Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Wild Wild Web – Der Pornhub Effekt (br.de, Audio, 5 Episoden)
In der ersten Staffel von “Wild Wild Web” hatten die Podcast-Macherinnen und -Macher ein höchst unterhaltsames und informatives sechsteiliges Feature über Kim Dotcom abgeliefert, einen der schillerndsten deutschen Internetunternehmer und Medienfiguren. Die zweite Staffel dreht sich erneut um einen Deutschen, der das Internet umgekrempelt hat: den Pornhub-Gründer Fabian Thylmann.
2. Bedroht, verfolgt, angegriffen – wir brauchen mehr Schutz! (journalist.de, Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz, Audio: 48:31 Minuten)
Beim “Druckausgleich”-Podcast für junge Medienschaffende geht es um Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in Zusammenhang mit der Corona-Berichterstattung: “Viele junge Journalist:innen erleben solche Situationen nun zum ersten Mal. Hat man sie darauf vorbereitet? Der ebenfalls noch junge Journalist Julius Geiler erzählt von seinen Erfahrungen auf Demos und erklärt, weshalb der Schutz von Reporter:innen nicht mit ihrem Einsatz vor Ort endet.”
3. #diepodcastin über Auszeichnungen (diepodcastin.de, Isabel Rohner & Regula Stämpfli, Audio: 49:13 Minuten)
Im feministischen Wochenrückblick der “Podcastin” sprechen Isabel Rohner und Regula Stämpfli gleich über mehrere Themen mit Medienbezug: über die italienische “Vogue”, den besten “Guerilla-Girl-Account auf Instagram” im deutschsprachigen Raum, einen “Machttext” zum Treffen von Annalena Baerbock mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow und die Attacken des Chef-Europakorrespondenten von “Politico” gegen die Historikerin Annika Brockschmidt.
4. studioM: Julian Assange – Staatsfeind oder Journalist? (wdr.de, Georg Restle, Video: 58:07 Minuten)
Anhand des Falls Assange diskutiert Georg Restle mit seinen Gästen über die Frage, was wichtiger ist: Der Schutz von Menschenrechten und Pressefreiheit oder der Schutz von Staatsgeheimnissen eines Machtapparates? Dazugeschaltet sind: Nils Melzer (UN-Sonderberichterstatter über Folter), John Kornblum (ehemaliger US-Botschafter in Deutschland), Herta Däubler-Gmelin (ehemalige Bundesjustizministerin) und Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs).
5. Wie funktioniert Lokaljournalismus für Millennials, Alexandra Haderlein? (wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:11:28 Stunden)
Die Plattform “Relevanzreporter Nürnberg” will “unabhängigen, konstruktiven Lokaljournalismus für Nürnberg und die Region” bieten. Bei “Was mit Medien” erzählt Chefredakteurin Alexandra Haderlein, wie das gelingt, wie es zu der Idee kam, und was sie und ihr Team noch vorhaben.
6. Presse mit Laura Müller Double reingelegt (youtube.com, Marvin, Video: 17:03 Minuten)
Youtuber Marvin Wildhage hat ein Experiment gestartet: Was würde passieren, wenn er das Gerücht streut, die Influencerin Laura Müller sei schwanger? Er hat dazu eine Doppelgängerin, einen Paparazzo namens “Ulkig” und eine angebliche Zeugin namens “Verkohlen” engagiert/erfunden, um seinen Lockstoff unter das Medienvolk zu bringen. Das Ergebnis: Einige Redaktionen schauten nicht genau hin und sprangen nur all zu gerne auf die Geschichte an.
Nordkorea, einst von vielen gefürchtet, taucht in der Berichterstattung heutzutage vor allem in einer Rolle auf: als Lachnummer.
Womit wir auch gleich beim “Stern” wären.
Der macht nicht nur eine ähnliche Entwicklung durch, sondern trägt auch immer wieder dazu bei, dass das niederträchtige Regime Nordkoreas eben nicht gefürchtet oder verachtet wird, sondern belächelt. Mit Geschichten wie dieser:
So steht es seit gut einer Woche bei Stern.de*. Im Artikel feixt die Autorin:
Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. Der Vater von Nordkoreas Oberstem Führer Kim Jong-un soll eine Leckerei erfunden haben, deren Ursprung eigentlich in der mexikanischen Küche liegt und liebend gerne von den feindlichen US-Amerikanern verspeist wird – den Burrito.
Denn die nordkoreanische Propagandazeitung “Rodong Sinmun” habe laut Stern.de behauptet, der Burrito sei ursprünglich im Jahr 2011 von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il erfunden worden. Auch dessen Sohn, der amtierende Diktator Kim Jong-un, habe ein ausgeprägtes Interesse an der Spezialität.
Als Quellen für die Story gibt Stern.de die Boulevardblätter “New York Post” und “The Sun” an.
Tatsächlich wareneszunächstenglischsprachigeMedien, die behaupteten, nordkoreanische Medien hätten behauptet, der Burrito sei eine Erfindung ihres geliebten Führers:
Sie alle berufen sich auf das Propagandablatt “Rodong Sinmun”:
The Rodong Sinmun newspaper, seen as a government mouthpiece, reported that the burrito was thought up in 2011 by Kim Jong-il – the father of current supreme leader Kim Jong-un.
Die Geschichte zog sofort große Kreise und landete schnell auch in deutschen Medien, etwa bei Stern.de oder News.de. Die “Südwest Presse” und ihre regionalen Ableger widmeten ihr sogar einen Platz auf der Titelseite:
Aber was ist dran an der Sache? Nun, auf der Internetseite von “Rodong Sinmun” findet man schnell den Originalartikel, auf den sich alle beziehen. Dort abgebildet: Ein nordkoreanischer Burrito-Stand im Winter, vor dem mehrere Menschen stehen (alle tragen eine Maske und scheinen darunter zu lächeln). Dazu heißt es:
An einem Stand kann man Menschen sehen, die mit Fleisch gefüllte Weizenkuchen essen, und Verkäuferinnen, die die Kunden freundlich über den Nährwert aufklären.
Diese harmonische Szene fügt ihrer Popularität Glanz hinzu.
Wann immer wir Zeuge solcher Szenen werden, erinnern wir uns mit tiefer Ergriffenheit an das Bild des Vorsitzenden Kim Jong Il, der sich bei seiner Führung durch die neu errichtete Werkstatt der Kumsong-Lebensmittelfabrik freute.
Als der Vorsitzende an einem mobilen Servicestand vorbeikam, wies er an, dass die Leute die gefüllten Weizenkuchen aufgewärmt servieren sollten.
Wir erinnern uns noch gut an seine Worte, dass es für unser Volk angenehmer wäre, im Sommer Mineralwasser und im Winter heißen Tee mit Weizenkuchen an den Ständen zu bekommen.
Der verehrte Generalsekretär Kim Jong Un, der die Geschichte der edlen Liebe des Vorsitzenden zum Volk weiterführt, hat ein ausgeprägtes Interesse für die Weizenkuchen, von der Herstellung bis zum Service, und ergriff entsprechende Maßnahmen.
In der Tat: Ein kleiner Stand für gefüllte Weizenkuchen ist mit der mütterlichen Liebe unserer Partei verbunden.
Allem Geschwurbel zum Trotz: Das Blatt behauptet nicht, dass Kim Jong-il 2011 den Burrito erfunden hat. Sondern dass er beim Besuch einer Lebensmittelfabrik (der 2011 stattfand) anwies, den Weizenkuchen lieber aufgewärmt zu servieren, vor allem im Winter.
Dass die amerikanischen und englischen Journalisten daraus etwas völlig anderes machen, und dass deutsche Journalisten den Quatsch einfach abschreiben und sogar auf die Titelseite packen, statt zwei Minuten zu recherchieren, ist aber keine Ausnahme, sondern eine liebgewonnene Tradition. Schauen wir nochmal in den einleitenden Absatz bei Stern.de:
Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. (…)
Nehmen wir die Einhörner, die das Regime laut Stern.de gefunden haben wolle. Eine Geschichte, die seit zehn Jahren immer wieder höhnisch erzählt wird. Dabei steckt dahinter, wie das Wissenschaftsblog “io9” bereits vor zehn Jahren berichtete, wohl schlicht ein Übersetzungsfehler:
Nein, die nordkoreanische Regierung hat nicht behauptet, Beweise für das Einhorn gefunden zu haben. (…) Die Behauptung bezieht sich stattdessen auf einen Ort namens Kiringul [der in Nordkoreas Mythologie eine bedeutende Rolle spielt]. Nordkorea hatte die Entdeckung bereits 2011 verkündet, aber erst vor Kurzem eine Meldung auf Englisch veröffentlicht. In dieser englischen Version wurde der Name des historischen Ortes, Kiringul, irrtümlich als “Einhorn-Höhle” übersetzt – ein sehr anregender Name für Leute aus dem Westen.
Ebenso anregend wie die “Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste”, die es bei News.de aktuell auch wieder in die Überschrift geschafft hat:
Im Artikel heißt es:
Bei seiner ersten Golfrunde soll Kim Jong-il, der verstorbene Vater des amtierenden Herrschers, gleich elf Hole-in-ones geschlagen haben. Eine wirklich besch***ene Idee war es wohl, zu behaupten, die Führer des Landes hätten keinen Stuhlgang. Dagegen ist die angebliche Entdeckung von Einhörnern doch direkt süß.
Ok. Also.
Zunächst der (Nicht-)Stuhlgang. Auch diese Behauptung hält sich seit vielen Jahren (nicht erst seit dem Film “The Interview”) hartnäckig in den Medien. Der älteste Artikel, den wir dazu finden konnten, erschien 2008 auf einer amerikanischen Listicle-Website, die sich auf Kim Jong-ils Wikipedia-Artikel berief. Dort fand sich tatsächlich mal eine (mittlerweile gelöschte) Passage, die lautete:
Überläufer werden mit der Aussage zitiert, dass nordkoreanische Schulen sowohl Vater als auch Sohn vergöttern, und lehren, dass sie nicht wie sterbliche Menschen urinieren oder defäkieren.
Als Quelle dafür wurde wiederum ein Buch angegeben, “The Aquariums of Pyongyang: Ten Years in the North Korean Gulag”, in dem ein nordkoreanischer Journalist sein Leben in einem Internierungslager beschreibt. Wirft man einen Blick in das Buch, stellt sich die Sache aber schnell ganz anders dar. Denn der Autor schreibt:
In meinen kindlichen Augen und denen aller meiner Freunde waren Kim Il-sung und Kim Jong-il perfekte Wesen, unbefleckt von jeder niederen menschlichen Funktion. Ich war wie wir alle davon überzeugt, dass keiner von ihnen urinierte oder defäkierte. Wer könnte sich so etwas bei Göttern vorstellen?
Das mit dem Stuhlgang ist also nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Umschreibung dafür, wie der Autor die scheinbare Göttlichkeit der Machthaber als Kind empfunden hat.
Dann die Geschichte mit dem perfekten Golfspiel, die Journalisten seit nunmehr fast 30 Jahren supergern erzählen, aber superungern überprüfen. Zurückzuführen ist sie auf einen 1994 im “International Herald Tribune” veröffentlichten Artikel. Dort schrieb der australische Reporter Eric Ellis über seine Reise nach Nordkorea und berichtete unter anderem von seiner (eigentlich eher nebensächlichen) Begegnung mit einem nordkoreanischen Golfer:
Mr. Park, der zugab, noch nie etwas von Arnold Palmer gehört zu haben, erklärte, dass der “Geliebte Führer” über 18 Löcher eine 34 spielte, darunter fünf Hole-in-Ones. “Er ist ein hervorragender Golfer”, sagte Mr. Park.
Im Laufe der Jahre wurde dieser Nebensatz von Journalisten immer weiter aufgeblasen – aus den fünf Hole-in-Ones wurden elf, irgendwann kamen noch 17 Bodyguards dazu, die dabeigewesen seien und alles bezeugen könnten, und vor allem wurden diese Aussagen nicht mehr irgendeinem Golfer zugeschrieben, sondern zu einer offiziellen Verlautbarung der nordkoreanischen Regierung erklärt.
“Ich bin verwirrt darüber, wie sich diese Geschichte verselbstständigt hat”, sagte Eric Ellis, der australische Reporter, im vergangenen Jahr in einem Interview. Eigentlich sei es ein “völlig unschuldiger, entwaffnender Moment” gewesen: Der nordkoreanische Golfer habe einfach Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen, darum habe er sich die absurde Geschichte mit den Hole-in-Ones ausgedacht.
Und knapp drei Jahrzehnte später wird sie immer noch erzählt – von kichernden Journalisten, die glauben, sie würden damit die Lachhaftigkeit der Nordkoreaner belegen, ohne zu merken, wen sie damit eigentlich entlarven.
Insbesondere bei Stern.de erscheinen immer wieder solche Geschichten. So behauptete das Portal 2014 zum Beispiel (neben vielen anderen Medien), dass männliche Studenten in Nordkorea laut staatlicher Verordnung nur noch eine einzige Frisur tragen dürften: die von Kim Jong-un (BILDblog berichtete). 2017 reisten zwei australische Studenten nach Nordkorea, um die Geschichte zu überprüfen. Sie kamen zum gleichen Ergebnis wie wir: völliger Quatsch. Doch bei Stern.de steht die Behauptung bis heute unverändert online.
Im Jahr darauf behauptete Stern.de, Nordkorea wolle den USA den Krieg erklären, sobald Windows 10 auf den Markt komme. Als wir die Redaktion fragten, ob es dafür irgendwelche Belege gebe, antwortete sie nicht. Aus gutem Grund: es gab keine. Denn auch diese Geschichte war völliger Quatsch.
Bei einer Sache hat der “Stern” aber Recht: Tatsächlich wird die Propagandamaschine weiterhin fleißig von Medien betrieben. Allerdings nicht nur von nordkoreanischen.
*Nachtrag, 20. Januar: Stern.de hat auf unsere Kritik reagiert und den Burrito-Artikel gestern offline genommen. Außerdem schrieb uns jemand aus der Redaktion, dass man “auch die älteren verlinkten Artikel noch einmal ansehen und in den nächsten Tagen offline nehmen” werde.
1. EU-Parlament gegen SLAPP-Klagen (verdi.de) “SLAPP” ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. In einer gestern in Brüssel mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution haben die EU-Abgeordneten unter anderem Regeln für die frühzeitige Abweisung solcher Klagen gefordert.
2. Moderator Dirk Steffens: “Es ist falsch, Verblendeten das Wort zu erteilen” (rnd.de)
Der “Terra-X”-Moderator Dirk Steffens hat im Gespräch mit der Nachrichtenagentur “teleschau” den Umgang von Medien mit Corona- und Klimaleugnern kritisiert und als “Grundversagen” bezeichnet: “Es ist falsch, über Unsinn zu berichten und Verblendeten das Wort zu erteilen. Wir haben das journalistisch die ganze Zeit gemacht und damit riesigen Schaden angerichtet.”
4. Youtube verbirgt Zahl der “Mag ich nicht”-Klicks bei Videos (faz.net)
Youtube will seinen Uploadern künftig die Möglichkeit einräumen, die Zahl der Negativ-Bewertungen (“Dislikes”) unter ihren Videos verbergen. Damit sollen Mobbing und sogenannte “Dislike-Attacken” verhindert werden, so das Unternehmen. Die Nutzer und Nutzerinnen sollen sich laut Youtube sicher fühlen, sich auf der Plattform auszudrücken.
5. Das Streben nach Diversität in deutschen, britischen und schwedischen Redaktionen (de.ejo-online.eu, Olivia Samnick)
In einer neuen Studie diskutieren die Autorinnen und Autoren, wie sich Redaktionen divers(er) gestalten lassen. Sie haben dazu 18 Nachrichtensender in Deutschland, Schweden und Großbritannien untersucht. Olivia Samnick fasst die Ergebnisse zusammen und macht auf ein dort benanntes, weiteres Problem aufmerksam: “Vergangene Untersuchungen legen nahe, dass ein diverses Team noch lange nicht diversere Medieninhalte hervorbringt.”
6. Wetten, dass das alte Fernsehen eine Zukunft hat? (meedia.de, Tobias Singer)
Gegen alle Streaming-Tendenzen bricht “Meedia”-Redakteur Tobias Singer eine Lanze für das lineare Fernsehen und wagt eine Prognose: “Der Streaming-Hype wird abebben. Netflix und Co. sichern sich die großen Marktanteile, aber am Ende gibt es eine Übersättigung, dann kommt die Langeweile, gefolgt von einer Abkehr. Und auch Netflix staubt als Label für gute Unterhaltung an. Und das lineare Fernsehen wird eine Sehnsucht nach einem festen Programm zu einer festen Uhrzeit befriedigen.”
1. Neue Enthüllungen zu Facebooks Umgang mit Hass (zeit.de)
Nach den Enthüllungen einer ehemaligen Facebook-Managerin geht es weiter mit den schlechten Nachrichten für das Soziale Netzwerk. Ein ehemaliger Mitarbeiter habe offenbar Beschwerde bei der Börsenaufsicht eingelegt. Facebook habe problematische Inhalte zugelassen, um Geschäftsinteressen zu schützen. Womöglich hätte der Konzern sogar den Sturm auf das US-Kapitol verhindern können, für den sich Anfang des Jahres Hunderte von militanten Trump-Unterstützern in Washington zusammengerottet hatten.
2. Döpfner bedauert – und bittet Zeitungsverlage weiter um Unterstützung (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Mathias Döpfner hat sich mit einem Rundschreiben an die deutschen Zeitungsverlage gewandt und auf die Forderung reagiert, er solle als Präsident des Zeitungsverlegerverbandes BDZV zurücktreten: “Sie alle wissen, dass meine kritisierten Äußerungen – Stichworte: DDR-Obrigkeitsstaat und PR-Assistenten – in einer privaten SMS gefallen sind. Sie war Teil eines vertraulichen Dialogs. Worte werden dabei gewöhnlich – Sie werden das nachempfinden können – nicht auf die Goldwaage gelegt.” Er bitte die Verlage darum, ihn weiter zu unterstützen.
3. YouTube serviert freiwillige Helfer:innen ab (netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Seit Jahren helfen unbezahlte Freiwillige als Trusted Flagger auf Youtube bei der Löscharbeit. Millionen Videos haben sie schon gemeldet. Jetzt hat sich Youtube offenbar kommentarlos von einigen getrennt und setzt lieber auf automatische Erkennung von Videos durch Algorithmen. netzpolitik.org hat mit zwei Trusted Flaggern gesprochen und den Mutterkonzern Google zu dem Vorgehen befragt.
4. Fürs kritische Denken (sueddeutsche.de, Lena Reuters)
Die Wissenschaftsjournalistin und erfolgreiche Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim verbindet in ihrer neuen ZDF-Show Unterhaltung mit Aufklärung. Lena Reuters hat sich die erste Folge angesehen und war, von kleinen Schwächen abgesehen, recht angetan: “Klare Kante zeigen und unterhalten schließen sich nicht aus.”
5. Reportagen: Schluss mit dem journalistischen Selbstbetrug! (mediummagazin.de, Manuel Stark)
Nach Ansicht von Manuel Stark hat der Reportagejournalismus in Deutschland ein gefährliches Problem: Er reduziere Menschen auf Schablonen, damit die Leserschaft redaktionelle Thesen besser schluckt. Starks Forderung: “Sobald ein Mensch nur als möglichst thesentreffende Schablone interessiert, ist es ehrenwerter, gleich eine Figur zu erfinden. Die Regeln ließen sich dann immer noch einhalten, indem man die erfundenen Passagen mit Transparenzphrasen wie ‘so oder ähnlich’ abschließt. Ehrlicher wäre das allemal.”
1. Medien verbreiten falschen Täternamen (tagesschau.de, Patrick Gensing)
Nach dem möglichen Terroranschlag in Norwegen verbreiteten Medien einen erfundenen Namen des Verdächtigen. Verschiedene italienische, griechische und französische Redaktionen behaupteten, der mutmaßliche Täter von Kongsberg heiße “Rainer Winklarson”. Sie waren auf böswillig gestreute Falschinformationen von Internet-Trollen hereingefallen, die dafür den Namen eines deutschen Youtubers verballhornt hatten.
2. Neutralität gibt es nicht (taz.de, Ulrike Herrmann)
Die “taz”-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann wundert sich: “Seit vielen Jahren schreibe ich für die taz über Wirtschaftsthemen. Meine Mitgliedschaft bei den Grünen war dabei nie ein Problem. Bis jetzt.” Weil sie der Neutralitätsdebatten müde sei, habe sie bei der Partei das Ruhen ihrer Mitgliedschaft beantragt.
Gucktipp: Wer Ulrike Herrmann kennenlernen und noch dazu viel über Wirtschaftsthemen lernen möchte, sollte sich ihr Gespräch mit Tilo Jung anschauen: Jung & Naiv: Folge 451 (youtube.com, Video: 1:25:51 Stunden).
3. Siegfried Borchardt, 67, Kampfname: “SS-Siggi” ist tot. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. (facebook.com, Gerhard Kromschröder)
Bei Facebook erzählt der Journalist Gerhard Kromschröder, wie er mit einem Kollegen, dem Fotografen Harmut Schwarzbach, 1983 für den “Stern” undercover in der Dortmunder Neonazi-Szene unterwegs war und dabei den jüngst verstorbenen Siegfried Borchardt (Kampfname: “SS-Siggi”) kennenlernte: “Unsere ‘Stern’-Reportage ‘Blut, Blut muss fließen …’ war der erste Beleg für das neue Phänomen [von rechtsradikalen Fußballfans] und erregte Aufsehen. Doch der BVB und Dortmunds Polizei wiegelten ab: Neonazis unter Fußballfans kennen wir nicht, gibt’s nicht, Ende der Durchsage. Statt gegen Borchardt und seine ‘Borussenfront’ wurde erst einmal gegen Schwarzbach und mich ermittelt.” Zudem sei ihm damals in der “Bild am Sonntag” unterstellt worden, er hätte “eine Gruppe Dortmunder Fußballfans als ‘Neo-Nazis’ diffamiert.”
4. Wieso kann Youtube #allesaufdentisch abermals löschen? (faz.net, David Lindenfeld)
Der Streit zwischen Youtube und den Anti-Corona-Maßnahmen-Aktivisten von #allesaufdentisch geht in die nächste Runde: Die Videoplattform habe abermals zwei Beiträge gesperrt, weil sie gegen die Richtlinien zu Fehlinformationen im Zusammenhang mit Covid-19 verstoßen würden. Der Jurist Joachim Steinhöfel, der #allesaufdentisch rechtlich vertritt und in einem der Videos auch selbst zu Wort kommt, habe die neuerliche Löschung als “pure Provokation” gegenüber dem Landgericht Köln bezeichnet.
5. MDR und sächsische Polizei wollen enger zusammenarbeiten (mdr.de)
Der MDR und die sächsische Polizei wollen künftig enger zusammenarbeiten und haben dazu eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Ziel dieser Vereinbarung soll sein, dass Journalistinnen und Journalisten einerseits und Polizistinnen und Polizisten andererseits mehr Verständnis für die Arbeit der jeweils anderen Seite entwickeln. Zudem sollen Medienschaffende von der Polizei besser geschützt werden – etwa vor Übergriffen bei Demonstrationen.
6. Antisemitismus in sozialen Netzen weit verbreitet (netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Allen Bemühungen gegen Hate Speech zum Trotz sei Antisemitismus in Sozialen Netzwerken immer noch weit verbreitet, so das Ergebnis einer Studie der Amadeu Antonio Stiftung. Die Stiftungs-Mitarbeiterin Simone Rafael kommentiert: “Dass Antisemitismus im Jahr 2021 immer noch auf jeder Plattform mit wenigen Klicks und den plattesten Vorurteilen als Suchbegriffe zu finden ist, ist ein Armutszeugnis. Jüdinnen und Juden als Betroffene weisen seit über einem Jahrzehnt darauf hin, wie sehr sie online attackiert werden. Es wird Zeit, dass die Netzwerke ihre Verantwortung für die Sicherheit ihrer Nutzer:innen endlich ernst nehmen und Antisemitismus von den Plattformen verbannen.”
Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Journalismus in Afghanistan (inforadio.de, Jörg Wagner, Audio: 15:40 Minuten)
Im “Medienmagazin Spezial Afghanistan” des rbb geht es um die Rolle der in- und ausländischen Medien in den vergangenen rund 20 Jahren. Jörg Wagner hat dazu mit Willi Steul gesprochen, der zeitgleich mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 ARD-Sonderkorrespondent in Afghanistan geworden war.
Weitere Hörtipps: Im Schweizer “Republik”-Podcast analysiert “Republik”-Autor Emran Feroz die dramatische Lage in Afghanistan: “Es gibt international keinen anderen Weg mehr, als mit den Taliban zu reden” (republik.ch, Marguerite Meyer, Audio: 36:20 Minuten). Und auch beim WDR5-Medienmagazin geht es in einem Beitrag um das Thema Afghanistan: Bangen um afghanische Ortskräfte; Schwieriges Berichten aus Kabul (wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 41:21 Minuten). Außerdem interessant: Frauen in Afghanistan: Wie kann man Journalistinnen, Filmemacherinnen, Bloggerinnen schützen? (br.de, Audio: 28:00 Minuten). Und beim Deutschlandfunk kommt Saad Mohseni zu Wort, Chef der Moby Group, dem größten privaten Medien- und Nachrichtenunternehmen in Afghanistan: “Wir haben viele Mitarbeitende verloren” (deutschlandfunk.de, Katja Bigalke & Martin Böttcher, Audio: 17:27 Minuten).
2. Diskurs zur Wahl (play.acast.com, Audio)
In der Podcastreihe “Diskurs zur Wahl” geht es um die Frage, ob und wie der Wahlkampf 2021 von Online-Hass und Falschinformationen beeinflusst wird. Dazu spricht Gilda Sahebi mit Expertinnen und Experten aus Medien, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft. Mittlerweile stehen sechs Folgen zur Verfügung, weitere vier sollen noch erscheinen.
3. BILD TV: Wie Julian Reichelt mit Emotionen Fernsehen macht (ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 16:26 Minuten)
“Bild” hat einen eigenen Fernsehsender gestartet. Daniel Bouhs hat für das Medienmagazin “Zapp” hinter die Kulissen geschaut und mit “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt sowie “Bild-TV”-Programmchef Claus Strunz darüber geredet, mit welcher Strategie der neue Kanal andere Sender angreift. Bei dem früheren “Bild”-Journalisten Georg Streiter und dem ehemalige n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel hält sich die Begeisterung über “Bild TV” in Grenzen. Streiter sieht ein großes Problem: “Es ist ein Verdienst der ‘Bild’-Zeitung, dass sie AfD-Politiker nie groß rausbringt, aber sie sprechen die Sprache der AfD.”
4. “Kulturzeit extra: Gefahr aus dem Netz – Wege, die Macht von Facebook, Twitter und Co. zu brechen” (3sat.de, Vivian Perkovic, Video: 38:04 Minuten)
Facebook, Twitter und Co. machen Daten zu ihrem Geschäft. Was wäre alles zu erreichen, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Hoheit über ihre Daten wieder übernähmen? Ein “Kulturzeit extra” berichtet über erfolgreiche Alternativen. Mit im Studio dabei: Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist.
5. Wie habt ihr Krautreporter neu erfunden, Leon Fryszer? (wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 50:35 Minuten)
Das Online-Magazin “Krautreporter” hat in den vergangenen Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Leon Fryszer ist seit 2020 “Krautreporter”-Vorstand und verrät bei “Was mit Medien”, wie sich die “Krautreporter” neu erfunden haben, was er über durch Mitgliedschaften finanzierte Medienangebote gelernt hat, und was die “Krautreporter” für die Zukunft planen.
6. Die Zerstörung der ARD Mediathek (youtube.com, Walulis Story, Philip Walulis, Video: 15:16 Minuten)
Schlechte Suchmöglichkeiten, abbrechende Streams, keine Livefunktion, ein fehlender Abo-Button, Ausweispflicht für FSK16-Inhalte … “Wir finden, es ist Zeit, mal en Detail zu klären, warum die ARD-Mediathek so scheiße ist. Und wir wollen wissen, wer ist schuld. Wer hat dieses Desaster zu verantworten?” Philipp Walulis und sein Team klären die Sache mit einem Beitrag, der Anklage und Verteidigung in einem ist.
Nach einem Telefonat mit einem ranghohen AfD-Politiker twitterte Martin Schmidt, Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, vor zwei Wochen:
Eine solche Geschichte kann der “Bild”-Redaktion und vor allem “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt nicht gefallen. Immer wieder betont Reichelt, wie “schrecklich” er die AfD finde. Zum Vorwurf, “Bild” sei der verlängerte Arm der AfD, sagt er, dass dies “eine Unverschämtheit” sei: “Man kann das nur dann behaupten, wenn man bereit ist, Fakten schlichtweg zu ignorieren.” Und jetzt erzählt die AfD, wie toll und hilfreich sie die Berichterstattung von Reichelt und dessen Team findet?
“Bild”-Meinungschef Filipp Piatov versuchte dann auch gleich, Martin Schmidts Geschichte zu diskreditieren. Bei Twitter schrieb Piatov:
Piatovs offensichtlich ausgedachte Erzählung soll wohl zeigen, dass er auch Schmidts Tweet für erfunden hält. In Sozialen Medien liest man häufiger den Vorwurf, das sei jetzt aber eine “Geschichte aus dem Paulanergarten”, also unwahr. “Bild”-Chef Reichelt retweetete Piatovs Tweet.
Nur drei Tage später zeigte sich allerdings, dass die AfD von der “Bild”-Berichterstattung tatsächlich begeistert ist. Als die Redaktion auf ihrer Titelseite von Angela Merkel forderte: “KANZLERIN, wir wollen EINIGKEIT und RECHT und FREIHEIT”, gab es zahlreiche Danksagungen von AfD-Mitgliedern und -Verbänden. Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar schrieb beispielsweise:
Ihr Kollege im AfD-Bundesvorstand Stephan Protschka konnte es selbst kaum glauben:
Guido Reil, für die AfD im Europäischen Parlament, dankte ebenfalls:
“#DankeBild” gilt immerhin bezogen auf aufrüttelnde Berichte gegen Gruppenvergewaltigungen und Mädchenmorde
Besser spät als nie. #DankeBild für die Übernahme sämtlicher AfD-Positionen.
Und der AfD-Kommunalpolitiker Christian Breu twitterte:
#BILD hilft allen Menschen, die Opfer der skrupellosen Drangsalierungs- und #Lügenpolitiker geworden sind.
#DankeBILD
Neu ist die AfD-Begeisterung für “Bild” nicht. Bereits 2017, vor der vergangenen Bundestagswahl und nachdem die Redaktion ihr eigenes “BILD-Wahlprogramm” veröffentlicht hatte, jubelte Uwe Junge, damals Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz: “Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!” Und auch die Bundespartei stellte zum “Bild”-Wahlprogramm fest: “Hallo @BILD, nahezu ALLES hier findet sich im #AfD-Wahlprogramm!”
Mit ihrer aktuellen Berichterstattung findet die “Bild”-Redaktion übrigens nicht nur Anschluss bei der AfD. Auch in den Telegram-Kanälen vieler Verschwörungserzähler wird sie gelobt. “Spioniker” schreibt zum Beispiel: “Hammer, was die BILD jetzt raushaut! Ich glaube, der kritische Punkt ist erreicht!” und konstruiert aus der gelben Hintergrundfarbe eines Artikelbanners bei Bild.de mit Hilfe des des Flaggenalphabets, wo die Farbe Gelb für das Q steht, eine Verbindung zu QAnon. Michael Wendler sieht “Bild” als einen möglichen “Gamechanger”. Und Eva Herman empfiehlt ein Video von “Bild TV” (“Der Staat hat kein Recht mehr, zu regulieren, wie wir leben”). Die Protagonisten darin: Julian Reichelt und Filipp Piatov.
Mehr über das Verhältnis von “Bild” und AfD schreiben wir übrigens in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste”, vor allem im Kapitel “‘Das wird man ja wohl noch sagen dürfen’ – ‘Bild’ und Rechtspopulisten”. Alle Infos dazu hier.
1. Rundfunkbeitrag darf erhöht werden (tagesschau.de)
Eigentlich hatten sich alle Beteiligten auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags verständigt, doch Sachsen-Anhalt blockierte das Vorhaben, indem es die dafür notwendige Abstimmung im Landtag absagte. Das Bundesverfassungsgericht wertete dies nun als eine Verletzung der im Grundgesetz festgeschriebenen Rundfunkfreiheit – der Rundfunkbeitrag darf um um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat erhöht werden. Bei “DWDL” kommentiert Uwe Mantel: “All jenen, die nun von einer ‘undemokratischen Entscheidung’ des Gerichts sprechen: Es hat einen guten Grund, dass der Einfluss der Politik auf ARD und ZDF begrenzt ist und die Höhe des Rundfunkbeitrags eben kein Ergebnis demokratischer Verhandlungen ist, sondern sich am Bedarf der Anstalten festmacht. Schließlich ist es die Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten der Häuser, der Politik auf die Finger zu schauen – da sollte man sie so unabhängig wie möglich vom Wohlwollen einzelner Parteien in einzelnen Ländern machen.”
Weiterer Lesetipp: Springers rasende Wut auf das Bundesverfassungsgericht (uebermedien.de, Stefan Niggemeier).
2. Erneut eingegriffen (taz.de, Volkan Ağar)
In der Theorie agiert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) unabhängig und überparteilich, doch in der Praxis und mit Blick auf das Agieren des Bundesministeriums des Innern (BMI) muss dies bezweifelt werden: “Denn nachdem das BMI der bpb letzthin eine Links-Extremismusdefinition des Verfassungsschutzes diktiert hat, hat es auch die Veröffentlichung des Sammelbandes ‘Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz’ verzögert und erst in Begleitung eines ergänzenden Onlinedossiers erlaubt.”
3. Wenn das neue Format der Topfpflanze nicht gefällt (journalist.de, Mark Heywinkel)
Mark Heywinkel ist Leiter der Abteilung Formatentwicklung bei “Zeit Online”. In der Reihe “Wie machen wir den Journalismus widerstandsfähiger?” verrät er seine fünf persönlichen Tipps zur Entwicklung neuer journalistischer Formate. Vieles davon ist für jeden interessant, der sich im weitesten Sinn schöpferisch, schriftstellerisch oder redaktionell betätigt.
4. Die Plakate zur Bundestagswahl 2021 (designtagebuch.de, Achim Schaffrinna)
Der Kommunikationsdesigner Achim Schaffrinna hat sich mit den Plakaten zur anstehenden Bundestagswahl beschäftigt und dabei die Kampagnen von CDU, SPD, FDP, Grünen, AfD und Linken analysiert. Er rät jedoch dazu, sich nicht zu sehr von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen: “Wahlprogramme bieten eine deutlich bessere Grundlage für einen Wahlentscheid als Plakate, unabhängig davon, wie sie gestaltet sind. Nicht, dass Ästhetik und Gestaltungsqualität nicht auch wichtig wären, gerade im Kontext der Informationsvermittlung sind sie bedeutsam! Der persönliche Geschmack in Sachen Farben sowie Bild- und Formensprache sollte jedoch nicht ausschlaggebend dafür sein, an welcher Stelle man sein Kreuzchen macht.”
5. Gerd Schulte-Hillen ist tot (sueddeutsche.de)
Fast 20 Jahre lang leitete Gerd Schulte-Hillen den Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, in dem unter anderem “Stern”, “Geo” und “Brigitte” herausgegeben werden. Jetzt ist der Verlagsmanager im Alter von 80 Jahren gestorben.
6. Türkische Zeitung druckt erfundenes Laschet-Interview (faz.net)
In der Europa-Ausgabe der türkischen Zeitung “Sabah” ist ein Interview mit Armin Laschet erschienen, das laut Düsseldorfer Staatskanzlei nie stattgefunden haben soll. “Sabah” habe erklärt, man habe das Interview von der Website von Faruk Şen übernommen, dem ehemaligen Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen. Dort sei es mittlerweile gelöscht worden.
1. Was sich jetzt mit dem Uploadfilter-Gesetz ändert (spiegel.de, Patrick Beuth)
Gestern trat das lang umkämpfte Uploadfilter-Gesetz in Kraft. Patrick Beuth hat die Unternehmen hinter Youtube, Facebook, TikTok und Twitch gefragt, wie sie ihre Plattformen umgebaut haben, um Overblocking zu vermeiden. Drei der vier Befragten wollten nicht darüber reden. Der Widerstand gegen die Regelung gehe weiter: Die ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda will die Umsetzung des Gesetzes überprüfen und hat mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte einen Aufruf gestartet.
2. Influencer:innen müssen sich vor Gericht wegen Schleichwerbung behaupten (netzpolitik.org, Rahel Lang)
Derzeit verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) anhand von drei Fällen über die Kennzeichnungspflicht von Produktempfehlungen auf Instagram. Dem für September erwarteten Urteil wird große Bedeutung beigemessen: “Die anstehende Entscheidung des BGH ist ein Meilenstein in der Frage um Kennzeichnungspflicht von Produkten auf Instagram. Das Urteil des obersten Gerichts wird sich auf die Prozesse weiterer Influencer:innen, die von dem Verband abgemahnt wurden, auswirken.”
3. 10 Jahre FragDenStaat: Fortschritte sind durchaus erkennbar (fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Wohl kaum eine Institution hat sich um die Informationsfreiheit in Deutschland so verdient gemacht wie die Transparenz-Initiative “FragDenStaat”. Nun feiert das mittlerweile 13-köpfige Team den zehnten Geburtstag der Plattform: “Wir sind stolz darauf, dass es uns mit FragDenStaat trotz aller Widerstände seit zehn Jahren immer besser gelingt, Menschen dabei zu unterstützen, sich für Informationsfreiheit einzusetzen und zu zeigen, was für demokratische Möglichkeiten im freien Zugang zu Informationen stecken. Mehr als 100.000 Personen haben fast 200.000 Anfragen über die Plattform gestellt.”
4. Die Zeitungsfälscher: Wie ein skurriles Netzwerk aus Fake-Accounts auf Facebook Stimmung macht (correctiv.org, Alice Echtermann)
Eine “Correctiv”-Recherche hat ein Netzwerk gefälschter Profile rund um die erfundene Zeitung “NRW Kurier” aufgedeckt: “Dahinter steckt ein Mann, der uns gegenüber seine Identität nicht preisgeben wollte. Er bezeichnet das Ganze als privates Kunstprojekt. Eine ‘Liebhaberei’, die er weiter betrieb, obwohl seine Seite schon seit einiger Zeit so gut wie keine Aufmerksamkeit auf Facebook mehr erzeugte. Dies ist eine Geschichte über die Skurrilität von Desinformation und über Menschen, die aus Wut über die ‘Lügenpresse’ beginnen, ‘Fake News’ zu produzieren.”
5. Kein Einzelfall (taz.de, Jessica Ramzcik)
Der Fotojournalist Tim Mönch soll ins Visier des sächsischen Verfassungsschutz geraten sein, weil er 2019 (in rechtlich zulässiger Weise) einen rechten “Zeitzeugenvortrag” im sächsischen Leubsdorf fotografierte. Er gelte beim Staatsschutz nun als Linksextremist. Mönch wolle sich gegen diese Einstufung wehren. Das werde – trotz anwaltlicher Hilfe – jedoch “wahrscheinlich noch Jahre dauern”.
6. Wer stärkt hier eigentlich wen? (deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Dennis Kogel, Audio: 21:06 Minuten)
Die ARD hat seriöse Inhalte und sehnt sich nach jungem Publikum. TikTok hat das junge Publikum und sehnt sich nach seriösen Inhalten. Da liegt der Gedanke einer Zusammenarbeit nahe. Doch neben Zukunftschancen bietet eine derartige Kooperation auch Gefahren. Die Liste der Vorwürfe an TikTok ist recht umfassend. Erst jüngst ist das Unternehmen wieder ins Gerede gekommen: Es habe laut “Spiegel” versucht, verdeckte Spenden an die Junge Union zu zahlen (nur mit Abo lesbar).
Vergangene Woche hat der Deutsche Presserat mal wieder Rügen verteilt. Traditionell ganz vorne mit dabei: die “Bild”-Medien. Sieben der 17 ausgesprochenen Rügen gingen an “Bild”, Bild.de oder “Bild am Sonntag”, weil die jeweilige Redaktion …
… in einem Artikel über angebliche Alkoholprobleme einer Person berichtete, obwohl sich diese Person dazu nicht äußern wollte.
… in einem anderen Artikel private Sprachnachrichten derselben Person ohne deren ausdrückliche Einwilligung veröffentlichte.
… in einem Artikel unverpixelte Fotos des Täters und der Opfer eines Tötungsdelikts zeigte.
… in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines minderjährigen Opfers veröffentlichte, “offensichtlich ohne Einwilligung der Angehörigen”.
… in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines anderen minderjährigen Opfers zeigte.
… in einem Artikel ein Foto einer getöteten Frau veröffentlichte, das sie von deren Facebook-Seite genommen hatte, ohne Einwilligung der Angehörigen.
Auf die siebte Rüge wollen wir etwas detaillierter eingehen, weil der Vorgang dahinter wunderbar zeigt, wie die “Bild”-Redaktion und Chefredakteur Julian Reichelt mit Kritik umgehen. Und weil das problematische Verhältnis von “Bild” zur Wahrhaftigkeit deutlich wird.
In der März-Ausgabe der “Blätter für deutsche und internationale Politik” schrieb der Publizist Albrecht von Lucke eine lesenswerte ausführliche Analyse des TV-Projekts “Bild live”. Der Beitrag ist ausgesprochen kritisch. Schon im Teaser heißt es:
Die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause »Springer«
Und im Text:
Kaum ein Politiker oder eine Politikerin, sieht man einmal von der Kanzlerin ab, der oder die sich den Anfragen von “Bild” entzöge; alle rennen – auch mangels anderer Live-Möglichkeiten im Corona- und Superwahljahr – dem neuen Sender förmlich das Studio ein. So etwa nach dem jüngsten Corona-Gipfel am 10. Februar, als sich Kanzleramtschef Helge Braun den Fragen von “Bild”-Vize Paul Ronzheimer stellte – im Laufband untertitelt nicht, wie sonst üblich, mit “Gespräch” oder “Interview”, sondern mit “Merkels wichtigster Mann im Verhör”. Ebenfalls kurz zuvor “im Bild-Verhör”: Gesundheitsminister Jens Spahn. Hier artikuliert sich die zugrundeliegende aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung – “Bild live” als die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste.
Die “Bild”-Redaktion griff Luckes Artikel auf, drehte dessen Aussage aber komplett um. Aus der scharfen Kritik an “Bild live” wurde am 27. Februar in “Bild” ein großes Lob für “Bild live”:
Er zählt zu den profiliertesten Politikexperten des Landes: Albrecht von Lucke (54), Autor zahlreicher Bücher (u.a. “Die gefährdete Republik”)!
Jetzt hat Lucke in einem Beitrag in “Blätter für deutsche und internationale Politik” den Erfolg des TV-Formats BILD live auf BILD.de gewürdigt. (…)
BILD Live sei “die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste”, konstatiert von Lucke.
Die von Lucke dargelegte “aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung” im “Bild”-TV-Studio lässt “Bild” lieber unerwähnt; das Selbstverständnis von “Bild live”, das Lucke der Redaktion zuschreibt, verdreht diese zu einer Bewertung von Lucke selbst. Und mal abgesehen davon, dass die “Bild”-Redaktion das alles gänzlich aus dem (kritischen) Zusammenhang reißt: Das wörtliche Zitat aus der Überschrift ist in dieser Form frei erfunden.
(Nur nebenbei bemerkt: Wie traurig und klein ist es eigentlich, dass die Redaktion der größten Zeitung Deutschlands es offenbar nötig hat, auf der eigenen Seite 2 einen Artikel darüber zu veröffentlichen, wie toll jemand anderes das eigene TV-Format vermeintlich findet?)
Für die Verfälschung des Zitats von Albrecht von Lucke gab es die bereits erwähnte Rüge vom Presserat. Der sah “einen gravierenden Verstoß gegen das Gebot zur wahrhaftigen Wiedergabe wörtlicher Zitate” und den “Bild”-Artikel generell als “Verstoß gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex”.
Es handelt sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Dass sich die “Bild”-Redaktion aus Kritik ein Lob bastelt, oder dass sie Kritik an der eigenen Berichterstattung aus Zitaten streicht, kommt häufiger vor. Als sich beispielsweise Günter Wallraff mal anerkennend über eine “Bild”-Reportage äußerte, kürzte Bild.de die gleichzeitige “Bild”-Kritik aus dem wörtlichen Zitat Wallraffs einfach raus.
Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.
In unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” geht es in einem ganzen Kapitel um den Umgang von “Bild” mit Kritik. Darin beschreiben wir das generelle Vorgehen der Redaktion und erwähnen unter anderem zwei weitere konkrete Beispiele. Hier ein Auszug:
Für die Macher der “Bild”-Medien ist das keine unbekannte Strategie, mit Kritik umzugehen: löschen, verschweigen, verstecken. Wenn sich zum Beispiel Prominente negativ über “Bild” äußern, gibt sich die Redaktion große Mühe, ihren Lesern diese Kritik vorzuenthalten. Als die Zeitung 2018 behauptet, Helene Fischer könne aufgrund eines Infekts womöglich “nie wieder singen” und habe einen “Wunderheiler aus den USA” einfliegen lassen, veröffentlicht die Sängerin einen langen Facebookpost über ihren Gesundheitszustand, in dem sie unter anderem schreibt, die Wunderheiler-Geschichte sei “totaler Quatsch”. Über diesen Beitrag berichtet auch “Bild”, druckt ihn in der Zeitung ab – setzt dabei eine Bildunterschrift jedoch exakt so, dass ausgerechnet die kritischen Worte von Helene Fischer verdeckt werden.
Ein ähnlicher Fall im Jahr darauf, als der TV-Moderator Walter Freiwald bekannt gibt, dass er unheilbar erkrankt ist. Bei Twitter schreibt er:
Bevor die @BILD oder @RTLde irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreiten, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.
“Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”