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Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

B.Z.  

Das sind KEINE schlechten Journalisten!

Da hatte die “B.Z.” für ihre Titelseite am Mittwoch aber eine freche Idee:


(Unkenntlichmachung des Gesichts im Original, zusätzliche Unkenntlichmachung von uns.)

Die angekündigte Gegendarstellung gab es dann auf Seite 6:

Gegendarstellung

In der B.Z. vom 22.05.2015 verbreiten Sie auf S. 6 unter der Überschrift “Berlins Unterwelt trauert um ihre Paten” unter Bezugnahme auf einen Polizeibeamten: “… Mohammed A. sei ein bekannter Zuhälter von der Kurfürstenstraße.“

Hierzu stelle ich fest: Ich bin kein Zuhälter und war es auch noch nie.

Berlin, den 30.05.2015 – Mohamad Aref

Der “B.Z.”-Clou mit der Titelseite: Die Rechtsanwältin und ihren Mandanten ärgern, gleichzeitig aber der Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung nachkommen. Oder wie Chefredakteur Peter Huth in der heutigen Ausgabe schreibt:

Die ungewöhnliche Titelseite vom 16. September sollte einerseits den rechtlichen Anspruch von Aref erfüllen, ihn aber auch in Relation zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft bringen. Wenn wir das nicht getan hätten, wären wir schlechte Journalisten.

Und das sind sie bei der “B.Z.” ja nicht. Aber: Huth schreibt zu der Titelseitenaktion auch:

Das gab (erwartungsgemäß) Ärger — daher musste die Gegendarstellung in der gestrigen Ausgabe noch einmal gedruckt werden.

Also, gestern in der “B.Z.” — dieses Mal mit der “Anmerkung der Redaktion”, dass Aref recht habe:

Gegendarstellung

In der B.Z. vom 22.05.2015 verbreiten Sie auf S. 6 unter der Überschrift “Berlins Unterwelt trauert um ihre Paten” unter Bezugnahme auf einen Polizeibeamten: “… Mohammed A. sei ein bekannter Zuhälter von der Kurfürstenstraße.“

Hierzu stelle ich fest: Ich bin kein Zuhälter und war es auch noch nie.

Berlin, den 30.05.2015 – Mohamad Aref – Anmerkung der Redaktion: Mohamad Aref hat recht.

Damit war die Gegendarstellung abgehakt — die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Denn auf der Titelseite am Mittwoch war der Abgebildete nicht nur “KEIN Zuhälter”, sondern auch nicht Mohamad Aref.

Daher sieht die heutige “B.Z.”-Ausgabe so aus:

Und Chefredakteur Peter Huth muss erklären:

WIR HABEN EINEN FEHLER GEMACHT.

Ein Leser und dann auch Frau Bezzenberger wiesen uns darauf hin, dass die Person, die wir gezeigt haben, nicht Aref ist.

Wie konnte das passieren?

Die BZ erreichen täglich Hunderte Fotos von Fotografen. Diese zu archivieren, erfordert eine hohes Maß an Konzentration und Arbeit. Dabei kam es zu einer Verwechslung, für die wir uns bei der gezeigten Person ausdrücklich entschuldigen wollen. Der auf der Titelseite gezeigte Mann hat nichts mit der aktuellen Anklage gegen Mohamad Aref und den Vorwürfen zu tun.

Gestern forderte uns Rechtsanwältin Bezzenberger im Namen ihres Mandanten auf, den Sachverhalt mit der Fotoverwechslung richtigzustellen. Dieser Bitte kommen wir natürlich nach.

Mit Dank an Joshi!

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (2)

Gestern wurde bekannt, dass die Fußballer des FC St. Pauli am kommenden Wochenende bei der “Bild”-Aktion “Wir helfen” nicht mitmachen werden. Damit war der Verein der erste der 36 Erst- und Zweitligisten, der beim “Bild”-Hermes-DFL-Theater nicht mitspielt. (Inzwischen hat sich der 1. FC Union Berlin den Hamburgern angeschlossen, genauso der SC Freiburg, der VfL Bochum, der MSV Duisburg, die SpVgg Greuther Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Braunschweig, der TSV 1860 München und Fortuna Düsseldorf teilweise und womöglich auch der 1. FC Nürnberg.)*

“Bild”-Chef Kai Diekmann polterte daraufhin bei Twitter los, behauptete, am Millerntor seien “#refugeesnotwelcome”, und rückte den Verein in die Nähe der AfD. Seine “Bild”-Kumpels fanden das gut, viele andere eher nicht. Im Blog des DJV schreibt Hendrik Zörner heute, Diekmanns Verhalten sei “eine ausgemachte Sauerei”, und fordert ihn auf, Flüchtlinge nicht zu instrumentalisieren. Und selbst der Kai-Diekmann-Fanklub “Meedia” spricht von “offenkundig ungerechtfertigten Vorwürfe[n]” in Richtung FC St. Pauli.

Wie falsch der “Bild”-Chef mit seinem Angriff liegt, zeigt ein Blick in seine eigene Zeitung. Die Hamburg-Ausgabe berichtete am vorletzten Mittwoch, nach St. Paulis Freundschaftsspiel gegen den BVB, das der Klub unter das Motto “Refugees welcome” gestellt hatte, so:

Und auch Bild.de erkannte, dass beim FC St. Pauli “REFUGEES WELCOME” sind:

Immerhin: In der heutigen Printausgabe gibt es nicht den großen publizistischen Gegenschlag der “Bild”. Zur Weigerung des FC St. Pauli findet man lediglich eine kleine Überschrift …

… und diese vier Sätze:

Schade nur, dass einer der 36 Klubs aus der Solidaritäts-Aktion ausschert.

Der FC St. Pauli macht nicht mit bei „Wir helfen“ und wird stattdessen mit den normalen Firmenzeichen des Logistik-Unternehmens spielen. Das teilte der Hamburger Zweitligist den Beteiligten mit. Man tue schon genug für Flüchtlinge.

Der letzte Satz lässt sich allerdings als eine ziemlich böse Interpretation dessen verstehen, was St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Andreas Rettig gestern zu Diekmanns Vorwürfen sagte:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. […] Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.

“Bild” macht daraus eine beleidigt klingende Absage, als wollte Rettig sagen: “Irgendwann ist auch mal gut hier mit der ganzen Hilfe für diese Flüchtlinge.”

Im Gegensatz zu dieser vermeintlichen Haltung steht für die “Bild”-Leute ihre “Wir helfen”-Aktion. Doch wohlgemerkt: Wofür sich das Blatt (und auch die Deutsche Fußball Liga) seit Tagen feiert, ist nicht etwa die komplette Umbenennung des Bundesligaspieltags oder der Verzicht aller Trikot-Hauptsponsoren zugunsten eines großen “Refugees welcome”-Schriftzugs auf der Brust der Mannschaften (wie zum Beispiel beim Zweitligisten MSV Duisburg), sondern ein ein paar Quadratzentimeter großer Badge, bei dem optisch diejenigen im Mittelpunkt stehen, die helfen, und die Flüchtlinge wortwörtlich zur Randerscheinung werden.

Schon möglich, dass am Wochenende einige Fußballfans vor dem Fernseher sitzen, den Aufnäher sehen und denken werden: “Boah, toll, was mein Verein und die ‘Bild’ und Hermes und die Bundesliga so für Flüchtlinge machen.” Spätestens dann ist Kai Diekmanns Werbeplan aufgegangen.

Mit Dank an Michael P.

*Nachtrag, 19:41 Uhr: Nicht nur der 1. FC Union Berlin schließt sich dem FC St. Pauli an, sondern mindestens zwei weitere Zweitligaklubs: der SC Freiburg und der VfL Bochum.

Die Freiburger schreiben:

Für uns ist klar, dass es vor allem das glaubwürdige Engagement vieler lokaler Initiativen ist, das Flüchtlingen jetzt in enger Absprache mit örtlichen Behörden und überregionalen Hilfswerken ganz konkret hilft. Wir haben uns entschieden, morgen ohne den veränderten Ärmel-Aufnäher „Wir helfen” gegen die Bielefelder Arminia auf den Platz zu gehen.

Und beim VfL Bochum heißt es von Seiten des Vorstands:

Die VfL-Vorstände Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht erklären hierzu: „Gegen Engagement ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Der VfL Bochum 1848 begrüßt sämtliche Hilfsmaßnahmen, die in Not geratene Menschen unterstützen. Wenn es also um die Sache gegangen wäre, wären wir kompromissbereit gewesen und hätten eine Aktion, die von der BILD mitgetragen wird, unterstützt. Allerdings hat uns die scharfe Reaktion seitens der BILD-Chefredaktion ob der Absage eines anderen Clubs an die Aktion dazu gebracht, sich mit diesem Verein solidarisch zu zeigen. Es darf unserer Ansicht nach nicht sein, dass jemand einem Verein die Solidarität mit Flüchtlingen abspricht, nur weil dieser nicht bereit ist, eine u.a. von der BILD initiierte Aktion zu unterstützen.

Ähnlich argumentiert auch ein fünfter Zweitligist, der 1. FC Nürnberg. Aus der Vereinsmitteilung wird unserer Meinung nach allerdings nicht zu 100 Prozent klar, ob die Mannschaft nun mit oder ohne “Wr helfen”-Aufnäher spielen wird:

Der 1. FC Nürnberg begrüßt die ligaweite Aktion für Flüchtlinge. Sie ist sinnvoll und unterstützenswert. Weil der 1. FC Nürnberg aber den Umgang mit den Vereinen, die an der freiwilligen Aktion nicht teilnehmen, für unangebracht hält, wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.

Damit haben schon mal die drei aktuell besten Vereine der 2. Bundesliga der “Bild”-Werbeaktion abgesagt. Was noch fehlt ist der erste Erstligist. Ein bisschen Zeit ist ja aber noch.

Nachtrag, 18. September, 11:15 Uhr: Der Zweitligist MSV Duisburg sagt mit Blick auf die eigenen geplanten Aktionen der “Bild” ebenfalls ab:

Wir Zebras möchten den Einsatz der Menschen in Duisburg, unserer Fans und des Vereins für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Angesichts der tief entbrannten und kontrovers geführten Diskussion um die Aktion “Wir helfen” befürchten wir einen Schatten über die von uns vorbereiteten Aktionen am Sonntag und in den kommenden Wochen. Das wollen wir vermeiden, deshalb verzichten wir auf das angebotene Aktions-Badge auf dem Trikotärmel.

Nachtrag, 17:26 Uhr: Im morgigen Zweitligaspiel zwischen dem TSV 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern wird kein “Bild” auf den Trikots zu sehen geben. 1860 wird zwar mit dem “Wir helfen”-Badge auf dem Ärmel auflaufen, aber das “Bild”-Logo mit einem weißen Herz überkleben. Kaiserslautern verzichtet komplett auf den Werbeaufnäher:

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen mussten die Verantwortlichen des FCK feststellen, dass es in dieser Sache inzwischen leider nicht mehr um das Thema Hilfe für Flüchtlinge geht, sondern nur noch um die Haltung der Vereine zu einzelnen Medien. Daher hat sich der 1. FC Kaiserslautern nun entschlossen, nicht wie ursprünglich geplant mit dem entsprechenden Badge, sondern mit dem klassischen Logo des Partners Hermes aufzulaufen. Der FCK reagiert damit auf die Tatsache, dass durch die öffentliche Diskussion die eigentliche Botschaft in den Hintergrund gerückt ist.

Nachtrag, 18:56 Uhr: Fortuna Düsseldorf macht es wie 1860 München und klebt das “Bild”-Logo ab:

Damit ist auch das Spiel zwischen dem VfL Bochum und der Fortuna frei von “Bild”-Werbung auf den Trikots der Mannschaften.

Nachtrag, 19. September, 00:11 Uhr: Die “Braunschweiger Zeitung” meldet, dass Eintracht Braunschweig ebenfalls nicht an der “Wir helfen”-Aktion teilnehmen wird, und zitiert Eintracht-Präsident Sebastian Ebel:

“Im Vordergrund stehen die Motive und was Vereine für Flüchtlinge tun. Das sollte bewertet werden”, sagte Eintracht-Präsident Sebastian Ebel.

Nachtrag, 20. September, 14:59 Uhr: Zweitligist Greuther Fürth ist beim Auswärtsspiel bei Union Berlin — etwas überraschend — ohne die “Wir helfen”-Werbung der “Bild” aufgelaufen. Eine Anküdigung des Vereins gab es im Vorfeld nicht.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein

Auf die Frage, wie man Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen kann, hat Kai Diekmann eine ziemlich klare Antwort: Man schließt sich der “Bild”-Kampagne “Wir helfen” an. Derjenige, der das nicht tut, kann im Diekmann’schen Umkehrschluss nur gegen Flüchtlinge sein:

Hintergrund ist der kommende Spieltag in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Normalerweise laufen die 36 Profiklubs mit einem Hermes-Werbeaufnäher auf dem Trikotärmel auf. Dieses Wochenende wird stattdessen das “Wir helfen”-Logo der “Bild” hundertfach zu sehen sein. Für diesen werbetechnischen Coup beweihräuchern sich Diekmann und seine Mitarbeiter fleißig selbst, Hermes-Chef Hanjo Schneider bekam heute als Lohn den Titel “Gewinner des Tages” in der “Bild”-Zeitung verliehen.

Nur der FC St. Pauli, als Zweitligist ebenfalls betroffen von der Hermes-“Bild”-Bundesliga-Kooperation, will bei dem ganzen Bohei laut Bild.de nicht mitmachen.

Auf dieser Verweigerung basiert nun offenbar Kai Diekmanns steile Twitterthese, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”. Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist.

Fans des FC St. Pauli standen schon mit “Refugees welcome”-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als “Bild” und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten. Und auch der Verein ist aktiv. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Das Freundschaftsspiel vor rund einer Woche gegen den BVB stand unter dem Motto “Refugees welcome”, der Verein lud dazu 1000 Flüchtlinge ins Millerntor ein; und vor der Zweitligapartie am Montag sammelte der Klub Hygieneartikel für Geflüchtete. Über das Engagement hat vor Kurzem erst die “New York Times” berichtet.

Für Kai Diekmann reicht das alles anscheinend nicht. Solidarität mit Flüchtlingen bedeutet für ihn, sich seinem Blatt zu beugen.

Mit Dank an all die Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:50 Uhr: Inzwischen hat sich auch der FC St. Pauli geäußert. Man wundere sich, “dass das vertrauliche Schreiben an die Bild-Zeitung von dieser genutzt wurde, die Absage des FC St. Pauli negativ in der Öffentlichkeit darzustellen.” Der kaufmännische Geschäftsleiter Andreas Rettig zu den Vorwürfen der “Bild”:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen. Hierüber haben wir vorab alle Beteiligten informiert. Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Club schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird.

In nur vier Stunden vom Obdachlosen zum Perser

Helge Schneider hat für seine Zivilcourage mal ordentlich Prügel kassiert. Das hat er vergangenen Woche in einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” (mit Bezahlschranke) erzählt:

Aber viele Künstler sind sehr verliebt in die Regel: Die Politik ist hilflos, wir müssen jetzt ran.

Wenn einem etwas direkt im Alltag begegnet, muss man schon ran. Das nennt man Zivilcourage, hab’ ich auch schon mal gemacht.

Was war passiert?

Das waren zwei Typen, die wollten einen Perser verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen. Der konnte wegrennen. Dann hab’ ich das abgekriegt.

Wurden Sie verletzt?

Es hielt sich im Rahmen. Ich hatte den Kiefer angebrochen. […]

Schneider, Schlägerei, angebrochener Kiefer — klar, dass das auch andere Medien aufgreifen. Zum Beispiel “Spiegel Online”

… oder stern.de

… oder welt.de:

Und auch “Focus Online”. Doch dort klingt die Geschichte schon in der Überschrift etwas anders:

Und Helge Schneider erzählt auf einmal eine ganz neue Version des Vorfalls:

“Das waren zwei Typen, die wollten einen Penner verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen”, erzählte der Komiker und Musiker der “Süddeutschen Zeitung” vom Samstag.

Bei morgenpost.de ist ebenfalls von einem “Penner” die Rede.

Der Protagonistenwechsel dürfte durch eine fehlerhafte dpa-Meldung entstanden sein. Die Nachrichtenagentur hatte am Samstagmittag den “Penner” ins Spiel gebracht und erst vier Stunden später eine Korrektur verschickt, mit dem Hinweis: “Berichtigung: Wort im zweiten Satz berichtigt”.

Das interessierte offenbar weder “Focus Online” noch morgenpost.de: Ihre falschen Artikel veröffentlichten beide Redaktionen erst, als die dpa-Korrektur schon Stunden raus war.

Dass ein Medium durchaus auf Agentur-Berichtigungen reagieren — und das auch noch der Leserschaft transparent präsentieren — kann, beweist diepresse.com:

Anmerkung der Redaktion: Quelle dieses Artikels ist die Nachrichtenagentur DPA. Diese hat in einer ersten Meldung von einem “Penner” geschrieben, später allerdings auf “Perser” korrigiert. Wir bedauern den Irrtum.

Mit Dank an Hansi!

Schnellschuss in der Schmuddelecke

Na, na, na, “1Live”! Einfach so am Sonntagvormittag im Radio über Sex reden und dann auch noch einen Pornodarsteller erzählen lassen, wie man den Orgasmus herauszögern kann?

Klar, dass die frommen “Bild”-Redakteure da einschreiten müssen:

Nun gut, das Durchschnittshöreralter “des WDR-Jugendsenders ‘1Live'” liegt bei 32 Jahren. Aber sonst: Ganz genau, “in die Schmuddelecke” gehört sowas. Dorthin, wo die ganzen standhaften Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de zu Fachleuten für “Masturbationsübungen”, “Orgasmus-Training” und “Schnellschießer” geworden sind.







Mit Dank an Daniel und @19Rhyno04.

Bild  

Was macht eigentlich das Hilfsprojekt für Medienopfer?

Hier befand sich zuvor ein Eintrag über die Seite fairpress.biz, die mal vom ehemaligen “Bild”-Chef Udo Röbel herausgegeben wurde (als Hilfsprojekt für Medienopfer) und heute für merkwürdige Spam-Inhalte benutzt wird. Wir hatten geschrieben, Röbel sei, wie auf der Seite behauptet, immer noch der Herausgeber, doch das stimmt nicht. Das hätten wir auch herausgefunden, wenn wir bei ihm nachgefragt hätten. Das haben wir aber nicht. Daher haben wir den Eintrag jetzt gelöscht und bitten Udo Röbel und unsere Leser um Entschuldigung.

In allen vier Ecken soll Unsinn drin stecken

Die Fußballer des SV Schwerborn spielen und trainieren auf einem merkwürdigen Platz, laut “Bild” und Bild.de befindet sich in dem Erfurter Ortsteil sogar:

Während die Torlinien mit 68,8 Metern gleich lang sind, unterscheiden sich die Seitenlinien des Spielfelds um ganze 13 Meter! Die eine Seite misst 99,3 Meter, die andere 112,3 Meter.

“Was ist denn hier schiefgelaufen?”, fragen die “Bild”-Medien und stellen fest: “Hier stimmt doch was nicht”. Das Verrückteste aber, das die beiden Autorinnen — die noch einmal selbst vor Ort per Geodreieck nachgemessen haben (im Ernst) — herausgefunden haben:

Erstaunlich: Obwohl die Seiten unterschiedlich lang sind, verstoßen sie nicht gegen die Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)! Die geben vor, dass das Spielfeld zwischen 90 und 120 Meter lang und 45 bis 90 Meter breit sein soll.

Leider haben die beiden Expertinnen da aber eine ganz grundsätzliche Regel des DFB (PDF) übersehen:

Das Spielfeld ist rechteckig und wird mit Linien gekennzeichnet.

Und rechteckig kann ein Fußballplatz nur dann sein, wenn die zwei Tor- und die zwei Seitenlinien jeweils gleich lang sind.

Mit Dank an Jannik R.

Wenn die Polizisten zweimal räumen

Heute morgen haben ungarische Polizisten den Budapester Ostbahnhof geräumt. Flüchtlinge, die zum großen Teil von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland fahren wollen, sitzen momentan in der ungarischen Hauptstadt fest.

Bild.de berichtete über die Polizeiaktion im und am Bahnhof — und kündigte das Ganze heute Vormittag so auf der Startseite an:

(Klicken für größere Version.)

Ungarische Polizisten, denen Kameraobjektive aus dem Hals wachsen, Beamte ohne Gesichter oder mit Doppelgänger. Ganz offensichtlich hat Bild.de an dem Foto der Agentur “Reuters” rumgedoktort.

Diese Bildmanipulation dürfte für die Flüchtlinge keine negativen Folgen haben; wenn überhaupt wird hier das Polizeiaufgebot dramatischer dargestellt, als es in diesem Moment tatsächlich war. Vor allem die ungarische Polizei hätte also wohl Grund zur Beschwerde. Aber mal unabhängig von Vor- oder Nachteilen: Mit einer möglichst objektiven Abbildung der wirklichen Situation am Budapester Ostbahnhof hat das Vorgehen von Bild.de nichts zu tun.

Mit viel Wohlwollen könnte man diese Bildfälschung auf das extreme Querformat schieben, das die Redaktion für ihre Vorschaufotos benötigt. Das erklärt aber lange nicht, warum das Bild.de-Team auch noch an anderer Stelle Pixel verschoben hat: Vergleicht man das Originalfoto von “Reuters” (in verlinkten Fall lediglich an der oberen und der unteren Kante leicht beschnitten) mit der Version von Bild.de, sieht man, dass die Lok im Original viel weiter links steht. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen, die oberhalb des Mannes im blauen T-Shirt stehen, der im nächsten Moment in die Hände zu klatschen scheint, wurde rausretuschiert.

Mit Dank an Christian!

Nachtrag, 2. September: Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt hat sich für den “Fehler” entschuldigt:

Auf unsere Nachfrage …

… hat er allerdings nicht mehr reagiert.

Polizei? Da könnte ja jeder bitten!

Seit knapp eineinhalb Wochen sucht die Polizei Niedersachsen nach einer Familie aus Drage. Mutter, Vater und Tochter waren spurlos verschwunden, die Polizei startete eine öffentliche Fahndung. Dafür hat sie Scans der drei Passfotos auf die eigene Internet- und auf eine Facebook-Fahndungsseite gestellt. Zahlreiche Medien haben die Fotos in der aktuellen Berichterstattung verwendet — macht ja auch Sinn bei einer öffentlichen Fahndung.

Inzwischen haben die Beamten die Leiche des Familienvaters gefunden. Die dazugehörige Pressemitteilung endet mit diesem Absatz:

Medienhinweis: Die Öffentlichkeitsfahndung nach dem 41-jährigen Marco S. ist somit beendet. Es wird darum gebeten, die Fotos aus der Berichterstattung zu nehmen.

Den Hinweis hat die zuständige Polizeiinspektion Harburg spätabends am vergangenen Freitag veröffentlicht.

Und so sieht die Berichterstattung von “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” seitdem aus:

Bild.de, 1. August:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
“Bild am Sonntag”, 2. August:

Bild.de, 2. August:

“Bild”, 3. August:

“Bild”, 4. August:

Nun kann es eine etwas aufwendigere Sache sein, schon publizierte Online-Artikel zu durchkämmen und einzelne Fotos per Hand rauszulöschen. Aber all die aufgeführten Berichte sind eben erst nach der Bitte der Polizei erschienen.

Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, sagte uns, dass eine Missachtung des Medienhinweises keine rechtlichen Schritte von Seiten der Polizei nach sich ziehe. Familienangehörige müssten sich dagegen wehren und das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Vaters durchsetzen.

Krüger und sein Team hätten das Foto direkt nach der Identifizierung der Leiche aus dem Internet genommen, online fänden sich nur noch die Bilder der Mutter und der Tochter, nach denen weiterhin gesucht wird. Bei den Medien könne man nur darauf hoffen, dass sie der Bitte nachkommen.

Allerdings haben wir das Gefühl, dass diese Hoffnung bei den Leuten von “Bild” vergebens ist.

Mit Dank an @macerarius.

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