Neulich präsentierte die “Bild”-Redaktion ja schon den “ersten Fußball-Star”, der “Knast für Ultras” fordere und der in Wahrheit gar nicht “Knast für Ultras” fordert. Seit vorgestern gibt es bei “Bild” den ersten DFB-Vizepräsidenten, der von Ultras bedroht worden sei und der nach eigener Aussage gar nicht von Ultras bedroht wurde.
Vor zehn Tagen, da nahm die undifferenzierte “Bild”-Kampagne gegen die Ultra-Szene in Deutschland gerade Fahrt auf, veröffentlichte das Blatt eine komplette Seite zum Thema:
Die Ultras wollen immer mehr Macht im deutschen Fußball erobern. Auch mit Gewalt-Ankündigungen! Das bekam kürzlich DFB-Vizepräsident Rainer Koch (58) zu spüren.
Zu einem Gedankenaustausch hatte sich der Münchner mit drei Ultra-Chefs von Dynamo Dresden verabredet. Doch bei dem Treffen tauchten plötzlich 60 “Fans” auf und bedrohten den DFB-Vize. Mit dem Hinweis, man könne Koch zu Hause oder in seinem Büro “besuchen”.
Das Treffen zwischen Rainer Koch und den Ultra-Vertretern gab es tatsächlich. Und es kamen tatsächlich auch deutlich mehr Leute nach Dresden als vorher abgesprochen, es sollen zwischen 50 und 60 Personen gewesen sein. Aber Drohungen gegen den DFB-Vize, wie Marc Schmidt schreibt? Davon hat Rainer Koch nicht mal selber etwas mitbekommen. Am Samstag veröffentlichte er dieses Statement bei Facebook:
Kochs Beschwerde in Richtung Ultras, die “falsche Behauptungen” über ihn “in die Welt und ins Netz und in die Stadionkurve des 1. FC Nürnberg” setzen sollen, kann man übrigens direkt an “Bild” und Chefreporter Marc Schmidt weiterleiten. Klickt man auf den Link, den Rainer Koch in seinen Facebook-Post kopiert hat, sieht man, dass sich die von Koch Kritisierten auf das falsche Bedrohungsszenario berufen, das die “Bild”-Zeitung verbreitet hat.
Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich “Verbrecher”, nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.
Wir schreiben das so deutlich, weil die “Bild”-Redaktion das alles anders zu sehen scheint:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns. Bei “Bild” und Bild.de waren die Gesichter aller Personen zu erkennen.)
So sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. Die Fahndung nach den “G20-Verbrechern” erstreckte sich auch aufs Internet, prominent platziert bei Bild.de:
Insgesamt 18 Personen, die am vergangenen Wochenende irgendwas in Hamburg gemacht haben sollen, haben die “Bild”-Medien an den Pranger gestellt, mit vergrößerten Gesichtern und der Beschreibung von besonderen Merkmalen. Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen “Bild” oder Bild.de auf.
Das alles ist gleich aus mehreren Gründen mindestens problematisch, teilweise wohl auch rechtswidrig. Es fängt an mit der Vorverurteilung durch die “Bild”-Medien. Bereits in der Titelzeile steht fest, dass es sich um “Verbrecher” handele (wobei schon das Wort “Verbrecher” falsch ist, weil es sich erst dann um ein Verbrechen handelt, wenn die Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr beträgt, etwa bei Mord oder schwerer Körperverletzung, nicht aber bei schwerem Landfriedensbruch — dort spricht man von einem Vergehen). Die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, gilt nicht bei “Bild”. Während man normalerweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung ein Straftäter ist, reicht für die Redaktion schon eine Momentaufnahme, um ein Urteil zu sprechen. Ein möglicher Kontext ist dabei völlig egal.
Und das ist dann auch schon das nächste Problem: Die “Bild”-Medien nehmen Rollen ein, die nichts mehr mit der normaler Berichterstatter zu tun haben. In guten Momenten werden Medien zur vierten Gewalt, weil sie die drei anderen Gewalten — Legislative, Exekutive und Judikative — überwachen. “Bild” reicht das offenbar nicht mehr. Stefan Niggemeier schreibt bei “Übermedien” dazu:
Die Zeitung übernimmt die Rolle des Fahnders, und sie maßt sich dabei gleichzeitig die Rolle des Richters an. Ihr Urteil über die Menschen, nach denen sie öffentlich fahnden lässt, ist schon gefällt, und ein Teil der Strafe in Form des öffentlichen Prangers schon vollstreckt.
Dass “Bild” überhaupt öffentlich nach Personen fahndet, sei “klar rechtswidrig”, sagt Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt bei der Kölner Kanzlei “Höcker Rechtsanwälte”:
Öffentliche Fahndungsaufrufe müssen immer durch einen Richter angeordnet werden. Sie sind nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Nur in Notfällen dürfen auch Staatsanwaltschaft und Polizei die öffentliche Fahndung anordnen. Keinesfalls dürfen Private oder Medien im Alleingang Menschen zur Fahndung ausrufen.
Und dann gibt es noch das Recht am eigenen Bild. “Fotos von Demonstrationen oder der Begehung von Straftaten können zwar in vielen Fällen veröffentlicht werden”, sagt Leeser. Die Art und Weise, wie der “Bild”-Medien die Fotos präsentieren, mit Zoom auf die Gesichter, verletzte “aber eindeutig deren Recht am eigenen Bild.”
“Bild” und Bild.de tun den abgebildeten Personen Unrecht. Ohne dass je ermittelt wurde, was diese tatsächlich getan haben, stellen sie sie an den Pranger. Gerade erst am vergangenen Wochenende, ebenfalls aufgrund von Berichten über die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel, konnte man sehen, wie das Missachten der Unschuldsvermutung nach hinten losgehen kann. Bild.de schrieb am Freitag über einen Böller, der vor einem Polizisten explodiert ist. Dazu veröffentlichte die Redaktion dieses im Original unverpixelte Foto:
Im Artikel steht dazu:
Auf einem der zahlreichen Randale-Bilder vom Freitag ist zu sehen, wie einer der Tausenden G20-Chaoten vor einem Beamten steht, der schwer verletzt in die Knie geht – der Mann hat dem Polizisten kurz zuvor einen Böller direkt ins Gesicht geworfen!
Das stimmt allerdings gar nicht. Der Mann, der auf dem Foto zu sehen ist, hat mit dem Böllerwurf nichts zu tun. Die Hamburger Polizei griff — auch wegen des Bild.de-Berichts — bei Twitter ein, weil man “einen Unschuldigen vor einer ‘Online-Hetzjagd’ schützen” wolle:
Bild.de fügte der Bildunterschrift später die Information hinzu, dass der Böller-Werfer nicht auf dem Foto zu sehen sei. Gelernt haben die “Bild”-Medien aus diesem Fall aber offenbar nichts, wie die Titelseiten von Montag eindrucksvoll zeigt.
Die “GESUCHT!”-Aktion hat bereits konkrete Folgen. Heute meldete “Bild” — sicher nicht ohne Stolz — auf der Titelseite: “GESTELLT!”, nachdem sich einer der Abgebildeten bei der Polizei gemeldet hat:
Max Hoppenstedt schreibt bei “Vice”, dass es auch erste Kopfgelder gibt, die von rechten Internetseiten ausgelobt wurden, auf Grundlage der bei der “Bild”-Fahndung gedruckten Fotos.
Stefan Koldehoff sieht beim “Deutschlandfunk” “die Unabhängigkeit der Presse” durch die “Bild”-Zeitung “massiv beschädigt”:
Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die “BILD-Zeitung” heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates – die angebliche “Staatspresse” — sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat “BILD” heute massiv beschädigt.
Und Medienanwalt Ralf Höcker weist im Interview mit “Meedia” darauf hin, dass die Vorverurteilung durch “Bild” und der mediale Pranger sich bei einem möglichen Strafverfahren gegen die abgebildeten Personen auf das Strafmaß auswirken könnte:
Mit ihrer journalistischen Amtsanmaßung machen die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch es am Ende alles nur noch schlimmer. Sie tun möglicherweise Unschuldigen unrecht und sorgen gleichzeitig dafür, dass tatsächliche Täter mit einer geringeren Strafe davonkommen.
Trotz all dieser Bedenken findet “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch die Aktion ihrer Zeitung völlig in Ordnung. Sie beruft sich bei ihrem Urteil auf die “Vedachtsberichterstattung”:
Nun bedeutet “Verdachtsberichterstattung” eigentlich, dass man besonders zurückhaltend berichtet und extra kenntlich macht, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. “Bild” macht das exakte Gegenteil und spricht von “Verbrechern”. Entweder weiß Tanit Koch nicht, was “Verdachtsberichterstattung” bedeutet. Oder sie stellt sich extra blöd. Egal wie — es wäre recht traurig.
Am 22. Februar machten “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch und “Bild”-Chefchef Julian Reichelt den früheren Intendanten des “Deutschlandradios” Ernst Elitz zum “Bild”-Ombudsmann.
Und seitdem?
Die Festschrift, die heute in der “Bild”-Zeitung und gestern Abend bereits bei Bild.de erschienen ist, bietet leider kein brauchbares 100-Tage-Resümee. Stattdessen hat der Jubilar selbst ein tolles Geschenk mitgebracht:
Viele Leser wünschen sich mehr Möglichkeiten, ihre Meinung zu äußern. Da in der Zeitung der Platz für Leserbriefe begrenzt ist, habe ich die Chefredaktion gebeten, zusätzlich Leserbriefe bei BILD.de zu veröffentlichen. Das klappt: Sie finden mehr Leserbriefe ab heute unter http://www.bild.de/ombudsmann
Mit dem Elitz als Ombudsmann — da bewegt sich richtig was bei “Bild”. Und so werden jetzt endlich auch solche Leserbriefe veröffentlicht:
Zu: Kann die weg? Oder brauchen wir die Ein-Cent-Münze noch?
Im Portemonnaie nerven sie. Aber abschaffen würde ich diese nicht. Ich lege die Ein-Cent-Stücke immer beiseite und bringe sie zweimal im Jahr zur Bank.
[anonym]
Oder diese zwei fundierten Debattenbeiträge:
Zum Kommentar: Letzte Chance für die SPD
Die SPD kommt noch aus den Puschen!
Wolfgang J[.]
Die SPD ist wie 1860 München. Schnell geht es abwärts.
Klaus Guido S[.]
Doch zurück zur 100-Tage-Bilanz von Ernst Elitz. Tanit Koch und Julian Reichelt schrieben im Februar an ihre Leserinnen und Leser: “Wir wollen, dass Sie bei uns Gehör finden, wenn Sie sich über uns ärgern oder etwas falsch dargestellt sehen. Wir wollen, dass Sie unseren Fakten nicht nur vertrauen, sondern sie transparent nachvollziehen können. Wir wollen von Ihnen hören, wenn Sie meinen, einen Fehler entdeckt zu haben.”
Hat das geklappt? Hat die Leserschaft Gehör gefunden? Hat der Ombudsmann die kritischen Fragen, die ihn erreicht haben, ernstgenommen?
Hier eine Auswahl von Ernst Elitz’ Urteilen zur “Bild”-Berichterstattung:
Der “Bild”-Ombudsmann ist ein schlechter Witz.
Elitz schreibt, ihn erreichen 150 Briefe von Leserinnen und Lesern pro Woche. 100 Tage ist er im Amt, also etwas mehr als 14 Wochen. Bei über 2000 Leserhinweisen hat er es nicht hinbekommen, irgendetwas rauszufischen, das wenigstens den Anschein eines Fehlers oder Verstoßes durch die “Bild”-Redaktion besitzt. Die heftigste Kritik äußerte der Ombudsmann, als “Bild” nach dem Champions-League-Viertelfinale aus Fußballer Cristiano Ronaldo “der verfluchte Cristiano Ronaldo” machte:
Das “verflucht”, als Ronaldo die Bayern aus dem Halbfinale schoss, war in der Redaktion selbst umstritten. Ich bin bei denen, die diese Wortwahl nicht für angemessen halten. Bitte fair nicht nur auf dem Rasen, sondern auch beim Spiel mit Worten!
Tausende Blogger, Medienleute und Netzaktivisten sind nach Berlin zur re:publica gereist, um die Themen der digitalen Gesellschaft zu diskutieren. Auch wir konnten dem Lockruf nicht widerstehen und sind dort. Besonders interessieren uns natürlich alle Themen, die im weitesten Sinne mit Medien zu tun haben. Deshalb haben wir aus der Vielzahl von Vorträgen die für uns interessanten Veranstaltungen des zweiten Tags herausgepickt (was bei dem Überangebot nicht leicht war) und samt der offiziellen Beschreibungstexte hier aufgeführt. Vielleicht sieht man sich ja…
1. Flachsinn – über gute und schlechte Aufmerksamkeit, wie man sie bekommt, wer gewinnt und wohin alles führt (Stage 1 – 10:00 bis 11:00 Uhr) (re-publica.com)
Früher war es nicht so gut, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. “Gehe nicht zum Fürst, wenn du nicht gerufen wirst.” Man wollte bestimmt nicht “auffällig” werden, weil Normabweichungen zu Nachteilen führten. Heute hat derjenige Erfolg, der Aufmerksamkeit auf sich zieht, “attraktiv” oder “visible” ist, also weithin “auffällig” wirkt und als “besonders” gilt. Die Aufmerksamkeit mausert sich seit Jahren zu einer Ersatzwährung. Gunter Dueck (CEO Omnisophie)
2. Anonymous.Kollektiv & Migrantenschreck: Warum wir bei Rechten geklingelt haben (Stage 2 – 10:00 bis 11:00 Uhr) (re-publica.com)
Hunderte Deutsche haben illegale Schusswaffen beim Online-Shop “Migrantenschreck” bestellt. Wir haben Dutzende besucht, viele von ihnen sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Das zeigt: Rechte Parolen sind im Mainstream angekommen, das Bild des angeblich kriminellen Flüchtlings verfängt. Wie können Journalisten damit umgehen? Wie ernst sollen wir die Ängste der besorgten Bürger nehmen? Karolin Schwarz (Social Media Redakteurin & Journalistin Hoaxmap)
Max Hoppenstedt (Chefredakteur MOTHERBOARD)
Simon Hurtz (Redakteur SZ.de)
3. »Wir hab’n Polizei!« – Chancen & Herausforderungen beim Einsatz sozialer Medien in der Polizeiarbeit (Stage 2 – 11:15 bis 12:15 Uhr) (re-publica.com)
Aufgezeigt werden soll, wie ein ganzer Berufsstand durch seine Kommunikation in den sozialen Medien eine Art Imageaufschwung von »dislikable« zu »loveable« erfahren hat, welche positiven Signale dies für unsere Gesellschaft, den Rechtsstaat und die Zukunft der digitalen Präsenz der Polizei haben kann, vor welche Herausforderungen der offene Dialog die Beamten aber auch stellt (Stichworte: Falschmeldungen, Hatespeech, Whistleblowing, Terrorwarnungen …) und wie diese Weise der »neuen Kommunikation« anderen Berufsgruppen zum Vorbild gereichen kann. Alexa Brandt (Digitalredakteurin I Head of PR & Social Media result gmbh)
Katharina Kleinen-von Königslöw (Professor University of Hamburg)
André Karsten (Social Media Communicator / Polizeisprecher Soziale Medien Polizei Frankfurt am Main)
Thomas-Gabriel Rüdiger (Kriminologe FHPol Brandenburg)
4. Survival of the fakest? ARD und andere Medien im Kampf gegen gezielte Falschinformationen im Netz (re-publica.com)
Derzeit scheint das Netz von Fake News durchsetzt zu sein. Meldungen, die im Internet kursieren, können weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Wie können wir uns gegen Falschmeldungen wappnen? Stefan Niggemeier (Gründer Übermedien)
Juliane Leopold (Journalistin und Beraterin)
David Biesinger (Programmchef)
Patrick Gensing (Leiter Faktenfinder Tagesschau)
Richard Gutjahr (Journalist und Blogger G! blog)
Niddal Salah-Eldin (Head of Social Media WELTN24)
5. Exit Journalism: Dating-, Shopping-, und Vergleichsportale. Bestimmen sie die Zukunft der Medienkonzerne? (Stage 7 – 11:15 bis 12:15 Uhr) (re-publica.com)
Springer macht in Immobilienanzeigen, Burda in Dating und P7S1 in Vergleichsportalen. Es scheint als ob die journalistischen Produkte nur noch als Startrampe für besser bezahlte Aktivitäten im Netz gesehen werden. Welche Rolle spielt Journalismus für die Konzerne? Wie kann sich das journalistische Kerngeschäft weiter entwickeln und eigenständig bestehen? Hansi Voigt (Freier Medienberater)
Arne Wolter (Chief Digital Officer Gruner+Jahr GmbH + Co KG)
Caroline von der Groeben (Chief of Staff to the board Axel Springer SE)
6. What’s Up TV? Television from Abroad (Stage 6 – 12:30 bis 13:00 Uhr) (re-publica.com)
Der Markt für Fernsehformate ist international, und TV-Trends verbreiten sich schnell über die ganze Welt. Trotzdem unterliegt jedes Land nationalen Eigenheiten und Geschmäckern. Was trotzdem Trend ist – oder zu einem werden könnte, welche Formate in der TV-Branche diskutiert werden und was für kuriose Auswüchse die TV-Produktion zuweilen zustande bringt, präsentiert die Session. Marcel Amruschkewitz (Leiter Creative Unit VOX)
7. Beitragskürzung oder erweiterter Auftrag. Wohin entwickelt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk? (Stage 7 – 12:30 bis 13:30 Uhr) (re-publica.com)
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Veränderungs- und Rechtfertigungsdruck, in Deutschland und in ganz Europa. Der Druck kommt nicht nur durch neue Medientechnologien und veränderte Medienrezeptionsgewohnheiten der Nutzer, sondern auch aus Politik und den eigenen Reihen. Innerhalb der Rundfunkanstalten wird in Arbeitsgruppen über zukünftige Strukturen, Reformansätze, Angebote und die Vorstellungen der Beitragszahler diskutiert.Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Veränderungs- und Rechtfertigungsdruck, in Deutschland und in ganz Europa. Der Druck kommt nicht nur durch neue Medientechnologien und veränderte Medienrezeptionsgewohnheiten der Nutzer, sondern auch aus Politik und den eigenen Reihen. Innerhalb der Rundfunkanstalten wird in Arbeitsgruppen über zukünftige Strukturen, Reformansätze, Angebote und die Vorstellungen der Beitragszahler diskutiert.
Tabea Rößner (MdB Bündnis 90/Die Grünen) Ulrike Simon (freiberufliche Medienjournalistin)
Hans Demmel (Vorsitzer / Geschäftsführer VPRT e. V. / n-tv)
Prof. Dr. Karola Wille (Intendantin des MDR und Vorsitzende der ARD)
Lauri Kivinen (CEO Yle – Finnish Broadcasting Company)
8. Jemand vor Ort? Lokaljournalismus zwischen Innovation, gesellschaftlicher Bedeutung und staatlicher Förderung. (Stage 7 – 15:00 bis 16:00 Uhr) (re-publica.com)
In immer mehr Regionen in Deutschland gibt es nur noch eine Tageszeitung, auch im lokalen Rundfunk nimmt die Konzentration zu. Hyperlokale Blogs erschienen kurze Zeit als Alternative, die Finanzierung bleibt jedoch in den meisten Fällen schwierig. Um lokale Vielfalt zu erhalten, werden unterschiedliche Konzepte zur Weiterentwicklung und Förderung von Lokaljournalismus diskutiert und in einzelnen Bundesländern auch probiert. Prof. Dr. Hansjürgen Rosenbauer (Vorsitzender des Medienrats Medienananstalt Berlin-Brandenburg)
Prof. Dr. Frank Lobigs (Professor für Journalistik, Schwerpunkt “Ökonomische Grundlagen des Journalismus” Inst. f. Journalistik, TU Dortmund)
Thomas Kralinski (Chef der Staatskanzlei & Beauftragter für Medien Staatskanzlei Land Brandenburg)
Patricia Schlesinger (Intendantin Rundfunk Berlin-Brandenburg)
Prof. Bascha Mika (Chefredakteurin Frankfurter Rundschau GmbH)
Isa Sonnenfeld (Head of Google News Lab DACH)
Andrea Hansen (Freie Journalistin und stellvertretende Landesvorsitzende DJV NRW)
9. Schöner Schein oder tiefgreifende Erkenntnisse? – Datenjournalismus im redaktionellen Alltag (Stage 4 – 16:15 bis 17:15 Uhr) (re-publica.com)
Datenjournalismus schafft Ordnung im Chaos, zeigt komplexe Zusammenhänge auf und macht riesige Zahlenmengen auf einen Blick begreifbar. Datenjournalismus ist die Antwort auf die großen Datenmengen unserer Welt. Aber zeigt Datenjournalismus wirklich Neues? Interessieren sich die NutzerInnen dafür? Welche Reichweiten lassen sich damit erzielen? Und wie bindet man die Datenjournalisten sinnvoll in den Redaktionsalltag ein? Auf der Bühne: Macher und Experten mit Daten, Erfahrungen und Gedanken zu einem wichtigen Thema im Journalismus – nicht nur Online. Lorenz Matzat (Journalist & Unternehmer Lokaler Infosystems)
Wolfram Leytz (Redaktionsleiter rbb|24 Rundfunk Berlin-Brandenburg)
Uli Köppen (BR Data)
Teresa Sickert (Journalistin Radiobüro)
Christina Elmer (Ressortleitung Datenjournalismus Spiegel Online)
10. Fake News und die Glaubwürdigkeitsdebatte. Wie dringt Journalismus noch durch? (Stage 7 – 17:30 bis 18:30 Uhr) (re-publica.com)
Erst die Fake-News teilen, sich dann über die Gegenposition in den Medien aufregen, um sich schließlich bei Russia Today zu informieren. Der Kampf um Aufmerksamkeit im Social Web schafft schiefe Anreize für Medienmacher und Nutzer. Wie geht man mit den Unwahrheiten um? Wie stärkt der Journalismus seine Glaubwürdigkeit und dringt zu den Nutzern durch? Dr. Barbara Hans (Chefredakteurin SPIEGEL ONLINE GmbH)
Jim Egan (CEO BBC Global News Ltd)
Dr. Joachim Huber (Leiter Ressort Medien Der Tagesspiegel)
Niddal Salah-Eldin (Head of Social Media WELTN24)
Dr. Maren Urner (Co-Founder and editor-in-chief Perspective Daily)
Dr. Rasmus Kleis Nielsen (Director of Research Reuters Institute, University of Oxford)
11. Fake sells: Eine wahre Geschichte in 2000 Facebook-Copys (Stage 1 – 18:45 bis 19:15 Uhr) (re-publica.com)
Fake News sind immer die News der anderen? Unsere Datenanalyse zeigt, wie sich Falschmeldungen auszahlen und mit welchen Strategien Medien Fakes verbreiten: Jeder dritte Facebook-Post enthält Spuren von Unwahrheit. Um dem Problem beizukommen, gilt es zu differenzieren: zwischen Propaganda, Clickbait und Fahrlässigkeit. Wir präsentieren das Thema als interaktive Game Show mit zwei Kandidaten und einer Hydraulikpresse (Modell „Lügenpresse™“) auf der Bühne, die über Wahrheit und Fake richtet. Theresa Locker (MOTHERBOARD)
12. Unfragen und Umfragen: Wenn Meinungsforschung Meinung macht (re-publica.com)
Wir konsumieren Eindeutigkeit: 2,5 Milliarden Euro pro Jahr geben deutsche Politik und Wirtschaft für quantitative Meinungsforschung aus, 150 Umfragen beauftragt allein das Bundeskanzleramt jährlich. Doch nach Wahlkämpfen, die mitunter von Bots und sogenannten Fake News bestimmt wurden, scheint es immer schwieriger, diese Eindeutigkeit zu finden. Große Medien nutzen zur Steigerung ihrer Engagement-Raten häufig einfache Klick-Tools, um Meinungen abzufragen. Welche Meinungen diese Ergebnisse widerspiegeln ist fraglich.
Christian Humborg (Of Counsel CORRECT!V) Janina Mütze (Co-Founder & COO Civey)
Der “Wochenblick” hat mal wieder was rausgefunden. Es gebe “ein geheimes Papier der deutschen Bundesregierung”, berichtet die wöchentlich erscheinende Zeitung aus Oberösterreich, “welches die Masseneinwanderung nach Deutschland feiert.” Die Redaktion zitiert anonyme “Kritiker”, die sagen sollen, “dass dieses Strategiepapier ‘den Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren’ würde”. Schlagzeile bei wochenblick.at:
Man muss es heute schon aus britischen Medien erfahren
“Die Medien hierzulande” hätten schließlich noch gar nicht …
Die Medien hierzulande haben noch gar nicht über das Strategiepapier berichtet, welches Anfang Februar zur internen Verwendung verbreitet worden sein dürfte. Im Dokument heißt es gar wörtlich: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”
Was haben wir hier also? “Ein geheimes Papier” der Bundesregierung, das den “‘Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren'” soll, und alle deutschsprachigen Medien würden mal wieder beim Schweigekartell mitmachen.
So viel schon mal jetzt: Das ist gleich mehrfacher Blödsinn.
Dennoch — oder gerade deswegen — drehte der “Wochenblick”-Artikel in den vergangenen Tagen eine ordentliche Online-Runde: Die rechten Blogger von “Politically Incorrect” übernahmen die Geschichte eins zu eins, allein auf der Facebook-Seite des “Wochenblicks” wurde der Text über 1600 Mal geteilt:
Viele Anti-Asyl-Gegen-Merkel-Hier-kein-Flüchtlingsheim-Seiten verbreiteten den Beitrag ebenfalls bei Facebook:
Den “Wochenblick” gibt es noch gar nicht so lange, vor knapp einem Jahr wurde die Zeitung gegründet. Seitdem hat die Redaktion, die “Berichterstattung ohne Scheuklappen” verspricht, es aber locker geschafft, richtig Mist zu bauen. Sie war zum Beispiel eine der treibenden Kräfte bei der Verbreitung über Falschmeldungen zur Silvesternacht in Dortmund.
Beim aktuellen Artikel über die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung sind gleich mehrere Punkte falsch. So handelt es sich ganz gewiss nicht um “ein geheimes Papier”, auch wenn die “Wochenblick”-Redaktion sich große Mühe gibt, ihrer Geschichte Exklusivität zu verleihen:
Die sogenannte “Demografiebilanz” des Bundesinnenministeriums, auf die sich der “Wochenblick” bezieht, ist seit Februar für jeden im Internet abrufbar (PDF). Darin auch der zitierte Satz: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”
Der Vorwurf, dass die Medien in Deutschland und/oder Österreich “gar nicht über das Strategiepapier berichtet” hätten, den ja auch einige Facebook-Seiten übernommen haben, ist Lüge Nummer zwei. Sie haben über die “Demografiebilanz” berichtet. Viele sogar. “RP Online” zum Beispiel:
Und alle bereits am 1. Februar. Der “Wochenblick” liegt mit seinem Artikel also nicht nur doppelt daneben, sondern ist mit seinem Märchen auch ziemlich spät dran.
1. Viele Journalisten von Angriffen betroffen (mediendienst-integration.de)
Das “Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung” (IKG) der Universität Bielefeld und der „Mediendienst“ haben Journalisten online und anonym über Leserreaktionen befragt. Die Studie zeigt: Zwei Drittel von ihnen nehmen einen Anstieg hasserfüllter Reaktionen gegen sich und Kollegen wahr.
2. Vorverurteilung von höchster Stelle (reporter-ohne-grenzen.de)
„Reporter ohne Grenzen“ verurteilt die Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Fall des in der Türkei in Untersuchungshaft sitzenden Korrespondenten Deniz Yücel: „Präsident Erdogan hat mit seinen gravierenden, durch nichts belegten Anschuldigungen jeden noch so kleinen Rest Hoffnung auf eine rechtsstaatliche Behandlung von Deniz Yücel zunichte gemacht. Spätestens nach dieser unentschuldbaren Vorverurteilung von höchster Stelle ist an ein faires Gerichtsverfahren nicht mehr zu denken. Schon alleine deshalb muss Deniz Yücel sofort freigelassen werden.”
3. Alfi finden (heise.de, Peter Glaser)
„heute journal“-Moderator Claus Kleber sucht auf Twitter nach der Adresse eines Fans, da der Umschlag mit der Adresse verloren gegangen ist. Denn „Alfi“, so der Name des Fans, soll das gewünschte Autogramm des ZDF-Anchormans Kleber bekommen. Klebers Such-Tweet erreichte theoretisch über eine Million Follower, doch gefunden wurde Alfi bislang noch nicht. Peter Glaser fragt sich, ob die sogenannte Follower-Power der sozialen Medien überschätzt wird und sich durch die neuen Kommunikationskanäle die Qualität der Nachrichtenverbreitung verbessert hat. Und er erinnert sich an die Zeit, als er als Briefträger gearbeitet hat.
4. Ein Quiz gegen die Trolle (taz.de, Cornelius Oettle)
„NRKbeta“, ein Ableger des norwegische Rundfunks, testet ein neues Verfahren und lässt Leser Fragen über Artikel beantworten, bevor sie sie online kommentieren dürfen. Es sieht so aus, als ob dadurch die Anzahl unsachlicher Kommentare und Beschimpfungen abgenommen hätte.
6. Weichgepilgert (sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Claudia Tieschky stellt auf süddeutsche.de die Zeitschrift „Der Pilger — Magazin für die Reise durchs Leben“ vor: „Die erste Nummer widmet sich dem Fastenwandern, selbstgemachtem Kirschlikör und Bogenschießen; es gibt eine Kolumne des medienauffälligen Benediktinerpaters Anselm Grün und Naturbilder mit Texten von Franz von Assisi. Katholizismus als Wellness. Eigentlich sieht Der Pilger aus wie Landlust mit Nonnen. Bei den sanften Fragen – “Bin ich schon am Ziel? Möchte ich überhaupt ankommen?” – hält das Heft mit anderen Achtsamkeits-Produkten locker mit. Kuschel-Prädikat wertvoll: Hier streichelt die Kirche jedes Seelchen selbst.“
Dienstagabend um 22:04 Uhr hatte Jan G. aus Sicht der Bild.de-Redakteure noch Anspruch auf etwas Anonymität:
Bis Mittwochvormittag um 11:48 Uhr wurde der schwarze Balken über seinen Augen zwar schon deutlich schmaler, aber es gab ihn immerhin noch:
28 Minuten später, um 12:16 Uhr, verkündete Bild.de das Geständnis des Mannes, der vorgestern erst seine Großmutter mit einem Messer tötete und anschließend, auf der Flucht, zwei Polizisten zu Tode fuhr. Diese schrecklichen Taten begann er offenbar unter starkem Einfluss von Drogen.
Um 15:32 Uhr am Mittwoch präsentierte Bild.de den Artikel von 12:16 Uhr weiterhin auf der Startseite, allerdings mit einem neue Teaserbild, das die Grafikabteilung extra neu zusammengebastelt hat. Das Portal zeigt Jan G. nun ohne Augenbalken (alle folgenden Verpixelungen stammen von uns):
Seitdem ist Jan G. bei Bild.de klar zu erkennen. Zum Beispiel in dieser Teaseroptik von gestern (20:57 Uhr) …
… oder in dieser von heute:
(Hier ist von “5 Menschen” die Rede, weil Bild.de noch einen anderen Fall, der nichts mit Jan G. zu tun hat, zum “JUSTIZ-VERSAGEN” hinzurechnet.)
Bei der “Bild”-Zeitung konnte man die gleiche Entwicklung verfolgen. Auf der Titelseite von gestern gönnte die Redaktion Jan G. noch einen Augenbalken:
Heute, auf Seite 3, gibt es den nicht mehr:
Warum zeigen die “Bild”-Medien Jan G. zuerst mit Augenbalken und dann ohne? Schließlich stand für sie ja bereits vor seinem Geständnis fest, dass er ein “Oma-Mörder” ist und “POLIZISTEN TOTGERAST” hat. Warum also nicht schon am Mittwochmorgen das komplette Gesicht des Mannes zeigen? Legt man im Gedankenkosmos der “Bild”-Mitarbeiter mit einem Geständnis automatisch auch seine Persönlichkeitsrechte ab? Und worin liegt der Vorteil für die Leserschaft, einen Täter erkennen zu können, der längst festgenommen ist — von dem also aktuell keine Gefahr mehr ausgeht?
Was ebenfalls eher für eine Anonymisierung von Jan G. spricht: Er scheint seit längerer Zeit unter einer psychischen Erkrankung zu leiden, was seine grausame Tat natürlich nicht entschuldigt. Von den psychischen Problemen wissen auch die “Bild”-Mitarbeiter. In ihrem Artikel “Die kaputte Welt des Oma-Killers” schreiben sie darüber.
Mit Dank an Frelsi K., Till W. und Christoph H. für die Hinweise!
Nachtrag, 20:13 Uhr: Bei “RTL” war Jan G. gestern Abend ebenfalls ohne Unkenntlichmachung zu sehen:
Es gilt die Unschuldsvermutung. Für jeden, und natürlich auch für “Bild”-Herausgeber Kai Diekmann. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt momentan gegen ihn, nachdem eine “Springer”-Mitarbeiterin Anzeige erstattet hatte. Im vergangenen Sommer soll Diekmann sie beim Baden sexuell belästigt haben, so der Vorwurf, den Diekmann bestreitet.
Der “Spiegel” und “Spiegel Online” schrieben vergangene Woche als Erste über die Anzeige, viele weitere Medien zogen nach. Anders als von einigen Leuten bei Facebook und Twitter behauptet, griffen auch die “Bild”-Redaktionen das Thema auf. Bild.de berichtete noch am Freitag, für einige Stunden war eine “dpa”-Meldung auf der Startseite klein verlinkt:
“Bild” brachte am Samstag die gleiche “dpa”-Meldung, ganz unten auf Seite 2:
Und einen Tag später veröffentlichte “Bild am Sonntag”, wo Diekmann ebenfalls Herausgeber ist, auf Seite 2 einen eigenen kurzen Artikel:
Man kann also nicht sagen, dass “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” das Thema totgeschwiegen hätten. Vielleicht kann man sogar sagen, dass sie angemessen berichtet haben: nüchtern, keine sensationsgierige “Sex”-Schlagzeile, nicht vorverurteilend (zugegeben: alles andere wäre im Fall des eigenen Herausgebers auch eine große Überraschung gewesen). Schließlich steht außer den Tatsachen, dass gegen Kai Diekmann eine Anzeige vorliegt und die Staatsanwaltschaft ermittelt, nichts fest.
Heute berichten die Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und Bild.de über den “AfD”-Politiker Andreas Kalbitz. Gegen Kalbitz liegt eine anonyme Anzeige wegen sexueller Belästigung vor, die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft derzeit, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einleitet. Der Stellvertreter des brandenburgischen “AfD”-Chefs Alexander Gauland soll sich bei einer Party der “Jungen Alternativen” teilweise noch minderjährigen Jugendlichen “sexuell genähert” haben, so der Vorwurf, den Kalbitz bestreitet.
Auch hier ist noch nicht klar, was an den schweren Vorwürfen dran ist. Doch statt wie bei Diekmann auf eine große Aufmachung und Reizwörter wie “Sex” in der Überschrift zu verzichten, berichtet “Bild” so:
Nicht falsch verstehen: Wir sind nicht dafür, dass “Bild” über Kai Diekmann so berichtet wie in diesem Fall über Andreas Kalbitz. Andersrum wäre es wünschenswert: Dass die “Bild”-Medien — wie im Fall ihres Herausgebers — Ermittlungen abwarten, die ermittelnden Behörden und, sollte es zu einem Prozess kommen, die Gerichte ihren Job machen lassen, bevor sie riesige Artikel bringen. In der Vergangenheit, unter der Leitung von Kai Diekmann, hat sich zu oft gezeigt, dass die “Bild”-Redakteure mit ihren schnellen Schlagzeilenzuoftdanebenlagen.
Eigentlich wollten wir hier im BILDblog schon vor knapp zwei Wochen über den Fall berichten. Es geht um die erschreckende Tat eines Mannes, der erst auf seine Frau einstach, ihr dann ein Seil um den Hals band und sie anschließend an seinem Auto hinter sich herzog.
Damals, am 23. November, veröffentlichte “Bild” diesen großen Artikel:
(Unkenntlichmachungen durch uns.)
Und auch Bild.de berichtete (auf einen Link verzichten wir ganz bewusst) mit einem kostenpflichtigen “Bild plus”-Artikel:
In den Tagen zuvor hatten die “Bild”-Medien das Geschehen im niedersächsischen Hameln schon intensiv begleitet. Sie hatten unverpixelte Fotos des Opfers gezeigt (vermutlich mit Zustimmung der Familie), sie hatten unverpixelte Fotos des geständigen Täters gedruckt, sie hatten Fotos von Blutspuren veröffentlicht. Das volle Programm.
Am 23. November sind sie noch einen Schritt weiter gegangen: “Bild” und Bild.de (bereits einen Tag zuvor) verbreiteten eine Aufnahme des Opfers Kader K. aus dem Krankenbett auf der Intensivstation, riesengroß, wie man oben erahnen kann. Zu dieser Zeit lag sie in der Universitätsklinik in Hannover im Koma, hilflos, angeschlossen an viele Schläuche. Die “Bild”-Mitarbeiter verzichteten auf jegliche Unkenntlichmachung.
Dass die Veröffentlichung dieses Fotos eines lebensgefährlich verletzten Opfers auf Kritik stoßen könnte, dürften auch “Bild” und Bild.de geahnt haben. Jedenfalls stellten sie bereits in der Unterzeile klar, dass “der Bruder von Kader K.” “in BILD” spreche, und ihren Artikel begannen die Autoren direkt so:
“WIR WOLLEN DER WELT ZEIGEN, WAS DIESER HUND KADER ANGETAN HAT.”
Das sagt Maruf K. (35), der Bruder von Verbrechensopfer Kader K. (28).
Ein paar Absätze später schreiben sie:
Ihr Bruder fotografierte sie auf der Intensivstation, gab BILD das Foto — weil die Familie dokumentieren will, was geschehen ist.
Deswegen hatten wir das Thema erstmal nicht aufgegriffen: Wenn eine Familie sich dazu entscheidet, das Foto eines Angehörigen an “Bild” zu geben, kann die Zeitung es auch drucken. Natürlich hätte sich die Redaktion dazu entschließen können, aus Pietät auf den Abdruck zu verzichten oder das Opfer zumindest zu anonymisieren. Aber bei einer solchen Entscheidung geht es um Anstand. Und es geht um “Bild” und Bild.de.
Heute ist in der “Süddeutschen Zeitung” ein Artikel zu der “Gewalttat in Hameln” erschienen. Tim Neshitov hat die Familie von Kader K. besucht und mit ihr über den tragischen Fall gesprochen. Neshitov zitiert in seinem Text auch den Bruder, der “Bild” das Foto seiner Schwester im Krankenbett gegeben hatte:
Die Bild-Zeitung hat ihr obligatorisches Opferfoto abgedruckt, sogar mit Beatmungsschläuchen, wofür Kaders älterer Bruder auf der Intensivstation sein Handy zücken musste (“Ich war verwirrt, wie im Nebel, und die sagten noch, so ein Foto würde Kader nützen”).
Der Bruder von Kader K. bereue es inzwischen, bei dieser “Bild”-Geschichte mitgemacht zu haben, sagte uns Tim Neshitov auf Nachfrage.
Wir werden ab und zu gefragt, warum wir “Bild” und Bild.de immer noch beobachten und regelmäßig kritisieren. Dazu kommt oft der Satz: “Die Leute von ‘Bild’ sind doch gar nicht mehr so schlimm wie früher.” Vielleicht nicht alle. Einige aber schon.
Mit Dank an Rosemarie H., Thomas S., Fab und @HoechDominik für die Hinweise!
1. «Als Journalist muss ich sagen: Das ist faszinierend!» (schweizamsonntag.ch, Yannick Nock & Christof Moser)
Alan Rusbridger war von 1995 bis 2015 Chefredakteur der renommierten britischen Tageszeitung “The Guardian”. Im Interview wird er mit unangenehmen Fragen zu Gegenwart und Zukunft konfrontiert: Der “Guardian” habe heute weltweit 100 Millionen Online-Nutzer und trotzdem kein funktionierendes Geschäftsmodell. Im vergangenen Jahr seien 60 Millionen Euro Verlust aufgelaufen, mehr als 200 Stellen sollen gestrichen werden. In den Antworten schimmert viel Rat- und Hilflosigkeit durch. Eine Chance auf Monetarisierung sieht er im Mix: “Zum Beispiel auf ein Publikum setzen, das sich als Mitglied einer Community zahlungsbereit zeigt. Oder Native Advertising als Einnahmequelle. Vielleicht setzt sich auch stiftungsfinanzierter Journalismus durch. Oder Live-Events, um Erlöse zu generieren. Wahrscheinlich ist, dass eine Vielzahl von Einnahmequellen den Journalismus finanzieren muss.”
2. Transparenz ohne Wert (medienwoche.ch, Lothar Struck)
Recherche als Selbstzweck und ohne Erkenntnisgewinn, nennt Lothar Struck die Offenlegung des Pseudonyms der italienischen Bestsellerautorin Elena Ferrante. Der betreffende Journalist hätte das Pseudonym und die dahinterstehende Person respektieren müssen. Alles andere seien Ausreden: “In Wirklichkeit dürfte es ihm weder um die Literatur Ferrantes noch um das Informationsbedürfnis eines Publikums gegangen sein. Die Aktion dient einzig dazu, seinen Ruhm zu steigern. Das Recht auf Anonymität, auf Privatsphäre, das ansonsten jedem Verbrecher zugestanden wird, wird eigenmächtig und nonchalant eines pervertierten Transparenzwahns wegen außer Kraft gesetzt.”
3. «Ich weiss nicht, was ich wäre, wenn ich nicht Geschichte studiert hätte.» (etue.ch, Valentin Rubin & Lisa Gnirss)
Monika Bolliger arbeitet von Beirut aus als Nahostkorrespondentin für die “NZZ”. Im Interview mit der HistorikerInnen-Zeitschrift “etü” erzählte sie vom Umgang mit Gefahr in Gaza und Syrien, von Journalismus mit schwieriger Quellenlage und von ihrem Geschichtsstudium an der Universität Zürich.
4. Die Tagesschau ist nicht das Problem (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz spöttelt über die mittlerweile vorliegende Entscheidung zum Streit um die Tagesschau-App: “Man könnte auch darüber sinnieren, wie lebensecht ein Urteil über ein Digital-Angebot ist, das ein Gericht auf der Basis seiner ausgedruckten (!) Version erlässt. Ebenso könnte man sich lange darüber auslassen, wie realitätsnah ein Urteil ist, das ernsthaft definieren will, was im hypermedialen Netz als „Presse“ zu bezeichnen wäre.” Doch der Streit um die Tagesschau-App lenke nur von den eigentlichen Problemen ab. Und die liegen nach Jakubetz unter anderem darin, dass die analoge Generation nicht loslasse und es der Branche alles in allem immer noch zu gut ginge. (Für einen Kommentar zum Urteil siehe auch Hans Hoffs Beitrag Wie sich die Tagesschau-App verändern muss in der “SZ”)
5. Die Hassmaschine (spiegel.de, Jan Fleischhauer)
Für Jan Fleischhauer ist ein Besuch bei Facebook wie ein Gang durchs Strafgesetzbuch. Beleidigung, Nötigung, Verherrlichung des Nationalsozialismus, Leugnung des Holocaust, Volksverhetzung. Alles sei möglich! Fleischhauer geht in seiner Kolumne der Frage nach, warum Facebook nicht stärker eingreife und kommt zum Schluss: “Es tut nicht mehr, weil sich das Nichtstun auszahlt. Kompetente Leute einzustellen, kostet Geld. Die Beamten, mit denen ich im Justizministerium in Berlin gesprochen habe, gehen davon aus, dass in der Europazentrale des Unternehmens in Dublin nicht mehr als eine Handvoll Mitarbeiter so gut deutsch sprechen, dass sie eine Verleumdung von einem Witz unterscheiden können. Außerdem hält die Leute nichts so verlässlich bei der Stange wie Wut. Für einen Konzern, der davon lebt, dass die Menschen möglichst viel Zeit auf seinen Seiten verbringen, kann es nichts Besseres geben.”
6. Amazon kann alles – sogar große Flops (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath hat sich die seit Freitag verfügbare Amazon-Produktion „Crisis in Six Scenes“ angeschaut und ist einigermaßen entsetzt. Die Episodenreihe würde wie ein gestreckter, zerstückelter und noch dazu schlechter Woody-Allen-Film wirken. Doch Lückerath kann dem Seriendesaster auch Gutes abgewinnen: “Ein so prominenter Flop für Amazon tut gut – selbst Amazon. Es ist das Ventil für den ins Unermessliche gestiegenen Erwartungsdruck. Gut ist dieser Flop aber auch für jene, die den neuen SVoD-Anbietern eine grundsätzliche Überlegenheit bescheinigen sowie denen, die der Meinung waren: Wer Film für die große Leinwand kann, schafft Fernsehen doch mal eben mit links. Woody Allen weiß nun, dass dem nicht so ist. In so vielerlei Hinsicht ist „Crisis in Six Scenes“ also gar nicht so schlecht. Nur gucken braucht man es deshalb noch lange nicht.”