Bastian Pastewka, 35, ist Komiker, Schauspieler und Autor. Nach eigener Aussage ist er zudem “seit circa 12einhalb Jahren und wenigen Wochen aus dem Deutschen Fernsehen nicht mehr wegzudenken (‘Wochenshow’, ‘Ohne Worte’, ‘Pastewka in…’) und das weiß er auch. Er gewann mehrere TV-Preise (‘Goldene Kamera’, ‘Deutscher Fernsehpreis’ und zweimal die ‘Rose d’Or’), vor allem für seine aktuelle Serie ‘Pastewka’ (Sat.1). Er wurde einem breiten Publikum im Grunde nie bekannt, da seine Erfolgssitcom ‘Pastewka’ derzeit unter einer seltsamen Quotenschwäche leidet, die ihn zu rätselhaften Artikeln über deutlich erfolgreichere Sendungen ermuntert. Er liebt das Deutsche Fernsehen heiß und innig. Und er würde alles tun, um jemanden kennen zu lernen der bei Soaps heult, bei ‘Geile Zeit’ lacht oder Pastewkas Dauerironie entschlüsseln kann.
Morgen übrigens ist es bei Bedarf möglich, den Autor dieses Artikels zusammen mit der grandiosen Anke Engelke bei einer gemeinsamen Weihnachtsshow-Persiflage in verschiedenen Rollen zu erleben, was mit Eigenwerbung echt nichts zu tun hat, schwöre, aber ich spiele da Tine Wittler, und das hat ja einen Bezug zu dem Thema nebenan. Übrigens: Wer kapiert die Regeln von der Koffershow mit Guido Cantz? Hallo? …..Halllooooooooooo?”
Von Bastian Pastewka
Sehe nur ich die bedrohlichen Signale neuer Allianzen in dieser eiskalten Vorweihnachtszeit? Dass die “Bild” und der “Spiegel” sich weitaus näher gekommen sind, als mein Vater das gutheißen würde, ist ja bekannt; aber was veranstaltet die “BamS” vom vergangenen Sonntag denn nun für einen Kuschelkurs mit den Stars (das “Stars” würdet Ihr jetzt durchstreichen und durch irgendwas Bissiges ersetzen, aber ich weiß nicht wie das technisch geht!) von RTL?
Und ist es nur ein Zufall, dass dies genau in der Woche geschieht, in der die Axel Springer AG den Ausstieg aus der ProSiebenSat.1 Media AG vollziehen wird? Wie sonst ist zu erklären, dass sich gleich ganze drei Artikel Deutschlands kommerziell erfolgreichstem Privatsender widmen.
Es folgt eine knallharte Analyse, die Sie so nicht erwartet hätten:
Wir erfahren, dass Tine Wittler gerne mit Freunden raucht und eine Kneipe namens “Parallelwelt” zu einem Vereinsheim umfunktioniert hat. Hallo, Parallelwelt! Bin ich der Einzige, der hier einen Hinweis auf die RTL-Show “Einsatz in 4 Wänden” erkennt? (Und bin ich der Einzige, der das Foto der Expertin als Montage entlarvt? Ist die Hand mit der Zigarre bei näherer Betrachtung nicht doch eher Paris Hilton letztes Wochenende im “Felix”? Da sollte man nicht locker lassen!)
Schock Nummer 2: Rauchen ist trotz Tine Wittler doch gefährlich, wie TV-Star Christian Berkel beim Dreh zu dem Fernsehfilm “Mogadischu” laut “BamS” hautnah erleben musste. Jetzt kommts: Berkel “ging in seiner neuesten Rolle als Bundeskanzler Helmut Schmidt sogar bis ans Eingemachte und rauchte 80 Zigaretten pro Tag!”. Entschuldigung, bin ich der Einzige, der hier über den Begriff neueste stolperte? Jawohl, Christian Berkel schlüpfte schon einmal in die Rolle des Altkanzlers, und zwar in dem auch von “Bild” ausführlich goutierten TV-Drama “Die Sturmflut”. Und nun raten sie mal, auf welchem Sender diese zu sehen war?! Na, erkennen Sie es auch…?
Inka Bause verlängert ihren Vertrag bei RTL (da! daaaaaa!), und Bauern sind ja doch nicht so blöd, wie die “BamS” gleich enthüllen wird, um dies jedoch auf Bauernpräsident Sonnleitner zu schieben, um sich nicht die Blöße zu geben.
Und das nervt jetzt wirklich: Eine für seine Belanglosigkeit typische Reality-Doku, die mit ein paar Steinzeit-Klischees aufgemöbelt wurde, weil’s sonst nicht als Sendung taugt, wird nicht nur von unglaublichen acht Millionen Fans (durchstreichen und durch “Bauern” ersetzen) pro Woche verfolgt, nein, die Sendung erlebt abwechselnd Ablehnung und dann wieder Zuspruch durch “Bild”/”BamS”, so als hätte es die jeweiligen Vorgängerartikel nie gegeben. Und dabei ist der Adressat der Artikel im Grunde nie der Zuschauer, den man für sein Interesse an der Sendung belohnt/informiert/kritisiert; nein, es sind letztlich die gepeinigten Bauern selbst, die sich hier noch mal unwissentlich zum Affen machen dürfen. Die in dem Glauben gelassen werden, sie würden Humor beweisen, wenn ihre Aussagen in der “BamS” in Sprechblasen verkürzt oder in ihrer RTL-Sendung mit dem Baby-Elephant-Walk unterlegt werden.
Denn so sind unsere anständigen Landwirte nun mal, sie treiben es auf dem Hochsitz auch nach 12 Stunden Trecker-Fahren, und sie lachen mit bis zu zwei Frauen (nein, nicht durchstreichen und durch “Ziegen” ersetzen!) im Bett, während der Knackpo unterm Schottenrock anschwillt! Haha!
Und das hat gesessen: Mit diesen “pikanten Sex-Geständnissen schlagen die Bauern jetzt zurück”; denn “BamS”-Autorin Nicole Pohl will uns glauben machen, dass “Sensibelchen Maik”, der “Standfeste Andreas” und der “Fröhliche Furthi” nicht etwa “als einsame Trottel” sondern als Helden in die Geschichte eingehen werden, wenn sie nach einer weiteren Staffel von “Bauer sucht Frau” am Männlichkeitswahn eingegangen oder auch nur beim Sich-Schämen vom Hochsitz gefallen sind. Liebe BamsBumsBauern! Lasst Euch doch nicht alles gefallen!
Ab Frühjahr: Spiegel-Archiv wird kostenfrei (DWDL.de, Uwe Mangel)
“Bezahlinhalte sind weiter auf dem absteigenden Ast – auch beim Spiegel. Dort wird das gesamte Archiv kostenfrei – und Bertelsmann-Lexika-Inhalte gibt’s noch dazu.”
NYTimes Surges, CNet Slumps (TechCrunch, Erick Schonfeld)
“Ever since the NYTimes.com swept away the last remaining boulders of its subscription pay wall (aka Times Select) in mid-September, its traffic has been going through the roof.”
Eitrige Hitleritis (taz, Helen Pidd)
“Vor kurzem hat gawker.com ein neuartiges Honorarsystem eingeführt. Die Funktionsweise: Je mehr Hits die Postings eines Redakteurs bekommen, desto besser wird er bezahlt. Die Zahl der online gestellten Texte spielt dabei keine Rolle mehr – genauso wenig wie deren Qualität.”
Medien verhalfen SVP zum Sieg (Blick, num)
“Den Sieg bei den eidgenössischen Wahlen hat die SVP auch den Schweizer Medien zu verdanken. Diese schrieben nämlich die Partei zum Sieg.”
Wer sieht noch die Tagesthemen? (FAZ, Michael Hanfeld)
Und jetzt alle: “Die Zeiten, in denen man die Tagesthemen gesehen haben muss, sind lange vorbei.” Oder auch: “Und denken wir nur an die quälend-allabendlichen Kommentare!”
Die Intimität des Lesens (Miriam Meckel)
“Plötzlich sagte der Nachbar zu mir: ‘Wollen Sie mit mir lesen?’ Ich starrte ihn entgeistert an. ‘Wollen wir nicht zusammen eine Zeitung lesen?’, präzisierte er. ‘Es ist doch etwas eng hier.’ Ich war perplex. Ich war das noch nie gefragt worden. Wenn er gefragt hätte: ‘Wollen Sie mit mir schlafen?’, hätte ich das zwar unverschämt gefunden, aber immerhin doch irgendwie noch im Bereich des Möglichen. Aber zusammen LESEN?” (Tipp von David Bauer, 78s)
*) Erschienen unter dem Titel “Die Justiz und die Medien — Die Berichterstattung im Prozess gegen den TV-Moderator Andreas Türck” in “Rufmord und Medienopfer” von Christian Schertz und Thomas Schuler (Hg.), Christoph Links Verlag, Berlin, 2007, 272 Seiten, Euro 19,90.
Leicht gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Am Ende gab es nur Verlierer: eine junge Frau, deren Privatleben über Wochen hinweg bis ins letzte Detail ausgeleuchtet und durch die Gazetten geschleift worden war und die nun als neurotisches, essgestörtes, psychisch labiles Mädchen mit einem Hang zu schnellem Sex und Drogen dastand; einen jungen Mann, der eine verheißungsvolle Zukunft als Moderator vor sich hatte, der beliebt und umschwärmt war und dem nun das Etikett “möglicher Vergewaltiger, arroganter Aufreißer und zynischer Frauenverachter” anhaftete und dessen Karriere ruiniert war; eine Presse, die mehr urteilte als berichtete, kübelweise Schmutz über die beiden ausgoss und ihnen den letzten Rest von Würde nahm; sowie eine Justiz, deren Motivation, diesen Fall zur Anklage zu bringen, bis heute im Dunkeln liegt.
“Ich muss ja jetzt mitmachen”
Es geht um den Prozess gegen Andreas Türck, der im Jahr 2005 angeklagt worden war, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Türck, geboren 1968, hat von 1998 bis 2002 auf ProSieben den täglichen Nachmittagstalk Andreas Türck moderiert und danach auf demselben Sender die Chart-Show. Im Jahr 2000 hatten ihn die Leserinnen des Frauenmagazins Amica zum “Erotischsten TV-Entertainer Deutschlands” gewählt. In der Nacht vom 24. auf den 25. August 2002 soll er Katharina B., eine junge Bankangestellte, die er kurz zuvor in einer Bar kennengelernt hatte, auf der Frankfurter Honsell-Brücke unter Gewaltanwendung zum Oralverkehr gezwungen haben. Der Vorfall passierte in Gegenwart eines damaligen Freundes von Türck und einer Freundin von B., die in Sichtweite standen und zwar den Akt beobachten konnten, aber nichts von einer Gewaltanwendung bemerkten. Auch kurz nach dem Tête-à-Tête deutete nichts im Verhalten von B. auf eine Vergewaltigung hin. B. wirkte laut späteren Aussagen der Beteiligten aufgekratzt, Türck eher peinlich berührt. Danach trennte man sich.
Noch in derselben Nacht erzählte B. telefonisch einem Freund, sie sei von Türck vergewaltigt worden, was der allerdings nicht glaubte, weil Katharina B. — das sagte er später vor Gericht aus — erst zwei Wochen vorher behauptet hatte, von zwei Jugoslawen vergewaltigt worden zu sein, was sich später als Lüge erwies. Was die beiden nicht wussten, war, dass B.s Bekannter wegen des Verdachts des Drogenhandels von der Polizei abgehört wurde, die auf diesem Wege Kenntnis von der Vergewaltigung erhielt. Um den Einsatz gegen den Dealer nicht zu gefährden, unternahmen die Beamten jedoch erst einmal nichts. Erst ein halbes Jahr später, nachdem der Mann dingfest gemacht worden war, tauchten Polizisten am Arbeitsplatz von Katharina B., einer Bank, auf und setzten sie unter Druck, Anzeige gegen Türck zu erstatten. Sie weigerte sich erst, brach dann aber ein und tat, wie ihr geheißen. Der Psychologin, die vor Gericht als Sachverständige auftrat, soll sie gesagt haben: “Ich muss ja jetzt mitmachen, sonst habe ich selbst noch ein Strafverfahren am Hals.”1
Am 3. April 2003 morgens um halb acht stand die Polizei vor Türcks Wohnung. Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall. Türck beteuerte, dass er keinerlei Gewalt angewendet habe und die Initiative von Katharina B. ausgegangen sei.
Eine mediale Lawine
Über ein Jahr lang zogen sich die Ermittlungen hin, ohne dass irgendjemand Wind von der Sache bekam. Anfang 2004 zeichnete sich dann ab, dass der Prozess für die Staatsanwaltschaft nicht zu gewinnen war. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigen-Gutachten hatte auf schwere Auffälligkeiten des angeblichen Vergewaltigungsopfers Katharina B. hingewiesen, die von massiver Einschränkung der Aussagezuverlässigkeit, einer “Neigung, sich sozial erwünscht zu präsentieren”, von Drogenkonsum, Essstörungen und psychischer Labilität bis hin zu schweren Wahrnehmungsstörungen reichten. Trotzdem hielt die Staatsanwaltschaft an der Eröffnung des Prozesses fest. Und dann geschah etwas Seltsames: Plötzlich, geradezu aus heiterem Himmel, erfuhren die Medien von den Ermittlungen. Aber es waren weder Bild noch der Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung, die die Sache aufdeckten, sondern Maintower, ein Regionalmagazin im Dritten Programm des Hessischen Rundfunks, dessen Rubriken wie “Ich und mein Garten” oder “Neues von der IAA” nicht gerade auf ausgeklügelte investigative Recherchetätigkeiten schließen lassen.
“Bild”-Schlagzeilen über die Ermittlungen
“Staatsanwalt ermittelt gegen TV-Star Andreas Türck”
“Unfassbarer Verdacht gegen den TV-Star: Hat Andreas Türck eine junge Frau (27) gewürgt und vergewaltigt?” (23.3.2004)
“TV-Verbot für Andreas Türck: Pro7 feuerte ihn! Er bestreitet die Tat! Anwalt räumt sexuellen Kontakt ein!”
“Vergewaltigungs-Drama: Bringt diese Frau Andreas Türck hinter Gitter?” (24.3.2004)
“‘Ich gehe durch die Hölle’. Der Fall Andreas Türck. Der unfassbare Vergewaltigungs-Verdacht: in BILD spricht heute das Mädchen, das den TV-Star belastet”
“Vergewaltigungs-Drama Andreas Türck. Jetzt spricht das Mädchen” (25.3.2004)
“Andreas Türck sucht Zuflucht bei seinen Eltern … wie erklärt er ihnen alles?”
“Juristen erwarten Anklage wegen Vergewaltigung schon im nächsten Monat” (26.3.2004)
“Wer sind die geheimnisvollen Zeugen? Affäre Andreas Türck” (27.3.2004)
“Fall Andreas Türck: Staatsanwälte bei ProSieben” (29.4.2004)
“Was trieb Andreas Türck am Arbeitsplatz? Personalakten bei PRO 7 beschlagnahmt!” (30.4.2004)
(27.5.2004)
Die Sendung am 22. März 2004, in der die Vorwürfe gegen Türck publik gemacht wurden, trat eine mediale Lawine los. Am nächsten Tag berichteten Zeitungen, Onlineplattformen, Radio- und Fernsehsender flächendeckend vom mutmaßlichen Vergewaltiger Türck, der eine junge Frau, die er gerade kennengelernt hatte, “brutal vor einer Gaststätte vergewaltigt” haben sollte. Bild phantasierte unter “Berufung auf die Polizei”, es bestehe der Verdacht, dass Türck die Frau “in einer Seitenstraße” zu Boden geworfen und vergewaltigt habe, und startete einen regelrechten Diffamierungsfeldzug gegen Türck, in dem auch gleich die unfreiwillige Nebenklägerin Katharina B. schwer beschädigt wurde. ProSieben ließ zwar verkünden, dass man an die Unschuld des Moderators glaube, beurlaubte ihn aber noch am selben Tag.
Wer die Redaktion informiert hat, ist bis heute ungeklärt. Die beiden damals mit dem Fall beauftragten HR-Reporter geben unter Hinweis auf Informantenschutz ihre Quelle erwartungsgemäß nicht preis. Auch die Staatsanwaltschaft bestritt auf telefonische Anfrage vehement, irgendwelche Hinweise an die Medien gegeben zu haben. Erstens, so die Begründung, wäre das ein schwerer Fall von Amtspflichtverletzung, und zweitens: Was hätte sie davon gehabt?
Nach Faktenlage eine ganze Menge. Denn ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung war ein möglicher Schaden für den Angeklagten Türck nicht durch den Prozess verursacht, sondern durch die Berichterstattung in den Medien. Ein schöner Nebeneffekt, der durchaus geeignet ist, das Land Hessen vor einem Schadensersatzanspruch des Angeklagten zu bewahren.
Auf ewig stigmatisiert
Bereits vor Beginn des Prozesses und auch während dessen konnte man immer wieder lesen, dass, egal wie das Urteil ausgeht, die Fernsehkarriere von Andreas Türck vorbei sei. So orakelte die Bunte: “Unabhängig davon, wie das Urteil (voraussichtlich am 8. September) ausfallen wird — seinen TV-Job hat er bereits 2003 verloren. Und selbst bei einem Freispruch wird ein Makel vermutlich ewig haften bleiben.” “Das Kopfkino der meisten Menschen ist darauf programmiert, sich negative Dinge zu merken, auch wenn sie unwahr sind”, weiß Psychologin Christine Baumanns. Und: “Andreas Türck ist selbst nach einem Freispruch auf ewig stigmatisiert. Man wird in Zukunft ganz genau beobachten, wie er sich zu Frauen verhält.”2 Und die Zeit schrieb: “Andreas Türck hat von jetzt an ein düsteres Kapitel in seiner öffentlichen Biografie. Was einmal in den Medien und den Archiven ist, das lässt sich nicht ungeschehen machen in einer Gesellschaft, in der das Private auf so viel Interesse unter Zuschauern und Lesern stößt.”3 Das ist wohl war. Googelt man Andreas Türck, findet man auf den ersten Seiten der 47 600 Einträge fast ausschließlich Meldungen und Berichte über die Anklage und den Prozess.
Obwohl Andreas Türck nur einer von vielen Daily-Talk-Moderatoren war, in deren Sendungen die Leute aufeinander losgingen und peinliche Dinge aus ihrem Privatleben enthüllten, und obwohl er diese Sendung schon längst nicht mehr moderierte, wurde er nicht nur der Vergewaltigung angeklagt, sondern stand auch gleich als Vertreter des gesamten sogenannten Unterschichtenfernsehens vor Gericht.
“Es ist nicht die Prominenz des Angeklagten allein, die den Fall zum Medienereignis gemacht hat, zum öffentlichen Porno, den die Boulevardpresse genüsslich vorführt”, schrieb Jörg Burger am 1. September 2005 in der Zeit. “Allen voran Bild weidet sich an kleinsten Details, mit Tatortskizzen und einer Sex-Akte Türck”. Darin schmähen ihn ehemalige Kollegen als gewaltbereiten Schnösel. Es ist seine Vergangenheit als einer, der in den Niederungen des “Affektfernsehens” wühlte, der dafür sorgte, dass Menschen sich anbrüllten, aufeinander losgingen. Der Saubermann als Sexverbrecher, der Richter über andere Menschen nun selbst als Angeklagter — aus diesem Rollentausch bezieht das Drama Attraktion.
Für Bild war er schuldig
Über mehr als vier Wochen hinweg konnten Türck und mit ihm elf Millionen Bild-Konsumenten täglich lesen, was für ein mieser, verachtenswerter Charakter er doch sei. Beobachteten Bild-Reporter, wie Türck beim Betreten des Gerichtssaals einen Blick auf den Block der Gerichtszeichnerin warf, wurde er sogleich der Eitelkeit bezichtigt, als einer, den selbst angesichts dieser ernsten Situation nichts brennender interessierte als die Frage, ob er gut getroffen sei. Egal, was Türck auch tat, wie er sich anzog, wie er schaute, ob er lächelte oder nicht: Für Bild war er schuldig, und wenn er auch kein Vergewaltiger war, so war er doch zumindest “ein Verachter”: ein Verachter von Frauen, einer, der es zugelassen hat, dass ihn nachts auf einer Frankfurter Brücke eine Zufallsbekanntschaft oral befriedigt. Wenn dafür schon keine jahrelange Gefängnisstrafe möglich ist, dann doch wenigstens gesellschaftliche Ächtung. Um das zu erreichen, haben Bild und Bild am Sonntag (BamS) ordentlich am Rad gedreht.
“Bild sollte nie irgendein Boulevard-Blatt, sondern eine Volkszeitung sein”, erklärte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann am 15. September 2005 in der FAZ “Also Anwalt der Leser, Zuhörer, Ratgeber, Verteidiger, Helfer. Übersetzt heißt das: Bild sagt nicht nur, was passiert. Bild sagt auch, was die Republik fühlt. Die Schlagzeile ›Wir sind Papst‹ ist dafür ein Beispiel: Hier wurde die nationale Euphorie unbefangen auf den Punkt gebracht. Das ist unser Anliegen: zu dokumentieren, was die Menschen beschäftigt, was sie emotional umtreibt. Bild ist, um es mit einer Metapher aus der eher linken Ecke zu formulieren, die gedruckte Barrikade der Straße. Das ist ihre Macht.” Auf die Frage zur Berichterstattung über den Prozess gegen Andreas Türck antwortete Diekmann: “Dass wir nach der Eröffnung den Prozessverlauf mit allen be- und entlastenden Entwicklungen dokumentierten, ist bei einem Fernsehstar wie Türck so selbstverständlich wie bei O. J. Simpson oder Michael Jackson. Dafür sind Medien schließlich da.”
Die Berichterstattung von Bild und BamS ging über die reine Dokumentation jedoch weit hinaus. Es wurde Stimmung gemacht, besonders gegen Türck. Bild berichtete über den Prozess (Aktenzeichen AZ 6350JS207691/ 2003), vorwiegend groß bebildert auf der ersten Seite, unter anderem so: “Protokoll der Sex-Nacht” (4. 8.), “Sex im Drogenrausch? Sensationeller erster Tag im Prozess” (10.8.), “Die Sex-Akte Türck. Er braucht 6 Minuten, um eine Frau aufzureißen” (11. 8.), “Heute wird sie gefragt, ob sie Unterwäsche trug” (16. 8.), “Katharina (29) weinte gestern vor Gericht. So hat Türck mich vergewaltigt” (17. 8.), “Sie hat mir die Hose aufgeknöpft” (19. 8.), “Neuer Zeuge belastet das angebliche Opfer. Wollte SIE Türck aufreißen?” (24. 8.), “Neue Sex-Enthüllung. Wenige Tage nach Türck hatte sie schon wieder Sex” (26. 8.), “Hat sie sich alles nur eingebildet?” (31. 8.), “Gutachter glauben angeblichem Opfer nicht” (2. 9.), “Sieger Türck. Aber wird er jemals wieder glücklich?” (7. 9.).
“Mit offener Hose”
Damit bei Türck ein Gefühl von Glück gar nicht erst aufkommen konnte, veröffentlichte die BamS am 14. August 2005, als bereits erhebliche Zweifel an seiner Schuld bestanden und ein Freispruch mehr als möglich war, ein abstoßendes Pamphlet mit der Überschrift: “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht”. In dem arbeitet sich der Autor mit besorgniserregender Wut an dem TV-Moderator ab, “der vor Gericht plötzlich von seinem erbärmlichen Leben eingeholt wird”. In dem Text wird über Türcks “Krawallsendungen” hergezogen, in der Themen behandelt wurden wie “Andreas, meine Brüste machen dich verrückt!”, aber dasselbe Blatt lebt u. a. davon, dass nackte Mädchen lasziv ihre “Hupen” und “Möpse” darbieten und Semiprominente sich über ihr Sexleben und ihre Beziehungsprobleme auslassen.
Türck wird vorgehalten, dass er ein Mensch sei, der nur wenige Begabungen vorzuweisen habe, dessen Aktivitäten niemanden interessieren und dessen “Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit” nur dadurch kurz gestoppt worden sei, dass er “etwas Unvorhersehbares tat”. Nur deshalb sitze er nicht im “Dschungelcamp”, “sondern als Angeklagter auf einem blauen Polsterstuhl im Saal 165 C des Frankfurter Landgerichts”, und niemand müsse also Mitleid mit ihm empfinden. Obwohl dem Berichterstatter zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätte klar sein müssen, dass “am Ende dieses schäbigen kleinen Prozesses, der in einem schäbigen kleinen Saal stattfindet” (in Wirklichkeit war es der größte Gerichtssaal, den der Frankfurter Justizkomplex zu bieten hat), Türck mit höchster Wahrscheinlichkeit aufgrund widersprüchlicher Aussagen und mangelnder Beweise freigesprochen wird, ist der Mann für die BamS schuldig und verdient es nicht, jemals wieder auf die Beine oder eben “ins Licht” zu kommen. Und obwohl das alles “so schäbig, so klein” war, berichteten Bild und BamS an jedem Verhandlungstag und darüber hinaus in groß aufgemachten Artikeln über den Prozess und seine Beteiligten. Andreas Türck stand “gleichsam mit offener Hose vor der ganzen Nation”4, wie Gisela Friedrichsen im Spiegel treffend schrieb.
Die tragische Hauptperson
“Wir haben mit einer durchaus starken Berichterstattung gerechnet”, sagt Friederike Vilmar, Fachanwältin für Strafrecht und Nebenklagevertreterin,5 “aber das hat das, was wir erwartet haben, noch übertroffen. Auch in der Dauerhaftigkeit.” Frau B. sei durchaus auf den Medienansturm vorbereitet gewesen, sie sei “eine intelligente, arbeitende Mandantin. Natürlich kann man niemanden bewusst auf jede einzelne Situation vorbereiten, aber Frau B. war sich durchaus bewusst, was dort passieren kann.”
War sie das wirklich? Obwohl Andreas Türck im Mittelpunkt des Verfahrens stand und Anlass für das große Interesse war, war es im Endeffekt Katharina B., die zur tragischen Hauptperson mutierte. Jeden Tag war sie im Gerichtssaal und setzte sich den Blicken, den Fragen und den Kameras aus, was selbst die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock verwunderte. Während Türck auf Anraten seiner Verteidiger Dr. Susanne Wagner und Rüdiger Weidhaas konsequent schwieg, wurde vor allem ihr Leben ausgebreitet, von der Presse penibel dokumentiert und unters Volk gebracht: ihre sexuellen Ausschweifungen, ihr Hang zu Alkohol und Drogen, ihre Essstörungen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre aufreizende Art Männern gegenüber, ihr Hang, Geschichten zu erfinden. Katharina B. wohnte nicht nur jeden Tag dem Prozess bei, sie lehnte sogar den Ausschluss der Öffentlichkeit ab, als es ihr die Vorsitzende Richterin anbot.
Detailliert bis zum Samenerguss
Bild gab die Vernehmung der Nebenklägerin im Wortlaut wieder, ihr Schluchzen und Weinen, den angeblichen Tathergang bis hin zu Fragen, ob sein Glied erigiert war und es zum Samenerguss kam. Für die Nebenklagevertreterin Friederike Vilmar war das “der Moment der Richtigstellung. Sie hatte überhaupt keine Chance mehr, weil die Presse vorher so viel Mist und Dreck geschrieben hat, dass sie dachte, dadurch vielleicht einiges korrigieren zu können. Schreiben tun sie sowieso. Dann sollen sie es auch hören”. Bild, die die Aussage als Wortlautprotokoll wiedergab, habe das dann auch “einigermaßen vernünftig dargestellt”. Ein Wortlautprotokoll sei ihr “allemal lieber, als wenn irgendeiner hingeht und etwas schreibt, was nicht so gesagt worden ist”. Sie glaubt aber auch, “dass die Medien ihren Teil dazu beigetragen haben, dass von Anfang an eine ganz klare Parteinahme in der Berichterstattung war, die uns sehr, sehr geschadet hat”.
Vor allem von der Berichterstattung der Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen war sie enttäuscht. “Da haben wir gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein.” Nach dem Prozess hat sie Chefredakteur Stefan Aust einen langen Brief geschrieben, in dem sie sich über die Art der Darstellung ihrer Mandantin, u. a. als “armes Hascherl”, verwahrte. Es habe sie verwundert, schrieb sie, dass bereits Frau Friedrichsens Artikel zum Prozessauftakt “eine klare Stellung gegen meine Mandantin und für Herrn Türck erkennen ließen. Diese Art der Verletzung des Neutralitätsgebots der Presse hatte ich von einer Spiegel-Mitarbeiterin, die sich selbst als Deutschlands bekannteste Gerichtsreporterin bezeichnet, nicht erwartet”.
In diesem Prozess nicht Partei zu ergreifen und sachlich zu bleiben, fiel jedoch auch anderen Medienvertretern schwer. Und so teilte sich die Berichterstattung frühzeitig in zwei Lager, in denen die Emotionen zeitweise so hochkochten, als gelte es, einen aus ihren Reihen zu verteidigen und den anderen möglichst bloßzustellen. Auffallend dabei ist, dass oft die weiblichen Reporter für Türck waren und Frau B. niedermachten, während sich einige männliche Kollegen -– wie Andreas Hauck in der BamS -– schützend vor Frau B. stellten und auf Türck eindroschen, als hätten sie noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen.
Schämen für das eigene Geschlecht
Dieses interessante Verhalten erinnert an den Fall von Lisa Gier King, die 1999 angab, in einem Studentenwohnheim in Florida während einer Party, für die sie als Stripperin angeheuert worden war, vergewaltigt worden zu sein. Obwohl der gesamte, vier Stunden dauernde Abend mit zwei Kameras aufgezeichnet worden war (das Material wurde schließlich von dem US-Filmemacher Billy Corben zu dem Dokumentarfilm “Raw Deal – A Question of Consent” verarbeitet) und man alles sehen konnte, schieden sich am Ende die Geister darüber, ob das Gesehene eine Vergewaltigung war oder ob die Frau den Sex provoziert und freiwillig mitgemacht hatte. “Bei Vorführungen von ›Raw Deal‹ auf dem Sundance-Festival oder in Edinburgh war das Publikum jeweils tief gespalten: Die meisten Männer sagten hinterher, was sie gesehen hatten, sei eine Vergewaltigung gewesen. Die weiblichen Zuschauer fanden, Lisa Gier King habe sich alles selbst zuzuschreiben. Es ist, als würde jeder sich für die Rolle schämen, die sein Geschlecht in dem Stück spielt.”6
Nach zehn Verhandlungstagen sah sich die Staatsanwaltschaft — wie von Türcks Anwälten prophezeit — gezwungen, mangels Beweisen den Antrag auf Freispruch des Angeklagten Türck zu stellen. “Wir mussten ermitteln”, rechtfertigte sich Oberstaatsanwalt Hubert Harth daraufhin in Bild, “sonst hätten wir uns strafbar gemacht.” Und er wehrte sich mit einer entblößenden Erklärung gegen den Vorwurf, Türcks Prominenz könne ein Grund für die Anklage gewesen sein: “Ich kannte ihn überhaupt nicht. Und die anderen Kollegen sehen auch kein Unterschichts-TV.”
Von Anfang an keinerlei Beweise
Doch auch nach dem am 7. September angekündigten und am 9. September erfolgten Freispruch hatte Andreas Türck keinen Grund zum Jubeln. Während sich der Großteil der Medien zu diesem Zeitpunkt mit der Fragwürdigkeit des Prozesses beschäftigte und Kritik an Staatsanwaltschaft und Richterin übte, verging sich Bild unter einem durchsichtigen Deckmäntelchen der Empörung weiter an ihm. Das Blatt wies darauf hin, dass dieser Freispruch ja eigentlich nur ein Freispruch zweiter Klasse sei, weil man Türck die Vergewaltigung nicht beweisen könne — was beim Leser die Schlussfolgerung ermöglichte, er könne die Tat doch begangen haben. Marion Horn, damals Stellvertretende Chefredakteurin von Bild, schrieb einen seltsamen Kommentar, in dem sie Andreas Türck und Katharina B. als Opfer einer Justiz beklagte, “die diesen Prozess zuließ und vier Wochen lang ein schmutziges Gerichtsspektakel inszenierte”. Dann kommt ein interessantes Eingeständnis: “Von Anfang an war klar, dass die Staatsanwältin keinerlei Beweise hat. Von Anfang an war durch Gutachten bekannt, dass die Aussagen von Katharina B. nicht belastend sind. War die Staatsanwältin so naiv zu glauben, dass Türck im Prozess unter Tränen gestehen würde? Oder wollte sie berühmt werden? Der Türck-Prozess wirft ein miserables Licht auf unsere Justiz.”
Das Licht, das dieser Prozess auf Bild und BamS wirft, ist allerdings nicht besser, denn aus dem Kommentar wird deutlich, dass auch Bild offenbar frühzeitig klar war, dass gegen Türck wenig Glaubhaftes vorlag. Trotzdem brachte sie eine Titelgeschichte nach der anderen, in der er als möglicher Vergewaltiger angeprangert wurde. Marion Horn, die Türck als “abgehalfterten Ex-Moderator” bezeichnet, versteigt sich dann noch zu dem Satz: “Was aber das schlimmste ist: Frauen, denen sexuell Gewalt angetan wird (und das sind täglich 400!) werden sich in Zukunft fünfmal überlegen, ob sie dies zur Anzeige bringen.” Im Umkehrschluss könnte das heißen, dass ein Mann auch dann verurteilt werden sollte, wenn alles für seine Unschuld spricht, damit sich Frauen auch in Zukunft trauen, Vergewaltigungen anzuzeigen. Eine gefährliche Argumentation.
Auch in dem Bericht über das Prozessende im Innenteil des Blatts wird Türck weiter runtergemacht. Er habe “– soviel Schmutz bleibt hängen — eine Frau, die er gerade kennengelernt hat, irgendwie auf die Knie sinken und sich von ihr oral befriedigen lassen. Danach hat er sie an einer Tankstelle einfach abgesetzt. Kein Anstand, keine Achtung, die Frau als billiger Wegwerfartikel”.
Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner beschreibt die beiden abschließend als “Romeo und Julia durchgedreht”, “die sich wie Hunde nachts auf einer Brücke oral befriedigen”. Er findet, “dass die Liebe in dieser Nacht vergewaltigt wurde und die Liebe nicht zwischen den Beinen sitzt. Wie wollt ihr jemals lieben?”7 Eine Seite zuvor räkelt “Top-Modell Maria” ihren nackten Luxuskörper und bringt “Männer zum Weinen”. Ist das die Liebe, von der Wagner spricht? Lernt man hier den Anstand, den die Bild-Redaktion so vehement von Türck fordert?
Opfer von Medien und Justiz
Heribert Prantl, innenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung und ehemaliger Richter und Staatsanwalt, sagte in einem Interview mit SWF 3,8 dass Türck nicht hätte angeklagt werden dürfen und wenn doch, dass dieser Prozess in dem Fall nie hätte öffentlich verhandelt werden dürfen: “Diese Art des Voyeurismus, die Türcks Sendungen eigen war, jetzt in einem Strafprozess, einem öffentlichen Verfahren zu inszenieren, das geht zu weit. (…) Wenn das Strafverfahren diese Absicht ins Gegenteil verdreht, dass die Menschenwürde des echten oder angeblichen Opfers mit Füßen getreten wird und dann noch die Menschenwürde des Beschuldigten, in dem Fall des Moderators Andreas Türck, dann hat der Strafprozess nicht nur seinen Sinn nicht erreicht, sondern dann war er höchst schädlich.”
Andreas Türck und Katharina B. sind — und das macht den Fall so besonders — keine reinen Medienopfer. Sie sind ebenso Opfer einer Justiz, die mit allen Mitteln einen Prozess eröffnen wollte, der für sie von Anfang an nicht zu gewinnen war und den selbst die Nebenklägerin nicht wollte. Ohne die tendenziöse und vernichtende Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran Bild und Bild am Sonntag, wäre der Schaden für die beiden möglicherweise nicht ganz so groß geworden. So ist beides, die Art der Berichterstattung und die Pflichtwidrigkeit der Staatsanwaltschaft, kausal für die Katastrophe verantwortlich, die mit dem Prozess eingetreten ist.
“Mit den Folgen des Prozesses werden Katharina B. und Andreas Türck noch lange zu kämpfen haben”, vermutete auch Detlef Esslinger in der Südeutschen Zeitung.9 “Der Kammer wird auch klar gewesen sein, dass sie mit der Zulassung der Anklage die Karriere des Fernsehmoderators Türck zerstören würde. ProSieben nahm ihn sofort aus dem Programm, und vom Freispruch wird der Mann wenig haben, im Urteil der Öffentlichkeit wird er der Typ bleiben, der wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Warum ist nur dieses Verfahren jemals eröffnet worden?” Diese Frage wurde nie geklärt.
Katharina B. soll nach Aussagen ihrer Anwältin heute wieder ein normales Leben führen und auch noch immer bei der Bank beschäftigt sein. Andreas Türck zog sich nach dem Prozess aus der Öffentlichkeit zurück und lehnte Interviews zu seinem Fall und seiner beruflichen Zukunft konsequent ab. Im September 2007, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Urteil, tauchte er wieder auf und verkündete, gemeinsam mit der Mediaagentur “Pilot” den Ableger “Pilot Entertainment” gegründet zu haben, mit dem er in Zukunft “zielgruppengenaue Web-TV-Formate einschließlich der dazugehörigen Plattform” entwickeln und vermarkten wolle. Das Unternehmen erprobe seit einem Jahr Entertainment und Serviceformate, die den Anforderungen des Webs und Nutzerdialogs gerecht werden. “Meine Moderatorentätigkeit”, so Türck bei medienhandbuch.de am 29. September 2007, “steht dabei nicht an erster Stelle. Dennoch: Sag niemals nie.”
1)Bunte vom 1.9.2005 2)Bunte vom 25.8.2005 3)Zeit vom 8.9.2005 4)Spiegel vom 22.8.2005 5) Telefoninterview, geführt am 18.6.2007 6) Ansbert Kneip in: Der Spiegel, 13.9.2005 7) Alle Zitate aus Bild vom 8.9.2005 8)Südwestfunk, 3. Programm, 15.9.2005 9)Süddeutsche Zeitung vom 6.9.2005
Hans Leyendecker, 58, ist seit 1997 Leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”. Zuvor arbeitete er 18 Jahre lang für den “Spiegel” und gilt als einer der führenden investigativen Journalisten Deutschlands. Er ist Gründungsmitglied und Vize-Chef des Netzwerk Recherche — und begleitet auch die “Bild”-Zeitung immer wieder mit kritischen Artikeln.
Dennoch: In “Bild” nannte Maynhardt Graf Nayhauß ihn mal “Top-Rechercheur”, Franz Josef Wagner nannte ihn “Müllentsorger unseres Staates” — und an anderer Stelle schrieb Wagner in “Bild”: “Die Wahrheit kann niemand recherchieren — außer Jesus, Nietzsche, Buddha und Hans Leyendecker von der SZ (kleiner Witz meinerseits).” Weniger witzig: Am 8. Juni 2006 druckte “Bild” auf Seite 2 unter der Überschrift “Was macht der “SZ”-Reporter mit dem Sturmgewehr im Arm?” ein über zehn Jahre altes Leyendecker-Foto (wir berichteten). Leyendecker verstand die Veröffentlichung damals “als Versuch, mir zu drohen”.
Von Hans Leyendecker
Die Geldmaschine des Springer-Verlages, die “Bild”-Zeitung, berichtet gern über Gehälter und Millionen — die Gehälter der anderen, die Millionen der anderen. Diesmal auf Seite 1 und Seite 2: “Die Gehalts-Liste der Politiker” und wieder mal “Wahrheiten über den Mindestlohn”.
Die Botschaft ist einfach, ehrlich und nachvollziehbar: Das Millionen-Gehalt des Verlagschefs Döpfner bleibt tabu, das Millionen-Gehalt des Post-Konkurrenten Zumwinkel und seine Aktienoptionen sind ein Skandal. Nicht getarnt, nicht klammheimlich, sondern ganz offen macht das Massenblatt Politik im Verlagsinteresse und Klassenkampf von oben: Dass dabei Arbeiter etwa gegen höhere Mindestlöhne demonstrieren, hätte beispielsweise Bert Brecht sehr gefallen.
In der Freitag-Ausgabe berichtet “Prof. Sinn” vom Ifo-Institut über seine bitteren Wahrheiten, aber auch er kommt nicht über eine Statistenrolle hinaus. Was beim Thema Mindestlohn schon übellaunig verbreitet wurde, erinnert doch sehr an Brechts “Dreigroschenroman” und den Inhaber der Firma “Bettlers Freund”, Jonathan Jeremiah Peachum, der feststellte: “Es gibt nur einige wenige Dinge, die den Menschen erschüttern, einige wenige, aber das Schlimme ist, dass sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken”.
Peachum ließ Bettler, die, “nicht immer die Gabe besaßen, unglücklich zu wirken”, durch Kunstgriffe noch elender aussehen. Zur “Veranlassung christlicher Barmherzigkeit” etwa hatte er sich verschiedene Ausstattungen wie “Opfer des Verkehrsfortschritts” oder “Opfer der Kriegskunst” ausgedacht und stellte in einem kleinen Atelier sogar künstliche Missbildungen her.
Kunstgriffe
“Peachum hatte ganz klein angefangen. Er unterstützte eine Zeitlang einige wenige Bettler mit seinem Rat, Einarmige, Blinde, sehr alt Aussehende… Verhältnismäßig bald erkannte er, dass das elende Aussehen, welches von der Natur hervorgebracht wurde, weit weniger wirkte, als ein durch einige Kunstgriffe berichtigtes Aussehen. Jene Leute, die nur einen Arm hatten, besaßen nicht immer die Gabe, unglücklich zu wirken. (…)” (Zitiert aus Bertolt Brechts “Dreigroschenroman”)
Die Ladeninhaber zahlten den Bettlern, die vor den Geschäften saßen, einen Zoll, damit die weiterzogen. “Ausstattung E” beispielsweise war “Junger Mann, der bessere Tage gesehen hat”. Der Bettler Filch, ein mittelloser Mann aus gutem Hause, fragt Peachum: “Warum kann ich das nicht mit den besseren Tagen machen?” Peachums Antwort: “Weil einem niemand sein eigenes Elend glaubt, mein Sohn.”
So ist das mit dem Elend und dem Massenblatt. Ein Medium, das Menschen in die Jauchegrube stößt (al-Masri) und an anderer Stelle die Werte des christlichen Abendlandes verteidigt; ein Blatt, das Intimität als Rohstoff behandelt und gleichzeitig die Würde des Menschen einklagt, ist schizo, und das finden die meisten Betrachter normal.
Phrase und Sache werden eins. Es müsste eine Kommission über die “Bild”-Sprache konstituiert werden, die für jede erlegte Phrase eine Belohnung aussetzt. Die Mitglieder würden vor allem fündig bei einem Autor, der Körzdörfer heißt und offenbar Stummel-Sätze mag, wie Peachum, der künstliche Missbildungen herstellte: Über die “Kino-Legende Bud Spencer” schreibt Körzdörfer in der heutigen Ausgabe:
Gibt es 1,94 Meter hohe, hinkende Schatten, und warum muss in dieser Scheinwelt auch noch alles “gleißend” sein? Und wie geht denn das:
Gefühlte Videos? Natürlich wäre es eine Illusion zu glauben, man könnte “Bild” (oder eine andere Zeitung) retten, wenn es gelingen könnte, die Sprache zu reinigen, aber ohne die Form ist nichts: “Hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, dass die Beistriche am richtigen Platz stehen, würde Shanghai nicht brennen”, hat Karl Kraus gesagt. Aber wer kennt da Beistriche.
Wahr ist aber auch, dass es dieser Zeitung zu keiner Zeit an Gegnern gefehlt hat. Dass das Blatt oft ein Anschlag auf den Anstand oder eine Geschmacklosigkeit ist, das haben Generationen von Kritikern zu Recht beklagt. Aber “Bild”-typisch ist geblieben, dass Koitus und Gebet auf eine Seite passen und die Moralblase neben Niedertracht steht. Redaktionen sind nicht für die Anzeigen verantwortlich, aber der Verlagsmensch, der auf der heutigen Seite eins die Anzeige einrücken ließ: “Millionen Deutsche jetzt betroffen. Blähungen”, muss der James Joyce der Verlagswelt oder ein heimlicher Rebell sein.
Es sind wirklich immer Millionen betroffen, doch die Blähungen bleiben oft seltsam folgenlos. Es riecht nur ein bisschen. Vor 24 Jahren schon hat Hans Magnus Enzensberger in seinem Aufsatz “Der Triumph der Bild-Zeitung oder Die Katastrophe der Pressefreiheit” darauf hingewiesen, dass der Zynismus der Leser nicht hinter dem Zynismus der Macher zurückstehe:
Jede Aufklärung über die Bild-Zeitung ist vergeblich, weil es nichts über sie zu sagen gibt, was nicht alle schon wüssten (…). Bild wird gelesen, nicht obwohl, sondern weil das Blatt von nichts handelt, jeden Inhalt liquidiert, weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, alle historischen, moralischen, politischen Kategorien zertrümmert; nicht obwohl, sondern weil es droht, quatscht, ängstigt, schweinigelt, hetzt, leeres Stroh drischt, geifert, tröstet, manipuliert, verklärt lügt, blödet, vernichtet.
Prinzipiell sei “Bild” “nicht datierbar”, weil sich das Blatt permanent wiederhole, was beim Leser wiederum zur Beruhigung führe. “Bild” biete nicht jedem etwas, sondern allen nichts.
Niemand hat das Elend der Kritiker so nachvollziehbar wie Enzensberger umrissen. Aber immer wieder gibt es Selbstversuche, diesem Phänomen beizukommen: Günter Wallraff hat einen solchen Versuch unternommen, der unermüdliche Gerhard Henschel bleibt zornig, und seit einer Weile müht sich auch BILDblog. Dafür muss ihnen gedankt werden.
6 vor 9 heute wegen widerspenstiger Technik sozusagen als 6 um 36 vor 12 – danke für die Geduld!
Der Schattenmann (ksta.de, Tilmann P. Gangloff)
Christoph Gottschalk ist einer der Strippenzieher im deutschen Showbusiness; und das keineswegs erst, seit er die Lizenzrechte für ?Wetten, dass..?? mit großem Erfolg nach China exportiert hat.
?Bei Anruf Abzocke?
Das kauft man ihm ab! (faz.net, Oliver Jungen)
Seit wenigen Monaten ist Günter Wallraff zurück auf der großen Bühne. Aber als wäre ihm daran gelegen, die Größe seiner einstigen Undercover-Einsätze im Nachhinein herunterzuspielen, tritt er nun als Karikatur seiner selbst auf.
Apple als Massenprodukt und stolpernde Spiegel-Online-Autoren (fscklog.com)
Vor Jahren noch war die Welt einfach gewesen. Spiegel-Online-Artikel zum Thema Apple wälzten sich grundsätzlich in unendlichen Unzulänglichkeiten, bis sich dies mit Apples fortschreitendem Erfolg plötzlich änderte. Aus den SPON-Artikel verschwanden die Fehler, gewitzte Analysen folgten auf schlaue Feststellungen und mancher gab sich gar euphorisch. Doch nun, endlich, ist alles beim alten Alten.
Zu viele Fremdwörter – Keiner versteht die “Tagesschau” (spiegel.de)
Eine neue Umfrage hat ergeben, dass manche alltägliche Fachbegriffe in der “Tagesschau”, darunter “Tarifautonomie” oder “Koalitionsfreiheit”, von nahezu keinem Zuschauer verstanden werden.
Sarkozy-Freund will französische AP kaufen (ftd.de)
Der Ex-Chef der französischen Nachrichtenagentur AFP, Bertrand Eveno, unterstützt den Pariser Geschäftsmann Vincent Bolloré beim Aufbau eines Medienimperiums. Gemeinsam wollen sie die französische Tochter der US-Nachrichtenagentur AP kaufen.
Endspurt vor Weihnachten (fr-online.de)
Der umstrittene Verkauf des Süddeutschen Verlags (SV) und seines Flaggschiffs Süddeutsche Zeitung steht unmittelbar vor der Entscheidung. Die vier ausstiegsbereiten SV-Altgesellschafter, die zusammen über 62,5 Prozent der Anteile verfügen, wollen voraussichtlich in der Woche vor Weihnachten einen Käufer präsentieren, heißt es in ihrem Umfeld.
Aber es gibt auch andere, leisere und nicht minder effektive Möglichkeiten, einen Menschen zu diffamieren. In ihrer Berichterstattung über das Urteil im Prozess gegen al-Masri zeigen “Bild” und Bild.de, dass sie auch diese Variante beherrschen.
Der Bild.de-Artikel beginnt mit dem Satz:
Der Deutsch-Libanese (bekannt als angebliches Folter-Opfer) ist vom Landgericht Memmingen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.
Erstaunlich an dieser Formulierung ist nicht nur, dass ein Medium, das sonst schon aus kleinsten Gerüchten größte Schlagzeilen macht, plötzlich im Fall al-Masris das Wort “angeblich” im Wortschatz der deutschen Sprache entdeckt. Erstaunlich ist vor allem, dass Bild.de mit dem Wort “angeblich” wieder einmal Zweifel an al-Masris Aussagen ausdrückt, die zuständige Behörden nicht haben.
Bild.de enthält den Lesern ebenso wie die gedruckte “Bild”-Zeitung (siehe Ausriss rechts) auch die Begründung des Gerichtes vor, warum es jemanden, den es immerhin der Brandstiftung, gefährlichen Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch für schuldig befindet, trotzdem nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die “Schwäbische Zeitung” formulierte es so:
Seine Traumatisierung durch die fast sechsmonatige Gefangenschaft in Händen des amerikanischen Geheimdienstes CIA in Afghanistan und sein umfassendes Geständnis waren es, die dem 44-Jährigen einen weiteren Aufenthalt im Gefängnis ersparten.
Das Gericht rechnete El Masris Geständnis, die Entschuldigungen bei den Opfern und die Traumatisierung durch seine Entführung nach Afghanistan als strafmildernd an.
Natürlich hat “Bild” das weggelassen, sonst hätten vermutlich Millionen “Bild”-Leser gefragt: “Traumatisiert? Wovon das denn??” Schließlich hat ihre Zeitung ihnen al-Masri bislang und konsequent nur als “durchgeknallten Schläger, Querulant und Brandstifter” und potentiellen Lügner vorgestellt, dem nicht mehr passiert ist, als dass er “versehentlich in Mazedonien verschleppt und für fünf Monate inhaftiert wurde”, was aber kein Skandal sei.
Der psychiatrische Gutachter Norbert Ormanns sagte im Verfahren übrigens, al-Masris Taten hätten sehr wahrscheinlich verhindert werden können, wenn al-Masri, der vor seiner Entführung 20 Jahre lang unbescholten in Deutschland gelebt hat, die dringend notwendige Therapie bekommen hätte. Auch das steht nicht in “Bild”. Vermutlich, weil die Zeitung solche Zusammenhänge erklärtermaßen für “irre” hält.
Wir werden unsere Berichterstattung [über al-Masri] nicht weichspülen – so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.
meinte die Zeitung also in Wahrheit vermutlich ungefähr:
Wir werden auch in Zukunft so manipulativ und irreführend berichten, dass unsere Leser keine Wahl haben, als die von uns verbreiteten Vorurteile bestätigt zu finden.
Klaus Vater, 61, ist seit über fünf Jahren Sprecher der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Er leitet die Pressestelle des BMG und war zuvor schon Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Seine berufliche Karriere begann der gelernte Politikwissenschaftler als Journalist; er war u.a. Redakteur bei der SPD-Zeitung “Vorwärts”. 2004 berichtete der “Tagesspiegel”, Vater schreibe nebenbei an einem Roman (“Mittvierzigerin im großen Ministerium, die einer Verschwörung auf die Spur kommt”). Auf die Frage, was daraus geworden ist, antwortet er heute, er sei “derzeit nicht so in der Laune”. Von Vater verfasste Pressemitteilungen beginnen auch schon mal mit den Worten: “‘Bild’ lügt.”
Von Klaus Vater
Liebe Bildblog-Gucker(innen)! Ganz aufgeregt — seit Tagen aufgeregt — wartete ich heute auf “Bild” von heute. Wenn ich schon der Blogger des Tages sein soll, dann soll’s auch eine irgendwie besondere Ausgabe sein.
Ergebnis: Nix da. Was die Deutschen verdienen, verspricht “Bild” heute. Nicht ‘n paar Deutsche, sondern die. Also alle, ausnahmslos. Jeder und Jede. Sofort im Alphabet rum gerutscht. “A”, dann “B”, dann “C” – wie Chefredakteur “Bild”. Keine Angabe. Nix über K.D. Also verdient der auch nichts. Oder? Anschließend unter Vorstandsvorsitzende nachgeschaut. “V” wie Döpfner zum Beispiel. Schon wieder nichts. Hmmmm. Möglich wäre ja, dass man ihm Verluste im Geschäft vom Gehalt abgezogen hat. Dann würde er schon aus der Tabelle raus fallen. Also ein Klassiker wird die Gehälter-Tabelle in “Bild” nicht.
Dafür bietet “Bild” unten auf der Seite freilich einen echten Klassiker. Nämlich, dass die Deutschen zu einem Drittel an Heiligabend Würstchen mit Kartoffelsalat essen. Gänse fliegen mit 19 Prozent abgeschlagen hinterher. Eine Zeitschrift namens “Bella” will das herausgefunden haben. Um das zu wissen, hätte keine Zeile von “Bella” zu “Bild” springen müssen. Weiß doch jeder, dass es Heiligabend Würstchen gibt! Selber Würstchen! Dazu passt allerdings nicht, links neben dem Kartoffelsalat gedruckt, dass die Deutschen zu wenig sparen. Vielleicht findet “Bild” ja heraus, dass die Deutschen weniger sparen, weil sie mehr und größere Würste sowie noch mehr Kartoffelsalat essen. Paris Hilton soll übrigens wieder in Berlin sein. Was ich persönlich nicht glaube. Denn sie kennt laut “Bild” Knut nicht.
Aus meinem “Zuständigkeitsbereich” Gesundheit und damit Verbundenes habe ich fast nichts gefunden. Außer dass Chef-Kommentator Hoeren auf Seite zwei irgendwie schlecht aussieht. Hängt vielleicht mit dem Thema zusammen. Erbschaftssteuer. Wenn ich ihn richtig verstanden habe (3 x gelesen), will er die Erbschaftssteuer weg haben. Er meint, die Politik solle nichts tun, dann würde sie keine große Chance vertun. Das soll einer verstehen. Halt. Stopp. Nur nichts übersehen? Auf Seite eins steht, es gebe in Deutschland wieder mehr Geburten. Und dann steht da der Satz — Zitat: “Eigentlich gingen die Forscher auch für dieses Jahr von einem Rückgang aus.” Die Forscher! Da ich fünf Kinder habe, könnte mich die ganze Sache ja eiskalt lassen. Aber was zum Teufel haben die Forscher mit der Geburtenrate zu tun? Männer, deutsche Männer, traut den Forschern nicht. Wehrt Euch!
Letzter Blick auf die Zeitung: 50 Cent. Na ja. Dafür gibt’s andere Verwendungen. Beim nächsten Besuch im Einstein leg ich drei Euro für den Cappu zu 2,50 Euro auf den Tresen. “Stimmt so”. Dafür krieg’ ich ein nettes Lächeln der hübschen Frau hinter dem Tresen. Das ist gut angelegte Kohle.
Medien mit Migrationshintergrund (bundblog.espace.ch, Artur Vogel)
Wenn etwas vom Staat an uns Journalisten herangetragen wird, sei es in Form einer Empfehlung, einer Anregung oder eines Befehls, werde ich hellhörig. Staat und Medien, das verträgt sich nur auf Distanz; es ist immer wieder zu beobachten, wie einer, wenn er die alleinige Herrschaft anstrebt — sei dies Putin in Russland, Mugabe im Simbabwe, Chavez in Venezuela oder Mubarak in Ägypten — stets zuerst versucht, die Medien unter Kontrolle zu bringen.
Zensur? Nein, Zivilität (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Anstatt gleich Zensur zu schreien, sollte sich das deutsche Online-Völkchen lieber Verantwortung auf die Fahnen schreiben. So frei wie das Medium Internet ist, so stark hat es sich in der Vergangenheit kommerzialisiert und verlangt der Kontrolle.
Der Süddeutschen wird das Internet zuviel (telepolis.de, Florian Rötzer)
Zuerst ließ man einen Redakteur eine Breitseite gegen den Internetpöbel reiten, dann schließt man das Forum über Nacht und am Wochenende vor den Barbaren aus der Tiefe des virtuellen Raums.
Weißer Mann, was nun? (Lesetipp) (zeit.de, Andrea Jeska)
Die Zweifel am Engagement Prominenter für die Armen der Welt wachsen. Eine Reise mit dem Kölsch-Rocker Wolfgang Niedecken nach Uganda
Enteignet Springer! (youtube.com, Video, 0:20 Minuten)
Spontane Aktion der Grünen Jugend Münster gegen Medien-Mogul Springer, anläßlich dessen Beteilung an der Aktion “Licht aus”.
Blogs in plain english (youtube.com, Video, 2:58 Minuten)
A video for people who wonder why blogs are such a big deal.
Christian Schertz, 41, ist Medienanwalt in Berlin. In den vergangenen Jahren setzte er in “Bild” und “BamS” u.a. Gegendarstellungen für Sabine Christiansen, Oliver Pocher, Nadja Auermann, Natalie Wörner, Katja Flint, Hannelore Hoger, Nora Tschirner, Karsten Speck, Sibel Kekilli, Cosma Shiva Hagen, Dieter Wedel, Günther Jauch und Alexandra Neldel durch. Schertz lehrt u.a. Medienrecht an der Potsdamer HFF und der FU Berlin — und stellt heute in Berlin gemeinsam mit Thomas Schuler das Buch “Rufmord und Medienopfer” vor.
Von Christian Schertz
Kein Zweifel: Auf BILDblog ist es angezeigt, sich kritisch mit “Bild” auseinanderzusetzen. Nur: Kritik kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet sinngemäß: “Die Kunst der Beurteilung”. Blattkritik — zu der ich von “Bild” noch nie eingeladen wurde — heißt also auch, Positives zu erwähnen. Daher mein Selbstversuch, die heutige “Bild”-Ausgabe nach Punkten zu durchforsten, die mir positiv auffallen, gewissermaßen als dialektischer Gegenentwurf zu BILDblog.
And here are the results:
Auf der Titelseite ist Nicolas Sarkozy “Verlierer” des Tages. “Bild” prangert zu Recht an, wie der französische Staatspräsident dem libyschen Staatschef Gaddafi (“Folter, Zensur und Menschen, die einfach verschwinden!”) fünf Tage einen roten Teppich ausrollt, um ihm ein Atomkraftwerk zu verkaufen.
Auf Seite 2 deckt Hugo Müller-Vogg in seinem Kommentar die Bigotterie christdemokratischer Politiker auf, die zumindest über Jahre ausschließlich das Lebensmodell “verheiratet mit Kindern” als Ideal gefeiert und vor allem dem Volk verkauft haben, dieses Modell aber immer seltener selbst leben nach dem Motto: “Wasser predigen und Wein trinken.” Müller-Vogg gelingt das Ganze auch noch, ohne bei den beschriebenen Fällen (Wulff, Oettinger, Pofalla) die Intimsphäre zu verletzen, da er lediglich öffentlich bekannte Fakten mitteilt und hieraus seine Schlüsse zieht. Hinzutritt, dass Frau Oettinger in einem Artikel neben dem Kommentar immerhin Fragen der “Bild” zu der Trennung, wenngleich abwiegelnd, beantwortet und damit selbst den heutigen Titel “Nach Ehe-Aus: Das sagt Frau Oettinger” ohne Not befördert hat. Wahrscheinlich war es wieder ein Überrumpelungsanruf, bei dem als presserechtliche Grundregel eigentlich gilt: Wenn man weitere Berichterstattung nicht befördern will, sagt man nichts, njet, kein Kommentar. Anders offenbar im Fall Oettinger.
Weiterhin fällt auf, dass die heutige “Bild” im Wesentlichen auch sonst ohne massive Eingriffe in die Privatsphäre auskommt. Lediglich ein “Abschuss” von Britney Spears, der sie beim Stehlen eines Feuerzeuges im Wert von 99 Cent an einer Tankstelle zeigt, lässt sich finden. Indes dürfte auch dieses Foto rechtlich nach der medialen Inszenierung von Frau Spears sogar zulässig sein.
Noch zu diesem Thema: Tatsächlich, ich kann es gar nicht glauben, ich finde kein Leser-Reporter-Foto! Jedenfalls in der Printausgabe. Mehrfach blättere ich die Zeitung durch. Ich finde keins.* Da wurde über Monate “das Phänomen Leser-Reporter” in den Feuilletons der überregionalen Tagespresse und den Medienmagazinen in Funk und Fernsehen diskutiert und angeprangert. Auch ich selbst war hieranbeteiligt (“Massenweiser Aufruf zum Rechtsbruch”). Und dann stellt man fest, dass die “Bild”-Zeitung in ihrer Printausgabe jedenfalls eine tägliche Rubrik “Leser-Reporter” offensichtlich aufgegeben hat. Völlig unbemerkt. Nach dem Abklingen der Diskussion.
Vielleicht muss “Bild” ja auch die Privatsphäre von Menschen nicht mehr verletzen, da seit geraumer Zeit Prominente jeglicher Couleur zumeist unaufgefordert, jedenfalls ohne Not, sich zu dem aktuellen Zustand ihres Liebes- und Privatleben äußern. Während in der Vergangenheit viele Celebrities gut daran getan haben, ihre Privatsphäre zu schützen, häuft sich die Anzahl derjenigen, die mit O-Tönen wie: “Ja, es stimmt. Wir sind ein Paar.”; “Ja, es stimmt. Wir haben uns getrennt.” oder gleich in der Kombi “Ja, es stimmt. Ich habe mich getrennt und bin jetzt zusammen mit…” in die Öffentlichkeit gehen. BUNTE-Republik Deutschland.
Dennoch ist der Selbstversuch misslungen: Was die “Bild”-Zeitung heute auf Seite 2 mit dem offensichtlich traumatisierten Folter-Opfer Al-Masri macht (“Brandstifter und Schläger vor Gericht”) ist unfassbar, unentschuldbar, ein Nachtreten in Richtung Presserat und Betroffenen. Das Leben ist nicht fair.
*) Nachtrag zum misslungenen Selbstversuch, 16.47 Uhr: Jetzt habe ich sie doch gefunden, Leser-Reporter-Fotos auf Seite 12, insgesamt 5 Fotos von Frauen mit Rückentatoos. Dabei handelt es sich aber im Wortsinne nicht um Leser-Reporter-Fotos, sondern um Leser-Fotos — offensichtlich mit Einwilligung der Abgebildeten. In den Anfängen der Leser-Reporter-Fotos waren es noch vielfach Abschüsse von Prominenten ohne deren Zustimmung. Das erklärt auch, warum die Rubrik Leser-Reporter nicht mehr offensichtlich ins Auge fiel.
Videoblogger und Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek wurde gemäss Tagesspiegel “strafversetzt“. Ein ZDF-Fernsehmoderator (Claus Kleber) soll sich überraschend nächstens im Chefredaktionssessel des Spiegels wieder finden – sein Arbeitgeber kämpft derweil noch um ihn. Die Clap-Redaktion legte Zeitschriften auf die Küchenwaage. Eine eigene Facebook-Gruppe für Schweizer Blogs wurde gegründet. Binningen musste für eine Nacht ohne TV und Internet auskommen. Ein Schweizer Politiker schrieb Leserbriefe mit Inhalten aus der Weltwoche. Die Schweizer Gratiszeitung News erschien erstmals und .ch-Verleger Sacha Wigdorovits wurde von der Sonntagszeitung gesehen, wie er eigenhändig sein Produkt auf die Ständer hievte (weil es nicht korrekt platziert war).