Bei Bild.de scheint Ronzheimer nicht ganz so beliebt zu sein wie in Griechenland. Offenbar gibt es dort sogar jemanden, der dem jungen Starreporter seine oft herablassende Hetze gegen die “Pleite-Griechen” übel nimmt:
Zufall dürfte das kaum sein — immerhin passiert das nicht zum ersten Mal:
Mit Dank auch an Dimitrios P.
Nachtrag, 14.40 Uhr: Das ging schnell: Paul Bonzheimer heißt jetzt in beiden Artikeln Ronzheimer.
“Bild” ist für ihre, wie es die Zeitung selbst formuliert, “Griechenland-Berichterstattung” vor ein paar Wochen mit der “Europa-Distel für den größten europapolitischen Fehltritt des Jahres” ausgezeichnet worden. Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros, hatte bei der “Preisverleihung” überdeutlich gemacht, dass sich die Zeitung von derartiger Kritik nicht beeindrucken lassen würde (BILDblog berichtete).
Paul Ronzheimer, Blomes Adjutant und Drachmen-Verteiler, scheint sich die Kritik dennoch ein Stück weit zu Herzen genommen zu haben. Statt, wie sonst, von “Pleite-Griechen” zu schreiben, wählt er heute eine andere Formulierung.
Die könnte sich bei längerer Überlegung allerdings auch als Ausdruck von Ronzheimers Zynismus erweisen:
In welchem Ausmaß die “arbeitslosen Griechen” “Millionen” in die Schweiz überwiesen haben sollen, erklärt Ronzheimer selbst übrigens so:
• 18 Griechen, die arbeitslos gemeldet sind, überwiesen jeweils mehr als eine Million Euro ins Ausland. Woher das Geld kommt, wird jetzt geklärt.
• Ein “Kleinunternehmer” aus der griechischen Provinz, der angeblich nur einige Zehntausend Euro pro Jahr verdiente, überwies mehr als 50 Millionen Euro auf ein Schweizer Konto. (…)
Mit Dank auch an Martina Y., altautonomer und Thomas D.
Die Europa-Union Deutschland, die sich selbst als überparteiliche, überkonfessionelle und unabhängige politische Nichtregierungsorganisation für ein föderalistisches Europa versteht, hat bei der diesjährigen Verleihung des Europapreises “Bild” mit der sogenannten “Distel” für den europapolitischen Fehltritt des Jahres bedacht. In einer Pressemitteilung heißt es:
Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der BILD-Zeitung, erhielt stellvertretend für sein Blatt die Europa-Distel für den größten europapolitischen Fehltritt des Jahres wegen der Forderung, Griechenland solle seine Inseln verkaufen. (…)
In seiner Laudatio auf die BILD stellte der Vorsitzende von Europa-Professionell, Joachim Wuermeling, fest, dass es ein Fehler war, eine solche Emotionalität in die Debatte zu bringen und zwischen guten und schlechten Euro-Ländern zu unterscheiden. Er machte klar: “Wir wollen keine europäische Misstrauensgesellschaft!”
Von Einsicht ist bei “Bild” allerdings nichts zu bemerken:
Es ist ein stacheliger Preis, der als Kritik an BILD gemeint ist: Die Europa-Union verlieh BILD die “Europäische Distel” – weil BILD mit seiner Berichterstattung angeblich die europäischen Bürger gegeneinander aufbringt.
BILD stellte sich der Kritik. Und erklärte den erstaunten Europa-Politikern, warum die Redaktion in der Euro-Krise bei ihrer Meinung bleibt!
“Bild” zitiert dann weite Teile der Rede, die Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros und stellvertretender Chefredakteur, bei der Preisverleihung gehalten hat. Dabei wird schnell klar: “Bild” hat sich der Kritik nicht “gestellt”, sondern hat sie einfach weggebügelt.
So fragt Blome etwa:
Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie “mundtot” machen?
Dabei kritisierte die Europa-Union nicht, dass “Bild” über die griechische Schuldenkrise berichtet hat, sondern wie (BILDblog berichtete hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier).
Blome fragt scheinheilig:
(…) hätten wir die Geschichte “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!” (27.4. 2010) nicht machen sollen? Den selbstverständlich nicht repräsentativen Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen? Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.
Zunächst einmal stand über dem berüchtigten Artikel nicht, wie Blome behauptet, “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!”, sondern “BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück!”. So nennt die Zeitung die Einwohner Griechenlands seit mehr als anderthalb Jahren.
Und natürlich war Paul Ronzheimers Aktion nicht “medienüblich”, sondern eine klare Grenzüberschreitung, bei der es einzig und allein darum ging, die Griechen vorzuführen (“Und das Irre: Viele jubeln und reißen sich darum…”). Man stelle sich vor, ein ausländisches Blatt würde in Deutschland eine derartige Aktion durchführen. “Bild” wäre sicherlich die Zeitung, die als erstes die Frage stellen würde “Warum werden wir Deutschen so verhöhnt?”.
Blome weiter:
Und noch eine Zugabe: “Verkauft eure Inseln, ihr Pleite-Griechen.” Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen. (…)
70.000 staatseigene Grundstücke stehen in Griechenland zum Verkauf, darunter eine komplette Halbinsel und ein kleiner Berg. Vollzogen wird der Verkauf am Ende vielleicht von einer Treuhandanstalt wie weiland in der untergegangenen DDR. (…)
Dabei weiß Blome vermutlich selbst am besten, wie diese Forderung in einem Land, das im zweiten Weltkrieg jahrelang unter der deutschen Besatzung gelitten hat, aufgefasst wird.
Der Unterschied zwischen den krawalligen “Pleite-Griechen”-Überschriften in “Bild” und der Sprache der anderen deutschen Zeitungen wird ausgerechnet in dem Moment am deutlichsten, in dem Blome behauptet, “die anderen” würden ja genauso schreiben:
Und weil das so ist, schreiben die anderen jetzt auch so. Nur ein Beispiel aus dem Juni 2011, Süddeutsche Zeitung. Der Autor delektiert sich unter der Überschrift “griechischer Schein”, wie das “Land seine Schulden verschleierte”, etwas, was sonst nur in einer “korrupten afrikanischen Diktatur” vorkomme. Selbst bei der Qualifikation für die Währungsunion hatten die Griechen gelogen”, bis das “Lügengebäude zum Einsturz” kam.
Der Höhe Tiefpunkt seiner Rede macht deutlich, dass Blome nicht ansatzweise verstanden hat, wofür “Bild” ausgezeichnet wurde:
Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.
Die sonst geläufige Redewendung, nach der der Ton die Musik mache, war den Großmüttern von Nikolaus Blome offenbar unbekannt — oder ihr Enkel hat auch damals schon nicht richtig zugehört.
Gegen Ende seiner Rede greift Blome dann wieder seine eingangs erwähnte Sorge, die Verleihung der Distel solle seine Zeitung “mundtot machen”, auf:
Haben Sie das Gefühl, Griechenland ginge es besser, wenn wir die Klappe gehalten hätten? Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?
Vermutlich ginge es Griechenland nicht besser, wenn Blome und seine Leute “die Klappe gehalten hätten”, aber darum ging es bei dieser Preisverleihung gar nicht. Das Klima zwischen Deutschen und Griechen könnte allerdings deutlich weniger angespannt sein, wenn “Bild” die Klappe gehalten weniger hetzerisch berichtet hätte.
Denn dass “Bild” die “Griechenland-kritische Stimmung” nicht wenigstens ordentlich mit angeheizt hätte, glaubt Blome hoffentlich nicht im Ernst.
Es sind einzelne Demonstranten. Aber wissen sie nicht, dass sie die Gefühle von Millionen Deutschen verletzen?
Und das ist natürlich ganz witzig angesichts der einzelnen Boulevard-Journalisten, die seit mehr als einem Jahr die Gefühle von Millionen Griechen verletzen.
Die Demonstranten forderten lautstark “Reparationen” für die nachweislich grausamen Verbrechen der Deutschen, die Griechenland während des Zweiten Weltkriegs besetzt hatten (1941–45). Dabei wissen sie: Alle Reparationsforderungen Griechenlands an Deutschland sind vertraglich längst beglichen oder anderweitig geregelt.
Das ist, vorsichtig gesagt, falschtendenziös zynisch.
Die Reparationsforderungen, die 18 Staaten (darunter Griechenland) im Pariser Reparationsabkommen von 1946 gestellt hatten, wurden mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 zurückgestellt. Die Reparationszahlungen sollten erst nach Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland wieder eingefordert werden, doch den gibt es bis heute nicht: Der Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den alliierten Siegermächten (USA, Großbritannien, Frankreich und UdSSR) auf der einen und der Bundesrepublik und der DDR auf der anderen Seite wurde ausdrücklich “anstatt eines Friedensvertrags” geschlossen. Experten sind sich uneins, ob die Ansprüche früherer deutscher Kriegsgegner wie Griechenland auf Reparationszahlungen damit ebenfalls verfallen sind oder nicht.
“Geregelt” ist im Fall Griechenlands also nichts und “beglichen” schon gar nicht: Hagen Fleischer, Historiker an der Universität in Athen, hat in einem Gespräch mit dem Deutschlandradio Kultur vom März 2010 erklärt, dass Griechenlands Forderungen nach der Wiedervereinigung “im Allgemeinen bereits vom Türsteher abgewiesen” worden waren. Hinzu komme ein Zwangsdarlehen der griechischen Staatsbank an Nazi-Deutschland, das sich nach heutiger Kaufkraft auf über fünf Milliarden Euro beliefe (“ohne einen Pfennig Zinsen”).
Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl sagte im Juni in einem Interview mit “Spiegel Online”:
Die Griechen kennen die feindlichen Artikel aus deutschen Medien sehr gut. Wenn die Stimmung im Land umschlägt, alte Forderungen nach Reparationszahlungen laut und auch von anderen europäischen Staaten erhoben werden und Deutschland diese je einlösen muss, werden wir alle bis aufs Hemd ausgezogen.
Ebenfalls bei “Spiegel Online” findet sich die stolze Zahl von 162 Milliarden Euro plus Zinsen, mit der der griechische Nationalheld Manolis Glezos die deutschen Schulden gegenüber Griechenland beziffert hat.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Diese Welt braucht Journalisten mehr denn je” (dw-world.de, Sandra Petersmann)
Joel Simon vom “Committee to Protect Journalists” mag Personen, die Journalismus betreiben, nicht mehr voneinander abgrenzen: “Einfach gesagt sind Journalisten dazu da, Informationen zu sammeln und zu verbreiten, die für die Öffentlichkeit von Bedeutung sind. Es gibt professionelle Journalisten, die das machen, und es gibt Menschen, die das als Bürger machen.”
2. “So haben uns die Griechen reingelegt” (ruhrbarone.de, Michael Voregger)
Michael Voregger stimmt es nachdenklich, dass die Jury des Herbert-Quandt-Preises sich für “Bild”-Autoren entschieden hat (BILDblogberichtete), das werfe “kein gutes Licht auf den Wirtschaftsjournalismus im Lande”. Er kritisiert auch öffentlich-rechtliche Nachrichtenformate: “Die Redaktionen orientieren sich am Mainstream, regierungsnahe Positionen werden kommentarlos übernommen und kritische Experten tauchen nicht auf. Das Unwort des letzten Jahres ‘alternativlos’ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.”
3. “In eigener Sache: Neuer Umgang mit Leser-Kommentaren” (blog.handelsblatt.com/handelsblog, Olaf Storbeck)
Olaf Storbeck ändert den Umgang mit Leser-Kommentaren: “Um ein gewisses Grundniveau der Diskussion zu gewährleisten, werde ich daher tumbe nationalistische und per se Euro-feindliche Kommentare nicht mehr freischalten – zum Beispiel solche, die Nazi-Deutsch enthalten (‘Finanzknechtschaft’), die Geschichte verdrehen (‘Muss erst wieder ein Krieg gegen Deutschland geführt werden?’) oder darüber räsonniert wird, ‘wie ein nachgewiesener Maßen intelligentes Volk wie die Deutschen sich derart ausnutzen lassen kann’. Das gleiche gilt für Verschwörungstheorien jeder Art.”
4. “Früher herrschten die Gewalttäter, heute herrschen die Wohl-Täter” (heise.de/tp, Eren Güvercin)
Eren Güvercin spricht mit Maternus Millett über politische Korrektheit. “Die politische Korrektheit als das ‘absolut Gute’ hat das gesellschaftliche Klima bereits so weit polarisiert und vergiftet, dass auch eine kritische Diskussion des ‘absolut Guten’ – also des Versagens der Bildungs- und Integrationspolitik, der selektiven Toleranz Straftaten von Immigranten gegenüber, der bedingungslosen Sozialleistungen für alle – kaum noch möglich ist. Folglich können alle, die provokante Kritik anmelden, sehr leicht moralische Empörung auslösen und sich als Rebellen gegen das neue, linke, permissive Establishment und als ‘Opfer von Repression’ darstellen.”
6. “Lächerlicher Wahnsinn” (weltwoche.ch, Roger Köppel)
Jörg Kachelmann gewährt nach dem Gespräch in der “Zeit” auch der “Weltwoche” ein sehr ausführliches Interview: “Die heuchlerischen Aufrufe der Medien, dass ich nun doch aus taktischen Gründen demütigst zu schweigen und zu verschwinden hätte, sind der Versuch, deren menschenverachtende Vorverurteilung möglichst schnell vergessen zu machen. Nun wollen gerade die mein Schweigen, die sich vorher als die willfährigsten Sprachrohre der lügenden Staatsanwaltschaft Mannheim geriert haben: Springer, Burda, Stern, Süddeutsche.” Interviewer Roger Köppel betont, dass für das Interview kein Geld bezahlt wurde.
Am Samstag hatte Bild.de dann doch endlich wieder freie Kapazitäten für den zeitlosen Westerwelle-Klassiker “Leistung muss sich wieder lohnen!”:
Hartz IV gleich soziale Hängematte? Viele arbeiten, obwohl es sich fast gar nicht lohnt. Sie sind Aufstocker.
Kurios ist dabei der Rechentrick, mit dessen Hilfe Bild.de “Stundenlöhne” von 1,88 Euro oder im folgenden Fall 2,50 Euro überhaupt möglich macht:
Wie die Kölnerin Simone L. (39), die 30 Stunden in der Woche in einem Verwaltungsjob arbeitet. (…) Sie lebt von 1050 Euro Nettogehalt, 184 Euro Kindergeld und 409 Euro staatlichem Mietzuschuss. Macht 1643 Euro.
Wenn sie gar nicht arbeiten würde, hätte sie nur 270 Euro weniger. Sie verdient also nur 2,25 Euro pro Stunde.
Haben Sie’s gemerkt? Während ein Stundenlohn normalerweise angibt, was ein Angestellter pro Arbeitsstunde brutto verdient, nimmt Bild.de den Nettolohn plus Kindergeld und Mietzuschuss, zieht davon einen möglichen Anspruch auf Hartz IV ab und teilt das dann durch die Arbeitsstunden — hier: (1643€ – 1373€)/120h. Berechnet man den Stundenlohn von Simone L. auf herkömmliche Weise, dann liegt er bei ca. 12 Euro.
Wie bescheuert dieser Rechenweg ist, zeigt sich, wenn man damit den Stundenlohn eines alleinerziehenden Bild.de-Redakteurs im fünften Berufsjahr laut Tarifvertrag (immerhin 3467 Euro brutto) berechnet. Denn auch er käme lediglich auf einen Dumping-Stundenlohn von etwa 5,50 Euro statt eines wirklichen Stundenlohns von 21,67 Euro (bei 40 Arbeitsstunden).
Aber ganz unabhängig vom Gehalt: Lohnt es sich überhaupt, für Bild.de zu arbeiten?
Nachdem BILDblog vor einem Jahr aufgezeigt hatte, wie man erfolgreich gegen ein Land aufhetzt, ist es nun Zeit für die Königsdisziplin: Der ultimative Leitfaden für das Herausdrängen eines Landes aus der Eurozone — veranschaulicht anhand einiger ausgesuchter Artikel von “Bild” und Bild.de aus den vergangenen vier Wochen:
1. Stellen Sie rhetorische Fragen, die entweder nicht zu beantworten sind oder deren Antworten eigentlich schon klar sind. Wichtig: Bereits die Fragestellung muss eine Provokation beinhalten.
Sorgen Sie außerdem mit Fragen wie “Was machen die anderen Euro-Versager?” dafür, dass klar ist, dass Sie Griechen für Versager halten, auch wenn Sie es nicht konkret ansprechen.
2. Damit sind wir auch schon beim zweiten Punkt: Verwenden Sie möglichst symbolische Bilder. Hier: Ein Foto der alten griechischen Währung neben einer griechischen Euromünze unterstreicht Ihre Forderung nach der Rückkehr der Griechen zur Drachme.
3. Heizen Sie Spekulationen, dass Griechenland aus dem Euro austreten wolle, fleißigselbst mit an:
Verschweigen Sie anschließend unbedingt, dass es sich bei den “Gerüchten” um eine unbestätigte Falschmeldung von “Spiegel Online” gehandelt hatte.
4. Natürlich gilt wieder: Lassen Sie fast ausschließlich “Top-Ökonomen” zu Wort kommen, die sich negativ über Griechenland äußern — oder in anderen Worten: Lassen Sie fast ausschließlich Hans-WernerSinn zu Wort kommen:
Ignorieren Sie dabei völlig, wenn Ihr Experte seine Position anderswo später relativiert:
Er fordere nicht den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Gerade erst hat Sinn gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” einen Austritt Griechenlands als “das kleinere Übel” bezeichnet. Dies sei aber keine Empfehlung gewesen, präzisiert er nun, er habe lediglich die Möglichkeiten aufgezählt; die Journalisten neigten dazu, Dinge zu überspitzen.
Sollte doch einmal ein Verteidiger zu Wort kommen, dann kompensieren Sie diesem Umstand am besten mit einer krawalligen Überschrift:
5. Als flankierende Maßnahme empfiehlt es sich, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone auch ganz unverblümt und direkt in Kommentaren zu fordern. Etwa so:
6. Lassen Sie Ihre bereits aufgehetzten Leser zwischendurch auch gerne über eine Frage abstimmen, bei der das Ergebnis dank Ihrer einseitigen Berichterstattung ohnehin schon klar ist: “Soll Griechenland raus aus der Euro-Zone?”
Fühlen Sie sich in Ihrer Kampagne bestätigt, wenn 84 Prozent diese Frage mit “Ja” beantworten!
7. Geben Sie Aussagen von Experten wie dem Ökonom Thomas Straubhaar möglichst verzerrt wieder, sodass es aussieht, als müsste Griechenland austreten, um nicht so unterzugehen wie seinerzeit die DDR:
Man beachte das harmonische Zusammenspiel von rhetorischer Frage (siehe 1.) und Symbolbild (siehe 2.).
Ignorieren Sie, dass Straubhaar in Wahrheit das exakte Gegenteil dessen gesagt hatte — nämlich dass ein Austritt für Griechenland einen ähnlichen Niedergangseffekt haben könnte, wie er in der Endphase der hochverschuldeten DDR zu beobachten war.
8. Sie können den Niedergang der Wirtschaft des Landes, das Sie loswerden wollen, sogar selbst beschleunigen. Berichten Sie einfach darüber, dass Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen, damit noch mehr Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen:
9. Berichten Sie über die durch die Sparmaßnahmen hervorgerufenen Streiks stets so, als wären die Griechen zu faul zu arbeiten:
Europa stützt Griechenland mit Milliarden Euro, die nächste Hilfsaktion ist in Vorbereitung – doch die Griechen weigern sich weiter, den Gürtel richtig eng zu schnallen. Stattdessen gehen sie wieder auf die Straße.
10. Nutzen Sie überhaupt jede Gelegenheit, um Missstände unter Verwendung wenig repräsentativer Extrembeispiele anzuprangern. Wichtig: Ignorieren Sie dabei alle bisher gemachten Fortschritte und scheuen Sie sich nicht vor schalen Wortspielen!
11. Berichten Sie groß darüber, wenn sich ein Politiker dazu hinreißen lässt, etwas zu sagen, was auch von Ihnen stammen könnte:
Berichten Sie stattdessen über die Reaktion im betroffenen Land. Denken Sie dabei immer daran, dass alle Aussagen, die Ihnen nicht passen, als “Pöbelei” bezeichnet werden müssen:
Viel Erfolg! Ihre Leser werden die bemitleidenswerten Opfer Ihrer Kampagne so schnell wie möglich loswerden wollen, die Politik wird sich Ihnen womöglich anschließen.
Vor einem halben Jahr wurden sie noch kollektiv als “Pleite-Griechen” abgestempelt, doch diesen zweifelhaften Ruf dürften die Hellenen – “Bild” sei Dank – jetzt wieder los sein:
Gut, die Attentate wurden von einer für Griechenland wenig repräsentativen anarchistische Gruppe mit dem albernen Namen “Verschwörung der Zellen des Feuers” durchgeführt, weswegen “Bomben-Griechen” etwas arg verallgemeinernd wirkt. Richtig unsinnig ist aber die fragezeichenlose Frage “Woher kommt plötzlich dieser Hass auf Deutschland” bei Bild.de, die im Artikel noch etwas weiter gefasst gestellt wird:
Aber woher kommt plötzlich in Griechenland dieser Hass auf Deutschland, seine Kanzlerin und seine Freunde in der EU?
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Autoren Rolf Kleine und Paul Ronzheimer diesen Hass speziell als “Hass auf Deutschland” und im weiteren Sinne “seine Freunde in der EU” interpretieren. Neben der deutschen Botschaft in Athen und dem Bundeskanzleramt in Berlin wurden nämlich auch an folgende Personen und Einrichtungen Bombenpakete geschickt:
An den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, an den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, an die französische Botschaft, an die bulgarische Botschaft, an die belgische Botschaft, an die niederländische Botschaft, an Europol (Den Haag) und an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Und von wegen “Deutschland und seine Freunde in der EU”: Die Attentäter schickten ihre Sprengsätze auch noch an die Botschaften Russlands, der Schweiz, Chiles und Mexikos.
Der Anschlag galt also nicht allein Deutschland. Die Begründung für den angeblichen “Hass auf Deutschland” in Griechenland, der zu den Bombenattentaten geführt hat, liefern die Autoren trotzdem gleich mit:
Tatsache ist: Bereits während der griechischen Euro-Krise im Frühjahr machten örtliche Medien mächtig Stimmung gegen Berlin. Nach dem EU-Gipfel am vergangenen Wochenende in Brüssel brachen dann alle Dämme – weil vor allem Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Sarkozy sich für besonders harte Strafe für Defizit-Sünder im Euro-Raum stark gemacht hatten.
Diese Aussage von Paul Ronzheimer ist nur noch zynisch — hatte er sich doch selbst vor einem halben Jahr, als “Bild” eine regelrechte Hetzkampagne gegen Griechenland führte, besonders eifrig beteiligt und sich unter anderem dadurch hervorgetan, dass er nach Athen reiste und den Pleite-Griechen symbolisch die Drachme zurückgab.
Wie es übrigens wirklich aussieht, wenn eine Zeitung “mächtig Stimmung” gegen ein Land macht, sieht man an diesen Ausrissen von vor einem halben Jahr:
Beim lustigen Auf-den-“Pleite-Griechen”-Rumhacken scheint selbst Bild.de mittlerweile die Lust vergangen zu sein, die eigenen Artikel mit irgendeiner Form von konstruierter Logik zu belasten.
Unter einer Überschrift, laut der die Griechen “unsere Kanzlerin” (gemeint ist Angela Merkel) “verhöhnen”, beginnt Paul Ronzheimer, “Pleite-Griechen”-Beauftragter von “Bild”, seinen Artikel mit diesen Worten:
Generalstreik in Griechenland – wieder einmal steht der Pleitestaat still. Statt dessen ziehen Demonstranten durch die Straßen Athens, halten Transparente hoch mit Aufschriften wie “Uns reicht es” – und verhöhnen unsere Kanzlerin!
… nur um dann selber zu erklären:
Wir sehen skandierende Menschen, die ein großes Plakat vor sich hertragen. Darauf: Griechenlands Premier Giorgos Papandreou und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Was genau auf dem Plakat steht, ist nicht zu erkennen, doch die Griechen scheinen auf unsere Regierungschefin besonders wütend zu sein.
Noch mal zum Mitdenken: Ronzheimer hat keinen Plan, was auf dem Plakat steht, aber er konnte erkennen, dass die Kanzlerin “verhöhnt” wird. Womöglich hätte er das sogar erkannt, wenn es gar kein Plakat gegeben hätte.
Den meisten Bürgern (und auch vielen Politikern) dürfte nicht ganz klar sein, worum es genau bei diesem “Rettungspaket” geht, das der Bundestag am Freitag für Griechenland “geschnürt” hat.
Aufklärung kommt da von der Sportredaktion des Kölner “Express”, die weltexklusiv herausgefunden hat, was mit dem Geld geschieht:
Doch jetzt trudelte eine komplett irre Offerte ins Haus des Nationalspielers: Panathinaikos Athen will Ballack haben. Geld? Spielt keine Rolle. EXPRESS erfuhr aus sicherer Quelle: Für drei Jahre bieten die Griechen Deutschlands Topstar 20 Millionen US-Dollar (16 Millionen Euro). Netto, versteht sich.
Sie haben’s ja, die Griechen. Schließlich hat am Freitag ja Deutschland den Weg frei gemacht für 22,4 Milliarden Euro Notkredite, um eine Staatspleite abzuwenden. Und mit so viel Kohle kann man sich ein paar Fußballer leisten.
Diese Taktik ist freilich nicht neu: Seit Island vor anderthalb Jahren vor der drohenden Staatspleite gerettet wurde, haben sich die dort ansässigen Fußballteams bekanntlich auch mit Weltstars eingedeckt und dominieren seitdem den europäischen Fußball wie keine zweite Nation.
Aber nicht nur Fußballfans und Ökonomen werden bei express.de überrascht — auch Historiker können noch was lernen:
Massenproteste auf Athens Straßen, drastische Sparmaßnahmen der Regierung – aber Panathinaikos will den ganz großen Wurf auf dem Transfermarkt. “Brot und Spiele” – das haben sich die alten Griechen von den Römern abgeschaut …
Ein bisschen widerspricht sich der Autor dann aber doch:
Schon im letzten Jahr schlug man auf dem Transfermarkt zu, holte Frankreichs Djibril Cissé für 8,5 Millionen Euro Ablöse und ein Jahresgehalt von 2,5 Millionen Euro.
Wie die das damals wohl finanziert haben, so ganz ohne deutsche Staatshilfe?
Schlicht falsch ist schließlich die Überschrift, die den Artikel ziert:
Nein, wollen sie nicht: Da Ballacks Vertrag beim FC Chelsea im Sommer ausläuft (wie express.de selbst schreibt), könnte er ablösefrei wechseln. Übrigens überall hin — vielleicht sogar zu einem Verein, der selbst finanziell schwer angeschlagen ist, aber aus Deutschland kommt.