Am Dienstag machte die “Bild”-Zeitung groß mit der Nachricht auf, dass der britische Sänger Seal “mitten in der Scheidungs-Schlacht” von Model Heidi Klum Fotos der gemeinsamen Kinder verwendet hat, um für eine Kamera zu werben.
“Ob auch Heidi mit diesen Fotos glücklich ist”, fragte das Blatt bedeutungsschwanger und ließ sich von einem Experten für amerikanisches Familienrecht erklären, dass es “äußerst fragwürdig” sei, die minderjährigen Kinder “ohne Erlaubnis” der Mutter für so etwas zu nutzen.
“Bild”-Reporter Sven Kuschel formulierte:
Heidi Klum (39) wollte ihre Kinder immer schützen. Nun macht ihr Ex Seal (49) Werbung mit ihnen.
Unmittelbar über diesen Worten zeigte das “Bild” auf ihrer Titelseite die Fotos, um die es geht: Unverpixelte Aufnahmen von den Kindern, die Heidi Klum “immer schützen” wollte — zum Beispiel, indem sie keine unverpixelten Fotos von ihnen veröffentlichen ließ.
Man kann das dumm nennen oder dreist. Es war aber nicht halb so dreist wie das, was “Bild”-Mann Kuschel heute im Blatt treuherzig zu dem Thema nachtrug:
Das war wohl nicht mit Heidi abgesprochen … (…)
JETZT GIBT ES ZOFF UM DIE BILDER!
(…) Wie BILD erfuhr, hat Seal jedoch Heidi anscheinend nicht darüber informiert, dass er die gemeinsamen Kinder vermarkten will!
Klums Anwalt über die Veröffentlichung der Bilder: “Das ist rechtswidrig, denn meine Mandantin hat niemals darin eingewilligt, dass diese Bilder irgendwo gezeigt werden — weder in einem Film noch in einer Zeitung.”
Die Formulierung “Wie BILD erfuhr” ist offenbar eine Umschreibung dafür, dass der Anwalt von Heidi Klum eine Pressemitteilung herausgegeben hat. Und Anlass dieser Pressemitteilung war, man würde das aufgrund der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung nicht erahnen, die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung. Die Formulierung “Das ist rechtswidrig”, die Sven Kuschel zitiert, bezieht sich konkret nicht auf Seal, sondern auf “Bild”. Davor steht nämlich der Satz:
Die BILD-Zeitung hat die Kinder meiner Mandantin Heidi Klum heute völlig ungepixelt abgebildet. Das ist rechtswidrig.
Weiter heißt es:
Wir gehen für Frau Klum seit Jahren konsequent gegen die Verbreitung von Bildern ihrer Kinder vor, wenn diese auf den Fotos nicht unkenntlich gemacht wurden. Dabei wird es auch bleiben. Wir fordern die Medien auf, die rechtswidrige Berichterstattung der BILD-Zeitung nicht zu übernehmen und das Recht der Kinder auf ihre Privatsphäre zu respektieren.
Soviel Unaufrichtigkeit muss der “Bild” erst einmal jemand nachmachen: aus einem Schreiben, das ihr rechtswidriges Verhalten vorwirft, zu zitieren, ohne zu erwähnen, dass es sich gegen sie selbst richtet.
Die Kinderfotos sind inzwischen auch auf Bild.de unkenntlich gemacht.
Es war eine dieser Überschriften, von der Boulevardjournalisten nachts träumen:
Die Geschichte allerdings auch: Das Opfer hatte seinen späteren Mörder im Internet kennengelernt. Die beiden Männer trafen sich zum Sex in der Wohnung des Täters, dabei kam das Opfer zu Tode. Der Täter zerstückelte sein Opfer und kochte dessen Kopf.
“Bild” druckte ein Porträtfoto des Opfers, daneben ein Bild des Täters.
Bild.de berichtete unter anderem so:
Die Parallelen zum Film “Hannibal” sahen dabei so aus:
Im Film muss das Opfer Teile seines Gehirns essen. Im realen Fall fanden die Ermittler den gekochten Kopf des Opfers in einem Topf.
Wollte der Mörder sein Opfer vielleicht verspeisen, zögerte aber dann doch? “Es liegen uns keine kannibalistischen Anzeichen vor”, sagt Justizsprecher Martin Steltner.
Ein Leser beschwerte sich beim Presserat. Die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem das Opfer deutlich zu erkennen ist, sei im Zusammenhang mit den entwürdigenden Umständen seines Todes überflüssig. Er bemängelte weiter, dass auch der Täter eine Zeitlang auf der Startseite von BILD Online ungepixelt zu sehen war und dass seine HIV-Infektion erwähnt wurde.
Die “Bild”-Rechtsabteilung erwiderte, die Abbildung des Opfers stelle keinen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex dar, da sie im öffentlichen Interesse sei. Der Beitrag befasse sich immerhin mit einem “spektakulären und aufsehenerregenden Kapitalverbrechen”.
Der Artikel sei eine “Folgeberichterstattung zu den Berichten über die polizeiliche Suche nach dem Vermissten”. Medien dürften laut Pressekodex vermisste Personen zeigen, wenn dies in Absprache mit den zuständigen Behörden erfolge. In diesem Vermisstenfall habe die Polizei das Foto im Rahmen eines Fahndungsaufrufs öffentlich gemacht, mit der erneuten Veröffentlichung sollte ein Bezug dazu hergestellt werden.
Die zeitweise Veröffentlichung des ungepixelten Fotos des Täters auf der Startseite von Bild.de hingegen sei ein bedauerliches Versehen gewesen, für das sich die Redaktion entschuldige, erklärte die Rechtsabteilung.
Davon ab habe Bild.de den Täter aber auch zeigen dürfen: Das öffentliche Interesses überwiege das Persönlichkeitsrecht des Täters. Es handele sich um einen spektakulären Kriminalfall, bei dem sich der Ablauf und die beteiligten Personen von anderen Kriminalfällen unterscheiden würden (sic!). Selbst wenn man von einem Verstoß ausginge, wäre dieser nicht schwerwiegend, weil der Teaser nur kurz, nämlich zwischen 0.22 und 9.26 Uhr, zu sehen gewesen sei.
Außerdem liege auch noch eine Situation vor, für die Richtlinie 8.1 Abs. 4 sogar ausdrücklich eine Ausnahme von dem generellen Verbot der Abbildung von Tatverdächtigen vorsehe.
Diese Stelle im Pressekodex lautet übrigens:
Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt und Haftbefehl beantragt ist oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird.
Ob sie sich nun auf die Verbrechensaufklärung berufen (der Täter hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Geständnis abgelegt, bei dem er von einem “Sex-Unfall” als Todesursache gesprochen hatte) oder auf die Öffentlichkeit (das Opfer kam in der Zweizimmerwohnung des Täters zu Tode), ließen die Springer-Juristen offenbar offen.
Die Erwähnung der HIV-Infektion des Täters stelle ebenfalls keinen Verstoß gegen den Pressekodex dar. Sie ermögliche dem Leser eine Erklärung, warum der Mann sexuelle Dienste im Internet angeboten habe und es zu einem Treffen mit dem Opfer gekommen sei. Die Angabe trage damit dazu bei, dem Leser ein umfassendes Bild von der Tat zu ermöglichen.
Der Beschwerdeausschuss des Presserats hingegen kam zu der Einschätzung, dass Bild.de gegen den Pressekodex, Ziffer 8, verstoßen habe. Danach haben Opfer von Straftaten Anspruch auf besonderen Schutz. Bild.de aber habe das Opfer identifizierbar dargestellt, auf einem unverfremdeten Foto gezeigt, seinen Geburtsort und seinen letzten Wohnorts genannt und den Mann so für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar gemacht. Dazu habe es keinen Anlass gegeben.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Der Umstand, dass es um einen zunächst vermissten Mann gehe, rechtfertige keinen späteren Gebrauch des Fahndungsfotos (eine Tatsache, die “Bild” und Bild.de nichtakzeptieren).
Dass der Täter zunächst unverpixelt gezeigt wurde, sei aus Sicht des Beschwerdeausschusses presseethisch ebenfalls nicht vertretbar. Da Bild.de jedoch zeitnah reagiert hat, falle das nicht ins Gewicht. Dass der Täter in der gedruckten “Bild” dauerhaft unverpixelt zu sehen war, ist in diesem Fall unerheblich, da sich die Beschwerde gegen einen konkreten Artikel von Bild.de richtete.
Die Einschätzung des Presserates endet mit dem Satz:
Bei ausreichender Anonymisierung ist auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden.
Gemeint ist womöglich: “… wäre auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden gewesen”.
Der Beschwerdeausschuss urteilte, Bild.de habe ohne überwiegendes öffentliches Interesse tief in die Privatsphäre des Opfers und seiner Angehörigen eingegriffen. Er sprach eine öffentliche Rüge aus und bat die Redaktion traditionell, “die Rüge gemäß Ziffer 16 Pressekodex zeitnah zu veröffentlichen”.
Bild.de ist dieser Bitte nachgekommen.
Unter dem gerügten Artikel steht nun:
Hinweis der Redaktion:
Der Deutsche Presserat hat BILD.de für diese Veröffentlichung eine Rüge erteilt, weil das Opfer namentlich genannt, im Foto abgebildet und Stationen seines Lebens erwähnt wurden. Diese weitgehende Identifizierbarkeit ist nach Auffassung des Deutschen Presserates nicht mehr vom öffentlichen Interesse an dem spektakulären Mordfall gedeckt. Es lägen keine besonderen Begleitumstände vor, in denen eine Identifizierung in Einzelfällen erlaubt sei. Auch die Tatsache, dass es hier um einen zunächst vermissten Mann geht, rechtfertigt nach Meinung des Deutschen Presserates weder die Veröffentlichung des Fahndungsfotos noch die Abbildung eines anderen Fotos.
Über dem Artikel prangt weiterhin das beanstandete unverpixelte Foto des Opfers.
Sollte es in absehbarer Zeit zu einem Krieg zwischen Deutschland und Griechenland kommen, kann man den Leuten von “Bild” nicht vorwerfen, nicht alles dafür getan zu haben: Erst hetzen sie seit zwei Jahren gegen die “Pleite-Griechen”, jetzt haben sie sich auch noch auf ein Terrain vorgewagt, bei dem viele Menschen noch weniger Spaß verstehen als bei drohenden Staatspleiten — Fußball.
Und so klingt es, wenn sich so ein “Bild”-Reporter in einem polnischen Hotel frei bewegt:
Ich fühle mich wie 007.
Ich, der BILD-Reporter, spioniere bei den Griechen, unseren Gegnern am Freitag.
Nein, wir wussten auch nicht, dass die Griechen am Freitag gegen die Redaktionsmannschaft von “Bild” spielen. Aber vielleicht ist das Gefühl, “ganz Deutschland” zu sein, bei “Bild”-Mitarbeitern genauso tief verwurzelt wie ihre Boshaftigkeit gegenüber den Griechen:
Am Dienstag ziehe ich ein. Mein Doppelzimmer kostet 93 Euro pro Nacht. Lobenswert sparsam, die Griechen.
Überhaupt wirkt der ganze Text wie eine traurige Mischung aus dem Worst-Of-Programm von Fips Asmussen und dem Aufsatz “Mein schönstes Ferienerlebnis” eines Grundschülers:
Am härtesten arbeitet bei den Griechen die Kaffeemaschine. Sie haben zwei davon in ihrem Bereich. Eine kann Cappuccino und Latte Macchiato, die andere normalen Kaffee. Sie arbeiten Vollzeit.
Ja, Kaffee wäre jetzt wirklich hilfreich, so unspannend wie die Erlebnisse aus dem Mannschaftshotel sind:
Ich sehe Theofanis Gekas (32), den Stürmer aus der Bundesliga (Bochum, Leverkusen, Hertha, Frankfurt). Gekas hat Kopfhörer in den Ohren, hört Musik über sein iPhone. Der singt sich schon heiß aufs Spiel.
Fast wäre beinahe etwas vielleicht passiert:
Mit meinem Handy mache ich Fotos. Plötzlich tippt mich der Barkeeper an. Er will wissen, wer ich bin. Ist meine Zahnarzt-Tarnung (weißes Hemd, weiße Hose, weiße Turnschuhe) aufgeflogen? Ich schwitze. Cool bleiben. Ich tue so, als sei ich aus Russland und murmele “nix kappitschi”. Der Barkeeper zieht Leine. Puh…
Dann aber doch noch etwas, das überraschend zum Skandal taugt:
Plötzlich schreit jemand im Hinterhof. Ich renne hin, schaue um die Ecke und sehe Georgios Karagounis. Der ist 35 und Kapitän der Griechen. Er schreit in Disco-Lautstärke in sein Handy. Jedes zweite Wort ist “Malaka”. Ein griechischer Freund bringt mir bei, dass “Malaka” auf Deutsch so etwas heißt wie “Leck mich am Arsch”.
Den Brüller sehen wir am Freitag nicht auf dem Platz. Malaka-Karagounis ist gesperrt.
Derlei schnarchige Belanglosigkeiten, bemüht aufgeregt erzählt, haben offenbar dennoch ausgereicht, dass einzelne griechische Medien über den “Bild”-Reporter im Mannschaftshotel berichten.
Die Reaktionen scheinen aber vor allem einem Missverständnis geschuldet:
Auf der Homepage des griechischen TV-Senders “Star” steht: “Neue Provokation der BILD. BILD nennt Karagounis einen Malaka.”
In dem Bericht heißt es weiter: “Im Hotel der geliebten Nationalmannschaft ist ein deutscher Reporter der BILD eingedrungen und setzt seine Provokationen gegen das Spiel fort. Höhepunkt ist: Er nennt Karagounis einen Malaka – ein Arschloch.” Ein Missverständnis durch eine unglückliche Formulierung in BILD: Die Formulierung “Malaka-Karagounis” sollte keine Beleidigung des Griechen-Kapitäns sein (“Malaka” bedeutet unter anderem Wi…er)! Sondern ein Spitzname, weil Karagounis bei seinem Telefonat häufig “Malaka” sagte. BILD bedauert das Missverständnis.
Was halt so passiert, wenn skandalwillige Beinahe-Journalisten auf beiden Seiten mit erhöhtem Blutdruck mit Fremdsprachen hantieren.
Dieses internationale Doppelpass-Spiel könnte bis zum Viertelfinalspiel am morgigen Abend so weitergehen, wenn der “trojanische BILD-Spion”, dessen Gesicht die Zeitung verpixelt hat, nicht vorher auffliegt.
Nach unseren Informationen handelt es sich bei dem Mann um Jörg Weiler, der sonst bei Borussia Dortmund für “Bild” im Einsatz ist und dort unter anderem an der unrühmlichen Berichterstattung über einen im Stadion tödlich verunglückten Fan beteiligt war.
In Troja gewannen damals übrigens die Griechen, wie sogar “Bild” richtig erklärt.
Mit Dank auch an Martin E., Michael, Dietfried D. und Ernst R.
Der Deutsche Presserat hat die nebenstehende “Bild”-Titelseite nicht beanstandet.
Am 16. März zeigte die “Bild”-Zeitung die Portraits von 15 Kindern, die bei einem Busunglück in der Schweiz ums Leben gekommen waren. Die Bilder waren in einem Gedenkraum im Rathaus von Lommel, der belgischen Heimatstadt der Kinder, abfotografiert worden.
In der ARD sagte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hinterher, man habe vom Bürgermeister die Genehmigung zu dieser Art der Veröffentlichung bekommen. Der Bürgermeister dementierte. Seine Sprecherin sagte ebenfalls in der ARD, er habe die Medien von Anfang an aufgefordert, keine Fotos zu zeigen. Die Eltern der Kinder hätten ausdrücklich darum gebeten, ihre Privatsphäre zu respektieren.
Wer hat Recht? Der Beschwerdeausschuss des Presserates urteilte: “Bild”. Und wies mehrere Beschwerden als unbegründet zurück:
Die Zeitung hatte die Bilder mit Genehmigung der Stadtverwaltung in dem Gedenkraum aufgenommen. Sie konnte in gutem Glauben davon ausgehen, dass eine Einwilligung der betroffenen Eltern vorlag.
Auf Nachfrage von uns erklärt eine Sprecherin des Presserates, wie das Gremium zu diesem Urteil kam:
Wir haben uns im Zuge der Beschwerde mit dem belgischen Presserat (Raad vor de Journalistiek) in Brüssel in Verbindung gesetzt und von dort erfahren, dass nach deren Erkenntnis es von Seiten der Stadtverwaltung den Journalisten tatsächlich genehmigt worden war, in dem Gedenkraum zu fotografieren.
Dort gab es nach Veröffentlichung ebenfalls große Diskussionen wegen der Opferfotos. Inwieweit Vertreter der Stadt die Genehmigung im Namen der Eltern geben konnten, wird beim Presserat in Belgien zurzeit stark diskutiert.
Die “Bild”-Zeitung hat in ihrer Stellungnahme dem Presserat gegenüber überzeugend dargelegt, dass sie nach einer Pressekonferenz in Lommeln mindestens zwei Personen der Stadt gefragt hat, ob sie in dem Gedenkraum fotografieren dürfe. Diese hätten den Fotografen genehmigt, Aufnahmen zu machen.
Vor diesem Hintergrund hat der Presserat die Veröffentlichung akzeptiert.
Beanstandet wurde vom Presserat dagegen die Art des “Berliner Kurier”, über das Unglück zu berichten. Das Blatt hatte u.a. auf dem Titel Gruppenbilder der Kinder gezeigt; die Gesichter, die nicht von Sonnenbrillen verdeckt wurden, hatte der “Kurier” verpixelt. Der Presserat urteilte:
Die Bilder stammten aus dem privaten Bereich und standen nicht mit der Gedenkfeier in Zusammenhang. Eine Einwilligung der Eltern für eine Veröffentlichung lag offensichtlich nicht vor. In der Berichterstattung zitierte die Redaktion zudem aus dem Reisetagebuch, das die Schüler ins Internet eingestellt hatten. Darin hinterließen sie persönliche Gefühle und Nachrichten an ihre Eltern. Der Ausschuss sah in der Verbindung von Text und Fotos einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre von Kindern und Angehörigen und sprach eine Missbilligung aus.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Warum ein “schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre” von tödlich verunglückten Kindern und ihren Angehörigen nur zu einer “Missbilligung” führt und nicht zur schärfsten stumpfen Waffe des Presserates, einer “Rüge”, ist eines der nach wie vor ungelösten und mutmaßlich unlösbaren Rätsel dieses Selbstkontroll-Gremiums.
Mit “Stylebook” (“Powered by Bild.de”) versucht die Axel Springer AG, am Erfolg von Fashionblogs und Modewebsites teilzuhaben. Die Verlinkungen auf der Startseite von Bild.de dürften ordentlich Klicks bringen, zum Beispiel bei dieser Geschichte:
Iris, die elfjährige Tochter von Schauspieler Jude Law (39) und Sadie Frost (46), sorgte jetzt auf der Londoner Fashion Week für Entsetzen. Grund: Zu einer Show trug sie ein Kleid mit makaberen Sprüchen: “fall tot um”, “trink Gift”, “iss Schei***”. Mama Frost will von nichts gewusst haben, obwohl sie daneben saß.
Den Eltern des Kindes war das offenbar sehr unangenehm:
Iris’ Mutter, Schauspielerin Sadie Frost, schien nicht bemerkt zu haben, was für ein Kleid ihre Tochter anhatte. Sie twitterte:
“Ich scheine Leute aufgeregt zu haben. Ich bin selbst schockiert über das Kleid, das Iris trug. Es war ein Geschenk.”
Und:
Auch Iris’ Vater, Schauspieler Jude Law (39), reagierte. Laut “Daily Mail” soll er die Zeitung gebeten haben, in ihrer Berichterstattung Rücksicht zu nehmen. Er soll gebeten haben, Iris’ Gesicht auf den Fotos, auf denen sie das entsprechende Kleid trägt, zu pixeln. Die Zeitung kam der Aufforderung nach.
Tatsächlich hat die “Daily Mail” ihrer Berichterstattung folgenden Hinweis vorausgestellt:
HINWEIS: Es ist nicht die übliche Verfahrensweise von MailOnline, die Gesichter von Prominentenkindern zu anonymisieren, wenn diese in Begleitung ihrer Eltern öffentliche Veranstaltungen besuchen, wo sie erwarten müssen, fotografiert zu werden, wie etwa in der ersten Reihe bei einer Modenschau.
Trotzdem haben wir uns entschieden, Iris Laws Gesicht zu verpixeln, angesichts der für ein junges Mädchen peinlichen Art des Vorfalls, wir folgen damit einer höflichen Anfrage ihres Vaters, Jude Law.
Mit Dank an Simon, Daniel, Anticlimbpaint und Leo.
Nachtrag, 18.45 Uhr: “Stylebook” hat die Fotos verpixelt und folgenden Hinweis in den Artikel eingefügt:
(Nachtrag der Redaktion, 16.30 Uhr: Sorry, lieber Jude Law, das ist uns zunächst durch die Lappen gegangen. Deiner Bitte kommen wir natürlich auch nach.)
Länger nicht mehr gezeigt haben wir diese “Bild”-Eigenwerbung aus dem Jahr 2006:
Gestern machte “Bild” bundesweit mit einem spektakulären Kriminalfall auf:
Der Fall einer Bochumer Arzt-Gattin, die ihren Liebhaber erst betäubt, dann vergiftet und erstochen hatte (anschließend zündete sie auch noch seine Wohnung an), hatte überregional für Aufsehen gesorgt — im vergangenen September, als die Tat stattfand.
Auch “Bild” hatte damals schon in der Ruhrgebietsausgabe groß über die Ereignisse berichtet, das Gesicht der Tatverdächtigen damals allerdings noch verpixelt. Gestern prangte ihr Foto unverfremdet deutschlandweit auf der Titelseite. Die einzige andere Neuigkeit ist die, dass das Landgericht Bochum vergangene Woche den Zeitplan für den Mordprozess veröffentlicht hat, was in der Bild.de-Version des Artikels aber nicht einmal erwähnt wird.
Es ist überhaupt rätselhaft, warum Bild.de gestern zwei recht unterschiedliche Artikel der gleichen Autoren veröffentlichte: den aus der gedruckten “Bild” und einen zweiten. Dass der Mord schon vier Monate zurückliegt, geht aus keinem der Texte hervor, obwohl einer der Autoren schon damals an der Berichterstattung beteiligt war.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Eine verheerende Entwicklung” (faz-community.faz.net, Peer Schader)
Die RTL-Sendung “Das Supertalent” werde prägend sein für unsere Fernsehkultur, ob wir das wollen oder nicht, schreibt Peer Schader. “Es geht darum, immer wieder neu, künstliche Paul-Potts-Momente zu schaffen, mit dem Spielsüchtigen, der sich hässlich findet, mit Ausgegrenzten, manchmal auch mit Gewaltopfern, die vor der Kamera erzählen, wie sie als Kind geschlagen wurden, als ob der Applaus des Publikums nachher alles ungeschehen machen könnte.”
3. “Burnout im Netz?” (wolfgangmichal.de)
Keineswegs, findet Wolfgang Michal: “Die Zeit, in der Blogs, Social Media und Netzpolitik eine wirkliche Rolle spielen, fängt gerade erst an.”
4. “Die mutigsten Hurensöhne der ganzen TV-Branche” (profil.at, Sebastian Hofer)
Sebastian Hofer spricht mit David Simon, unter anderem Drehbuchautor und Produzent von “The Wire”, über HBO und klassisches Fernsehen: “Fernsehen kam mir immer so vor, als würde es nur existieren, um mir etwas zu verkaufen. Alle zwölf Minuten bleibt die Geschichte stehen, um mir Bluejeans anzudrehen.”
5. “Interessenkonflikte: Wie sollten Journalisten darüber berichten?” (medien-doktor.de)
Klaus Koch über den Umgang mit Interessenskonflikten: “Immer, wenn Menschen zueinander eine Beziehung haben, verändert das ihr Urteil übereinander. Wissenschaftler und Ärzte (und natürlich auch Journalisten) sind hier keine Ausnahme. Wenn eine Person, die in einem Beitrag als Experte zitiert wird, eigene (sekundäre) Interessen hat, kann es sein, dass sie wichtige Aspekte entweder über- oder unterbewertet.”
6. “‘Germans’ from Public Parts by Jeff Jarvis” (scribd.com, Jeff Jarvis, englisch)
“Private Germans” und “The German Paradox” aus dem Buch “Public Parts” von Jeff Jarvis: “So, on the one hand, German politicians said Google was violating citizens’ privacy by gathering data. On the other hand, they were demanding that Google hold on to citizens’ private communication should government wish to use that information against them.”
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Mit leisen Sohlen zum Quotenrekord” (rockbär.de, Sebastian Pertsch)
Sebastian Pertsch spricht mit Michael Kessler über seine Deutschland-Expeditionen: “Das nervt mich schon lange, dass die meisten sogenannten Reportagen und Dokumentation inzwischen nur noch ein Bild vom arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger – rechtsradikal, frustriert, doof, hässlich – zeigen. Ich kannte den Osten Deutschlands überhaupt nicht und lernte ihn erst durch die Expeditionen richtig kennen. Vor Ort zeigt sich ein völlig anderes Bild.”
2. “Der Zeilenwüstling” (tagesspiegel.de, Torsten Körner) Hans Zippert im Porträt: “Kein Dauerredner. Kein Selbstverherrlichungskünstler. Lebt in Oberursel. In einer Doppelhaushälfte.”
3. “Sommerinterviews à la Lindenstraße” (cicero.de, Alexander Kissler)
Die Sommerinterviews im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: “Mehr Phrasen und Parolen passen in keine Sendung. Sprache ist hier Graubrot weit jenseits des Haltbarkeitsdatums. Wo ein Mensch erscheinen soll, lauert das Klischee. Adorno hätte seine helle Freude an diesen Entstellungen der Wirklichkeit.”
Die These, dass die Anonymisierungsversuche bei Bild.de irgendeiner (wenn auch sehr speziellen) Logik folgen könnten, haben wir schon vor einigen Jahren verworfen.
Und doch überrascht die Seite immer wieder mit neuen, kreativen Spielarten:
Ja: Die haben wirklich verschiedene Startseiten-Teaser gebaut, auf denen jeweils rechts ein anonymisiertes Foto aus dem Gerichtssaal zu sehen ist und links eine unbearbeitete Porträtaufnahme des Angeklagten.
Eine Art Erklärungsversuch hätten wir dann aber doch noch: Die aktuellen Fotos aus dem Gerichtssaal kamen bereits verpixelt von den Agenturen — das ältere Bild des Angeklagten liegt Bild.de jedoch offenbar unbearbeitet vor.