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Sich stets erstklassig informiert gebend

In einem ihrer berüchtigten “Krisen-Protokolle” schreibt die “Bild”-Zeitung heute über die Geiselentführung im Irak:

0.45 Uhr: Außenminister Steinmeier, auf dem Flug von New York nach Washington, telefoniert mit Krisenstabs-Chef Scharioth. Er ordnet an, daß vom Bekenner-Video im Fernsehen nur ein Standbild veröffentlicht werden darf.

Nur sagt ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann in der morgigen “F.A.Z.”:

FAZ: “Deshalb haben Sie nur ein Standbild und nicht den ganzen Film gezeigt.”

Von der Tann: “Ja. Und genau so habe ich es dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskriminalamt und dem Programmdirektor des Ersten (…) vorgeschlagen. (…) Um es noch einmal ganz klar zu machen: Es war unser Vorschlag, nicht etwa eine “Anweisung des Außenministers”, wie eine sich stets erstklassig informiert gebende Boulevardzeitung fälschlicherweise berichtet.”

Übrigens: Die meisten der vermeintlich minutengenauen Angaben, die “Bild” in dem “Protokoll” macht (“Dienstag, 0.36 Uhr: Kanzlerin Angela Merkel wird zu Hause geweckt”) lassen sich von uns nicht nachprüfen. Bis auf die Angabe, wann die “Tagesschau” die “Schock-Nachricht” ausstrahlte. “Bild” behauptet: 3.00 Uhr und liegt damit um gut 20 Minuten neben der Wahrheit.

Journalistische Meisterleistung

Prometheus ist in der griechischen Mythologie derjenige, der den Menschen das Feuer brachte. Nach Ansicht des Medienmagazins “V.i.S.d.P.” ist das ein schönes Sinnbild für guten Journalismus:

Das Feuergeschenk als Lichtbringer verweist auch auf die Aufgabe des Journalismus Aufklärung zu leisten. Journalismus ist für den gesellschaftlichen Fortschritt der Gesellschaft so unverzichtbar wie das Feuer.

Das Magazin hat deshalb seinen neuen Medienpreis, der im Januar erstmals die “Journalisten des Jahres” für ihre “großartige journalistische Arbeit” auszeichnet, “Goldener Prometheus” genannt — und bis hierhin kommen wir noch mit.

Unter den Nominierten ist auch Claus Strunz, Chefredakteur der “Bild am Sonntag”, mit der Begründung:

weil er im Streit um die Privatjet-Affäre mit Oskar Lafontaine der klare Sieger war.

BAMS musste eine Gegendarstellung Lafontaines drucken, in der dieser behauptete, nicht darauf bestanden zu haben, für ein Gespräch mit der Zeitung per Privatjet eingeflogen zu werden. Strunz platzierte ein Interview mit Medienanwalt Matthias Prinz direkt danaben. Frage: “Beweist eine Gegendarstellung, dass eine Zeitung falsch berichtet hat?” Antwort Prinz: “Nein.” Das saß.

Was “Bild am Sonntag” damals nicht schrieb und sich auch von Prinz nicht erklären ließ, ist, dass es nicht so einfach ist, sich eine Gegendarstellung vor Gericht zu erstreiten. Der Betroffene muss Belege für seine Version der Geschichte bringen. Wir wissen nicht, ob im konkreten Fall “Bild am Sonntag” oder Lafontaine die Wahrheit sagen. Mit offensichtlich unwahren Behauptungen kann man aber keine Gegendarstellung durchsetzen.

Was “Bild am Sonntag” ebenfalls nicht schrieb, ist, dass “Bild” und “Bild am Sonntag” sich fast immer weigern, Fehler richtigzustellen. Und dass beide Zeitungen sich auch in Fällen, in denen offenkundig ist, dass sie die Unwahrheit behauptet haben, juristisch gegen Gegendarstellungen der Betroffenen wehren.

Insofern kann man die Sache mit dem Prinz-Interview innerhalb einer eskalierten Privatfehde als einen Treffer bewerten, “der saß”. Man kann in ihm auch einen Kniff sehen, den juristischen Sieg Lafontaines zu entwerten. Dass man in ihm auch eine “journalistische Meisterleistung” sehen können soll, die der “Aufklärung” dient und preiswürdig ist, ist allerdings verblüffend.

In eigener Sache: Auch BILDblog ist für den “Goldenen Prometheus” nominiert. Die Jury nennt unsere Seite “medienhygienisch”. Da wir das nicht nur als Kompliment, sondern auch als Verpflichtung sehen, haben wir dem Veranstalter mitgeteilt, dass wir für einen Preis nicht nominiert sein wollen, der an dem Schlagabtausch zwischen Claus Strunz und Oskar Lafontaine irgendetwas für auszeichnungswürdig hält.

Nachtrag, 14 Uhr: Die Zeitschrift “V.i.S.d.P.” reagiert in ihrem Blog:

BILDBLOG möchte keinen “Goldenen Prometheus”, solange Claus Strunz auch nominiert ist. Und das hatten wir ganz vergessen: der ist ja böse. Na ja, Sartre wollte auch keinen Nobelpreis.

Nachtrag, 30. November, 17.45: V.i.S.d.P. bedauert unsere Entscheidung und nominiert uns nicht länger.

Recherche optional

Wir kennen das von Paparazzi-Fotos: Wenn “Bild” nichts über ihre Entstehung weiß, betextet sie sie einfach im Stil einer freien Improvisation. Da liegt es nahe, den Blick auf einen begleitenden Bildtext oder die Recherche der Hintergründe grundsätzlich für Zeitverschwendung zu halten.

Und so erschienen gestern eine Reihe von Fotos in Bild.de und der gedruckten “Bild”-Zeitung, über die die Redaktion offenbar gesichert nur folgendes weiß: Da ist irgendwann irgendwo im Iran irgendwas Schlimmes mit einem kleinen Jungen passiert.

Es sind grausame Fotos, die zeigen, wie der Arm des Kindes, auf einer Decke liegend, von einem Auto überfahren wird. “Bild” schreibt:

Schreckliche Fotos aus Teheran zeigen die öffentliche Folter eines Jungen. Für ein Stück trockenes Brot muß er sich quälen lassen.

Die Berichte widersprechen sich, ob der Kleine es gestohlen hat, bestraft wird — oder gerade mit dieser bizarren Schau “verdienen” muß.

Nun ja, wenn Journalismus mehr sein soll als Voyeurismus und die Erregung über schreckliche Fotos, wäre es schon schön zu wissen, ob es nun das Eine oder das Andere ist. Und wenn den Leuten von “Bild” etwas an der Wahrheit gelegen hätte, hätten sie es sogar herausbekommen. Die “Berichte” wonach der Junge bestraft wird, stammen nämlich aus höchst zweifelhaften Quellen: Aus amerikanischen und deutschsprachigen Blogs, die sich darauf spezialisiert haben, alles zu sammeln, was den Islam als gefährliche, zu bekämpfende Religion erscheinen lässt. Aus einem Blog namens Bareknucklepolitics scheint die Geschichte von der Bestrafung zu stammen: “8 Year Old Iranian Boy Caught Stealing Bread?” heißt es dort im Forum. Andere Blogs übernahmen die Geschichte — und korrigierten sie später. Tatsächlich handelt es sich um eine Art grausames Zirkusstück auf der Straße: Ein Mann hat dem Jungen etwas Geld dafür gegeben und lässt sich für das Schauspiel von den Passanten bezahlen.

Das hätte “Bild” auch aus dem Begleittext erfahren können, der auf der Seite steht, von der die Fotos stammen. In ihm wird erklärt, dass der Mann mit betrügerischen Methoden und den Schmerzen des Jungen versucht, Geld zu machen. Aber vermutlich war es der “Bild”-Zeitung mit ihren rund 1000 Mitarbeitern zuviel Mühe, den persischen Text übersetzen zu lassen. Sicher, die hätte man sich machen müssen, wenn man ernsthaft anprangern wollte, wie Kinder im Iran missbraucht werden. Und eigentlich hätte die Zeit für die Recherche locker gereicht, denn die Aufnahmen sind, was “Bild” natürlich nicht erwähnt, über drei Wochen alt. Aber man muss es ja nicht übertreiben mit dem Journalismus, wenn man doch einfach nur ein paar krasse Fotos zeigen will.

Vielen Dank an Don A. und ganz besonders an Reza A., Mahin F. sowie Pascal und Farhad E. für das Übersetzen des Textes aus dem Persischen!

Ehrgeiz, Kameragier und Nervosität

In der aktuellen Ausgabe geht Karl-August Almstadt aus der Chefredaktion der “Auto Bild” auf den vorgetäuschten Mercedes-Test und den Rauswurf ihres Chefreporters ein. Almstadt macht Stern-TV Vorwürfe und spricht vom “Fokus im typischen Boulevard-TV auf ein kleines Brett am Rande der Bahn, das auch einige der Crash-Verantwortlichen ebenso wie der AUTO BILD-Redakteur temporär im Kopf hatten”. Über die Rolle des eigenen Chefreporters schreibt er:

Wir wissen es nicht und können auch nicht nachvollziehen, warum sich unser Redakteur auf die optische Bremskrücke in Form eines simplen Bretts am Rande der Bahn eingelassen hat. War es der James Dean in ihm, der den Overthrill suchte? Der unbedingt vor der Kamera den perfekten Fahrer mimen wollte? Fügten sich Ehrgeiz, Kameragier und Nervosität zu einem unheilvollen Ego-Antrieb? Die Gründe bleiben nebulös, der Hintergrund ist klar: Specht ist integer, vermutlich überdreht (…).

(…) unser Redakteur ließ sich als lebender Dummy mißbrauchen. Viel schlimmer: Kein Wort an die Chefredaktion, daß diese Hallen-Szene nur nachgestellt war. Stattdessen: “Ich hab’s verpatzt, den Bremspunkt nicht getroffen.”

(…) Warum uns der eigene Mitarbeiter nicht sofort, sondern erst auf beharrliche Nachfrage, die ganze Wahrheit des Hallencrashs vom 11. November erzählt hat, kann der arg durchgeschüttelte Kollege nicht wirklich schlüssig erklären. Die Folgen: Unser Bericht über das S-Klasse-Radar mußte neu geschrieben werden, von unserem Kollegen Michael Specht haben wir uns getrennt.

Er steht allerdings noch im Impressum.

Danke an Mike D.!

“Bild”-Dialektik

Rudi Carrell hat Lungenkrebs.

Am 16. November 2005 beschrieb “Bild” Carrells Reaktion so:

Er schläft viel, nimmt fast keine öffentlichen Termine mehr wahr. Nur das Rauchen läßt der Kettenraucher (täglich zwei Packungen Zigaretten) nicht sein.

Am 24. November 2005 beschrieb “Bild” Carrells Reaktion so:

Rudi hörte nach 52 Jahren sofort mit dem Rauchen auf, “ohne damit irgendein Problem zu haben”, wie er selbst sagt.

Danke an Stephan D. und Thomas K. für die Hinweise!

Es war einmal: ein Knast-Mädchen

Vielleicht ist es falsch, sich “Bild”-Redakteure als Journalisten vorzustellen. Bestimmt sehen sie sich eher als Geschichtenerzähler, und beim Märchen von der “hübschen Melanie”, die von “Bild” etwas irreführend “Miss Knast” genannt wird, war jetzt einfach mal eine Art Zwischen-Happy-End fällig.

Denn zur Freude der “Bild”-Zeitung hat es die 22-jährige Berlinerin, die seit zweieinhalb Jahren in Brasilien im Gefängnis sitzt, weil sie mit Kokain erwischt wurde, und zwischenzeitlich an einem “Miss Knast”-Wettbewerb teilgenommen hat, “jetzt”* auf das Cover der brasilianischen Zeitschrift “Trip” geschafft. Nun wird alles gut werden. Wenn man an Märchen glaubt. Oder der “Bild”-Zeitung.

Miss Knast macht jetzt Model-Karriere

(…) Karriere im Käfig: Verführerische Pose, heiße Spitzen-Dessous, dazu unschuldige blaue Augen und sexy Schmollmund — so macht Melanie jetzt die Brasilianer verrückt. Schon ihr Haftrichter schwärmt: “Sie ist schöner als die Bardot.”

Der Auftakt zu einer Model-Karriere — Melanies ganz große Chance?

(…) Noch bis Dezember 2007 muß sie im berüchtigten Frauenknast von Sao Paulo (649 Insassinnen) einsitzen. Dann könnte sie als Top-Model die Zelle verlassen.

“Bild”-Leser warten schon lange darauf. Schon am 21. Juni fragte “Bild”: “Ist eine Model-Karriere die große Chance der Deutschen?” Am 23. Juni schrieb “Bild”: “Jetzt träumt Melanie von einer Karriere als Model” und war sich sicher: “Um Jobangebote muß sie sich wohl dann keine Sorgen machen…”. Und bereits am 28. Juni berichtete “Bild” von dem erotischen Fotoshooting.

Die aktuelle Geschichte hat “Bild” offenkundig nicht selbst recherchiert, sondern aus der vor einem Monat erschienenen November-Ausgabe der Zeitschrift “Blond” abgeschrieben — daher stammt jedenfalls das von “Bild” leicht geänderte Zitat des Haftrichters. Aber “abgeschrieben” trifft es nicht, denn der Absatz mit dem Haftrichter geht in “Blond” noch weiter und enthält nicht ganz unwesentliche Informationen:

(…) zusammen mit einem konservativen TV-Moderator macht [der Haftrichter] gegen “Trip” mobil: eine Gefangene im Höschen, das gehe selbst in Brasilien nicht. Moralisten versus Unterhaltungsindustrie. Ein Skandal.

Der Berliner “Tagesspiegel” wusste vor einem Monat noch ein bisschen mehr über die unangenehmen Folgen des angeblichen Beginns einer strahlenden Model-Karriere:

(…) als die Fotos erscheinen, werden sie zum Politikum: Sao Paulos Tageszeitungen wettern, ob in den Gefängnissen alle alles dürften, sogar der Gouverneur von Sao Paulo gerät in Erklärungsnot. Und für Melanie wird der ersehnte Hauptgewinn erneut zur Niete: Weil im Gefängnis “ihre Extrawürste” nicht mehr auf Gegenliebe stoßen, wird “Melanie tagelang bedroht”, sagt ihr Anwalt. Dann dringt die Geschichte auch noch bis Berlin-Hellersdorf durch – das Sozialamt kürzt Melanie die Hilfe und streicht sie später ganz.

Ja, das hat “Bild” einfach weggelassen. Aber darauf kam es dann auch nicht mehr an. Denn schon die Geschichten vom ersten Platz und vom zweiten Platz bei der “Miss Knast”-Wahl seien Märchen gewesen, sagte Melanie dem “Tagesspiegel”:

Die angebliche Miss Knast Brasilien landete in der Endauswahl der Schönheiten auf den hinteren Plätzen.

*) Gleich viermal benutzt “Bild” in dem Artikel im Zusammenhang mit den Cover-Fotos das Wort “jetzt”. Die Fotos erschienen in “Trip”-Ausgabe 132. Die aktuelle Ausgabe ist 139. “Trip” ist eine Monatszeitschrift.

Danke an Max R. und Joachim W.!

Nachtrag, 25. November. Nur um genau zu sein: Der jüngste Artikel über die vermeintliche “Miss Knast” ist nicht in der gedruckten “Bild” erschienen, sondern nur bei Bild.de und vorher ähnlich in der Schwesterzeitung “B.Z.”.

Fusionshindernis “Bild”

Das Kartellamt hat massive Bedenken gegen die geplante Fusion der Axel Springer AG mit ProSiebenSat.1. Nach jetzigem Stand ist sie nicht genehmigungsfähig. Es geht um den drohenden mangelnden Wettbewerb im Fernsehwerbemarkt und im Anzeigenmarkt der überregionalen Zeitungen, vor allem aber um das Fast-Monopol der “Bild”-Zeitung im Markt der Boulevardzeitungen.

Kartellamts-Präsident Ulf Böge sagt im “Tagesspiegel”:

Bei Straßenverkaufszeitungen hat Springer mit „Bild“ 80 Prozent Marktanteil. Diese Position darf nicht durch redaktionelle oder werbliche Unterstützung des Fernsehens verstärkt werden.

Springer hatte behauptet, der Konzern gebe sich mit der Übernahme eine vergleichbare Struktur wie der Konkurrent Bertelsmann (“Stern”, RTL). Dem widerspricht Böge in der “FTD” heftig:

“Das ist der Unterschied vom Springer-Fall zu Bertelsmann, dass Springer mit der “Bild”-Zeitung eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Daher wäre es eine falsche Betrachtungsweise, wenn man sagen würde: Was Bertelsmann darf, muss Springer auch dürfen. (…) Die “Bild”-Zeitung könnte durch entsprechende werbliche Maßnahmen mehr Aufmerksamkeit erhalten, etwa durch Hinweise im Fernsehen darauf, was in “Bild” steht, Das würde eine sehr weit reichende Absicherung der ,Bild‘-Zeitung im Lesermarkt bedeuten – mit der Folge, dass dort noch weniger Wettbewerb herrscht.”

Der Medienkonzentrationsforscher Horst Röper erläutert in der “Frankfurter Rundschau”:

“Bild hat als die Milchkuh des Konzerns immer schon eine zentrale Stellung gehabt. Und verbunden mit der Marke Bild sind ja noch etliche weitere Aktivitäten von Springer. Die Verbundmöglichkeiten zwischen Bild und den TV-Sendern stellen die eigentliche Hürde im Fusionsverfahren dar. Diese zu entkräften, dürfte für Springer schwierig werden.”

Die “Berliner Zeitung” kommentiert:

Zwölf Millionen Menschen lesen täglich die Bild-Zeitung. Ihr Chefredakteur, Kai Diekmann, triumphierte zuletzt, “Bild” sei das neue Leitmedium der Republik. Gemeinsam mit den anderen Zeitungen und Zeitschriften aus dem Hause Springer dominiert sie nicht nur den Meinungs-, sondern auch den Anzeigenmarkt. Darf ein derart mächtiger Verlag auch noch die größte TV-Senderkette des Landes besitzen?

Nein, hat nun das Bundeskartellamt geurteilt. (…)

Erstmals hat das Kartellamt im Fall Springer/ProSiebenSat.1 medienübergreifende Aspekte bei der Beurteilung eines Fusionsvorhabens zu Grunde gelegt. Zu Recht. (…) Crossmediale Vermarktungsstrategien sind ebenso denkbar wie redaktionelle Verflechtungen und PR-Kampagnen für das jeweilige Schwesterunternehmen.

Springer wird nun also etwas von seiner Macht abgeben müssen. Das ist nicht nur gut für den Wettbewerb, sondern auch für die Meinungsvielfalt.

Kurz korrigiert (33)

Weil Michael Ballack verletzt ist, sollte ihn beim FC Bayern heute Ali Karimi ersetzen. Aber “Bild” war von dessen Leistung enttäuscht: “Ein gleichwertiger Ersatz war er (noch) nicht.”

Kein Wunder: Karimi spielte nämlich gar nicht. Er hatte sich vor dem Spiel verletzt.

Danke an Ralph R. für den Hinweis!

Nachtrag, 21. November, 0.25 Uhr: Es hat lange gedauert, aber irgendwann gestern abend hat jemand die beiden falschen Sätze ersatzlos gestrichen.

Plötzliche sensationelle Wende

Heute testen wir einmal Ihr Überraschungsverhalten. Bitte lesen Sie folgenden Absatz und merken sich, an welchen Stellen Sie so etwas dachten wie: “Ist ja der Hammer”. Los geht’s.

Im Verfahren um verschobene Fußballspiele forderte die Staatsanwaltschaft für den Schiedsrichter Robert Hoyzer zwei Jahre Haft auf Bewährung plus 100 Sozialstunden. Doch das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu zwei Jahren und fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung (a). Dabei hatte die Staatsanwaltschaft nur zwei Jahre Haft auf Bewährung plus 100 Sozialstunden gefordert (b).

Wenn Sie an Stelle (a) überrascht waren, können wir das nachvollziehen. Wenn Sie an Stelle (b) überrascht waren, sind Sie vermutlich ein unaufmerksamer Leser. Und wenn Sie an beiden Stellen überrascht waren, können Sie sich bei der “Bild”-Zeitung bewerben.

Die macht nämlich ihren Berlin-Teil heute ganz groß mit dieser Schlagzeile auf:

Staatsanwalt will Freiheit für Hoyzer!

Und schreibt im Vorspann:

NACH DEM SENSATIONS-URTEIL (29 MONATE HAFT) FORDERT PLÖTZLICH DIE BERLINER STAATSANWALTSCHAFT EINE MILDERE STRAFE FÜR DEN SKANDAL-SCHIEDSRICHTER.

Und ist am Anfang des Artikels immer noch nicht aus dem Staunen raus:

Auf das sensationelle Urteil gegen Skandal-Schiri Robert Hoyzer (26) folgt nun, am Ende des Prozesses, die sensationelle Wende.

Und wenn “Bild” noch so oft Wörter wie “plötzlich”, “sensationell” und “Wende” hinschreibt: Das ist die bekannte Nachricht von Dienstag. An jenem Tag nämlich beantragte die Anklage (wie auch “Bild” berichtete) die milde Bewährungsstrafe, und seitdem hat sich an ihrer Haltung nichts geändert.

Neu ist allein, dass die Staatsanwaltschaft nun angekündigt hat, gegen das Urteil in Revision zu gehen. Und während “Bild” über viele, viele Zeilen ergebnislos spekuliert, warum ein “Ankläger (!)” für ein milderes Urteil kämpft, haben andere Zeitungen eine Erklärung: Die Staatsanwaltschaft hat gegen das gesamte Urteil Revision eingelegt, also auch gegen das für die anderen Angeklagten. dpa schreibt:

Die Staatsanwaltschaft will insbesondere das Strafmaß für [den Mitangeklagten Dominik] Marks überprüfen lassen. Er hatte anderthalb Jahre Haft auf Bewährung bekommen, die Staatsanwaltschaft hatte dagegen zwei Jahre ohne Bewährung gefordert (…).

Und plötzlich ist alles weder überraschend, noch schwer zu verstehen. Aber wer erklärt es “Bild”?

Nachtrag, 21. November. Zur Klarstellung: Natürlich war die Staatsanwaltschaft nicht gezwungen, gegen das gesamte Urteil Revision einzulegen. Ihre Aufgabe ist aber auch eine andere, als “Bild” glaubt. Der Staatsanwalt ist nicht Gegenspieler des Verteidigers in dem Sinne, dass er eine besonders hohe Strafe fordern soll. Nach der Strafprozessordnung muss die Staatsanwaltschaft auch entlastendes Material ermitteln. Es ist also ausdrücklich vorgesehen, dass die Staatsanwaltschaft zu Gunsten eines Angeklagten in Revision gehen kann. Anders als in den USA ist die Staatsanwaltschaft in Deutschland eine unparteiische Institution. Sie wird auch “objektivste Behörde der Welt” genannt.

Danke für die Nachhilfe an Joachim M. und Christian S.!

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