“Der Europäische Verband der Journalistenverbände sieht angesichts der Medienkrise die Demokratie gefährdet. Grund genug für ihn, von der Europäische Union Hilfe zu fordern. Setzen die Medien dabei ihre Unabhängigkeit aufs Spiel?”
“Man kennt das von vielen Großereignissen sozialer Bewegungen: Die mediale Berichterstattung ist getrieben von Sensationslust, dramatisiert Gewalttaten und reduziert die gesamten Proteste gerne auf solche. Über die Inhalte der Protestierenden wird in verschwindend geringem Ausmaß berichtet.”
Die neuen Chefs der Printausgabe des Tages-Anzeigers stellen sich den kritischen Fragen der Chefs online. Res Strehle: “Wir wollen mehr Eigenleistungen bringen. Mehr Glanzlichter setzen. Der Tages-Anzeiger kann nicht mehr eine Art Protokollführer des Zeitgeschehens sein, der über alles berichtet. Wir werden mehr gewichten, mehr Schwerpunkte setzen – und damit exklusive, aussergewöhnliche Leistungen erbringen.”
Die Redaktion der Boulevardzeitung Berliner Kurier wurde von mehreren Vermummten überfallen. “Ohne ein Wort zu verlieren, warfen die schwarz gekleideten Männer Tische um, zerstörten Computer und Arbeitsmaterial. Verletzte gab es nicht.” Eine Bildergalerie zeigt das Ausmass der Verwüstung.
Die Berliner Morgenpost erklärt zur heute beginnenden re:publica’09 “Spezialbegriffe”. Gemeint sind damit “Web-Wörter” von “Alpha Blogger” über “Posten” bis “Youtube”.
Mit diesen Worten beginnt die “Bild”-Zeitung heute ihren Bericht darüber, dass der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) von einem österreichischen Gericht wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.
Das ist angesichts der vielfältigenKritik an dem Urteil und dem schnellen Verfahren (nur “Bild” spricht davon, dass Althaus nun “endlich” Gewissheit habe), eine erstaunliche Formulierung. Sie stimmt aber natürlich, wenn man “Thüringen” für gleichbedeutend mit der thüringischen CDU hält — wie es offenbar die “Bild”-Zeitung und ihr Autor Jörg Völkerling tun.
Und so macht sich “Bild” auch gleich die Interpretation der Partei zu eigen und erklärt schlichtweg:
Doch das Gegenteil ist der Falldas ist in dieser Eindeutigkeit falsch. Das Bundesjustizministerium hat inzwischen bestätigt, dass Althaus als “vorbestraft” gilt, sobald das Urteil rechtskräftig ist. In Österreich verhängte Geldstrafen würden auch ins deutsche Bundeszentralregister eingetragen. In Althaus’ Führungszeugnis wird die Strafe allerdings nicht erscheinen, weil sie gerade noch unter der Geringfügigkeitsgrenze liegt.
Die Fehlinformation stammt offenbar von Leuten, die ein Interesse daran haben, sie zu verbreiten: der CDU-Thüringen. Deren Fraktionschef Mike Mohring hatte gestern behauptet, der Ministerpräsident sei nach österreichischem Recht nicht vorbestraft. Und ihr Sprecher Heiko Senebald verkündete, mit dem Urteil sei kein Eintrag in das Strafregister verbunden.
Agenturmeldungen, die diesen Äußerungen gestern schonwidersprachen, hat “Bild” ignoriert und sich ganz in den Dienst der Partei gestellt. Immerhin scheint man heute gemerkt zu haben, dass der eigene Bericht nicht haltbar ist. Bei Bild.de erschien ein Artikel, der zwar sich zwar heillos in den unterschiedlichen Vorschriften über Einträge ins Strafregister und das Führungszeugnis verheddert und eine gewagte Interpretation der “umgangssprachlichen” Bedeutung des Wortes “vorbestraft” versucht. Die Überschrift aber lautet schlicht:
Mit Dank an Lars S.!
Nachtrag, 5. März. Bild.de hat den “Dieter Althaus vorbestraft”-Artikel gelöscht, warum auch immer.
Nachtrag, 23.15 Uhr. Geklärt ist nach Ansicht von “Bild” heute immerhin, dass die Frage der Vorstrafe “geklärt ist”. In der gedruckten Ausgabe heißt es:
Geklärt ist auch: Das Urteil gegen Althaus (180 Tagessätze) gilt als Vorstrafe, die auch in sein deutsches Führungszeugnis aufgenommen werden kann.
Online lautet derselbe Absatz im selben Artikel vom selben Autor so:
Geklärt ist auch: Das Urteil gegen Althaus (180 Tagessätze) wird weder in Österreich noch in Deutschland in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen.
2. “Falsche Behauptungen über neuen Wirtschaftsminister” (ndr.de, Video, 4:45 Minuten)
Eine ebenso fragwürdige Rolle übernehmen Medien bei der Beschreibung des früheren Jobs des neuen Wirtschaftsministers. So schreiben viele, er sei für die Von Guttenberg GmbH in Aschheim tätig gewesen. Diese schreibt auf vonguttenberg.de: “Aufgrund nicht zutreffender Informationen (u. a. FOCUS, Tagesspiegel, Spiegel, Wikipedia u.a. basierend auf einer dpa Mitteilung) wird unser Fachgroßhandel für Trockenbau, Isoliertechnik und Dämmstoffe mit dem CSU-Generalsekretär Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg in Verbindung gebracht. Hiermit informieren wir Sie darüber, dass es sich hierbei um Fehlinformationen handelt.”
3. “Der EU sind Reporter verdächtig” (faz.net, Michael Stabenow)
“Die Europäische Kommission warnt ihre Mitarbeiter vor Spionen. Als unbedingt verdächtig stuft sie, wie ein interner Vermerk zeigt, pauschal die Berufsgruppe der in Brüssel tätigen Journalisten ein.”
“Ließ die Polizei die CDU von Journalisten bespitzeln?” und “Arbeitete ein ‘Bild’-Journalist für LKA oder Geheimdienst?”, fragte vor zwei Wochen die “Frankfurter Rundschau” — und beantwortete die Frage eine Woche später unter der Überschrift:
‘Bild’ Leipzig berichtet — fürs LKA
Hintergrund ist ein dreiseitiger Aktenvermerk, den der sächsische Landtag mit einer Kleinen Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Volker Schimpff unlängst öffentlich machte.
Der faksimilierte Vermerk, nachzulesen auf der Internetseite des Sächsischen Landtags (Drucksache 4/14207, [pdf]), enthält zunächst die (geschwärzten) Namen damals hochrangiger Amts- und Würdenträger in Leipzig (darunter der Oberstaatsanwalt, der Justizminister, ein Ex-Innenminister sowie ein Ex-Präsident des Fußballvereins VfB Leipzig) und trägt die Überschrift:
Nach Auskunft des sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo stammt die “Mitteilung” “aus der polizeilichen Ermittlungsakte des Landeskriminalamtes” und “gibt ausschließlich die Äußerungen einer für die ‘Bild’-Zeitung tätigen Person wieder”. Ihr Inhalt: schwerwiegende Verdächtigungen und Gerüchte, aufgelistet in über 50 Einzelpunkten – übler Klatsch und Tratsch, der tatsächlich genau so klingt, wie man sich vorstellt (oder weiß), dass es klingt, wenn “Bild”-Mitarbeiter geschwätzig werden. Also beispielsweise so:
die soll den kennen
soll ein ehemaliger Schulfreund des sein
die angeblich enga[g]ierte Staatsanwältin Frau (…) sei durch ‘kaltgestellt’ worden
sie bearbeite jetzt, so gegenüber BILD, “Karnickeldiebstähle”
durch BILD wurde auf den Namen angesprochen, worauf kreidebleich geworden sein soll
angeblich gebe es Verstrickungen einiger Personen (auch ) zu Kinderbordellen
es soll ein Video über sexuelle Praktiken des an Kindern existieren
und sollen den kennen, welcher auf der Merseburger Straße in Leipzig einst ein Kinderbordell betrieben haben soll
ein gewisser habe angeblich offiziell Selbstmord begangen, eventuell wurde dabei “nachgeholfen”
BILD habe , welcher im Zusammenhang mit dem Verschwinden des steht, gefragt, wo denn sei. Es wurde entgegnet, dass sie abhauen sollen, sonst gehe es ihnen wie , danach habe gelacht
Nach unseren Informationen handelt es sich bei dem “Bild”-Mitarbeiter (den die “Leipziger Volkszeitung” am Mittwoch noch vorsichtig “einen Journalisten beziehungsweise eine Journalistin aus dem Bereich Boulevard aus Leipzig” nannte) um die “Bild”-Redakteurin Angela Wittig.
Wenn Wittig nicht (wie neulich) einen offensichtlich Unschuldigen als “Kinderschänder” vorverurteilt, schreibt sie Artikel, die “Bild” anschließend so präsentiert:
Übler Scherz am Arbeitsplatz: Druckluftpistole am Po – Darm geplatzt!
Mutter zeigt Staatsanwalt an: Weil er den Vergewaltiger ihrer Tochter laufen ließ
Beim Frauenarzt wurde ich weggeschickt – Jetzt ist mein Baby tot
Straßenbahn-Prügler flennt vor Gericht: Plötzlich ist er ein kleiner Hosenscheißer
Sie haben ihr Kind ins Koma geprügelt… jetzt knutschen sie vor Gericht!
Todesspritze für die Killerhunde… es sei denn, Seppel, Mausi und Sternchen bestehen den Verhaltenstest
Skandal um angebliche Sex-Orgien im Leipziger Rathaus: BILD zeigt das geheime Bett im Büro des OB
“Focus” vs. Wittig
Im Juni 2008 setzte Angela Wittig eine Gegendarstellung zu einem am 2.2.2008 unter der Überschrift “Schlamassel im Puff” veröffentlichten “Focus”-Bericht durch (mehr dazu hier) und widersprach darin mehreren “Focus”-Behauptungen über sie. Der “Focus” ergänzte den Abdruck der Gegendarstellung um die Anmerkung:
“Alle Ermittlungen zu einer angeblichen Justizverschwörung, über die Frau Wittig in ‘Bild’ berichtete, sind von der Staatsanwaltschaft Dresden als ‘substanzlos’ eingestellt worden. Sie seien, so die Staatsanwaltschaft Dresden, Produkt ‘einer Verschwörungstheorie’ gewesen.”
Angela Wittigs Name tauchte zudem im vergangen Jahr im Zusammenhang mit dem vermeintlichen “Sachsensumpf” auf (grundsätzliches dazu hier, hier, hier, hier oder hier bzw. hier). Laut “Focus” waren die vermeintlichen “Verstrickungen [sächsischer Justizbeamter] zu Kinderbordellen”, die bereits in der “Mitteilung durch BILD Leipzig” aus der Polizeiakte kolportiert wurden, von Wittig auch via “Bild”-Zeitung “kräftig befeuert” worden (was Wittig offenbar eine Strafanzeige wegen Verleumdung und dem “Focus” eine Gegendarstellung Wittigs einbrachte, siehe Kasten).
Und so schreibt nun auch die “Frankfurter Rundschau”, die Beschuldigungen aus 1998 seien dem “Berg aus Gerüchten” auffällig ähnlich, der “im Frühjahr 2007 als gewaltige Sumpf-Affäre über Sachsen schwappte”, sich aber “ein Jahr später und nach gründlichen Untersuchungen unabhängiger Ermittler und der Bundesanwaltschaft als gigantischer Humbug herausstellte”. Auch für die “Leipziger Volkszeitung” liest sich die “Mitteilung durch BILD Leipzig” “wie eine frühe Version dessen, was in der Aktenaffäre 2007 unter dem Codenamen Abseits III für Aufsehen sorgte”.
Ob “Bild”-Frau Wittig das journalistische Sakrileg beging, der Polizei als Informant ihre schmutzigen und zum Teil haltlosen Gerüchte anzuvertrauen (womöglich in der Hoffnung, im Gegenzug ebenfalls bevorzugt informiert zu werden) oder ob Wittigs Äußerungen ihren Weg anderweitig in die LKA-“Mitteilung” fanden, ist noch ungeklärt – außer für “Bild”. Die “Morgenpost Sachsen” zitiert “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich mit der Aussage:
“Kein Mitarbeiter von BILD Leipzig hat unseres Wissens nach als Informant für das LKA gearbeitet.”
Wir haben die Wörter “unseres Wissens” mal gefettet, wundern uns aber nicht, dass Wittig nach wie vor für “Bild”-Leipzig arbeitet.
Soweit wir das überblicken, nennen ausnahmslos alle Medien, die heute über das Urteil gegen den sogenannten Münchner “U-Bahn-Schubser” berichten, ihn entweder Ludwig D., Ludwig Joachim D. oder lassen seinen Namen gleich ganz weg.
Auch Bild.de nennt ihn Ludwig Joachim D., verfuhr allerdings mal wieder nach dem, insbesondere bei Anonymisierungen, äußerst fragwürdigen Prinzip “einmal ist keinmal” und nannte* seinen vollen Nachnamen:
*) Nachdem wir Bild.de auf den offenbar mangelhaften Schutz der Identität des Mannes aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir (wir kennen das) zwar keine Antwort, aber: Inzwischen heißt der Mann an der fraglichen Stelle nur noch “D.”
Mit Dank an Philipp E., Marcus F., Carsten F., Tobi, Tronx und Rüdiger T. für den sachdienlichen Hinweis.
Der frühere RAF-Terrorist Christian Klar hat sein geplantes Praktikum als Bühnentechniker am Berliner Ensemble [BE] abgesagt. Das teilte das von Claus Peymann geleitete Theater am Freitag mit.
Die Begründung: Er fürchte, dass das Theater, Direktor Peymann und er selbst Schaden nehmen könnten, heißt es in einer Erklärung.
Peymann erklärte: “Das angestrebte Leben in Normalität nach 26-jähriger Haft scheint unter diesen Umständen nicht möglich.”
Was jedoch mit “diesen Umständen” gemeint ist, darüber kann der Bild.de-Leser nur spekulieren – oder es inanderenMediennachlesen. In der Erklärung heißt es nämlich:
Nach den Erfahrungen der letzten Wochen befürchtet er, dass durch die sensationslüsterne Berichterstattung in einem Teil der Medien und die anhaltende Belagerung des BE durch Paparazzi das Theater, dessen Direktor Claus Peymann und er selbst Schaden nehmen könnten. Das angestrebte Leben in Normalität nach 26-jähriger Haft scheint unter diesen Umständen nicht möglich. Die in Lessings Theaterstück “Nathan der Weise” postulierte Idee von Vergebung und Verzeihen bleibt offenbar ein Traum. (Hervorhebung von uns.)
Anlass für Klars überraschende Absage ist offenbar die heutige Ausgabe der Boulevardzeitung “B.Z.” (siehe Ausriss mit Unkenntlichmachung von uns). Unter der Überschrift “KLAR DA!” zeigt die kleine Berliner Schwester der “Bild”-Zeitung auf der Titelseite und im Blatt “exklusiv” mehrere offenbar gestern vorm Berliner Ensemble aufgenommene Paparazzi-Fotos von Christian Klar (“die ersten Fotos von ihm seit 17 Jahren!”).
Die Bilder und Texte in der “BZ” zum Thema sind ohne Hinweise auf Fotograf und Autor erschienen, denn der Veröffentlichung wird ziemlich sicher auch eine juristische Aufführung folgen. Klar hatte, nach seiner Freilassung aus der Haft kurz vor Weihnachten, die Veröffentlichung von Fotos untersagen lassen. Er wolle und werde nicht öffentlich auftreten.
Und die Nachrichtenagentur dpa berichtet unter Berufung auf Klars Anwalt, es sei “ein Berliner Medienrechtler eingeschaltet worden, der bereits eine Abmahnung an die ‘B.Z.’ geschickt habe. Er werde das Blatt auf Unterlassung, Schadenersatz und Vernichtung des Fotomaterials verklagen”.
Bei “Bild” glaubt man aber offenbar, diese Hintergrundinfos den Lesern vorenthalten zu können müssen.
Mehr zu “Bild” und ihrem Umgang mit Ex-Terroristen auch hier und hier und hier und hier und hier.
Mit Dank an Andreas F. für den Hinweis.
Nachtrag, 21.12 Uhr: Bezüglich der “B.Z.”-Fotos wurde laut “Tagesspiegel” inzwischen eine Unterlassungsverfügung erwirkt*, die eine erneute Verwendung der Fotos untersage.
*) Nachtrag, 10.1.2009: Dass Klars Anwalt tatsächlich bereits eine Unterlassungsverfügung “erwirkt” hat, können wir bislang nicht bestätigen. Die erneute Veröffentlichung der Paparazzi-Fotos von Christian Klar in “B.Z.” und “Bild” (mehr dazu hier) erweckt zudem einen anderen Eindruck.
So stand es gestern in der “Bild am Sonntag”. Und das mit der “Sender-Schlacht” ist sicher etwas übergeigt (tatsächlich kann man die neue RTL-Show nämlich auch ziemlich unbrisant finden, wie sich bei DWDL.de nachlesen lässt). Aber darum geht es gar nicht, sondern um das, was die Nachrichtenagentur AP daraus machte:
Diese AP-Überschrift fasst in etwa den Nachrichtenwert der “BamS”-Geschichte zusammen. Doch AP verbreitete die “BamS”-Geschichte nicht nur mehr oder weniger unkritisch weiter, sondern auch noch falsch. In der AP-Meldung heißt es nämlich:
In der niederländischen Sendung von RTL4 war im November laut “Bild am Sonntag” schon Peter Siener zu sehen, der bei “Wetten dass…?” mit einem durch die Nase eingezogenen Wasserstrahl aus seiner Tränendrüse zehn Kerzen gelöscht hatte.
Dabei hätte ein flüchtiger Blick in die “BamS” offenbart, dass die das gar nicht behauptet. Dort heißt es nämlich:
Im Februar 2004 lieferte Kandidat Peter Siener (35) einen der schrägsten Momente in der 27-jährigen “Wetten, dass..?”-Geschichte: Er löschte mit einem Wasserstrahl aus seiner Tränendrüse zehn Kerzen (…). Am 9. November 2008 sehen Millionen holländische Zuschauer dieselbe Wette in “Ik Wed Dat Ik Het Kann” – durchgeführt durch einen anderen Mann! (Hervorhebung von uns)
Bei AP hat man das in der Aufregung um die “Sender-Schlacht” offenbar überlesen – und die anderen haben sich nicht mal die Mühe gemacht, das zu merken.
Aber bei AP scheint man in diesen besinnlichen Tagen ohnehin etwas zur Aufgeregtheit zu neigen. Vorgestern schrieb AP über den Fehlstart eines Flugzeugs in Denver:
Die Boeing 737 der Continental Airlines kam beim Beschleunigen von der Startbahn ab, stürzte in eine Schlucht und fing Feuer.
Auch diese AP-Meldung findet sichnunindiversenMedien, und zum Teil haben die “Schlucht” und das “stürzen” es sogar in dieÜberschriftgeschafft(siehe Scrrenshots). Andere nennen die “Schlucht” hingegen wesentlich unaufgeregter “Graben” (oder auf Englisch: “ditch”) oder schreiben schlicht, die Maschine sei vonder Startbahn abgekommen. Das scheint den Vorfall dann doch etwas präziser zu beschreiben.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Sebastian M.
1. “Im mainstream der Raserdebatte” (moritzleuenberger.blueblog.ch)
Der schweizer Medienminister Moritz Leuenberger analysiert, wie seine Aussagen in einem Interview Schritt für Schritt boulevardisiert werden (“bin ich mit dem veröffentlichten Text des Interviews zufrieden”, “sehr viel zugespitzter erschien allerdings der Anriss auf der Titelseite”, “mit diesem hatte dann aber der Aushang der Zeitung gar nichts mehr zu tun”, “darauf meldete sich die Schweizer Tagesschau”, “ich bin auch ein Christoph Blocher”). Als “Medienschelte” möchte er seine Worte aber nicht verstanden haben. Verständlich, denn mit diesem nichtssagenden Schlagwort versehen die etablierten Medien jeden zweiten Blogeintrag Leuenbergers. So muss man sich nicht mit den Inhalten beschäftigen.
2. “Na, wie viele Klicks habt Ihr heute?” (in.focus.de, Jochen Wegner)
“Diese freundliche Frage bekommen Online-Journalisten oft zu hören und erkennen daran, dass sich ihr Gegenüber in den letzten Jahren nicht mit Reichweiten-Messung im Internet beschäftigt hat. Das ist im Zweifel auch besser so. Es gibt einfachere Beschäftigungen. Zwölftonmusik etwa. Oder Quantenphysik.” Der Chefredakteur von Focus Online startet in seinem Redaktionsblog eine mehrteilige Einführung in “Klicks”.
3. “Verlage fürchten um Abowerbung” (ftd.de, Friederike von Tiesenhausen und Jennifer Lachman)
“Die deutschen Verlage haben die vom Bundeskabinett beschlossene Beschneidung des Adresshandels scharf kritisiert. Diese untergrabe die Werbung neuer Leser und beschädige damit die Presse.”
Was sich am 29. November im Bremer Steintorviertel zutrug, fand die “Bild”-Zeitung offenbar so wichtig, dass sie dem Ereignis am 1. Dezember in ihrem Online-Angebot gleich zwei verschiedene Artikel widmete: einen eher nachrichtlichen und, wie man denken könnte, einen boulevardesken. Doch das wäre untertrieben.
Der eine Text erschien in der Leserreporter-Rubrik. “Leser-Reporter Florian G.” hatte “von oben” beobachtet und fotografiert, wie die Polizei Frankfurter Fußballfans einkesselte. Unter der Überschrift “Hier randalieren Hooligans” heißt es:
Polizisten fesseln Männer mit Kabelbindern, Festgenommene liegen am Boden und ein Block aus Hooligans wird von der Polizei umzingelt. Kunden flüchten verängstigt in die Geschäfte. Und das mitten in Bremen!
Randale beim Werder-Spiel gegen Frankfurt.
Es ging schon früh morgens los. Mit mehreren Bussen kamen die Chaoten in Bremen an. (…)
Plötzlich flogen Fäuste, brüllten Hooligans ihre Parolen. Die Stimmung wurde immer aggressiver. (…)
In den Taschen der Frankfurter Gewalt-Fans fanden die Beamten Sturmhauben, Abschussgeräte und Feuerwerkskörper. (…)
In dem anderen, eher nachrichtlichen Text, der auf der Eintracht-Frankfurt-Seite im Bundesliga-Ressort erschienen ist, steht indes quasi das Gegenteil:
238 Eintracht-Fans wurden vor dem Spiel bei Werder in Gewahrsam genommen, obwohl diesmal nichts vorgefallen war. (…)
Eintrachts ehemaliger Fan-Beauftragter Andreas Hornung empört: “Wir wurden wie Gangster behandelt. Wenn etwas vorgefallen wäre, dann wäre die Sache ja in Ordnung gewesen. So nicht.”
Und welche Version der Geschichte stimmt nun?
Nicht mal die Polizei selbst, die wegen ihres Vorgehens von Eintracht-Fans starkkritisiertwird, spricht von gewalttätigen Ausschreitungen, wie “Bild” sie nahelegt. In einer Pressemitteilung heißt es:
Für die dort formierten Einsatzkräfte war deutlich eine aggressive Stimmung aus dem Aufzug spürbar. (…) Es war offenkundig, dass man es darauf anlegte, Bremer Fans zu finden und sich mit diesen körperlich auseinander zusetzen. (…) Nachdem zunächst ein äußerst lauter Böller an der Sielwallkreuzung zur Explosion gebracht worden war, ging die Gruppierung in breiter Front über die Fahrbahn durch das Steintorviertel. (…) Darüber hinaus hätte es ohne Zweifel beim Aufeinandertreffen mit Bremer Fans eine körperliche Auseinandersetzung gegeben. (…) Im Steintor ließen sie nach den Ingewahrsamnahmen u.a. diverse Böller, Sturmhauben, Mundschutze, Abschussgeräte für Signalmunition inkl. Kartuschen und weitere Pyrotechnik (Selbstlaborate) zurück. (…)
Es bleibt festzustellen, dass es nach dem konsequenten Einschreiten der Polizei für ein Fußballspiel dieser Größenordnung in der Stadt absolut ruhig blieb.
So gesehen meint “Bild”-Chef Kai Diekmann, wenn er sagt, Leserreporter-Einsendungen würden sorgfältig überprüft und nachrecherchiert, offenbar etwas anderes, als das, was man landläufig darunter versteht.
Mit Dank an Mario G. für den sachdienlichen Hinweis.
Da war Dirk Hoeren, “Bild”-Experte für Rentenlügen, wohl etwas voreilig. Gestern nachmittag nämlich veröffentlichte “Bild” im Online-Angebot einen Text von ihm (und gab laut “FR” eine Vorabmeldung heraus), wonach die Deutsche Rentenversicherung 44,5 Millionen Euro “möglicherweise verzockt” habe. Wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt, lautete die Überschrift offenbar zunächst:
Rentenversicherung verzockte 44,5 Millionen Euro bei Lehman
Das ist natürlich eine Geschichte, mit der man derzeit eine Menge Aufmerksamkeit* erregen kann. Selbst dann, wenn sie nicht stimmt.
Dass sie nicht stimmte, weiß inzwischen offenbar auch “Bild”. Die Überschrift des “möglicherweise-verzockt”-Textes wurde auf Bild.de inzwischen entschärft und lautet nur noch:
Rentenkasse legte Millionen bei Pleite-Bank an
Die Rente ist sicher:
“Krumnack [Erster Direktor der Rentenversicherung Rheinland] zu BILD: ‘Das Geld ist durch den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes der deutschen Banken geschützt. Wir rechnen damit, dass die Einlagen plus Zinsen bis zum Jahresende ausgezahlt werden.'”
Dass die Millionen offenbar über den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken geschützt sind, erfährt der Leser allerdings erst in einem zweiten Anlauf Artikel zum Thema (siehe Kasten), der es heute immerhin auf die Titelseite der gedruckten “Bild” geschafft hat:
Das große “Uff”, mit dem da der Aufreger in sich zusammensinkt, ist jedoch nicht mal eine Neuigkeit. Im Gegenteil: Man hätte das alles schon seit 14. Oktober in einer Bundestagsdrucksache (pdf) nachlesen können (und seit gestern auch in einer Mitteilung des Bundestags). Dirk Hoeren hat das offenbar versäumt.
Ganz aufgeben mochte die “Bild”-Zeitung ihren Alarmismus heute aber doch noch nicht und schreibt:
Inwiefern allerdings “Termineinlagen in verschiedenen Stückelungen” spekulativ sind, weiß wohl nur “Bild”. Oder auch nicht: Termineinlagen unterliegen nämlich, anders als zum Beispiel Aktien, keinem Kursrisiko. Und weil die Einlagen außerdem durch den Einlagensicherungsfonds geschützt sind, hat die Rentenversicherung sichergestellt, was “Bild” korrekt referiert: “dass ein Wertverlust ausgeschlossen ist”.
Der “Bild”-Artikel endet dennoch mit den Worten des “FDP-Finanzexperten Frank Schäffler”:
“In der Finanzkrise haben nicht nur die Banken, sondern auch die Sozialkassen versagt. Auch die Rentenversicherung muss ihr Risikomanagement bei Geldanlagen dringend verbessern.”
Und vielleicht finden “Bild” und ihr Experte ja bei Gelegenheit auch einen Beleg für diese Behauptung.