Am vergangenen Samstag starb bei einem Stierkampf in Spanien ein Torero. In der Arena von Teruel stach ein Stier dem 29-jährigen Matador Victor Barrio mit einem Horn in die Brust. Manche Portale berichten, dass dabei Barrios Herz verletzt worden sei, andere schreiben, Lunge und Halsschlagader seien getroffen worden. Jedenfalls starb Victor Barrio an den Folgen seiner Verletzung noch vor Ort — alles gut dokumentiert, da der Stierkampf live von einem spanischen TV-Sender übertragen wurde.
Der letzte Todesfall eines Stierkämpfers in einer Arena liegt bereits 31 Jahre zurück. Und so erhoben manche Nachrichtenseiten den Unfall vom Samstag direkt zum Jahrhundertereignis:
(Schade, liebe Jahrhundertjournalisten, leider habt ihr die große Chance vertan, aus Victor Barrios Tod gleich ein Jahrtausendereignis zu machen.)
Als wäre das — in Kombination mit mehr oder weniger detaillierten Beschreibungen des Vorfalls und Fotos vom verletzten, leblosen Victor Barrio — nicht schon Sensation genug, wollten manche Redaktionen ihrer Leserschaft nicht die Möglichkeit nehmen, einem Menschen beim Sterben zugucken zu können.
“N24” zeigt beispielsweise in einem Video in Zeitlupe, wie der Stier Barrio aufspießt. Genauso die “BZ”. Die “Huffington Post” bindet Aufnahmen von Victor Barrios Tod gleich in zwei Artikeln ein und will nicht darauf verzichten, in einem der Texte noch einmal extra auf das Material hinzuweisen, damit auch ja niemand etwas verpasst:
Eine Sequenz des Videos zeigt Barrio in Großaufnahme, bereits am Boden liegend, noch leicht zuckend. Es ist extrem würdelos. Diese Szene haben die russischen Propagandisten von “Sputnik” ebenfalls veröffentlicht. (Auf Links zu und Screenshots von den Videos haben wir bewusst verzichtet.)
Und auch Bild.de zeigt Victor Barrio beim Sterben. Auf der Startseite hat das Portal mit diesem Teaser für den Artikel geworben:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Dank der Taktlosigkeit einiger deutscher Redaktionen, können das nun auch alle anderen von zu Hause aus am Computer.
Neben unverpixelten Opferfotos hat Bild.de-Chef Julian Reichelt eine zweite große Leidenschaft: Mit Hingabe kämpft er für die Theorie, dass Edward Snowden auf seiner Flucht vor der NSA nie ein anderes Ziel als Russland hatte und dass er nun ein russischer Spion ist.
Das klingt doch mal so, als hätte Bild.de den ultimativen Beweis gefunden. Autor des Artikels ist John R. Schindler*, Reichelts Mann für groben Unfug fürs Grobe. Schindler* ist laut Bild.de “Sicherheitsberater und früherer Geheimdienst-Analyst und Offizier für Gegenspionage”, vor einiger Zeit präsentierte ihn das Portal auch als “ehemaligen Beamten der NSA-Spionageabwehr”. Bei Bild.de trifft man ihn nur mit Sternchen am Namen und Erklärtext zu seinen Positionen an.
Schindler* darf sich auf Reichelts Portal immer wieder austoben, mal mit einer Psychoanalyse “des Orlando-Killers”, mal mit Vermutungen zu russischen Hooligans bei der Fußball-EM. Und immer wieder mit Beiträgenüber Edward Snowden. Die Taktik hinter Schindler*s Anti-Snowden-Texten scheint zu sein: Den Whistleblower als Verbrecher und Überläufer zu diskreditieren, um dadurch auch seine Enthüllungen über die US-Geheimdienste zu diskreditieren.
Da passte ein vierminütiges Radiostück aus den USA perfekt in seine Agenda. Die Journalistin Mary Louise Kelly hat darin unter anderem mit Franz Klintsevich gesprochen, den sie als “equivalent of a senator here in Russia and deputy chairman of the powerful defense and security committee” einführt. Ein “bemerkenswertes Interview”, wie Schindler* schreibt:
In einem bemerkenswerten Interview von dieser Woche erklärte Franz Klintsevich — ein hochrangiger russischer Sicherheitsbeamter — ganz nüchtern: “Seien wir ehrlich. Snowden hat Geheiminformationen weitergegeben. Dafür sind Sicherheitsdienste ja da. Wenn es eine Möglichkeit gibt, an Informationen zu gelangen, dann werden sie es auch tun.”
Das ist der endgültige Beweis (“Jetzt gibt es endlich Fakten!”) für John R. Schindler* und Reichelts Bild.de: die Aussage Das wurde schon immer so gemacht. Das wird auch beim Snowden so gemacht worden sein. Schindler* erklärt einen Mann, den er in die Nähe des russischen Militärnachrichtendienstes rückt und der nach seiner und Julian Reichelts Logik damit so gar nicht als Zeuge taugt, zum Kronzeugen seiner Der-Snowden-ist-doch-ein-oller-Russen-Spion-Theorie.
Klintsevich war es, der 2012 Geld sammeln und davon Adolf Hitlers Geburtshaus kaufen wollte, um es dann direkt abreißen zu lassen. Und Klintsevich war es auch, der vor Kurzem forderte, Russland solle den kommenden Eurovision Song Contest boykottieren, weil in diesem Jahr die Ukraine “nur aus politischen Gründen gewonnen” habe.
Und so hat “Spiegel”-Korrespondent Benjamin Bidder auch eine ziemlich klare Meinung zu Franz Klintsevich:
Ob nun Wirrkopf oder nicht — was Franz Klintsevich offenbar nicht “gesteht”, jedenfalls wird er von Mary Louise Kelly nirgendwo so zitiert: Dass Edward Snowden “ein Russen-Agent” ist. Und auch der Kreml gibt nichts zu. Doch was interessiert das Bild.de bei der Jagd nach Klicks?
Und auch im Text heißt es eindeutig:
Nun hat der Kreml die Frage ein für allemal geklärt, indem er verlautbaren ließ, Edward Snowden arbeite in der Tat für ihn.
Ob Edward Snowden ein russischer Spion ist? Keine Ahnung.
Ob Edward Snowden irgendeinem der russischen Geheimdienste irgendetwas verraten hat? Keine Ahnung.
Ob John R. Schindler* und Bild.de hier unsauber arbeiten und Zitate zu Fakten verbiegen? Ganz sicher.
Vorgestern, am Sonntag, ist die frühere US-First-Lady Nancy Reagan gestorben. Und wer ist schuld daran? Ist doch klar: “Bild am Sonntag”. Denn am Todestag von Nancy Reagan erschien eben auch eine neue Ausgabe der “Bild am Sonntag”.
Und das ist nur der vorzeitige Höhepunkt eines gruseligen “Bild”-Fluchs: Immer dann, wenn ein Promi stirbt, ist am selben Tag eines der “Bild”-Printmedien erschienen. Am Todestag von Alan Rickman? Eine neue Ausgabe von “Bild”. Tod von David Bowie? “Bild am Sonntag”. Robin Williams? Paul Walker? Whitney Houston? Jedes Mal erschien am Tag des Promi-Todes auch ein “Bild”-Produkt. Das kann kein Zufall sein.
Wie? Die Theorie ist völliger Blödsinn? Ja, natürlich ist sie das. Und damit genau das Richtige für “Bild” und Bild.de:
Auf Fußballer Aaron Ramsey vom Premier-League-Klub Arsenal London soll laut Bild.de ein “unheimlicher Tor-Fluch” liegen. Ramsey sei “der gefährlichste Fußballer der Welt.” Die Redaktion bringt seine Tore mit dem Ableben der oben genannten und elf weiterer Personen in Verbindung.
Und tatsächlich: Als der Mittelfeldspieler am 1. Mai 2011 in der Liga gegen Manchester United trifft, wird einen Tag später Osama bin Laden erschossen. Einen Tag nach Ramseys Champions-League-Tor gegen Olympique Marseille stirbt Muammar al-Gaddafi. Seit Oktober 2009 soll das schon so gehen, wenn Ramsey für Arsenal London oder die walisische Nationalmannschaft trifft:
Spiel
Datum
Prominenter
Todestag
Liechtenstein – Wales
14.10.2009
Andrés Montes
16.10.2009
Wales – Schottland
14.11.2009
Antonio de Nigris
16.11.2009
Arsenal – Manchester United
01.05.2011
Osama bin Laden
02.05.2011
Tottenham Hotspurs – Arsenal
02.10.2011
Steve Jobs
05.10.2011
Olympique Marseille – Arsenal
19.10.2011
Muammar al-Gaddafi
20.10.2011
AFC Sunderland – Arsenal
11.02.2012
Whitney Houston
11.02.2012
Großbritannien – Südkorea
04.08.2012
Chavela Vargas
05.08.2012
Schottland – Wales
22.03.2013
Bebo Valdés
22.03.2013
Arsenal – Wigan Athletic
14.05.2013
Jorge Rafael Videla
17.05.2013
Olympique Marseille – Arsenal
18.09.2013
Ken Norton
18.09.2013
Cardiff City – Arsenal
30.11.2013
Paul Walker
30.11.2013
Hull City – Arsenal
20.04.2014
Rubin “Hurricane” Carter
20.04.2014
Norwich City – Arsenal
11.05.2014
HR Giger
12.05.2014
Arsenal – Manchester City
10.08.2014
Robin Williams
11.08.2014
Arsenal – AFC Sunderland
09.01.2016
David Bowie
10.01.2016
FC Liverpool – Arsenal
13.01.2016
Alan Rickman
14.01.2016
Tottenham Hotspurs – Arsenal
05.03.2016
Nancy Reagan
06.03.2016
“Bild” und Bild.de haben schon früher über die “UNDHEIMLICHE ENGLAND-SERIE VON AARON RAMSEY” berichtet. Der Tod von Robin Williams im August 2014 war ein Anlass, genauso der “Doppelschlag mit Bowie und Rickman” im Januar dieses Jahres:
Und gestern dann Nancy Reagan, nachdem Aaron Ramsey am Samstag in der Premier League gegen die Tottenham Hotspurs getroffen hatte.
Damit der irre Ramsey-Fluch überhaupt hinhaut, erweitert die Redaktion hier und da auch das Verständnis von Prominenz und Unmittelbarkeit: Als “Prominente” gelten nicht nur Leute wie Osama bin Laden oder Robin Williams, sondern auch spanische Sportjournalisten oder kubanische Musiker. Und manche bekannten Persönlichkeiten — beispielsweise Apple-Gründer Steve Jobs oder der frühere argentinische Diktator Jorge Rafael Videla — starben erst mehrere Tage nach Ramseys Toren. Es wackelt und knirscht an allen Enden.
Trotzdem bleibt Bild.de bei der knackigen Formel:
Immer wenn der Waliser trifft, stirbt ein Prominenter!
An dieser Stelle ist die Berichterstattung des Portals dann nicht mehr nur dämlich, sondern schlicht falsch. Denn nach der Mehrzahl von Aaron Ramseys Toren seit dem Start des vermeintlichen Fluchs im Oktober 2009 passierte — wenig überraschend — rein gar nichts:
Spiel
Datum
Prominenter
Todestag
Liechtenstein – Wales
14.10.2009
Andrés Montes
16.10.2009
Wales – Schottland
14.11.2009
Antonio de Nigris
16.11.2009
Arsenal – Stoke City
05.12.2009
FC Portsmouth – Arsenal
30.12.2009
West Ham United – Arsenal
03.01.2010
Cardiff City – Leicester City
22.02.2011
(als Leihspieler für Cardiff City)
Arsenal – Manchester United
01.05.2011
Osama bin Laden
02.05.2011
Nordirland – Wales
27.05.2011
Wales – Montenegro
02.09.2011
Tottenham Hotspurs – Arsenal
02.10.2011
Steve Jobs
05.10.2011
Wales – Schweiz
07.10.2011
Olympique Marseille – Arsenal
19.10.2011
Muammar al-Gaddafi
20.10.2011
AFC Sunderland – Arsenal
11.02.2012
Whitney Houston
11.02.2012
Großbritannien – Südkorea
04.08.2012
Chavela Vargas
05.08.2012
Arsenal – Olympiakos Piräus
03.10.2012
Schottland – Wales
22.03.2013
Bebo Valdés
22.03.2013
Arsenal – Wigan Athletic
14.05.2013
Jorge Rafael Videla
17.05.2013
Fenerbahce Istanbul – Arsenal
21.08.2013
Arsenal – Fenerbahce Istanbul
27.08.2013
Mazedonien – Wales
06.09.2013
AFC Sunderland – Arsenal
14.09.2013
Olympique Marseille – Arsenal
18.09.2013
Ken Norton
18.09.2013
Arsenal – Stoke City
22.09.2013
Swansea City – Arsenal
28.09.2013
Belgien – Wales
15.10.2013
Arsenal – Norwich City
19.10.2013
Arsenal – Liverpool
02.11.2013
Borussia Dortmund – Arsenal
06.11.2013
Cardiff City – Arsenal
30.11.2013
Paul Walker
30.11.2013
Hull City – Arsenal
20.04.2014
Rubin “Hurricane” Carter
20.04.2014
Norwich City – Arsenal
11.05.2014
HR Giger
12.05.2014
Arsenal – Hull City
17.05.2014
Arsenal – Manchester City
10.08.2014
Robin Williams
11.08.2014
Arsenal – Crystal Palace
16.08.2014
FC Everton – Arsenal
23.08.2014
Stoke City – Arsenal
06.12.2014
Galatasaray Istanbul – Arsenal
09.12.2014
Arsenal – West Ham United
14.03.2015
AS Monaco – Arsenal
17.03.2015
Israel – Wales
28.03.2015
FC Burnley – Arsenal
11.04.2015
Hull City – Arsenal
04.05.2015
Wales – Andorra
13.10.2015
FC Watford – Arsenal
17.10.2015
Arsenal – AFC Sunderland
05.12.2015
Aston Villa – Arsenal
13.12.2015
Arsenal – AFC Sunderland
09.01.2016
David Bowie
10.01.2016
FC Liverpool – Arsenal
13.01.2016
Alan Rickman
14.01.2016
Tottenham Hotspurs – Arsenal
05.03.2016
Nancy Reagan
06.03.2016
Ramseys folgenlose Treffer lässt Bild.de einfach aus.
Dass die Wenn-dann-Kausalität totaler Murks ist, hält andere Redaktionen natürlich nicht davon ab, den “Todes-Fluch” weiterzutragen:
Es kämen nämlich zwei Eggesteins in Frage: Einer heißt Maximilian, einer heißt Johannes. Sie sind Brüder und spielen beide Fußball beim SV Werder Bremen. Der eine, Maximilian, ist 19 Jahre alt und Teil des Profikaders, der andere, Johannes, ist 17 und stürmt bei der U19.
Das ist bereits zu viel Komplexität für den durchschnittlichen Bild.de-Mitarbeiter. Für das Teaserbild hat die Redaktion zwar ein Foto von Maximilian Eggestein gewählt. Aber bevor der sich jetzt fürs Probetraining schon mal ein Flugticket nach Manchester kauft oder eine Bleibe in Englands Nordwesten mietet: Gemeint ist eigentlich Johannes, der jüngere Eggestein. Das schreiben die Bild.de-Transferexperten zumindest in dem Artikel (“Wie lange kickt Johannes Eggestein (17) noch für Werder?”).
Dass es sich bei dem gewählten Foto nicht um den richtigen der Brüder Eggestein handelt, hätte die Redaktion durchaus rausfinden können. Zum Beispiel mit einem Blick auf die eigene Seite: Vor einem halben Jahr hat sie das Bild schon einmal verwendet — in einem Text über Maximilian Eggestein:
Fragt man Fans des FC St. Pauli, welchen Fußballverein sie so gar nicht leiden können, dürften die meisten den HSV nennen, aber auch RasenBallsport Leipzig ist nicht irre beliebt unter den Paulianern. Die massive finanzielle Unterstützung durch Red Bull für die Leipziger, die fehlende Tradition, das Hin- und Hergestausche mit anderen mit Red Bull assoziierten Vereinen — RB Leipzig ist für viele Pauli-Anhänger ein “Kackverein”. Vergangenes Jahr hatte der FC St. Pauli sogar das Wappen der Leipziger (das stark dem Red-Bull-Logo ähnelt) von der eigenen Homepage gelöscht.
Fragt der “Kicker” St. Paulis Trainer Ewald Lienen, ob er sich vorstellen könne, Trainer in Leipzig zu sein, antwortet der:
Ich könnte mir das sehr gut vorstellen — unter der Bedingung, dass der Verein grundsätzlich seine Philosophie ändert. Wir können ja mal unsere Satzung und die Leitlinien schicken (lacht).
Unsere Zusammenfassung: Ewald Lienen kann sich das nicht vorstellen.
Und die Zusammenfassung des “Kicker”:
Etwas boulevardesque, die Zitatverkürzung im Bild, lieber Kicker.
Lesenswertes Interview mit Chewald, Kurz & Weiler pic.twitter.com/QvTqtfneoB
Um etwas Differenzierung in die Debatten zu bekommen, können Zahlen helfen. Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Sachsens Innenminister Markus Ulbig eine “Kriminalitätsstatistik im Zusammenhang mit dem Thema ‘Zuwanderung'”. Zusammengefasst: Ja, es gebe mehr Kriminialität, seit die rund 45.000 Zuwanderer zwischen Januar und September 2015 nach Sachsen gekommen sind, allerdings sei die Anzahl der Straftaten verhältnismäßig gering gestiegen (2014: 7.029 Straftaten, 2015: 10.397). Einen Großteil der Delikte bildeten Ladendiebstähle und Schwarzfahren. Ulbig sagte zur Statistik:
Die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer in Sachsen verhält sich rechtskonform. Bei den ermittelten Tatverdächtigen gilt es zu differenzieren. Es sind nicht die Zuwanderer, die einmalig mit Bagatelldelikten straffällig werden, die uns Sorge bereiten, sondern einige wenige Mehrfach-/Intensivtäter, die fast die Hälfte aller durch Zuwanderer begangenen Straftaten zu verantworten haben.
Die regionalen Medien berichteten über die Zahlen des Innenministeriums und griffen in ihren Überschriften entweder die Aussage Ulbigs auf, vermeldeten die Veröffentlichung der Statistik oder fassten sie kurz zusammen:
Die Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtete ebenfalls. Im Artikel steht zwar direkt zu Beginn:
Von wegen, Ausländer seien besonders kriminell. Dieses Vorurteil will jetzt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (51, CDU) widerlegen.
Die dazugehörige Überschrift ist allerdings nicht gerade geeignet, um hitzige Debatten abzukühlen:
Hinzu kommt die Aufmachung: Ein Foto zeigt einen “Drogendealer aus Tunesien”, der die Polizei verhöhnt; ein anderes eine Festnahme bei einer “Drogenrazzia am Wiener Platz”, obwohl (wie auch “Bild” immerhin erklärt) Rauschgiftdelikte gerade einmal fünf Prozent aller 10.397 Straftaten ausmachten.
Die “Bild”-Kollegen aus Leipzig haben ebenfalls über die Statistik berichtet. Überschrift:
Gertjan Verbeek, Trainer des VfL Bochum, hat so seine Probleme mit Joachim Droll, Reporter bei der “Bild”-Zeitung. In einer Pressekonferenz im September bezeichnete Verbeek Droll und dessen Kollegen bei “Bild” als “Arschlocher”; Anfang dieser Woche teilte der VfL Bochum mit, dass man auf Fragen von Droll nicht mehr antworten werde, weil man sich seit Jahren über seine Arbeitsweise ärgere.
Am Montag war Verbeek in der niederländischen Fußball-TV-Sendung “Voetbal Inside” zu Gast. Dort war unter anderem auch seine Beziehung zu “Bild”-Mann Joachim Droll Thema (ab Minute 4:13; allerdings nur mit niederländischer IP abrufbar).
Moderator Wilfred Genee leitet die Frage eines Zuschauers an Verbeek weiter (die niederländischen Passagen haben wir übersetzt*):
Genee: Hast du noch Rache genommen, Gertjan, noch ein paar deutsche Journalisten angeschnauzt, fragt sich Wouter van Lunen aus Maastricht. Freitag gab’s mal wieder eine Gelegenheit.
Verbeek: Ihr wart sicher mit einem Kamerateam da?
Genee: Ja, wir waren mit einem Kamerateam da.
Verbeek: Dann muss ich aufpassen, was ich sage.
Genee: Ja, unbedingt.
Verbeek:Ich glaube schon, dass ich was gesagt habe.
Genee: Endlich wieder gewonnen, nach sieben Spielen endlich mal wieder ein Sieg, dann kann man sich mal richtig gehen lassen, würde ich sagen.
Verbeek: Ja. Darum geht’s eigentlich nicht, es gewissermaßen mal allen zu zeigen oder so.
Zum Hintergrund: Ein Kamerateam von “Voetbal Inside” war am vergangenen Freitag in Bochum und hat dort nach der Zweitligapartie zwischen dem VfL und dem SC Paderborn sowohl Droll als auch Verbeek zum jeweils anderen befragt.
Bevor der daraus entstandene Einspielfilm kommt, erzählt Moderator Genee aber erstmal von seinen Joachim-Droll-Erfahrungen:
Genee: Joachim Droll, er hat mich neulich auch angerufen, ein äußerst freundlicher Mann am Telefon, äußerst freundlich.
Verbeek: Zu dir schon.
Genee: Ihr könnt nicht so miteinander.
Verbeek: Ja, das kann man so sagen.
Genee: Er ist von “Bild” — und lasst es uns eben anschauen und rekapitulieren, was letzten Freitag alles passiert ist. Es begann damit …
Der Einspieler beginnt mit Verbeeks “Arschlocher”-Aussage. Am Freitag in Bochum wollte der “Voetbal Inside”-Interviewer dann von Joachim Droll wissen, wie die Beziehung von ihm und Verbeek nun ausschaue:
Interviewer: How is your relationship with Mister Verbeek now?
Droll: Which relationship? I think it’s not possible for a journalist to get a relationship to him.
Schnitt zu Verbeek:
Interviewer: Er wird dir in jedem Fall nichts zu Weihnachten schenken, hat er gesagt.
Verbeek: Nee, aber er bekommt auch nichts von mir. Ich denke, dass er demnächst in Bochum abgelöst wird, und dann bekommen wir einen neuen Reporter. Da bin ich sehr glücklich mit.
Droll: I talked to him five months ago about that it’s very important to have a good relationship to a team and not to be a dictator.
Verbeek: Dass muss Herr Droll gerade sagen.
Interviewer an Droll: You think he is a bit of a dictator?
Droll: A little bit, yes. I think he is a little bit, he’s doing so, yes, yes.
Verbeek: Herr Droll muss sich selbst einen Schnurrbart wachsen lassen, dann ähnelt er jemandem.
Genee: Das werden sie in Deutschland senden, das ist dir natürlich klar.
Der frühere Profifußballer und heutige Journalist Johan Derksen, der regelmäßig als Gast bei “Voetbal Inside” ist, schaltet sich ein:
Derksen: Ich finde, er ist ein freundlicher Mann.
Genee: Ich hatte ihn am Telefon, und er probiert ständig, einem etwas in den Mund zu legen. Er fragte stets: Aber eigentlich ist Verbeek doch ein sehr schwieriger Typ, jemand, der eigentlich überhaupt nicht nett ist? Und ich sagte dann: Eigentlich ist er ein netter Typ. Und Droll sagte dann: Weißt du das sicher? Er tut doch eigentlich sehr seltsame Sachen. Ich fragt ihn dann nach einem Beispiel. Und er sagte dann: Das weiß du doch selbst. Er machte die ganze Zeit so weiter, aber das klappte dann nicht so, wie er wollte. So eine Art Mensch ist es, weißt du.
Verbeek: Ja.
Genee: Er nervt immer weiter.
Verbeek: Ja, er nervt immer weiter.
Derksen: Für seinen Chef ist er dann vielleicht der Richtige..
Verbeek: Das weiß ich nicht. Im Moment ist es so, dass er in Bochum keine Informationen mehr bekommt. Und das scheint mir für einen Journalisten schon wichtig.
Derksen: Aber das ist auch gefährlich, dass Bochum so etwas tut. Denn dann beginnen sie oft, im Privatleben zu suchen.
Verbeek: Ich habe privat nichts zu verbergen.
Derksen: Ja, du nicht. Aber da werden sicher welche sein, die dunkle Seiten haben.
Verbeek: Ja, sicher. Aber hierbei geht es um mich. Er kann von mir aus suchen, was er will.
Genee: Du sitzt ja jetzt öffentlich mit deiner Freundin auf der Tribüne. Da ist jetzt also nichts mehr, was an die Öffentlichkeit kommen könnte. Du sagst also: Ja, lass ihn mal machen.
Derksen: Sind die Fotos schon in “Bild” veröffentlicht?
Verbeek: Es ist völlig sinnlos, es diesem Mann recht zu machen. Wenn ich sehe, was er in den letzten vier Wochen so geschrieben hat — ja, lass ihn mal schreiben, was er will. Aber dann muss er mich nichts mehr fragen.
Genee: Werdet ihr noch ein gutes Gespräch führen, jetzt kurz vor Weihnachten?
Verbeek: Das haben wir schon drei- oder viermal probiert. Der Mann ist ein Wiederholungstäter. Da hört es dann auf.
Derksen: Aber hast du nicht so eine Einstellung: Das ist mir doch egal, da stehe ich drüber, das ist mir egal was sie schreiben?
Verbeek: Ja, das habe ich auch. Deshalb rede ich persönlich auch seit ungefähr vier Wochen nicht mehr mit ihm. Und jetzt hat sich der Verein dem angeschlossen. Er hört zwar zu, aber er macht dann, was er will. Das darf er auch. Aber warum soll ich mich dann noch fragen lassen? Lass ihn mal tun, was er will.
Derksen: Aber in der Pressekonferenz, wenn er was fragt, gibst du ihm dann keine Antwort?
Verbeek: Nein, ihm ist mitgeteilt worden, dass er keine Fragen mehr stellen soll, weil wir seine Fragen nicht mehr beantworten.
Derksen: Das wäre doch mal ein Gast hier für den Tisch.
Zum Ende äußert sich noch der frühere Fußballer René van der Gijp, der ebenfalls als Experte mit am Tisch sitzt:
van der Gijp: Weißt du, was muss man in der Schule nicht alles ertragen, wenn man ›Droll‹ mit Nachnamen heißt? Der Mann ist einfach zehn Jahre lang gemobbt worden. Und dann wird da so was draus: ein kleiner Quälgeist.
“drol” kann im Niederländischen für vieles stehen. Meistens bedeutet es “Scheiße”.
Vielen Dank an den Hinweisgeber und an nach-holland.de für die Übersetzung !
*Nachtrag, 18. Dezember: Ein Leser hat uns darauf hingewiesen, dass unsere erste Übersetzung ein paar Ungenauigkeiten und Fehler enthielt. Daher haben wir die Übersetzung an einigen Stellen ausgebessert und in der Überschrift aus “Blutsaugern” “Quälgeister” gemacht.
Der frühere Fußballnationalspieler Stefan Kießling hat am vergangenen Wochenende stark gespielt. Beim 5:0-Sieg von Bayer Leverkusen über Borussia Mönchengladbach traf Kießling zweimal, zwei weitere Tore bereitete er vor. Eine “Gala”, wie “Bild am Sonntag” anschließend schrieb, aber nicht irgendeine:
Denn das Autoren-Quartett Vim Vomland, Dirk Krümpelmann, Phillip Arens und Christian Hornung hat herausgefunden:
Es ist die stärkste Leistung seiner Karriere — und auch die letzte vor seinen Leverkusener Fans.
Der Abschied aus Leverkusen, der schon seit einiger Zeit gerüchteweise im Raum stand, werde konkreter. Die vier Rechercheure haben dafür eindeutige Zeichen ausgemacht:
Jetzt ist es wohl so weit. Kießlings Ehefrau Norina verdrückte während des Spiels Tränen auf der Tribüne. Der Stürmer selbst verabschiedete sich nach Abpfiff von 200 Fans, die extra für ihn zurück ins Stadion gekommen waren. Bewegende Abschiedsszenen.
Vor allem aber gebe es die (nicht weiter konkretisierten) “Bild am Sonntag”-Informationen, die für Kießlings Abgang im Winter sprächen:
Nach BamS-Informationen wird Kießling innerhalb der Bundesliga wechseln.
Definitiv kein Wechsel! Stefan Kießling (31) bleibt bei Bayer Leverkusen.
Heute früh saßen Sportchef Rudi Völler, Manager Jonas Boldt und der Stürmer zusammen. Das Ergebnis der Gesprächsrunde: Kießling wird Leverkusen nicht verlassen.
Und nicht nur wird er Leverkusen nicht frühzeitig verlassen, sondern wahrscheinlich auch noch viel länger bleiben als bisher geplant:
Nach dem Machtwort von Rudi Völler (“Er muss bleiben!”) spricht nun Vieles dafür, dass Völler den bestehenden Vertrag noch über 2017 hinaus verlängern will. Es ist auch wahrscheinlich, dass Völler und Bayer Kießling ein Job-Angebot für die Zeit nach der aktiven Karriere machen werden.
Zwischen der Wechselankündigung in “Bild am Sonntag” und dem kompletten Gegenteil bei Bild.de gab’s am Montag auf der Titelseite der Kölner “Bild”-Ausgabe diese Schlagzeile:
In der Onlineversion rufen die zwei Autoren Vim Vomland und Phillip Arens Leverkusens Sportchef Rudi Völler zu: “Richtig, Rudi!”
Rudi Völlers Klartext in Sachen Kießling ist klug, das einzig Richtige. Es war aber auch höchste Zeit!
Es darf nicht soweit kommen, dass ein Trainer der Bayer-Legende Kießling so einfach die Lust am Fußball nimmt und ihn aus dem Klub vertreibt.
Aber ihn einfach aus dem Klub schreiben — das geht natürlich schon in Ordnung.
Am kommenden Mittwoch spielt der VfL Bochum im DFB-Pokal beim TSV 1860 München. Wie immer im Vorfeld eines Pflichtspiels gaben die Bochumer auch heute eine Pressekonferenz. Pressesprecher Jens Fricke leitete sie unter anderem mit diesen Worten ein:
An meiner Seite: Sportvorstand Christian Hochstätter und Cheftrainer Gertjan Verbeek, die Eure Fragen erwarten. Mit einer einzigen Ausnahme: Sowohl Sportvorstand als auch Cheftrainer haben sich dazu entschieden, keine Fragen der “Bild”-Zeitung mehr zu beantworten.
Die dicke Luft zwischen dem VfL Bochum und “Bild” hat eine gewisse Tradition. Schon vor fünfeinhalb Jahren gerieten der damalige Trainer Heiko Herrlich und der für den VfL zuständige “Bild”-Reporter Joachim Droll aneinander. Im September dieses Jahres verweigerte der VfL Bochum — wie eine Reihe anderer Fußbalzweitligisten — die Teilnahmean der “Bild”-Werbekampagne“Wir helfen”. Wenig später wandte sich der aktuelle Trainer Gertjan Verbeek bei einer Pressekonferenz mit der Frage an “Bild”-Mann Droll, warum der “immer solche Scheiße” schreibe, und nannte Droll und dessen “Bild”-Kollegen “Arschlocher”. Für die Wortwahl hat sich der VfL Bochum kurze Zeit später entschuldigt, Verbeeks “Kernaussagen bleiben davon aber unberührt”.
Mit der heutigen PK dürfte der Clinch zwischen dem VfL Bochum und “Bild” ein neues Level erreicht haben. Wobei, so VfL-Pressesprecher Jens Fricke auf unsere Nachfrage, die einleitenden Worte etwas präziser hätten sein müssen: “Uns geht es konkret um einen Journalisten und nicht um die ganze ‘Bild’-Zeitung.” Die Arbeitsweise von Joachim Droll sei schon über Jahre ein Ärgernis für den Verein. Es habe mehrere Treffen gegeben, bei denen man das Verhalten Drolls thematisiert habe, eine Besserung sei aber nicht erkennbar gewesen. “Daher haben der Trainer und der Sportvorstand nun entschieden, auf Fragen von Joachim Droll nicht mehr einzugehen”, so Fricke. Mit “Bild” habe man hingegen kein grundsätzliches Problem, Fragen anderer “Bild”-Reporter würden auch weiterhin beantwortet.
Bei der “Arschlocher”-Pressekonferenz im September sagte Verbeek übrigens, nachdem er Joachim Droll gefragt hatte, ob er mitschreibe, und dieser antwortete, dass gerade “eine Legende angerufen” habe, das sei wichtiger gewesen:
Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.
Zumindest ohne Joachim Droll wollen sie es beim VfL Bochum jetzt mal versuchen.
Nehmen wir mal an, Sie betreiben einen kleinen Schuhladen in einer kleinen Stadt. Und eine Lokalzeitung schreibt, Sie würden jedem Kunden am nächsten Samstag ein paar Schuhe schenken. Dann schreiben die anderen Lokalzeitungen noch von der ersten ab. Was wird wohl am nächsten Samstag passieren?
Vielleicht kann man so noch ein bisschen besser verstehen, warum das finnische Sozialversicherungsinstitut “Kela” am vergangenen Dienstag ziemlich schnell mit einer Pressemitteilung auf weltweite Berichte reagierte, die behauptet hatten, dass Finnland bald all seinen Einwohnern ein bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro im Monat zahlen werde. Zusammengefasst steht in der “Kela”-Mitteillung: Das sei totaler Quatsch. Konkrete Pläne und Summen gebe es noch keine, derzeit stünde lediglich eine vorbereitende Studie für ein geplantes Experiment im kleineren Rahmen an.
Auch deutsche Medien haben über die vermeintliche Einführung des Grundeinkommens für die Finnen berichtet. Den Start machte am Montag die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”:
Die “Frankfurter Rundschau” hat eine mögliche Erklärung, wie die Genese dieser Meldung aussehen könnte. Der Weg in Kurzform: Die “FAZ” nenne als Quelle einen Artikel des Onlineportals “Quartz”. “Quartz” stütze sich bei der Nachricht auf die finnische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt “Yle” sowie auf die BBC. Das Problem dabei: Die Nachricht von der BBC stamme bereits vom 20. August dieses Jahres und handele lediglich von dem Experiment der finnischen Regierung, nicht aber von der Einführung des Grundeinkommens. Und die “Yle”-Meldung sei bereits Ende Oktober veröffentlicht worden und beziehe sich wiederum auf die “regionale finnische Mediengruppe Lännen Media.” Bei “Lännen Media” sei man dann bei der Originalquelle angelangt. Und dort könne man lesen, dass das finnische Sozialversicherungsinstitut bald lediglich “mit der Arbeit an einer Studie für ein Grundeinkommen beginnen werde.”
Die Stille Post nahm dann auch in Deutschland Fahrt auf. Aus dem “offenbar” und den Vorbereitungen, von denen die “FAZ” spricht, wurde bei “Focus Online” schnell Gewissheit:
Es ist ein gigantisches politisches Experiment: Finnland hat angekündigt, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger einzuführen. (…) Nun macht die Regierung den Plan wahr: Bis zum November des kommenden Jahres sollen alle bisherigen staatlichen Zuschüsse wegfallen, stattdessen erhalten alle erwachsenen Bürger des Landes eine monatliche Zahlung von 800 Euro.
Dass das schlichtweg nicht stimmt, bestätigt ein “Vice”-Interview. Darin erklärt Olli Kangas, der für die Durchführung des finnischen Experiments verantwortlich ist, dass Finnland von der tatsächlichen Einführung des Grundeinkommens noch weit entfernt sei. Einen Zwischenbericht zu ihrer Vorstudie wollen er und sein Team im kommenden März der finnischen Regierung vorlegen, Vorschläge, wie ein Experiment zum Grundeinkommen aussehen könnte, sollen im November 2016 fertig sein.
Schon auf die Frage, woher “überhaupt dieser Betrag von 800 Euro” stamme, antwortet Kangas:
“Das ist eine gute Frage! Das ist doch nur eine Summe, mehr nicht. Dabei steht noch überhaupt nichts fest. Es könnte diese Summe oder eine höhere oder niedrigere Summe werden.”
Als das Interview erschien, war die Geschichte in den deutschsprachigen Medien schon nicht mehr einzufangen: