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Opfer des Layouts

Wer sich die heutigen Tageszeitungen anschaut, stellt fest, dass das schwere Erdbeben bei den Samoainseln viele Titelseiten dominiert.

Auch die “Stuttgarter Zeitung” hat sich für einen “Katastrophen auf Samoa”-Aufmacher entschieden und sogar ein gutes Foto dafür gefunden. Im hauseigenen Online-Auftritt ist es bereits seit gestern in einer Bildergalerie zu sehen:

Stuttgarter Zeitung 430

Doch vorn auf der gedruckten “Stuttgarter” (hier im Großformat) sieht dasselbe Foto heute so aus:

Stuttgarter Zeitung Titelblatt 430

Wie sowas geht? Der hauseigene Grafiker hatte die rechte Hälfte des Bildes gespiegelt und (nicht ohne Aufwand) alles, was den Schwindel schon auf den ersten Blick auffliegen lassen könnte, retuschiert: Der Mann, der in den Trümmern steht, wurde digital ausradiert; dort, wo eigentlich das Auto steht, ließ man ein wenig Gras drüber wachsen und pflanzte einen Text.

Der Grund für diese merkwürdige Irreführung des Lesers ist ebenso peinlich wie banal: Im Juni dieses Jahres wurde die “Stuttgarter Zeitung” dank eines Redesigns zur “besten StZ aller Zeiten”. Und das neue Layout verlangt nun mal jeden Tag ein vierspaltiges Foto im Verhältnis 1:2,8 (Annäherungswert). Doch um es mit Michael Maurer, dem stellvertretenden StZ-Chef, zu sagen:

Das Foto auf der Seite 1 ist kein Selbstzweck. Es soll zwar die Optik der Titelseite attraktiver und moderner machen, aber es soll vor allem die journalistische Qualität und journalistische Eigenleistungen der StZ hervorheben. (…) Dem Leser wird damit klar signalisiert, welche Glanzstücke aus redaktioneller Sicht ihn im Innenteil erwarten.

Das wollen wir nicht hoffen.

Mit Dank an Stefan und rod66.

Nachtrag, 20.00 Uhr:
Uns erreichte folgender Kommentar von Michael Maurer, stv. Chefredakteur der “Stuttgarter Zeitung”:

Das Aufmacher-Bild auf der ersten Seite der Stuttgarter Zeitung vom Donnerstag, 1. Oktober, ist technisch in einer Art und Weise bearbeitet worden, die nicht unseren journalistischen Standards entspricht. Mit der Doppelung eines Ausschnittes ist die Aussage des Bildes verfälscht worden. Die Redaktion übernimmt die Verantwortung für diesen Fehler und wir entschuldigen uns bei unseren Leserinnen und Lesern.

Graeter, Amanpour, Knüwer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Michael Graeter
(galore.de, Susanna Riethmüller)
Klatschreporter Michael Graeter, vor kurzem noch Gefängnisinsasse unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, im ausführlichen Interview: “Natürlich kann man vieles vom Schreibtisch aus recherchieren, am Telefon. Aber: Nur vor Ort wartet die Geschichte, die man eben nicht erwartet hat. Meistens trifft man irgendjemanden, und der hat dann noch eine ganz neue Story dabei. Vielen jungen Reportern, ich muss es leider so sagen, fehlt ein bisschen der Biss.”

2. Interview mit Christiane Amanpour
(spiegel.de, Frank Hornig und Thomas Schulz)
CNN-Reporterin Christiane Amanpour wechselt nach 20 Jahren Auslandberichterstattung in den Innendienst: “Was mich schmerzt, ist, mit welchem Zynismus Nachrichten und Berichterstattung oft gesehen werden. Wir riskieren unser Leben, wir glauben an eine Aufgabe, die wir zu erfüllen haben. Das ist doch kein Videospiel!”

3. “‘Spiegel TV’ tritt Berlin in die Tonne”
(faz.net/blogs/fernsehblog, Peer Schader)
“Was ‘Spiegel TV’ da für den späten Sonntagabend zusammengepappt hat, ist das Ergebnis eines Elendsjournalismus, der selbst fürs deutsche Fernsehen ungewöhnlich eklig ist, weil er nur zu dem Zweck betrieben wird, dass sich selbstgefällige Reporter über alles und jeden lustig machen können, der so leichtsinnig war, dem Kamerateam nicht Hausverbot zu erteilen.”

4. Interview mit Thomas Knüwer
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Thomas Knüwer, bisher beim “Handelsblatt”, wird Medienberater. Und er weiss auch wieso: “Viele Unternehmen sehen, dass da etwas vor sich geht mit dem Internet aber sie stehen wie der Ochs vorm Berge und suchen nach Menschen, die ihnen Orientierung bieten können.”

5. Interview mit Res Strehle
(sonntagonline.ch, Christof Moser und Kurt-Emil Merki)
Nach der “NZZ” und vor dem “Blick” gibt sich auch die Tageszeitung “Tages-Anzeiger” einen neuen Anstrich. Einer der Chefredakteure, Res Strehle, will das “Pflichtprogramm” reduzieren: “Ich stelle mir vor, dass künftig vielleicht noch rund die Hälfte der Redaktion tagesaktuell arbeitet. (…) Die andere Hälfte arbeitet in einer Geschwindigkeit, welche zwei, drei Tage Recherche und Analyse erlauben.”

6. “Don’t Bail Out Newspapers”
(blog.newsweek.com/blogs/techtonicshifts, Daniel Lyons, englisch)
Daniel Lyons will nicht, dass die Zeitungen vom Staat unterstützt werden: “Let Them Die and Get Out of the Way.”

Westdeutsche Zeitung, Aust, AP

6 vor 9

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1. “Herr Maus, Sie sind eine Petze!”
(andreas-helsper.de)
Robert Maus, verantwortlich für die Redaktion Wuppertal der “Westdeutschen Zeitung”, beschwert sich nach einem Blogeintrag des Lesers Andreas Helsper bei dessen Chef. Helsper schreib über einen Artikel von Maus mit dem Titel “5000 Wuppertaler wollen Angela Merkel in Barmen sehen“. Im offenen Brief an Maus stellt Helsper klar: “Der Blogeintrag ist, um dies klar und deutlich zu sagen, meine Privatsache.”

2. Interview mit Stefan Aust
(diepresse.com, Isabella Wallnöfer)
Ex-“Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust entwickelt für die WAZ-Gruppe “etwas im Magazinbereich”, “keine Frauenzeitschrift”. Enthüllungsgeschichten, so glaubt er, hätten oft etwas mit Zufall zu tun. “Wenn sich Journalisten großer Titel dann als investigativ bezeichnen, kommen sie mir manchmal vor wie der Schrankenwärter, der glaubt, der Zug kommt, weil er die Schranken heruntergelassen hat.”

3. Twitter-Manipulation zur Bundestagswahl
(docs.google.com)
Die Diskordische Mediengruppe 09 bekennt sich zu Manipulationen auf Twitter zur Bundestagswahl 2009: “Wir haben die Veröffentlichung von Exit-Polls auf Twitter am Wahltag dominiert, manipuliert, ja sogar gefälscht was das Zeug hält.”

4. “Streik der Praktikanten”
(taz.de, Anna Mauersberger)
Die “taz”-Praktikanten, die “die eigene Arbeitskraft für Nichts” hergeben, rufen in einer Beilage zum Streik auf (am 9. Oktober): “Und so sitzen der und die Prakti bis spät abends noch hörig vor ihrem Computer-auf-Zeit, verzichten auf Urlaubstage, feiern niemals krank – während die Chefs sich ins Fäustchen lachen.”

5. “AP Publishes Internal Notes About Roman Polanski Arrest As News Story”
(businessinsider.com, Dan Frommer, englisch)
Dan Frommer dokumentiert eine (derzeit auf forbes.com online stehende) Meldung von AP, in der versehentlich interne Diskussionen veröffentlicht wurden: “is frank around too, or are you alone?”

6. “Michael Graeter bei Kerner”
(youtube.com, Video, 6:31 Minuten)
Die nicht in die ZDF-Mediathek aufgenommene “Johannes B. Kerner”-Sendung mit dem Gast Michael Graeter findet sich in Ausschnitten auf YouTube.

Darmstädter Echo, Diekmann, Maurer

6 vor 9

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1. “Der Journalismus des Darmstädter Echo”
(regioblog.de, Peter Löwenstein)
Ein Pressebeauftragter für die Piratenpartei schickt dem “Darmstädter Echo” eine Einladung zu einer Gründungsveranstaltung und erhält als Antwort einen Anruf, in dem er gebeten wird, “selbst produziertes Material” zu liefern, also “ein paar Textbausteine, die Abstimmungsergebnisse und auch ein paar Bilder”, da das Blatt offenbar keinen Reporter schicken will. Löwenstein sagt ab und bloggt lieber darüber.

2. “Spießer in den Cyberspace”
(tagesspiegel.de, Markus Hesselmann)
Der Online-Chef des “Tagesspiegels” plädiert dafür, das Netz nicht den “Experten und Alpha-Bloggern” zu überlassen. “Die Debatte über das Internet muss raus aus dem digitalen Ghetto. Rein in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft.”

3. “Schleichwerbefall beim SWR”
(kress.de)
Die Sportsendung “Flutlicht” berichtet am 30. August laut “Spiegel” von einem unter anderen von Haribo gesponserten Golf-Benefizturnier: “Der knapp zehnminütige Beitrag soll dabei wie ein Werbefilm dahergekommen sein: Das Goldbären-Maskottchen spielte Golf, es wurden Fußballspiele mit Gummibärchen nachgespielt, das Logo sei häufig im Hintergrund zu sehen gewesen.”

4. Kai Diekmann bei der “taz”
(30jahre.taz.de, Sebastian Heiser)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann besucht als eines von 8826 Mitgliedern die Mitgliederversammlung der taz-Genossenschaft. Im roten Kapuzenpulli plädiert er für eine Bezahlung von Inhalten: “Ich halte es für richtig, für guten Journalismus auch gutes Geld zu verlangen.”

5. “Des Kaisers Kleider und der Kurtisanen Kostüme”
(news.admin.ch, Ueli Maurer)
Der Schweizer Verteidigungsminister Ueli Maurer hält am Jahreskongress des Verbandes Schweizer Presse eine gepfefferte Rede: “Viele Medien nehmen den Informationsauftrag nicht ernst. So legen sie den Boden schlecht: Pfusch ist da an der Tagesordnung. Schnellschüsse und Kurzschlüsse, Sofort-Umfragen, Sofort-Erklärungen, Sofort-Geschichten füllen die online-Zeitungen, die Tageszeitungen, die Radio- und Fernsehprogramme. Aus dem Internet gegoogelt und schrill umformuliert, werden aus Nichts Schlagzeilen und aus Wenig Texte.”

6. “Schweinegrippenjournalismus”
(youtube.com, Video, 4:34 Minuten)
Ein Ausschnitt aus der letzten Sendung von “Harald Schmidt” zeigt, wie sich Jan Böhmermann als Rüdiger Alt in die Nachrichten der Pro7/Sat.1-Gruppe und in einen Leitartikel der “WAZ” schmuggelte.

Das Entführungsopfer aus dem Katalog

In der neuen Ausgabe des “Spiegel” wird ziemlich anschaulich darüber berichtet, welche Form von journalistischem Elendstourismus der Entführungsfall Jaycee Dugard in den USA vor Ort ausgelöst hat. Jeder, der was zu sagen hat, wird honoriert und zitiert. Und sogar die, die nichts zu sagen haben, kommen zu Wort — wie das eben so ist bei eher dünnen Nachrichtenlagen.

Auch die “Bild”-Zeitung will ihren Lesern keineswegs die sensationellsten Sensationen im Fall Jaycee vorenthalten. Und stellt eine interessante Frage:

Schreenshot_bild.de

Bild.de begründet diesen, nunja, Verdacht damit, dass… also… naja, die Frau ist blond, könnte in etwa in Jaycees Alter sein, außerdem hatte ihr Entführer dieses Bild auf seiner Visitenkarte — und ein Geschäftspartner des Entführers sagte: Ja, das könnte Jaycee sein! Muss erst mal reichen.

Hätte “Bild” sich ein wenig Zeit für Recherche genommen… ach, was reden wir denn da. Die Antwort lautet: nein. Wer diese junge Frau ist, wissen wir zwar auch nicht genau, aber dafür, woher das Foto stammt: von einer CD “Art Explosion”  (250.000 Images), einer Bilder- und Grafiksammlung, wie man sie über unzählige Agenturen bestellen kann und die in erster Linie dann dafür da ist, optische Elemente in Katalogen zu setzen. Oder auch auf Webseiten wie beispielsweise in Online-Shops:*


*) Inzwischen — warum auch immer — entfernt.

Nun könnte man sagen: Missverständnis, kann man ja nicht ahnen — und steht ja auch so ähnlich in anderen Medien … aber “Bild” weiß spätestens seit Montag, dass es sich unmöglich um Jaycee handeln kann. Am Montag nämlich meldete sich eine Leserin bei “Bild” mitsamt zwei Fotos von der CD — und bat “Bild” um eine Stellungnahme. Die kam nicht, stattdessen hat “Bild.de” die vermeintliche Jaycee jetzt auch noch in eine Bildergalerie eingebaut:

Mit Dank an Alicja!

Riepl, Ronaldo, Teenie-Blogger

6 vor 9

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1. “Die Rieplsche Fata Morgana”
(handelsblatt6.blogg.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer analysiert die Liebe vieler Medienmenschen zum “Rieplschen Gesetz” und meint: “Wenn Herr Riepls Dissertation der Rettungsring der Medienhäuser ist, dann ist die Empfehlung, einen Schwimmkurs zu belegen, nicht die schlechteste.”

2. “Warum Kassieren online so schwierig ist”
(spiegel.de, Christian Stöcker)
“Google hat US-Zeitungsverlegern ein System vorgeschlagen, mit dem man für Journalismus im Internet Geld einziehen könnte. Solche Systeme gibt es längst, durchgesetzt haben sie sich aber nie. Reicht die Macht der Suchmaschinisten, auch das Bezahlen im Netz zu revolutionieren?”

3. “Die kommende Blogger-Elite”
(freitag.de, John Crace)
John Crace vom “Guardian” porträtiert Teenie-Blogger (hier im Original).

4. “Mutprobe Nr. 6: Zu Besuch in der Redaktion”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Axel Hacke)
Axel Hacke zieht eine verwegene Mutprobe durch – er besucht die Redaktion der “Süddeutschen Zeitung”.

5. “Der öffentliche Babybauch”
(zeit.de, Ursula März)
In der Rubrik “Gesellschaftskritik” stellt Ursula März prominente Schwangere in Frage, die “ihr wachsendes Bäuchlein in allen Stadien in die Kameras halten”. Denn: “Was sagt eigentlich das Kind zu einem solchen Foto?”

6. ZDF blendet Ronaldo statt Cristiano Ronaldo ein
(youtube.com, Video, 2:32 Minuten)
Fußball: Das ZDF illustriert einen Bericht über Cristiano Ronaldo mit Ronaldo.

Wie in Bluewater einmal nichts passierte (2)

Die Nachrichtenagentur dpa bedauert, auf die Fälschung hereingefallen zu sein. Die dpa überprüft nach dem Vorfall ihre Regeln für den Umgang mit Informationen aus dem Internet und wird sie wo nötig verschärfen.

Mit diesen Sätzen endet im Original eine Meldung, in der die Nachrichtenagentur dpa ausführlich das Fiasko beschreibt, das sie heute erlebte (BILDblog berichtete). Sie ist zunächst auf ein vorgetäuschtes Selbstmordattentat in den USA hereingefallen und dann auf die vorgetäuschte Enthüllung, dass eine Gruppe von Berliner Rappern namens “Berlin Boys” ein Selbstmordattentat in den USA vorgetäuscht hätten. In Wahrheit war alles Fake — und eine PR-Aktion für den neuen Film “Shortcut to Hollywood” von Jan Stahlberg, in dem es um eine Band geht, die tatsächlich alles tut, um in die Medien zu kommen.

Die Aktion war generalstabsmäßig geplant und beruhte auf mehreren, sich gegenseitig bestätigenden falschen Internetseiten mit Telefonnummern, die nur scheinbar in die USA führten, in Wahrheit aber zum Team der Filmemacher. Die mutwillige Irreführung von dpa und anderer Medien war aufwändig vorbereitet — wäre aber tatsächlich aufgrund vieler Indizien leicht zu entlarven gewesen. Dass die größte deutsche Nachrichtenagentur viele Stunden lang einem Fernsehsender traut, der nicht existiert, und einen Anschlag in einer Kleinstadt meldet, die nicht existiert, lässt tatsächlich an ihren “Regeln für den Umgang mit Informationen” zweifeln, und zwar nicht nur solchen “aus dem Internet”.

Erst um 13:44 Uhr, mehr als vier Stunden nach dem ersten Bericht, brachte dpa folgende Eilmeldung:

Bitte verwenden Sie die Berichterstattung über den angeblichen Anschlag in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater nicht (dpa 0294, dpa 0241, dpa 0237, dpa 0229). Die Deutsche Presse-Agentur dpa geht Hinweisen nach, dass die als Quelle genannte Website des Fernsehsenders gefälscht ist und auch andere Websites über Bluewater nicht echt sind.

Bis dahin hatte es die Ente sogar schon über die belgische Grenze, auf die Homepage der Zeitung “De Morgen” geschafft.

Besonders hart erwischte es allerdings auch heute.de, das Online-Nachrichtenangebot des ZDF, das aus den Informationen des (falschen) deutschen VPK7-Hospitanten Rainer Petersen, der auch bei dpa und anderen Medien angerufen hatte, gleich ein längeres Feature machte (inzwischen gelöscht):

Rainer Petersen ist Deutscher und arbeitet seit drei Monaten bei vpk-tv. Im Gespräch mit heute.de beschreibt er – am Telefon immer noch hörbar geschockt — die Situation. (…)

Die Stadt steht noch Stunden nach der Entwarnung unter Schock. “Mindestens fünf Menschen sind mit einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus gekommen”, sagt Petersen. Die Stimmung in der Stadt schwanke zwischen großer Wut und sehr großer Erleichterung. “Es gibt viele Leute, die Tränen in den Augen haben.” Der Gedanke an einen terroristischen Anschlag sei bei vielen Einwohner der Stadt sofort da gewesen. Die Behörden hätten ein hartes Vorgehen gegen die Deutschen angekündigt. “In deren Haut möchte ich jetzt nicht stecken”, sagt Petersen. Und schiebt noch hinterher, dass er jetzt wohl erstmal ein Bier trinken werde, um selber wieder etwas runterzukommen.

Dass selbst die scheinbare Auflösung noch ein Fake war und in Bluewater tatsächlich: nichts passiert ist, es also auch keine Aufregung und Panik gab, verwirrte viele Medien nachhaltig, darunter “Welt Online” (inzwischen geändert) in Kombination mit der gefälschten Stadt-Homepage …

… und sueddeutsche.de (inzwischen geändert):

Und die “B.Z.” mochte sogar nach der vollständigen Auflösung der Geschichte durch die Filmemacher noch nicht glauben, dass die “Berlin Boys” nur eine Erfindung sind und kontrastierte Stahlbergs Enthüllung des Fakes treuherzig mit den Äußerungen des fiktiven Managements (inzwischen verschlimmbessert):

Natürlich muss niemand fürchten, dass nun ausgerechnet die trashige Boulevardzeitung “B.Z.” anfangen wird, ihre “Regeln für den Umgang mit Informationen” zu überprüfen. Der zitierte Absatz zeigt, wie hartnäckig sie guten Geschichten glauben möchte, selbst wenn sie falsch sind.

Mehr zum Thema:

Schummeln beim Schwanzvergleich

Das Boulevardblatt “Bild” verkauft trotz kontinuierlich sinkender Auflage täglich immer noch ungefähr dreimal so viele Exemplare wie das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” wöchentlich. Im vergangenen Monat schaffte es in der offiziellen Statistik der IVW erstmals auch der Online-Ableger von “Bild”, den Online-Ableger des “Spiegel” nach Besuchen (“Visits”) zu überholen.

Bild.de feiert sich mit einem Artikel und einer Grafik, die gleich beweist, wie wenig diese Zahlen über die Qualität des Angebotes aussagen:

Denn was auch immer die beiden Säulen repräsentieren sollen — die jeweiligen Visits sind es nicht. Wenn die linke Fläche 103 Millionen Besuche darstellt, entspricht die rechte im Verhältnis gerade einmal 87,5 Millionen Besuchen. Bild.de hat die knapp überholte vermeintliche Konkurrenz gleich einmal um rund ein Sechstel kleiner gemacht, als sie ist.

Korrekt hätte die Grafik so ausgesehen:

Andererseits ist das Original-Diagramm von Bild.de schon treffend. Denn genau das ist ja ein wesentliches Erfolgsrezept dieses Internet-Angebotes: übertreiben und verfälschen.

Mit Dank an Michael K.!

Internet-Manifest, Gran Canaria, Strunz

6 vor 9

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1. “Internet-Manifest”
(internet-manifest.de)
Die von verschiedenen Bloggern und Journalisten aufgestellten 17 Behauptungen, wie Journalismus heute funktioniert, polarisieren und werden ausgiebig in News und Blogs diskutiert.

2. “Zeitungen gehen Web-Satire auf den Leim”
(spiegel.de, pat)
Die bengalische Boulevardzeitung “Manab Zamin” nimmt eine Satire von “The Onion” auf und verbreitet sie unter ihren Lesern als die Wahrheit. Neil Armstrong soll auf Basis einiger “Clips bei YouTube” zum Schluss gekommen sein, er sei “gar nicht auf dem Mond gelandet, sondern auf einer Bühne in New Mexiko”.

3. “Gran Canaria: TV zeigt Homo-Sex in Dünen”
(queer.de, dk)
Der spanische TV-Sender Telecinco, mehrheitlich in Besitz von Mediaset (Silvio Berlusconi), filmte Touristen heimlich beim Sex im Freien und zeigte die Bilder am Samstagabend.

4. “Schlechter Journalismus und Facebook”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß analysiert einen Artikel über Facebook auf dem Newsnetz-Portal bazonline.ch. Ein Journalist habe mal wieder das “Ich-habe-eine-These-und-bastle-mir-dazu-anekdotische-Fakten-Spiel gespielt, und zwar in der beliebten Nicht-passende-Fakten-werden-angepasst-Edition.”

5. “Der Mantel des Schweigens beim WDR”
(ruhrbarone.de, David Schraven und Marvin Oppong)
David Schraven und Marvin Oppong entdecken “beim WDR in Köln einen ähnlichen Fall” wie “in der Causa Heinze”. Doch im Gegensatz dazu “wurde dieser nicht in der Öffentlichkeit verhandelt, sondern in aller Stille bereinigt. Beim WDR mag man das Schweigen wohl.”

6. “Eine Zeitung für alle, voller Optimismus”
(abendblatt.de, Claus Strunz)
Ein Leser vertritt die Meinung, dass “Eyecatcher, d. h. auflagensteigernde Überschriften” nicht “in eklatantem Widerspruch zur Realität bzw. zum Inhalt des eigentlichen Artikels” sein sollten. Claus Strunz, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts”, antwortet: “Wir berichten fair, ehrlich und professionell. (…) Ihr Argument, wir überspitzten Überschriften zu sehr, um Auflagenerfolge zu erzielen, zielt ins Leere.”

Kluge, Barati, ARD

6 vor 9

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1. “Föderaler Wahnwitz ARD”
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Hans Leyendecker fragt sich im Zusammenhang mit dem “aufgedeckten Nepotismus der suspendierten Fernsehfilmchefin des NDR, Doris J. Heinze”, ob es sich um ein System handelt: “Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall, aber eigentlich müsste auch das Kartellamt ran. Der freie Wettbewerb der Freien ist praktisch ausgeschaltet, weil Sendeplatzverteiler vorrangig die Tochterfirmen der Sender bedienen und danach die Produktionsfirmen, die willfährig sind.”

2. “Zum Lachen, zum Weinen”
(britcoms.de, Oliver Nagel)
Minu Barati, Ehefrau von Joschka Fischer, behauptet in der “Zeit”, Martin Sonneborn sei eine fiktive Figur. Seine Gefolgschaft rekrutiere sich “aus Menschen, die nicht einmal eine rudimentäre politische Informationsfähigkeit empfinden und deren Konzentrationsfähigkeit auf einen Bierdeckel paßt.”

3. “Das verschmähte Medium”
(taz.de, Ralph Bollmann)
“Politiker finden das Fernsehen unglaublich wichtig” – und nutzen es (wie das Internet) als Konsumenten kaum. Ralph Bollmann denkt nach über “die Selbstgewissheit, mit der Politiker aller Parteien vor laufender Fernsehkamera stundenlang Wahlkampfstanzen von sich geben, die sie als Zuschauer nicht fünf Minuten lang ertragen könnten.”

4. Interview mit Jürgen Leinemann
(tagesspiegel.de, Kurt Röttgen und Norbert Thomma)
“Die Medienwelt ist vielfältiger geworden, sehr viel schneller. Und sehr viel oberflächlicher. Ich vermisse bei vielen Journalisten eine Haltung. Damit meine ich: Ernsthaftigkeit. Für irgendetwas Besonderes einzutreten, es wichtig zu finden. Ich vermisse Leidenschaft.”

5. “Faktor 13”
(begleitschreiben.twoday.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig fragt sich, warum auf tagesschau.de Nordkorea, flächenmässig ungefähr ein Dreizehntel so groß wie der Iran, grafisch gleich groß dargestellt wird.

6. Interview mit Alexander Kluge
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Willi Winkler fragt den Schriftsteller und Regisseur: “Und Sie gehen selber ins Internet?” Kluge antwortet: “Ich schwöre Ihnen, dass online schon eins meiner Ideale gewesen ist, noch ehe ich wusste, dass es online je geben würde. Online ist eine Revolution. Online erreichen Sie eine ungeheure Zuschauermenge, ein Potential an Öffentlichkeit, wie Sie sich das nie träumen ließen.” Winkler wieder: “Aber doch nur für Minuten.”

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