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Nostradamus, Twitter und Cannabis

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

Bis zum 11. Januar gibt es hier ein ungewöhnliches Experiment: BILDblog und die Deutsche Journalistenschule organisieren die Urlaubsvertretung von Ronnie Grob – Schüler der 50sten und 51sten Lehrredaktion der DJS werden in den nächsten Tagen täglich sechs besondere Links auswählen und im BILDblog und auf djs-online.de vorstellen. Heute ausgewählt von Charlotte Haunhorst und Julius Lukas.

1. “Liveblog zum Weltuntergang 2012”
(Science Blogs, Florian Freistetter)
Florian Freistetter bloggt live über den nicht stattfindenden Weltuntergang. Dazu wird mit obskuren Verschwörungstheorien abgerechnet: “Zur Zeit macht die Geschichte die Runde, das Nostradamus prophezeit hätte, die Welt würde untergehen, wenn das Video von ‘Gangnam-Style’ eine Milliarde Aufrufe bei YouTube hätte. (…) Angeblich soll Nostradamus folgendes geschrieben haben: ‘Vom stillen Morgen wird das Ende mit einem tanzenden Pferd kommen, wenn die Zahl der Kreise neun beträgt.’ (…) Klingt beeindruckend konkret, oder? Und deswegen kann es nur ein Fake sein. Denn Nostradamus Prophezeiungen sind viel, aber nie konkret.”

2. “Entwicklungsland Deutschland: Bei sozialen Netzwerken zwischen Mexiko und Tunesien”
(Wirtschaftswoche, Michael Kroker)
46% der Deutschen verweigern sich sozialen Netzwerken. In Tunesien sind es nur 7%.

3. “Jill Abramson Explains The Digital Strategy Of The New York Times”
(San Francisco Chronicle, Video, 6:04 Minuten, Englisch)
Die Chefredakteurin der “New York Times” erzählt von den Veränderungen durch den neuen Newsroom ihrer Zeitung. “The focus and energy of the newsroom in the past was a little bit too much focused on the print product”, so Abramson.

4. “Twitter übergibt Nutzern persönliches Archiv”
(Zeit Online, Patrick Beuth)
Die 500 Millionen Nutzer von Twitter können in Zukunft ihre Tweets archivieren. Auch Forschern bietet die Funktion neue Möglichkeiten.

5. “Rolf-Dieter Krause ist ‘Journalist des Jahres 2012′”
(medium magazin)
Der Leiter des ARD-Studios in Brüssel wurde von einer 70-köpfigen Jury ausgewählt. In der Begründung heißt es: “Zudem nimmt er auch im Brüsseler EU-Apparat kein Blatt vor den Mund, kämpft für eine freie, unbeeinflusste Berichterstattung und gegen EU-PR.”

6. “Schon die Tora kennt Cannabis”
(Jüdische Allgemeine, Chavie Lieber)
Kiffen ist koscher — das zumindest sagt Yosef Needleman. In seinem Buch “Cannabis Chassidis” beschäftigt er sich mit dem bisher ungeklärten “jüdischen Zugang zu Cannabis”.

Hinweis/Korrektur: Ursprünglich hatten wir “Cannabis” nur mit einem “n” geschrieben, das ist jetzt korrigiert.

Das Ende ist nah

Eine gute Eigenschaft hat er ja, dieser ganze Weltuntergangs-Wahnsinn: Er ist befristet.

Sobald die Welt am Morgen des 22. Dezember aufwacht, sich träge aus dem Bett schält und beim Blick in den Spiegel merkt, dass ja doch noch alles dran ist, spätestens dann haben hoffentlich auch die Medien die Schnauze voll.

Aber bis es so weit ist, jagen sie noch mal alles raus, was sie in die Finger kriegen. Irgendwas, egal, Hauptsache “Weltuntergang” kommt drin vor, am besten in Kombination mit Sex, Satanisten oder Aliens. Das mit der ernsthaften Berichterstattung haben die Journalisten bei dem Thema ohnehin längst weitgehend aufgegeben.

Für die optischen Dramatisierung äußerst beliebt: Der Kalenderstein der Maya. Haben Sie sicher schon mal gesehen. Auf Bild.de zum Beispiel:Die letzten Vorbereitungen für den Weltuntergang

Das steht wirklich im Maya-Kalender

Was Sie machen sollten, bevor die Welt untergeht

Der Kalender der Maya prophezeit den Weltuntergang am 21. Dezember

Oder auf “Focus Online“:Der Maya-Kalender, der das Ende der Welt am 21. Dezember 2012 verheißt, verlieh dem mexikanischen Tourismus Flügel.

Oder auf Express.de:
Kalender zu Ende - am 21.12.2012 geht die Welt unter

Oder auf WDR5.de:
Das Dramolett: Der Maya-Kalender endet 2012

Oder auf Stern.de:

Video: Wieso am 21. Dezember die Welt untergeht

Oder bei “Welt (Online)”, hier, hier, hier, hier oder hier:

Wissenschaftler sagt Weltuntergang 2012 ab

Blöd nur: Das auf den Bildern ist gar nicht der Kalender der Maya. Es ist ein Kalender der Azteken.

Nikolai Grube, Professor für Altamerikanistik und renommierter Maya-Forscher der Uni Bonn, schreibt uns auf Anfrage:

Das ist der aztekische Kalenderstein, 1000 km und 700 Jahre von den klassischen Maya entfernt … Das ist so, als würden Sie zur Illustration des Reichstagsgebäudes eine osmanische Moschee aus Izmir zeigen. Solche Fehler sagen viel über die Kenntnisse und den Respekt der Medienmacher für fremde Kulturen aus. Es gibt nicht eine Abbildung des Maya-Kalenders, sondern mehrere tausend. Der Maya-Kalender ist eine Idee, er ist eine bestimmte Form der Zeitrechnung und liegt deshalb tausenden von Hieroglypheninschriften zugrunde.

Diesen Unterschied zu erkennen, dafür hätte schon ein kurzer Blick in die Wikipedia genügt.

Aber vielleicht gelingt es den Medien ja in den verbleibenden sieben Tagen, selbst da noch einen draufzusetzen.

Mit Dank an Stefan B.

Das ganze Problem

Der Autobauer Opel wird ab dem Jahr 2016 keine Autos mehr in Bochum bauen.

“Zeit Online” weiß, woran es liegt:

Die meistverkauften Automodelle in Europa heißen VW Golf, VW Polo, Ford Fiesta, Renault Clio, Ford Focus und Peugeot 207.

Opel ist nicht darunter.

Damit ist das ganze Problem der deutschen General-Motors-Tochter schon beschrieben. Mercedes, BMW und Porsche finden sich zwar auch nicht unter den Topsellern – aber sie sind eben auch keine Massenhersteller. Opel dagegen baut schon lange keine Oberklasse mehr.

Es ist nicht nur das “ganze Problem” von Opel, es ist auch der Anfang eines längeren Textes, der die “Managementfehler” aufzählt, die für ein “miserables Image” von Opel verantwortlich sind.

Ein Text, der etwas an Wirkung verliert, wenn man weiß, dass sein Anfang auf recht wackligen Beinen steht.

Denn das hier sind laut einer Pressemitteilung (PDF) von Jato, dem laut eigenen Angaben “weltweit führenden Anbieter von Automobildaten”, die meist verkauften Autos in Europa im Oktober:

Und das die meist verkauften Autos in Europa von Januar bis Oktober 2012:

Der angeblich so erfolgreiche Peugot 207 taucht in der Top 10 nicht mal auf. Und unter den Marken, die in Europa im bisherigen Jahresverlauf bisher die meisten Autos verkauft haben, kommt Opel (zusammengerechnet mit den baugleichen Modellen von Vauxhall) sogar auf Platz 3.

Klar: Opel hat viele Probleme. Dass seine Modelle nicht unter den meistverkauften Automodellen in Europa auftauchen, gehört allerdings (noch) nicht dazu.

Mit Dank an Andre F.

Marken-Artikel

Dies ist die Geschichte von einem kleinen Stück Papier. Und davon, wie die “Bild”-Zeitung aus dem kleinen Stück Papier eine ganz große Sache machte.

Die Geschichte beginnt am 25. Oktober. An diesem Tag erscheint in der Dresdner Regionalausgabe dieser Artikel:

Rentner finden 3-Millionen-Marke auf dem Flohmarkt!

Auf dem berühmten Dresdner Elbe-Flohmarkt fanden Rentner Reinhold Hoffmann (70) und Lebensgefährtin Bärbel (71) unter all dem Plunder und Trödel eine unheimlich seltene Briefmarke.

Opa Reinhold: “Bärbel kaufte vor zwei Jahren wie so oft am Elbufer für 20 Euro zwei Kilo alte Briefmarken. Als ich diese auf dem Küchentisch ausbreitete, stockte mir der Atem!”

Und zwar zurecht: Denn allem Anschein nach lag dort auf dem Küchentisch der Hoffmanns eine absolute Rarität: die “Benjamin Franklin One Cent” mit Z-Grill!

Und weil Ihnen das vermutlich genauso wenig sagt wie uns, als wir erstmals davon hörten, hier nun ein kurzer Exkurs in das weite Feld der Philatelie: Im 19. Jahrhundert war es beim U.S. Postal Service für wenige Jahre üblich, ein Muster in die Briefmarken zu prägen, eine Art Wasserzeichen, das die Wiederverwendung von bereits gebrauchten Marken verhindern sollte. Im Englischen werden diese Einprägungen “Grill” genannt. Es gibt davon verschiedene Varianten, etwa den “A-Grill”, den “F-Grill” — oder eben den “Z-Grill”. Das Vorgehen war übrigens nicht sonderlich erfolgreich: schon bald verschwanden die Grill-Briefmarken also wieder und wurden zu Sammlerstücken.

Die “One Cent”-Marke mit Z-Grill ist heute eine der seltensten Marken der Welt, bisher sind nur zwei als echt zertifizierte Exemplare bekannt. Deshalb beträgt der aktuelle Katalogwert auch stolze drei Millionen Dollar. Nur zum Vergleich: von der berühmten “Blauen Mauritius” gibt es noch zwölf Exemplare, im Katalog kommt sie auf vergleichsweise geringe 625.000 Euro.

Nun aber zurück zu “Opa Reinhold”. Ob der auf dem Flohmarkt tatsächlich einen Z-Grill gefunden hat, muss natürlich erst noch geprüft werden.

Das Echtheitszertifikat kann in diesem Fall jedoch nur die ‘Philatelic Foundation’ in New York ausstellen.

… zitiert “Bild” einen Briefmarken-Experten. Und schlussfolgert:

Die Marke der sächsischen Flohmarkt-Fans muss nun also zum Vergleich mit dem Original in die USA.

Es gibt allerdings einen kleinen Haken:

Und das ist Opa Reinholds Dilemma: “Ich habe nur 600 Euro Rente. Damit kann ich mir die Reise und die Prüfgebühr nicht leisten.” Verzweifelt suchen sie jetzt einen Sponsor.

Mit dieser rührenden Szene endet der Artikel. Danach passiert ein paar Tage lang gar nichts. Doch nachdem auch die “Dailymail” in ihrer Online-Ausgabe über den Fall berichtet hat, erkennt “Bild” offenbar das Potenzial der Story und hebt sie am 2. November groß in die Bundesausgabe:

Rentner findet 2,5-Mio.-Briefmarke auf dem Flohmarkt

Plötzlich springen auch etliche andere Medien darauf an und berichten über die “Sammlersensation vom Flohmarkt”.

Ob es sich aber tatsächlich um die wertvolle Rarität handelt, steht immer noch nicht fest. “Bild” schreibt:

Offiziell muss die Echtheit der One-Cent-Marke noch von der “Philatelic Foundation” in New York bestätigt werden. Ohne ein Zertifikat dieser Stiftung kann die Marke nicht in einem Auktionshaus verkauft werden.

Die Experten hierzulande sind allerdings schon mal hin und weg:
Profis von Millionen-Marke begeistert

Bild.de hatte die Marke von “Gutachter Klaus Finthe” untersuchen lassen.

Flinthe fasziniert: “Sie ist zu 99 Prozent echt, womöglich wertvoller als die Blaue Mauritius. Eine Fälschung ist unwahrscheinlich.”

Um aber, so betont Bild.de einen Tag später erneut, …

(…) die 100-prozentige Echtheit einer Marke festzustellen, ist ein Besuch in New York unumgänglich. Denn nur die Expertise der “Philatelic Foundation” bestätigt, dass es sich um ein Original handelt. Eine Reise, die Reinhold Hoffmann auch noch vor sich hat.

Aber gab’s da nicht noch ein Problem? Ach ja:

Reinhold Hoffmann (70) und Lebensgefährtin Bärbel (71) suchten einen Sponsor, um an die Expertise der “Philatelic Foundation” New York zu kommen. Denn nur diese bestätigt die Echtheit.

Doch dank der bundesweiten Aufmerksamkeit gibt es für die “Briefmarken-Millionäre”, wie Bild.de sie nun schon nennt, eine gute Nachricht: Ein Verlag für Briefmarken-Zubehör bietet an, “den Rentner Hoffmann sowohl zu betreuen als auch finanziell zu unterstützen” und will “alle anfallenden Kosten für die Reise in die USA übernehmen”. Auch der Verlag erklärt noch mal das Ziel der Reise: “Jetzt muss die One-Cent-Marke noch von der ‘Philatelic Foundation’ in New York (USA) auf ihre Echtheit überprüft werden.”

Reinhold Hoffmann und seine Lebensgefährtin treffen derweil schon mal die ersten Vorbereitungen:

Doch heute geht das Paar erst einmal zur Meldestelle, beantragt einen neuen Reisepass. Reinhold: “Mein alter ist fast abgelaufen, genügt für den Flug nach New York nicht mehr.”

Und dann, am 27. November, ist es so weit. Der Höhepunkt der Geschichte rückt näher. Endlich treten Herr Hoffmann und ein paar Leute von “Bild” die langersehnte Reise an. Endlich kann die Briefmarke auf Echtheit geprüft werden. Endlich geht es mit dem Flugzeug nach …

London:

Jetzt brachte er seine Marke persönlich nach London – zur Wertermittlung. BILD begleitete ihn!

Seltsam. Da wird “Bild” nicht müde, immer und immer und immer wieder zu betonen, dass “nur die ‘Philatelic Foundation’ in New York” das Echtheitszertifikat ausstellen kann, dass die Marke “ohne ein Zertifikat dieser Stiftung (…) nicht in einem Auktionshaus verkauft werden” kann und “ein Besuch in New York” damit “unumgänglich” ist – und plötzlich geht die Reise nicht in die USA, sondern nach England. Und die Marke wird nicht der “Philatelic Foundation” vorgelegt, sondern der “Royal Philatelic Society”.

Wir haben beim Verlag, der die Reise gesponsert hat, nachgefragt, woher der plötzliche Kurswechsel kommt, allerdings wollte uns dort niemand eine Stellungnahme abgeben.

Aber: Wir hätten da eine mögliche Erklärung. Vielleicht haben Herr Hoffmann und “Bild” die Briefmarke nicht zu den Experten in New York gebracht, weil die schon einen Monat zuvor mitgeteilt hatten, dass es auf keinen Fall die berühmte Rarität sein könne.

Denn schon am 26. Oktober, also einen Tag nachdem “Bild” zum allerersten Mal über den Fund berichtet hatte, und eine Woche bevor die “Bild”-Maschinerie dann so richtig anlief, schrieb die “Huffington Post”:

Reinhold Hoffmann, ein Rentner, der der deutschen Zeitung “Bild” berichtete, er habe eine 3-Millionen-Dollar-Briefmarke gefunden, hat nun wohl einen Grund auszurasten: Die “Philatelic Foundation” sagte, die Marke sei weniger als 100 Dollar wert.

“Wir haben ihm mitgeteilt, dass es nicht der Z-Grill ist”, sagte David Petruzelli von der Foundation der Huffington Post am Freitag. “Er hat uns einen guten Scan davon zugeschickt. Es ist nicht die Briefmarke.” (…)

Aber die Foundation sagte, sie habe ihm geschrieben, er solle sich nicht damit herumquälen [einen Sponsor zu suchen und nach New York zu fliegen]. Die Marke sei es nicht mal wert, daran zu lecken, jedenfalls nicht im Vergleich zu drei Millionen Dollar. “Ich habe mein Bestes gegeben, ihm zu erklären, dass es nicht die Briefmarke ist”, sagte Petruzelli. “Wir wollten nicht, dass er sich die Mühe macht.”

Petruzelli sagte, schon viele Sammler seien auf eigene Kosten [nach New York] geflogen, nur um enttäuscht zu werden. (…) Hoffmanns Fund sei wahrscheinlich ein F-Grill, der (…) weit weniger wert sei als der Z-Grill. In diesem Zustand schätzte er den Wert der Marke auf einen Bruchteil des Katalogwertes von derzeit 475 Dollar.

(Übersetzung von uns)

Gut, man könnte jetzt argumentieren, dass ja immerhin ein deutscher Gutachter, nämlich Klaus Flinthe, “begeistert” und “fasziniert” von der Marke war (wir erinnern uns: “Sie ist zu 99 Prozent echt, womöglich wertvoller als die Blaue Mauritius”).

Doch derselbe Klaus Flinthe wird in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift “Briefmarken Spiegel” so zitiert:

“Also erstmal bin ich kein Gutachter”, so Flinthe am Telefon. “Und zweitens sind die Sätze vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe zwar erwähnt, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine echte, also schlichtweg um eine nicht gefälschte Briefmarke handelt, die auch echt gelaufen sein dürfte. Aber ich habe nie behauptet, dass es sich um die besagte Rarität handelt. Dies könnte ich ja auch gar nicht beurteilen.” Dazu in der Lage wäre einzig die Philatelic Foundation.

Und was die gesagt hat, wissen wir ja nun.

Wolfgang Jakubek, ein bedeutender Philatelist und weltweit anerkannter Experte für US-Briefmarken, sagte dem Fachblatt, ein Fund könne “natürlich nie ganz” ausgeschlossen werden, “allerdings sei dieser außerhalb der USA extrem unwahrscheinlich, erst recht in einer Kiloware”. Auch der Verlag, der den Flug nach England gesponsert hatte, geht laut “Briefmarken Spiegel” mittlerweile davon aus, “dass die Marke nicht die erhoffte Marke ist”.

Nur “Bild” lässt sich weiterhin nicht beirren. Dort erwähnen sie all das mit keinem einzigen Wort und spinnen stattdessen fröhlich das Märchen vom Flohmarkt-Schatz weiter. Und das ist durchaus ergiebig: Sechs Artikel konnten “Bild” und Bild.de bisher daraus stricken. Netter Lesestoff über Wochen hinweg, nationale und sogar internationale Medien schenkten der Geschichte und damit der Zeitung ihre Aufmerksamkeit.

Klar, ein Besuch bei den New Yorker Fachleuten – oder auch bloß die Erwähnung von deren Einschätzung – hätte dem Märchen ein ziemlich jähes Ende bereitet. Da fliegt man doch lieber zu anderen Experten, die nicht schon öffentlich verkündet haben, dass die Marke nichts wert ist. Zum Beispiel nach London.

Dort soll die Prüfung übrigens bis zu einem halben Jahr lang dauern. Doch bis dahin ist die “2,5-Millionen-Marke” wahrscheinlich schon wieder in Vergessenheit geraten. Und “Bild” wird nicht mal mehr schreiben müssen, dass die Geschichte vom “Sammlerglück” ohne Happy End auskommen musste.

Mit großem Dank an Björn T., Jürgen K. und Markus R.

Turbulenzen-Turbulenzen

Ein Flugzeug der italienischen Fluggesellschaft Neos ist auf dem Weg von Havanna nach Mailand in heftige Turbulenzen geraten und hat ordentlich an Höhe verloren.

Wie viel, ist nicht ganz klar: Die für gewöhnlich gut informierte Website “The Aviation Herald” schreibt von “etwa 1.000 Fuß”, was rund 305 Metern entspräche. Die Nachrichtenagentur Associated Press hatte zunächst von “3.000 Metern (10.000 Fuß)” geschrieben, war aber auf “1.000 Meter (3.300 Fuß)” umgeschwenkt, nachdem der “Corriere della Serra” einen Vertreter der Airline mit den Worten zitiert hatte, dass die Maschine erst 500 Meter in die Höhe gestiegen und dann auf 500 Meter unter der ursprünglichen Flughöhe abgesackt sei — die Maschine also insgesamt 1.000 Meter abgesackt sei.

Bild.de entschied sich ebenfalls für die 1.000-Meter-Variante, hat aber bei der Art des Flugzeugs völlig den Faden verloren: Zunächst schrieb die Seite, es habe sich um eine “Boeing 731” gehandelt. Ein Maschine solchen Typs hat Boeing allerdings nie gebaut, die Flugnummer lautete “NO731″.

Bild.de hat sich also korrigiert und schreibt jetzt von einer ”Boeing 737*)”:

*)In einer früheren Version des Artikels war irrtümlicherweise eine Boeing 731 genannt. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen

Nur: Eine Boeing 737 kann maximal bis zu 215 Passagiere aufnehmen, an Bord waren aber 268, drei Piloten und sieben Besatzungsmitglieder.

Tatsächlich hat es sich laut “Aviation Herald” und dpa um eine 767-300 gehandelt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 16.10 Uhr: Das ging schnell: Im Artikel ist jetzt von einer “Boeing 767-300*)” die Rede, in den Bildunterschriften steht immer noch “Boeing 731 sackte 1000”.

Hinweis/Korrektur, 21. November: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir im zweiten Absatz geschrieben, dass 1.000 Fuß “rund 330 Metern entspräche”. Das war ein Denkfehler. Richtig sind 305 Meter, wie jetzt oben stehen.

Torschusspanik

Zlatan Ibrahimovic, Fußballer in der schwedischen Nationalmannschaft, hat der Fußballwelt am Mittwoch einen kollektiven Dauerorgasmus verpasst. Im Spiel gegen England verwandelte er, nachdem er schon drei Tore geschossen hatte, zur Krönung noch einen unglaublichen Fallrückzieher aus 25 Metern Tor-Entfernung. Noch im selben Augenblick war klar: Dieser Treffer wird in die Geschichte eingehen.

Fans und Medien sind seitdem völlig aus dem Häuschen. Die deutsche Presse kniete geschlossen nieder, betete das Zlatanunser und kürte den Treffer nicht nur zum Tor des Tages, sondern auch wahlweise zum Tor des Jahres, des Jahrzehnts, des Jahrhunderts oder des Jahrtausends. Um es auf den Punkt zu bringen: ein unvergleichliches Ereignis.

Nur die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” will den einmaligen Charakter des Treffers nicht so recht anerkennen. Dort erinnert sich Sportredakteur Uwe Marx nämlich heute daran …

(…) dass es mal einen Spieler gab, der nicht nur aus fünfundzwanzig, sondern gleich aus vierzig Metern per Fallrückzieher traf. Es war auch ein Schwede, Rade Prica, der mal bei Hansa Rostock gespielt hat. Er hatte im Spiel für Rosenborg BK gegen den FC Basel tatsächlich mal die Unverfrorenheit, es aus noch größerer Entfernung als Ibrahimovic zu versuchen – und zu treffen.

Der Haken an der Sache ist allerdings: Wir haben keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass es diesen Treffer jemals gegeben hat. Fraglich ist sogar, ob die Mannschaften Rosenborg BK und FC Basel überhaupt je gegeneinander gespielt haben. Und auch Rade Prica hat in seiner Karriere zwar schon gegen so manchen Verein auf dem Platz gestanden, der FC Basel war jedoch nie dabei.

Wie kommt Uwe Marx also darauf? Höchstwahrscheinlich stützt er seine Aussage auf folgendes Video:

Und das zeigt nicht etwa ein einen realen Treffer, sondern einen Ausschnitt aus dem Videospiel (!) “Pro Evolution Soccer”.

Damit wäre der Favorit für den “Tor des Jahres” schon mal klar.

Mit Dank an Patrick S. und Ole S.

Nachtrag, 13.07 Uhr: FAZ.net hat den angesprochenen Absatz gelöscht und folgende Korrektur veröffentlicht:

Der Text wurde nachträglich korrigiert. In einer ersten Fassung wollten wir die Leistung Ibrahimovics schmälern mit dem Verweis auf ein Fallrückziehertor von Rade Prica. Der Schwede soll nach unserer Darstellung einmal aus 40 Metern mit dieser Art des Kunstschusses  in einem Spiel von Rosenborg Trondheim gegen den FC Basel getroffen haben. Offenkundig  sind wir dabei einer Täuschung erlegen. Prica traf so elegant lediglich in einem auf Youtube verbreiteten Video, das eine Szene aus einem Spielkonsole-Duell wiedergab. Wir bitten deshalb um die Nominierung dieses Treffers für das Tor des Jahrhunderts im Bereich Spielekonsole und bitten zugleich um Nachsicht für den Fehler.

Nachtrag, 26. November: Auf Papier hat sich die FAZ (am 19. November) für folgende Korrektur — und ein Passiv an entscheidender Stelle entschieden:

Eines schon mal vorneweg: Das Fallrückzieher-Tor von Zlatan Ibrahimovic ist der spektakulärste Treffer, der in dieser Kategorie je dokumentiert wurde. Ibrahimovic hatte im Länderspiel der Schweden nicht nur alle vier Treffer zum 4:2 erzielt, sondern auch den sensationellen Schlusspunkt gesetzt, als er akrobatisch aus 25 Metern getroffen hatte. Dass wir Rade Prica in einer Partie von Rosenborg Trondheim gegen den FC Basel einen noch spektakuläreren Treffer zugetraut haben, hätte eingefleischte Anhänger von Hansa Rostock wohl sofort stutzig gemacht. In Diensten von Hansa hatte Prica einst manche Chance ausgelassen. Was also für die computeranimierte Version eines realen Tores gehalten wurde, war in Wirklichkeit doch nur ein Kunstschuss aus der virtuellen Welt, entstanden auf dem Videokonsolenspiel “Pro Evolution Soccer 2011”. Auch schön zwar, aber eben nur dank besonderer Fingerfertigkeit und nicht wegen einer bemerkenswerten Körperbeherrschung entstanden. Wir ziehen das Büßerhemd über, bewundern Ibrahimovic uneingeschränkt und trauen Prica weiterhin alles zu. Auch in der Realität.

Atomkraft, nein danke

Medien wie Bild.de und “Focus Online” berichteten am Donnerstag:

Neben dem Altkraftwerk in Datteln darf der Stromkonzern Eon auch sein Kraftwerk Shamrock in Herne befristet weiter betreiben.

Die Überschrift sah so aus:

Atomkraftwerk Shamrock darf weiter laufen

Für die Bewohner des Ruhrgebiets war das eine unangenehme Überraschung: Bisher galt das Kraftwerk Shamrock als Steinkohlekraftwerk.

Das ist es auch weiterhin, denn von einem “Atomkraftwerk” war in der eigentlichen Meldung keine Rede.

Quelle für die Artikel bei Bild.de, “Focus Online” und anderswo war der Landesdienst NRW der Deutschen Presse Agentur (dpa). Doch dessen Meldung war unter der korrekten Überschrift “Auch Altkraftwerk Shamrock darf weiter laufen” über die Ticker gegangen.

Was war also passiert?

Die dpa erklärte uns auf Anfrage, in den eigentlichen dpa-Tickern sei die Meldung richtig überschrieben gewesen, es handle sich offensichtlich um einen Übertragungsfehler bei der Belieferung von Onlineportalen.

Entsprechend sei das mitgelieferte Symbolfoto eine “Fortsetzung des Fehlers”:

Ein Warnschild steht vor dem Kühlturm eines Atomkraftwerkes.

Nach unserer Anfrage hatte die dpa den Fehler in ihrem System korrigiert, bei Bild.de ist in der Überschrift und der Bildunterschrift jetzt von einem “Altkraftwerk” die Rede. (Das Foto zeigt allerdings weiterhin das Atomkraftwerk Isar 1 2* in Bayern, das mit der Meldung ohnehin nichts zu tun hat.)

Das war am frühen Freitagabend.

Bei “Focus Online” sieht die Meldung heute immer noch so aus:

Atomkraftwerk Shamrock darf weiter laufen

Mit Dank an Franziska K.

*) Nachtrag, 13.30 Uhr: Erstaunliche Erkenntnis am Rande: Der Kühlturm, der immer wieder gerne bei Artikeln zum Kernkraftwerk Isar 1 gezeigt wird, gehört zum Kernkraftwerk Isar 2.

Mit Dank an Martin B.

Pressereisen, Kampfdrohnen, BBC

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Luxusreisen des Thyssen-Managers auf Firmenkosten”
(welt.de, Jörg Eigendorf)
Mit Journalisten der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, der “Süddeutschen Zeitung”, des “Tagesspiegel”, der “NRZ” und der “Rheinischen Post” fährt Jürgen Claassen, Mitglied des Vorstands der ThyssenKrupp AG, auf luxuriöse Pressereisen. Siehe dazu auch “Wenn Journalisten eine teure Reise tun” (welt.de, Jan-Eric Peters).

2. “Rundum sorglose Journalisten”
(dradio.de, Adalbert Siniawski)
Eine Pressereise deutschsprachiger Journalisten nach Warschau: “Der Organisator von der PR-Agentur zieht eine positive Bilanz. Alle Journalisten, die in Warschau auf der Pressereise mit dabei waren, werden in ihren Berichten den Namen des Luxushotels nennen. Reklame im redaktionellen Beitrag, das ist die Zukunft – so der PR-Berater.”

3. “Journalismus aus dem Automaten”
(czyslansky.net, Tim Cole)
“Im Journalismus der Zukunft”, hat Tim Cole gelernt, “gibt es keine Leser mehr, nur noch Nutzer”. “Nein, der Redakteur wird nicht bei Focus Online per Click bezahlt. Soweit sind wir noch nicht. Die Leistungskomponente der Redaktion, also das, was es am Jahresende zusätzlich zum Grundgehalt gibt, sei an gewisse Traffic-Kennzahlen gekoppelt, sagt Schlott.”

4. “Kurzer Fakten-Check: Lufthansa und die Kampfdrohnen”
(augengeradeaus.net, Thomas Wiegold)
Schon seit 2011 bilde die Lufthansa Drohnen-Piloten der Luftwaffe der Bundeswehr aus, schreibt “Bild”. Thomas Wiegold dagegen: “Die Lufthansa bildet nicht wirklich Drohnen-Piloten der Bundeswehr aus, und schon gar nicht für Kampfdrohnen.”

5. “Entwistle: I am doing everything I can”
(news.bbc.co.uk, Audio, 15:11 Minuten)
John Humphrys konfrontiert den inzwischen zurückgetretenen BBC-Generaldirektor George Entwistle mit Fehlern in der Sendung Newsnight.

6. Wie “Spiegel Online” über einen Unfall von Bradley Wiggins berichtet, im Locktext und im Artikel
(facebook.com, Screenshots)

MDR Sachsenspiegel, Ronaldo, Grower

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Rettet die Pressefreiheit!”
(petertauber.wordpress.com)
Politiker Peter Tauber kommentiert aktuelle Mediendebatten: “Leute! Jeden Tag rufen Pressesprecher in Redaktionen an, versuchen Infos weiterzugeben, Geschichten zu platzieren, Hinweise auf vermeintlich falsche Darstellungen zu geben, Hintergrundinfos zu liefern und zu erreichen, dass der Laden für den sie arbeiten, möglichst gut dargestellt wird. Das ist ihr Job. Und dabei kommt es sicherlich auch vor, dass sie sich mal im Ton vergreifen. Journalisten treiben das umgekehrte Spiel und lassen sich für die entsprechenden Infos auch darauf ein, mal was ‘Nettes’ zu schreiben. Für eine gute Geschichte macht man eben Kompromisse. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass Journalisten eine Story schon fertig hatten, aber nur noch den Namen eines Politikers suchten, dem sie ihre ‘Zitate’ in den Mund legen konnten.”

2. “Verkehrte Welt: Zwischen Wahlpartys und Gelassenheit”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Alexander Krei hat sich die US-Präsidentschaftswahlnacht auf verschiedenen TV-Sendern angeschaut. Die Analysen von RTL sind ihm dabei als “wohltuender Kontrast zur Dauer-Wahlparty” auf ARD und ZDF aufgefallen.

3. “Sensationsmeldung des Focus: Christiano Ronaldo tippt auf Lionel Messi”
(hogymag.wordpress.com)
Focus.de verwechselt Cristiano Ronaldo und Ronaldo.

4. “MDR Sachsenspiegel: Shitstorm wegen Dynamo-Symbolbild”
(flurfunk-dresden.de, owy)
Nach Kritik an einer Symbol-Grafik räumt der MDR Sachsenspiegel ein, dass diese “nicht optimal ist und zu Missverständnissen führen kann”: “Wir bedauern das und werden daraus intern Konsequenzen ziehen.”

5. “Haiti ist die schlechtere Show”
(zeit.de, Alexandra Endres)
Alexandra Endres versucht zu erklären, warum auch Zeit.de kaum über die Folgen des Hurrikans Sandy für karibische Länder berichtet hat, auch wenn diese “viel, viel schlimmer” waren, “als sie für die New Yorker je sein könnten”. “Die USA sind uns näher als die Entwicklungsländer der Karibik. Wegen der nahenden Präsidentschaftswahlen war die Aufmerksamkeit der Medienhäuser ohnehin dorthin gerichtet. Und was lag näher, als die Korrespondenten in der Zwangspause, die Sandy dem Wahlkampf verschaffte, über den Sturm berichten zu lassen?” Siehe dazu auch “Zynische Nabelschau” (nzz.ch, René Grossenbacher).

6. “Immer auf die Grower”
(hanfjournal.de)

7000 Gründe für ein Leben als Single

Der Markt der Online-Singlebörsen ist heiß umkämpft. Um den eigenen Namen möglichst weit zu verbreiten, veröffentlichen Partnervermittlungen regelmäßig sogenannte “Studien” zu irgendwelchen absurden Liebes- und Sex-Themen — in der Hoffnung, dass die Medien darauf anspringen.

Auch die Verkupplungsseite “Elitepartner.de” verbreitet solche (größtenteils nicht-repräsentativen) “Studien” am laufenden Band.

Viele Medien greifen die Ergebnisse jener Umfragen seit Jahren dankbar auf. Ein besonders eifriger Abnehmer der “Studien” von “Elitepartner” ist Bild.de: Dort schreiben sie die Pressemitteilungen geringfügig um, verpacken sie als eigene Artikel und versehen sie mit Überschriften, die suggerieren, es sei tatsächlich eine hochwissenschaftliche Studie durchgeführt worden. (Ihren vorzeitigen Höhepunkt erreichte diese Beziehung übrigens am 10. Juli 2009, wo innerhalb von neun Stunden auf Bild.de stolze 17 Artikel erschienen, die auf Umfragen von “Elitepartner” beruhten.)

Gerne übernimmt Bild.de auch die Zitate der Psychologin Lisa Fischbach, verschweigt aber ebenso gerne, dass sie zu “Elitepartner” gehört und nennt sie stattdessen einfach nur “Diplom-Psychologin”, “Paarberaterin”, “Flirt-Coach”, “Beziehungsexpertin” oder “Single-Coach”.

Und so schleicht sich “Elitepartner” mit seinen merkwürdigen Umfragen immer und immer wieder in den redaktionellen Teil von Bild.de:

9. Januar 2007:
Wann Flirten wirklich funktioniert

Im Artikel wird übrigens neun Mal auf folgende Seite verlinkt:
Premium-Mitglied werden - jetzt ohne Aufnahmegebühr. Exklusiv für Bild.T-Online.de-Leser

7. August 2007:
Diese Berufe sind wirklich sexy

12. März 2008:
Berliner Singles sind Kultur-Fans

13. Mai 2008:
Was bei der Partnerwahl wirklich zählt

Read On…

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