Anfang Oktober fand in Kitzbühel zum dritten Mal das “Camp Beckenbauer” statt. Das “international besetzte Forum” beschäftigt sich laut Eigenbeschreibung “mit der Zukunft des Sports”. All die Sympathen versammeln sich beim “Camp Beckenbauer”: Sepp Blatter, Thomas Bach, Bernie Ecclestone. Gründer und Organisator ist Marcus Höfl, der mit seiner “MHM Group” unter anderem die Markenrechte an seiner Ehefrau Maria Höfl-Riesch und Franz Beckenbauer hält.
“taz”-Redakteur Jürn Kruse schrieb neulich, Höfls Veranstaltung sei der “aufgeblasenste Lobby- und Werbetreff des Sportjahres”. Auf jeden Fall kommt hier die Familie zusammen. Und da dürfen Familienfotos nicht fehlen:
Von links nach rechts: “Bild”-Chef Kai Diekmann, Ex-Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch und Ex-Landtagsabgeordneter Daniel Mack. Genau, der Daniel Mack, der sich vor rund einem Jahr noch über die Methoden von Diekmanns “Bild” aufregte und juristisch gegen das Blatt vorging. Diekmann verglich Mack in der Folge mit Sebastian Edathy. Nun ja, ist doch schön, wenn Menschen zusammenfinden.
Und auch Maria Höfl-Riesch und Kai Diekmann haben zusammengefunden. Drei Wochen nach dem Familienfoto erschien diese großflächige Kooperation im redaktionellen Teil der “Bild”-Zeitung:
Das ist seit vorgestern die “NEUE SERIE” in “Bild” und bei Bild.de:
Ex-Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch (30) hat gemeinsam mit einem Ernährungsexperten ein Sportprogramm zusammengestellt, das aus jedem Sportmuffel einen Fitnessjunkie machen kann. UND DAS OHNE GROSSEN AUFWAND ODER DEN TÄGLICHEN GANG INS FITNESSSTUDIO.
In einer neuen Serie stellt BILD zusammen mit der dreifachen Olympiasiegerin das Programm “Maria macht Dich fit” vor.
Maria Höfl-Riesch beantwortet ein paar Fragen rund ums Thema Fitness (“SOLLTE ICH JEDEN TAG TRAINIEREN?”, “GIBT ES DIE PERFEKTE TAGESZEIT FÜR SPORT?”). Aber Antworten auf diese Fragen allein machen einen “Sportmuffel” natürlich noch nicht zum “Fitnessjunkie”:
So funktioniert das Programm
Rufen Sie die Internetseite […] auf, melden Sie sich an. Sie können Größe, Gewicht und Stimmung angeben. Dazu ein Ganzkörperfoto hochladen. Pro Woche gibt es zwei neue Fitnessvideos und ein Kochvideo. Dazu ein Kochbuch mit insgesamt 60 Rezepten und einen Trainingsplan zum Runterladen. Das Programm ist auf acht Wochen ausgelegt und kostet einmalig 79 Euro. Insgesamt können Sie 16 Wochen darauf zugreifen.
Gestern ging’s weiter mit der als Leserservice verpackten Werbekampagne:
Höfl-Riesch: „Sie fühlen sich insgesamt fitter. (…)”
Der Beitrag endet mit einem “Trainingsplan für die erste Woche”. Der besteht aus zwei 30-Minuten-Einheiten. Will man, dass auch in Woche zwei noch “die Pfunde purzeln”, muss man die Homepage von Maria Höfl-Riesch ansteuern und erstmal das Portemonnaie um 79 Euro schlanker werden lassen.
Wenn deutsche Medien ein knackiges Zitat zur Polizeiarbeit, zu Sicherheits- oder Rechtsfragen brauchen, gibt es eine Universalwunderwaffe: Rainer Wendt. Wendt ist Bundesvorsitzender der “Deutschen Polizeigewerkschaft”. Und in dieser Position immer für ein Interview zu haben — Thema im Grunde egal.
Heftiger Einsatz von Schlagstöcken und Wasserwerfern bei “Stuttgart21”? Wendt: “Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie.”
Krawalle in Fußballstadien? Wendt: “Die Stehplätze gehören abgeschafft, die Zäune erhöht, und bei jeder Ausschreitung sollten für den Verein 100.000 Euro fällig werden.” Und: “Wem strenge Leibesvisitationen nicht passen, der soll vor dem Stadion bleiben müssen.”
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, die Polizei solle Kontrollen nicht nach Hautfarbe durchführen? Wendt: “Man sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus.”
Law-and-Order-Verfechter Wendt lärmt zu jedem Thema. Friederike Haupt schrieb schon 2013 in der “FAS”:
Wenn Wendt braungebrannt aus dem Marokko-Urlaub zurück in sein Büro kommt, schmeißt er gleich am ersten Tag die Werbemaschine wieder an. Alle sollen wissen: Der Wendt ist zurück. Darum ruft er zum Beispiel einen Journalisten an und sagt: “Soll’n wir mal ‘ne schöne Geschichte machen?” Wendt fordert dann höhere Strafen für die Bösen oder mehr Personal für die Guten, und der Journalist hat eine Exklusiv-Story: “Und hinterher sind alle zufrieden.”
Rainer Wendts aktuelles Themenfeld: Die Flüchtlinge und alles, was dazu gehört. Da hat er schon ganz beachtlich Schlagzeilen gesammelt:
(Bild.de; interessant auch, wie Wendt in einigen Medien zum Synonym für die Polizeit wird.)
Und das ist tatsächlich eine der Kernaussagen Wendts: Die Flüchtlingskrise sorge für mehr Gefahren im Straßenverkehr, bis hin zu mehr Verkehrstoten:
Die Welt: Bleiben auch hoheitliche Aufgaben der Polizei wegen der Flüchtlingskrise schlicht liegen?
Wendt: Eine der Aufgaben, die wir derzeit vernachlässigen müssen, ist die Verkehrsüberwachung. Sie ist teilweise völlig zum Erliegen gekommen. Wir mussten wegen der Einsatzbelastung im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise den Blitzmarathon in diesem Jahr ausfallen lassen, die Planungen für den Blitzmarathon im nächsten Jahr liegen auf Eis. Da fehlt uns ein ganz wichtiges Instrument zur Unfallprävention. In allen Bundesländern wird die Verkehrsüberwachung drastisch zurückgefahren — mit fatalen Folgen. Wir stellen bereits jetzt fest, dass wir das deutsche Ziel, bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken, klar verfehlen. Wir sind jetzt erst bei 16 Prozent. Die Zahl der Unfalltoten steigt sogar wieder.
Logisch: Wenn man weiß, dass ein Großteil der Polizisten mit “der Flüchtlingskrise” beschäftigt ist, knattert man direkt mit 90 km/h durch die Tempo-30-Zone. Und dann fällt auch noch der Blitzmarathon aus — Raser’s Paradise.
Wendts Gleichung fanden andere Medien logisch und zogen nach:
Walter Bau von der “Berliner Morgenpost” fand die These hingegen merkwürdig. Er kommentiert:
Was Polizeigewerkschafter Wendt nicht sagt: Im ersten Halbjahr 2015 hielt sich der Zustrom an Flüchtlingen noch in Grenzen, verglichen mit den Zahlen seit Juli. Die brisante Lage an den Grenzen, die die Polizei vor allem beschäftigt, entstand erst im Sommer. Und zu glauben, die Autofahrer würden gezielt schneller und riskanter fahren, weil sie darauf spekulierten, es gebe gerade weniger Radarfallen, ist realitätsfern. Wendt schürt Ängste zur eigenen Profilierung.
Nach einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Verkehrstoten im August im Vergleich zum selben Monat des Vorjahres tatsächlich angestiegen (um 18,4 Prozent von 293 auf 335). Allerdings haben die Statistiker dafür eine andere Erklärung als Wendt: “Im vergangenen Jahr war das Wetter im August extrem schlecht. Dann sind die ungeschützten Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Zweiradfahrer eher weniger unterwegs”, erläutert Gerhard Kraski vom Statistischen Bundesamt gegenüber t-online.de. Deswegen, so Kraski, sei es wahrscheinlich zu dem Anstieg in diesem Jahr gekommen.
Trotzdem: Die Medien werden Rainer Wendt weiter fleißig zitieren und in Talkshows einladen. Heute Abend sitzt er im “Ersten” bei “Hart aber fair”. Thema: Flüchtlingskrise. Er wird sich ganz bestimmt knackige Sprüche zurechgelegt haben.
Die Enthüllungen des “Spiegel” rund um die Vergabe der Fußball-WM 2006 sind längst auch ein Medienthema. Es entstehen Grabenkämpfe zwischen Redaktionen, gegenseitige Schuld- und Schlampigkeitszuweisungen.
Dazu schreibt Holger Gertz in einer tollen “Seite Drei” (kostenpflichtig) der “Süddeutschen Zeitung”:
Es geht darum, wer die Deutungshoheit hat über das Phänomen Fußball: diejenigen, die den Fußball lieben und ihn romantisch verklären und rein halten wollen. Oder diejenigen, die den Fußball lieben und ihn ernst nehmen und gerade deshalb den Helden nichts durchgehen lassen wollen. Jedenfalls dann nicht, wenn die Helden in ihrem späteren Leben Teil jener Bonzenkaste werden, die den Fußball inzwischen beherrscht und aussaugt und lenkt.
Gruppe eins steht Alfred Draxler vor. Der Chefredakteur der “Sport Bild” und Kolumnist der “Bild”-Zeitung legt sich mächtig ins Zeug für “unser Sommermärchen” und seine alten Kumpels Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach. Der “Spiegel”-Artikel sei “unprofessionel, unsachlich”, “einfach unmöglich”, sagte er in der “Sport1”-Fußballtalkrunde “Doppelpass”. An den Vorwürfen sei nichts dran, schließlich habe ihm Franz Beckenbauer gesagt, dass da nichts dran sei.
In der aktuellen Ausgabe der “Sport Bild” zünden Draxler und seine Redaktion die nächste Nebelkerze zugunsten des DFB:
“Dieser Brief” stammt von Charles Dempsey, der im Juli 2000 als Mitgleid des FIFA-Exekutivkomitees über die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 abstimmen durfte. Dempsey enthielt sich im letzten Wahlgang, dadurch siegte die deutsche Bewerbung mit 12:11 Stimmen.
Nicht zuletzt durch eine später bekannt gewordene Aktion der “Titanic” hieß es immer wieder, Dempseys (nicht abgegebene) Stimme sei gekauft gewesen. Die “Sport Bild” hat nun einen Brief herausgekramt, aus dem hervorgeht, dass der Neuseeländer dem DFB einst zusicherte, “für Deutschland zu stimmen”. Das lässt Draxler und sein Team titeln:
Bloß: Das hat rein gar nichts mit den aktuellen Anschuldigungen des “Spiegel” zu tun. Das Magazin sprach von Anfang an vom Kauf der Stimmen der vier asiatischen Delegierten, Charles Dempsey saß als Vertreter Ozeaniens im Exekutivkomitee. Auch diese Desinformation gehört zu Alfred Draxlers derzeitiger Taktik.
Holger Gertz schreibt in der “Süddeutschen” über ihn:
Draxler ist imstande, den Ausdruck Indizienkette so angewidert auszusprechen, als wäre eine Indizienkette die Vorstufe einer Gürtelrose. Er ist spürbar ein Herr fürs Gröbste unter lauter Männern fürs Grobe. Bei Jauch hat er mal erzählt, dass man in seiner Redaktion zum Beispiel nicht über einen großen deutschen Nationalspieler mit Alzheimer berichten würde. Das war ein einigermaßen vergiftetes Beispiel für Diskretion, weil er ein Thema in den Raum gestellt hatte, von dem die Masse draußen am Fernseher gar nichts gewusst hätte.
Jeder, der Mitglied der Clique ist, profitiert davon, und jeder, der das System hinterfragt, gilt als Feind und wird abgestoßen. In anderen Welten, beispielsweise in der Politik, wäre Joseph Blatter unwählbar und Wolfgang Niersbach nicht gut genug, und Herren wie Alfred Draxler, Chefredakteur von “Sport Bild” und zugleich Franz Beckenbauers Förderer und Schützling, oder auch Helmut Markwort, “Focus”-Herausgeber und bis ins hohe Alter Verwaltungsbeirat des FC Bayern, würden dort als Fans und Handlanger der Regierenden entlarvt werden.
Wie weitreichend Draxler als “Handlanger der Regierenden” eingesprungen ist, zeigt eine Passage im “Spiegel Online”-Interview mit Hans-Jörg Metz, dem Anwalt von Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger. (Wobei man natürlich beachten muss, dass Theo Zwanziger in diesem Zusammenhang gewichtige Interessen hat.)
SPIEGEL: Ihrem Mandanten wird jetzt vorgeworfen, er wolle sich an einem Intimfeind rächen, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Metz: Um Rache geht es doch überhaupt nicht. Ich kenne Theo Zwanziger seit vielen Jahren und arbeite gut mit ihm zusammen; Rache, das passt nicht in seine Vorstellungswelt. Die Meinungsverschiedenheiten, die er mit Niersbach hatte, hat er immer offen ausgetragen und sich damit der Diskussion gestellt. Er hat allen Beteiligten bis zuletzt immer wieder Gesprächsangebote gemacht. Herrn Niersbach sogar über den Chef der Sport-Bild, Alfred Draxler, der bekanntermaßen mit Herrn Niersbach und Herrn Beckenbauer vertraut ist.
SPIEGEL: Über Herrn Draxler?
Metz: Ja. Herr Draxler fühlte sich am 19. Februar 2015 veranlasst, Herrn Zwanziger per SMS seine “private” Meinung zur Auseinandersetzung mit Herrn Niersbach in drastischen Worten mitzuteilen. Herr Zwanziger hatte dann in seiner Antwort angeboten, die Sache mit beiden in einem gemeinsamen Gespräch zu erörtern. Eine Antwort hierauf hat er nie erhalten.
Draxler reagierte bei Twitter auf Metz’ Aussagen:
Keine Frage: Alfred Draxler kann an wen auch immer so viele SMS schreiben, wie er mag. Die Posse zeigt aber, dass er ganz und gar nicht zum neutralen Aufklärer rund um die WM-Vergabe taugt. Auch wenn er das selbst, einem knapp ein Jahr alten Interview mit “Meedia” zufolge, etwas anders sehen dürfte:
Sie selbst sind jemand, der sich dazu bekennt, engen Kontakt zu einigen Akteuren und Protagonisten zu pflegen. Wann hat Sie zu viel Nähe oder gar Freundschaft mal in Ihrer journalistischen Arbeit behindert?
Eigentlich gar nicht. Und das Wort Freundschaft ist reichlich hoch gegriffen.
Nach seiner “Nachgehakt”-“Enthüllung”, dass das Sommermärchen “nicht gekauft” gewesen sei, hat sich Draxler in den letzten Tagen etwas zurückgehalten. Gestern aber, als er dachte, er könne einen Punkt machen, twitterte es aus ihm heraus:
Nun meldete sich Joseph Blatter zu Wort: “Ich habe niemals Geld von Beckenbauer verlangt. Nie im Leben. Auch nicht vom DFB. Das stimmt einfach nicht”, sagte der derzeit suspendierte Chef des Fußball-Weltverbandes der Zeitung “Schweiz am Sonntag”. Blatters Verteidigung verwundert etwas, da weder Niersbach noch Beckenbauer jemals öffentlich behauptet hatten, Blatter selbst habe die Millionenforderung gestellt.
Doch solche Details lässt Alfred Draxler auf seinem Verteidigungsfeldzug einfach unter den Tisch fallen. Die Welt soll glauben, dass die WM nicht gekauft war. Punkt. Er nutzt seine publizistische Macht, um die Leser von dieser Version zu überzeugen, und vermutlich merkt er nicht einmal, was für eine peinliche Figur er dabei macht.
Schon bevor DFB-Präsident Wolfgang Niersbach heute am frühen Nachmittag bei einer Pressekonferenz erklärte, es habe rund um die Fußball-WM 2006 keine schwarzen Kassen und keinen Stimmenkauf gegeben, stand für Bild.de fest:
“Nachgehakt” hatte Alfred Draxler, “Bild”-Kolumnist und Chefredakteur der “Sport Bild”. Und er teilte — wie später auch Niersbach — mit, dass es rund um die Fußball-WM 2006 keine schwarzen Kassen und keinen Stimmenkauf gegeben habe.
Sowieso wirkte alles perfekt konzertiert: Um 12:32 Uhr veröffentlicht Bild.de Draxlers Artikel. Eine knappe halbe Stunde später setzt sich Wolfgang Niersbach auf seinen Platz bei der PK in Frankfurt. Er erzählt eine Geschichte, die so klingt, als hätte er sich Draxlers Text noch schnell ausgedruckt, dreimal durchgelesen und würde sie nun in eigenen Worten wiedergeben.
In Kurzform geht Draxlers (und Niersbachs) Begründung für die vom “Spiegel” aufgedeckte 6,7-Millionen-Euro-Überweisung des DFB an die FIFA so: Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus sei 2002 für das deutsche WM-Organisationskomitee mit umgerechnet 6,7 Millionen Euro eingesprungen. Diese seien als eine Vorauszahlung an die FIFA nötig gewesen, um später “Organisationsunterstützung in Höhe von 250 Millionen Franken” zu bekommen. Das OK habe damals nicht zahlen können, daher die nötige Hilfe durch Louis-Dreyfus. Der habe sein Geld 2004 wiederhaben wollen, woraufhin das OK die Summe 2005 an die FIFA geschickt, und diese die 6,7 Millionen Euro dann an Louis-Dreyfus weitergeleitet habe.
Um so etwas herauszufinden, reicht natürlich keine normale Recherche. Draxler:
Darum habe ich in den vergangenen Tagen eine Intensiv-Recherche angestellt
Dabei sei ihm zugutegekommen …
dass ich handelnde Personen wie Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach, Günter Netzer, Fedor Radmann seit Jahren gut kenne, teilweise sogar sehr gut kenne. Sie haben lange und intensiv mit mir gesprochen.
Das ist für Draxler also eine “Intensiv-Recherche”: “lange und intensiv” mit guten und sehr guten Freunden sprechen; und dann aufschreiben, was die einem erzählt haben. Zum Beispiel dass an den Vorwürfen gegen sie nichts dran ist.
Dass die persönliche Nähe zu seinen Berichterstattungsobjekten als problematisch eingestuft werden könnte, scheint Draxler klar zu sein. Über ein Treffen mit Franz Beckenbauer schreibt er beispielsweise:
Bei der WM 2006, um die es hier geht, bin ich mit Beckenbauer im Hubschrauber zu einem Spiel geflogen. Ich sage dies, weil es teilweise bekannt ist, weil es Fotos gibt
Heißt im Umkehrschluss: Gäbe es diese Fotos nicht, und wäre der Hubschrauberflug nicht bekannt, würde Draxler ihn nicht erwähnen? Jedenfalls bleibt er dabei: “‘Vetternwirtschaft’ oder Beeinflussung” habe er “bei dieser Recherche trotzdem komplett ausgeschlossen”.
Mit dieser Unvoreingenommenheit sei er zu einem klaren Ergebnis gekommen:
Die alles entscheidende Frage aber ist, ob das Sommermärchen 2006 gekauft war. Nach meinen Recherchen war es das nicht! Und es gab auch keine “schwarzen Kassen”.
Danach kommt: nichts. Kein Beleg, kein Beweis. Alfred Draxler postuliert. Er beruft sich einzig auf Aussagen der Beschuldigten und Involvierten. Das ist das Draxler-Prinzip: Wenn Beckenbauer und Niersbach ihm sagen, die Anschuldigungen, die sich gegen sie richten, “seien a Kaas”, dann ist an ihnen auch nichts dran. Alfred Draxler, den an der “Spiegel”-Geschichte vor allem stört, dass dort einfach so Behauptungen aufgestellt würden, stellt einfach so Behauptungen auf.
“Bild”-Chef und “Sport Bild”-Herausgeber Kai Diekmann: begeistert.
Und selbst “Die Zeit” auch “Bild am Sonntag”-Chefin Marion Horn, die den Twitter-Account der “Zeit” für eine Woche übernommen hat, springt Draxler zur Seite:
Der Zuspruch der “Bild”-Chef-Kollegen könnte Alfred Draxler vielleicht etwas beruhigen. Denn er weiß, wie heikel die ganze Geschichte ist:
ICH BIN MIR BEWUSST, DASS ICH MIT DIESEM ARTIKEL MEINE REPUTATION ALS JOURNALIST UND REPORTER AUFS SPIEL SETZE.
Doch, doch, das hat er tatsächlich so geschrieben.
Die Medien diskutieren momentan, wie Akif Pirinçci seine grässliche KZ-Aussage (“Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.”) am Montagabend bei der “Pegida”-Kundgebung genau meinte. Dass seine Rede in Dresden furchtbar war, darauf können sie sich hingegen einigen. Auch “Bild” und Bild.de:
Das sei eine “Hetzrede des irren Autors” gewesen. Sowieso falle Pirinçci schon seit 2012 “durch rechte Äußerungen in Blogs auf.” Und seine Bücher erst:
Im März 2014 hetzt er in seinem Buch “Deutschland von Sinnen” gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer (“Manuscriptum”-Verlag).
Nanu? Damals, “im März 2014”, fanden die “Bild”-Medien Pirinçcis “Deutschland von Sinnen” eigentlich noch ganz spannend:
Von Hetze ist im Currywurstbudenbericht von “Bild am Sonntag”-Reporterin Anja Hardenberg keine Rede. Das Buch sei “schonungslos”, von einem geschrieben, “der politisch völlig unkorrekt ist.”
Pirinçci — laut Teaser möglicherweise ein Genie — liebe den “kalkulierte[n] Tabubruch”:
Wer ist dieser Pirinçci, der mal eben die politische Korrektheit schreddert?
Antwort:
Pirinçci, in dessen Krimis das Blut in Strömen fließt, ist eigentlich ein sympathisches Weichei.
Und:
Der Mann, der sich so wortmächtig über deutsches Schubladendenken und kulturelle Arroganz ereifert, ist ein verkappter Romantiker.
Während Akif Pirinçci aus heutiger “Bild”-Sicht in “Deutschland von Sinnen” “gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer” “hetzt”, hieß es vor eineinhalb Jahren über das “Pöbel-Buch” noch:
Darin ledert er gegen Frauenquote, Homosexuelle, Öko-Fundamentalisten und anmaßende Zuwanderer.
“BamS” und Bild.de fanden das Abledern damals anscheinend so interessant, dass sie nicht nur werbewirksam Preis und Verlag des Buches nannten, sondern ihren Lesern auch noch eine Leseprobe spendierten:
Kurz darauf durfte Akif Pirinçci in “Bild am Sonntag” und auf Bild.de sogar als Gastautor über einen Deutschlandauftritt des türkischen Präsidenten Erdoğan schreiben:
Die jungen Leute gucken ja alle heutzutage Serien, und deswegen muss auch Bild.de über Serien berichten. Die neueste “NETFLIX-ERFOLGSSERIE” ist “Narcos”, in der es um den kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar geht. Also schreibt auch Bild.de über “Narcos”. Und hat sich dafür einen besonderen Dreh überlegt:
Da gäbe es(Update: Bild.de hat den Artkel inzwischen entfernt*) zum Beispiel “Escobars Sohn”, “Escobars Geliebte” — oder “Escobars Geschäftspartner”, Carlos Lehder Rivas:
Carlos Lehder Rivas (66) ist Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, war Mitbegründer des Medellín-Kartells und Gefährte von Pablo Escobar.
Carlos Lehder, Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, Mitbegründer des Medellín-Kartells, Gefährte des Kokainbarons Pablo Escobar
Die Bild.de-Autorin hat aber noch mehr über Lehder zu berichten:
Lehder gewann Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehungen zwischen den beiden stets von Misstrauen, sogar Antipathie geprägt war, stieg der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.
Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:
Lehder gewinnt Pablo Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehung zwischen den beiden stets von Misstrauen, ja sogar Antipathie geprägt ist, steigt der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.
Bild.de:
Während Escobar vom Koks die Finger ließ, bekam Lehder vom weißen Pulver die Nase nicht voll genug. Das machte ihn unberechenbar und gewalttätig.
“Tagesanzeiger”:
Während Escobar vom Koksen die Finger lässt und höchstens einmal einen Joint raucht, kann Lehder von dem weissen Pulver die Nase nicht voll genug kriegen. Das macht ihn unberechenbar und gewalttätig.
Bild.de:
Am 4. Februar 1987 um 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens, wurde er von der Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) festgenommen.
“Tagesanzeiger”:
Es ist der 4. Februar 1987, 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens. Eine Sondereinheit kolumbianischer Elitepolizisten und mehrere Agenten der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) umstellen ein Landgut.
Bild.de:
Die Geschichte von Carlos Lehder wurde im Film „Blow“ (2001) erzählt, mit Johnny Depp (52) in der Hauptrolle.
“Tagesanzeiger”:
Die Geschichte der Freundschaft zwischen Jung und Lehder wird im Film «Blow» aus dem Jahre 2001 erzählt, mit Johnny Depp in der Hauptrolle.
Auch beim Rest der Lehder-Passage hat sich Bild.de offensichtlich beim “Tagesanzeiger” bedient — natürlich ohne ihn zu nennen. Was wohl Bild.de-Chef Julian Reichelt zu dieser Praxis sagen würde?
Mit Dank an Jonas G.
*Nachtrag, 16. Oktober, 12:01 Uhr: Bild.de-Chef Julian Reichelt hat reagiert, den Artikel offline genommen und sich bei “Tagesanzeiger”-Autor Sandro Benini entschuldigt.
Nun will Facebook also Emojis einführen. Statt ein Foto, ein Posting, einen Link nur zu liken, können ausgewählte Nutzer jetzt testweise ihre Zustimmung oder Ablehnung oder Überraschung durch kleine Symbole kundtun: ein Herz zum Beispiel oder ein Gesicht mit einer Träne.
Aber gibt’s das nicht schon längst woanders?
Sicher nicht ohne Stolz retweetet Kai Diekmann — nicht nur “Bild”-Chef, sondern auch Herausgeber von Bild.de –, dass Facebook bei ihm und seinem Team abkupfere.
Man könnte einwenden, dass Facebook ein entsprechendes Patent bereits im März 2013 angemeldet hat, also lange bevor Bild.de mit dem sogenannten Moodtagging loslegte. Und auch, dass in der Medienbranche beispielsweise “Buzzfeed” viel früher eine solche Funktion eingeführt hat.
Aber: Bild.de war mit dabei. Wenn es zum Beispiel ein Feuer im Flüchtlingscamp gab, und die Redaktion darüber berichtet hat, konnten die Leser mit einem Klick ihr Entsetzen ihre Freude darüber äußern:
Diese Reaktion über ein Unglück war keine Ausnahme. Ein Schwertfisch spießt einen Seemann auf? Lachen! Ein toter Porsche-Fahrer? Lachen! Gleichstellung für Homo-Ehe? Wut!
Dabei war es durchaus möglich, das Tool bei einzelnen Texten auszuschalten — zum Beispiel bei Kommentaren der “Bild”-Chefs. Wissen wir bis heute nicht, warum es nicht auch bei solchen Artikeln gemacht wurde:
Seit ein paar Wochen ist das Moodtagging bei Bild.de nicht mehr zu finden, die Redaktion hat die Funktion abgestellt.
Der “Fan Run” sollte der nächste Höhepunkt der selbstlosen“Wir helfen”–Werbekampagne der “Bild”-Zeitung werden. Die Idee: Gemeinsam mit dem FC Bayern München einen Fünf-Kilometer-Lauf initiieren (als besonderes Leckerli dürfen die Teilnehmer im Innenraum des Bayern-Stadions eine Runde drehen), die Startgebühr von knapp 30 Euro pro Person soll — nach Abzug der Steuern — an die “Bild”-Stiftung “Ein Herz für Kinder” gehen. Und, schwups, wieder einmal den Feuerlöscher gemimt.
Seit Bekanntwerden der Pläne haben die “Bild”-Medien eifrig für den “Fan Run” getrommelt:
Klar, es gab auch Gegenwind. Gleich zu Beginn hatten Bayern-Fans in ihrem Blog “Miasanrot” moniert, dass nicht genau klar sei, wofür die Teilnahmegebühren verwendet werden, die Organisationsstruktur undurchsichtig sei und Daten der Läufer an den Axel-Springer-Verlag weitergeben würden. Einige der Punkte haben die Veranstalter ausgemerzt. Doch bis zuletzt gab es Kritik.
Alles kein Problem für die “Bild”-Profis, die direkt den Werbekonter einleiteten: Der frühere Fanliebling Hasan Salihamidzic forderte bei Bild.de:
Auf den ersten Blick — und auch auf den zweiten — ist bei dieser Bild.de-Überschrift nicht so ganz klar, um wen es hier eigentlich geht: Um den vor zwei Tagen verstorbenen Hellmuth Karasek? Oder um “Bild”?
In der Gratis-“Bild”, die heute in allen Briefkästen des Landes stecken soll und die vermutlich schon im Druck war, als der Tod Karaseks bekannt wurde, klingt die Überschrift noch etwas weniger “Bild”-zentristisch:
Durch den Tod des Literaturkritikers wird eine Liste mit 25 Lesetipps, keiner davon länger als drei Sätze, für Bild.de und “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann (der es nicht hinbekommt, Karaseks Vornamen richtig zu twittern) also zum “Vermächtnis” Karaseks, der auch über 20 Bücher und für “Zeit” und “Spiegel” geschrieben hat und Teil des “Literarischen Quartetts” war und, und, und.
Nun gibt es aber noch ein Problem bei Karaseks Vermächtnis Liste: Sie hat ein paar Fehler. Zum Beispiel direkt bei Tipp Nummer eins, Günter Grass’ “Blechtrommel”:
Buchstäblich mit einem Paukenschlag meldete sich in diesem Schelmenroman der kleine Oskar Matzerath in die Literatur. Er weigerte sich zu wachsen und beobachtete mit dem Blick eines bösen Zwerges die schreckliche Erwachsenenwelt nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ebenso erfolgreich wie das Buch war die Verfilmung von Volker Schlöndorff, die mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.
Mit dem “Ausbruch des Ersten Weltkriegs” hat die Blechtrommel zeitlich nichts zu tun. Protagonist Oskar Matzerath wird erst 1924 geboren, also sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs.
Und auch bei Tipp Nummer drei, Theodor Fontanes “Effi Briest”, passt der zeitliche Rahmen nicht so recht:
“Effi Briest” ist neben Tolstois “Anna Karenina” und Gustave Flauberts “Madame Bovary” der berühmteste Ehebrecherroman des 20. Jahrhunderts. Er beschreibt, an welchen Grenzen damals bürgerliche Frauen zerbrachen.
Schade eigentlich, dass Hellmuth Karaseks letzter Text an diesen Details und dem offenbar nicht vorhandenen Gegenlesen der “Bild”-Redaktion krankt. Aber immerhin: Es ist ja nicht sein Vermächtnis.
Und auch bei Tipp Nummer 23 stimmt was nicht, diesmal sogar recht grundsätzlich:
Der große Roman der Wirtschaftskrise der kleinen Leute in Berlin zur Zeit des Börsenkrachs. Fallada beschreibt ein mutiges Paar, das trotz seiner “Stehaufmännchen”-Qualitäten unter die Räder zu kommen droht.
Als Michael Schumacher Anfang 2014 nach seinem Skiunfall im Krankenhaus in Grenoble lag, wurde seine Familie vor der Kliniktür tagtäglich von einer Fotografenmeute erwartet. Onlineportale, Zeitungen, Magazine und TV-Sender zeigten reihenweise Bilder der ankommenden Schumachers, allen voran von Ehefrau Corinna, und schrieben Dinge wie: Ihr Gesicht sei “eine Landschaft des Kummers”.
Am vergangenen Freitag entschied das Landgericht Hamburg, dass die Hatnäckigkeit, mit der einige Zeitschriften über Wochen diese Fotos druckten, nicht in Ordnung war. Die “Funke Women Group” muss daher eine Geldentschädigung in Höhe von 60.000 Euro an Corinna Schumacher zahlen.
Der Anspruch auf diese Entschädigung ergibt sich laut Schumachers Anwalt Felix Damm nicht aus den einzelnen Aufnahmen, sondern aus der Reihe von Berichten. Würde man die Fotos als Einzelfälle betrachten, läge nicht zwingend eine schwerwiegende Rechtsverletzung vor, erklärt er die Auffassung des Gerichts. In der Verhandlung ging es um zehn verschiedene Fotos, die “Frau aktuell”, “Frau im Spiegel” und “Die Aktuelle” veröffentlichten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die “Funke Women Group” in Berufung geht.
Im vergangenen Jahr hatte das Landgericht München bereits drei Klatschblättern aus dem Burda-Verlag das Zeigen der Fotos untersagt. Kurze Zeit später stand auch “Die Aktuelle” wegen der Bilder vor Gericht. Das Landgericht Köln verbot die Veröffentlichung und teilte mit:
Die Klägerin hat Anspruch darauf, bei einem privaten Krankenbesuch nicht Nachstellungen von Journalisten ausgesetzt zu sein.