Suchergebnisse für ‘foto opfer’

Türkische Journalisten, kontrollierte Bilder, erfolgreicher “New Yorker”

1. Ein Maulkorb für die Pressefreiheit
(taz.de, Beyza Kural)
Tunca Ögreten, Ömer Celik, Metin Yoksu, Mahir Kanaat, Eray Sargin und Derya Okatan — diese sechs türkischen Journalisten stehen ab heute vor Gericht. Sie hatten mithilfe von gehackten E-Mails über merkwürdige Geschäfte von Berat Albayrak, Energieminister der Türkei und Sohn von Recep Tayyip Erdogan, berichtet. In der “taz” geht es um die Vorwürfe gegen die Journalisten und die Verbindung des Prozesses zu Deniz Yücel. Die “Reporter ohne Grenzen” fordern die türkische Justiz auf, “die Anschuldigungen gegen sechs Journalisten fallenzulassen”.

2. Wie die ‘Bild’-Zeitung eine Massenschlägerei unter Linken erfand
(vice.com)
“Linke verprügeln aus Versehen Linke”, denn “sie dachten, es wären Rechte”, steht bei Bild.de in Überschrift beziehungsweise Dachzeile. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, wie das Team von “Vice” recherchiert hat: “Linke, die ‘aus Versehen’ Linke verprügeln, wie Bild schreibt — das hat es so nicht gegeben. Es ist nicht klar, wer die Angreifer waren, die Polizei konnte bislang nur mit den Opfern sprechen. Die wiederum lehnen es ab, als ‘links’ bezeichnet zu werden.”

3. Die Kontrolle über die Bilder
(derstandard.at)
Sebastian Kurz könnte Österreichs nächster Bundeskanzler werden. Der ÖVP-Obmann führt derzeit “Annäherungsgespräche” mit den Chefs anderer Parteien. Zu diesen Gesprächen war bisher nur ein einziger Fotograf zugelassen, und den hat die ÖVP engagiert. “Der Standard” spricht von einer “zensurähnlichen Maßnahme” und will das Spiel nicht mitspielen: “In Zukunft wird DER STANDARD davon absehen, solche Fotos, die von Parteizentralen vorsortiert und ausgegeben werden, zu verwenden. Und wenn doch, weil sie eben Zeitdokumente sind, dann nur mit einer entsprechenden Erklärung dazu.”

4. Der New Yorker
(zeit.de, Christoph Amend)
Seit 1998 ist David Remnick Chefredakteur des “New Yorker”. Unter ihm bekam das Magazin neuen Schwung, hat heute eine Rekordauflage von 1,2 Millionen wöchentlich verkauften Exemplaren und steht besser da als “Time”, “Newsweek” oder “Vanity Fair”. Christoph Amend hat Remnick in New York besucht und nach der Zauberformel fürs Magazinmachen gefragt.

5. Attila Hildmann, Susanne Kippenberger und die Imbiss-Höhle
(facebook.com, Peter Breuer)
Veganer Koch eröffnet Imbissbude. Kritikerin verreißt Imbissbude. Veganer Koch dreht bei Facebook wegen Kritik durch. Alle reden über Imbissbude. Peter Breuer ärgert sich zurecht über eine Posse, in der alle alles falsch (und einige auch einiges richtig) gemacht haben. Am Ende seines kurzen Textes hat Breuer noch einen Wunsch für das “verschissene Internet”.

6. Gemeinsame PR-Aktion von Medienmagazin journalist und Bayer
(der-freigeber.de, Jens Brehl)
Der “journalist”, das Mitgliedermagazin des “Deutschen Journalisten-Verbands” (“DJV”), hat gemeinsam mit der Bayer AG einen Workshop veranstaltet. Diese PR-Aktion unter dem Titel “Landwirtschaft von morgen” stelle “eine extreme Nähe eines Mediums zur Wirtschaft” dar und sei “Wind auf die Mühlen der Diskussionen über gekaufte Journalisten”, schreibt Jens Brehl. Er hat beim “DJV” nachgefragt, was das alles sollte.

G20-Löschung, Unheimlich umverteilt, Brauner Balken

1. G20-Akkreditierungen: Illegale Datenlöschung bestätigt
(blog.ard-hauptstadtstudio.de, Arnd Henze)
Im Blog des ARD-Hauptstadtstudios geht es um die Affäre um die G20-Akkreditierungen. Die Aufarbeitung zieht sich in die Länge und die zuständigen Behörden geben sich wenig auskunftsfreudig. TV-Korrespondent Arnd Henze berichtet, dass die Daten der beiden Journalisten Florian Boillot und Po-Ming Cheung tatsächlich gelöscht wurden. Ein Sprecher des LKA widerspricht der Darstellung des ARD-Hauptstadtstudios: Sowohl die Speicherung als auch die Löschung sei in beiden Fällen rechtmäßig erfolgt. Wie das allerdings mit dem im Beitrag zitierten Löschvorbehalt in Einklang zu bringen sei, hätte der Sprecher nicht erklären können.

2. Ein Algorithmus für mehr Kreativität
(journalist-magazin.de, Catalina Schröder)
Ein neues Tool soll Redakteuren dabei helfen, neue Erzählansätze zu bekannten Themen zu finden. Die Idee dazu stammt von der Uni London, wurde von der „Google Digital News Initiative“ gefördert und wird inzwischen von der EU-Initiative „Horizon 2020“ für eineinhalb Jahre mit einer Million Euro finanziert. 14 Journalisten, Software-Entwickler und Wissenschaftler aus sechs Ländern arbeiten an dem Projekt. Das Magazin “Journalist” hat sich mit dem Hamburger Journalisten Claus Hesseling über den Stand des Projekts und den weiteren Fortgang unterhalten.

3. Die unheimliche Umverteilung
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker & Wolfgang Wichmann)
Der „Faktenfinder“ beschäftigt sich mit einem skandalisierenden Bericht zur angeblich geheimen Umverteilung von Flüchtlingen in der EU, der sich in den letzten Tagen im Netz verbreitet hat. Hintergrund ist ein Umverteilungsprogramm der Europäischen Union, das jedoch nicht geheim, sondern für jedermann online einsehbar ist.

4. “Nicht originell und in sich inkonsistent”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf & Michael Borgers, Audio, 7:09 Minuten)
Im “Deutschlandfunk” geht es nochmal um die Debatte zur “Spiegel”-Kritik an ARD und ZDF. Leonhard Dobusch, im ZDF-Fernsehrat für den Bereich “Internet” zuständig, äußert sich zum Vorwurf, bei den Öffentlich-Rechtlichen handele es sich um „Staatsfunk“, den er bei aller möglichen Kritik für verfehlt hält. Der „Deutsche Journalisten-Verband“ moniert, der “Spiegel” spare in seiner Geschichte “vieles aus, was für das Gesamtverständnis der Leser wichtig gewesen wäre”. Im Beitrag seien nur die “Nörgler” zu Wort gekommen.

5. Löschen, so gut es geht
(spiegel.de)
Nach erfolgreicher BKA-Fahndung konnte im Fall des Missbrauchs einer Vierjährigen ein Verdächtiger festgenommen werden. Dem vorausgegangen war eine Öffentlichkeitsfahndung, bei der ein Bild des Opfers veröffentlicht wurde. Nun bittet das BKA darum, das Bild zu löschen, um das Opfer zu schützen. Das Gros der Nutzer und Medien sei bemüht, das Bild des Opfers möglichst schnell wieder aus der Welt zu schaffen. Ganz gelingen werde das jedoch nicht.

6. taz.sachen: Die Macht der Farbe Braun
(blogs.taz.de)
In der Onlineredaktion der „taz“ hat man bereits vor geraumer Zeit entschieden, bei Wahldiagrammen den Balken für die AfD braun zu färben. Bis zur Bundestagswahl habe das keine großen Reaktionen hervorgerufen — aber am Abend danach traf es offenbar einen Nerv. Was auch mit der Betitelung zu tun hat …

NSA-Affäre, “Krisenschauspieler”, Babylon-Verspätung

1. Nichts gefunden: Auch der Generalbundesanwalt hat NSA-Affäre beendet
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Im Zuge der Snowden-Enthüllungen kam heraus, dass die NSA in Deutschland im großen Stil abhörte und wahrscheinlich deutsche Behörden eingeweiht oder sonst wie involviert waren. Einige Menschen erstatteten daraufhin Anzeige beim Generalbundesanwalt, unter anderem wegen des Verdachts auf geheimdienstliche und landesverräterische Agententätigkeit. Einer der Anzeigeerstatter, Markus Beckedahl von netzpolitik.org, bekam nun Post vom Generalbundesanwalt. Dieser sieht vier Jahre nach Eingang der Anzeige keinen Anfangsverdacht für eine Massenüberwachung durch britische und US-Geheimdienste in Deutschland und hat die Sache für sich als beendet erklärt.

2. Nach Las Vegas gilt in Social Media, was die ganze Zeit galt!
(wired.de, Johnny Haeusler)
Unmittelbar nach dem schrecklichen Geschehen in Las Vegas verbreiteten sich in den sozialen Medien Lügen und Spekulationen über den Schützen, der aus einem Hotelfenster im 32. Stock in die Menge schoss. Johnny Haeusler fragt sich, warum das Fake-News-Problem noch immer nicht gelöst ist und plädiert auf breite Aufklärung, Bildung und Digitalkompetenz: “Tun wir dies nicht, dann waren Teilergebnisse der Bundestagswahl 2017 erst der Anfang eines Zeitalters, in dem in immer größeren sozialen Gruppen gefühlte Richtigkeit, Populismus, Emotionen und Sensationen mehr zur Meinungsbildung beitragen als Argumente, Fakten, sachliche Erklärungen und geltendes Recht.”

3. Die angeblichen Krisenschauspieler
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Immer wieder bezeichnen Verschwörungstheoretiker besondere Vorkommnisse als politische Inszenierung. Besonders oft werden diese Legenden bei Amokläufen oder Attentaten gestrickt. Überlebende und Zeugen werden dann regelmäßig als “Krisenschauspieler” bezeichnet. Durch Fehlinterpretationen von Videomaterial wird den Opfern, Augenzeugen oder Zeugen unterstellt, Teil einer Inszenierung zu sein. Kristin Becker erklärt das perfide Vorgehen der Verschwörungstheoretiker anhand von Beispielfotos und Tweets.

4. Antipolizeitaste in iOS 11: Schutz vor neugierigen Blicken
(strafakte.de, Mirko Laudon)
Strafverteidiger Mirko Laudon weist auf eine Besonderheit beim Apple-Betriebssystem iOS 11 hin: Die sogenannte Antipolizeitaste. “Wer Sorge hat, sein iPhone könnte gleich von der Polizei beschlagnahmt werden, deaktiviert durch fünfmaliges Drücken der Einschalttaste schnell in der Hosentasche die Touch-ID. Das führt dazu, dass das iPhone nur noch durch die Eingabe des Passcodes im Sperrbildschirm zu entsperren ist. Denn die Biometriescanner können durch die Polizei leichter überlistet werden …” Die Barriere des Passcodes zu überwinden, sei dagegen deutlich schwieriger, zumal Beschuldigte nicht verpflichtet seien, der Polizei Passwörter jeglicher Art mitzuteilen.

5. Bildagentur Getty nimmt den Kampf gegen Photoshop auf
(wuv.de, Petra Schwegler)
Die US-Bildagentur Getty reagiert auf ein neues Gesetz in Frankreich, das Fotografen dazu verpflichtet, retuschierte Bilder von Models zu kennzeichnen: “Seit dem 1. Oktober 2017 übernimmt Getty Images als weltweit erste Bildagentur keine Bilder mehr von Models in die Datenbank, deren Körperform retuschiert wurde, um sie schlanker oder fülliger erscheinen zu lassen”. Petra Schwegler hat die neue Geschäftspolitik kommentiert und Beiträge über umstrittene Werbekampagnen und Photoshop-Fails der Mode- und Kosmetikindustrie verlinkt.

6. Wie die ARD ihre Zuschauer warten lässt
(haz.de, Imre Grimm)
Stolze 40 Millionen Euro flossen in „Babylon Berlin“, das teuerste deutsche TV-Epos aller Zeiten. Das Projekt wurde maßgeblich finanziert mit Gebührengeldern der ARD, zu sehen bekommen es jedoch vorerst nur die fünf Millionen “Sky”-Kunden. Die “ARD”-Zuschauer müssen sich ein Jahr gedulden. Imre Grimm kommentiert: “Das Problem ist das Signal, das die ARD aussendet. Sie scheint nicht zur Kenntnis genommen zu haben, dass zwölf Monate Wartezeit in Zeiten globalisierter Sofortbefriedigung aller Entertainmentbedürfnisse ein Anachronismus sind. Im Ersten scheint man weiterhin dem Irrglauben anzuhängen, dass eine Produktion wie früher erst Gültigkeit hat, wenn sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelaufen ist. Ganz so, als betreffe Sky, HBO, Netflix & Co. nur eine Minderheit. Ein fataler Irrtum.”

Social Polizei Media, 280 Zeichen, #IndieFresse

1. Hier spricht die @Polizei
(sueddeutsche.de, Jana Anzlinger)
Vor einem Jahr war es noch ungewöhnlich, dass die Polizei für ihre Kommunikation mit dem Bürger Social-Media-Kanäle nutzte, doch das hat sich gewaltig geändert: Heute verwalten BKA, Bundespolizei, Präsidien und Dienststellen mehr als 200 Accounts auf Twitter und Facebook. Es geht um Fahndungsaufrufe, Krisenkommunikation, Tierfotos und Witze. Jana Anzlinger hat sich angeschaut. wie die Staatsgewalt in der neuen Öffentlichkeit agiert – und wie ernst sie den Auftritt nimmt. Weiterer Lesetipp inklusive Datenvisualisierungen: Markus Reuter auf netzpolitik.org: Polizei hat mehr als 200 Accounts auf Twitter und Facebook

2. Wie Google nicht-identifizierende Berichterstattung identifizierbar macht
(weicher-tobak.de, Frederic Servatius)
Aus guten Gründen anonymisieren Medien bei bestimmten Meldungen die Namen von Menschen, meist zum Schutz der Betroffenen. Vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Opfer von Verbrechen, ja auch die Täter oder mutmaßlichen Täter sollen laut Pressekodex anonymisiert werden. Dafür reiche es meist aus, hinter den Vornamen, den ersten Buchstaben des Nachnamens zu setzen. Frederic Servatius erklärt, worin bei diesem Verfahren die Schwierigkeit liegt und warum dieses Verfahren nicht ausreicht.

3. Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch erklärt die Zeitungskrise bei der “taz” für beendet.
(turi2.de, Jens Twiehaus, Video, 5 Minuten)
Karl-Heinz Ruch ist seit mehreren Jahrzehnten krisenerprobter Geschäftsführer der “taz”. Jens Twiehaus hat mit ihm vor der Baustelle des neuen “taz”-Domizils über Auswege aus der Transformation und Diversifikation gesprochen und warum es der “taz” derzeit vergleichsweise gut geht.

4. Twitter testet Erweiterung auf 280 Zeichen
(zeit.de)
Immer wieder gibt es Gerüchte, der Kurznachrichtendienst Twitter wolle an der magischen 140-Zeichen rühren. Nun ist es anscheinend soweit: Man testet international die Ausweitung eines Tweets auf eine Länge von 280 Zeichen. Die Nutzer nehmen das Vorhaben mit gemischten Gefühlen auf. Weiterer Lesetipp: Der “Wired”-Beitrag: Diese sieben Dinge sollten Twitter wichtiger sein als das Zeichenlimit

5. Schelte von oben
(taz.de, Marco Carini)
Das Kölner Verlagshaus DuMont will elf der 65 Hamburger “Mopo”-MitarbeiterInnen kündigen, angeblich um ein “neues publizistisches Konzept” für das Blatt durchzusetzen. Dieses Konzept erfordere jedoch mehr als weniger Mitarbeiter. Es ginge wohl eher um Gewinne für die Verlagsmutter. Die “Mopo” schreibe trotz Auflagenrückgangs immer noch eine schwarze Null. Nun erhebt sich auch Widerstand aus dem Hamburger Rathaus: Die Fraktionschefs von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP appellierten an das Kölner Verlagshaus DuMont, die angedrohte Entlassungen zurückzunehmen und von den Kürzungsplänen abzusehen.

6. #IndieFresse: SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sagt der CDU den Kampf an – und Twitter diskutiert, ob der Spruch zu weit geht
(meedia.de, Nils Jacobsen)
“Ab morgen kriegen sie in die Fresse.” prollte die neu gewählte SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und meinte damit vor allem den ehemaligen Regierungspartner CDU. Nils Jacobsen hat auf “meedia.de” die Reaktionen der Twitter-Gemeinde ausgewertet.

RTL  

Journalisten ohne Klasse dringen in Klasse ein

Manchmal kann man gar nicht glauben, welche moralischen Grenzen Journalisten überschreiten, um an Informationen zu einem Mordfall, an Fotos von Verstorbenen, einen O-Ton ihrer Angehörigen oder Videoaufnahmen vom Tatort zu kommen. Im baden-württembergischen Villingendorf, einem kleinen Ort mit rund 3300 Einwohnern, konnte man dieses Grenzenüberschreiten in der zurückliegenden Woche gut beobachten.

Am vergangenen Donnerstag sind in Villingendorf drei Menschen getötet worden. Ein sechsjähriger Junge, eine 29-jährige Frau und ein 34-jähriger Mann starben, nachdem mit einem Sturmgewehr auf sie geschossen wurde. Sie feierten gerade eine kleine Einschulungsparty für den Jungen, als sie angegriffen wurden. Der 40-jährige Tatverdächtige ist am Dienstagnachmittag von der Polizei gefasst worden. Viele Redaktionen hatten Mitarbeiter in den Ort geschickt. Für RTL soll ein freies Produktionsteam nach Villingendorf gefahren sein.

Über dieses Team schrieb die “Neue Rottweiler Zeitung” (“NRWZ”) vorgestern:

Ein Team des Fernsehsenders RTL hat sich an dem Fall fest gebissen. Wie Leser der NRWZ berichtet haben, waren die TV-Journalisten in den vergangenen Tagen in Rottweil und Villingendorf unterwegs. Ihr Ziel, so heißt es: O-Töne aus dem Umfeld der Opferfamilie zu bekommen, beispielsweise. So forschen sie nach Informationen der NRWZ gezielt auch nach Adressen von Mitschülern des getöteten Jungen an der GWRS Villingendorf. Nach Adressen von Erstklässlern.

Allein das klingt schon sehr eklig. Laut Peter Arnegger, der den Artikel der “NRWZ” geschrieben hat, am Donnerstag der erste Journalist am Tatort und in den vergangenen Tagen sehr nah am Geschehen und an den Leuten in Villingendorf war, war damit aber noch lange nicht Schluss. Dasselbe Fernsehteam soll auch in die Schule des Sechsjährigen eingedrungen sein und versucht haben, Lehrer vor deren Schulklassen — wohlgemerkt: Erstklässler! — zu interviewen:

Gestern dann der vorläufige Höhepunkt: Wie die NRWZ verschiedentlich erfahren hat, war das RTL-Team in der Schule selbst. Offenbar ohne sich anzukündigen, sind die TV-Leute in zwei Klassenräume eingedrungen, um die Lehrer vor der versammelten Klasse zu interviewen. Zunächst haben die Reporter die Klasse verwechselt — und wurden vom überraschten Lehrer hochkant raus geworfen.

Dann fanden sie den richtigen Klassenraum. Die Klassenlehrerin — die in diesen Stunden eigentlich auch den kleinen Jungen unterrichten sollte, der am Donnerstag von seinem Vater getötet worden ist — reagierte dem Vernehmen nach geistesgegenwärtig. Sie schmiss die TV-Journalisten nicht nur raus, sie verwies sie auch der Schule.

Die Gemeinde Villingendorf hielt es daraufhin sogar für nötig, einen Aushang an der Schule anzubringen, in der sie die Journalisten bat, die Grundschüler in Ruhe zu lassen:

Foto von einem Aushang an der Grundschule - Aus gegebenem Anlass bitten wir von Filmaufnahmen auf dem Schulgelände Abstand zu nehmen. Des Weiteren bitte wir es zu unterlassen, die Schülerinnen und Schüler zu dem tragischen Vorfall zu interviewen. Für Fragen steht Ihnen die Gemeindeverwaltung Villingendorf zur Verfügung.
(Foto: Benno Schlagenhauf)

Laut Peter Arnegger seien selbst gestern noch zwei Polizisten am Schulhof gewesen, um die Kinder zu beschützen. Nicht vor dem Tatverdächtigen, der zu dem Zeitpunkt schon längst gefasst war, sondern vor den Journalisten.

Foto eines Polizeiautos, das vor der Grundschule in Villingendorf steht
(Foto: Peter Arnegger)

Disruptions-Baustelle BR, TV-Duell-Millionäre, How to Strunz

1. Baustelle Liebeskummer
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky & Katharina Riehl)
Der Bayerische Rundfunk (BR) befindet sich inmitten großer Veränderungen, vielleicht ist es sogar der größte Umbruch, den der Sender verkraften musste: Riesige Defizite wurden angehäuft, bis 2025 sollen 450 Stellen in der Produktion abgebaut werden. Für 2017 bis 2020 droht ein Minus von 328 Millionen, aber trotzdem baut der „BR“ in Freimann eine neue Senderzentrale. Die SZ-Autorinnen Tieschky und Riehl zweifeln an der Geordnetheit der Umstrukturierungen: „Bleibt die Frage, ob das so sein muss. Alles gleichzeitig – hätte man nicht entzerren können, das Sparen, die Reform, den Umzug?“

2. Sofortige Freilassung von Deniz Yücel gefordert
(deutschlandfunkkultur.de, Katrin Heise)
Der Journalist Deniz Yücel („Welt“) befindet sich seit nunmehr über 200 Tagen in türkischer Haft. Lea Deuber von “journalists.networks” hat einen offenen Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestartet, den 14 Journalistenorganisationen unterstützen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Deuber über ihre Beweggründe und Hoffnungen.
Weiterer Lesetipp: “Moralische Appelle reichen nicht mehr aus” auf Welt.de.

3. Neues aus dem Fernsehrat (15): Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch stellt ein Thesenpapier zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien vor, das Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einem Gesprächskreis mit Politik und öffentlich-rechtlichen Sendern entwickelt haben.

4. Marcel H. zeigt keine Emotionen und gibt Taten zu
(wdr.de, Sebastian Wehner)
Der WDR hat sich entschieden, einen 19-Jährigen, dem der Mord an zwei Menschen vorgeworfen wird und der die Tat eingeräumt hat, nur verpixelt zu zeigen. Das ist insofern bemerkenswert, da der Angeklagte vor Gericht den ausdrücklichen Wunsch geäußert hat, er wolle nicht unkenntlich gemacht werden. „Der Grund für unsere Entscheidung: Wir wollen niemandem eine Bühne bieten, der schockierende Fotos seiner Opfer ins Netz gestellt und mit seinen Taten geprahlt haben soll.”

5. Wenn Millionäre fragen
(freitag.de, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal ist aufgefallen, wie wenig es beim TV-Duell zwischen Merkel und Schulz um das Thema der sozialen Gerechtigkeit ging. Womöglich hängt das mit den prominenten und gut situierten Fragestellern Klöppel (RTL), Maischberger (ARD), Illner (ZDF) und Strunz (Sat1) zusammen: „Alle vier sind erfolgreiche Unternehmer in eigener Sache. Das ist auch gar nicht zu kritisieren. Bei ihren Vorgängern Stefan Raab und Anne Will war es 2013 nicht anders. Aber fragen wird man schon dürfen, ob es thematisch nicht zu extremen Verzerrungen kommt, wenn sich die Fragesteller biographisch kaum unterscheiden, wenn sie alle den gleichen sozialen Status und das gleiche Alter aufweisen und mehr verdienen als Kanzlerin und Herausforderer zusammen.”

6. Strunz in fünf Minuten
(zdf.de)
Sie wollen unbedingt werden wie Fremdschäm-Ikone und Rechtsaußen-Talker Claus Strunz (Sat1)? Ein 5-Minuten-Coaching durch Carolin Kebekus macht’s möglich.

Weils Regierungserklärung, Medienprofi IS, Faktenfinder

1. Was ist dran an den Anschuldigungen gegen Weil?
(ndr.de)
Hat der Ministerpräsident Niedersachsens, Stephan Weil (SPD), wirklich seine Regierungserklärung von VW “frisieren” lassen wie die “Bild am Sonntag” (“BamS”) behauptet? Als Beleg hatte die “BamS” mehrere Zitate genannt, die im Entwurf dieser Regierungserklärung gestanden haben sollen und später gestrichen worden seien. Dabei hätte es sich offenbar aber nur um die Rede-Vorbereitungen für den Ministerpräsidenten durch einen Mitarbeiter der Staatskanzlei und nicht um das endgültige Skript von Weil gehandelt. Außerdem seien Zitate aus dem Zusammenhang gerissen worden. Bei Spiegel Online gibt es einen Vorher-Nachher-Vergleich: Diese Passagen wurden auf Wunsch von VW geändert

2. „Der IS ist ein Medienprofi“
(taz.de, Laila Oudray)
Der Fotograf Simon Senner beschäftigt sich im Rahmen seines Kunstprojekts “Terror Complex” mit der islamistischen Propaganda der Taliban und des „Islamischen Staats“. Die teilweise bearbeiteten Bilder fasst er auf seiner Homepage in verschiedenen Sammlungen thematisch zusammen. Im Interview mit der “taz” erzählt er, was ihn dabei antreibt, welche Entwicklungen in der medialen Terrorvermarktung ihm aufgefallen sind und wohin es in der Zukunft gehen wird.

3. Die schlechtesten Moderatoren der Welt
(faz.net, Johanna Dürrholz)
Johanna Dürrholz hat sich Gedanken über die “ZDFneo”-Produktion “Schulz und Böhmermann” gemacht. Sie hält die beiden Protagonisten, wie sie sagt, für das netteste Entertainer-Team Deutschlands und gleichzeitig für die schlechtesten Moderatoren der Welt: “Schulz und Böhmermann kennen sich schon ewig. In ihrem Podcast „Fest & Flauschig“ (früher: „Sanft & Sorgfältig“) plaudern sie regelmäßig über Themen, die sie bewegen, und haben sich mit ihrem schlagfertigen Geschnatter eine solide Anhängerschaft aufgebaut. In ihrer Talkshow machen sie im Prinzip dasselbe, nur müssen obendrein vier arme Tröpfe neben ihnen hocken und sich lieblos konzipierte Fragen gefallen lassen, deren Antwort in der Regel nicht mehr abgewartet wird.”

4. Das hätte nicht passieren dürfen
(nordbayerischer-kurier.de, Otto Lapp)
Im wöchentlich erscheinenden Anzeigenblatt des “Nordbayerischen Kuriers” gibt es stets auch eine Eigenanzeige. Dabei ist es jüngst zu einer Panne gekommen, die “nicht hätte passieren dürfen” wie der Chefredakteur in einer Stellungnahme in eigener Sache schreibt. Für die Werbung werde in der Regel auf einen der meistgelesenen Artikel zurückgegriffen; hier war es fatalerweise ein schrecklicher Unfall mit Todesfolge. “Durch unsere Anzeige haben wir die Hinterbliebenen der Opfer in ein noch größeres Leid gestürzt. Das tut uns unendlich leid. Auch wenn wir es nicht mehr gutmachen können, wir möchten uns aufrichtig und von ganzem Herzen dafür entschuldigen.”

5. Faktenchecker und Fake-Aufdecker
(faktenfinder.tagesschau.de, Fiete Stegers)
Mittlerweile gibt es einige Webseiten, die Aussagen von Politikern überprüfen, Gerüchten nachgehen und Falschmeldungen entlarven. Fiete Stegers stellt einige der Faktencheck-Initiativen vor. Die Bandbreite reicht von Aktionen der großen Medienhäuser bis zu Freiwilligen-Initiativen.

6. Es war einmal in Amerika
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Der Filmemacher und Reporter Dan Bell hat eine Youtube-Serie über das Shopping-Mall-Sterben in den USA produziert. In 43 Folgen seiner “Dead Malls Series” geht es durch gespenstisch leere Einkaufscenter, trostlose Galerien und depressionsauslösende Shoppingcenter auf der Schwelle zwischen Leben und Tod.

6-vor-9-Spezial: G20-Gipfel in Hamburg II

1. Polizeigewalt beim G20-Gipfel? Nicht in der „Bild“-Zeitung!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung zum G20-Gipfel untersucht. Dort sei ausgiebig über die Eskalation der Gewalt im Umfeld der Veranstaltung berichtet worden. Das Thema Polizeigewalt kam jedoch nur in einer homöopathischen Dosis vor. Und dies obwohl diverse Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte laufen und ein “Bild”-Chefreporter selbst getwittert hatte, dass die Polizei gezielt Journalisten angreife. Niggemeiers Fazit: “”Bild” lässt sich nicht auf eine Diskussion ein, wie groß das Ausmaß der Gewalt war, die von der Polizei ausging, und warum es trotzdem richtig ist, sich bei den meisten Polizisten für ihren Einsatz zu bedanken. Die “Bild”-Zeitung verschweigt die Vorwürfe und die Diskussion einfach komplett.”

2. NDR-Journalist fälschlich für “Reichsbürger” gehalten
(tagesspiegel.de, Frank Jansen)
Zahlreichen Journalisten wurde beim G20-Gipfel ohne Angaben von Gründen die bereits erteilte Akkreditierung wieder entzogen, darunter auch einem Reporter des NDR. Nun erfuhr der “Tagesspiegel” aus Sicherheitskreisen, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt habe. Man hätte den Mann fälschlich für einen “Reichsbürger” gehalten. Bezüglich der anderen Fälle würden die Behörden weiter an ihrer Aussage festhalten, dass weder der türkische Geheimdienst “MIT” noch eine andere ausländische Behörde auf den Entzug der Akkreditierungen Einfluss gehabt habe.
Weiterer Lesetipp: Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” hat eine Chronologie der nachträglich entzogenen Akkreditierungen erstellt.

3. Keine Polizeigewalt? Herr Bürgermeister, das stimmt nicht.
(stern.de, Hans-Jürgen Burkard)
Hans-Jürgen Burkard betreibt seit Jahrzehnten Fotojournalismus: Er hat rund 50 große “Stern”-Reportagen fotografiert und war als junger Fotograf schon bei den Protesten in Wackersdorf, Brokdorf und Kalkar dabei. Beim G20-Gipfel ist Burkard mehrfach Opfer polizeilicher Gewalt geworden. Ein Wasserwerfer habe ihn, obwohl gut als akkreditierter Journalist wahrnehmbar, gezielt aufs Korn genommen und “abgeschossen”, was ihn seine Ausrüstung gekostet habe (zwei Kameras und ein Objektiv). Der Vorfall ist dokumentiert, denn ein Kollege hat die Attacke fotografiert. Und dies sei nicht der einzige gezielte Angriff auf den Fotografen gewesen. Am Vorabend der Chaos-Nacht sei ihm aus kürzester Entfernung von einem Polizisten Tränengas ins Gesicht gesprüht worden, so dass er ins Krankenhaus musste.

4. Der G20 in Hamburg aus Sicht eines Polizisten
(vionville.blogspot.de, Oliver von Dobrowolski)
Oliver von Dobrowolski ist Polizeibeamter und arbeitet neben seiner hauptamtlichen Beschäftigung bereits im zwölften Jahr auch als Konfliktmanager der Polizei Berlin. In einem persönlichen Blogpost, in dem er als Polizist, aber nicht für die Polizei spricht, arbeitet er die Geschehnisse um den G20-Gipfel auf und kommentiert den Einsatz der Polizei: “Was die Polizeitaktik anbetrifft, haben mittlerweile fast sämtliche Rechtswissenschaftler und Polizeiforscher mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen erklärt, dass das Vorgehen der Hamburger Polizeiführung nicht nachvollziehbar und hinsichtlich der Ausprägung schlicht falsch gewesen ist.”

5. G20 Doku
(g20-doku.org)
Die Seite “G20-Doku” sammelt Fälle, die für die Redaktion wie rechtswidrige Polizeigewalt aussehen: “Wir sind eine Gruppe von Menschen, die gegen den G20-Gipfel in Hamburg protestiert haben. Wir sind alle der Ansicht, dass der G20-Gipfel eine völlig neue Dimension in Sachen Verletzung von Grundrechten und rechtswidriger Polizeigewalt darstellt. So etwas war in Deutschland in den letzten Jahren, auch beim G8-Gipfel in Heiligendamm, nicht zu beobachten. Besorgt um die Grundrechte und um den Zustand der Demokratie haben wir uns entschlossen, die unzähligen im Internet vorhandenen Materialien zu dokumentieren, zu kategorisieren und zu verschlagworten. Wir wollen damit das Ausmaß der Übergriffe zeigen und unseren Beitrag für die Aufklärungsarbeit rund um den G20-Gipfel zu leisten.”
Auch der “Faktenfinder” der “Tagesschau” versucht, die Vorgänge aufzuarbeiten, indem er nach Antworten auf die drängendsten Fragen sucht. Viele Fragen seien jedoch weiterhin offen. Außerdem würden manche Behördenauskünfte neue Fragen aufwerfen.

6. Während der G20-Proteste wurden weniger Polizisten verletzt, als die Polizei behauptet
(buzzfeed.com, Marcus Engert)
Die Polizei sprach im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel von 476 verletzten Polizeibeamten, was von vielen Medien so auch an die Leser weitergegeben wurde. Marcus Engert hat bei den 16 Landespolizeibehörden und der Bundespolizei nachgefragt und kommt zu einem anderen Ergebnis: Es seien deutlich weniger Beamte während der Proteste verletzt worden, als bisher angenommen. Mehr als die Hälfte der Verletzungen seien schon vor den Protesten gemeldet worden und etliche Verletzungen seien nicht auf die Demonstranten zurückzuführen. Rafaehl Behr, Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, hätte bestätigt: “Die Verletzten-Zahl muss dringend relativiert und eingeordnet werden.”

Hetzername, Fette Diätwerbung, Suizidklickmasche

1. Urteil: taz darf Hetzer weiter beim Namen nennen
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
In einem öffentlichen Facebook-Kommentar forderte ein Mann unter Angabe seines Klarnamens, man müsse „Genderlesben und Politikern jeweils 8×9 mm in das dumme Gehirn zu jagen.“ Die “taz” berichtete über den Vorgang und nannte dabei auch den Namen des Kommentierers. Dagegen setzte sich dieser zur Wehr und verklagte die Zeitung auf Unterlassung. Mit der Behauptung, jemand hätte sich Zugang zu seinem Facebook-Account verschafft und unter seinem Namen kommentiert. In zweiter Instanz entschied das Gericht nun, dass der Kläger tatsächlich der Urheber der Hassbotschaft sei und sich die Berichterstattung gefallen lassen müsse.

2. Bei Diät-Werbung macht sich der Bauer-Verlag einen schlanken Fuß
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer berichtet auf “Übermedien” über die freche Schleichwerbungsmasche von „Alles für die Frau“ aus dem Bauer-Verlag: “Jede Woche schwärmt die Redaktion darin im Wechsel für jeweils ein bestimmtes Diätprogramm, homöopathisches Schlankmittel und eine Fitnessstudiokette. Eine ernsthafte oder gar kritische Auseinandersetzung mit den Programmen und Produkten findet nicht statt. Über 130 solcher Artikel sind in den letzten zweieinhalb Jahren erschienen (so weit reicht unser Archiv zurück; insgesamt sind es wahrscheinlich noch viel mehr).”

3. “Kernmodell Journalismus” statt e-Commerce
(deutschlandfunk.de, Thomas Wagner)
Der “Deutschlandfunk” hat mit Eric Gujer, dem Chefredakteur der “NZZ”, über die Zukunft des traditionsreichen Schweizer Medienhauses gesprochen. Natürlich geht es um Fragen der Finanzierung, denn die “NZZ” leistet sich unter anderem eine kostspielige Auslandsberichterstattung. Die Konzepte der Konkurrenz will Gujer nicht übernehmen: “Das, was ja die meisten anderen unter multimedialer Strategie verstehen, heißt ja: Wir haben noch einen e-Commerce-Shop für Hundefutter. Und wir machen noch irgendeine Inserate-Plattform für Immobilienanzeigen im Internet und solche Dinge. Und das wollen wir dezidiert nicht. Wir glauben daran, dass das Kernmodell Journalismus, gute Inhalte, auch heutzutage noch lohnen kann.”

4. Langer Atem
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Der Musiker Herbert Grönemeyer hat sich in drei Verfahren vor dem Landgericht Köln erfolgreich gegen die Berichterstattung über eine Auseinandersetzung mit einem Fotografen und einem Kameramann auf dem Flughafen Köln-Bonn im Dezember 2014 gewehrt. Es ging um Behauptungen, Grönemeyer hätte zwei Fotoreporter geschlagen und verletzt. Angeblich von Videos belegt, die sich als “bewusst unvollständig”, also irreführend zusammengefügt herausgestellt hätten. Der Fall sei damit noch nicht abgeschlossen: Vermutlich werde die Staatsanwaltschaft Köln die Fotografen wegen Verdachts der Falschaussage anklagen.

5. Hoax? Medienhype mit Suizid im Netz
(ndr.de, Gudrun Kirfel)
Medien berichten reißerisch über ein WhatsApp-Spiel, das Jugendliche angeblich in den Tod treiben will: die angebliche “Blue Whale Challenge”. Doch gibt es das Spiel überhaupt? Das würden viele Journalisten selbst nicht wissen, aber trotzdem munter drauflos fabulieren. “Zapp” hat recherchiert, was an der Sache dran ist. Nicht viel: Außer einigen Trittbrettfahrern, die mit dem Hype um das angebliche Spiel Klicks machen, haben die Zapper nichts gefunden.

6. Alessio geht es nicht gut
(taz.de, Hengameh Yaghoobifarah)
Manchmal geraten Kinder von Promis ins Fadenkreuz von Social Media und werden zu Opfern von Hass und Spott, der eigentlich ihren Eltern gilt. So zum Beispiel beim Sohn des mittlerweile getrennten Promipaars Sarah und Pietro Lombardi, aber auch beim Sohn des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. “taz”-Autorin Hengameh Yaghoobifarah plädiert für mehr Zurückhaltung: “Das öffentliche Leben als Promi-Kind ist belastend genug. Der zusätzliche Hohn ist unnötig und geschmacklos.”

“FAZ” und “Ehe für alle”: Ein Hass, der keinen Namen trägt

Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” veröffentlichte vorgestern, am Tag der Abstimmung über die “Ehe für alle”, einen homophoben Hetztext, den man nicht lesen muss, da er sich mit einem Satz zusammenfassen lässt: Homosexuelle sind Kinderschänder. Auf den Gastbeitrag in der “FAZ”, unter Pseudonym erschienen, folgte große Empörung, die wiederum dazu führte, dass der zuständige Redakteur Reinhard Müller sich äußerte.

Da in dem Hetztext keine Evidenz, keine Wahrheit steckt (außer der einer offensichtlichen persönlichen Tragödie), steckt in ihm auch nichts Journalistisches. Er möchte nichts erklären, nichts diskutieren. Er möchte nur beleidigen, demütigen, hassen. Er möchte auch nichts provozieren, zumindest nichts, was nach allem Wissen rund ums Thema ernsthaft zu debattieren wäre. Da dieser Text kein Journalismus ist, kann man ihn auch nicht nach journalistischen Kriterien besprechen. Man muss ihn betrachten, als das, was er ist: Propaganda, Marketing.

Man muss heute nicht mehr argumentieren, warum die Erde keine Scheibe ist. Man muss danach fragen, warum jemand so tut, als wäre sie eine. Oder besser: Warum ein Medium jemanden vorschickt, so etwas zu tun. Und warum dieser jemand versteckt werden muss, beziehungsweise warum es so aussehen muss, als sei dies der Fall? Warum macht die “FAZ” das? Warum hat sie es nötig? Was ist die dahinterstehende (Marketing-)Strategie?

Das so ziemlich einzige Gute an der Sache ist, dass sich “FAZ”-Redakteur Reinhard Müller ziemlich freimütig in die Karten schauen lässt. Auf die Frage von “Meedia”, warum man den Text unter einem Pseudonym veröffentlicht habe — eine Praxis, die normalerweise angewendet wird, um mutige Stimmen, wie die von Dissidenten vor Repressalien zu schützen –, antwortet Müller:

“Der Autor verweist im Text darauf, ‘wie schwierig das sachliche Argumentieren dieser Angelegenheit in der Gay-Community ist — wer etwas anderes meint, wird gleich als ‘Verräter’ gebrandmarkt’. Diese Befürchtung scheint, wie einige Reaktionen zeigen, nicht unberechtigt gewesen zu sein.”

Es ist also der offensichtliche Versuch, einen homosexuellen Autor mit offensichtlich problematischen kinderbezogenen Phantasien, der sich dafür hasst und diesen Hass auf das Homosexuell-sein und die Homosexuellen übertragen möchte, als mutigen Aufklärer nicht in eigener, sondern allgemeiner Sache darzustellen. Und — noch schlimmer: die Opfer des Hasses zu Tätern zu machen. Wer sich gegen die Unterstellungen und Beleidigungen wehrt, ist der, der den Diskurs erschwert, und nicht jener, der ihn mit Verrücktheiten zubombt.

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den sogenannten “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Müllers vorsätzliche Diffamierung Homosexueller funktioniert dabei wie eine alte Antisemiten-Logik: So, wie die Juden Schuld am Antisemitismus sind, sind es die Homos bei der Homophobie. Beschuldigen doch einfach jemanden, der ihnen gar nichts getan hat.

Noch skandalöser als die Veröffentlichung des Gastbeitrags sind die Erklärungen, die der “FAZ”-Mann ohne den Protest seiner Chefs verlautbaren darf:

“Die ‘Fremde Feder’ ist, wie der Name schon sagt, ein Ort für pointierte, auch provozierende Debattenbeiträge von Fremdautoren. Insofern haben wir mit Reaktionen gerechnet. Uns hat dennoch die Intoleranz einiger Kommentare überrascht.”

Nicht nur im Marketing nennt man das Reframing: Das gezielte Umdeuten eines Kontextes durch eine Verschiebung der Betrachtung. In diesem Fall ermöglicht es dem intoleranten Homo-Hasser, sich als Opfer von Intoleranz zu sehen.

Die Strategie ist also ein Leserservice der besonderen Art: über den Umweg “Fremde Feder” der eigenen konservativen Kernklientel ein Mittel an die Hand geben, mit der diese ihren Hass verklären und bewahren kann. Die “FAZ” möchte offensichtlich nicht auf diese Zielgruppe verzichten, doch statt ihr die Welt zu erklären, die diese nicht mehr verstehen kann, also Journalismus zu machen, hisst sie die weiße Fahne. Eine größere Leserverachtung erscheint kaum möglich.

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