Suchergebnisse für ‘foto opfer’

Kriegsberichterstattung, Knappes Druckpapier, “BetweenTheLines”

1. “Das Opfer wird ins Rampenlicht gezerrt”
(sueddeutsche.de, Lars Langenau)
Wie sollen Medien vom Krieg berichten? Welche Bilder können und dürfen sie dem Publikum zumuten? Über diese Fragen hat sich die “Süddeutsche” mit Claudia Paganini unterhalten, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Dazu passender Hörtipp: Wer es ausführlicher mag, dem sei der “SZ”-Podcast “Auf den Punkt” empfohlen, in dem Paganini zu Gast war: Wie die Brutalität des Krieges zeigen? (süddeutsche.de, Lars Langenau, Audio: 12:09 Minuten)

2. “Jeden Tag neuer Horror”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Antje Allroggen, Audio: 9:45 Minuten)
“Die Bilder aus Butscha, auch andere Fotos und Videos aus der Ukraine, sind für viele kaum zu ertragen. Wie muss es dann sein, diese Fotos zu machen, selbst durch die Kameralinse auf Tote zu schauen, in Live-Schalten aus zerbombten Siedlungen zu berichten?” Darüber hat sich der Deutschlandfunk mit Friederike Engst unterhalten, die sich als Psychologin auf die Traumabewältigung bei Journalistinnen und Journalisten spezialisiert hat.

3. “Tagesspiegel” streikt
(taz.de, Ruth Lang Fuentes)
Rund 120 “Tagesspiegel”-Beschäftigte haben gestern gestreikt und die Straße vor dem Redaktionsgebäude blockiert, um eine Kundgebung abzuhalten. Grund für ihren Unmut: Nach Branchentarif solle nur gezahlt werden, falls der Verlag schwarze Zahlen schreibt. Dies sei in den vergangenen zwanzig Jahren jedoch nur einmal vorgekommen.

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4. Damit Journalisten den Kopf frei haben
(verdi.de, Clemens Melzer)
Das zivilgesellschaftliche Hilfsprojekt “BetweenTheLines” bietet Medienschaffenden Begleitschutz bei Versammlungen in Sachsen an. Im Interview erklärt Klemens Köhler wie es zu der Initiative kam: “Was den Ausschlag für unsere Gründung gegeben hat, war die Verstetigung von Angriffen durch ‘normale’ Versammlungsteilnehmer*innen. Immer wieder wurden die gleichen Journalist*innen insbesondere am Rande von Querdenken-Veranstaltungen angegriffen, hauptsächlich in Dresden. Da haben wir gesagt: Wir müssen was machen.”

5. Fünf Dinge, die ich gerne früher verstanden hätte
(journalist.de, Hakan Tanriverdi)
Deutsche Journalistenschule, New-York-Korrespondent für die “Süddeutsche Zeitung”, aktuell Reporter für Cyber- und IT-Sicherheit beim BR – Hakan Tanriverdi hat und hatte spannende Posten in seiner bisherigen Journalisten-Karriere. Daher lohnt es, sich Tanriverdis “fünf Tipps für den Nachwuchs” anzuschauen: “Ich habe mir dann überlegt, welche fünf Punkte ich gerne früher verstanden hätte. Nicht allgemeingültig, sondern meine Perspektive auf den Job als Journalist:in. Etwas, das mir auch heute noch hilft, mich zurechtzufinden.”

6. Bücher knapper, Lücken in Buchhandlungen größer
(mdr.de, Linda Süß & Andrea Besser-Seuß)
“Es gibt in Europa kaum noch hochwertiges Druckpapier zu kaufen. Verlage verschieben manche Veröffentlichungen bereits um Monate, einige Bücher erscheinen gar nicht. Verlage und ihre Druckereien bekommen nur eine Handvoll Titel und die zu einem stattlichen Preis.” Linda Süß und Andrea Besser-Seuß schildern, wie es zu der Papierkrise kam.

Abwägungsfragen, Badawis Haft ist illegal, Twittern über Tor-Netzwerk

1. “Ein Symbol dieses Krieges”
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Trigger-Warnung: Im verlinkten Beitrag ist ein Foto eingebaut, auf dem erschossene Menschen zu sehen sind.
Zu den Aufgaben der Kriegsberichterstattung gehört es, über die Schrecken des Krieges zu berichten und sie visuell festzuhalten. Doch welche Bilder kann und darf man dem Publikum zumuten? Es sind schwierige Abwägungsfragen: Wo endet die Informationspflicht, und wo beginnt der Voyeurismus? Und ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wichtiger als die Interessen der Opfer?

2. Rütteln und Schütteln
(taz.de, Steffen Grimberg)
Nachdem der Kreml neue Mediengesetze erlassen hat, die bei angeblichen “Falschmeldungen” zu bis zu 15 Jahren Haft führen können, hatte sich eine Reihe von TV-und Radiosendern, darunter auch die BBC, aus dem Land zurückgezogen. Die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hat sich die Sache inzwischen jedoch anders überlegt und berichtet wieder aus Russland: “Wir haben die möglichen Folgen der neuen Vorschriften abgewogen, mit der unabdingbaren Pflicht und Schuldigkeit, direkt aus Russland zu berichten”. Und nicht nur das – die BBC stellt ihr Material anderen Sendern zur kostenlosen Übernahme zur Verfügung.

3. Twitter hilft russischen Nutzern, die Zensur zu umgehen
(spiegel.de)
Russland hat nach der Invasion in der Ukraine unter anderem Einschränkungen bei der Nutzung von Twitter eingeführt. Darauf antwortet das Unternehmen nun mit einer speziell für den Anonymisierungsdienst Tor ausgelegten Version, die es ermöglicht, die Zensur zu umgehen. Der “Spiegel” erklärt, wie das Ganze funktioniert.

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4. Civey warb irreführend
(faz.net, Reiner Burger)
Das Berliner Start-up Civey führt Online-Umfragen auf Medienseiten wie Spiegel.de, t-online.de oder “Focus Online” durch, wobei die Ergebnisse unmittelbar danach angezeigt werden. In ihrer Werbung rühmten sich die Online-Demoskopen unter anderem damit, “zuverlässiger als die Konkurrenz” zu sein, womit sich diese nicht abfinden wollte, klagte und gewann.

5. Badawis Haft ist illegal
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der saudische Blogger Raif Badawi hat seine drakonische Strafe – zehn Jahre Haft und 1.000 Peitschenhiebe – nach saudischem Recht mittlerweile verbüßt, wird aber weiterhin gefangen gehalten. Reporter ohne Grenzen verlangt seine umgehende Freilassung: “Die andauernde Inhaftierung von Raif Badawi ist empörend, nach einer Haftstrafe, die er ohnehin niemals hätte verbüßen müssen. Indem die saudischen Behörden ihn weiter gefangen halten, fügen sie ihrer langen Liste von Verbrechen gegen die Pressefreiheit ein weiteres hinzu. Doch genug ist genug – öffentliche Debatten und Journalismus sind keine Verbrechen. Badawi muss ohne weitere Verzögerung freigelassen werden!”

6. Zur medialen Kritik an der medialen Mode “Putinologie”: Der wilde Wladimir aus Leningrad
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:01 Minuten)
Arno Orzessek wirft einen (nicht immer ernst gemeinten) Blick auf die “Putinologie”. Darunter versteht er den Versuch vieler Medien, die Persönlichkeit des russischen Präsidenten einzuordnen.

Umstrittener Verwaltungsrat, Dreck Royal, Stuttgarter Auflösung

1. “Er dürfte nicht mal mehr die nächste Rundfunkratssitzung leiten”
(sueddeutsche.de, Bernd Kastner & Nicolas Richter & Annette Zoch)
Der katholische Geistliche Lorenz Wolf wird wegen seines Vorgehens beim Aufarbeiten von Fällen sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese München und Freising scharf kritisiert. Wolf ist jedoch nicht nur Geistlicher, sondern auch Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks, und das wirft Fragen auf: Einige Politikerinnen und Politiker raten ihm zum freiwilligen Rückzug, andere verlangen seinen Rücktritt, wiederum andere wollen erstmal abwarten.

2. Auflösung einer einst stolzen Zeitung
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Josef-Otto Freudenreich kommentiert den Abbau von mehr als 50 Stellen bei der “Stuttgarter Zeitung” und ist skeptisch, was die soziale Verträglichkeit anbelangt: “Es gibt ein sogenanntes Freiwilligenprogramm, das allen die Freiheit verspricht, zu wählen zwischen Gehen und Bleiben, und dennoch nur ein Scheinangebot ist. Es werden keine 55 sein, die sich abfinden lassen, und dann kommen die Kündigungen.”
Weiterer Lesehinweis: Stimmen zum Kahlschlag im Pressehaus von Personen aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft: “Schmerzen bei der Zeitungslektüre” (kontextwochenzeitung.de).

3. Vom Fachmagazin zum Feuilleton
(tagesspiegel.de, Frederik Hanssen)
“Tagesspiegel”-Redakteur und Klassik-Liebhaber Frederik Hanssen hat seinen Frieden damit gemacht, dass auf dem Sender RBB Kultur nicht mehr nur Klassik gespielt wird: “Wenn es RBB Kultur gelingt, Horizonte aufzureißen – eingefleischte Klassikhörer stellen fest, dass es auch in anderen Stilen interessante Interpreten gibt, während klassikferne Menschen einschalten, weil sie sich für die Wortbeiträge interessieren, und dabei merken, dass niemand ein Fachmann sein muss, um eine Sonate von Scarlatti genießen zu können oder einen Sinfoniesatz von Haydn -, wenn der Sender also zum Sammelbecken aller Kulturinteressierten in Berlin wird, dann ist mehr gewonnen als verloren.”

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4. Dreck Royal
(zeit.de, Holger Stark)
Holger Stark schildert den Fall der libanesischen TV-Journalistin Ghada Oueiss (Al Jazeera), die Opfer einer Cyberattacke ist, bei der von ihrem Handy persönlichen Daten und intime Fotos entwendet und gegen sie eingesetzt wurden: “Die Spur führt in das Königreich Saudi-Arabien und die Emirate, aber auch in die USA, zu einem Netzwerk von Trump-Anhängerinnen. Sie führt in eine Welt von Intrigen, geopolitischen Interessen und Nachrichtendiensten.” Der Fall sei “ein Lehrstück über psychologische Kriegsführung repressiver Regime im digitalen Zeitalter und die Gefahren, die von Cyberwaffen ausgehen.”

5. Slapp! Slapp!
(taz.de, Daniel Zylbersztajn)
SLAPP ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie sollen dazu dienen, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. Eine solche Taktik vermuten viele hinter dem Vorgehen des Unternehmers Arron Banks gegen die britische Journalistin Carole Cadwalladr. Banks wiederum behauptet, seine Klage gegen Cadwalladr sei weder ein SLAPP-Fall noch böswillig.

6. Neil Young droht mit Boykott: Spotify als Plattform für Coronaleugner?
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf , Audio: 7:03 Minuten)
Der kanadische Musiker Neil Young ärgert sich über Spotify. Der Musikstreamingdienst hatte sich 2020 den Podcast des US-Amerikaners Joe Rogan für die stolze Summe von rund 100 Millionen Dollar gesichert. Rogan erweist sich als erklärter Coronaleugner und Impfgegner. Young forderte Spotify daher auf, “noch heute” zu handeln und lässt dem Unternehmen die Wahl: “They can have Rogan or Young. Not both”.
Update: Neil Young hat seine Ankündigung anscheinend umgesetzt: Neil Young lässt seine Musik von Spotify entfernen (spiegel.de). Siehe dazu auch die Stellungnahme auf seiner Website.

Ausgezeichneter Journalismus, “Klima vor acht”, Ampel-Symbolik

1. 84 Presserat-Beschwerden gegen “Bild”-Bericht
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Gegen den vielfach kritisierten “Bild”-Artikel “Die Lockdown-Macher” liegen beim Deutschen Presserat bereits 84 Beschwerden vor. Presseratssprecherin Sonja Volkmann-Schluck erklärt: “Die Beschwerdeführer kritisieren, es werde der falsche Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler Corona-Maßnahmen beschließen, für die aber die Politik verantwortlich ist. Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen Wissenschaftler.”

2. Deutscher Reporter:Innen-Preis 2021
(reporter-forum.de)
Es muss eine Menge Arbeit gewesen sein, die vielen Einreichungen für den Reporter:Innen-Preis 2021 zu sichten und zu bewerten. Nun hat die zuständige Jury zwölf Reportagen, Essays, Podcasts und Multimedia-Projekte ausgezeichnet (PDF). Alle Nominierten und ihre 102 Beiträge, Werkstattgespräche mit den Preisträgerinnen und Preisträgern sowie die Aufzeichnung der Preisgala sind online abrufbar.

3. Weniger Sprüche, mehr tun: Klima vor acht setzt Themen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die Initiative “Klima vor acht” hat mit ihrer Forderung nach einer kurzen Klimasendung im Ersten viel Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und traf letztendlich auf Gehör, wenn auch bei einem anderen Sender: Zweimal in der Woche gibt es bei RTL nun das “Klima Update”. Timo Niemeier schildert, wie es der Initiative gelang, die Thematik auch im Fernsehen voranzubringen.

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4. Unsere Einnahmen und Ausgaben und was eine Stunde netzpolitik.org kostet
(netzpolitik.org, Stefanie Talaska)
netzpolitik.org ist laut Eigenbeschreibung ein “Medium für digitale Freiheitsrechte”. Die Redaktion befasst sich unter anderem mit staatlicher Überwachung, Open-Source-Software, Telekommunikationsgesetzen sowie schöpferischem Gemeingut und einer freien Wissensgesellschaft. Das Angebot von netzpolitik.org finanziert sich fast komplett aus Spenden von Lesern und Leserinnen. Stefanie Talaska schlüsselt die Einnahmen und Ausgaben des Vereins auf, bei dem viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davor geschützt werden müssten, sich zu sehr selbst auszubeuten.

5. Keynote von Zoë Beck: Sexismus in der Buchbranche
(blog.buecherfrauen.de, Zoë Beck)
Die Keynote zur Eröffnung der Jahrestagung der “BücherFrauen” wurde in diesem Jahr von der Autorin, Verlegerin und Übersetzerin Zoë Beck gehalten und stand unter der Überschrift “Sexismus in der Buchbranche”. Sexismus habe eine Menge mit Sichtbarkeit zu tun: “Unsere weibliche Sichtbarkeit wird nicht von uns bestimmt, sondern vom männlichen Blick. Was dieser Blick sehen will, und das muss sich natürlich nachhaltig ändern. Ich sage nachhaltig, weil es dank der Frauenbewegung schon eine Sichtbarmachung von Frauen in der Kunst-, Musik-, Literatur-, Wissenschaftsgeschichte usw. gab. Nur wurden diese Frauen dann seltsamerweise wieder vergessen. Weil sie dann doch nicht in die Geschichtsbücher und Anthologien aufgenommen wurden oder in den Kanon, der für Schulen und Universitäten gilt. Wir erleben gerade eine neue Welle der Sichtbarmachung. Und wir müssen dafür sorgen, dass es diesmal bei der Sichtbarkeit bleibt.”

6. Die Paprika-Kugelschreiber-Servietten-Koalition: Die 13 dollsten Ampel-Symbolfotos
(uebermedien.de)
Berichterstattung über die Ampel-Koalition kommt vielfach nicht ohne Symbolbilder aus. Oft wirkt es jedoch recht bemüht, was die Symbolbild-Komponisten da an roten, gelben und grünen Gegenständen oder Symbolen zusammenpacken. “Übermedien” zeigt 13 besonders eindrucksvolle Beispiele.
Weiterer Lesehinweis: Im Interview erklärt die dpa-Fotochefin Silke Brüggemeier, wie man Symbolfotos moderner und journalistischer produzieren kann. “Symbolbilder sind ein bisschen in Verruf geraten”: Von Ampeln und anderem Gemüse (uebermedien.de, Stefan Niggemeier).

Bild.de zeigt das blutüberströmte Gesicht eines getöteten 9-Jährigen

Inzwischen haben sie das Foto an der entsprechenden Stelle verpixelt. Aber am Samstag war auf der Startseite von Bild.de, an oberster Stelle, das blutüberströmte Gesicht eines zuvor getöteten 9-Jährigen zu sehen:

Screenshot Bild.de - H. tötete im Blutrausch zwei Menschen - Interview mit einem Kindermörder - Der Herne-Killer spricht zum ersten Mal über seine schickierenden Verbrechen

Alle Unkenntlichmachungen in diesem Screenshot stammen von uns: beim Namen des verurteilten Täters, bei dessen Alter, bei dessen Gesicht, bei dessen blutverschmierter Hand. Und auch die Verpixelung am linken Bildrand, wo sonst das Gesicht eines der Opfer, des bereits erwähnten 9-jährigen Kindes, zu erkennen wäre, ist von uns. Bei Bild.de war all das zu sehen. Nach Beschwerden hat die Redaktion zumindest das Gesicht des getöteten Kindes verpixelt.

Im Artikel schreibt “Bild”-Reporter Frank Schneider zu diesem Foto:

Die Morde von Herne schockierten auch deshalb, weil [H.] während und nach seinen Bluttaten Sprachnachrichten postete, sich in Chaträumen mit Fotos brüstete, die ihn an den Tatorten zeigten. Die blutgetränkten Hände, sein diabolisches Grinsen – ein einziger Albtraum.

Das, was der Mann im März 2017 noch selbst erledigen musste, übernahmen am Samstag Schneider und dessen “Bild”-Redaktion: Sie verbreiteten diesen “einzigen Albtraum”, sie zeigten einen Mörder in der von ihm gewählten triumphierenden Pose, sie halfen ihm dabei, sich viereinhalb Jahre später noch einmal mit der Tat zu brüsten.

Auch der Text bietet H. die große Bühne. “Aber wie begegnet man einem Menschen, den wohl kein Mensch je wieder sehen möchte?”, fragt sich “Bild”-Autor Schneider zu Beginn seines Artikels. Die Antwort der “Bild”-Medien lautet offenbar: Indem man diesem Menschen und seinen Gedanken, Rechfertigungen, abstrusen Aussagen möglichst viel Sichtbarkeit verschafft.

Der Doppelmörder bedauert sich selbst:

… schreibt Schneider zum Beispiel. Und lässt den Doppelmörder dann in einem Zitat sich selbst bedauern.

[H.] versucht zu dozieren, seine Sätze elegant zu formulieren – und bemerkt nicht, was für einen kranken Unsinn er redet.

… schreibt Schneider. Und zitiert H. im Anschluss mit krankem Unsinn.

Dann gibt er seinem Opfer eine Mitschuld:

… schreibt Schneider. Und lässt den Täter in einem Zitat dem 9-jährigen Opfer eine Mitschuld geben.

An einer anderen Stelle des langen Artikels darf H. damit angeben, dass er als Kampfsportler viele Messerstriche in einer Minute schaffe. “Offenbar registriert [H.] meine Fassungslosigkeit”, schreibt Frank Schneider dazu, was ihn aber nicht davon abhält, diese unsägliche Prahlerei zu verbreiten. Und so geht es bis zum Schluss weiter:

Die Gesprächszeit geht zu Ende, eine Botschaft will mir der Kindermörder noch mit auf den Weg geben:

… und natürlich verbreiten Schneider, Bild.de und Bild am Sonntag, wo der Artikel ebenfalls erschienen ist, auch noch diese letzte Botschaft.

Eigentlich, so scheint es, sind H. und dessen Opfer aber nur Mittel zum Zweck – für Werbung in eigener “Bild”-Sache. Über weite Strecken stehen gar nicht der “Herne-Killer” oder die zwei von ihm getöteten Menschen im Mittelpunkt, sondern der “Bild”-Reporter:

Es ist ein beklemmendes Gefühl, als ich entlang der hohen Mauer mit Überwachungskameras und Natodraht zum Gefängnis-Eingang gehe. Ein Kindermörder hat mich zum Gespräch gebeten.

… heißt es ganz am Anfang des Textes. Und weiter:

Gleich treffe ich also den Doppelmörder von Herne.

Ich war als Reporter dabei, als SEK-Polizisten den Killer tagelang im Ruhrgebiet jagten. Ich traf die Mütter der Opfer – und die fassungslose Mutter des Täters.

Ich betrete den modernen Gefängnis-Komplex durch eine Panzerglas-Tür, dann muss ich alles abgeben, nur Stift und Schreibblock darf ich behalten.

In einem Info-Kasten etwas weiter hinten im Artikel gibt es die Auflösung – es handelt sich um Reklame für den “Bild”-Fernsehsender:

Sehen Sie die Doku “Mein größter Fall”: “Die Bestie von Herne” am […] bei BILD im TV

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Nachtrag, 28. Oktober: In der “Süddeutschen Zeitung” ist heute ein Interview mit dem neuen “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie erschienen (online nur mit Abo lesbar). Darin geht es unter anderem auch um die Kritik, die wir in diesem Beitrag geäußert haben (auch wenn das BILDblog nicht explizit erwähnt wird). Auf die Frage …

In der Kritik steht Bild auch immer wieder wegen sensationslüsterner und grenzwertiger Berichterstattung, Rügen des Presserats werden nicht veröffentlicht. Erst diese Woche zeigte Bild das unverpixelte Bild eines ermordeten Neunjährigen. Bleibt das alles so?

… antwortet Boie:

Nein, das war ein schlimmer Fehler. Ich habe am selben Tag intern neue Regeln eingeführt, die die Berichterstattung bei schweren Kriminalfällen und Minderjährigen betrifft, unter anderem ein Sechs-Augen-Prinzip und eine technische Änderung in der Fotodatenbank. Der Fall zeigt allerdings zu einem kleinen bisschen auch, wie wir kritisiert werden: im Netz verbreiten unsere Kritiker nun die Grafik von Bild, auf der sie eine große Fläche gekennzeichnet haben. Da denkt jeder: Bild hat das Mordopfer groß und deutlich erkennbar gezeigt. Tatsächlich ging es um eine winzige schemenhafte Fläche im Hintergrund, die mit bloßem Auge kaum zu sehen war. Trotzdem war es ein schwerer Fehler, deshalb die klaren Maßnahmen.

Das klingt erstmal nicht schlecht.

Zwei Anmerkungen hätten wir allerdings zu Johannes Boies Aussage: Auch sein Vorgänger Julian Reichelt versprach in der Vergangenheit, “neue Kontrollmechanismen dazwischenschalten” zu wollen, nachdem “Bild” kräftig danebengelangt hatte. Man muss aus unserer Sicht also erstmal schauen, inwieweit Boies Maßnahmen wirklich etwas bringen. Und zu Boies Vorwurf der unfairen Kritik: Sowohl hier im Beitrag als auch bei Twitter schreiben wir, dass die von uns verpixelte Fläche nicht nur das 9-jährige Mordopfer verdeckt (dazu schreiben wir extra: “am linken Bildrand”), sondern auch das Gesicht des Täters und dessen blutverschmierte Hand.

Verschwundene Journalisten, “Bild” wirbt mit Laschet, Wortungetüme

1. RSF erinnert an verschwundene Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Verschwundenen erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an Medienschaffende, die zum Teil schon vor Jahrzehnten spurlos verschwunden sind. “Die Praxis des Verschwindenlassens soll Medienschaffende einschüchtern; es ist ein perfides Mittel, um kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen”, so RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske: “Die meisten der seit Jahrzehnten zurückliegenden Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt.”

2. “Bild” wirbt mit Armin Laschet für neuen TV-Sender – Kritik in sozialen Medien
(rnd.de)
Die “Bild am Sonntag” veröffentlichte am Wochenende eine ganzseitige Werbeanzeige für den Fernsehsender “Bild TV”. Prominentes Testimonial: der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Dies wurde vor allem in den Sozialen Medien stark kritisiert. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte ein CDU-Sprecher: “Es gab von ‘Bild am Sonntag’ weder eine Anfrage für das Motiv, noch ist die Werbeanzeige von der CDU freigegeben worden.” Auf Twitter kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “In passiv-aggressivem Tonfall kommentiert die CDU, die ‘Bild’-Werbung mit Laschet sei nicht genehmigt worden. Nur mal ne Frage, CDU: Wen habt Ihr für Laschets Imagepflege angeheuert? Ja, genau: Ex-‘Bild’-Chefin Tanit Koch. Also spart Euch die Krododilstränen und das Opfer-Getue.”

3. Wortungetüme und Bandwurmsätze – Wahlprogramme laut Studie unverständlich
(heise.de)
Die Wahlprogramm-Texte aus den Parteizentralen seien einer Studie (PDF) zufolge zwar so umfangreich wie nie zuvor – sie würden sich aber auch so schwer verstehen lassen wie kaum andere in der bundesdeutschen Geschichte. In den Programmen, so die Studienautoren der Universität Hohenheim, fanden sich Wortungetüme und Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern. Am formal verständlichsten sei laut “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen.

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4. Historisches Fingerspitzengefühl
(taz.de, Sabine Seifert)
Engelbert Reineke war von 1966 bis 2004 als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. “taz”-Redakteurin Sabine Seifert hat die berufliche Karriere Reinekes nachgezeichnet und ihn am Ende gefragt, wie er Angela Merkel fotografieren würde: “Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.”

5. Eine kleine Geschichtsstunde für Springer
(freitag.de, Karsten Krampitz)
Karsten Krampitz hat Texte von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte der “Welt”, gelesen und ist entsetzt. Bei der Springer-Tageszeitung wisse man nicht, wie Rosa Luxemburg aussah, und verbreite Falsches über einen verstorbenen SPD-Spitzenpolitiker: “Entweder hat der Kollege Kellerhoff völlig neue Quellen aufgetrieben – oder er verbreitet Lügen über einen toten SPD-Spitzenpolitiker, dessen Partei im Bundestagswahlkampf langsam aufholt.”

6. Tor, Tor, Tor: Fußball, Radio und viele Bilder im Kopf
(dwdl.de, Jochen Rausch)
Viele empfinden die Fußball-Live-Reportage als Königsdisziplin für Radio-Reporter und -Reporterinnen, vor allem wenn es über die volle Spiellänge geht. Jochen Rausch huldigt dem Genre, ist sich aber nicht sicher, wie es weitergeht: “Welche Rolle Audio in der digitalen Zukunft spielen wird, ist schwer einzuschätzen, es hängt unter anderem auch davon ab, wer die Verwertungsrechte hält, ob die Fans das Audioangebot in ausreichender Zahl wahrnehmen und sich Live-Events als digitale Audio-Produkte durchsetzen können, wie sich das Image des Profi-Fußballs generell entwickelt.”

Belgiens Justizminister findet “Bild”-Vorgehen “moralisch verwerflich”

Am Sonntag wurde in einem belgischen Nationalpark, nicht weit von der Grenze zu Deutschland, die Leiche eines Mannes entdeckt. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Soldaten, der unter Verdacht des Terrorismus und des Rechtsextremismus stand und vor etwa vier Wochen schwerbewaffnet flüchtete, nachdem er Todesdrohungen gegen den bekanntesten Virologen Belgiens ausgesprochen hatte. Die zuständige Staatsanwaltschaft geht von einem Suizid aus.

Die “Bild”-Medien hatten über den Fall und die Suche nach dem Mann ausführlich berichtet. Und sie berichten nun auch ausführlich über den Fund der Leiche: gestern online bei Bild.de und bei “Bild TV”, heute in der gedruckten “Bild”. Die Redaktion zeigt dabei auch ein Foto beziehungsweise ein Video der stark verwesten Leiche. Nur an manchen Stellen hat sie die Aufnahmen verpixelt.

Dieses Vorgehen der “Bild”-Medien findet Belgiens Justizminister Vincent Van Quickenborne – vor allem mit Blick auf die Angehörigen – “geschmacklos und verwerflich”:

Das Aufnehmen und das Veröffentlichen dieser Bilder ist geschmacklos und verwerflich. Es ist inakzeptabel. Es spielt dabei keine Rolle, um wen es geht: Täter, Opfer oder sonst wen. Es ist moralisch verwerflich.

Van Quickenborne spricht von einer “ausländischen Zeitung”, es ist aber recht eindeutig, dass “Bild” gemeint ist, wie auch die belgische Tageszeitung “De Standaard” schreibt. Der Justizminister bedankt sich bei den belgischen Medien, dass sie die Aufnahmen nicht veröffentlicht haben.

Wer sie der “Bild”-Redaktion geschickt hat, ist nicht ganz klar. Der Mann, der die Leiche gefunden und Fotos sowie ein Video angefertigt hat, bestreitet, die Aufnahmen an “Bild” weitergegeben oder verkauft zu haben. Er sagt, er kenne “Bild” gar nicht, was etwas überraschend ist, schließlich hat er nachweislich “Bild TV” ein Interview gegeben. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet. Das Büro des Justizministers teilte mit, dass Schritte vorgenommen werden sollen, um die Fotos und Videos aus den ausländischen Medien entfernen zu lassen.

Rechtlich scheint der Fall allerdings nicht eindeutig zu sein: In Belgien ist derzeit zwar die Schändung eines Grabes strafbar, nicht aber die Schändung der Überreste eines Verstorbenen, etwa durch Fotografieren und Verbreiten der Fotos. Justizminister Van Quickenborne will das nun ändern:

Das Aufnehmen/Verbreiten solcher Bilder ist verwerflich. Schrecklich für die Hinterbliebenen. Im neuen Strafgesetzbuch wird die Schändung strafbar sein.

Mit Dank an Philine, Sebastian und Chris für die Hinweise!

***

Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

Wie “Bild” mit Kritik umgeht

Vergangene Woche hat der Deutsche Presserat mal wieder Rügen verteilt. Traditionell ganz vorne mit dabei: die “Bild”-Medien. Sieben der 17 ausgesprochenen Rügen gingen an “Bild”, Bild.de oder “Bild am Sonntag”, weil die jeweilige Redaktion …

  • … in einem Artikel über angebliche Alkoholprobleme einer Person berichtete, obwohl sich diese Person dazu nicht äußern wollte.
  • … in einem anderen Artikel private Sprachnachrichten derselben Person ohne deren ausdrückliche Einwilligung veröffentlichte.
  • … in einem Artikel unverpixelte Fotos des Täters und der Opfer eines Tötungsdelikts zeigte.
  • … in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines minderjährigen Opfers veröffentlichte, “offensichtlich ohne Einwilligung der Angehörigen”.
  • … in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines anderen minderjährigen Opfers zeigte.
  • … in einem Artikel ein Foto einer getöteten Frau veröffentlichte, das sie von deren Facebook-Seite genommen hatte, ohne Einwilligung der Angehörigen.

Auf die siebte Rüge wollen wir etwas detaillierter eingehen, weil der Vorgang dahinter wunderbar zeigt, wie die “Bild”-Redaktion und Chefredakteur Julian Reichelt mit Kritik umgehen. Und weil das problematische Verhältnis von “Bild” zur Wahrhaftigkeit deutlich wird.

In der März-Ausgabe der “Blätter für deutsche und internationale Politik” schrieb der Publizist Albrecht von Lucke eine lesenswerte ausführliche Analyse des TV-Projekts “Bild live”. Der Beitrag ist ausgesprochen kritisch. Schon im Teaser heißt es:

Die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause »Springer«

Und im Text:

Kaum ein Politiker oder eine Politikerin, sieht man einmal von der Kanzlerin ab, der oder die sich den Anfragen von “Bild” entzöge; alle rennen – auch mangels anderer Live-Möglichkeiten im Corona- und Superwahljahr – dem neuen Sender förmlich das Studio ein. So etwa nach dem jüngsten Corona-Gipfel am 10. Februar, als sich Kanzleramtschef Helge Braun den Fragen von “Bild”-Vize Paul Ronzheimer stellte – im Laufband untertitelt nicht, wie sonst üblich, mit “Gespräch” oder “Interview”, sondern mit “Merkels wichtigster Mann im Verhör”. Ebenfalls kurz zuvor “im Bild-Verhör”: Gesundheitsminister Jens Spahn. Hier artikuliert sich die zugrundeliegende aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung – “Bild live” als die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste.

Die “Bild”-Redaktion griff Luckes Artikel auf, drehte dessen Aussage aber komplett um. Aus der scharfen Kritik an “Bild live” wurde am 27. Februar in “Bild” ein großes Lob für “Bild live”:

Ausriss Bild-Zeitung - Polit-Experte Albrecht von Lucke - Bild live ist die Stimme des Volkes

Er zählt zu den profiliertesten Politikexperten des Landes: Albrecht von Lucke (54), Autor zahlreicher Bücher (u.a. “Die gefährdete Republik”)!

Jetzt hat Lucke in einem Beitrag in “Blätter für deutsche und internationale Politik” den Erfolg des TV-Formats BILD live auf BILD.de gewürdigt. (…)

BILD Live sei “die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste”, konstatiert von Lucke.

Die von Lucke dargelegte “aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung” im “Bild”-TV-Studio lässt “Bild” lieber unerwähnt; das Selbstverständnis von “Bild live”, das Lucke der Redaktion zuschreibt, verdreht diese zu einer Bewertung von Lucke selbst. Und mal abgesehen davon, dass die “Bild”-Redaktion das alles gänzlich aus dem (kritischen) Zusammenhang reißt: Das wörtliche Zitat aus der Überschrift ist in dieser Form frei erfunden.

(Nur nebenbei bemerkt: Wie traurig und klein ist es eigentlich, dass die Redaktion der größten Zeitung Deutschlands es offenbar nötig hat, auf der eigenen Seite 2 einen Artikel darüber zu veröffentlichen, wie toll jemand anderes das eigene TV-Format vermeintlich findet?)

Für die Verfälschung des Zitats von Albrecht von Lucke gab es die bereits erwähnte Rüge vom Presserat. Der sah “einen gravierenden Verstoß gegen das Gebot zur wahrhaftigen Wiedergabe wörtlicher Zitate” und den “Bild”-Artikel generell als “Verstoß gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex”.

Es handelt sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Dass sich die “Bild”-Redaktion aus Kritik ein Lob bastelt, oder dass sie Kritik an der eigenen Berichterstattung aus Zitaten streicht, kommt häufiger vor. Als sich beispielsweise Günter Wallraff mal anerkennend über eine “Bild”-Reportage äußerte, kürzte Bild.de die gleichzeitige “Bild”-Kritik aus dem wörtlichen Zitat Wallraffs einfach raus.


Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

In unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” geht es in einem ganzen Kapitel um den Umgang von “Bild” mit Kritik. Darin beschreiben wir das generelle Vorgehen der Redaktion und erwähnen unter anderem zwei weitere konkrete Beispiele. Hier ein Auszug:

Für die Macher der “Bild”-Medien ist das keine unbekannte Strategie, mit Kritik umzugehen: löschen, verschweigen, verstecken. Wenn sich zum Beispiel Prominente negativ über “Bild” äußern, gibt sich die Redaktion große Mühe, ihren Lesern diese Kritik vorzuenthalten. Als die Zeitung 2018 behauptet, Helene Fischer könne aufgrund eines Infekts womöglich “nie wieder singen” und habe einen “Wunderheiler aus den USA” einfliegen lassen, veröffentlicht die Sängerin einen langen Facebookpost über ihren Gesundheitszustand, in dem sie unter anderem schreibt, die Wunderheiler-Geschichte sei “totaler Quatsch”. Über diesen Beitrag berichtet auch “Bild”, druckt ihn in der Zeitung ab – setzt dabei eine Bildunterschrift jedoch exakt so, dass ausgerechnet die kritischen Worte von Helene Fischer verdeckt werden.

Ein ähnlicher Fall im Jahr darauf, als der TV-Moderator Walter Freiwald bekannt gibt, dass er unheilbar erkrankt ist. Bei Twitter schreibt er:

Bevor die @BILD oder @RTLde irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreiten, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.

“Bild” macht daraus kurzerhand:

“Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”

Für “Bild”-Kritik ist in “Bild” eben kaum Platz.

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Emcke absichtlich missverstanden, Regie-Versagen, Jebsen-Podcast

1. Carolin Emcke wird gezielt verunglimpft
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Die Autorin Carolin Emcke hat auf dem Parteitag der Grünen eine kurze Gastrede gehalten, die von CDU und “Bild”-Redaktion kritisiert und skandalisiert wurde: Angeblich habe Emcke Klimaforscher mit Holocaust-Opfern verglichen. “SZ”-Redakteur Ronen Steinke widerspricht: “Nirgends in ihrer Rede hat sie vom Holocaust gesprochen. Auch nicht indirekt. Die Idee, Kritik an heutigen Virologen oder Klimaforschern ernsthaft mit dem Holocaust gleichzusetzen, ist Carolin Emcke, soweit ersichtlich, auch nicht ansatzweise in den Sinn gekommen, und auch beim Zuhören konnte man auf diese Idee nur kommen, wenn man denn wirklich, wirklich einen ‘Eklat’ konstruieren wollte. Zum Beispiel, weil Wahlkampf ist.”
Judith Liere kommt in ihrem Kommentar bei “Zeit Online” zu einer ähnlichen Feststellung: “Man muss nicht einmal laut ‘Kontext, Kontext!’ rufen, um klarzustellen, dass sie nie gemeint hat, was ihr da unterstellt wird. Sie hat es nämlich nicht nur nicht gemeint, sondern schlichtweg nicht gesagt.”
Weiterer Lesehinweis: In einem Twitter-Thread erklärt Matthias Meisner: “Was den von BILD, WELTAMSONNTAG, CDU, Generalsekretär Paul Ziemiak, Martenstein und anderen angezettelten Shitstorm gegen Carolin Emcke so bösartig und perfide macht: Die Kritiker vermischen unzulässig Vergleich und Aufzählung.”
Weiterer Hinweis: Wer die entsprechenden Passagen nachhören will: Der “Spiegel” hat ebenfalls über den Nicht-Skandal berichtet und Emckes Rede in einem eingebundenen Video dokumentiert.

2. Bange Minuten bei der EM: Das Regie-Versagen der UEFA
(dwdl.de, Alexander Krei)
Am Samstag konnten Millionen Menschen vor dem Fernseher mit anschauen, wie in der Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland der Däne Christian Eriksen auf dem Spielfeld reanimiert werden musste. Alexander Krei kommentiert: “Dass diese Bilder mehr als nur einmal in den weltweiten Live-Übertragungen gezeigt wurden, ist ein krasses Versagen der UEFA, deren Zentralregie in diesen bangen Minuten komplett daran scheiterte, Eriksens Privatsphäre zu schützen. Stattdessen gingen sogar noch die Bilder der weinenden Ehefrau des Fußballstars um die Welt. Die fehlende Empathie des europäischen Fußballverbands ist nichts weniger als ein handfester Skandal – erst recht, wenn man bedenkt, dass in der Vergangenheit schon harmlose Flitzer genügten, um dafür zu sorgen, dass die großen Verbände blitzschnell den Blick abseits des Spielfelds lenkten.”
(Ergänzender Hinweis auf einen Beitrag bei uns im BILDblog: Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen.)
Weiterer Lesehinweis: Das übertragende ZDF weist Vorwürfe zurück: “Wir mussten auch dem Informationsbedürfnis der Zuschauer gerecht werden.”
An anderer EM-Stelle gibt es positive Nachrichten: Die russischen Behörden haben eingelenkt und den ARD-Journalisten Robert Kempe auch für St. Petersburg akkreditiert (faz.net).

3. Des Schwurblers Kern
(zeit.de, Daniel Hornuff)
Ab heute sind die ersten zwei Teile einer Podcast-Produktion über den Werdegang des Verschwörungserzählers Ken Jebsen verfügbar (zum Beispiel in der ARD-Audiothek: “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?”). David Hornuff ist begeistert. Der Podcast sei fantastisch gemacht, erzeuge dennoch Unbehagen: “So bewundernswert sorgfältig der Podcast arrangiert und inszeniert ist: Der Fokus auf die eine ausgewählte Person erzeugt eine unfreiwillige Stilisierung, eine überhöhende Psychologisierung – was wiederum eine seltsam umschmeichelnde Aufwertung nach sich zieht, die passagenweise ins Heroisierende kippt.”
Weiterer Lesehinweis: Anonymous hackt Ken-Jebsen-Website: “Anonymous hat Ken Jebsen ins Visier genommen: Der ehemalige Journalist gilt als Schlüsselfigur der ‘Querdenker’-Szene. Jetzt wollen Hacker die Namen seiner Spender erbeutet haben.” (spiegel.de, Frank Patalong)

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4. Ist der Begriff “Doku” noch immer nicht ausgehöhlt genug?
(medienkorrespondenz.de, Christian Bartels)
Der Medienexperte Christian Bartels hat sich die ARD-Doku “Der Milliardenraub” angeschaut. Missfallen hat ihm, dass die 45-minütige “Doku” rund zur Hälfte aus nachgestellten (wenn auch gekennzeichneten) Szenen bestanden habe: “Bedenken ‘Doku’-Autoren überhaupt noch, dass nachgestellte Szenen die Glaubwürdigkeit ihrer Filme immer beeinträchtigen und zumindest alle im Publikum, die die Überzeugungen der Autoren nicht von vornherein teilen, skeptisch machen? Wenn Reenactments in einem Ausmaß eingesetzt werden, das günstigenfalls ermüdet oder gar lächerlich erscheint, müsste Mut, auch mal unbewegte Bilder zu zeigen, leichtfallen.”

5. Wieso ich nicht mehr über “Querdenken” berichten werde
(gaebler.blog, Paul Gäbler)
“Ein Jahr lang ‘Querdenken’ hieß für mich: einmal pro Woche auf eine Demo, Gespräche führen, Fotos machen – und mich beschimpfen lassen. Damit ist jetzt Schluss.” Paul Gäbler zieht ein nachdenkliches Fazit seiner journalistischen Beobachtung unzähliger “Querdenker”- und Coronaleugner-Demos, bei dem er sich auch unangenehmen Fragen stellt: “Heute, wo ‘Querdenken’ massiv an Zulauf verliert, frage ich mich: habe ich das ganze von Anfang an überschätzt? Ist ‘Querdenken’ nur ein Misthaufen in der Geschichte – und ich habe sie mit meiner Twitter-Reichweite auch noch bekannter gemacht?”

6. Georg Thiel: Der Mann, der ins Gefängnis ging, um “GEZ-Rebell” zu werden
(uebermedien.de, Susanne Lang)
Als “GEZ-Rebell” feiert die “Bild am Sonntag” den 53-Jährigen Georg Thiel, der “lieber in den Knast ging, als jeden Monat 17,50 Euro GEZ-Gebühren zu zahlen”. Eine Behauptung, die zwar nicht ganz falsch sei, bei der aber eine wichtige Information ausgeblendet werde: “Thiel hätte seine Inhaftierung selbst verhindern können. Er hätte dafür nicht einmal die Beiträge plus Bußgelder begleichen, sondern bloß seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.” Susanne Lang hat den Vorgang aufgearbeitet, der von verschiedenen Seiten – vor allem von rechtsaußen – für die eigene Agenda instrumentalisiert wird.

KW14: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Die Fernsehschatztruhe: Holm Dressler
(podcast.de, Frank Battermann & Alex Schindler, Audio: 1:30:30 Stunden)
Bei der “Fernsehschatztruhe” ist eine TV-Legende zu Gast: Holm Dressler, der als Autor, Regisseur und Produzent für die verschiedensten Fernsehprojekte zuständig war. Darunter TV-Klassiker wie “Wetten, dass..?” mit Thomas Gottschalk (ZDF) oder die erste tägliche Late-Night-Show mit Gottschalk bei RTL. Dressler kann sich noch gut an den gemeinsamen Wechsel zum Privatfernsehen erinnern: “Helmut Thoma hat uns mit Geld überzeugt. Wir haben ein Begrüßungsgeld bekommen: Thomas bekam drei Millionen und ich eine halbe Million – ohne irgendwas zu machen, außer Ja zu sagen!”

2. Zahlen mit Friederike Freiburg und Christina Elmer
(dennishorn.de, Audio: 55:12 Minuten)
Friederike Freiburg und Christina Elmer arbeiten in der Entwicklungsredaktion des “Spiegel” und kümmern sich dort unter anderem um die Entwicklung neuer digitaler Produkte. Dennis Horn unterhält sich mit den beiden über Daten, Metriken und Erfolgskriterien: “Wir diskutieren, welchen Stellenwert in einer durchanalysierten Medienlandschaft die Kreativität noch hat. Und wir klären, wie wir es schaffen, dass die Chefetage bei ihren Entscheidungen auf ‘die richtigen Metriken’ blickt.”

3. Belästigung auf Instagram mit Kim Chakraborty von Antiflirting
(medienzirkus.podigee.io, Greta Linde, Audio: 32:07 Minuten)
Auf der Instagram-Seite “Antiflirting” werden übergriffige, nun ja, Flirtversuche gepostet, die bei Frauen in den Direktnachrichten landen. Das reicht vom missglückten Anmachspruch bis zum Penisbild oder einer Vergewaltigungsfantasie. Greta Linde vom “Medienzirkus”-Podcast hat sich mit der “Antiflirting”-Gründerin Kim Chakraborty über das Projekt unterhalten. Dabei gibt auch es zwei gute Tipps: “Dickstinction. Wenn ihr ein ungewünschtes Penisbild zugeschickt bekommen habt, könnt ihr das über die Plattform Dickstinction unkompliziert anzeigen. Mehr Infos findet ihr unter dickstinction.com oder auf Instagram bei @dickstinction_. Falls ihr Opfer von sexueller Gewalt geworden seid, könnt ihr beispielsweise das Hilftsportal Sexueller Missbrauch des Bundesfamilienministeriums nutzen, das ihr unter 08000 116 016 erreicht (kostenlos und anonym).”

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4. Arnold Marquis, dt. Synchronsprecher
(ardaudiothek.de, Andrea Klasen, Audio: 14:53 Minuten)
Der Schauspieler Arnold Marquis (1921-1990) war einer der meistbeschäftigten deutschen Synchronsprecher und synchronisierte mit seiner markanten Stimme unter anderem John Wayne, Robert Mitchum, Richard Widmark, Bud Spencer, James Coburn und Kirk Douglas. Im WDR-“Zeitzeichen” denkt man an den Mann zurück, mit dessen Stimme ganze Generationen von Fernsehzuschauerinnen und Kinobesuchern aufgewachsen sind.

5. Poker um Fußballrechte – bald ohne ARD und ZDF?
(sr-mediathek.de, Katrin Aue & Thomas Bimesdörfer, Audio: 17:05 Minuten)
Ist es angebracht, dass die öffentlich-rechtlichen Sender Millionen Euro für Fußball-Übertragungsrechte ausgeben? Werden damit die Gebührengelder der Beitragszahler verschwendet? Oder zählt der Sport zur Grundversorgung? Darüber diskutieren Katrin Aue und Thomas Bimesdörfer mit Professor Michael Schaffrath, der als Kommunikationswissenschaftler an der Sportfakultät der TU München forscht.

6. Lebensgefährliches Selfie: Folgen des Social Media Tourismus
(youtube.com, Zapp, Video: 16:16 Minuten)
Viele Influencer und Influencerinnen befinden sich in einem regelrechten Wettbewerb um die spektakulärsten Bilder. Waghalsige Naturfotos auf Klippen oder Felsen, an Abgründen oder Wasserfällen versprechen zahlreiche Likes, sind aber auch gefährlich. Ein Ort, der Selfie-Touristen anscheinend magisch anzieht, sei Berchtesgaden in Bayern. Doch aus dem Selfie kann schnell ein “Killfie” werden. Aaron Moser ist an den Königsee gereist und hat sich dort unter anderem mit Verantwortlichen des Nationalparks über das riskante Treiben der Fotojäger unterhalten.

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