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Miami Vize

Gary Foster, ein früherer Mitarbeiter des amerikanischen Finanzdienstleisters Citigroup, ist angeklagt, über 19 Millionen Dollar unterschlagen und auf sein eigenes Konto überwiesen zu haben. Vielleicht tröstet ihn da ja ein wenig, dass er von den deutschsprachigen Medien nachträglich ganz an die Spitze seiner Bank befördert wurde.

Ursprung der Falschmeldung dürfte dieser Bericht der Nachrichtenagentur “Reuters” sein:

Ex-Citi-Spitzenmanager soll Bank 19 Mio Dollar gestohlen haben

(…) Ein früherer Spitzenmanager der US-Bank Citigroup soll dem Geldhaus rund 19 Millionen Dollar gestohlen haben. Dem einstigen Citi-Vizepräsidenten Gary Foster werde vorgeworfen, zwischen Mai 2009 und Dezember 2010 das Geld von Citi-Konten auf seine eigenen umgeleitet zu haben, teilten die US-Anklagebehörden am Montag mit.

Zwar ist es korrekt, dass Foster den Titel “Vice President” – oder, um genau zu sein, “Assistant Vice President” – führte, aber das bedeutet noch lange nicht, dass der durch den deutschen Begriff Vizepräsident korrekt übersetzt ist. Im amerikanischen Firmen gibt es nämlich zahlreiche Vice Presidents (BILDblog berichtete), deren untere Ränge mit einem einfachen Abteilungsleiter vergleichbar sind. Ein dem deutschen Verständnis eines Vizepräsidenten entsprechender Senior Executive Vice President bzw. Deputy President steht bis zu sieben Stufen über dem ehemaligen Assistant Vice President Gary Foster:

  1. Senior Executive Vice President (SEVP) = Deputy President
  2. Executive Vice President (EVP)
  3. Group Vice President (GVP)
  4. Senior Vice President (SVP)
  5. Corporate Vice President (CVP) – First Grade Executive Officer (or VP of old type company)
  6. First Vice President (FVP)
  7. Vice President (VP)
  8. Assistant or Associate Vice President (AVP)

Und während Gary Foster von der “New York Times” korrekt als “midlevel accountant in Citigroup’s Long Island City back office” bezeichnet wird, beförderten ihn deutschsprachige Medien durchweg zum “Ex-Citigroup-Vize”, “Ex-Citi-Vize”, “ehemaligen Spitzenmanager”, zur “ehemaligen Führungskraft” oder gar zum “Ex-Citi-Spitzenmanager”. Einzig die “Financial Times Deutschland” ordnet Foster korrekt dem “mittleren Management” zu.

Mit Dank an Frank (danke auch für den tollen Reim).

Nachtrag, 18:03 Uhr: Tagesschau.de und “Spiegel Online” haben sich inzwischen korrigiert und weisen jeweils am Ende des Artikels transparent darauf hin. Bei “Spiegel Online” scheint sich die Korrektur aber hauptsächlich auf die Überschrift zu konzentrieren. Im Teaser und im Text ist immer noch die Rede von einem “früheren Spitzenmanager” und “einstigen Top-Manager”.

“Nie mehr Springer. Nie mehr Burda.”

Jörg Kachelmann, vergangene Woche vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochener Wetterexperte und Ex-TV-Moderator, hat der “Zeit” ein langes Interview gegeben.

Es ist ein beeindruckendes, beklemmendes Gespräch (nachzulesen auf der Website des “Handelsblatts”), in dem Kachelmann mit sich selbst, vor allem aber mit den deutschen Medien und der Justiz in Baden-Württemberg hart ins Gericht geht.

In den Zeitungen stand viel Unsinn. Bild schrieb zum Beispiel: Kachelmanns Verteidiger schlug auf den Richtertisch. Das ist nicht wahr. Er schlug nicht. Er brüllte auch nicht. Die Geschichte vom brüllenden Verteidiger ist eine Erfindung durchgeknallter Medien. Die sagten sich wohl: Hui, der wird ja freigesprochen, jetzt fällt der Spannungsbogen unserer Geschichte aber ab, jetzt nehmen wir den Anwalt und bauschen ihn zum Krawallmacher auf! Und niemand korrigiert das dann, niemand berichtigt die Bild- Zeitung, obwohl alle anderen drinsitzen und auch sehen, dass er weder gebrüllt noch auf den Tisch geklopft hat, sondern jeder Journalist hält diese Falschmeldungen für einen passenden Beleg.

Kachelmann schildert seine surreal erscheinende, fast filmreife “Flucht” vor den Paparazzi: Im Auto seiner Verteidigerin wurde er aus dem Gerichtsgebäude gebracht, in dem er soeben freigesprochen worden war, über rote Ampeln verfolgt, ehe er sich durch Parkhäuser, Hinterhöfe und Großraumbüros schlug, um am Ende auf der Rückbank liegend, “die Beine im Fußraum, über meinem Kopf so eine Fitness-Gummimatte” der Presse-Meute zu entkommen.

DIE ZEIT: Über Sie weiß man ja schon alles.
Jörg Kachelmann: Ja, mich erpresst niemand mehr. Das ist fast schon beruhigend. Die anderen müssen noch immer Angst haben vor dem unheimlichen, strafenden Gott, der in der Inkarnation von Bunte, Bild oder sonst wem anruft und sagt: “Wir haben Fotos von Ihnen. Wir bringen die Bilder sowieso, aber schön wäre, Sie würden noch etwas dazu sagen.” Es gibt Bild- Journalisten, die glauben, dass sie Gott sind. Deswegen rufen die mich immer noch an, auch heute noch. Nie mehr Springer. Nie mehr Burda.

Von Kachelmanns Medienbeschimpfung findet sich – erwartungsgemäß – in der Kurzzusammenfassung des Interviews bei Bild.de: kein Wort.

Kachelmann im "Zeit"-Interview: "Ich habe Fehler gemacht, ich habe Frauen belogen"

Mit Dank auch an Daniel W.

Nachtrag, 22 Uhr: handelsblatt.com hat das Interview wieder offline genommen. Wir versuchen herauszufinden, ob nur vorübergehend.

Nachtrag, 13. Juni: Das Interview steht jetzt bei “Zeit Online” online.

Wie dränge ich ein Land aus der Eurozone?

Nachdem BILDblog vor einem Jahr aufgezeigt hatte, wie man erfolgreich gegen ein Land aufhetzt, ist es nun Zeit für die Königsdisziplin: Der ultimative Leitfaden für das Herausdrängen eines Landes aus der Eurozone — veranschaulicht anhand einiger ausgesuchter Artikel von “Bild” und Bild.de aus den vergangenen vier Wochen:

1. Stellen Sie rhetorische Fragen, die entweder nicht zu beantworten sind oder deren Antworten eigentlich schon klar sind. Wichtig: Bereits die Fragestellung muss eine Provokation beinhalten.

Etwa so:

EU zögert mit finanzieller Hilfe: Muss Griechenland die Akropolis verkaufen?

Oder fragen Sie:

EIN JAHR NACH DER STAATSPLEITE Haben die Griechen die Kurve gegriecht?

Sorgen Sie außerdem mit Fragen wie “Was machen die anderen Euro-Versager?” dafür, dass klar ist, dass Sie Griechen für Versager halten, auch wenn Sie es nicht konkret ansprechen.

Oder fragen Sie:

Nach Berichten über Ausstiegs-Pläne: Macht Griechenland den Euro kaputt?

2. Damit sind wir auch schon beim zweiten Punkt: Verwenden Sie möglichst symbolische Bilder. Hier: Ein Foto der alten griechischen Währung neben einer griechischen Euromünze unterstreicht Ihre Forderung nach der Rückkehr der Griechen zur Drachme.

3. Heizen Sie Spekulationen, dass Griechenland aus dem Euro austreten wolle, fleißig selbst mit an:

Angeblich Krisen-Gipfel Steigt Griechenland aus dem Euro aus? Premier Papandreou will möglicherweise eigene Währung einführen

EU-Geheimtreffen nach Gerüchten: Wie ernst meinen es die Griechen mit dem Euro-Austritt?

Verschweigen Sie anschließend unbedingt, dass es sich bei den “Gerüchten” um eine unbestätigte Falschmeldung von “Spiegel Online” gehandelt hatte.

4. Natürlich gilt wieder: Lassen Sie fast ausschließlich “Top-Ökonomen” zu Wort kommen, die sich negativ über Griechenland äußern — oder in anderen Worten: Lassen Sie fast ausschließlich Hans-Werner Sinn zu Wort kommen:

Top-Ökonom Hans-Werner Sinn "Griechenland muss aus dem Euro raus!"

ifo-Chef Hans Werner Sinn: Griechenland muss wieder wettbewerbsfähig werden

Ignorieren Sie dabei völlig, wenn Ihr Experte seine Position anderswo später relativiert:

Er fordere nicht den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Gerade erst hat Sinn gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” einen Austritt Griechenlands als “das kleinere Übel” bezeichnet. Dies sei aber keine Empfehlung gewesen, präzisiert er nun, er habe lediglich die Möglichkeiten aufgezählt; die Journalisten neigten dazu, Dinge zu überspitzen.

Sollte doch einmal ein Verteidiger zu Wort kommen, dann kompensieren Sie diesem Umstand am besten mit einer krawalligen Überschrift:

Ex-Minister Theo Waigel: Euro-Gefahr Griechenland: "Wir können die Griechen nicht einfach rauswerfen" sagt Ex-Minister Waigel

5. Als flankierende Maßnahme empfiehlt es sich, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone auch ganz unverblümt und direkt in Kommentaren zu fordern. Etwa so:

Kommentar: Bye, bye, Griechenland

6. Lassen Sie Ihre bereits aufgehetzten Leser zwischendurch auch gerne über eine Frage abstimmen, bei der das Ergebnis dank Ihrer einseitigen Berichterstattung ohnehin schon klar ist: “Soll Griechenland raus aus der Euro-Zone?”

Fühlen Sie sich in Ihrer Kampagne bestätigt, wenn 84 Prozent diese Frage mit “Ja” beantworten!

7. Geben Sie Aussagen von Experten wie dem Ökonom Thomas Straubhaar möglichst verzerrt wieder, sodass es aussieht, als müsste Griechenland austreten, um nicht so unterzugehen wie seinerzeit die DDR:

Top-Ökonom spekuliert Endet Griechenland wie die DDR? Gauweiler fordert Ausscheiden Athens aus dem Euro - Noch mehr Geld aus Brüssel?

Man beachte das harmonische Zusammenspiel von rhetorischer Frage (siehe 1.) und Symbolbild (siehe 2.).

Ignorieren Sie, dass Straubhaar in Wahrheit das exakte Gegenteil dessen gesagt hatte — nämlich dass ein Austritt für Griechenland einen ähnlichen Niedergangseffekt haben könnte, wie er in der Endphase der hochverschuldeten DDR zu beobachten war.

8. Sie können den Niedergang der Wirtschaft des Landes, das Sie loswerden wollen, sogar selbst beschleunigen. Berichten Sie einfach darüber, dass Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen, damit noch mehr Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen:

Griechen bringen ihr Geld auf deutsche Konten

9. Berichten Sie über die durch die Sparmaßnahmen hervorgerufenen Streiks stets so, als wären die Griechen zu faul zu arbeiten:

Europa stützt Griechenland mit Milliarden Euro, die nächste Hilfsaktion ist in Vorbereitung – doch die Griechen weigern sich weiter, den Gürtel richtig eng zu schnallen. Stattdessen gehen sie wieder auf die Straße.

Unterstützen Sie dies durch weitere Schlagzeilen:

Griechenland-Krise: Griechen-Streiks kosten 11 Milliarden Euro ...aber Athen baut neue Formel-1-Strecke!

10. Nutzen Sie überhaupt jede Gelegenheit, um Missstände unter Verwendung wenig repräsentativer Extrembeispiele anzuprangern. Wichtig: Ignorieren Sie dabei alle bisher gemachten Fortschritte und scheuen Sie sich nicht vor schalen Wortspielen!

Euro: Darum kriechen die Griechen nie aus der Krise +++ 18 Monatsgehälter +++ Doppel-Pensionen +++ Prämie für Händewaschen und Pünktlichkeit +++ Freie Tage haben 28 Stunden +++ 800 Politiker wollen Millionen-Gehaltsnachschlag +++

11. Berichten Sie groß darüber, wenn sich ein Politiker dazu hinreißen lässt, etwas zu sagen, was auch von Ihnen stammen könnte:

Merkel erhöht Druck auf Europas Schuldenstaaten Griechen sollen weniger Urlaub machen

Ignorieren Sie dabei jegliche Kritik innerhalb Deutschlands — etwa von der Opposition oder Wirtschaftsexperten und Wirtschaftsjournalisten, die das Gegenteil belegen können.

Berichten Sie stattdessen über die Reaktion im betroffenen Land. Denken Sie dabei immer daran, dass alle Aussagen, die Ihnen nicht passen, als “Pöbelei” bezeichnet werden müssen:

Nach Standpauke: Griechen pöbeln gegen Merkel. Fleiss-Appell unseren Kanzlerin löst Empörung aus ++ Lage in Griechenland immer desolater

Viel Erfolg! Ihre Leser werden die bemitleidenswerten Opfer Ihrer Kampagne so schnell wie möglich loswerden wollen, die Politik wird sich Ihnen womöglich anschließen.

Spiegel Online, Henri-Nannen-Preis, ESC

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die nützliche Falschmeldung vom Euro-Austritt”
(zeit.de, Yanis Varoufakis)
Yanis Varoufakis schreibt in seinem Blog mehrere Texte zum “Spiegel”-Artikel “Griechenland erwägt Austritt aus der Euro-Zone”. Marcus Gatzke übersetzt den neusten: “Der in der deutschen Politik bestens vernetzte Spiegel wollte zusammen mit bestimmten Kreisen in der deutschen Regierung – vor allem des Bundesfinanzministeriums – ein Signal an das Kanzleramt und den griechischen Ministerpräsidenten senden.”

2. “Das Vorabendgrauen zum Eurovision Song Contest”
(faz-community.faz.net/blogs/fernsehblog, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier schaut “ein Programm voller Verzweiflung und zum Verzweifeln”, nämlich die “Show für Deutschland” auf ARD, in der Frank Elstner die deutsche Kandidatin für den ESC 2011, Lena Meyer-Landrut, befragt. Ausschnitte daraus auf YouTube (Video, 2:31 Minuten).

3. “Abschreibejournalismus kommt in Mode”
(theeuropean.de, Martin Eiermann)
Martin Eiermann fragt, wie viel “New York Times” in “Spiegel Online” steckt: “Der Bericht, dass 600 Hunde in Afghanistan und dem Irak im Einsatz sind? Die Neuanschaffung von vier Kampfwesten für die Vierbeiner? Die interne Einschätzung des Militärs, welche Hunderassen besonders geeignet für den Kampf gegen Mann und Maus seien? Alles in der New York Times nachzulesen und akkurat im SPIEGEL zitiert. Google Translate hätte es besser nicht machen können.”

4. “Die Geschichte vom traurigen Dinosaurier”
(journalist.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg präsentiert die Patientenakte der “Frankfurter Rundschau”: “Die Zahl der Abonnements ist in nur fünf Jahren um fast ein Drittel eingebrochen, auch der Einzelverkauf bröckelt. Im Zehnjahresvergleich sehen diese Werte noch dramatischer aus: Mehr als 40 Prozent beträgt der Verlust beim Abo, der Einzelverkauf hat sich mehr als halbiert.”

5. “Interview mit Oliver Gehrs zum Eklat beim Henri-Nannen-Preis”
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Nach der Erklärung der Jury des Henri-Nannen-Preises zur Aberkennung eines gerade verliehenen Preises wird in deutschen Medien ausführlich diskutiert, siehe dazu Texte von “Spiegel Online”, Stefan Winterbauer, Wolfgang Michal, Hans Leyendecker, Harald Martenstein, Matthias Dell und anderen. Oliver Gehrs meint: “Die Maßstäbe, die da nun plötzlich angelegt werden, sind ja eher zufällig und der ganze Eklat kam nur zustande, weil René Pfister auf der Bühne die Wahrheit ausgesprochen hat. Wenn man die ganzen preisgekrönten Reportagen der vergangenen Jahre anschaut, wird man womöglich viele Passagen finden, die ähnlich zustande gekommen sind.”

6. “Balken-Sonnenbrille bietet Sonnen- und Persönlichkeitsschutz”
(neuerdings.com, Frank Müller)
Die Sonnenbrille “Paparazzi Shades” kostet 12 US-Dollar.

Bin Laden zu Tode geshopt

hihi, BILD macht einen auf BILDBlog RT @Doener: Wirbel um falsches Bin-Laden-Foto: http://bit.ly/m7gSYc

So lautet ein Tweet, der bei Twitter aktuell die Runde macht.

Gemeint ist ein Artikel auf Bild.de, der nach mehreren Änderungen so aussieht:

Al-Qaida-Chef tot Der Beweis: Osama-Foto ist eine Fälschung Osama bin Laden Wirbel um falsches Foto Das Foto zeigt deutlich: Hier wurde retuschiert

Damit liegt Bild.de, wo das gefälschte Foto genauso wie auf n24.de, ntv.de, sueddeutsche.de und web.de zwischenzeitlich zu finden war, richtig und inzwischen berichten auch “Spiegel Online”, sueddeutsche.de oder tagesschau.de über das falsche Foto. Wer einen starken Magen hat, kann sich die einzelnen Komponenten der Montage, die schon seit Jahren durch das Netz geistert, etwa hier ansehen: Un fake la foto di bin Laden morto

Auf abendblatt.de findet man das vermeintliche Bild des toten Terroristenführers trotzdem noch — nebst moralischer Rechtfertigung für die Veröffentlichung dieses “mutmaßlich historischen Dokuments”:

Der tote Osama bin Laden auf einem Fernsehbild. Das Hamburger Abendblatt und abendblatt.de zeigen normalerweise keine Bilder von Toten. Die Redaktion hat sich jedoch entschlossen, dieses mutmaßlich historische Dokument zu veröffentlichen. Ähnliches hatte zum Beispiel für den hingerichteten Diktator Saddam Hussein gegolten.

Wie schwer sich Bild.de dann doch tut, selbst einmal Medienkritik zu üben, erkennt man nicht nur an der Steffen-Seibert-Gedächtnis-Überschrift, unter der der Artikel ursprünglich erschienen ist:

Obama-Foto ist eine Fälschung

Ebenfalls in der Ursprungsversion stand folgende inzwischen unauffällig entfernte Passage:

Doch, was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte: Das Foto ist eine Fälschung!

Schon 2008 trat der damalige US-Präsident George W. Bush mit dieser Foto-Montage vor die Presse, verkündete die Nachricht: Bin Laden ist tot!

Etwas derartiges hat Bush nie verkündet. Hier ist Bild.de höchstwahrscheinlich selbst auf eine weitere Fotomontage hereingefallen, die die amerikanische Online-Satirezeitung “Unconfirmed Sources” für den Fakenews-Artikel “Bush Confirms Death of Osama bin Laden” angefertigt hatte:

Bush Confirms Death of Osama Bin Laden

Aus diesem meist nur im Cache lesbaren Artikel dürfte auch die oben genannte Fotomontage der Leiche bin Ladens, die heute morgen noch so fleißig verwendet wurde, stammen. Der Name der Fotodatei, 20060923-torturedosama, weist darauf hin, dass das gefälschte Bild und die Falschmeldung über den angeblichen Presseauftritt von George W. Bush schon seit dem 23. September 2006 im Umlauf sind.

Das mit dem BILDbloggen sollte Bild.de noch üben.

Mit Dank an die Hinweisgeber.

Lira Bajramaj, Brandanschlag, WAZ

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die veränderten Interview-Zitate”
(blogs.taz.de/hausblog, Maria Rossbauer)
Fußball: Das Management von Lira Bajramaj schreibt ein Interview mit der Nationalspielerin neu: “Es schien fast so, als wollten sie Bajramaj nicht so haben, wie sie uns im Gespräch vorkam: Witzig, temperamentvoll und durchaus eine Meinung vertretend.”

2. “Strohfeuer um fiktiven Brandanschlag”
(oldenburger-lokalteil.de, Maik Nolte)
Maik Nolte blickt zurück auf einen von den Medien als “Anschlag” bezeichneten Brand in Ahlhorn vor einem halben Jahr. Für die Staatsanwaltschaft habe sich “kei­ner­lei Anhalts­punkte dafür erge­ben, dass Tier­schüt­zer, dritte Per­so­nen, die Fami­lie Gro­te­lü­schen selbst oder der Wach­mann den Papier­korb ange­steckt haben”.

3. “ZDF dementiert: Gottschalk-Nachfolge völlig offen”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die WAZ verschickt nach einem Interview mit ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut eine Pressemitteilung mit der Überschrift “Nur Kerkeling und Pilawa haben noch Chancen auf Gottschalk-Nachfolge”. Das ZDF dementiert und spricht von einer Falschmeldung.

4. “Spielen Japans Medien die Atomkrise herunter?”
(zeit.de, Georg Blume)
Japanische Journalisten halten sich mit Kommentaren zur Einschätzung der Lage am Kernkraftwerk Fukushima zurück. “Viele der besser informierten” in Japan würden auf ausländische Medien und Webseiten zurückgreifen. “Besondere Aufmerksamkeit finden in Tokyo die Grafiken von Spiegel Online und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien, die genau die Ausbreitung der radioaktiven Wolke von Fukushima nachzeichnen.”

5. “Die heulen ja gar nicht!”
(medien-monitor.com, Agnes Heitmann)
Deutsche Journalisten können die gefassten Reaktionen der Japaner auf die Katastrophe nicht nachvollziehen. Agnes Heitmann fragt: “Sind wir vielleicht diejenigen, die sich befremdlich verhalten?”

6. “Wie Frauen flirten”
(graphitti-blog.de, katja, Grafik)

Inszenierungen, ICorrect, Dirndl

6 vor 9

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1. “Inszenierungen nehmen zu”
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Für den abtretenden Vorsitzenden der Bundespressekonferenz, Werner Gößling, sind nicht nur die Politiker für für Inszenierungen verantwortlich, sondern auch die Medien, die “sehr schnell” darauf eingehen: “Wenn ein Minister mit dem Fahrrad vorfährt oder sich ein Verteidigungsminister bei den Soldaten in Pose setzt, dann werden diese Bilder sofort gezeigt.”

2. “Stimmt ja gar nicht”
(taz.de, Julia Niemann)
Julia Niemann stellt die Website icorrect.com vor. “Dort können Prominente, und solche die sich oder ihr Unternehmen dafür halten, Falschmeldungen korrigieren – gegen Gebühr.”

3. “Sport Bild-Watch (16)”
(el-futbol.de, Sidan)
“Sport Bild” weiß ein wunderbares Geschenk für Lothar Matthäus zum 50. Geburtstag: “Trainer bei Bayern München – als Nachfolger von van Gaal”. Außerdem: Das “Beschreiben-einer-Person-per-Einstreuen-einer-völlig-abwegigen-und-unpassenden-Information”. “Über Jupp Heynckes heißt es, nach dem eine Aussage von ihm wiedergegeben wurde, folgendes: ‘Das darf man dem 65-jährigen, den ein künstliches Kniegelenk stützt, ruhig glauben.'”

4. “Bild bei Schlecker – ‘Nicht mit uns!’ sagt der Wettbewerb”
(mediatribune.de)
“Nach Informationen von Media Tribune will die Axel Springer AG das Verkaufsstellennetz für ihr Flaggschiff Bild jetzt um 8.000 bis 8.500 Schlecker-Filialen ausbauen.”

5. “Wie sich die Krone von einem Dirndl provoziert fühlt”
(kobuk.at, Marlene Altenhofer)
Die Politikerin Alev Korun habe die österreichische Trachtentradition verspottet, weil sie in einer Sitzung des Nationalrats ein Dirndl trug, schreibt die “Kronen Zeitung”.

6. “Here’s a Washington Post Story With All the Editor’s Notes In It”
(gawker.com, englisch)
“The Washington Post mistakenly posted this health story by Laura Ungar online with ALL OF THE EDITOR’S ALL-CAPS NOTES INCLUDED.”

Das Khan doch nicht wahr sein!

Wenn eine Geschichte zu schön klingt, um wahr zu sein, dann stehen die Chancen hoch, dass sie schlichtweg nicht wahr ist.

Die Geschichte, wonach Karl-Theodor zu Guttenberg die letzten Worte seiner Rücktrittsrede ohne Quellenangabe aus dem Film “Star Trek II — Der Zorn des Khan” abgeschrieben haben soll, war dementsprechend auch nicht wahr. Der Journalist Daniel Bröckerhoff hat in seinem Blog dokumentiert, wie sich die Falschmeldung vor allem via Twitter verbreitete und es dort bis in den Twitter-Account der “taz” schaffte (die den Fehler inzwischen irgendwie eingestanden hat).

Das alleine wäre schon peinlich genug, aber wenn die Causa Guttenberg eines gezeigt hat, dann: es geht immer noch peinlicher — und mindestens eine MetaEbene ist immer drin.

Die “Hamburger Morgenpost”, einschlägig aufgefallen bei ihrer ungekennzeichneten Weiterverwendung von Twitter-Witzen, veröffentlichte gestern die Kolumne “Moin Moin”, in der David Siems folgende Behauptung aufstellte:

Gute Laune bekam ich aber gestern Abend wieder, als ich “Star Trek II” sah: “Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht”, sagt der Klingone Khan. Häh? Karl-Theodor konnte es einfach nicht lassen …

Ergänzend dazu, dass Siems den besagten Satz im Film gar nicht gehört haben kann, ist Khan auch kein Klingone, sondern ein genetisch verbesserter Mensch.

Mit Dank an M.K.

Richard Gutjahr, Nickerchen, die Sonne

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zwischen Abstumpfung und Aufklärung”
(timklimes.de)
Sollen drastische Kriegsbilder in den Medien gezeigt werden, weil sie Nachrichtenwert haben? Tim Klimes befasst sich mit dieser Frage anlässlich der Fotoausstellung “Kunduz, 4. September 2009” im Literaturhaus München.

2. “Wir müssen uns mehr mit Menschen unterhalten, und nicht mit Pressestellen”
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene)
Daniel Fiene spricht mit Richard Gutjahr, der als freier Journalist aus Kairo berichtete. “Diejenigen, die keine Probleme damit hatten, dass gefilmt wurde, die haben sich sofort rund um diese Kameracrew aufgebaut und haben in die Kamera gebrüllt, haben irgendwie demonstrative Posen gerissen und dort also eigentlich ein völliges Zerrbild geliefert von dem, was wirklich los war. Deswegen kommt das im Fernsehen auch oft immer so aggressiv rüber. Denn, wenn die eine Kamera sehen, dann strömen die sofort drauf zu und ziehen da ihre Show ab.”

3. “BILD-Zeitung über Reutlinger Abgeordnete”
(tagblatt.de, Matthias Stelzer)
Im “Schwäbischen Tagblatt” dementiert FDP-Politiker Hagen Kluck, der über 30 Jahre für diese Zeitung arbeitete, eine “Bild”-Meldung, er habe im Landtag ein Nickerchen gemacht: “Alles Quatsch. Wenn ich schlafen will, mache ich das in einem der Klub-Sessel in der Lobby.”

4. “Die Sorgen eines Supermodels”
(swp.de, Dirk Hülser)
Eine Falschmeldung über Claudia Schiffer führt zu einer Gerichtsverhandlung um die Erstattung von 1034,11 Euro.

5. “Googles Sorgen mit einem gekränkten Autor”
(lawblog.de, Udo Vetter)
Auch Bastian Sick zieht vor Gericht. Gegen Google: “Wenig überraschend geht es im Verfahren des Buchautors Sick gegen Google um dessen Kernkompetenz: das geschriebene Wort. Genau gesagt um ein einziges Wort – ‘Satire’. Dieses Wort vermisste Sick, als er seinen Namen googelte”.

6. “Die Rückseite der Sonne”
(noemix.twoday.net)
“Welt Online” schreibt: “Erstmals in der Geschichte kann die Menschheit die gesamte Sonne beobachten.”

Bild, RTL  etc.

Aless Pocher… oder was?

Man darf Alessandra Pocher nicht “olle Crackbraut” nennen. Als Lügnerin wird sie sich aber womöglich bezeichnen lassen müssen. Und das kam so:

Im Mai 2009 rappte Sido bei der Verleihung des Musikpreises Comet über die Frau, die damals noch als Sandy Meyer-Wölden bekannt war, als “olle Crackbraut”. Er gab später eine Unterlassungserklärung ab. Alessandra Pocher aber forderte zudem 25.000 Euro Schmerzensgeld. In erster Instanz im vergangenen Sommer verlor sie. Das Gericht sah eine “substanzlose Blödelei” und keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz.

Alessandra Pocher legte Berufung ein, und so traf man sich im Dezember erneut vor Gericht, das einen Vergleich vorschlug: Sido solle 10.000 Euro für einen guten Zweck spenden, den Pocher bestimmen dürfe. Beide Seiten stimmten dem Vorschlag zu.

Es ist also, wenn man so will, ein Unentschieden: Sido zahlt, aber er zahlt nicht einmal die Hälfte dessen, was Frau Pocher gefordert hatte, er zahlt nicht an Frau Pocher, und er ist nicht zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden. Verschiedene Medien aber behaupten, sie hätte den Prozess gewonnen.

Die “Frankfurter Neue Presse” berichtete am 23. Januar von einer Benefiz-Gala für die Sophie-Scholl-Schule in Bad Nauheim:

Neben verschiedenen Firmen überbrachte auch Alessandra Pocher einen Scheck im Wert von 10 000 Euro. Geld, welches sie aus einem Prozessgewinn gegen den Rapper Sido bekam.

Vier Tage später schrieb “Bild” Köln:

In letzter Instanz gewann Sandy jetzt und zeigt ein großes Herz. Sie spendete die komplette Summe der integrativen Sophie-Scholl-Schule in Wetterau: “Ich freu mich, dass eine für mich so unangenehme Sache den Kindern hilft.”

Im RTL-Mittagsmagazin “Punkt 12” vermeldete Moderatorin Katja Burkard am selben Tag glücklich, Alessandra Pocher freue sich “wie verrückt”. Im Beitrag hieß es dann, in jeder Hinsicht falsch:

1:0 für Alessandra Pocher im Streit gegen Rüpel-Rapper Sido. Der muss jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld an die Ehefrau von Olli Pocher zahlen. (…) Alessandra Pocher bekam jetzt in letzter Instant recht und zeigte sich gleich großzügig. Die Summe spendete sie einer Schule.

Die Falschmeldung wurde — mitsamt Original-Rechtschreibfehler von Bild.de — u.a. von news.de und den Online-Ablegern von “Bunte” und “OK Magazin” kopiert.

Sido reagierte auf Twitter so:

Das Management von Alessandra Pocher blieb auf Nachfrage von BILDblog bei der falschen Darstellung vom juristischen Sieg über den Rapper — interessanterweise im Gegensatz zu Pochers prominentem Rechtsvertreter, der über den Vergleich auf seiner Homepage berichtet.

Sidos Anwalt sagte, er gehe gegen die Berichterstattung von “Bild” und RTL vor.

Nachtrag, 2. Februar. Bild.de hat den Artikel geändert, titelt nun “Wirbel um Alessandras Spende” und schreibt u.a.:

BILD hatte berichtet, dass Pochers Frau das Geld gespendet hat. Doch der Rapper legt Wert darauf, dass die Spende von ihm stammt.

Sido: “Weder hat Frau Pocher den Prozess gewonnen, noch hat sie Geld von mir erhalten. Ich war es, der den Betrag freiwillig gespendet hat.

Der Rapper weiter: “Wenn Alessandra selber Gutes tun will, kann sie gerne die gleiche Summe drauflegen und an die Schule spenden.”

Bei bunte.de wurde die Falschmeldung ohne Erklärung gelöscht.

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