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Heute anonym XXI

Unter der Überschrift “13-Jährige ins Auto gezerrt – Wollte Michelles Mörder auch dieses Mädchen holen?” berichtet “Bild” heute groß und detailliert über ein Mädchen aus Leipzig und zeigt auch ein Foto. “Bild” hat darauf das Gesicht des Mädchens durch Verpixelung unkenntlich gemacht und nennt es:

Peggy (Name geändert)

Bild.de wiederum hat den “Bild”-Artikel übernommen und das Gesicht noch vehementer anonymisiert. Es scheint also, als hätten sich “Bild” und Bild.de in diesem Fall tatsächlich Mühe gegeben, die Identität des Mädchens zu schützen…

…wenn man mal davon absieht, dass sich bis in den Nachmittag hinein auf verschiedenen Bild.de-Übersichtsseiten Teaser fanden, in denen “Peggy (Name geändert)” einen ganz anderen Namen trug*:

*) Ob es sich bei dem Namen im Teaser um “Peggys” richtigen Namen handelte, wissen wir nicht. Vermutlich ja. Denn nachdem wir Bild.de auf den mutmaßlich mangelhaften Schutz der Identität des Mädchens aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir (wir kennen das) zwar keine Antwort, aber: Inzwischen heißt das Mädchen auch in den Teasern “Peggy”.

Mit Dank an Nils H. und Sebastian F.

“Bild” verirrt sich schon wieder im Fall Michelle

Vergangenen Donnerstag gab es doch mal wieder Neuigkeiten im Fall Michelle, die in einer Pressemitteilung der Polizei folgendermaßen zusammengefasst wurden:

Am Mittwochvormittag kamen im Rahmen der Ermittlungen im Fall Michelle erneut Mantrailer-Hunde zum Einsatz. (…) Im Laufe der erneuten Suche lief ein Hund zu einem Schulgebäude an der Möbiusstraße in Reudnitz-Thonberg. Im Gebäude suchte der Hund gezielt die Kellerräume auf. Daher gehen die Ermittler im Moment davon aus, dass sich Michelle zu einem gegenwärtig nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt dort aufgehalten hat. In den Räumlichkeiten fanden in der Vergangenheit offenbar auch Feierlichkeiten von Kindern und Jugendlichen statt, weshalb die Geruchsspur nicht im Zusammenhang mit dem Gewaltverbrechen stehen muss. Zum anderen besteht auch leider keine Garantie auf einen absolut fehlerfreien Geruchssinn der Hunde.

Die “Bild”-Zeitung machte daraus am Freitag dies:

Wir blicken in einen trostlosen, schmutzigen Schulkeller. Kalt, nass, keine Fenster, flackerndes Licht. Der unheimliche Ort ist die heißeste Spur zum Mörder der kleinen Michelle († 8) aus Leipzig.

HABEN SIE DAS GEFÄNGNIS VON MICHELLE ENTDECKT?

Wurde das Mädchen hier eingesperrt, missbraucht und getötet?

Und tatsächlich blickt, wer die “Bild”-Zeitung liest, in einen “trostlosen, schmutzigen Schulkeller”. Denn scheinbar ist die “Bild”-Zeitung irgendwie an ein Foto des Kellers gelangt und druckt es ab:

"Spuren des ermordeten Mädchens im Schulkeller - Hat die Polizei Michelles Gefängnis entdeckt?"

Auf Nachfrage bei der Schule bestätigt man uns, dass das Keller-Foto auf dem Schulgelände aufgenommen wurde. Allerdings sei es schon vor längerer Zeit entstanden. Für eine Geschichte über die Renovierungsbedürftigkeit der Humboldt-Schule, die “Bröckel-Penne”, wie “Bild” damals geschrieben habe. Und:

“Das ist nicht der Keller, um den es geht. Der ist ganz woanders.”

Mit Dank an Marcel G. für den sachdienlichen Hinweis.

BILDisch für Fortgeschrittene (3)

Angesichts der folgenden Geschichte denkt der unbefangene “Bild”-Leser womöglich, es gäbe Neuigkeiten im Mordfall Michelle:

"Nach Mordfall Michelle: Polizei zeigt 3. Phantom-Bild"

Aber das wäre ein Irrtum. Zum besseren Verständnis dessen, was die “Bild”-Zeitung heute eigentlich mit ihrer “Michelle”-Meldung sagen will, haben wir die relevanten Textstellen (siehe Ziffern) mal entsprechend übersetzt:

 1  Die Dachzeile “Nach Mordfall Michelle” bedeutet, dass es zwar einen zeitlichen Zusammenhang (siehe auch Punkt 2) zwischen der Veröffentlichung der drei abgebildeten Phantombilder und dem Mordfall Michelle gibt, jedoch keinen inhaltlichen. Wie uns ein Sprecher der Leipziger Polizei sagt, stehen die Fälle “nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen nicht in einem Zusammenhang mit dem Fall Michelle”.

 2  “Bild” schreibt hier: Seit dem Fall Michelle “veröffentlichten die Ermittler zwei Phantombilder von Sextätern (…). Jetzt gibt es eine neue Täterzeichnung – diesmal zu einem Fall vom 10. Juni.” Das bedeutet, dass das älteste der drei Phantombilder, die “Bild” meint und abdruckt, vor dem Fall Michelle von der Polizei veröffentlicht wurde. Nach dem Fall Michelle hatte lediglich die “Bild”-Zeitung selbst es noch einmal veröffentlicht (wir berichteten) – zum Missfallen der Polizei.

 3  “Bild” schreibt: “Die Polizei prüft weiter, ob einer der Fälle mit dem Mord an Michelle zu tun haben könnte.” Die Polizei selbst drückt das etwas anders aus. Wie uns der Sprecher sagt, könne man einen Zusammenhang “nicht ausschließen”. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand jedoch… siehe Punkt 1.

Mit Dank an Andreas S. für den Hinweis.

Heiße Spuren für alle!

Heute kochen wir uns eine heiße Spur. Das ist kinderleicht. Man nehme:

  • einen Kriminalfall, der die Menschen gerade bewegt
  • einen Verdächtigen in einem anderen Kriminalfall
  • ein Telefon

Nun rufen wir bei der Polizei an und fragen sie nicht, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Verdächtige in dem einen Kriminalfall etwas mit dem anderen Kriminalfall zu tun hat, sondern nur, ob sie einen Zusammenhang ausschließen kann. Weil es zum Wesen solcher Ermittlungen gehört, möglichst wenig auszuschließen, wird die Antwort vermutlich “Nein” lauten, und, voilà: Wir haben unsere exklusive Spur, heiß gemacht durch eine Formulierung wie: “Die Polizei bestätigte, einen Zusammenhang nicht ausschließen zu können.”

Ein ähnliches Rezept hat “Bild” schon nach dem Mord an der achtjährigen Michelle aus Leipzig angewandt, als sie immer wieder ein Phantomfoto aus einem anderen Fall zeigte und als möglichen Täter und “heiße Spur” präsentierte — was nach den Worten des Polizeipräsidenten die Ermittlungen “erheblich behinderte”.

Gestern kochte sich “Bild” aber schon wieder eine mögliche “heiße Spur” zusammen. In Lyon war im Zusammenhang mit dem Mord an einem elfjährigen Jungen eine Frau festgenommen worden. Deutsche Ermittler im Fall der sogenannten “Phantomkillerin”, die unter anderem im vergangenen Jahr in Heilbronn eine Polizistin tötete, überprüften die DNA der französischen Frau — routinemäßig.

“Wenn Sie mich fragen, ist die Spur noch nicht einmal lauwarm, geschweige denn heiß”, sagte ein Polizeisprecher der “Badischen Zeitung”. Allerdings wäre es fahrlässig, eine solche Spur nicht abzugleichen — das werde bei jedem Gartenhauseinbruch so gemacht.

Das ist aber natürlich keine “Bild”-Geschichte. Eine “Bild”-Geschichte wurde es dadurch, dass sich “Bild”-Redakteur Bernd Strehlau von der Polizei bestätigen ließ, dass sich ein Zusammenhang nicht ausschließen lässt. Dann konnte er das Foto der Frau zeigen, die Worte “Ist SIE die Phantomkillerin?” daneben setzen und exklusiv berichten:

Die Polizei in Heilbronn bestätigte: Ein Zusammenhang mit dem Heilbronner Mord im April 2007 und dem Tod des Elfjährigen nahe Lyon im Juli sei nicht auszuschließen.

An dieser Stelle könnte die Geschichte zuende sein. Man könnte sagen: Mei, so sind sie halt bei “Bild”, das weiß man doch und kann damit umgehen. Die Nachrichtenagentur dpa aber weiß das offenbar nicht. Und so meldete sie gestern vormittag:

Heilbronn (dpa) – Eine Spur im Fall des Polizistinnenmordes in Heilbronn im vergangenen Jahr führt möglicherweise nach Frankreich. Die Polizei in Heilbronn schließe einen Zusammenhang zwischen der kaltblütigen Tat im April 2007 und einem grausamen Mord an einem Elfjährigen Ende Juli in der Nähe von Lyon nicht aus, teilte ein Sprecher am Donnerstag mit und bestätigte damit einen Bericht der “Bild”-Zeitung.

Wohlgemerkt: Er bestätigte, dass er bestätigte, dass er einen Zusammenhang nicht ausschließt. Um 14 Uhr zitierte dpa in einem längeren Text immerhin den Heilbronner Sprecher der Polizei nun plötzlich auch mit den Worten, es handle sich um eine “routinemäßige Überprüfung wie bei hunderten von anderen Fällen auch”.

Nicht einmal zwei Stunden später, um 15:47 Uhr, meldete dpa schließlich, die Spur sei “kalt”: Der Vergleich der DNA-Spuren habe keine Übereinstimmungen ergeben.

Bild.de-Leser wissen davon noch nichts. Und die “Heiße Spur?”-“News” ist aktuell immer noch eine der meistgelesenen auf Bild.de.



Mit Dank an die “Badische Zeitung”!

“Bild” hilft im Fall Michelle wenig II

Die “Leipziger Volkszeitung” (“LVZ”) hat ein Interview mit dem Leipziger Polizeipräsidenten Horst Wawrzynski “über die Fahndung nach Michelles Mörder” geführt. Er beantwortet darin Fragen zum Ermittlungsstand, zur Vorgehensweise der Polizei, zur Nachrichtensperre oder zur Notwendigkeit Ermittlungsdetails geheim zu halten.

Die “Bild”-Zeitung wird darin nicht namentlich erwähnt:

[“LVZ”:] Manche Berichterstattung dürfte jedoch auch pure Spekulation sein und weniger auf konkreten Quellen beruhen.

[Wawrzynski:] Auch das behindert uns enorm. Wenn wir wegen eines immer wieder veröffentlichten Phantombildes, das mit dem Fall Michelle überhaupt nichts zu tun hat, sogar Hinweise aus Saarbrücken und sonstwoher bekommen, müssen wir dortige Dienststellen einschalten oder selbst zur Befragung Beamte schicken. Oder aber es wird uns eine angeblich wichtige Zeugin per Presse präsentiert, deren Beobachtungen dann aber nichts als heiße Luft sind. Mit dieser Art unseriöser Berichterstattung werden die Bürger verdummt, weil es schlichtweg nichts mit der Realität zu tun hat.
(Links von uns)

Nachtrag, 5.9.2008: Wie die Nachrichtenagentur AP berichtete (hier bei “Spiegel Online”), weist “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann die Vorwürfe der Polizei zurück, die “Bild”-Berichterstattung könne die Ermittlungen gefährden:

Die veröffentlichten Informationen seien nicht geeignet, dem Täter bei der Verwischung von Spuren zu helfen, heißt es in einem Schreiben von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann an Leipzigs Polizeichef Horst Wawrzynski. Im Übrigen könne eine Behörde eine Nachrichtensperre nur für ihre eigenen Mitarbeiter, nicht aber mit Wirkung für die Presse verhängen. Eine Vereinbarung, von Berichterstattung abzusehen – wie im Entführungsfall Jan-Phillip Reemtsma – sei im Fall Michelle von der Leipziger Polizei “nie gesucht” worden.

Polizeichef Wawrzynski schrieb offenbar zurück und räumt in einem Brief an Diekmann bezüglich der Nachrichtensperre ein, sich im “LVZ”-Interview “missverständlich” geäußert zu haben. Das gibt der Axel Springer Verlag heute in einer Pressemitteilung bekannt:

Dazu der Polizeipräsident: “Selbstverständlich kann eine Nachrichtensperre nur für den Bereich meiner Behörde Geltung entfalten. (…) Es ist unstreitig, dass eine Nachrichtensperre nicht für die Presse gelten kann.”

“Bild” hilft im Fall Michelle wenig

"Die schreckliche Wahrheit über Michelles Tod"Es sieht ganz so aus, als habe die “Bild”-Zeitung es nun doch geschafft, konkrete Einzelheiten zum Tod der achtjährigen Michelle aus Leipzig zu erfahren. Unter der Überschrift “Die schreckliche Wahrheit über Michelles Tod” berichtet sie heute über “das Ergebnis der Obduktion ihrer Leiche” – und zeigt sich sichtlich stolz darüber (siehe Ausriss).

Bei Staatsanwaltschaft und Polizei ist man indes “entsetzt” über die Berichterstattung, wie “Spiegel Online” schreibt:

“Wir machen zu dem Obduktionsergebnis keine Angaben”, sagte (…) eine Sprecherin der Leipziger Polizei SPIEGEL ONLINE. “Wir sind aber sehr unglücklich darüber, dass die Nachrichtensperre nicht eingehalten wurde. Uns hat man damit bei der Fahndung nach dem Täter alles andere als einen Gefallen getan.” Die Veröffentlichung sei bei den weiteren Ermittlungen alles andere als hilfreich.

Auch die Staatsanwaltschaft zeigte sich über die Berichterstattung nicht erfreut. (…) “Die Öffentlichkeit hat natürlich einen Anspruch auf Information, aber gerade in einem Fall wie diesem, in dem sich die Ermittlungen umfangreicher als sonst gestalten, kann eine detaillierte Berichterstattung fahrlässig sein. Abgesehen davon muss man sich fragen: Was tut man der Familie damit an?”

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Polizei seien enttäuscht darüber, dass hinsichtlich der Ermittlungen keine Rücksicht genommen werde, sagte Schulz. “Details zu bestimmten Tathandlungen können auf einen bestimmten Täter hinweisen – und damit unsere Ermittlungen gefährden.”

Mit Dank auch an bgd, Claudius L., Gila M. und Michael K.

Nachtrag, 18.08 Uhr: Auch stern.de berichtet darüber, wie “verärgert” die Polizei auf den “Bild”-Artikel reagierte:

“Wer immer sich da profilieren wollte, hat der Sache einen Bärendienst erwiesen”, kommentierte ein Polizeisprecher einen Bericht der “Bild-Zeitung”. (…) Die Polizei halte bewusst an ihrer bereits kurz nach dem Verschwinden Michelles verhängten Informationssperre fest. Alles andere sei, auch in Hinblick auf die weiteren Ermittlungen, “äußerst kontraproduktiv”. Schließlich sei man “auf möglichst unbeeinflusste Zeugenhinweise” angewiesen, jede “Sensationshascherei” verfälsche das Bild oder verhindere, dass sich auch Bürger mit scheinbar unbedeutenden Beobachtungen meldeten (…).

Nachtrag, 3.9.2008: Nachdem die “Bild”-Zeitung am Dienstag Details aus dem Obduktionsbericht von Michelles Leiche veröffentlichte, suchen Staatsanwaltschaft und Polizei nun nach einem Informationsloch in den eigenen Reihen. Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf “Verletzung des Dienstgeheimnisses und der besonderen Geheimhaltungspflicht” eingeleitet, wie verschiedene Medien berichten. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt zudem:

Durch Medienberichte über angebliche Details seien die Ermittler auch “auf die falsche Fährte gelockt” worden. “Halbinformationen behindern die Ermittlungen”, kritisierte der Staatsanwalt.

Nachtrag, 3.9.2008, 15.30 Uhr: Auch Bild.de berichtet über die Ermittlungen wegen Verletzungen des Dienstgeheimnisses und verlinkt dabei gleich zwei Mal zu dem “Bild”-Artikel, der offenbar Auslöser für die Ermittlungen war.

“Bild” liest Spuren in Ermittler-Gesichtern

"Mordfall Michelle: Heiße Spur führt in diese alte Gärtnerei"Vergangenen Samstag berichtete “Bild” mal wieder über eine “heiße Spur” im Fall der getöteten Michelle aus Leipzig. Und zwar bereits auf der Titelseite (siehe Ausriss).

Wie schon zuvor, als “Bild” von angeblich heißen Spuren schrieb (wir berichteten), handelt es sich auch hier um eine “Interpretation der ‘Bild’-Zeitung”, wie ein Sprecher der Leipziger Polizei es uns gegenüber formuliert. Zurzeit sei noch nicht mal sicher, ob die in der Gärtnerei gefundenen Gegenstände überhaupt im Zusammenhang mit dem Fall Michelle stünden.

Und tatsächlich ist wohl der gesamte “Bild”-Artikel eine einzige große Interpretation:

"Mordfall Michelle: Versteckte sich hier ihr Mörder? Was verraten Fahrrad, Stuhl und Anhänger über den Killer?"

VERSTECKTE SICH HIER MICHELLES MÖRDER? WURDE DAS MÄDCHEN HIER GETÖTET? (…) Ist das der Tatort?

Aber die “Bild”-Zeitung gibt sich nicht vollständig mit derlei Gestocher Fragen zufrieden. Sie schreibt auch:

Die grausame Theorie der Ermittler: Der Mörder fesselte dort die kleine Michelle auf den Stuhl, misshandelte sie. Danach schmiss er ihre Leiche in den Fahrradanhänger, um sie in den Ententeich zu werfen.

Was “Bild” als “grausame Theorie der Ermittler” bezeichnet, nennt der Polizeisprecher:

Reine Spekulation.

Er halte es für sehr unwahrscheinlich, dass irgendein mit dem Fall betrauter Ermittler der “Bild”-Zeitung gegenüber diese Theorie geäußert habe. Auch wenn die hohe Aufmerksamkeit der Medien dafür sorge, dass viele Hinweise bei der Polizei* eingingen, so seien spekulative Medienberichte “grundsätzlich ein Problem”, da sie die Ermittlungen behindern könnten.

Und womöglich zeigt der letzte Satz des “Bild”-Artikels noch am besten, wo “Bild” die grausame Ermittler-Theorie her hat:

Doch die Gesichter der Ermittler lassen Schlimmes vermuten…

Mit Dank auch an Stephan L. und Heinz B.

*) Heute berichtet “Bild” über eine Frau, die einen “Verdächtigen” gesehen haben will, “der auf einem Spielplatz und an einer Schule Mädchen in Michelles Alter angesprochen hat!” Der Mann habe genauso ausgesehen, wie der auf dem Phantombild, das “Bild” vor einer Woche zeigte. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, rief die Polizei anlässlich dieser “Bild”-Geschichte Zeugen “eindringlich” auf, “sich mit Hinweisen direkt an die Ermittler zu wenden. Es sei nicht hilfreich, wenn sie sich während laufender Ermittlungen an die Medien wendeten. ‘Das macht unsere Ermittlungen nicht gerade einfacher'”.

“Bild” (er)findet “heiße Spur” im Fall Michelle

Vier Tage ist es her, dass die Leiche der 8-jährigen Michelle aus Leipzig gefunden wurde. Und die Polizei weiß noch nicht, wer Michelle getötet hat. Für die “Bild”-Zeitung ist das offenbar ein unerträglicher Zustand.

Schon am vergangenen Samstag berichtete sie, die Polizei habe eine “1. heiße Spur”. “Bild” veröffentlichte auf der Titelseite das Phantombild eines Mannes, nach dem die Polizei angeblich “fahndet” und schrieb groß darüber:

"Michelle († 8): Ist das ihr Mörder?"

“Bild” sparte auch nicht mit Details, die sie aus “Ermittlerkreisen” erfahren haben wollte. “Zwischen Michelle und ihrem Killer” habe es “einen Kampf” gegeben, schrieb “Bild”. “Haarbüschel” seien gefunden worden, und Michelle habe “blaue Flecken am Körper”.

Gestern verhängte die Polizei eine Nachrichtensperre, weil in den Medien über sogenanntes “Täterwissen” berichtet wurde. Dazu gehört unter anderem, dass blaue Flecken am Körper des Mädchens gefunden worden seien, und dass es einen Kampf gegeben habe, wie uns ein Polizeisprecher sagt. Beides bestätigt die Polizei nach wie vor nicht. Dass Haarbüschel gefunden wurden hingegen schon.

Die “Bild”-Zeitung indes behauptet heute im Wesentlichen noch einmal als Tatsache, was sie schon am Samstag behauptet hatte und was nach wie vor unbestätigt ist. “Michelle kämpfte mit ihrem Killer” lautet die Überschrift und im Text heißt es erneut:

Es ist eine erste heiße Spur auf der Suche nach dem Mörder der kleinen Michelle († 8)!

Und wieder zeigt “Bild” auch das Phantombild, das sie bereits am Samstag auf der Titelseite druckte. “Das Fahndungsfoto der Polizei” steht darunter (siehe Ausriss).

Während man jedoch dem “Bild”-Artikel vom Samstag noch entnehmen konnte, dass das Phantombild eigentlich von einem anderen Fall stammt und bereits vier Monate alt ist, fehlt in der “Bild” von heute jeglicher Hinweis darauf. Dabei hatte die Polizei nach der ersten Veröffentlichung am Samstag ausdrücklich klargestellt, dass das Phantombild nicht aktuell von der Sonderkommission Michelle erstellt worden sei und lediglich ein Anhaltspunkt unter vielen sei (siehe Kasten).

Das Phantombild:

“Ein Polizeisprecher dementierte am Samstag Informationen der ‘Bild’-Zeitung, dass sie eine heiße Spur von dem Täter habe. Die Zeitung hat das Phantombild eines Mannes veröffentlicht (…).”
(AP vom 23.8.2008.)

“Eine heiße Spur gebe es jedoch nicht, sagte Polizeisprecher Uwe Voigt. Damit wies er einen Bericht der ‘Bild’-Zeitung zurück, die in ihrer Samstagsausgabe ein Phantombild eines Mannes veröffentlicht hatte.”
(dpa vom 23.8.2008.)

“Auch ein Mann, der vor vier Monaten ein elfjähriges Mädchen in der Gegend belästigte und von dem es ein Phantombild gibt, stehe nicht konkret unter Verdacht.”
(dpa vom 23.8.2008.)

“Ein Polizeisprecher hatte am Samstag klargestellt, ein von einer großen Zeitung veröffentlichtes Phantombild sei nicht aktuell von der Sonderkommission Michelle erstellt worden.”
(AFP vom 24.8.2008.)

Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie uns ein Polizeisprecher bestätigt. Dass die Polizei nach dem Mann auf dem Phantombild fahnde, sei falsch. Vielmehr gehe man allen Hinweisen nach, auch denen, die sich auf die Veröffentlichung des Phantombildes in “Bild” beziehen. “Wir fahnden nach allem möglichen”, so der Polizeisprecher, es gebe nach wie vor “keine heiße Spur”.

Sagen wir es so: Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Die “Bild”-Zeitung hat sich weitgehend festgelegt.

P.S.: Weil es so gut passt, hier einige Passagen aus einer Meldung der Nachrichtenagentur AP von heute morgen:

Bei der Suche nach dem Mörder der achtjährigen Michelle aus Leipzig hat die Polizei noch immer keine heiße Spur. Es gebe fast stündlich neue Hinweise, der entscheidende sei aber noch nicht dabei gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Montag der AP. “Es gibt absolut nichts Neues.” (…) Der Sprecher dämpfte zugleich Hoffnungen auf einen schnellen Fahndungserfolg. “Zu glauben, wir sind in wenigen Tagen mit der Überprüfung aller Spuren und Hinweise durch, ist nicht realistisch.” Die Polizei müsse und werde gründlich und akribisch vorgehen, fügte er hinzu. “Schnellschüsse sind dabei wenig hilfreich.”

Mit Dank an Stephan L.

Bild.de übergeigt Neuigkeiten im Fall Michelle

Aus aktuellem Anlass müssen wir unser Großes “Bild”-Wörterbuch um ein neues Wort ergänzen:

"Gewissheit"

Bild.de verwendete es heute in diversen Teasern (siehe Screenshots).

Was Bild.de mit der traurigen “Gewissheit” meint, stand geraume Zeit in der Bild.de-Meldung, auf die die Teaser verlinkten:

"Ist sie es wirklich?"
Michelles Leiche offenbar gefunden

Ist es nun grausame Realität? Ist die kleine Michelle aus Leipzig tot? Offenbar wurde die Leiche des Mädchens gefunden. (…) Die Polizei überprüft nun, ob es sich bei der Leiche um die vermisste Michelle (8) handelt. (…)

Jetzt der Fund der Mädchenleiche und die schlimme Befürchtung: Ist es Michelle?

Das Bild.de-Update:

Michelle tot in Ententeich gefunden

Jetzt ist es offenbar traurige Gewissheit. Die kleine Michelle aus Leipzig ist tot. (…) Die Polizei überprüft nun, ob es sich bei der Leiche um die vermisste Michelle (8) handelt.”

Inzwischen aber hat sich zwar am Kenntnisstand im Fall Michelle (“Die Polizei überprüft nun, ob …”) nichts geändert*; doch Bild.de hat den irreführenden Teaser der Meldung die Meldung dem irreführenden Teaser angepasst (siehe Kasten) – gleichzeitig aber die “Gewissheit” aus den Teasern entfernt.

Und am Ende des Artikels heißt es:

Jetzt der Fund der Mädchenleiche und die schlimme Befürchtung: Wahrscheinlich ist es Michelle.

Mit Dank an Arne B. und Markus W. für den Hinweis.

*) Nachtrag, 17.20 Uhr: Erst jetzt, mehrere Stunden nach der (durch nichts gedeckten) “Gewissheit” von Bild.de, hat die Polizei auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass es sich bei der Leiche “mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um Michelle” handele – und Bild.de hat den “Ist sie es wirklich?”-Artikel abermals entsprechend umgeschrieben.

6 vor 9

Alhurra Paid Former White House Aides, Washington Journalists
(propublica.org, Dafna Linzer und Paul Kiel)
Alhurra, the U.S. government-funded Arabic news channel, paid former Bush and Clinton administration officials, lobbyists and high-profile Washington journalists tens of thousands of dollars in U.S. taxpayer money to appear on the network as commentators, according to interviews and a review of company records.”

Sachsensumpf war nur ein Tümpel
(taz.de, Michael Bartsch)
“Deutsche Medien haben Leipziger Geschichtchen zwischen Rotlichtmilieu, Immobilienbranche und Justiz aufgebauscht. Selbstkritik liegt ihnen dennoch fern.”

Die Welt als Halle und Vorstellung
(jetzt.sueddeutsche.de, Philipp Mattheis)
Sebastian Sooth erklärt das Hallenprojekt: “Das ist ein Zusammenschluss von Menschen, die einerseits keine Lust haben, immer im selben Großraumbüro oder nur in der eigenen Wohnung zu arbeiten. (…) Viele Selbständige haben einfach keine Lust, den ganzen Tag alleine zu sein. Das Problem von Freischaffenden ist ja oft, dass die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmt.”

Dopende Russen? Kein Gas für die SZ!
(spreeblick.com, Malte Welding)
Die Süddeutsche Zeitung spekuliert darüber, ob die russische Mannschaft an der Euro 08 gedopt ist. Belegt werden die Vermutungen aber (noch) nicht.

Elektronische Presse findet doch statt
(perlentaucher.de, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht wundert sich, wie ungenau Journalisten “einen enttäuschenden Rundfunkstaatsvertrag” aufgenommen haben: “Hier zeigt sich am konkreten Beispiel, wie absurd die öffentliche Meinungsbildung in der Nachrichtengesellschaft zum Teil abläuft: Spitzenpolitiker nehmen es mit der Erläuterung der Arbeitsentwürfe der Referentenebene nicht so genau und Journalisten verkünden lieber, was Politiker sagen anstatt zusätzlich auch die Gesetzesentwürfe zu prüfen. Das Ergebnis ist ein beachtliches Zerrbild.”

Oliver und die Zauberer
(faz.net, Andrea Hünniger)
“Gehirn aus, Augen auf: ‘Kalkofes Mattscheibe‘ ist wieder da. Drei Jahre wähnte sich das Fernsehen vor der Mediensatire sicher. Dabei muss sich vor Oliver Kalkofe kaum jemand fürchten, denn der sucht sich nur leichte Gegner.”

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