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Lieber Nicolaus Fest,

vorgestern schrieben Sie mal wieder eine Ihrer “Hieb- und stichfest”-Kolumnen, und ich glaube, ich bin offenbar nach wie vor nicht fremdenfeindlich betrunken genug dafür.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht’s Ihnen darum, den Bild.de-Lesern mitzuteilen, dass Sie dann lieber doch nicht an einer Diskussionsveranstaltung teilnehmen wollen. Nun ja, sowas kommt vor.

Soweit ich weiß (und wie Sie wissen, ist ja auch BILDblog als Mitdiskutant zu der Veranstaltung eingeladen), soll dabei “vor allem der Frage nachgegangen werden, ob und wie deutsche und türkische Medien die hiesige Integrationsdebatte beeinflussen”. Aber das schreiben nicht Sie (Sie nennen es schlicht “eine Fachdiskussion zum Thema Islam”), sondern das schreibt das Bundesinnenministerium (BMI), das die heutige Fachkonferenz zum Thema “Medienverantwortung” ausrichtet.

Nun habe ich grundsätzlich große Sympathie für Menschen, die bei Themen, von denen sie nichts verstehen, lieber einfach mal die Klappe halten.

Aber als Mitglied der “Bild”-Chefredaktion haben Sie angeblich natürlich einen anderen Grund für Ihre kurzfristige Absage: den (immerhin bereits seit Anfang Mai bekannten) Titel der Veranstaltung:

“Medien in Deutschland: Integrationshemmnis oder Chance?”

Beziehungsweise:

“Sensationslust und Meinungsmache? Die Rolle und Verantwortung der Medien im Integrationsprozess”

Für Sie sind das “verquere Etikettierungen”, weil Medien doch bitte schön “der Integration von Ausländern so wenig verpflichtet [sind] wie der Förderung des Bäckerhandwerks oder der Verbreitung von Badehauben” und Sie sich nicht für die “Förderung der BMI-Vision vom multikulturellen Volksheim” einspannen lassen wollen. Abgesehen davon, dass das eigentlich niemand von Ihnen verlangt hat, sehe ich persönlich zwar Ihr Problem nicht ganz, wo doch Ihr Chef, “Bild”-Chef Kai Diekmann, vor wenigen Monaten erst in einem (in der türkischen Zeitung “Hürriyet” veröffentlichten) offenen Brief die “Bild”-Berichterstattung ausdrücklich “auch im Namen der überwiegend türkischen Bevölkerung in Deutschland” verstanden wissen wollte. Das hätten Sie doch auswendig lernen können.

Aus der Kolumne:

“(…) Berichte über gewaltkriminelle Jugoslawen oder Russland-Deutsche, über Messerattacken arabischer Jugendgangs, über Schutzgelderpressung und ‘Abziehereien’ im Migrantenmilieu fördern nicht unbedingt den Glauben an das Himmelreich eines binnenpluralistischen Vielvölkerstaats. (…) Kein Mensch klaren Sinnes würde fragen, welche Integrationsbeiträge die Rechtsprechung liefert oder welche die Polizei – auch wenn Zyniker meinen, dass einige Staatsanwälte und Richter ihre Aufgabe tatsächlich weniger in Rechtswahrung und Strafverfolgung sehen, als in der Assimilation des Heimatlandes an die Umgangsformen der Gäste. (…)”
(Hervorhebung von uns.)

Sie aber haben wegen “verquerer Etikettierungen” lieber abgesagt und eine Bild.de-Kolumne vollgeschrieben. Was immerhin insofern praktisch ist, als Ihnen so die Entgeisterung eines Gegenübers erspart bleibt, wenn ausgerechnet Sie als Mitglied der “Bild”-Chefredaktion sich auf eine Aussage des Bundesinnenministers berufen, wonach die Medien “dem Postulat der objektiven Berichterstattung verpflichtet” seien. Oder wie man’s in Ihrer Zeitung formuliert:

  • Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!
    (“Bild” vom 14.1.2008)
  • Er ist Iraker, hat in Deutschland vergeblich Asyl beantragt. Einen Führerschein hat er nicht. Was er hatte, war ein dicker 5er BMW, mit dem er Motorradfahrer Dominik N. (verstorben 25) totfuhr. Und einen Richter, der ihn laufen ließ.
    (“Bild” vom 22.4.2008)

Immerhin haben Sie Ihre Veranstaltungstitelexegese so schön aufgeschrieben (siehe Kasten), dass wenigstens die Islamphobiker im Lande sie verstehen gerne weiterverbreiten.

Mit Gruß & auf ein andermal
Ihre Clarissa

P.S. Ganz unter uns, Herr Fest: Muss ich befürchten, dass wir und Sie (wie ein ums andere Mal in der Vergangenheit) uns auch in Zukunft bei Diskussionsveranstaltungen nicht begegnen? Bislang waren’s ja Sie und Ihre “Bild”-Kollegen, denen meist plötzlich irgendwas dazwischen kam. Doch diejenigen Veranstaltungen zum Thema Ausländer, bei denen Ihnen, wie es scheint, der Titel besser gefallen dürfte, sind nicht unser Ding.

P.P.S. Was halten sie eigentlich von Angela Merkel?

Bei Bild.de haben Bierwucherer leichtes Spiel

Das Wetter wird schlechter, Italien und Russland haben in ihren ersten Fußball-EM-Spielen traurig gespielt — und wir pfeifen heute mal aufs Urheberrecht und drucken einen Bild.de-Artikel komplett nach:

[Artikel-Anfang]

Der Warenkorb eingefleischter Fußballfans während einer EM unterscheidet sich markant von dem des Durchschnittsverbrauchers. Bier braucht darin reichlich Platz.

Die Unterschiede lassen staunen: Wer sich in Stockholm, Rom oder Ankara 0,33 Liter Markenbier aus dem Supermarkt holt, bekommt in Bukarest, Amsterdam oder Wien die zwei bis dreifache Menge für das gleiche Geld.

Das internationale Consulting-Unternehmen Mercer hat die Bierpreise im Einzelhandel in den Hauptstädten der EM-Teilnehmerländer unter die Lupe genommen.

Schlachtenbummler aus 13 der 16 EM-Teilnehmerländer werden in Wiener Supermärkten weniger für ihr Bier bezahlen, als sie das in der Hauptstadt ihrer Heimat müssten.

Mittelmaß sind die Supermarktpreise für 0,33 Liter in Paris (1,45 EUR), Berlin (1,20 EUR), Athen (1,56 Euro), Bern (1,58 Euro), Moskau (1,20 Euro) und Warschau (1,31 Euro).

In der Stadt der Kaffeehäuser kommt das Bier (1,08 Euro) nur wenig teurer als in den Bierparadiesen Amsterdam (0,94) und Bukarest – mit 0,88 Euro der unangefochtene Europameister beim günstigen Bierpreis.

Fast schon ungehörig präsentieren sich die Bierpreise in anderen Teilen Europas. Wenn die zahlreichen italienischen Fans (Rom: 2,30 EUR) in Wien ihre gewohnten Budgets für Bier einsetzen, müssen sie auf der Hut sein, dass sie anderntags nicht der Kater vom Ball trennt. Denn für das gleiche Geld erwerben sie hier mehr als die zweifache Menge an Bier.

Am Genießertipp, dass das Pils in Prag gut und billig (2,03 EUR) sei, stimmt immerhin noch der erste Teil. Am teuersten in Europa wird Bier übrigens in Großbritannien gehandelt: Gegen 3 Euro für 0,33 Liter in London nehmen sich sogar die 2,44 Euro in Stockholm als Schnäppchen aus.

Schuld an der großen Preisspanne ist übrigens die unterschiedliche Besteuerung.

[Artikel-Ende]

Erschienen ist dieser schmissige Artikel (Lesen Sie ruhig den “Wer sich in Stockholm…”-Satz noch einmal!) gestern mittag auf Bild.de im Ressort “Wirtschaft”.

Na, logisch!

“Warum dennoch die krassen Preisdifferenzen? – ‘Das liegt zum Geringeren an der Industrie und am Handel,’ nimmt Mercer-Principal Dirk Ewert Vermutungen um regionale Preiskartelle den Schaum vom Glas. ‘Eher schon an den national stark unterschiedlichen Besteuerungen von Bier. Da ist es ohnehin bemerkenswert, dass Bier in Wien etwas weniger kostet als in Berlin – obgleich es hier mehr als doppelt so stark besteuert wird wie im Nachbarland Deutschland.'”
(Quelle: Mercer)

Erschienen ist er aber auch, knapp fünf Tage früher, auf pressetext.at, einem österreichischen Portal für Pressemitteilungen. Nur dort eben nicht als Bild.de-Artikel, sondern quasi wortgleich (mitsamt “Wer sich in Stockholm…”-Satz und allem) als Pressemitteilung des “Consulting-Unternehmens Mercer”. Bild.de hat den Text nur hie und da um Wörter wie “denn” und “immerhin” gekürzt, “Rumänen ist Europameister” drübergeschrieben – und am Ende aus einem ohnehin abwegigen Erklärungsversuch für die Preisunterschiede (siehe Kasten) eine Tatsache gemacht.

Darüber allerdings, was von der Studie überhaupt zu halten ist, hat sich bei Bild.de im Copy&Paste-Taumel offensichtlich niemand Gedanken gemacht: 1,20 Euro für 0,33 Liter Markenbier im einem Berliner Supermarkt?! Selbst im Berliner KaDeWe kostet die Flasche Beck’s zzgl. Pfand nur 67 Cent (Quelle: BILDblog-Recherche). Und fragt man bei Mercer nach, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die angegebenen Bier-Preise für den hauseigenen “Executive Cost of Living Report” eigentlich errechnet wurden, ist die Antwort nicht nur vorläufig, sondern auch ernüchternd: Vor-Ort-Mitarbeiter gehen in den angegebenen Städten “mit einer Einkaufsliste in einen Supermarkt” und melden anschließend die vorgefundenen Preise an Mercer. Um welchen Supermarkt es sich handelt oder so, will Mercer uns eventuell am Freitag mitteilen.*

Ach, ja: Noch vor zwei Wochen nannte “Bild” selbst als deutschen Durchschnittspreis für eine 0,5l-Flasche Beck’s Bier: 87 Cent.

*) Auch die österreichische Nachrichtenagentur APA veröffentlichte eine leicht umgeschriebene Version der Mercer-Pressemitteilung — und weder ORF.at noch Standard.at noch diepresse.com oder Oe24.at konnten widerstehen, ihr Gehirn auszuschalten und sie weiterzuverbreiten… Offenbar betrug der durchschnittliche Supermarktpreis für 0,5 Liter Bier in Österreich 2007 laut Statistik Austria übrigens 90 Cent.

Mit Dank an Leo für die Anregung.

Nachtrag, 13.6.2008: Bereits gestern hat sich die PR-Agentur comm.in wegen der Mercer-Studie noch einmal bei uns gemeldet – allerdings ohne echte Neuigkeiten: Wie uns eine Sprecherin sagte, handele es sich bei den angegebenen Bierpreisen um “Listenpreise”, die von “Feldforschern vor Ort in regulären Supermärkten ermittelt” würden: “Ich zweifle nicht daran, dass die Preise korrekt eingesammelt wurden.” Die Frage, in welchen Supermärkten die “Feldforscher” in Berlin, Wien usw. ihr Bier zu Fantasie-Wucher-Preisen einkaufen, konnte sie nicht beantworten. Immerhin: Bild.de hat reagiert und den “Artikel” noch einmal überarbeitet: Statt “Rumänen ist Europameister” heißt es nun in der Überschrift korrekt “Rumänien ist Europameister”. Das war’s. Ansonsten wird die absurde Pressemitteilung den Lesern weiterin unverändert als redaktioneller Beitrag verkauft.

Andreas Englisch ist leicht zu verwirbeln

Andreas Englisch ist bekanntlich “BILD-Vatikan-Korrespondent” und stellte am vergangenen Samstag diese bedeutungsschwangere Frage:

"Ermordeten Nazis den behinderten Cousin von Papst Benedikt?"
Vatikan – Bringt ein US-Historiker ein trauriges Geheimnis aus der Familiengeschichte unseres Papstes Benedikt XVI. (81) ans Licht? (…) Vom Vatikan war gestern keine Stellungnahme zu bekommen.

Keine Frage!


“Ein US-Historiker bringt ein trauriges Geheimnis aus der Familiengeschichte unseres Papstes Benedikt XVI. (81) ans Licht. Die Nazis haben 1941 einen Cousin Benedikts verschleppt und ermordet.

Enthüllt hat das der angesehene US-Historiker Brennan Purcell von der Universität De Sales (Pennsylvania) in seinem Buch „Benedikt von Bayern – ein intimes Porträt des Papstes“ (nur in den USA erschienen).

Auch der Vatikan bestätigt diese Geschichte. Georg Gänswein, Privatsekretär des Papstes, erklärte gegenüber BILD die Richtigkeit des traurigen Familien-Geheimnisses.”
(Quelle: Bild.de)

Und weil der Privatsekretär des Papstes die Sache nachträglich doch noch “gegenüber BILD” bestätigte, findet sich inzwischen auch eine (nachträglich um ein paar Fragezeichen, “solls” und Zweifel bereinigte) Fassung von Englischs Artikel bei Bild.de (siehe Kasten).

Sonderlich schwer dürfte es dem Vatikan jedoch nicht gefallen sein, “die Richtigkeit des traurigen Familien-Geheimnisses” zu bestätigen. Im Gegenteil: Der Fidesdienst des Vatikan hatte vor zweieinhalb Jahren schon beiläufig vermeldet, dass Papst Benedikt XVI. am 28. November 1996, damals noch als Kardinal, auf einer vom Päpstlichen Rat organisierten internationalen Konferenz eine Rede gehalten habe.

Dabei erzählte er den Anwesenden vom Fall seines jüngeren Cousins, den das Nazi-Regime 1941 getötet habe, weil er am Down-Syndrom erkrankt war.

Und für Leute, die diesen Fidesdienst nicht kennen, steht “das traurige Familien-Geheimnis” (“Bild”), das jetzt angeblich “enthüllt” wurde, seit April 2006 (und bis heute) auch bei Wikipedia.

P.S.: Anders als beim letzten Mal erhielten wir auf eine Anfrage bei Englisch bislang nicht nur keine ausführliche und falsche Antwort, sondern gar keine.

Wie kommen die jetzt nochmal darauf?

Wie kommt’s, dass Bild.de derzeit unter der Überschrift “Hat sich der Äquator verschoben?” und unter ausdrücklichem Verweis auf eine “Bild”-Geschichte aus dem Jahr 2003 (siehe oben) noch einmal ausführlich abaufschreibt, was damals schon in “Bild” stand?

  • A: In Deutschland ist gerade schönes Wetter.
  • B: Die entsprechende “Bild”-Ausgabe vom 8. August 2003 lag gerade zufällig in der Redaktion rum.

“Bild” verzichtet auf Urinprobe

Anscheinend ist es ja nicht so, dass “Bild” dieses kleine, nützliche Wort nicht kennte:

  • WER WIRD KANZLERKANDIDAT FÜR DIE BUNDESTAGSWAHL 2009? Dabei ist anscheinend längst alles klar: Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird’s!
  • Anscheinend wollen viele Frauen wahrgenommen werden als furzende, stinkende, schwitzende Urgeschöpfe.
  • Sie war die wildeste Pop-Diva der 80er – jetzt ist ihr anscheinend eher nach gediegenen Abenden: Sängerin Annie Lennox (53) war gemeinsam mit Ur-Rocker Mick Jagger (64) bei einem noblen Bankett in London.

Beliebt ist es bei “Bild” anscheinend aber nicht, das kleine Wort.

Kürzlich zum Beispiel, als die rechts-konservative “Junge Freiheit” zu berichten wusste, dass auf der Internetseite der Grünen Jugend Fotos vom 30. Bundeskongress zu sehen waren, auf denen u.a. drei junge Männer “offensichtlich eine Deutschlandfahne geschändet” hätten, hieß es in dem Bericht:

Unter den Bildern vom ersten Tag fanden sich bis gestern vier Fotos, auf denen drei Männer vor einer Deutschlandfahne stehen. Der Mittlere läßt dabei die Hosen herunter und uriniert anscheinend auf eine am Boden liegende Deutschlandfahne.

Doch als “Bild” die “Junge Freiheit”-Story anschließend weiterverbreitet, ist darin von einem Anschein keine Spur mehr:

"Grünen-Nachwuchs pinkelt auf Deutschland-Flagge!

Berlin - Drei junge Männer stehen im Kreis, lassen ihre Hosen herunter – und urinieren auf die deutsche Flagge. (...)"

Jedoch heißt es in einer Stellungnahme der Grünen Jugend zu der Entgleisung:

Bislang wurde von Augenzeugen klar bestätigt, dass auf die Deutschlandfahne nicht uriniert wurde, wie etwa von BILD berichtet wurde.

Und weil die sächsische NPD-Fraktion verbreitet, ihr Geschäftsführer Frank Ahrens habe Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gestellt, schreibt “Spiegel Online”:

Sollte der Fall tatsächlich vor Gericht landen, werden die Details des Vorfalls beim Strafmaß (…) eine große Rolle spielen.

Gerichtsrelevante Fragen sind: Woher stammte die Fahne? Fand der Vorfall am Rande, während, vor oder nach dem Bundeskongress statt – wurden die Hosen also privat oder öffentlich heruntergelassen? Und schließlich: Pinkelten sie oder pinkelten sie nicht?

Dabei hatte “Bild” doch die letzte Frage schon beantwortet — aber anscheinend nur scheinbar.

*) Über die “Bild”-kritische Stellungnahme der Grünen Jugend heißt es in “Bild” übrigens nur: “Die Nachwuchsorganisation hat sich mittlerweile zu dem Vorgang geäußert. ‘Wir begrüßen, dass die Grüne Jugend sich eindeutig von dem Vorgang am Rande ihres Bundeskongresses distanziert hat’, sagt die Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, in BILD.”

Nachtrag, 7.6.2008: Die Grünen-Politikerin Julia Seeliger schreibt auf ihrer Homepage unter der Überschrift “Von der ‘Jungen Freiheit’ zu ‘Bild'” u.a. über ihren Versuch, “herauszufinden, wer denn mit dem ‘Pinkel-Vorwurf’ begonnen hatte”.

Zu sexy, um nicht wahr zu sein

Auf sueddeutsche.de gibt es ja heute dieses Interview mit dem Paartherapeuten Ragnar Beer, aus dem wir mal kurz zitieren:

sueddeutsche.de: Eine Tageszeitung titelte kürzlich: “Jede zweite Ehefrau geht fremd” …

Beer: Woher wissen die das?

sueddeutsche.de: Die berufen sich auf Ihre Theratalk-Studie.

Beer: Dann haben die wohl etwas falsch verstanden.

sueddeutsche.de: Moment, in dem Artikel steht, dass 55 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer schon einmal eine Affäre hatten.

Beer: An unserer Studie nahmen aussschließlich Untreue teil. Davon sind 55 Prozent Frauen, 45 Prozent Männer. Mit dem Anteil der Untreuen in der Gesamtbevölkerung hat das nichts zu tun.

Aus der “Abendzeitung”

“55 Prozent der Frauen, auch verheiratete, gaben an, dass sie in ihrer Partnerschaft einen Seitensprung begangen haben. Männer (49 Prozent) leisten sich demnach zwar etwas weniger oft eine Affäre, sind dafür aber häufiger Wiederholungstäter (…).”

Aber wenn Sie jetzt glauben, Sie wüssten längst, welche “Tageszeitung” da wohl gemeint war… Irrtum: Es war die Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.”. Und sie war nicht einmal allein. Auch der “B.Z.”-Konkurrent “Berliner Kurier” berichtete: “Jede 2. Ehefrau geht fremd”. Und die “Augsburger Allgemeine”. Und Oe24.at. Und “Men’s Health”. Und alle hatten die falschen und falsch interpretierten Zahlen offensichtlich aus der Münchner “Abendzeitung” abgeschrieben, die bereits vorgestern über Beers Studie berichtet und sogar (anders als “B.Z.” und “Kurier”) mit Beer gesprochen zu haben scheint — und dennoch schrieb: “Jede zweite Frau betrügt ihren Partner” (siehe Kasten).

“Bild” wäre jedoch nicht “Bild”, wenn man sich so eine Geschichte entgehen ließe und den Unsinn nicht wenigstens online ebenfalls ungeprüft weiterverbreitete:

Männer, ihr müsst jetzt stark sein. Eine Umfrage enthüllt: Jede zweite Frau betrügt ihren Partner! Häufigster Grund: Sex-Frust.

Über diese Studie berichten die Berliner “B.Z.” und die Münchener “Abendzeitung”: Der Psychotherapeut Dr. Ragnar Beer (Universität Göttingen) ließ für die Treue-Studie “Theratalk” 5934 Männer und Frauen, viele verheiratet oder in langjährigen Partnerschaften lebend, zu ihrer Treue-Einstellung befragen.

Ergebnis: Die Frauen treiben’s schlimmer als die Männer. 55 Prozent gaben an, schon einmal ihren Partner betrogen zu haben. Das sagte bei den Männern nicht mal jeder Zweite (49 Prozent).

Mit Dank an Carsten K. für den Hinweis.

Auslassungen über “Titanic”-Satire

Weil auf den aktuellen Titelseiten der Satire-Magazine “Eulenspiegel” und “Titanic” ein Mann aus Amstetten zu sehen ist, den die “Bild”-Zeitung mit Vorliebe “Inzest-Monster” nennt, bewegen sich die beiden Magazine laut Bild.de “scharf am Rande zwischen Heiter- und Geschmacklosigkeit”.

Des Weiteren ist Bild.de offenbar nicht viel mehr dazu eingefallen, als die umstrittenen Titelbilder abzubilden, eigentlich längst beantwortete Fragen zu stellen (siehe Ausriss) und drei Leserkommentare aus Oe24.at, dem Online-Angebot der österreichischen Boulevardzeitung “Österreich”, nachzudrucken – eines allerdings, vermutlich aus Platzgründen, leicht gekürzt:

Bild.de-Version Originalversion
“Anstatt sich nun darüber zu ärgern, dass wir Deutschen Humor haben und ihr Österreicher keinen, sollte man lieber den Hintergrund von Satire erkennen. (…) Außerdem gibt es halt nun mal keine anderen Promis in Österreich…”
(Auslassung von Bild.de)
Anstatt sich nun darüber zu ärgern, dass wir Deutschen Humor haben und ihr Österreicher keinen, sollte man lieber den Hintergrund von Satire erkennen. Im gegebenden Fall wird ja nicht Österreich oder die Opfer des Herrn Fritzl verhöhnt, die Satire bezieht sich auf die geschmacklose Berichterstattung der Boulevardpresse und die kommerzielle Ausnutzung der menschlichen Schicksale. Beteiligten. Außerdem gibt es halt nun mal keine anderen Promis in Österreich…
(Hervorhebung von uns.)

Mit Dank an Mick für den Hinweis.

Sexy Klicks jetzt live bei BILDblog

Herzlich willkommen, liebe Leserinnen und Leser, beim diesjährigen Bilderklickmarathon der “100 schärfsten Frauen der Welt”, zusammengestellt von “FHM” und präsentiert von Bild.de! Schön, dass Sie live dabei sind! Und für alle, die sich erst jetzt hierher verirrt haben: Megan Fox hat in diesem Jahr das hübsche Näschen vorn, dicht gefolgt von Jessica Biel, Jessica Alba, Elisha Cuthbert und — doch was sehe ich da! Kate Beckinsale! Die Zehntplatzierte kann sich sogar über eine… ja, das ist tatsächlich eine waschechte Doppelplatzierung: gleichzeitig zehnt- und siebenundfünfzigstschärfste Frau der Welt! Wahnsinn! Gratulation an dieser Stelle auch an Beyonce Knowles, Natalie Portman, Keira Knightley, Gisele Bündchen, Carmen Elektra, Jessica Simpson, Rachel Bilson und, last not least, Cameron Diaz, die es ebenfalls auf zwei Bild.de-Platzierungen geschafft haben und… ach, schade, schade! Wie wir soeben erfahren, hat Diaz auch bei der Konkurrenz punkten können: Platz 27 beim parallel stattfindenden Klickmarathon der hundert “unsexiesten Frauen”! Das ist bitter… Schwacher Trost für Cameron: Sie ist in guter Gesellschaft! Heidi Klum, Christina Aguilera, Paris Hilton und Pamela Anderson haben es ebenfalls in beide Bild.de-Listen geschafft! Schärfste Frauen ohne Sex-Appeal, da wird Klickgeschichte, ach was: Bild.de-Geschichte geschrieben… Doch was ist das?! … Aus! Vorbei! Der Klickrichter signalisiert: Vorzeitiger Abbruch. Offenbar werden die Bild.de-Plätze 51 bis 100 komplett aus der Wertung genommen, da es sich dabei — anders als bei den ersten 50 — gar nicht um “FHM”-Platzierungen aus der offiziellen “100 sexiest Women in the World 2008”-Liste handelt. Sollte da womöglich der Bild.de-Frauenbeauftragte einfach irgendwelche anderen Listen zweitverwertet haben?! Billiges Faulspiel auf den hinteren Plätzen…? Wurden die Listen gedopt? Das wird wohl erst die Auswertung der Bilderstreckenposten zeigen.

Mit diesem traurigen Verdacht und Dank an die vielen Hinweisgeber geben wir zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

neu  

Radio Vatikan stellt “Bild”-Vatikanexperten bloß

Der Journalist Andreas Englisch arbeitet seit 1987 als Korrespondent im Vatikan. (…) Auch seit der Wahl des deutschen Papstes Benedikt XVI. gehört er dank seiner exzellenten Verbindungen zu den am besten informierten Journalisten im Vatikanstaat.
(Randomhouse.de über Andreas Englisch)

Englisch ist jedoch nicht nur einer der “am besten informierten Journalisten im Vatikanstaat”, sondern auch “Vatikan-Experte” der “Bild”-Zeitung. Für “Bild” schreibt er seit Jahren über den Papst und eine Kolumne, die “Der Papst + ich”, “Die Woche von unserem Papst” oder auch “Mein Leben mit dem Papst” heißt.

Und kürzlich behauptete er im Anschluss an die diesjährige Fronleichnamsprozession in Rom, Benedikt XVI. sei dort “erstmals” im Auto gefahren worden.

Wir hielten das für Unsinn und berichteten.

Englisch für Fortgeschrittene:

“(…) Besonders leid tat mir der Papst, als er vor kurzem am Altar unter der Last der Gewänder stolperte. Und als er während der Fronleichnamsprozession erstmals auf einem Lkw vor der Hostie, dem Allerheiligsten, kniend von der Lateranbasilika zur Marienkirche Santa Maria Maggiore gefahren wurde. Mit den ungeheuer schweren Kleidern, die wieder liturgische Gewänder von Papst Benedikt XV. waren, hätte er kaum zu Fuß der Prozession folgen können. (…)”
(Quelle: “Bild”-München)

Nachdem Englisch jedoch unlängst dasselbe noch einmal in der “Bild”-München behauptet hatte (siehe Kasten), haben wir bei ihm nachgefragt, wie er denn — trotz eindeutiger Beweislage — auf diese abwegige “erstmals”-Behauptung komme. Wir erhielten eine ausführliche und deutliche Antwort:

Wenn Sie sich die Fotos der Corpus Domini Prozessionen der vergangenen Jahre anzusehen, werden Sie merken, dass Sie unrecht haben.

Noch nie wurde ein Papst auf einem Lkw vor einer Hostie kniend von der Lateransbasilika nach Santa Maria Maggiore gebracht. Dass dies jedes Jahr üblich sei, wie Sie behaupten, ist schlicht falsch. Wie Sie aber auch jedem guten Fotoarchiv entnehmen können, gab es eine solche Fahrt bisher nicht. Bisher wurde die Hostie zu Fuß in einer Monstranz vor dem Papst her getragen. Der Vatikan beschloss in diesem Jahr zum ersten Mal, einen Lkw einzusetzen, auf dem der Papst, kniend vor der Hostie, gefahren wurde, weil Benedikt XVI. die ungeheuer schweren liturgischen Gewänder von seinem Vorgänger Papst Benedikt XV. angelegt worden waren. Richtig ist, dass der Papst in den vergangenen Jahren nicht die komplette Strecke zu Fuß ging, sondern für ein Teilstück das Papamobil benutzte, aber wie gesagt noch nie den in diesem Jahr erstmals eingesetzten Lkw und noch nie kniend vor der Hostie. Wie in “Bild”-München völlig korrekt dargestellt, gab es eine solche Überfahrt eines Papstes auf einem Lkw von der Lateransbasilika zur Kirche Santa Maria Maggiore in der Kirchengeschichte bisher nicht.

“Unrecht”, “schlicht falsch”, “bisher nicht”, “noch nie”? Deutlich kürzer, aber nicht weniger deutlich ist die Antwort von Radio Vatikan auf unsere Bitte um ein Statement zu den Ausführungen des “Vatikan-Korrespondenten” der “Bild”-Zeitung. Der Leiter der deutschsprachigen Radio-Vatikan-Redaktion, Pater Eberhard von Gemmingen, schreibt uns:

Seit Jahren knien die Päpste vor dem Allerheiligsten auf einem Autodeck bei der Prozession vom Lateran nach Maria Maggiore. Herr Englisch liefert leider wiederholt Fehlmeldungen. Das tut mir leid.

Springers internationaler Doppelpass

Es ist noch nicht allzu lange her, da hatte die große Axel Springer AG (laut Presserat) einem kleinen, unabhängigen Internetangebot, das sich kritisch mit der Springer-Zeitung “Bild” auseinandersetzt, vorgeworfen, es versuche, “sich auf einfachem Wege Material für ihre gewerbliche Tätigkeit zu verschaffen”, und “inszeniere die Wirklichkeit, die sie selbst zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung mache, und verstoße somit selbst gegen journalistische Grundsätze wie Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit”.

Heute nun macht “Bild” auf der Titelseite sowie groß im Sportteil publizistische Angriffe der Polen auf “unsere” Fußball-Nationalmannschaft zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung (siehe Ausrisse) — und schreibt:

Gestern erschien die polnische Zeitung “Fakt” mit einer Fotomontage auf der Titelseite: Michael Ballack mit Pickelhaube aus dem 1. Weltkrieg und Ritter-Umhang des Deutschen Ordens aus dem Mittelalter. (…)

Heute legt “Fakt” nach — eine Zeichnung auf dem Titelblatt zeigt Ballack in einem Trabi, Beenhakker [den polnischen Nationaltrainer] obendrauf. Überschrift: “Leo, besiege die Trabis.” (…)

Nicht zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung macht “Bild” heute, in welchem Verlag “die polnische Zeitung” erscheint, die die deutsche Mannschaft so angreift: “Fakt” ist eine Schwesterzeitung von “Bild”.

Mit Dank auch an die zahlreichen Hinweisgeber.

Nachtrag, 5.6.2008: “Spiegel Online” findet den Springerschen Doppelpass “pikant” und zitiert den Stellvertretenden Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, Alfred Draxler, der von Pikanterie nichts wissen zu wollen scheint: “Die ‘Fakt’ ist eine journalistisch völlig unabhängige Zeitung, wie die ‘Bild’ auch.” Der Axel-Springer-Verlag habe deshalb auch kein Problem damit, kritisch über das polnische Blatt zu berichten – im Rahmen eines “gesunden Binnenpluralismus”. Marietta Slomka hingegen kommentiert die “Aufregung um antideutsche Berichte” im aktuellen “heute journal” mit Süffisanz: “Die deutsche ‘Bild’ macht also Schlagzeilen mit den Schlagzeilen der polnischen ‘Bild’. Na, das trifft sich ja gut…” Und bei n-tv spricht man sogar von einer möglicherweise “geschickt inszenierten Medienkampagne” und bilanziert: “Ein Skandal, produziert vom Springer-Verlag.” Nun ja.

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