1. Hat Merkel 2015 die Grenze geöffnet? (faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Konstantin Kumpfmüller)
Immer wieder bedienen sich Politiker der Legende von Angela Merkels angeblicher „Grenzöffnung“. Warum diese Formulierung „grundfalsch“ ist, erklärt der ARD-“Faktenfinder” und bezieht sich dabei unter anderem auf einen Juristen aus der Rechtsredaktion: „grundfalsch, weil es schon seit Jahren keine geschlossenen Grenzen mehr gibt innerhalb des so genannten Schengen-Raums. Es konnten also im Jahr 2015 auch keine Grenzen geöffnet werden.”
2. Organversagen (kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Der „Zeit“-Redakteur Martin Machowecz hat mit einem kritischen Tweet über Journalisten, die privat an Anti-AfD-Demos teilnehmen, eine breite Debatte ausgelöst („Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?“) Nun greift er die von ihm angestoßene Diskussion in der Printausgabe auf, lässt dort aber viele Argumente der Gegenseite unbeachtet, wie Juliane Streich ausführt.
3. Wenn der Staat zum Influencer wird (motherboard.vice.com, Anna Biselli & Sebastian Meineck)
Deutsche Behörden und Ministerien haben in den vergangenen Jahren einiges Geld für Social-Media-Werbung und Influencer-Kampagnen ausgegeben. Anna Biselli und Sebastian Meineck haben sich näher angeschaut, wohin die Gelder geflossen sind. Die zwei teuersten Influencer-Kampagnen waren eine des Entwicklungsministeriums (84.600 Euro) sowie die Nachwuchswerbung der Bundespolizei (71.400 Euro). Interessanter Nebenaspekt: Nach derzeitiger Rechtslage sei unklar, ob staatliche Influencer-Kampagnen auf den Kanälen der Influencer überhaupt zulässig seien.
4. Welche Studie darf’s denn heute sein? (meta-magazin.org, Markus Lehmkuhl)
Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, hat sich mit der Auswahl von Studienergebnissen durch Wissenschaftsjournalisten beschäftigt. Seine Ergebnisse sind überraschend und nicht überraschend zugleich.
5. Wird der „Strassenfeger“ von der Straße gefegt? (bz-berlin.de, Björn Trautwein)
Seit 24 Jahren gibt es in Berlin die Obdachlosenzeitung “Strassenfeger”, doch damit ist nun Schluss: Der “Straßenfeger” soll eingestellt werden. Das Entsetzen bei Berlins Obdachlosen sei groß: “Einige Verkäufer hatten Tränen in den Augen, als sie vom drohenden Aus erfahren haben. Für viele ist es die einzige Einnahmequelle.”
6. 40 Jahre Cat Content (spiegel.de, Danny Kringiel)
Der Zeitungskater Garfield wird 40. Das orangefarbene Katzentier mit der Vorliebe für Lasagne, Kaffee und Zynismus wurde zunächst in 41 amerikanischen Zeitungen abgedruckt, heutzutage sind es 2400 Zeitungen mit 200 Millionen Lesern in 80 Ländern. Das Erfolgsrezept: „Garfield wurde zum Welterfolg, weil er so mittelmäßig war.“
7. “Verwechseln Kritik mit Zensur”: Trump-Tweet sorgt für Twitter-Zoff zwischen Reichelt, Reschke und Bildblog (meedia.de, Nils Jacobsen)
Außerhalb der üblichen „6 vor 9“, weil es uns BILDblogger direkt betrifft: Angeblich haben wir mit unserem „totalitären Geist“ (und einem Tweet) Julian Reichelts „Faszination für Twitter zerstört“. Darüber beschwert sich jedenfalls der „Bild“-Chef auf Twitter: „Ob @AnjaReschke1 oder @BILDblog –Twitter befindet sich zunehmend in Händen jener, die bestimmen wollen, was zitiert, berichtet werden darf und was unterdrückt werden sollte, weil es gesellschaftlich schädlich ist.“ Wir haben Julian Reichelt erklärt, dass er Kritik mit Zensur verwechselt und hoffen, dass er schon bald wieder zu seiner Faszination für Twitter zurückfindet.
1. “Medienunternehmen sind nicht sehr geübt” (deutschlandfunk.de, Günter Bentele & Isabelle Klein, Audio, 4:48 Minuten)
Der WDR hält sich mit Stellungnahmen zu seiner “#MeToo-Affäre” sehr zurück. Auch der @mediasres-Redaktion des Deutschlandfunks ist es nicht gelungen, dem Sender ein Interview abzuringen. Der PR-Experte und emeritierte Professor für Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations an der Universität Leipzig Günter Bentele sieht die Schweigsamkeit skeptisch: Sollte dies Strategie des Senders sein, so wäre sie “sicherlich schlecht”.
2. Von den Vorurteilen musste ich mich verabschieden. (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat sich mit Friedemann Fromm, dem Regisseur der Fernsehserie „Weissensee“, zum Interview getroffen. Im Gespräch geht es nicht nur um die Serie sondern auch um zu viele Krimis, Verdummungs-TV, Reduzierung von Drehtagen, seine Regie-Studenten, den Rundfunkbeitrag und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems.
3. Wissen zur DSGVO 2 – Fragen & Antworten (ipcl-rieck.com, Lars Rieck)
Nachdem sich Medienanwalt Lars Rieck schon einmal mit den möglichen Auswirkungen der ab dem 25. Mai geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) für Fotografen beschäftigt hat, folgt nun Teil zwei mit den häufigsten Fragen.
4. rp #3: Meine Heldin dieser Tage ist – meine Frau! (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Während sich der Journalist Christian Jakubetz bei der Republica einen Vortrag über Filterblasen anhört, fiebert andernorts seine Frau mit ihrer achten Klasse einer Preisverleihung entgegen. Quasi live verfolgt Jakubetz am Handybildschirm, wie seine Frau mit ihrer Schulklasse einen Preis für den dritten Platz einheimst. Anlass für ihn, das Republica-Geschehen in Berlin zu überdenken und seine Frau zur eigentlichen Heldin der Republica auszurufen.
5. 5 praktische Beispiele, wie Vielfalt algorithmischer Sortierung aussehen kann (konradlischka.info)
Die Social-Media-Plattformen orientieren sich bei der Einstufung von Beiträgen meist an recht technischen Dingen wie Klicks, Scrollgeschwindigkeit, Likes, Sehdauer von Videos oder der Kommentarfrequenz. Werte wie Wahrheit, gesellschaftliche Integration, konstruktiven Diskurs oder Empathie fallen dabei hintenüber. Konrad Lischka hat sich Gedanken gemacht, wie man die Relevanz von Beiträgen neu bemessen könnte und stellt fünf alternative Sortierideen fürs Feeds auf Plattformen vor.
6. Gräfin vom Naschmarkt: Bröselteppich mit Semmelflummi (derstandard.at, Severin Corti)
Restaurantkritiker Severin Corti wollte prüfen, ob an den vielen schlechten Online-Bewertungen der “Gräfin vom Naschmarkt” etwas dran ist und hat dem Restaurant all seine lukullische Expertise angedeihen lassen. Und das liest sich recht vergnüglich: “Lasagne, ein in der Mikrowelle fachgerecht zu Magma verwandelter Ziegel mit großzügiger Garnierung aus Trockenkäse-Sägemehl, gerät zur Prüfung für Abenteuerlustige. Vom Teller steigt ein Duft auf, den Katzenbesitzer vom Öffnen besonders leckerer Futterdosen kennen. Der Salz- und Säuregehalt des Gerichts – und speziell der entfernt an Ketchup erinnernden rotfarbenen Sauce – beseitigt etwaige Zweifel aber sofort: In solch massiver Konzentration wäre das bei Tierfutter niemals zugelassen.”
1. MDR-Sendung platzt nach rassistischem Tweet (tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
“Darf man heute noch “Neger” sagen? Warum Ist politische Korrektheit zur Kampfzone geworden?” So lautete die verstörende Ankündigung einer Radiodiskussion mit der früheren AfD-Chefin Frauke Petry, dem Moderator Peter Hahne, der sächsischen Linke-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz und dem Leipziger Politikwissenschaftler Robert Feustel. Nachdem es auf Twitter zu einem Shitstorm kam und zwei Diskussionspartner absagten, sagte der MDR die Sendung ab.
Für alles Weitere zum Ablauf des Geschehens samt unglücklicher MDR-Kommunikation siehe unseren Beitrag: MDR diskutiert mit Weißen über Rassismus gegenüber Schwarzen (bildblog.de, Moritz Tschermak).
2. Schreit es weg! (sueddeutsche.de, Willi Winkler)
“National Enquirer” heißt das Klatschblatt, das in ganz Amerika strategisch günstig neben der Supermarktkasse ausliegt. Sämtliche Promis müssen damit rechnen, irgendwann einmal ins Visier der Boulevardzeitung zu geraten. Nur einer scheint sicher: Donald Trump. Und das liegt an der engen Freundschaft von Trump und David J. Pecker, dem Verleger des Revolverblatts.
3. Virtueller Hass, säuberlich sortiert (spiegel.de, Melanie Amann & Marcel Rosenbach)
Wer rechtswidrige Posts in sozialen Netzwerken entdeckt und vergeblich versucht hat, eine Löschung zu bewirken, kann sich an das Bundesamt für Justiz in Bonn wenden. Melanie Amann und Marcel Rosenbach vom „Spiegel“ haben die Behörde besucht, bei der die Beschwerden fein säuberlich in blauen Aktenmappen landen. Und mussten als externe Besucher zunächst die vorgeschriebene Sicherheitseinweisung für den Paternoster überstehen.
4. Der Mann, der kein Spion war: Wie sich das Leben des Baslers nach falschen Vorwürfen verändert hat (bzbasel.ch, Annika Bangerter)
Der türkischstämmige Basler Y. S. soll als Polizeiassistent für Erdogan spioniert haben, doch die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Die öffentliche Wahrnehmung war jedoch eine andere, auch durch die Medienberichte. „bz Basel“ hat mit Y.S. darüber gesprochen, wie die falsche Spitzel-Geschichte sein Leben verändert hat: „Der Spion bleibt an mir haften, ich bin abgestempelt. Bis heute meide ich deshalb Örtlichkeiten, an denen sich viele Menschen aufhalten. Ich will nicht, dass sich jemand durch meine Anwesenheit provoziert fühlt oder gar das Gefühl hat, sich beweisen zu müssen. Im Sinne von: «Jetzt zeigen wir es dem Spion.» Eine solche Situation eskaliert schnell.“
5. Investigative Filmemacher und die Haftungsfrage (ndr.de, Sabine Schaper)
Bei den in der ARD ausgestrahlten investigativen Dokumentationen, auf die der Sender so stolz ist, handelt es sich um Auftragsproduktionen, hinter denen freie Produzenten stecken. Als kleine Firmen legen sie sich oft mit den großen Playern aus Politik und Wirtschaft an und setzten sich einem erheblichen Risiko aus, verklagt und in den finanziellen Ruin getrieben zu werden. Was helfen könnte: Neue Verträge.
6. Alles gechillt beim Bahnbabo (fr.de, Kathrin Rosendorff)
Peter Wirth (57) ist Straßenbahnfahrer, Social-Media-Star und eine Berühmtheit in Frankfurt: Er ist der durchtrainierte, muskelgestählte und von allen geliebte „Bahnbabo“.
Manchmal stehen in der “Bild”-Zeitung auch interessante Sätze. Zum Beispiel am vergangenen Samstag in der Leipzig-Ausgabe:
Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Aber klar sollte auch sein: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Oder leicht abgewandelt ebenfalls am Samstag bei Bild.de:
Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Allerdings: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich möglicherweise strafbar machen.
Das, was sich “so bestätigen” könnte, ist ein Vorfall vom vergangenen Dienstag im sächsischen Schkeuditz. Dort soll ein Mann beim örtlichen Reitverein eine Stute mit einem stockähnlichen Gegenstand missbraucht haben. Eine Überwachungskamera lieferte Fotos des Mannes, die eine Pferdewirtin auf Zettel druckte, die sie wiederum in der Region verteilte. Die FDP Nordsachsen verbreitete die Aufnahmen des Mannes, ebenfalls ohne Unkenntlichmachung, auf der eigenen Facebook-Seite und fragte dazu: “Wer kennt diesen Mann?”
Darüber berichteten dann auch “Bild” und Bild.de:
Diese Fahndung sei nicht in Ordnung, sagt ein Polizeisprecher in “Bild”:
“Wir fangen erst an zu ermitteln und haben längst nicht alle Mittel ausgeschöpft. Eine Öffentlichkeitsfahndung ist dabei die letzte Maßnahme!”
Im Anschluss weisen die “Bild”-Medien in der bereits zitierten Passage darauf hin, dass man sich mit einem privaten Fahndungsaufruf strafbar machen könne.
Es ist gut und wichtig, dass die “Bild”-Redaktion mal so deutlich Position bezieht zu Fahndungsaufrufen, die nicht durch Gerichte angeordnet wurden. Denn als “Bild”-Leserin oder -Leser könnte man fast meinen, dass derartige Fahndungsaufrufe von Privatleuten oder Privatunternehmen das Geilste sind, wo gibt völlig in Ordnung sind.
Zur Erinnerung: So sah die “Bild”-Titelseite wenige Tage nach den Ausschreitungen rund um das G20-Treffen in Hamburg aus:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Die “Bild”-Redaktion veröffentlichte im vergangenen Juli diesen Fahndungsaufruf in Millionenauflage, Vorverurteilung inklusive. Eine Öffentlichkeitsfahndung der Polizei gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir zitieren an dieser Stelle gern die Leipziger “Bild”-Ausgabe vom vergangenen Samstag:
Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Anderes Beispiel. Im vergangenen Oktober hat in Hamburg ein Mann seine eigene Tochter getötet und ist dann geflohen. Polizei und Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Öffentlichkeitsfahndung, weil man noch über erfolgsversprechende Ermittlungsansätze verfügte, die am Ende auch zur Festnahme des Mannes führten. Bild.de fragte bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt geworden war, ungeduldig:
Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach dem Killer?
Ein paar Tage später — es gab weiterhin keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — reichte es den “Bild”-Medien. Sie veröffentlichten, ohne irgendeine Verpixelung, ein Foto des damals Tatverdächtigen:
Noch einmal:
Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Man muss aber nicht mal ins Archiv schauen, um auf die “Bild”-Bigotterie zu stoßen. Es reicht schon, in derselben Leipziger “Bild”-Ausgabe, aus der die Aussage zu privaten Fahndungsaufrufen stammt, vier Seiten zurückzublättern. Dann landet man im überregionalen Teil und bei dieser Geschichte:
Nicht nur Marianne “kriegt (…) Fotos der Diebe” zu sehen, sondern auch die gesamte “Bild”- und Bild.de-Leserschaft. Sowohl online als auch in der Printausgabe zeigt die Redaktion ein unverpixeltes Foto der zwei Jungen, die die 70-Jährige beklaut haben und laut “Bild” “etwa zehn Jahre alt” sein sollen. Etwa zehn (!) Jahre alt.
Im Artikel sagt ein Polizeisprecher:
“Wir haben die Fotos der Jungen gesichert und fahnden jetzt nach ihnen.”
Es braucht also keine zusätzliche, mediale Fahndung nach zwei Kindern durch “Bild” und Bild.de. Zumal man sich mit dieser “strafbar machen” könnte. Das stand jedenfalls mal in “Bild”.
Mit Dank an Thomas, andreas und Alex F. für die Hinweise!
1. Schwere Plagiatsvorwürfe gegen Bestseller-Autor Deno Licina (tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Der „Tagesspiegel“ berichtet über einen groß angelegten Schwindel: Der Bestseller-Autor Deno Licina (Eigenbezeichnung: “Der Poet“) habe hundertfach Tweets geklaut und bei anderen abgeschrieben. Sein Anwalt verweist auf die „geringe Schöpfungshöhe“ der geklauten Tweets und dass die Inhalte der zehntausendfach verkauften Bücher komplett vom Autoren stammen würden. Hier irre der Anwalt, schreibt der Tagesspiegel: „Für seine Bücher schrieb Deno Licina massenhaft von anderen Autoren ab. Von den ersten 15 Seiten seines aktuellen Bandes sind 14 betroffen, meist zieht sich das Plagiat über das komplette Blatt. Und mit jedem Tag, den seine Gegner suchen, finden sie mehr.“
2. Unser seltsamster Erfolg (mittelbayerische.de, Sebastian Heinrich)
Bei der „Mittelbayerischen“ wundert man sich. Wie kann ein Artikel aus dem Jahr 2014 über eine Merkel-Rede zum meistgeklickten Beitrag werden? Sebastian Heinrich ist dem Rätsel nachgegangen und hat den Verlauf mit Hilfe des Analysetools Google Analytics rekonstruiert. Das Ergebnis: Es sind vornehmlich die Merkel-Gegner und AfD-Unterstützer, die den Artikel wegen seiner zugespitzten Überschrift als Zündmaterial für ihre populistischen Empörungsfeuer nutzen.
3. Vermittler oder Feigenblatt? (deutschlandfunk.de, Vera Linß, Audio, 5:46 Minuten)
“Deutschlandfunk”-Autorin Vera Linß beschäftigt sich mit dem aktuellen Wirken von Ernst Elitz. Der ehemalige Deutschlandradio-Intendant ist seit einiger Zeit „Ombudsmann“ bei „Bild“. Eine sinnvolle Initiative oder doch nur ein Feigenblatt? Wem die Aussagen von Elitz zur Beantwortung nicht ausreichen: BILDblog-Chef Moritz Tschermak hat eine klare Antwort, im Gespräch mit dem “Deutschlandfunk”, aber auch schriftlich und mit Beispielen hier bei uns, hier oder auch hier.
4. Kämpferisch, ignorant, hilflos: Wie die Politik auf den Facebook-Skandal reagiert (netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
In ganz Deutschland wird über mögliche Konsequenzen des Facebook-Cambridge-Analytica-Skandals diskutiert. Nur einer schweigt beharrlich, der zuständige Innenminister, in dessen Ressort Datenschutz schwerpunktmäßig fällt: Horst Seehofer. Netzpolitik.org hat sich in der Parteienlandschaft umgehört, wie sonst mit der Thematik umgegangen wird.
Weiterer Lesetipp: Warum Facebook verstaatlicht werden muss (tagesspiegel.de, Christopher Lauer).
5. Restle: “Wir brauchen grundlegende Reformen” (ndr.de, Daniel Bouhs, Video, 13:48 Minuten)
Das Medienmagazin „Zapp“ hat sich mit dem “Monitor”-Chef Georg Restle über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen unterhalten. Restle fordert ein klares öffentlich-rechtliches Profil: Weniger Sportrechte, mehr Information in der Prime Time und ein Ende des Radio-“Gedudels”.
6. Zucker für die Affen: Tag24 und die erfundenen 670 Prozent mehr Vergewaltigungen (sprachlos-blog.de, Robert Feustel)
Als „Boulevard ohne Journalismus“ bezeichnet Robert Fäustel die Seite „Tag24“. Dort wurde berichtet, dass im Raum Leipzig die Zahl der Vergewaltigungen um 670 Prozent und damit drastisch gestiegen sei: „Zusammen mit einem anderen Text zur Gesamtzahl der Straftaten schraubt sich die fälschlich Zeitung genannte Sammlung von Dummheiten ein weiteres Treppchen die Angstspirale hinauf. Blöd ist nur, dass das Blatt mit dem letzten Fünkchen Seriosität den Fehler selbst zugibt: Einen Anstieg gab es nicht.“
Letzte Woche veröffentlichte Bild.de … Nee, anders!
Vergangene Woche veröffentlichte die Polizei Leipzig … Nee, noch anders!
Ende September 2017 wurde in Leipzig-Liebertwolkwitz ein BMW 730d gestohlen. Der Dieb fuhr offenbar kurz darauf auf der Bundesstraße 6 in eine Radarfalle und wurde dort fotografiert. Ein praktisches Beweismittel, das die Polizei aber nicht ohne richterliche Erlaubnis veröffentlichen durfte.
Oder in den Worten von Bild.de:
Das Blitzerfoto brauchte lange Zeit, um Ämter und Behörden zu passieren. Jetzt endlich genehmigte ein Richter die Öffentlichkeitsfahndung, ließ die Polizei aber wissen, dass diese „vorerst ausschließlich in den örtlichen Printmedien erwünscht ist und ohne Online-Medien“ erwünscht sei.
Und wie geht es im nächsten Absatz wohl weiter?
Diesem Wunsch kommt BILD nicht nach, zeigt den rasenden Autodieb natürlich auch online. Die Polizei will wissen: Wer erkennt auf dem Bild den Fahrer und kann diesen identifizieren? Hinweise an die Kripo unter Telefon: (…) oder jede Dienststelle.
(Hervorhebung im Original)
“Natürlich”.
Denn Bild.de ist, was das angeht, in Sachsen durchaus polizeibekannt. Im Oktober 2016:
Schauen Sie sich diese Frau und diesen Mann ganz genau an! Wenn Sie das Paar erkennen, rufen Sie unbedingt die Polizei (…), auch wenn diese die Online-Fahndung nach den brutalen Räubern aus Dresden “nachdrücklich” verhindern will.
“Wir bitten nachdrücklich darum, von einer Veröffentlichung im Internet einschließlich sozialer Netzwerke abzusehen”, teilte Polizeisprecherin Jana Ulbricht am Donnerstag mit. Nach ihrem Wunsch sollen nur “lokale Printmedien” über den Fall berichten.
Diesem Wunsch entspricht BILD nicht. Wir zeigen die Täter im Internet, damit diese endlich gefasst werden. Denn die Fahnder haben bereits wichtige Zeit mit erfolglosen Ermittlungsversuchen verstreichen lassen.
(Hervorhebungen im Original)
Im Dezember 2017:
Es geschah bereits am 9. August. Doch wie üblich warteten Polizei und Justiz erst einmal ab, öffentlich nach dem Täter zu suchen. Und auch jetzt — nach vier Monaten — soll die “Öffentlichkeitsfahndung” ohne breite Öffentlichkeit stattfinden und “auf die örtlichen Print-Medien beschränkt” bleiben. BILD ignoriert diese Bitte und zeigt die Fotos im Internet.
Als wir die Polizeidirektion Leipzig um eine Stellungnahme zum aktuellen Fall gebeten haben, wirkte Pressesprecher Andreas Loepki dann auch ein wenig resigniert und verwies nur auf ein Interview, das er dem Medienblog “Flurfunk Dresden” bereits im Dezember 2016 gegeben hatte — nach der oben aufgeführten “nachdrücklichen” Bitte der Polizei und der Trotzreaktion von Bild.de.
Darin erklärt Loepki ausführlich, warum die Polizei auf das sogenannte “Stufenmodell” bei der Öffentlichkeitsfahndung setzt (hat mit für Bild.de so absurden Konzepten wie “Persönlichkeitsrechten” und “Verhältnismäßigkeit” zu tun und damit, dass er “als Polizeibeamter selbstverständlich mehr Gesetze und Verordnungen beachten und anwenden muss, als andere”) und was Medienvertretern droht, die sich den Bitten der Polizei widersetzen (“rechtliche Grauzone”, “am ehesten könnte sich ein abgebildeter Tatverdächtiger wehren”).
Und er sagt auch, warum er zuvor einige Medienvertreter als “unbelehrbar” bezeichnet hatte:
Bestimmte Medienvertreter — insbesondere von Online-Medien — wurden bereits mehrfach und konstruktiv auf Sinn und Zweck des Stufenmodells hingewiesen. Dies können sie zwar einigermaßen nachvollziehen, aber aufgrund der mangelnden Konsequenzen überwiegt leider das Veröffentlichungs- bzw. Verkaufsinteresse. Hierbei wurden teilweise sogar unsere einschränkenden Worte aus der E-Mail abgedruckt und als polizeilicher Unwille dargestellt, um sich selbst zum Kämpfer für Recht und Ordnung aufzuschwingen. Da werde ich dann empfindlich und scheue auch nicht davor zurück, diesen Journalisten eine Verbalohrfeige zu erteilen, denn letztlich geht es ihnen allein um “Klickzahlen” und den Verkauf ihrer Werbebanner.
Theoretisch hat “Bild” übrigens im vergangenen Oktober mal einen Oberstaatsanwalt erklären lassen, wie so eine Öffentlichkeitsfahndung funktioniert, warum sie manchmal erst so spät erfolgt und was es dabei alles zu beachten gilt.
Das hat nur in der Redaktion in Sachsen vermutlich niemand gelesen.
In der 1. Fußball-Bundesliga finden seit Kurzem auch montags Spiele statt. Vergangene Woche gab es die Premiere zwischen Eintracht Frankfurt und RB Leipzig, gestern am Abend spielten Borussia Dortmund und der FC Augsburg gegeneinander. Insgesamt sind fünf Montagsspiele in der laufenden Saison vorgesehen. Bei den “Bild”-Medien wissen sie nicht, ob das nun für “Chaos” sorgt oder nicht.
Vielen Fans gefallen die Montagsspiele jedenfalls gar nicht. Sie sehen die Auffächerung des Bundesliga-Spielplans als Symptom der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs: Mehr Spiele an verschiedenen Tagen bringen mehr Übertragungsmöglichkeiten und damit mehr TV-Einnahmen. Außerdem mache es der Termin am Montagabend für sie schwerer, zu Auswärtsspielen ihrer Mannschaften zu fahren. Daher hatten Fangruppen schon im Vorfeld Proteste rund um die Montagsspiele angekündigt.
Vor der Partie Eintracht Frankfurt gegen RB Leipzig fragten “Bild am Sonntag” und Bild.de:
Tat es nicht. Es gab in Frankfurt zwar ein Trillerpfeifenpfeifkonzert, Tennisbälle flogen auf den Platz, und einige Hundert Eintracht-Anhänger positionierten sich für einige Minuten im Stadioninnenraum hinter dem Tor. Das war aber jeweils angekündigt, alles blieb friedlich. Bei Bild.de stand noch am selben Abend:
Es war die Montags-Demo der Fans — ohne das befürchtete Chaos.
Wer befürchtet hatte, dass das Frankfurt-Spiel im Chaos versinken und abgebrochen werden würde — der sah sich zum Glück getäuscht.
Gestern dann Montagsspiel Nummer zwei. Viele Dortmunder Fans entschieden sich dazu, aus Protest zu Hause zu bleiben. Das Stadion war nur zu zwei Dritteln gefüllt. Und bei Bild.de heißt es auf einmal:
Vor einer Woche gab es in Frankfurt noch Chaos und organisierten Platzsturm.
Es ist schon beeindruckend, wie die “Bild”-Medien es immer wieder hinbekommen, grausig ungenau und fehlerhaft über Flüchtlinge und Asylbewerber zu berichten. Gerade erst wieder, am Samstagabend bei Bild.de …
… und gestern in “Bild am Sonntag”:
“BamS”-Autor Lars Petersen hat den Text geschrieben und er scheint sich wirklich große Mühe gegeben zu haben, möglichst viel Irreführendes und Falsches darin unterzubringen.
Was in den Überschriften erstmal nicht klar wird: Es handelt sich bei der “Flüchtlingsfamilie” nicht etwa um eine Frau, einen Mann und ein Kind oder eine vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Die 7300 Euro verteilen sich also auf zehn Personen.
Diese zehnköpfige Familie hat am 21. März 2017 einen Bescheid vom Landratsamt Leipzig bekommen, in dem ihr staatliche Leistungen gewährt werden: in der Summe eben für etwas mehr als 7300 Euro pro Monat. Der Bescheid tauchte, über welche Wege auch immer, vor einigen Tagen im Internet auf, drehte die große Runde durch den flüchtlingsfeindlichen Kosmos und landete anscheinend auch bei “BamS”-Autor Petersen.
Die 7300 Euro, die Bild.de und “Bild am Sonntag” plakativ in ihre Titelzeilen gepackt haben, dürften — sofern der Bescheid nicht gefälscht ist — stimmen. Doch schon die Worte “bekam” und “kassierte” in den Bild.de-Überschriften sind bedenklich. Man kann sie schließlich so verstehen, dass die Flüchtlingsfamilie die ganze Summe bar ausgezahlt bekommen oder dass der Staat sie ihr in dieser Höhe überwiesen hat. Doch weder das eine noch das andere stimmt. Tatsächlich hat die Familie deutlich weniger (Bar-)Geld pro Monat bekommen. Der Landkreis Leipzig hat eine Pressemitteilung zu dem im Internet aufgetauchten Bescheid herausgegeben. Darin steht unter anderem:
Die Bescheide des Amtes sind so aufgebaut, dass eine Gesamtsumme zwar berechnet wird, aber die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim nicht an die Bewohner geht. Die Kosten für die Unterbringung einer zehnköpfige Familie in einer Gemeinschaftseinrichtung können monatlich durchaus über 4000 Euro betragen. Darin sind dann bereits alle Nebenkosten enthalten, ähnlich einem Studentenwohnheim oder einer anderen möblierten Unterkunft. Zudem ist auch die soziale Grundbetreuung enthalten. Diese Summe bekommt die Familie nicht ausbezahlt, der Betrag wird von der ausgewiesenen Gesamtsumme abgezogen.
Zur Verfügung, konkret als Barscheck, steht jedoch nur ein wesentlich kleinerer Betrag. Dieser entspricht dem Sozialhilfesatz, der allgemein bekannt sein dürfte. Es kommt hier auch kein Kindergeld hinzu!
(Hervorhebungen im Original.)
Also gerade mal Sozialhilfe-Niveau (wie viel das genau ist — dazu später mehr) und die Unterbringung in einer “Gemeinschaftseinrichtung”.
Die Pressemitteilung des Landratsamts Leipzig zitiert Lars Petersen in seinem Text sogar. Er und seine Redaktion wissen also, dass die Flüchtlingsfamilie nie 7300 Euro pro Monat ausbezahlt bekommen hat, sondern ein Großteil schon vorher abgezogen wurde. Dass die Überschrift diesen Umstand in ihrer verkürzten Form nicht wiedergibt, ist ziemlich problematisch, denn es handelt sich bei dem Bild.de-Artikel um einen “Bild plus”-Inhalt. Dadurch erfahren nur Abonnenten, dass die Frau und ihre Kinder nicht monatlich 7300 Euro bar auf die Hand bekommen haben. Und auch die meisten Leute, die unter dem Facebook-Post der “Bild”-Redaktion (bis jetzt über 7700 Mal geliket, über 2700 Mal geteilt, über 2400 Mal kommentiert) wütende Kommentare hinterlassen haben, dürften diesen Fakt nicht kennen. Dort wird schon “ein neuer Führer” gefordert, es werden Ausländer als Feindbilder gepflegt (“Und wieder werden Ausländer bevorzugt”) und die Armen gegen die ganze Armen ausgespielt (“Tja und hier Sammeln unsere Leute Pfandflaschen . Du darfst eben alles sein , nur nicht Deutscher.”).
Man kann nun streiten, wie fahrlässig die Formulierungen “bekam” und “kassierte” in den Schlagzeilen sind. Im Text wird es dann jedenfalls richtig abenteuerlich. Direkt am Anfang schreibt Petersen:
Weil ihr Asylverfahren länger als 15 Monate dauerte, bekam eine zehnköpfige Flüchtlingsfamilie monatlich 7300 Euro vom Staat.
Und ein paar Sätze später:
Grund für den hohen Betrag: Nicht nur die Anzahl der Familienmitglieder, sondern auch die langsame Bearbeitung des Falls im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Das ist irreführend. Die Dauer der “Bearbeitung des Falls im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” ist nicht das entscheidende Kriterium für die Höhe der staatlichen Leistungen. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt in Deutschland, wann Asylbewerbern welche Gelder und welche Leistung zustehen. Für den Fall der zehnköpfigen Familie, über die Lars Petersen schreibt, ist Paragraph 2 wichtig:
Abweichend (…) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Durch diesen Paragraphen erhalten Asylbewerber, die sich seit 15 Monaten in Deutschland befinden, eine sogenannte “Analogleistung”, deren Höhe sich am “Zwölften Buch Sozialgesetzbuch”, der Sozialhilfe, orientiert. Wer zu den “Leistungsberechtigten” zählt, steht in Paragraph 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Und dort sind nicht nur diejenigen aufgezählt, deren Asylverfahren länger als 15 Monate dauern, sondern zum Beispiel auch Asylbewerber, deren Anträge bereits abgelehnt wurden und die sich nur mit einer Duldung in Deutschland aufhalten. Mal rein theoretisch: Wäre das “BaMF” beim Asylantrag der zehnköpfigen Familie, über die Petersen berichtet, schneller gewesen und hätte den Antrag beispielsweise schon nach acht Monaten abgelehnt und eine Duldung ausgesprochen, würden der Familie nach insgesamt 15 Monaten in Deutschland ebenfalls Leistungen in Höhe von 7300 Euro zustehen. Das Tempo des Bundesamtes ist dabei irrelevant.
Nicht nur irreführend, sondern völlig falsch ist folgende Behauptung von Lars Petersen:
Laut Paragraf 2 Asylbewerberleistungsgesetz steht Flüchtlingen, die länger als 15 Monate auf ihren Bescheid warten und sich in der Zeit nichts zuschulden haben kommen lassen, Sozialhilfe zu. Dann erhöhen sich die staatlichen Leistungen auf das Doppelte
15 Monate auf den Bescheid warten und, zack!, “die staatlichen Leistungen” verdoppeln sich? Nein, sie steigen in einem viel geringeren Maße. An dieser Stelle muss man sich das Asylbewerberleistungsgesetz noch etwas genauer anschauen. Und man sollte der Übersicht halber drei Fälle unterscheiden:
Fall 1: eine Person, die innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland in einer Aufnahmeeinrichtung lebt. Fall 2: eine Person, die innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt, zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung. Fall 3: eine Person, die länger als 15 Monate in Deutschland und außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt, zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung.
Für Fall 1 beschreibt Paragraph 3, Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes die “Grundleistungen”. Diese setzen sich aus dem “notwendigen Bedarf” (Nahrung, Unterkunft, Heizung, Kleidung und so weiter) und dem “notwendigen persönlichen Bedarf” (Handykosten, S-Bahn-Tickets, mal ins Kino gehen und so weiter) zusammen. Der “notwendige Bedarf” soll in der Regel durch Sachleistungen gedeckt werden — zum Beispiel ein Bett und Essen in der Aufnahmeeinrichtung oder Kleidung aus einer Ausgabestelle. Der “notwendige persönliche Bedarf” wird häufig in Form eines Taschengeldes in bar ausgezahlt. Für einen alleinstehenden Erwachsenen etwa sind das aktuell 135 Euro im Monat, für einen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren 76 Euro.
In Paragraph 3, Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes geht es um Fall 2:
Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen (…) sind (…) vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs nach Absatz 1 Satz 1 zu gewähren.
Das heißt: Der Erwachsene, der innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung lebt, bekommt nicht nur die 135 Euro für den “notwendigen persönlichen Bedarf” ausbezahlt, sondern auch Bargeld für den “notwendigen Bedarf”. Das sind 219 Euro pro Monat extra. Insgesamt bekommt ein alleinstehender Flüchtling innerhalb der ersten 15 Monate in Deutschland also monatlich 354 Euro vom Staat, wenn er außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung lebt. Dazu werden unter anderem auch noch Kosten für die Unterkunft übernommen.
Die zehnköpfige Flüchtlingsfamilie, über die die “Bild”-Medien berichten, dürfte im März 2017 von Fall 2 zu Fall 3 gewechselt sein: Sie waren schon vorher in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, allerdings waren sie nun berechtigt, die “Analogleistung” zu beziehen, weil sie sich seit 15 Monaten in Deutschland aufhielten. Bei dieser Änderung sollen sich laut Lars Petersen “die staatlichen Leistungen auf das Doppelte” erhöhen. Das ist Nonsens. Stattdessen steigt die Summe bei einem alleinstehenden Erwachsenen von bisher 354 Euro auf 416 Euro. Auch hier kommt noch die Übernahme der Kosten für die Unterkunft hinzu, die — wie in der Pressemitteilung des Landratsamts Leipzig zu lesen ist — mitunter recht hoch sein können.
So viel zu dem Unfug, den Lars Petersen (der vor einem Monat übrigens schon Unfug über Flüchtlinge in Deutschkursen verbreitet hat) in seinem Text unterbringen konnte. Ganz am Ende zitiert der “BamS”-Autor noch Kai Wegner, der für die CDU im Bundestag sitzt:
Der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegner (45, CDU) fordert nun eine Gesetzesänderung: “Es ist ein Skandal, dass unsere Sozialhilfe manchen Flüchtlingsfamilien Einkünfte ermöglicht, von denen Normalverdiener nur träumen können. Hier fehlt mir jedes Verständnis. Die Gesetze müssen schnellstmöglich angepasst werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss für das gesamte Verfahren gelten — egal, wie lang es dauert.”
Noch einmal extra für Wegner:
Das Asylbewerberleistungsgesetz gilt bereits “für das gesamte Verfahren”. Es handelt sich nur um unterschiedliche Paragraphen. Die 7300 Euro sind nicht die monatlichen “Einkünfte” der zehnköpfigen Flüchtlingsfamilie. Es handelt sich um die Summe, die der Staat für sie im Monat ausgibt, zum größten Teil für eine Unterkunft. Jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter würde als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Es handelt sich hier schließlich um die Sicherung des Existenzminimums, die jeder Person zusteht, ob sie nun aus Afghanistan oder aus Arnsberg stammt. Und die Familie, über die Lars Petersen schreibt, lebte sicher nicht in Saus und Braus. Sie lebte zu dem Zeitpunkt, als der Bescheid ausgestellt wurde, in einer Gemeinschaftsunterkunft und auf Sozialhilfe-Niveau. Das ist wahrlich das komplette Gegenteil von allem, auf das man neidisch sein könnte.
Die Kollegen von “Mimikama” haben die Sache mit dem Bescheid vom Landkreis Leipzig schon sehr früh aufgeklärt, lange bevor sie in den “Bild”-Medien aufgetaucht ist.
Mit Dank an Florian K., Theo H., Heiko und @gegenRechts84 für die Hinweise!
1. Karaoke im Landtag: Wie ein AfD-Politiker einen Artikel von uns als seine eigene Rede verkaufte (netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Im Schweriner Landtag hat ein AfD-Abgeordneter einen alten Artikel von netzpolitik.org vorgetragen und dabei so getan, als ob es seine eigenen Gedanken seien. Anscheinend, ohne auch nur annähernd zu wissen, wovon er da gerade spricht: „Er liest die komplette Rede ab — und zwar so, als würde er den Text zum ersten Mal sehen. Was der AfD-Politiker eigentlich sagen will, weiß er offenbar selbst nicht recht. Dem NDR sagt er später, er habe den Redeauftrag „kurzfristig“ übernommen — zwei Tage vorher. Ein Mitarbeiter habe den Text für ihn geschrieben. „Dumm gelaufen“ sei das.“
2. Tendenziöse Berichterstattung (1ppm.de, Johannes Mirus)
Im „Spiegel“ erschien ein Artikel über Manipulation in der Marktforschung: “Wie Umfragen gefälscht und Kunden betrogen werden” . Die Autoren hatten sich bei ihrer Recherche u.a. an den Unternehmensberater Johannes Mirus gewandt, der höchst unzufrieden damit ist, was der „Spiegel“ aus seinen Aussagen gemacht habe: „Leider nicht das erste Mal, dass ich mich als Stichwortgeber missbrauchen lasse, um Berichterstattung zu untermauern, die genau das Gegenteil von dem fördert, was ich für richtig halte. Ich muss dringend lernen, bei Gesprächen mit der Presse vorsichtiger zu werden und auch mal ein Gespräch abzulehnen bzw. zu beenden.“
3. Auf das Lob (deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Silke Burmester ruft in ihrer Kolumne zum Lob auf: “Schreiben Sie mal eine Mail oder einen Brief an den Journalisten, die Journalistin, den oder die Sie am meisten schätzen. Schreiben Sie, rufen Sie an und sagen Sie, wie wichtig Ihnen diese Arbeit ist, wie fröhlich Sie diese macht oder wie sehr sie Sie berührt. Sagen Sie, was man einem Menschen sagt, der Aufmunterung vertragen kann.”
4. Ach Gottchen, RB Leipzig (journalist-magazin.de, Matthias Daniel)
„Ach Gottchen, RB Leipzig“ seufzt „journalist“-Chefredakteur Matthias Daniel und meint damit die Autorisierungspraxis des Fußballclubs. Diese habe ein tolles Interview mit Ralf Rangnick, dem Sportdirektor des Fußballklubs RB Leipzig, kaputt gemacht. Daniel: „Das ganze Ärgernis Autorisierung fängt ja schon damit an, dass in der Regel gar nicht mehr der Gesprächspartner selbst sein Interview autorisiert, sondern PR-Berater oder Pressestellen schrauben an den Manuskripten herum, bis alles Lebendige herausgequetscht ist.“
5. Kritik am Königshaus ist tabu (de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
Es ist schlecht bestellt um die Pressefreiheit in Jordanien. Laut Verfassung herrscht in Jordanien Meinungs- und Redefreiheit. Dennoch könnten Journalisten wegen ihrer Aussagen verhaftet und sogar vor ein Militärgericht gestellt werden. Besonders empfindlich ist man, wenn es um das Königshaus geht: Kritik an der königlichen Familie sowie „die Verletzung arabisch-islamischer Werte“ seien verboten. Auch Berichte über Korruption würden mit hohen Geldstrafen geahndet werden können.
1. Schwarzer Tag fürs Internet: USA demolieren Netzneutralität (netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Bislang galt in den USA die Netzneutralität, die sicherstellte, dass Netzbetreiber weder den Zugang zu legalen Inhalten drosseln oder blockieren noch “Überholspuren” einrichten konnten. Damit ist es nun vorbei: Die “FCC” (“Federal Communications Commission”) hat die Netzneutralitätsregeln abgeschafft. Tomas Rudl kritisiert die Entscheidung: “Das Internet droht, jedenfalls in den USA, zu einem Produkt zu verkümmern, das eher dem Kabel-TV gleicht als dem bisherigen, offenen Netzwerk. In Anbetracht der erheblichen Marktkonzentration im Telekommunikationssektor, die US-Nutzern jetzt schon nur wenige Auswahlmöglichkeiten lässt, sind das keine guten Aussichten.”
2. Wegweisendes Urteil gegen den BND (reporter-ohne-grenzen.de)
Das Bundesverwaltungsgericht gab einer Klage der “Reporter ohne Grenzen” statt: Ab sofort darf der Bundesnachrichtendienst (BND) keine Verbindungsdaten aus Telefongesprächen der Organisation in seinem Metadaten-Analysesystem “VerAS” speichern. Auf Seiten der “Reporter ohne Grenzen” zeigt man sich hocherfreut: “Das Urteil ist ein historischer Erfolg für Reporter ohne Grenzen, weil es uns gelungen ist, dem BND Grenzen aufzuzeigen. Gleichzeitig stärkt es unsere Arbeit, denn verfolgte Journalisten aus autoritären Staaten wie Usbekistan oder China müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kommunikation mit uns vertraulich bleibt.”
3. WDR-Redakteure enttäuscht: Wo ist Buhrows Liebe hin? (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Nachdem WDR-Intendant Tom Buhrow angekündigt hat, auf Wunsch der Verleger das Textangebot runterzufahren, rumort es im Sender. Die Redakteursvertretung beklage insbesondere den Kommunikationsstil und fühle sich schlecht informiert. Für zusätzliche Empörung sorge eine kursierende Mail, die Zeichenbegrenzungen vorgibt und bei Überschreitung mit “persönlichen Konsequenzen” droht.
4. Storify macht dicht und löscht alles (schmalenstroer.net)
“Storify” ist ein vielgenutztes Tool, mit dem man Beiträge aus Sozialen Medien sammeln und zu einer Geschichte bündeln kann. Doch damit ist bald Schluss: Der Dienst wird in wenigen Monaten abgeschaltet. Für Michael Schmalenstroer der Anlass, den Einsatz derartiger Dienste grundsätzlich in Frage zu stellen: “Statt einem Storify hätte man auch ein normales Blog mit eingebundenen Tweets nutzen können. Dann ist man nicht von einem Dienstleister abhängig, der je nach wirtschaftlicher Lage den Dienst einfach einstellt. Wer seinen Krams selbst hostet und darauf aufpasst, wird keine bösen Überraschungen erleben. Gebt nicht die Kontrolle über eure Inhalte ab, denn kein Anbieter hat sich dieses Vertrauen verdient!”
5. Position beziehen — Nicht nur, aber auch auf der Buchmesse (verlagegegenrechts.wordpress.com)
Auf der Leipziger Buchmesse werden erneut das “Compact Magazin” und die “Junge Freiheit” anzutreffen sein: “Compact”-Chef Jürgen Elsässer habe davon gesprochen, dass er die Leipziger Buchmesse “für die Meinungsfreiheit zurückerobern” wolle. Die Initiative #verlagegegenrechts will den Auftritt der Rechten nicht unwidersprochen lassen: “Wir werden unsere Ablehnung rechter Ideologien sichtbar machen. Wir werden mit möglichst vielen Menschen in den Dialog treten und eine Veranstaltungsreihe an verschiedenen Orten auf der Messe und in Leipzig präsentieren. Wir werden uns dem medialen Aufmarsch der Rechten entgegenstellen. Ohne ihnen eine Bühne zu bieten.”
6. Jahresrückblick 2017 (trends.google.de)
Wonach haben die Deutschen 2017 gesucht? Google führt im Jahresrückblick die wichtigsten Suchbegriffe auf und verrät, welche Was-, Wo- und Warum-Fragen die Deutschen am häufigsten gestellt haben. In den Top-Platzierungen Fragen wie: “Was ist ein Schuppentier?”, “Warum ist Butter so teuer geworden?” und “Wo befindet sich der Hubraum?”