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“Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach?”

Es sind aufregende Tage für “Bild”-Reporter Sebastian Rösener und seine Kollegen aus Bremen. Nicht nur die Polizei, auch “Bild” sucht diejenigen, die vor zwei Wochen durch den Wurf eines Holzklotzes von einer Autobahnbrücke eine Frau töteten. Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der “Bild”-Leute gibt der folgende Bericht, den uns Manuela, eine Mutter, geschickt hat:

Tja, das “Hilfe, ich bin in ‘Bild'” habe ich ein klitzekleines bisschen zu spät gelesen… da hatte sich “Hallo, hier ist Sebastian…” schon wieder bei meiner Tochter gemeldet.

Gegriffen hat er sich das Mädel am Tag nach dem Holzklotzwurf auf der A29, als sie mit unseren Hunden unterwegs war — wir wohnen dort. Nicht auf der A 29, aber daneben und ungefähr 500 Meter Fluglinie vom ursprünglichen Einschlagsort entfernt…

Marie kam nach Hause an dem Tag: “Ich muss unbedingt sofort Fynn anrufen…” Ich habe gefragt, wieso, und sie erzählte mir, dass Reporter sie ausgequetscht hatten. Erst wusste sie nicht mal, von welcher Zeitung (oder mochte mir das nicht sagen, kann auch sein). War aber schon zu spät, weil sie nämlich auf Jens [Name von uns geändert] hingewiesen hatte. Nach einer Erklärung, was ich davon halte und dass gerade die Blödzeitung nicht grad zur Aufklärung beiträgt, hat sie das auch schnell verstanden, Fynn wurde nicht angerufen.

Am nächsten Tag hat Marie (15 und blond) die Zeitung gekauft und sich den Artikel durchgelesen… Fand sie erst nicht schlimm, aber als ich ihr dann ein paar Sachen erklärt habe, hat sie es so langsam begriffen, das da ziemlich viel verkehrt läuft.

Jens, mittlerweile auch Telefonopfer von “Sebastian von der ‘Bild’-Zeitung”, hat recht schnell die Nase voll gehabt und beschlossen, nichts mehr mit “Bild” zu tun haben zu wollen.

Tja, dann kam das Fahndungsfoto raus — und sofort klingelte abends um kurz vor zehn nicht nur das Handy meiner Tochter, nein, auch Jens wurde wieder belästigt. “Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach? Dann würde ich vorbei kommen und dir das Bild zeigen!” Jens gab an, Kopfschmerzen zu haben, und so wurde ihm das Fahndungsbild am Telefon geschildert. Jens hat aber dazu nichts mehr gesagt.

Als Marie von “Sebastian” angerufen wurde, hat sie ihn an mich verwiesen und mir das Handy gegeben. Und es war echt ein klasse Gespräch, ich wusste gar nicht, das Reporter so dermaßen arme Socken sein können, zu blöd, um zu kapieren, dass die Aufklärung der Straftat eine Sache der Polizei ist und sachdienliche Hinweise viel besser bei Herrn Weiß oder Herrn Krüder, dem Kontaktpolizisten von Maries Schule aufgehoben sind. Dann wollte man mir sachliche und faire Berichterstattung weis machen — und mit Herrn Wagner nichts zu tun haben. “Der sitzt in Berlin, mit dem haben wir nichts zu tun, WIR sind sachlich und objektiv!” Soso, warum dann die gezielte Wortwahl im Artikel, konnte er mir auch nicht erklären. Dumm gelaufen.

Ob ich denn die letzten Tage die “Bild”-Zeitung gekauft hätte — nein habe ich nicht. “Wie schade! Da hätten Sie mal sehen können, wie sachlich wir berichtet haben!” Jupp…

Gestern musste ich dann Marie wegen Kopfschmerzen von der Schule abholen, und nachdem ich wegen eines Fernsehteams vor der Schule quasi eine Vollbremsung hingelegt habe, um denen nicht durchs Bild zu fahren, stand an der Bushaltestelle ein rotbrauner alter Kombi, Ford oder so mit Bremer Kennzeichen. Meine Tochter: “Das sind die ‘Bild’-Reporter!”, und man sah auch einige sehr glückliche Mädels mit irgendwelchen Blättern vom Auto weggehen…

Hm, irgendwie war ich etwas schusselig, ich hätte den Wagen fotografieren sollen. Da der sicherlich nicht das letzte Mal dort auftaucht, werde ich Marie und friends bitten, das zu tun. Die nächste Schülerzeitung kommt bestimmt — und dann könnte man ja in “Bild”-Manier über die “Bild” berichten… ich schreibe auch gerne einen Gastkommentar…

  

“‘Richter Gnadenlos’ spricht Klartext”

Dies ist die Geschichte, wie “Bild” den umstrittenen Hamburger Amtsrichter Ronald Schill zum Hoffnungsträger hochschrieb, der mit seiner Partei bei der Bürgerschaftswahl 2001 schließlich fast 20 Prozent der Stimmen bekam. Und es ist die Geschichte von der außerordentlichen Nähe eines “Bild”-Redakteurs zu Schill und seinen Leuten.

Ungefähr ab 1996 taucht Ronald Schill in den Medien auf. Seine Urteile sind spektakulär — vor allem, weil sie so hart sind, dass die Staatsanwaltschaft immer wieder Berufung zugunsten der Angeklagten einlegt. Für Aufsehen sorgt vor allem, als er eine psychisch labile Frau, die zehn Autos zerkratzt hat, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. “Bild” berichtet zunächst relativ distanziert und unparteiisch.

1997 ist die Sympathie unverkennbar. “Urteilen deutsche Richter zu milde?”, fragt “Bild” am 22. August und erwähnt Ronald Schill als positives Gegenbeispiel. Vier Tage später lautet die rhetorische Frage von “Bild” schon: “Richter Gnadenlos — brauchen wir mehr von seiner Sorte?”

Redakteur Matthias S. wird offenbar von 1999 an langsam zum Schill-Beauftragten von “Bild”. “Der harte Richter Schill — Was ist das eigentlich für ein Mann?” fragt er am 21. Mai. Anlass ist, dass Schill einen nicht vorbestraften Pflegehelfer zu 15 Monaten Haft verurteilt, der mit 20 anderen “Linksautonomen” die Herausgabe eines Ausweises von zwei Polizisten gefordert hat. “Bild” berichtet zwar ausführlich über die Kritik an diesem Urteil, schreibt aber auch: “In der Bevölkerung ist Schill dagegen beliebt” und zitiert drei Bürger, die glücklich sind über das Durchgreifen gegenüber den “Chaoten” und “Krawallbrüdern”.

Ein typischer Schill-Gerichts-Bericht in “Bild” liest sich so wie dieser Artikel von Matthias S. und einer Kollegin vom 11. Juni 1999:

Der Staatsanwalt forderte zwei Jahre mit Bewährung, der Angeklagte atmete auf. Auf soviel Milde hatte Klaus B. (23) aus Dulsberg nicht zu hoffen gewagt. Schwere Brandstiftung — kein Kavaliersdelikt, seit fünf Monaten sitzt der Soldat in U-Haft. Aber mit seiner Entlassung wurde es trotzdem nichts. Denn das letzte Wort hat nicht der Staatsanwalt, sondern der Richter.

Und der hieß in diesem Fall Ronald Schill (40).

Schills Urteil: vier Jahre Haft — mehr darf ein Amtsrichter nicht verhängen.

Ein Jahr später — der Richter ist inzwischen versetzt worden — berichtet Matthias S. in “Bild” über Schills Pläne, eine eigene Partei zu gründen. Sein Programm fasst “Bild” so zusammen:

Mehr Sicherheit für alle, weg mit der Arroganz der Macht. Schluss mit der autofeindlichen Politik, her mit dem Transrapid, selbst wenn Hamburg dafür zwei Milliarden lockermachen muß. Dafür Verzicht auf die Straßenbahn und neue Gefängnisse.

Wenige Tage nach der Parteigründung erklärt Schill in “Bild”, in Hamburg herrschten “Zustände wie in Palermo oder im Chicago der 20er Jahre” und “Ganz Europa lacht über die Zustände in dieser Stadt”. Die Zeitung wertet das so: “‘Richter Gnadenlos’ spricht in BILD-Hamburg Klartext”.

“Bild” steht ihm treu zur Seite, auch als die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Schill erhebt:

Rechtsbeugung? Freiheitsberaubung? Da gibt es einen, der die öffentliche Ordnung wiederherstellen wollte. Richter Ronald Schill.

Und “Bild”-Redakteur Christian Kersting kommentiert einen Tag später:

Schill trifft mit seiner Kritik an Hamburgs Innen-, Justizund Ausländerpolitik den Nerv vieler Bürger. Ihn deshalb in die rechte Ecke zu stellen wäre zu billig. (…)

In der Bevölkerung wächst das Unverständnis darüber, dass vor den Gerichten die Täter häufig mehr Verständnis finden als die Opfer. Vor allem, wenn es um Jungkriminelle geht.

In der Bevölkerungwächst das Unverständnis darüber, dass ausländische Verbrecher ihre Händel immer öfter auf offener Straße mit Waffengewalt austragen. Die Polizei scheint machtlos.

Richter Schill spricht diese Sorgen der Menschen an, verspricht Abhilfe.

Am 1. Juli 2001, knapp drei Monate vor der Wahl, stellt Matthias S. in “Bild” vier “Sympathisanten” Schills vor, allesamt offenbar ehrenwerte Männer, die Sätze sagen wie der Kaufmann Franz-Joseph Underberg: “Wir wollen ein CSU-Programm in Hamburg, ohne Rechtsradikale anzusprechen.”

Die nächsten Monate sind keine guten für Schill und seine neue Partei — und auch in “Bild” finden sich ausführliche Berichte zum Beispiel über den Prozess gegen ihn, an dessen Ende er wegen Rechtsbeugung zu 12.000 Mark Strafe verurteilt wird — ein Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Aber schon unmittelbar danach ist der Parteichef für “Bild” wieder glaubwürdiger Zeuge und Experte für Kriminalität und diverse andere Themen und kommt regelmäßig zu Wort. In “Bild” wirkt sein Populismus wie die Stimme der Vernunft.

Als sich im Juni 2001 abzeichnet, dass der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Ronald Schill kippen wird, feiert “Bild”-Redakteur Matthias S.:

Richter Schill triumphiert über Hamburger Justiz

Rechtsbeugung? Generalbundesanwalt fordert Freispruch! Amtsrichter Ronald Schill steht vor seinem bisher größten Sieg. Seine Verurteilung wegen Rechtsbeugung (120 Tagessätze a 100 Mark) wird beim Bundesgerichtshof mit Pauken und Trompeten durchfallen. (…) Ein vernichtenderes Urteil hätte es für Hamburgs Justiz kaum setzen können.

Im Rahmen einer Serie “Hamburger Spitzen-Kandidaten privat” besucht Matthias S. den Kandidaten Schill zuhause:

(…) Ein häuslicher Typ war er eigentlich nie. Immer auf Achse. Früher im Gericht und in der Stadt. Nun der Wahlkampfstress. “Das ist auch finanziell ein Problem”, gibt er offen zu. “Seit Mai lebe ich von meinen Ersparnissen, habe unbezahlten Urlaub genommen. Die Miete zahlt Katrin.” In die Stadt fährt er meistens per U-Bahn, manchmal auf mit seinem 20 Jahre alten Matra-Simca. Einkaufen geht er bei Aldi.

Kochen allerdings ist nicht sein Ding. “Ich gab ihm einmal eine Kartoffel zum Schälen”, sagt Katrin Freund. “Das war ein Fiasko.” Also brutzelt sie für ihn, am liebsten Paella. Leibgetränk ist für den Ur- Hamburger (kam im UKE zur Welt) ein kühles Bier. (…)

“Gerne”, sagt er, “wäre ich Strafrichter geblieben. Politik hielt ich immer für ein schmutziges Geschäft.”

Warum gründete er dann eine Partei?

“Weil die Zustände in der Stadt so schlimm wurden.”

Ist er ein Selbstdarsteller?

“Ganz und gar nicht. Ich könnte mir vorstellen, mich wieder aus der Politik zurückzuziehen, sobald die Stadt wieder sicher ist.”

Als Schill dann auf Anhieb sensationelle knapp 20 Prozent der Stimmen bekommt, erklärt Matthias S. den Erfolg in “Bild” so:

Die Würde seines Amtes und seine klare Sprache über die Zustände der Stadt haben in der Stadt den Nerv getroffen.

(…) Braun gebrannt, schlank, Frauentyp – und Kämpfer. Er geht zur CDU, bietet Zusammenarbeit an, redet mit der STATT-Partei. Sie alle winken ab. Schill hat glasklare Vorstellungen und will sie durchsetzen. (…)

Und Schill legt sich mit seinen Gegnern an. Er zieht vor den BGH, als man ihn in Hamburg wegen Rechtsbeugung verurteilt, und erreicht die Aufhebung des Urteils. Er wettert gebetsmühlenartig gegen Rot-Grün, die Kriminalität, gegen die der Senat nichts tut. Und wird auf grausame Weise durch die Terroranschläge [vom 11. September] bestätigt. Plötzlich wird Hamburg zur Drehscheibe des Weltterrorismus.

Gestern um 14 Uhr im Wahllokal umringen ihn 30 Fotografen. Auch die, die ihn anfangs als Spinner verlachten.

Schon am nächsten Tag meldet “Bild” voreilig: “Bürgerblock steht” — damit ist die von “Bild” Hamburg angestrebte Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei gemeint. Die Zeitung kann es nicht erwarten, dass der Rechtspopulist endlich an die Macht kommt. Drei Tage nach der Wahl fragt Matthias S. in “Bild”:

Warum verzögert die FDP den Senatswechsel?

Während ganz Hamburg auf den Wachwechsel im Rathaus wartet, wollen sich die Liberalen mit der Regierungsbildung richtig Zeit lassen — Schnecken-Tempo bei FDP-Chef Rudolf Lang(e)sam! (…)

Die “innere Wahrheit”, so vermuten informierte Rathaus-Kreise, geht so: Die Polit-Neulinge aus der FDP haben Angst, von den CDU-Profis und Schill überfahren zu werden.

Am folgenden Tag legt “Bild” nach. Weil der FDP-Chef erklärt, Schill sei als Senator “nicht tragbar”, falls er rechtskräftig wegen Rechtsbeugung verurteilt werde, staunen Matthias S. und Christian Kersting:

Nanu! FDP rückt von Schill ab (…)

Erst verzögert FDP-Chef Lange die Koalitionsverhandlungen (BILD von gestern). Jetzt rückt er auch noch von seinem neuen Partner Schill ab und stellt Forderungen. Was spielt Lange da für ein Spiel?

Es kommt schließlich zur Koalition, Schill wird Minister, und “Bild” feiert schon zwei Monate später den “ersten großen Erfolg für Innensenator Ronald Schill”: “20 Polizisten als Soforthilfe!”, leihweise aus Bayern.

Als Anfang 2002 die Drogen-Gerüchte um Schill nicht verstummen wollen, ist die Interpretation von “Bild” unmissverständlich — fast möchte man sagen: vorbildlich, angesichts der sonst üblichen Vorverurteilungen durch “Bild”. “Bild”-Redakteur Matthias S. und eine Kollegin schreiben:

Was läuft da für ein schmutziges Spiel um Ronald Schill? Der ehemalige Justizsenator und jetzige Bundesverfassungsrichter Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem hat den Innensenator in einem offenen Brief dazu aufgefordert, sich öffentlich zu Kokain-Vorwürfen zu äußern. Schill erklärte daraufhin ganz klar: “Ich habe niemals Kokain genommen.”

Der schmutzige Spieler scheint für “Bild” der Bundesverfassungsrichter zu sein.

Es folgt die inzwischen berüchtigte Episode mit Schills Drogentest, dessen Ergebnis “Bild” zu einem Beweis dafür verfälscht, dass der Richter “nie” Drogen genommen habe (BILDblog berichtete). Konsequenterweise beginnt die Zeitung nun eine Kampagne gegen Schills Kritiker. Autor fast all dieser Artikel: Matthias S.

Ende 2002 nimmt die Geschichte eine interessante Wendung. Die “Hamburger Morgenpost” berichtet, dass die Ehefrau von Matthias S. unerwartet eine Stelle in der Hamburger Justizbehörde bekommen habe — obwohl sie nicht über die nötigen Erfahrungen verfüge. CDU-Justizminister Roger Kusch habe sogar ihre Ernennung zur Richterin vorgeschlagen, was der Richterwahlausschuss ablehnte: Sie werde den Anforderungen offenkundig nicht gerecht. Die “taz” titelt: “Gefälligkeitsdeal für wohlgesonnenen ‘Bild’-Reporter”. Die SPD behauptet, beweisen zu können, dass Frau S. die Stelle nach einer Absprache zwischen ihrem Mann und dem Justizsenator bekommen hat. Der “Bild”-Redakteur habe sich in einer Mail an den Justizsenator darüber beschwert, dass sich das Bewerbungsverfahren so lange hinziehe, obwohl längst abgemacht sei, dass seine Frau die Stelle bekommen sollte.

“BILD berichtet nicht über üble Gerüchte”

“taz”-Interview mit dem “Bild”-Lokalchef Peter Huth, 11. Januar 2003:

(…) Warum hat die BILD [über die Vorwürfe gegen S. und den CDU-Senator] bis heute nicht berichtet?
BILD berichtet über Fakten und nicht über üble Gerüchte und böswillige Unterstellungen. Für uns gilt als erwiesen, dass die Unterstellungen gegen unseren Reporter haltlos sind.

Beim Thema Filz in Hamburg hat BILD an anderer Stelle sehr ausführlich und wiederholt berichtet. Jetzt halten Sie sich auffallend zurück. Worin liegt der Unterschied zu dem aktuellen Fall?
Noch einmal: Man kann nur über Filz berichten, wo es Filz gibt. Im vorliegenden Fall kann davon keine Rede sein.

Die Nähe des Reporters [Matthias S.] zu Mitgliedern dieses Senats ist unter den Rathausjournalisten seit längerem ein Thema. Er soll ja auch mal als Pressesprecher der Schill-Partei im Gespräch gewesen sein. Wie beurteilen Sie diese journalistische Nähe?
BILD-Reporter verfügen im allgemeinen über ausgezeichnete Kontakte zu Politikern aller Couleur. Dass dieses Vertrauensverhältnis von vielen Kollegen neidisch begutachtet wird, ist uns nicht neu.

Wie würden Sie das Verhältnis der BILD-Zeitung zu diesem Senat beschreiben?
Das Verhältnis von BILD zum Senat ergibt sich — wie bei jeder guten Zeitung — aus der Verpflichtung gegenüber dem Leser. BILD berichtet sorgfältig, unabhängig und wahrheitsgemäß über die Geschehnisse im Rathaus — egal, wer und welche Partei dort regiert.

Hat sich BILD aus rein journalistischer Sicht über den Regierungswechsel in Hamburg gefreut?
Der Regierungswechsel ist das Ergebnis einer freien Wahl der Hamburger Bürger. Es wäre mehr als zynisch, diesen aufgrund von journalistischen Kriterien zu bewerten.

Die “Bild”-Zeitung berichtet zunächst gar nicht über die Vorwürfe gegen ihren Redakteur (siehe Kasten). Als sie es endlich doch tut, lautet die Überschrift: “Kusch räumt mit Filzvorwürfen auf”.

Der Fall S. wird einer der Anlässe, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss “Schwarzer Filz” einzuberufen. Und seine engen Beziehungen zum Senat und der Schill-Partei zeigen sich laut “taz” auch an anderer Stelle: Er zitiert in “Bild” aus internen Ermittlungsakten gegen einen SPD-Sprecher, bevor dessen Anwalt sie überhaupt zu sehen bekommt. Der Staatsrat und Schill-Freund Walter Wellinghausen, der für die Ermittlungen zuständig ist und später wegen mehrere Affären zurücktreten muss, räumt schließlich ein, mit Matthias S. über das Thema gesprochen zu haben — die Opposition spricht von “Geheimnisverrat”.

Zum Verhängnis wird Matthias S. schließlich ein Wochenendtrip mit Peter Rehaag, dem Umweltsenator der Schill-Partei. Gemeinsam mit ihren Begleiterinnen fliegen sie im September 2003 nach Italien. “Als Spezialist in Sachen Schill hatte [Matthias S.] in der ‘Bild’ zuvor regelmäßig wohlwollend über Rehaag berichtet”, schreibt der “Spiegel”, “etwa über dessen heroischen Kampf zur Trockenlegung versumpfter Alsterwiesen oder über Rehaags Drogenpolitik.” Gut zwei Wochen, nachdem die “taz” den gemeinsamen Ausflug öffentlich gemacht hatte, stellt Springer Matthias S. “mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres von seiner Arbeit frei”. Er habe seine Vorgesetzten nicht über die Reise informiert — was den “journalistischen Leitlinien” des Verlages widerspreche.

Matthias S. bleibt nicht lange arbeitslos. Schon im Frühjahr 2004 taucht sein Name wieder in den Zeitungen auf: als Sprecher von Firmen von Ulrich Marseille. Marseille, der den gleichnamigen Klinikkonzern gründete, war 2002 Spitzenkandidat der Schill-Partei in Sachsen-Anhalt. 2003 flog Ronald Schill in seinem Privatflugzeug nach München, um seine Haarprobe für den Drogentest abzugeben.

Ein Schlag ins Gesicht

Wenn ein Medium “exklusiv” über ein Thema berichtet, kann das im Wesentlichen zwei Gründe haben: entweder die Redakteure nutzen einen Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz, oder sie erzählen eine Geschichte, die sich so nie ereignet hat.

Am 5. Dezember 2007 berichtete “Bild” exklusiv und bundesweit, der Eintracht-Frankfurt-Stürmer Ioannis Amanatidis habe eine Frau geohrfeigt, die ihm mit ihrem Auto den Weg versperrt habe — stilecht begleitet von einem Foto der Frau, die sich die “schmerzende Wange” hält. Am nächsten Tag legte “Bild” Frankfurt ausgiebig nach, sprach noch mal mit dem angeblichen Opfer (wieder inklusive Wangen-Foto), ließ einen “1. Zeugen” “sprechen”, der allerdings nichts von einer Ohrfeige berichtete, wies auf Amanatidis’ Position als Botschafter des hessischen Landespräventionsrates hin, ließ aber immerhin auch den Beschuldigten selbst zu Wort kommen:

Amanatidis erhebt schwere Vorwürfe gegen die Frau: “Es haben sich wieder einmal Leute bei mir gemeldet, die mit dieser Frau ähnliche Vorfälle erlebt haben. So etwas hat sie wohl nicht zum ersten Mal abgezogen.” Er fürchtet offenbar, dass er mit Schmerzensgeld abgezockt werden soll.

Amanatidis’ Version

“Kurz bevor später die Polizei kam, trat die Frau nochmals auf mich zu und sagte dann, nachdem sie mich wohl erkannt hatte, dass sie der Polizei sagen werde, dass ich sie eine Hure genannt hätte. Dann schlug sie sich selbst mit der eigenen Hand ins Gesicht und sagte mir, sie werde der Polizei angeben, dass ich sie geschlagen hätte. Ich hatte so etwas bislang nur in einem Film gesehen und war fassungslos.”
“Frankfurter Neue Presse”, 7.12.2007

Als die “Frankfurter Rundschau” (FR) ebenfalls am 6. Dezember über die Anschuldigungen gegen den Fußballer berichtete, tat sie dies unter Berufung auf “Bild” auch mit folgendem Satz:

“Als ich meinen Vater schützen wollte, hat er mir mit der vollen Handfläche auf die linke Gesichtshälfte geschlagen”, berichtete die Frau, die dafür persönlich am Dienstagabend die Frankfurt-Redaktion des Boulevardblattes aufsuchte (und ein Leserhonorar einstrich).

Und in einem Interview zitierte die “FR” den griechischen Nationalspieler so:

Ich bin sauer auf dieses Schmuddelblatt (gemeint ist die Bild-Zeitung, Anm. d. Red.), das diesen Scheißdreck in die Welt setzt.

Gestern nun hat die Frankfurter Amtsanwaltschaft das Verfahren gegen Amanatidis eingestellt und ein neues “wegen des Verdachts der falschen Anschuldigung sowie Beleidigung” gegen das angebliche Opfer und ihre Begleiter eingeleitet.

Und die “FR” fügt hinzu:

Der Fall war seinerzeit von der Bild-Zeitung enorm hochgespielt worden. Gerüchte, dass die Frau für ihre Behauptungen möglicherweise bezahlt wurde, wollte die Amtsanwaltschaft nicht kommentieren.

Die “Bild”-Zeitung selbst berichtet heute online und offenbar in ihrer Frankfurter Ausgabe über die Einstellung des Verfahrens — nicht aber, wie bei der Verbreitung der unbewiesenen Vorwürfe, bundesweit. Und bei der Formulierung für die Gründe gibt es interessante Unterschiede:

“Frankfurter Rundschau” “Bild” Frankfurt
Der 26-jährige Amanatidis hatte den Streit eingeräumt, die Ohrfeige aber bestritten. Diese Aussage wurde auch von sämtlichen befragten Zeugen vor Gericht bestätigt. Daraufhin hatte die Frau Anzeige wegen Körperverletzung und Nötigung erstattet. Doch für den Schlag fanden sich keine Zeugen. Ihre Familienangehörigen, die mit im Auto saßen, waren nicht als Zeugen zugelassen.

Auf die Frage, ob es “klug” sei, sich mit “Bild” anzulegen, sagte Amanatidis im Dezember übrigens zur “FR”:

Das ist mir doch egal. Ich habe keine Angst vor diesen Leuten. Was will man erwarten von einem Blatt, das im Großen und Ganzen nur Dreck schreibt und so einer Person so viel Aufmerksamkeit schenkt.

Mit Dank an Johannes B., Tobias R., Florian Z., Arndt P., Henning K. und Markus für die Hinweise damals und jetzt.

Germany’s Next Toplessmodel (4)

“Für die ‘Bild’-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr
im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr
im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss
jeder für sich selbst treffen.”
(Springer-Chef Mathias Döpfner im “Spiegel” 25/2006)

Sparen wir uns heute mal die Vorgeschichte und zitieren, was (und wie) man bei “Bild” inzwischen über die “Gemany’s Next Topmodel”-Kandidatin Aline berichtet:

"Egal, ob sie wegen ihrer harmlosen Nackedei-Fotos aus Heidi Klums Pro-7-Show fliegen wird oder nicht (BILD berichtete): Aline [ist] auf dem besten Weg, ein neues deutsches Top-Model zu werden!"

Erstaunlich, wie da ein Titelschlagzeilen- und Titelseiten-tauglicher “Nackt-Skandal” (“Bild”) und die “eindeutigen Sex-Posen” (“Bild”) plötzlich zu “harmlosen Nackedei-Fotos” werden, nicht wahr? (Erstaunlich auch, dass sich das offensichtliche Zurückrudern mit den Worten “BILD berichtete” zusammenfassen lässt.) Aber erfahrungsgemäß richtet sich die Art der Berichterstattung in “Bild” gern danach, wie willfährig sich das Opfer Objekt der Berichterstattung zeigt.

Und wenn es stimmt, was wir erfahren haben und sich Aline nach der fehlerhaften, irreführenden und überflüssigen Berichterstattung über ihre “harmlosen Nackedei-Fotos” tatsächlich mit ihrem Anwalt entschieden hat, nicht gegen “Bild” vorzugehen, sondern mit “Bild” zu kooperieren, ist das bestimmt total klug von ihr. Denn, so Aline (20): “Als Model ist es doch mit 25 Jahren vorbei.”

Und Top-Model “Nackt-Model” Micaela Schäfer z.B., mit der “Bild” jahrelang Aufzug fuhr, wird schließlich auch nicht jünger.

6 vor 9

237 Gründe, Sex zu haben
(zeit.de, Karsten Polke-Majewski)
Im Internetjournalismus geht es vor allem um Klicks. Je mehr Sex, Quiz oder Bilder, desto höher die Quote. Was aber zählt Qualität?

Rendite auf Kosten der journalistischen Qualität
(tagesschau.de, Rainer Sütfeld)
Die Börse hat erfreut auf die Ankündigung von Stellenstreichungen bei der “New York Times” reagiert: Der Kurs ging nach oben. Kritiker sehen die journalistische Qualität der Zeitung in Gefahr, wenn die Interessen der Anleger im Vordergrund stehen.

“Wir werden alle töten”
(faz.net, Christoph Gunkel)
Der Haussender der Hamas zeigt in der Kindersendung “Pioniere von morgen” Plüschtiere, die den Märtyrertod sterben. Über die Folgen der Hasspropaganda muss man sich keine Illusionen machen.

Ein Ex-Paparazzo prangert seine Zunft an
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Ein Auto rammen, um ein Foto von Lindsay Lohan zu ergattern? Paparazzi waren noch nie zimperlich. Doch die Methoden, mit denen sie ihre Opfer heute zur Strecke bringen, sind neu.

“Im Hause Ringier gibt es keine Strategien”
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Karl Lüönd, einer der erfahrensten Schweizer Journalisten, hat in diesen Tagen die viel beachtete Unternehmensdokumentation ?Ringier bei den Leuten? veröffentlicht. Im Gespräch mit “persönlich rot” spricht er über die Erkenntnisse, die er durch seine Recherchen gewonnen hat. Zudem trauert der Vollblutjournalist dem Verschwinden des klassischen Reporters nach.

Der beste Freund: Das Tagebuch
(drs.ch, Audio, Dialekt, 72:27 Minuten)
Was macht das persönliche Logbuch so faszinierend? Welche Wirkung hat es, Erlebtes auf Papier zu bringen und wie öffentlich sollen oder dürfen Tagebucheinträge sein? Was wenn die persönlichen Zeilen in falsche Hände geraten? Simone Hulliger diskutiert Geschichte, Wirkung und Zukunft von Tagebüchern mit Forschern, Prominenten und Menschen wie du und ich.

Unverbesserlich III

Nein, es vergeht in der Tat kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht irgendjemandes Persönlichkeitsrechte verletzt. (Der Verlag, in dem “Bild” erscheint, hat sich zwar u.a. verpflichtet, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten und in der Regel keine Informationen in Wort und Bild zu veröffentlichen, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Darum, ob diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt wird, kümmert sich verlagsintern aber offenbar niemand.) Nahezu täglich zeigt “Bild” beispielsweise Fotos, die unzulässigerweise eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen. Und immer wieder mag sich (insbesondere für Boulevardjournalisten) natürlich die Frage stellen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht doch überwiegt.

Aber es gibt Fälle, da ist diese Frage schon beantwortet.

So hatte der Presserat die “Bild”-Zeitung beispielsweise 2004 öffentlich gerügt, weil sie das Foto einer jungen Frau zeigte, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte “Bild” abermals das Foto einer Frau, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Der Presserat missbilligte das: “Bild” hätte “auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen” (wir berichteten).

Und heute?

Heute zeigt “Bild” wieder das Foto einer Frau, die verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kindes getötet zu haben. Die Veröffentlichung unterscheidet sich nur insofern von den anderen beiden, vom Presserat beanstandeten, als “Bild” dort die Betroffenen ebenso halbherzig wie unzureichend anonymisiert hatte — wohingegen “Bild” sich heute sogar diese Mühe spart (siehe Ausriss, Unkenntlichmachung von uns).

Der zugehörige “Bild”-Artikel beginnt mit dem Wort:

"Warum?"

Im vergangenen Jahr hatte “Bild” die identifizierende Berichterstattung im Nachhinein u.a. damit zu rechtfertigen versucht, dass der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen sei…

neu  

“Bild”-Bearbeitungsprogramm

Wenn einem 31-jährigen DJ von einem 37-jährigen Türsteher ein “Matschauge” beigebracht wurde, ist das für Bild.de Anlass genug, den Artikel (wie man einer versehentlich veröffentlichten internen Anweisung entnehmen kann) mit einem Mehr-zum-Thema-Kasten “mit den aktuellsten themen zu jugendgewalt” anzureichern.

Aber nicht nur das: “Bild” und Bild.de zeigen neben einem Foto des Opfers und einem Foto des Vaters des Opfers auch etwas, in dem das ungeschulte Auge eine Kuh und den Treptower Park zu erkennen glauben könnte, das aber laut “Bild” die “Tanzfläche der Disco ‘Colosseum’ am Tat-Abend” zeigen soll:


Und ehrlich gesagt: Bei dem impressionistisch anmutenden Farbgewusel, das in “Bild” sogar eine, ähm, eigene Quellenangabe bekommen hat (siehe Ausriss rechts), handelt es sich tatsächlich um die Tanzfläche der Disco “Colosseum” am Tat-Abend — übrigens dem 26. Dezember vergangenen Jahres. Das glauben Sie nicht? Na, dann…

… klicken Sie doch mal hier.

“Bild” hat das Foto offensichtlich solange bearbeitet, bis sowohl die auf dem Original-Foto deutlich erkennbare Quelle als auch der ebenfalls deutliche erkennbare Copyright-Hinweis unkenntlich waren. Und “Bild” hat sich den Abdruck, wie uns der Fotograf und die Betreiber der Disco bestätigen, nicht genehmigen lassen.

Und nicht nur das: Die Disco-Betreiber schildern den Vorfall deutlich anders als “Bild”.

Vorgeschichte laut “Bild”
 
“(…) Dann wollte sich Benjamin im VIP-Bereich ausruhen. Eine Frau hatte was dagegen, warf ihn raus. Das ließ Biermann nicht auf sich sitzen. Er beschwerte sich beim Veranstalter, ging mit dessen Erlaubnis zurück in den VIP-Bereich. Doch die Frau ließ nicht locker, holte die Türsteher. (…)”

Sie bestreiten nicht, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem DJ (bei dem es sich übrigens um den Sohn von Wolf Biermann handelt) und einem der Türsteher gekommen sei und Biermann jr. anschließend die Polizei gerufen habe. Die Vorgeschichte dazu, die sich übrigens nicht im “VIP-Bereich”, sondern auf der Personaltoilette zugetragen haben soll, erzählen die Disco-Betreiber jedoch nicht nur weniger harmlos, sondern auch irgendwie plausibler als “Bild” (siehe Kasten) — und weniger rühmlich für das “Opfer”…

Die Schilderung der Gegenseite hat “Bild” jedoch offenbar nicht interessiert. In den zwei Wochen nach dem Vorfall hat “Bild” die Betreiber nicht einmal gefragt.

Nachtrag, 12.1.2008: Na, sowas! Über zwei Wochen nach dem Vorfall und zwei Tage nach dem ersten Bericht (“Schock — Wolf Biermanns Sohn in Disko verprügelt!”) berichtet “Bild” heute wieder. Überschrift diesmal: “Wolf Biermanns Sohn — Mit Frau auf Disco-Klo erwischt!” Der Artikel (der anders als der womöglich falsche Teil 1 nicht online ist) schildert zum überwiegenden Teil den fraglichen Abend aus Sicht der Disco-Betreiber, denn: “Am Donnerstag berichtete BILD über einen Vorfall in einer Disco in Neubrandenburg (…). Jetzt meldet sich Disco-Chef Norbert Lüder (56) zu Wort (…).” Warum “Bild” die Biermann-Version zunächst als Tatsache schilderte (siehe oben) und sich der Disco-Chef erst selbst zu Wort melden muss, damit auch seine Version berücksichtigt wird, lässt “Bild” offen.

Gerührt oder geschüttelt

Gestern illustrierte die “Bild am Sonntag” einen Bericht über den tragischen Skiunfall zweier Freundinnen (bei dem die eine schwer und die andere tödlich verletzt worden war) u.a. mit Fotos der beiden Unfallopfer — ohne Unkenntlichmachung und möglicherweise auch ohne Erlaubnis. Das Foto der Toten jedenfalls (und weitere persönliche Angaben zur Person) hatte die “BamS” aus dem Internetangebot von SchülerVZ übernommen. (Wir berichteten.)

Nun hat sich, entsetzt über das Vorgehen der Zeitung, eine Bekannte der Unfallopfer bei uns gemeldet, weil ihr einer der “BamS”-Autoren gestern über ihren SchülerVZ-Account eine Nachricht zukommen ließ, die wir (mit ihrem Einverständnis) hier dokumentieren. Denn so bekommt man eine genauere Vorstellung davon, wie es klingt, wenn “Bild” Witwen schüttelt versucht, an persönliche Informationen zu kommen.

Liebe             , entschuldige bitte, dass ich Dich hier so von der Seite anschreibe. Mein Name ist Sven Kuschel. Ich bin Journalist und bearbeite gerade diesen furchtbar tragischen Ski-Unfall in Österreich. Wir werden für morgen in der BILD noch einmal auf einige Details eingehen (Pistengefahren und was man in Zukunft besser machen kann, um ähnliches zu verhindern: Helme, etc.). Es tut mir sehr leid, dass Eure Freundin so schwer verunglückt ist. Für uns wäre es wichtig, noch einmal einige Details von der Piste zu bekommen. Hast Du denn einen Draht zur            [zweites Unfallopfer]? Gestern haben die Behörden gesagt, sie sei mittlerweile ausgeflogen und es gehe ihr den Umständen entsprechend. Vielleicht kann sie bei all der Tragik zumindest noch dabei helfen, ein Problem mit der Piste oder ähnlichem aufzuklären. Wie gesagt, bitte entschuldige den “Überfall” hier. Ich bin entweder hier erreichbar oder telefonisch in der Redaktion Köln unter 0221            .

Ich wünsch Dir einen nicht ganz so schweren Tag
Sven

PS: Soweit wir wissen, ist Kuschels Service-Artikel über “Pistengefahren und was man in Zukunft besser machen kann” bislang noch nicht in “Bild” erschienen. Der “Bild am Sonntag”-Artikel allerdings wurde am heutigen Nachmittag komplett aus dem Angebot von Bild.de entfernt.

Witwenschütteln 2.0

Was Journalisten mit “Witwenschütteln” meinen, kann vielleicht am besten jemand erklären, der fachkundig ist. Der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Udo Röbel zum Beispiel. Dem “Tagesspiegel” sagte er 2002:

Hatte man etwa bei einem Unglück die Adresse von Hinterbliebenen herausgefunden, ist man sofort hingefahren, klar. Beim Abschied aber hat man die Klingelschilder an der Tür heimlich ausgetauscht, um die Konkurrenz zu verwirren. Ich war damals oft mit dem selben Fotografen unterwegs, wir hatten eine perfekte Rollenaufteilung. Er hatte eine Stimme wie ein Pastor und begrüßte die Leute mit einem doppelten Händedruck, herzliches Beileid, Herr… Ich musste dann nur noch zuhören. So kamen wir an die besten Fotos aus den Familienalben.

Die “Bild”-Zeitung ist ohne Frage ganz besonders erfolgreich darin, Fotos von Opfern zu besorgen, mit denen sie ihre Artikel bebildern zu müssen glaubt, und es spricht einiges dafür, dass ihre Mitarbeiter ganz besonders wenig Hemmungen bei diesem Teil ihrer Arbeit haben. Dazu gehört zum Beispiel auch, bei einer Frau zu klingeln, deren Mann gerade mit seinem Auto tödlich verunglückt ist, und sie mit dem Hinweis um die Herausgabe eines Fotos zur Veröffentlichung zu bitten, dass sie doch sicher ein schöneres Bild von ihrem Mann habe als das, was man gerade am Unfallort gemacht habe.

Das sogenannte Web 2.0 hat die Arbeit der Fotobeschaffer von “Bild” zweifellos einfacher gemacht. Vor allem in Netzwerken wie StudiVZ lassen sich schon mit Angaben wie Name und Studienort private Fotos von Opfern von Unfällen oder Verbrechen finden — und unter Missachtung von Urheber- und Persönlichkeitsrecht verwenden. Und jeden Tag kann man in der Zeitung sehen, dass “Bild” nicht einmal ein besonderes öffentliches Interesse voraussetzt, um sich das Recht zu nehmen, die Opfer ohne jegliche Unkenntlichmachung abzubilden.

Ein typischer Fall war der Unfall zweier junger Studentinnen im April 2007, deren Wagen auf der Autobahn in die Leitplanke fuhr und die durch ein nachfolgendes Fahrzeug getötet wurden: “Bild” zeigte die Gesichter beider Toten — mindestens eines der Fotos stammte aus ihren StudiVZ-Profilen. Ob die schockierten Eltern damals eine Genehmigung dafür gaben, wissen wir nicht.

Heute nun berichtet “Bild am Sonntag” über den tragischen Tod eines Mädchens, das nach einem Zusammenstoß auf der Skipiste starb. Sie hatte sowohl bei StudiVZ als auch bei SchülerVZ ein Profil. “Bild am Sonntag” hat nicht nur die Angaben dort zur Recherche genutzt, beschreibt das Mädchen aufgrund ihrer verlinkten Kontakte als “sehr beliebt”, nennt ihr Lieblings- und ihr Hassfach. Die Zeitung hat sich auch eines der auf SchuelerVZ befindlichen Fotos bedient — deutlich zu erkennen an der typischen Markierung im Bild (siehe Ausriss rechts).

Gut, wir können natürlich nicht völlig ausschließen, dass ein “Bild”-Reporter bei den Angehörigen des Mädchens mit der Stimme eines Pastors und doppeltem Händedruck vorbeischaute, um ein Foto aus dem Familienalbum bat und die Antwort bekam: “Nee, das ist uns nicht recht. Aber melden Sie sich doch einfach mal als Schüler bei SchülerVZ an, da hatte unsere Tochter ein Profil mit vielen privaten Fotos von sich und ihren Freunden. Können Sie sich gerne bedienen.”

Mit Dank an Bastian P., Jan K., Dirk S., Christoph, Micha Z., Daniele, Jan, Johannes K., Alexander B., Daniel F. und Philipp W.!

“Bild” belohnt Gaffer mit 500 Euro

Vor einer Woche sind eine Frau und ihre 18-jährige Tochter bei einem Verkehrsunfall mit ihrem Auto in den Main gestürzt. Beide konnten sich glücklicherweise rechtzeitig aus dem Wagen befreien und ans Ufer retten. Ein “Bild”-Leser fotografierte die Szene und schickte das Foto an “Bild”. Die zahlt dafür 500 Euro und druckte es am Donnerstag bundesweit ab:

"Auto versenkt! Hier retten sich Mutter und Tochter"

Am Freitag berichtete die “Main-Post” über den Unfall:

"Unter den Bildern, die der Mutter im Nachhinein kommen, ist eines besonders haften geblieben. Sie kann sich an viele Menschen erinnern, die herum gestanden, geguckt und fotografiert haben, während sie und ihre Tochter um ihr Leben kämpften. Einer hat sein Foto gar an eine Boulevard-Zeitung verkauft. (...) Aber nur ein einziger Mann hat beherzt zugegriffen,..."

Mit Dank an Heiko S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 24.01.2008: Wie die “Main Post” berichtet, hatten die Unfallopfer “gegen die Laienfotografen Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung” und offenbar gegen die “Bild”-Zeitung wegen Aufforderung zu einer Straftat gestellt. Die Staatsanwaltschaft habe jedoch die Auffassung vertreten, “dass keine Aufforderung zu einer Straftat vorliege, weil es nur um die Zusendung von Bildmaterial und die urheberrechtliche Nutzung gehe.” Auch die Ermittlungen wegen Unterlassener Hilfeleistung wurden eingestellt. Offenbar, weil die Unfallopfer zum Zeitpunkt des Fotos “bereits gerettet” gewesen seien.

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