Üben wir mit einem fiktiven Beispiel. Nehmen wir an, von zehn Journalisten versteht einer was von Statistik. Dann besucht einer von den anderen erfolgreich einen Kurs “Statistik für Journalisten”. Damit verdoppelt sich die Zahl der Journalisten, die was von Statistik verstehen. Aber es halbiert sich nicht die Zahl der Journalisten, die nichts von Statistik verstehen.
Klar?
Gut, dann schauen wir uns jetzt die Statistikfähigkeiten von Journalisten in der Praxis an. Die “Welt am Sonntag” ist heute mit einem großen, mehrseitigen “Ehe-Report” erschienen. Unter der Überschrift “Heiraten? Ja, bitte! Oder?” berichtet sie unter anderem über Prognosen des Bevölkerungsforschers Jürgen Dorbritz, wonach ein erheblicher Teil der heute 20-Jährigen nie heiraten wird. Als Werbemaßnahme hat die “Welt am Sonntag” einige Ergebnisse und Zitate bestürzter konservativer Politiker vorab an die Agenturen gegeben, und so meldet dpa unter Berufung auf die “Welt am Sonntag” unter Berufung auf Dorbritz:
Gegenüber 1980 habe sich die Heiratswahrscheinlichkeit damit halbiert.
Im Vergleich zu 1980 habe sich die Heiratswahrscheinlichkeit damit halbiert.
Das wäre allerdings überraschend, denn die Wahrscheinlichkeit der heute 20-Jährigen, irgendwann mindestens einmal zu heiraten, liegt laut Dorbritz bei 69 Prozent (Frauen) und 62 Prozent (Männer). Demnach müsste die Heiratswahrscheinlichkeit 1980 bei weit über 100 Prozent gelegen haben, was schwer zu erklären, um nicht zu sagen: unmöglich wäre.
In Wahrheit hat sich nicht die Zahl derjenigen halbiert, die heiraten werden. Vielmehr hat sich bloß die Zahl derjenigen verdoppelt, die nicht heiraten werden.
Und dass diesen offenkundigen Fehler weder dpa gemerkt hat noch AFP noch sueddeutsche.de, wo man einen eigenen Remix aus mehreren Agenturen produziert hat, lässt unser Eingangsbeispiel noch optimistisch wirken.
Nachtrag, 5. April. Auf sueddeutsche.de ist plötzlich der ganze Artikel nicht mehr vorhanden. AFP hingegen hat die fehlerhafte Meldung heute Vormittag als “Feiertagswiederholung” einfach noch einmal gesendet.
Mit Dank an Matthias S.!