Suchergebnisse für ‘suizid’

Filter blockiert Hilfsangebote, DJV vs. Lindner, Streit um “Beewashing”

1. Deutschlands wichtigster Jugendschutz-Filter blockiert Hilfsangebote
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Die Jugendschutzsoftware JusProg, die in Deutschland zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet eingesetzt wird, hat laut netzpolitik.org fälschlicherweise wichtige Informationsseiten zu Themen wie Verhütung, Coming-out und Suizidprävention blockiert. Eine Untersuchung habe ergeben, dass mindestens 74 seriöse Hilfsangebote irrtümlicherweise als “ab 18 Jahren” eingestuft und dadurch blockiert worden seien.
Weiterer Lesehinweis: Der Beitrag des an der Recherche beteiligten Bayerischen Rundfunks: Offizieller Jugendschutz-Filter blockiert Aufklärungsseiten (br.de, Julia Barthel & Katharina Brunner). Außerdem hat Sebastian Meineck in einem Kommentar “fünf Forderungen für gute Jugendschutz-Filter” formuliert (netzpolitik.org).

2. DJV weist Medienschelte zurück
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Kritik von Bundesfinanzminister Christian Lindner an der Berichterstattung der Medien zurückgewiesen. Lindner hatte bei einem Auftritt vor protestierenden Landwirten die Medien aufgefordert, “vor der linksextremistischen Unterwanderung der Klimakleber” zu warnen. Der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster betonte, über die Aktionen der “Letzten Generation” und die damit verbundenen Gerichtsverfahren sei umfassend berichtet worden. Journalistinnen und Journalisten bräuchten keine Ratschläge des Finanzministers.

3. Vom Wetterfrosch zur Glücksfee
(taz.de, Florian Bayer)
Florian Bayer kritisiert einen ORF-Mitarbeiter, der sich offenbar für Glücksspielwerbung einspannen ließ. Dies sei nicht der einzige Fall von Nebentätigkeiten von ORF-Mitarbeitern, der Fragen nach möglichen Interessenkonflikten und mangelnder Transparenz aufwerfe. Trotz neuer und strengerer interner Regelungen des öffentlich-rechtlichen österreichischen Senders bleibe die öffentliche Transparenz über solche Nebentätigkeiten und mögliche Interessenskonflikte unklar.

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4. OpenAI will ChatGPT gegen Desinformation sichern
(zeit.de)
Im Jahr 2024 finden in mehreren Ländern wichtige Wahlen statt, darunter die USA, Indien und Großbritannien. Anlässlich dieser Ereignisse möchte das Unternehmen OpenAI Werkzeuge zur Erkennung von Desinformation in seinen Chatbot ChatGPT integrieren. Diese Werkzeuge sollen den Nutzerinnen und Nutzern helfen, ChatGPT-generierte Texte zu erkennen und festzustellen, ob Bilder von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Außerdem sollen Interessierte bei Fragen zu den US-Wahlen auf offizielle Webseiten umgeleitet werden.

5. Presseclubs? Nein, danke! Auslandskorrespondenz in Japan
(de.ejo-online.eu, Jana Niehoff)
Jana Niehoff hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit sechs deutsche Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten in Japan zu deren Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie vor dem Hintergrund des japanischen Presseclub-Systems befragt. Die Ergebnisse seien überraschend: Entgegen der landläufigen Kritik hätten sich die Befragten durch das System nicht eingeschränkt gefühlt und es nicht als wesentlich für ihre Arbeit angesehen.

6. Böhmermann-Klage: Bio-Imker aus Meißen lehnt Einigung ab
(mdr.de)
Jan Böhmermann hat einen Imker aus Meißen verklagt, weil dieser ohne Böhmermanns Zustimmung dessen Bild und Namen für Honigwerbung verwendet haben soll. Der Imker habe seine Aktion als Reaktion auf einen satirischen Beitrag Böhmermanns zum Thema “Beewashing” verteidigt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Dresden sei keine Einigung erzielt worden.
Weiterer Lesehinweis: Bei Legal Tribune Online kommentiert Max Kolter den Fall aus juristischer Sicht: Muss Jan Böhmermann Beewashing-Werbung dulden?

Böhmermann-Zwist, Neue Leitlinien, Umtriebige TV-Doktoren

1. “Gerechtigkeit für alle Kriegsopfer”
(taz.de, Tigran Petrosyan)
Katerina Sergatskova, Chefredakteurin des unabhängigen Online-Mediums “Zaborona” in Kiew, spricht im Interview mit der “taz” über die Herausforderungen für Journalisten und Journalistinnen in der Ukraine. Trotz Schwierigkeiten wie dem eingeschränkten Zugang zu Kriegsgebieten und der Kommunikation mit dem Militär sieht Sergatskova auch Positives: “Der Journalismus in der Ukraine ist sehr gereift. Meines Erachtens hat sich eine große Solidarität unter den Medienschaffenden entwickelt. Sie sind bereit, sich gegenseitig zu helfen, nützliches Wissen zu teilen, voneinander zu lernen. Im Vergleich zum Anfang der Invasion sind wir heute viel besser vorbereitet und zuversichtlicher in unserem Handeln.”

2. Hat Jan Böh­m­er­mann wir­k­lich falsch berichtet?
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, hat rechtliche Schritte gegen das ZDF und insbesondere gegen die Sendung “ZDF Magazin Royale” von Jan Böhmermann eingeleitet, da er sich durch die Berichterstattung falsch dargestellt fühlt. Schönbohm verlangt eine Geldentschädigung in Höhe von 100.000 Euro und wendet sich gegen bestimmte Behauptungen in der Sendung. Bei “Legal Tribune Online” hat sich der Jurist Felix W. Zimmermann den Fall angesehen und kommt zu folgendem Ergebnis: “Zusammenfassend ist die ZDF-Sendung zu Schönbohm aufgrund ihrer Einseitigkeit und Selektivität kein Ruhmesblatt für den ‘journalistischen Arm’ des ZDF Magazin Royals. Presserechtlich angreifbar ist der Bericht allerdings nicht, da er nach aktueller Kenntnislage keine falschen Tatsachenbehauptungen enthält.”
Weiterer Lesetipp: Beim “RedaktionsNetzwerk Deutschland” kommt Jan Böhmermann zu Wort: “Ein Komplott? Ein herrlich deutscher Quatsch”: Jan Böhmermann verteidigt “Cyberclown”-Recherchen (rnd.de, Imre Grimm).

3. Neue Leitlinien für Berichterstattung über assistierten Suizid
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein & Martin Krebbers)
Medien kommt bei der Berichterstattung über Suizide eine besondere Verantwortung zu, da diese zu Nachahmungstaten führen kann. Bisherige Leitlinien für Journalistinnen und Journalisten hätten den assistierten Suizid kaum berücksichtigt, dies ändere sich nun, insbesondere durch Empfehlungen aus Österreich. Dort wurde der “Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid” (PDF) entsprechend aktualisiert: “In der medialen Berichterstattung über assistierte Suizide gelten grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie generell in der Berichterstattung über Suizid.”
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

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4. Journalistin Zhang Zhan: den Tod vor Augen
(reporter-ohne-grenzen.de)
In China werden kritische Medienschaffende nach wie vor gnadenlos verfolgt, wie die Fälle von Zhang Zhan, Yang Hengjun und Zhou Yuanzhi zeigen. Die Journalistin Zhang Zhan, die über die Anfänge der Covid-19-Pandemie in Wuhan berichtete, ist seit 2020 inhaftiert und durch einen Hungerstreik, mit dem sie ihre Unschuld beteuert, gesundheitlich schwer geschädigt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert die Freilassung aller in China inhaftierten Journalistinnen und Journalisten und weist auf die Risiken hin, denen diese ausgesetzt sind, sowie auf die häufige Verweigerung medizinischer Versorgung durch das Regime.

5. Bekannte TV-Doktoren nehmen auch Geld von Firmen
(infosperber.ch, Martina Frei)
Bei “Infosperber” geht es um die britischen Zwillingsbrüder und Ärzte Chris und Xand van Tulleken, die häufiger im TV auftreten. Diese hätten zugegeben, Geld von Firmen für Werbung und Vorträge angenommen zu haben. So seien Chris van Tulleken “routinemäßig” 20.000 britische Pfund für einen einstündigen Vortrag angeboten worden, während sein Bruder Xand rund 100.000 britische Pfund für eine Werbekampagne für private Bluttests erhalten habe. Aber auch die Tätigkeit der im deutschen Fernsehen aktiven Ärzte Eckart von Hirschhausen und Johannes Wimmer sei nicht immer unproblematisch.

6. Kann man sich den Fußball sparen?
(verdie.de, Günter Herkel)
Sport, insbesondere Fußball, ist eines der größten Zugpferde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, entsprechend viel Geld geben die Anstalten aus, um Inhalte einzukaufen. Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts, schlägt nun vor, dass ARD und ZDF aufgrund der hohen Kosten für die Übertragungsrechte aus dem Bieterwettstreit um die teuren Fußballübertragungen aussteigen sollten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle sich auf ein “unabhängiges, werteorientiertes und wissensbasiertes Programm” konzentrieren. Gunter Herkel hält davon gar nichts und spricht von einem “Schlag ins Gesicht von Millionen Beitragszahler*innen, die selbstverständlich Live-Sport im öffentlich-rechtlichen TV sehen wollen.”

Zur Rückkehr von Marion Horn

Im November 2019, als klar war, dass Marion Horn den Axel-Springer-Verlag verlassen wird, hatten wir hier im BILDblog einen kritischen Blick auf Horns Schaffen als Chefredakteurin der “Bild am Sonntag” veröffentlicht: Zum Abschied von Marion Horn.

Was von uns als Rückschau auf die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme gedacht war, könnte nun als Vorschau dienen: Gestern wurde bekannt, dass Marion Horn zum Springer-Verlag zurückkehrt, als Vorsitzende der Chefredaktionen der “Bild”-Gruppe. Daher veröffentlichen wir unseren Beitrag von damals unverändert hier noch einmal: Zur Rückkehr von Marion Horn.

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Marion Horn war nicht mal ein halbes Jahr im Amt, da zeigten sich selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. So schrieb das Hetzportal “Politically Incorrect” im März 2014 verblüfft:

Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? (…) Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.

Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: “Islam-Rabatt für Jolins Mörder”. Ohne Fragezeichen!

Tatsächlich behauptete die “Bild am Sonntag” gemeinsam mit den anderen “Bild”-Medien ohne Fragezeichen, in Deutschland gebe es einen “Islam-Rabatt”, also mildere Strafen vor Gericht, wenn es sich bei den Straftätern um Muslime handelt.

Titelseite BILD am Sonntag: Islam-Rabatt für Jolns Mörder

In Wahrheit kam eine Studie, die die “Bild”-Medien als vermeintlichen Beleg für den in Deutschland vorherrschenden “Islam-Rabatt” anführten, sogar zum genau gegenteiligen Schluss: Deutsche Strafgerichte würden sogenannte Ehrenmörder “nicht milder als andere Beziehungstäter” behandeln, “sondern sogar strenger.”

Der zweite Artikel in der “Bild am Sonntag”, über den sich “Politically Incorrect” damals so freute, war ein Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – große “BamS”-Überschrift: “‘Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka'”.

Fazit der Fremdenfeinde:

“Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze”, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.

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So ging sie also los, Marion Horns Karriere als Chefredakteurin der “BamS”. Und nun, gut sechs Jahre später, geht sie zu Ende: Wie der Axel-Springer-Verlag in dieser Woche mitteilte, verlässt Horn die “Bild am Sonntag”.

Mit “Kompetenz und Leidenschaft” habe sie als Chefredakteurin “insbesondere die investigative und politische Relevanz von BILD am SONNTAG geprägt”, sagte Springer-Chef Mathias Döpfner.

Werfen wir zum Abschied also einen Blick zurück auf ihr glorreiches Werk.

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Als erste Frau an der Spitze der “BamS”, als bekennende “schlimme Feministin” ging es ihr immer auch darum, ein Zeichen zu setzen: für Frauen, gegen Sexismus. Klischees und stereotype Rollenbilder seien ihr zuwider, sagte sie mal, und dagegen kämpfe sie an:

Wir versuchen bei “BamS”, andere Frauenbilder zu zeigen.

Zum Beispiel solche:

Ein großes Foto in der

Herzogin Kate war im Mai 2014 “dem Wind sei Dank” das Kleid hochgerutscht, wodurch ihr Po entblößt wurde.

Der Windhauch des royalen Helikopters bei der Landung in den australischen Blue Mountains sorgte für diesen kurzen, aber magischen Moment.

Diesem “magischen Moment” widmete die “Bild am Sonntag” unter Feministin Horn fast die ganze letzte Seite.

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Im Juli 2014 veröffentlichte die “BamS” neben den anderen “Bild”-Medien zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die beim Abschuss eines Flugzeuges über der Ukraine ums Leben gekommen waren.

Eine Erlaubnis der Angehörigen hatte die Redaktion nicht eingeholt. Die Veröffentlichung wurde später auch vom Presserat kritisiert.

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Wenige Tage später entschied sich Marion Horn für den Abdruck eines islamfeindlichen Kommentars ihres damaligen Stellvertreters Nicolaus Fest. “Der Islam stört mich immer mehr”, schrieb er darin, ihn störe “die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund”, “die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle” und vieles mehr. Der Islam sei wohl “ein Integrationshindernis”, was man “bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen” solle.

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Nach massiver Kritik verließ Fest die “Bild am Sonntag”. Horn entschuldigte sich mehr oder weniger – und blieb.

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Im Monat darauf verkündete die “Bild am Sonntag” exklusiv, Schauspieler Henning Baum habe das Ende seiner Serie “Der letzte Bulle” bestätigt. Noch am selben Tag teilte sein Management mit, das Zitat in der “BamS” sei frei erfunden.

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Zwei Wochen später berichtete die “Bild am Sonntag” über den Mord an einem 14-jährigen Mädchen und druckte im Artikel ein Foto des vermeintlichen Täters, das die Redaktion bei Facebook geklaut hatte:

Tatsächlich hatte der Abgebildete überhaupt nichts mit der Tat zu tun.

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Im Dezember 2014 fragte die “Bild am Sonntag” empört:

Haben wir nicht alle Lichter am Baum?

Denn in Berlin-Kreuzberg, so die Behauptung der “BamS”, müsse der Weihnachtsmarkt neuerdings “Winterfest” heißen. Auf “dem Altar der politischen Korrektheit” werde “die christliche Tradition geopfert”, insinuierte das Blatt.

In Wahrheit stimmte die Geschichte gar nicht: “Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal”, erklärte das zuständige Bezirksamt auf unsere Nachfrage. Die “Bild am Sonntag” hatte sich das Weihnachtsmarktverbot ausgedacht – und lieferte den besorgten Bürgern und Islamhassern einmal mehr neue Munition.

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Im darauffolgenden Frühjahr berichtete die “BamS”, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft Franz Beckenbauer wegen der WM-Vergabe an Russland und Katar als Zeugen befragen wolle. Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte auf unsere Nachfrage mit, dass das Quatsch sei. Die Geschichte in der “Bild am Sonntag” sei sogar “mehrfach falsch”. Die Redaktion habe nicht mal bei ihr nachgefragt.

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Im Monat darauf schrieb die “BamS” auf ihrer Titelseite, Angela Merkel habe in Bayreuth einen “Kollaps” erlitten.

Angela Merkel - Kollaps in Bayreuth
Zwei Stunden nach diesen Fotos kippte Merkel um

Die Meldung des angeblichen Schwächeanfalls verbreitete sich rasend schnell, doch kurz darauf brachte die Nachrichtenagentur AFP folgende (wortwörtliche) Breaking News:

Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen

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Im August 2015 wurde in Schleswig-Holstein die Leiche eines Mannes gefunden, der Suizid begangen hatte. Daraufhin bat die Polizei die Medien darum, die Fotos, die sie zur Fahndung veröffentlicht hatte, “aus der Berichterstattung zu nehmen”.

Die “Bild am Sonntag” ignorierte nicht nur die Bitte der Polizei, sondern lieferte möglichen Nachahmern auch gleich noch den genauen Ort des Suizids:

Von dieser Brücke sprang ein Vater in den Tod

(Wenn du selber Probleme hast, depressiv bist oder über Suizid nachdenkst, kansst du dich jederzeit unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 an die TelefonSeelsorge wenden.)

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Anfang 2016 druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Zugunglück in Bad Aibling gestorben waren.

Diesen 11 Opfern schuldet ihr die Wahrheit! (dazu 11 Porträtfotos)

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Wenige Monate später druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in München getötet worden waren.

Titelseite der

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Im September 2016 druckte die “Bild am Sonntag” einen Gastkommentar des Fußballers Arne Friedrich. Der meldete sich kurz darauf bei Twitter zu Wort und erklärte, die Redaktion habe in seinem Kommentar rumgepfuscht. Als Beweis schickte er einen Screenshot seines Originaltextes mit:

Negative Überschrift eingesetzt, Textteile weggelassen, so wird aus positiv plötzlich negativ. @HerthaBSC @bild Daumen-nach-unten-Emoji

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An Ostern 2017, nachdem ein Mann einen Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verübt hatte, titelte die “Bild am Sonntag”:

Gott sei Dank -BVB-Bomben zündeten eine Sekunde zu spät

Wie sich später herausstellte, war auch diese Geschichte Unsinn. Die Bundesanwaltschaft teilte in einer Pressemitteilung mit, die Sprengsätze seien “zeitlich optimal gezündet” worden.

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Anfang 2018 behauptete die “Bild am Sonntag”:

4 von 5 Flüchtlingen fallen bei Deutsch-Test durch

Doch auch diese Schlagzeile war falsch. Tatsächlich ergab die Statistik, dass nicht “4 von 5 Flüchtlingen” bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Insgesamt schafften nicht nur 20 Prozent einen Abschluss, wie von “BamS” behauptet, sondern 76 Prozent.

Auch diese falsche Schlagzeile war eine willkommene Vorlage – nicht nur für andere Medien, sondern vor allem für rechte Hetzer.

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Wenige Wochen später schrieb die “Bild am Sonntag”:

Weil Behörde Asylantrag zu spät bearbeitete - 7300 Euro im Monat für Flüchtlingsfamilie

Was in der Überschrift schon mal nicht klar wurde: Dabei handelte es sich nicht um eine drei- oder vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Zudem wurden die 7300 Euro für die zehnköpfige Familie nicht bar ausgezahlt, sondern ein Großteil wurde schon vorher abgezogen, um die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim inklusive aller Nebenkosten zu begleichen. Auch die Dauer der Bearbeitung war entgegen der “BamS”-Behauptung komplett irrelevant. Und auch sonst gab sich die “Bild am Sonntag” große Mühe, in dem Artikel möglichst viel Irreführendes und Falsches unterzubringen.

Tatsächlich hätte jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Davon war in der “Bild am Sonntag” allerdings nichts zu lesen.

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Als im Dezember 2018 über die Nachfolge von Angela Merkel an der Spitze der CDU abgestimmt werden sollte, veröffentlichte die “Bild am Sonntag” eine Liste von 1001 Delegierten und verriet, für welchen Kandidaten/welche Kandidatin sie jeweils stimmen würden. Allerdings erklärten daraufhin etliche der angeblich Befragten, sie hätten überhaupt nicht mit der “Bild am Sonntag” gesprochen.



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Sechs Jahre war Marion Horn Chefredakteurin der “Bild am Sonntag”. Sechs Jahre, in denen ihr Blatt Unwahrheiten in die Welt setzte, Persönlichkeitsrechte verletzte und den Hass gegen den Islam befeuerte. Die Liste ließe sich noch viel weiter fortsetzen, mit Schleichwerbung, geheuchelter Selbstkritik oder politischen Kampagnen.

Oder wie man beim Axel-Springer-Verlag sagt: “Kompetenz und Leidenschaft”.

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Schlechte Jahresbilanz, Rekordhoch, Neues Hilfsangebot “Helpline”

1. So viele Journalisten in Haft wie nie zuvor
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Report ohne Grenzen hat ihre alljährliche Bilanz der Pressefreiheit veröffentlicht (PDF), in der die Zahlen der schwersten Übergriffe auf Medienschaffende weltweit im zu Ende gehenden Jahr dokumentiert werden. Die Zahl inhaftierter Medienschaffender sei 2022 auf ein Rekordhoch gestiegen: “Zum Stichtag 1. Dezember saßen weltweit mindestens 533 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, so viele wie nie zuvor. Mehr als die Hälfte ist in den Gefängnissen von nur fünf Ländern inhaftiert: China, Myanmar, Iran, Vietnam und Belarus.”

2. Wann Medien Behördendaten veröffentlichen dürfen
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein & Mirjam Kid)
Wie am Montag in den “6 vor 9” berichtet, erhebt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zusammen mit dem Journalisten Michael Kreidl eine sogenannte negative Feststellungsklage gegen den Freistaat Bayern. Das Land missbrauche das Urheberrecht, um die Pressefreiheit einzuschränken, so der Vorwurf. Das bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung hatte zuvor Kreidl angezeigt, weil dieser einen angeblich urheberrechtlich geschützten Datensatz geografischer Daten zum Thema Windkraftausbau veröffentlicht habe. Der Deutschlandfunk hat einen Medienrechtsexperten um seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten der GFF-Klage gebeten.

3. Fake, Fake, hurra
(kontextwochenzeitung.de, Jürgen Lessat)
Nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande würden angesehene Redaktionen immer öfter versuchen, mit Falschmeldungen den politischen Diskurs zu beeinflussen, findet Jürgen Lessat. Er führt dazu einige Beispiele an wie einen Beitrag in der “FAZ”, der Radfahrern denselben CO2-Fußabdruck wie Fahrern “eines schönen SUV der Kompaktklasse” attestierte, und die Blackout-Angstkampagne einiger Springer-Medien.

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4. Beste Quoten für “Bericht aus Berlin” und “Berlin direkt”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
“Der ‘Bericht aus Berlin’ im Ersten erreicht 2022 eine Rekordquote, ‘Berlin direkt’ im Zweiten bleibt Marktführer der politischen Fernsehmagazine.” Immer wieder hört man von zunehmender Nachrichtenmüdigkeit und wachsender Nachrichtenresilienz, doch die Erfolge der Polit-Magazine von ARD und ZDF würden das Gegenteil beweisen, findet Joachim Huber, und das sei die gute Nachricht des Jahres für den krisengeschüttelten öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

5. Helpline: Süddeutsche Zeitung unterstützt Hilfsangebot für Journalist:innen mit psychosozialen Problemen
(netzwerkrecherche.org)
Das Dart Centre for Journalism & Trauma Europe und Netzwerk Recherche wollen künftig die erste unabhängige, anonyme und kostenlose Telefonberatung für Journalistinnen und Journalisten mit psychosozialen Problem anbieten. “Dank einer großzügigen Förderung durch die Süddeutsche Zeitung können wir bald mit der Fortbildung interessierter Kolleg:innen beginnen und die notwendige Infrastruktur aufbauen”, so Malte Werner von Netzwerk Recherche: “Um auch mit dem Herzstück des Projekts – der telefonischen Beratung der Betroffenen – loslegen zu können, braucht es allerdings weitere Förderer.”

6. Twitter löst offenbar Kontrollgremium auf
(tagesschau.de)
Derzeit vergeht kaum ein Tag ohne weitere negative Nachrichten über das Twitter des Elon-Musk-Zeitalters. Wie die “Tagesschau” berichtet, habe der Kurznachrichtendienst ein wichtiges Kontrollgremium aufgelöst, den Trust and Safety Council. Der Rat sei 2016 gegründet worden, um Twitter bei Themen wie Hassrede, Ausbeutung von Kindern, Suizid und Selbstverletzung sowie anderen problematischen Thematiken im Netzwerk unabhängig zu beraten. Doch damit nicht genug an schlechten Nachrichten: Twitter feuert alle Mitarbeiter der Pressestelle in Deutschland (faz.net).

Schwarzer Twitter-Freitag, Feel-Good-Movie?, “Spiegel”-Kampagne

1. Twitter beginnt heute mit Massenentlassungen
(br.de, Marcus Schuler)
Für viele der rund 7.500 Twitter-Beschäftigten dürfte der heutige Freitag ein rabenschwarzer Tag werden. Denn heute sollen sie erfahren, ob sie ihren Job verlieren oder behalten. Die Maßnahme sei notwendig, “um den Erfolg des Unternehmens auch in Zukunft sicherzustellen”, so ein firmeninternes Memo. Das Firmengebäude von Twitter am Hauptsitz in San Francisco sei heute geschlossen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien aufgefordert worden, nicht ins Büro zu kommen, die Firmenausweise hätten ihre Gültigkeit verloren.

2. “Falter” legte Hellers Anwälten die Recherchen vorab vor
(derstandard.at)
Diese Woche berichtete der österreichische “Falter” über einen Kunstskandal der besonderen Art: Eine Wiener Galerie habe einen drei Millionen Dollar teuren Rahmen des berühmten Künstlers Jean-Michel Basquiat angeboten. Bei dem Verkäufer habe es sich um den bekannten Allround-Künstler André Heller gehandelt. Doch eben jener Heller soll das angebliche Basquiat-Werk selbst zusammengebastelt haben. Nun schließt sich eine Diskussion an, ob die “Falter”-Redaktion den Anwälten Hellers im Vorfeld der Artikel-Veröffentlichung zu weit entgegengekommen ist.

3. “Bei der sechsten Mail-Anfrage kommt die Depression”
(journalist.de, Annkathrin Weis)
Larena Klöckner wusste bereits vor ihrem Einstieg in die Ausbildung zur Journalistin, dass sie Depressionen hat, und hat sich trotzdem für den Beruf entschieden. Im Interview mit dem “journalist” erzählt sie von den Auswirkungen auf ihren Arbeitsalltag und der Resonanz auf ihren Beitrag bei “Übermedien”, in dem sie erstmals von ihren Depressionen berichtet hatte.
Hinweis: Solltest Du Depressionen oder Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

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4. Himmler will 100 Millionen Euro im Programm umschichten
(dwdl.de, Alexander Krei)
ZDF-Intendant Norbert Himmler hat auf die jüngsten Äußerungen von ARD-Chef Tom Buhrow reagiert. Dieser hatte kürzlich eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen gefordert und die Existenz der zwei Sender infrage gestellt. Beim Pressegespräch in Berlin habe es vom ZDF-Intendanten nun Contra für den ARD-Chef gegeben.

5. Ein Feel-Good-Movie für serbische Nationalisten
(hessenschau.de, Danijel Majić)
Dem serbischen Regisseur Boris Malagurski wird vorgeworfen, in seinem bisherigen Werk nationalistische Propaganda verbreitet und den Völkermord in Srebrenica verharmlost zu haben. Daher regte sich gegen seinen neuesten Film (“Republika Srpska – Kampf für die Freiheit”) Widerstand. Europweit hätten Kinos den Film aus dem Programm genommen. In Frankfurt sei er dennoch zu sehen gewesen. Danijel Majić schildert die Hintergründe und ordnet den Fall sowie Malagurskis neuen Film ein.

6. Sagen, was nicht ist
(uebermedien.de, Olivia Samnick)
Der “Spiegel” hat eine neue Werbeaktion gestartet, in der Falschausssagen plakativ hervorgehoben werden. Olivia Samnick hält diese offensichtlich provokativ gemeinte Plakatkampagne für bedenklich: “Falschaussagen wirken – auch dann, wenn man ihnen widerspricht. Sie setzen sich in unseren Köpfen fest. Fake News haben eine brachiale Kraft und sind, wenn sie einmal im Umlauf sind, kaum zu stoppen. Wie schwer sich eine Richtigstellung nach einer Falschinformation tut, sollte den meisten Medien mittlerweile bekannt sein – gerade im Social Web, wo die ‘Spiegel’-Kampagne auch ihre Kreise ziehen wird.”

Buhrows Nichtwissen, Döpfners Gebet, Somuncus Gedankengeröll

1. ARD-Spitzen wussten seit Jahren von rbb-Bonussystem
(rbb24.de, René Althammer & Jo Goll & Daniel Laufer & Oliver Noffke)
Wie ein unabhängiges rbb-Rechercheteam im eigenen Haus ermittelt hat, soll der öffentlich-rechtliche Sender die restliche ARD über das (mittlerweile abgeschaffte) Bonussystem für rbb-Führungskräfte informiert haben. Das gehe aus einem internen Schreiben hervor. Der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow hatte bisher stets besritten, von Boni gewusst zu haben, die WDR-Pressestelle bestreitet auch weiterhin, dass es in der Kommunikation mit dem rbb um “Boni” gegangen sei.

2. “Washington Post”: Mathias Döpfner soll zum Gebet für Trump-Sieg aufgerufen haben.
(turi2.de, Daniel Sallhoff)
Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner soll einem Bericht der “Washington Post” zufolge vor der US-Wahl 2020 in einer E-Mail zum Gebet für einen Sieg von Donald Trump aufgerufen haben. Döpfner habe die Existenz der Mail zunächst abgestritten und wolle sie nach Vorlage eines Ausdrucks als ironisch verstanden wissen. Eine Argumentation, die einem bekannt vorkommt: Seine geleakte Mitteilung an den Autor Benjamin von Stuckrad-Barre über Deutschland als “neuen DDR Obrigkeitsstaat” wollte Döpfner später ebenfalls ironisch gemeint haben.

3. Serdar Somuncu kündigt “künstlerischen Suizid” an (und hat damit vielleicht schon begonnen)
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Kabarettist und Podcaster Serdar Somuncu moderiert seit sechs Jahren am Sonntagnachmittag auf Radio Eins die “Blaue Stunde”. Die Sendung am vergangenen Sonntag muss besonders bemerkenswert gewesen sein. Somuncu habe die Hörer und Hörerinnen über zwei Stunden mit einem “wüsten, nicht enden wollenden Gedankengeröll zugeschüttet”, so Medienkritiker Stefan Niggemeier: “Es ist ein wilder Ritt durch Somuncus kunstvoll unsortierte Gedanken, ein verwirrter und verwirrender Monolog. Einige Versatzstücke könnten aus einem handelsüblichen Kabarett-Soloprogramm stammen, weitere aus einem religiösen Selbstfindungsprogramm, andere von einer Rede auf einer Querdenker-Demo, noch andere aus einer nachts nach zweieinhalb Flaschen Rotwein entwickelten, überaus selbstbezüglichen Theorie über das Wesen der Egozentrik.”

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4. So berichten Sie angemessen über Wetterextreme
(journalist.de, Leonie Sontheimer)
Beim “journalist” gibt die freie Klimajournalistin Leonie Sontheimer Medienschaffenden Tipps für eine bessere Berichterstattung über Wetterextreme. Es gehe darum, den Zusammenhang zwischen Extremwetter und Klima herzustellen, angemessen zu bebildern, nicht nachzulassen und “einen Schritt weiter zu denken”.

5. Propaganda mit gefälschten SZ-Videos
(sueddeutsche.de, Jannis Brühl & Benedikt Heubl & Simon Hurtz)
Unbekannte haben die Website der “Süddeutschen Zeitung” nachgebaut, um von dort aus pro-russische Propaganda auszuspielen: “Die Urheber versuchen augenscheinlich jene Menschen zu erreichen, die bekannten Medien vertrauen und obskure Kanäle eher meiden, beispielsweise den in Russland entwickelten Messenger Telegram, auf dem sich nationalistische Gruppen tummeln.” Dass die Fakes viele Menschen erreicht haben, sei jedoch unwahrscheinlich.

6. Transfeindliche Hetzseite vom Netz genommen
(spiegel.de)
Über viele Jahre ging von der Troll-Plattform “Kiwi Farms” Hass, Hetze und Stalking gegen trans Personen, Frauen und queere Menschen aus. Nun habe ein wichtiger technischer Dienstleister der Plattform den Stecker gezogen. Damit sei es für die Hintermänner schwierig, die Hetzseite weiterzubetreiben.

Schlesingers Rücktritt, Trollforum “Kiwi Farms”, Klimajournalismus

1. Schlesinger tritt als RBB-Intendantin zurück
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz & Alexander Fröhlich & Benjamin Lassiwe)
Nachdem Patricia Schlesinger am Donnerstag bereits von ihrem Posten als ARD-Vorsitzende zurückgetreten ist, legte sie gestern auch ihr Amt als RBB-Intendantin nieder. Zuvor hatte es neue Vorwürfe gegeben, welche sich auf allerlei Extra-Zuwendungen sowie die Kosten für den Umbau von Schlesingers Büro bezogen. In einem Kommentar schreibt Kurt Sagatz: “Noch größer, wenn nicht sogar irreparabel ist allerdings der Schaden für das Ansehen des RBB und die Reputation des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Nicht nur den erklärten Gegner von ARD, ZDF und Deutschlandfunk steht nun ein gewaltiges Arsenal von Beispielen zur Verfügung, was bei den Öffentlich-Rechtlichen im Argen liegt und warum dieses System nicht zu retten ist.”

2. Das Troll-Forum “Kiwi Farms”
(belltower.news)
“Belltower.News”, das Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung, analysiert “ein rechtsradikales Trollforum” namens “Kiwi Farm”, dessen User und Userinnen mehrere Menschen in den Suizid getrieben haben sollen: “Den Nutzer*innen wird unter der hohngrinsend vorgetragenen Behauptung, es würde um die Verteidigung von free speech gehen, jegliche Menschenverachtung durchgewunken. Die Plattform bietet eine Möglichkeit zur Vernetzung, zur gemeinsamen Suche nach neuen Opfern, und zum Austausch von Material zur weiteren Radikalisierung.”

3. Parteiisch, aber unabhängig
(taz.de, Christopher Wimmer)
Im Vergleich zum Rest Syriens herrscht im Nordosten Pressefreiheit mit einer hoch politisierten Medienladschaft. Ein entscheidender medialer Akteur sei dabei das “Rojava Information Center”, berichtet Christopher Wimmer: “Die unabhängige Medienorganisation mit Sitz in der Großstadt Qamişlo koordiniert die Arbeit internationaler Jour­na­lis­t*in­nen und veröffentlicht auch eigene Inhalte. Seit seiner Gründung 2018 hat sich das Center zu einem bedeutenden Akteur der lokalen Presselandschaft entwickelt.”

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4. Wie der Kreml die Pressefreiheit in Russland immer weiter einschränkt
(de.ejo-online.eu, Christopher Baczyk)
Die journalistische Berichterstattung in Russland war bereits vor dem Krieg gegen die Ukraine eingeschränkt, jetzt ist sie fast unmöglich. Christopher Baczyk fragt sich, wie es so weit kommen konnte, und wie die Russinnen und Russen noch an unabhängige Informationen kommen. Sein Fazit: “Es gibt kleine Hoffnungsschimmer. Doch die russische Medienlandschaft ist fest in der Hand des Kremls.”

5. Ich rede mit, also bin ich
(tagesspiegel.de)
Beim “Tagesspiegel” blickt “tip”-Chefredakteurin Stefanie Dörre auf die vergangene Medienwoche zurück: Worüber hat sie sich am meisten geärgert? Worüber am meisten gefreut? Und was empfiehlt sie gerade aus dem Internet?

6. Klimajournalismus
(sr.de, Isabel Sonnabend & Thomas Bimesdörfer, Audio: 19:04 Minuten)
Bei “Medien – Cross und Quer” sprechen und diskutieren Isabel Sonnabend und Thomas Bimesdörfer mit Raphael Thelen vom Netzwerk Klimajournalismus. Ihre Themen: Wie sieht eine angemessene Klimaberichterstattung aus? Wo ist die Linie zwischen Journalismus und Aktivismus? Werden Klimathemen genug abgebildet? Und wie kann Klimajournalismus in einer neuen Form in Redaktionen integriert werden?

Diversität in Aufsichtsgremien, Absturz bei Jüngeren, Rolf Kauka

1. Wen vertreten eigentlich die Rundfunkräte von ARD und ZDF?
(uebermedien.de, Fabian Goldmann)
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben eine Untersuchung über Diversität in Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht (PDF). Es gehr dabei um die Fragen: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind in den Gremien vertreten? Welche Stimmen bleiben ungehört? Welche informellen Faktoren wie Zugang zu Ressourcen oder politische Loyalitäten beeinflussen die Machtverhältnisse in den Gremien? Fabian Goldmann war für die Untersuchung als Autor verantwortlich. Bei “Übermedien” stellt er die wichtigsten Ergebnisse vor.
Kritik an der Auswertung kommt von “DWDL”-Chef Thomas Lückerath bei Twitter – wiederum mit Widerspruch zur Kritik in den Antworten.

2. “Mein Postfach muss nicht jede Beleidigung der Welt schlucken”
(mdr.de, Marc Zimmer)
Nach sieben Jahren nahezu täglicher Twitter-Präsenz hat die Ärztin und Autorin Natalie Grams-Nobmann ihren Account gelöscht. Im Interview mit dem MDR hat sie über ihre Beweggründe gesprochen, die mit dem Tod ihrer österreichischen Kollegin Lisa-Maria Kellermayr zu tun haben: “Ich ertrage es nicht mehr, in diese Hölle zu blicken, wo Menschen den Tod eines anderen Menschen, den Suizid eines anderen Menschen regelrecht feiern – und das als Schuldeingeständnis dieser wirklich bedrohten und verfolgten Ärztin sehen und sich so darüber erheben.”

3. Weiblicher Auslandsjournalismus weltweit: Berichterstattung aus dem Libanon
(fachjournalist.de, Julia Neumann)
Julia Neumann berichtet als Auslandskorrespondentin aus dem Libanon. In ihrem Beitrag für den “Fachjournalist” geht es um die Vorurteile hinsichtlich Gefahrenpotenzial und Diskriminierung. Neumann kann die gängigen Klischees nicht bestätigen. Das Gegenteil sei der Fall: “Tatsächlich erfahre ich im Libanon, aber auch in Jordanien oder in den Emiraten kaum Diskriminierung als Reporterin. Im Gegenteil: Ich kann unverblümt mit aus Syrien geflüchteten Frauen in einem Zelt sitzen und zuhören, wie sie über Genitalhygiene oder die Periode reden. Auch im Iran habe ich viele Frauen zu ihrer politischen Meinung bei den Wahlen befragen können. Als Reporterin habe ich einen direkten Zugang, vor allem zu Frauen in ländlichen Gegenden.”

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4. Absturz bei Jüngeren: So schnell altert das lineare Fernsehen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Mit 59 Jahren habe das Durchschnittsalter des deutschen TV-Publikums im ersten Halbjahr 2022 einen neuen Höchststand erreicht, berichtet Uwe Mantel bei “DWDL”. Dies hänge mit der allgemeinen demografischen Entwicklung, mit dem Wandel der Mediennutzung und mit dem Umstand zusammen, dass TV-Geräte bei den Älteren immer länger laufen würden.

5. Neue Narrative für den Krieg
(taz.de, Barbara Oertel)
Zwei Handreichungen aus der russischen Präsidialverwaltung von Mitte Juli würden festlegen, wie staatstreue Medien über den Krieg, der so offiziell nicht heißen darf, berichten sollen. Barbara Oertel fasst zusammen, mit welchen Argumenten die Medien der Bevölkerung den Krieg mitsamt seiner Folgen erklären sollen.

6. Fix & Foxi als ewige Pimpfe
(kreuzer-leipzig.de, Stefan Pannor)
In seinem Buch “Fürst der Füchse” beschäftigt sich der Historiker Bodo Hechelhammer mit dem Leben des Comic-Verlegers Rolf Kauka (unter anderem “Fix & Foxi” und “Bussi Bär”), dessen Verstrickungen mit dem Bundesnachrichtendienst und Kaukas rechter Gesinnung. Für den Journalisten und Comic-Spezialisten Stefan Pannor ergibt sich nach Lektüre des Buchs folgendes Bild: “Kauka wie seine Comics waren Produkte bundesdeutscher Kontinuitäten über den NS-Staat zur Adenauer-Republik bis zur Kohl-Kanzlerschaft. Der Finanzminister Klaus Kinkel, ebenfalls Wessel-Intimus, besorgte Kauka das Bundesverdienstkreuz. Erster Klasse, natürlich. In Kaukas Lebensgeschichte, wie der vieler, die nach der NS-Zeit zu Ruhm und Geld gelangten, zeigt sich das Bild eines Menschen, der gleichzeitig unfassbar reich und mächtig war, der sich aber dennoch nach zwei verlorenen Weltkriegen als zu kurz gekommen sah, als ‘Herrenmensch’, der keiner sein durfte.”

Lisa-Maria Kellermayr, Klima-Quiz, BBC-Meteorologen im Hass-Sturm

1. Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung
(puls24.at, Corinna Milborn & Magdalena Punz)
Die Redaktion des österreichischen Fernsehsenders Puls 24 ist erschüttert vom Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr: “Es steht uns nicht zu, über die Umstände ihres Todes zu spekulieren, aber wir dürfen uns davon nicht abhalten lassen, über ihr Leben zu sprechen: wie viel sie im Kampf gegen Covid leistete, wie sie zum Ziel rechtsextremen Terrors wurde – und wie Behörden und Politik sie in einem beispiellosen Versagen alleine ließen.”
Weitere Lesehinweise: Beim “Standard” ist einem lesenswerten Nachruf eine Chronologie der Ereignisse angehängt, und im “Falter” konnte man bereits Anfang Juli über die verfahrene Situation lesen.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

2. BBC-Meteorologen wurden während Hitzewelle für Berichterstattung beschimpft
(derstandard.de)
Als die BBC-Meteorologen über die jüngste Hitzewelle in Großbritannien berichteten, seien sie in noch nie dagewesenem Ausmaß mit Hass und Hetze konfrontiert gewesen. Das Team habe Hunderte von beleidigenden Tweets beziehungsweise E-Mails erhalten, in denen sie beschimpft und ihre Berichte infrage gestellt wurden. Das vermeintliche Vergehen der Wetter-Experten: Sie hatten bei der Präsentation der Rekordtemperaturen auf das Thema Klimawandel hingewiesen.

3. Angriffe aufs System
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die Medienlandschaft ist im Wandel. Mit erheblichem Einsatz versuchen immer mehr verschwörungsideologische Portale, ihre Ansichten unter die Leute zu bringen. Matthias Meisner fasst die jüngsten Entwicklungen zusammen und erklärt, was an den sogenannten Parallelmedien so gefährlich ist.

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4. “Gut wird es erst, wenn wir die Veränderungen annehmen”
(journalist.de, Joachim Braun)
Der freie Journalist Sebastian Dalkowski kritisierte im April dieses Jahres in einem persönlichen Beitrag die Arbeitsbedingungen im Lokaljournalismus und erklärte, warum er gerade zum ersten Mal ans Aufhören denke. Nun greift Joachim Braun, Chefredakteur der “Ostfriesen-Zeitung”, Dalkowskis Beitrag auf: Ist wirklich alles so schlimm?

5. Die “FAZ” war 2021 so profitabel wie seit den 90ern nicht
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Trotz rückläufiger Werbeeinnahmen habe die “FAZ” im vergangenen Jahr ihren Gewinn erheblich steigern können. Sie sei nach eigenen Angaben so profitabel wie seit den 90er-Jahren nicht mehr. Uwe Mantel hat die kompletten Zahlen.

6. Ist TikTok oder Facebook schlechter für das Klima?
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
“Das Netz braucht ungefähr so viel Strom wie ganz Indien. Aber was ist problematischer: Downloaden oder Streamen, Scrollen oder Posten? Und wie viel sparen Sie mit abgeschalteter Kamera im Videoanruf?” Max Hoppenstedt hat ein Quiz mit einigen Schätzfragen zusammengestellt. Die korrekten Antworten sind im einen oder anderen Fall durchaus überraschend.

Die Uber Files, Depressionen, Die Rückkehr des Dieter B.

1. Wie Uber deutsche Medien umwarb
(tagesschau.de, Petra Blum & Andreas Braun & Catharina Felke & Benedikt Strunz)
Eine anonyme Quelle hat dem “Guardian” mehr als 124.000 vertrauliche Dokumente aus dem inneren Kreis des Fahrtenvermittlers Uber zugespielt. Die Auswertung der Daten wurde durch das Internationale Konsortium Investigativer Journalistinnen und Journalisten (ICIJ) durchgeführt. Ein Ergebnis: Bei seiner Lobby-Arbeit habe Uber in Deutschland auf den Springer-Konzern gesetzt und sich dabei vor allem für den damaligen “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann interessiert. Der Springer-Konzern habe nicht nur Hilfe angeboten, sondern auch in in das Start-up investiert.
Weitere Lesehinweise: Die “Süddeutsche Zeitung” fasst zusammen: Was man über die Uber Files wissen muss. Und auch der “Spiegel” bietet eine Zusammenstellung der wichtigsten Fragen und Antworten. Die “FAZ” könnte Betroffene der Uber-Lobbyarbeit sein. Dort hatte der Ökonom Justus Haucap einen Gastbeitrag verfasst. Nur wenige Tage später hatte Haucap einen Vertrag mit Uber geschlossen – unter anderem über das Verfassen eines Presseartikels. Haucap könne “heute nicht mehr rekonstruieren, um welchen Beitrag es sich dabei gehandelt haben soll.”

2. In eigener Sache: Ich habe Depressionen
(uebermedien.de, Larena Klöckner)
“Ich habe Depressionen. Und bin der Meinung, dass darüber im Journalismus mehr gesprochen werden muss. Nicht etwa, weil ich mir anmaße, zu sagen, dass es eine depressive Person im Journalismus schwerer als in anderen Berufen hat. Darum soll es nicht gehen. Vielmehr darum, die täglichen Herausforderungen in einer Branche zu zeigen, die Auszeiten nicht vorsieht und Überarbeitung etwa in Form von möglichst vielen und oft unbezahlten Praktika quasi voraussetzt.” In einem sehr persönlichen Text hat Larena Klöckner aufgeschrieben, wie sie als Journalistin mit Depressionen arbeitet und lebt: “Es geht um Druck, Versagensängste und Hilflosigkeit.”
(Solltest Du Depressionen oder gar Suizidgedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

3. Elon Musk will Twitter nicht mehr übernehmen: Was wird jetzt aus der Plattform? – Interview mit Simon Hurtz
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:48 Minuten)
Wie gestern in den “6 vor 9” berichtet, hat Tech-Milliardär Elon Musk seine Vereinbarung zum Kauf von Twitter für aufgelöst erklärt. Der Deutschlandfunk hat Simon Hurtz vom “Social Media Watchblog” angerufen und um seine Einordnung gebeten. Hurtz erklärt die möglichen Szenarien, gibt eine Einschätzung ab, weist aber auch auf die Unsicherheitsfaktoren hin.
Weiterer Lesehinweis: Twitter rüstet sich für Gerichtsschlacht mit Musk (spiegel.de).

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4. Weitere Schikanen gegen Medien
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband protestiert gegen die Sperrung des Nachrichtenportals Welt.de durch die russischen Zensurbehörden sowie gegen die geplante Liquidierung des russischen Journalistenverbands. Die Sperrung der digitalen “Welt” sei ein Akt der Verzweiflung: “Diktator Putin schlägt panisch gegen alles, was seine Propaganda Lügen straft.”

5. RTL holt Bohlen zurück zu “Deutschland sucht den Superstar”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“Im Frühjahr 2021 war es für den neuen RTL-Chef Henning Tewes eine Frage der Haltung, sich von Dieter Bohlen zu trennen. Aus Mangel an Erfolg bei ‘DSDS’ fliegt die Haltung über Bord – und Bohlen ist zurück.” “DWDL”-Chef Thomas Lückerath kommentiert die Rolle rückwärts: “Weil Neuausrichtung des Senders und Unternehmens bei RTL Deutschland im vergangenen Jahr Hand in Hand gingen, wird man sich auch im Haus fragen: Welche ehrbaren Worte bzw. welche Haltung, die man im vergangenen Jahr bedeutungsschwanger vorgetragen hat, wird als nächstes kassiert?”

6. Satirischer Wochenrückblick: Ich muss mich bei Bild TV entschuldigen
(web.de, Marie von den Benken)
In einem satirischen Text lobt Marie von den Benken “Bild TV” für die, nun ja, Erfolge und entschuldigt sich bei dem Sender: “Im Prinzip ist Bild TV ein personifiziertes ‘Das wird man ja wohl noch sagen dürfen’ und erkämpft sich damit langsam, aber wacker und kontinuierlich Quoten-Promille um Quoten-Promille aus dem inzwischen reich bestückten deutschen Selbstdenker-Lager, in dem konsequent intellektuelle Nebensaison herrscht.”

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