseauskunftsgesetz. Christian Rath erklärt: “Die Lücke, die ein derartiges Gesetz schließen soll, besteht seit 2013. Bis dahin galt für Medienanfragen an Bundesbehörden das Pressegesetz des jeweiligen Bundeslandes, in dem die Behörde ihren Sitz hatte. Für Anfragen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zirndorf galt zum Beispiel das bayerische Pressegesetz. Völlig überraschend stellte jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2013 fest: Für Presseauskünfte gegen Bundesbehörden ist ein Bundesgesetz erforderlich. Ohne ein entsprechendes Bundesgesetz gelte nur ein ‘Minimalstandard’, der unmittelbar aus dem Grundrecht auf Pressefreiheit abzuleiten sei.”

5. Dieser Twitter-Account gibt sich als syrischer Flüchtling aus
(correctiv.org, Alice Echtermann)
“Dawuhd Nabil” ist angeblich “Syrian Refugee, Muslim, Activist” und twittert ziemlich provozierende Aussagen, die immer wieder für reale unverschämte Forderungen eines syrischen Flüchtlings gehalten werden. Alice Echtermann hat die Hintergründe des Accounts recherchiert und konnte keine Spuren eines echten “Dawuhd Nabil” finden. Ihr Fazit: Es handele sich “um einen Fake-Account”, der “Beiträge unter falscher Flagge veröffentlicht”.

6. Leuchtender Feind im Klassenzimmer
(kontextwochenzeitung.de, Jürgen Lessat)
In der SWR-Sendung “Marktcheck deckt auf” über “Das Geschäft mit LED-Lampen” gab es auch ein “Experiment” in einem Klassenzimmer: Können Schülerinnen und Schüler unter LED-Leuchten schlechter lernen als unter Halogenlampen? Jürgen Lessat hat sich den Beitrag für “Kontext” angeschaut und die Merkwürdigkeiten festgehalten, die Hintergründe der präsentierten “Lichtexperten” recherchiert und beim SWR nachgefragt: “Warum verschweigen die ‘Marktchecker’ das anthroposophische Weltbild der aufgebotenen Lichtexperten? Warum suggerieren sie Wissenschaftlichkeit, wo esoterische Maßstäbe angelegt werden? Das wollte Kontext vom SWR wissen.”

“Bild”-Chef schafft “Weihnachten” ab

Wir wünschen entspannte und besinnliche Feiertage und ein erfolgreiches, gesundes Jahr 2020.

So lautet der Spruch in der Grußkarte von “Bild”, “Bild am Sonntag” und “B.Z.”, die die Medienjournalistin Ulrike Simon heute bei “Horizont” präsentiert. Aber fehlt da nicht was? Wo steckt denn “das wichtige Wort: Weihnachten”? Will Julian Reichelt, der als Chef der Chefredakteure für alle drei Blätter verantwortlich ist, etwa eines der zentralen christlichen Feste abschaffen?

Eigentlich wäre das alles nicht der Rede wert, wenn es für die “Bild”-Medien vor ziemlich genau einem Jahr nicht der Rede der Aufregung der Kampagne wert gewesen wäre, dass in einer Weihnachtskarte der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz das aus “Bild”-Sicht “wichtige Wort: Weihnachten” fehlte.

Mehrere Tage versuchten sie bei “Bild” und Bild.de, Widmann-Mauz fertigzumachen und aus dem Amt zu schreiben:

Collage mit Screenshots von Bild.de und Ausrissen aus der Bild-Zeitung - Peinliche Karte aus dem Kanzeramt - Integrations-Beauftragte schafft Weihnachten ab - Die peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt - Integrationsbeauftragte drückt sich vor dem Wort Weihnachten - Kritik-Stum wegen beschämender Weihnachtskarte - Warum ist sie Integrationsministerin?

Filipp Piatov und Franz Solms-Laubach regten sich über die “peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt” auf. Solms-Laubach kommentierte zusätzlich: “Instinktloser Unsinn!” Briefonkel Franz Josef Wagner schrieb an die “Liebe Integrationsministerin”. Und die Redaktion ließ den selbst initiierten “Kritik-Sturm wegen beschämender Weihnachts-Karte” über Widmann-Mauz ziehen. Es war eine typische “Bild”-Kampagne, in der Julian Reichelt und sein Team aus purer Lust auf Krawall eine Kleinigkeit zum großen Skandal aufbliesen. Und für alle ganz Rechten, die das Abendland untergehen sehen, war es ein gefundenes Fressen für Hass und Hetze.

Ulrike Simon schreibt bei “Horizont”, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Axel-Springer-Verlags das fehlende “Weihnachten” noch bemerkt haben sollen:

Glück gehabt, dass Bild den eigenen Faux-pas in diesem Jahr rechtzeitig erkannte. Pech, dass HORIZONT eine von mehreren tausend Karten vor dem Einstampfen retten konnte.

Mit Dank an Max für den Hinweis!

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