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Lomografie, Journalistenpreise, SPD

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Stoppt die Breivik-Soap!”
(zeit.de, Michael Schlieben)
Deutsche Medien machen den Norwegen-Attentäter zur Ikone, wenn sie jedes Detail seines Lebens ausbreiten, glaubt Michael Schlieben. “Man fühlt sich wie in einer Diashow mit Endlosschleife, die dem Mann eine Präsenz verschafft, wie er sie sich größer nicht wünschen konnte. Hinzu kommen Psychologisierungen, in denen von der Steuererklärung bis hin zum Musikgeschmack nichts undurchforstet bleibt.”

2. “Ein steiniger Weg”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig thematisiert den Umgang mit dem “Manifest” des Täters. “Wie weit und ob das Buch überhaupt rezipiert werden soll, ist jetzt umstritten. Vorsorglich wird es als wirr oder wahnsinnig eingeschätzt – was dann wohl die genaue Lektüre entbehrlich machen soll. Allenfalls die schnelle Suche nach entsprechenden Schlagworten wie ‘Broder’ (12 x) oder ‘Wilders’ (29 x) wird vorgenommen, um ersatzweise Journal­ismus zu simulieren. Wobei die Suche bei ‘Adorno’ (26 x) oder ‘Orwell’ (12 x; mehr­fach verwendet der Autor Orwell-Zitate zu Beginn seiner Kapitel) ähnlich ergiebig gewesen wäre.”

3. “Aus der Nachrichtenagentur: die unanständige Methode eines dpa Journalisten”
(fakeblog.de, Floyd Celluloyd)
Floyd Celluloyd erinnert sich daran, wie er 2001 mit einer Aussage zur Lomografie in der “Kölnischen Rundschau” zitiert wurde.

4. “This is Why Your Newspaper is Dying”
(bradcolbow.com, englisch)
Neun Gründe, warum Zeitungsverlage online keinen Erfolg haben.

5. “Zwölf total randseitige Fakten über Journalistenpreise”
(netzfundbuero.de, Tom Hillenbrand)
“Quellen: Teilnahmebedingungen der jeweiligen Journalistenpreise, Newsroom.de, eigene Recherche.”

6. “Sozialdemokraten. 18 Monate unter Genossen”
(ardmediathek.de, Video, 88:35 Minuten)
Eineinhalb Jahre SPD, zusammengefasst in eineinhalb Stunden. Lutz Hachmeister mit einer Reportage, die Aufschluss über den Zustand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gibt.

(Nicht-)Wissen ist Yacht

Vergangene Woche berichtete Bild.de über die angeblich “teuerste Jacht der Welt”.

Dabei ist die “History Supreme” nicht mal besonders groß (30 Meter). Dafür aber besonders goldig. Etwa 100 Tonnen Gold und Platin will Stuart Hughes verbaut haben.

Der Text ist voller “wills”, “solls” und Konjunktive — aber so unglaubwürdig, um sie einfach unter den Tisch fallen zu lassen, war Bild.de die Meldung dann offenbar auch nicht.

Aufmerksam geworden ist Bild.de auf die Geschichte offenbar durch Berichte in britischen Boulevardmedien, die sich alle nicht die Mühe gemacht hatten, die Ausführungen des angeblichen Schiffsbauers Stuart Hughes zu hinterfragen.

Das übernahm dann das Online-Magazin “Motorboat & Yachting” (MBY) und stellte einige Ungereimtheiten fest:

  • Das Boot soll angeblich an einen “Geschäftsmann aus Malaysia” verkauft worden sein. In Malaysia gibt es aber nur drei Menschen, für die die 3 Milliarden Pfund Kaufpreis einigermaßen bezahlbar wären — der eine ist 72, der andere 87 Jahre alt und die dritte eine Frau. (Außerdem sind die 100 Tonnen Gold drei Mal mehr, als in der Nationalbank von Malaysia lagern.)
  • Die 100 Tonnen Gold sollen zum Ursprungsgewicht von 80 Tonnen hinzugefügt worden sein. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass eine 180 Tonnen schwere 30-Meter-Yacht überhaupt schwimmen oder gar fahren kann.
  • Die Fotos, die Stuart Hughes zeigt, stammen von der Website des Yacht-Herstellers Baia und wurden in Photoshop golden angemalt.
  • An Bord soll eine Wand-Installation aus dem Knochen eines Tyrannosaurus Rex sein.

Gestern konnte MBY dann vermelden, dass es sich um einen Fake handelt: Baia bestätigte, dass die Bilder von ihrer Website geklaut und bearbeitet worden seien.

Original.

Fälschung.

Rechtliche Schritte wolle man aber nicht unternehmen:

“(…) It’s such a stupid story it’s not worth it.”

Offenbar nicht dumm genug für Bild.de.

Mit Dank an Uwe R.

Elektroschrott, Norwegen, Karim El-Gawhary

6 vor 9

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1. “Journalisten erklären, wie es bei Österreichs Boulevardzeitungen wirklich zugeht”
(falter.at, Ingrid Brodnig und Nina Horaczek)
Österreichische Medienschaffende erzählen aus ihrem Arbeitsalltag. Ein “Jungjournalist” sagt zum Beispiel: “Du musst dir das so vorstellen: Als Redakteur schlägt man meist die eigene Geschichte nicht vor, sondern es wird einem gesagt, was man zu schreiben hat, welchen Politiker man zitieren soll. Du musst dann den Artikel so hinbiegen, auch wenn die Recherche etwas anderes ergibt.”

2. “Gib mir einen Splash!”
(tagesspiegel.de, Tewe Pannier)
Was Tewe Pannier 1986 während sechs Wochen als Gastreporter beim “Sunday Mirror” erlebte.

3. “Zahlen, bitte!”
(muel.ch, Samuel Burri)
Afrika-Korrespondent Samuel Burri versucht herauszufinden, wie viele Tonnen elektronische Geräte in Ghana ankommen und was davon noch zu gebrauchen ist.

4. “Die Inszenierung des Attentäters”
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Kai Gniffke schreibt über den Umgang mit dem Norwegen-Attentäter: “Nahezu alle Kriminologen und Psychologen haben uns bestätigt, dass es das Ziel eines Amokläufers ist, Aufmerksamkeit zu erzielen. Er inszeniert sich, um wahrgenommen zu werden und erwartet von den Medien, dass sie ihm eine Bühne bieten. Er (in der Regel sind es Männer) möchte auf den Titelseiten der Zeitungen und im Fernsehen auftauchen, gerne in der von ihm selbst gewählten Pose. Er möchte, dass seine Gedanken bekannt werden ebenso wie sein Name – gerne auch postum.”

5. “Der blonde Teufel von Seite 1”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Auch Lukas Heinser widmet sich der Medienberichterstattung zu den Anschlägen in Norwegen: “Es muss schon einiges falsch gelaufen sein, wenn die Stimme der Vernunft ausgerechnet aus dem Körper von Franz Josef Wagner spricht.”

6. “Die Arbeit als Nahost-Korrespondent”
(blogs.taz.de/hausblog, Video, 13:40 Minuten)
Nahost-Korrespondent Karim El-Gawhary zu Besuch bei Stermann & Grissemann.

Tankstellen errichten Luft-Schlösser

Geld für Luft! Die Autofahrer-Verbände in Deutschland sind fassungslos über die neueste Abzocke an den Tankstellen!

Das schreit nach maximalem Einsatz von Großbuchstaben in der Überschrift:

Autoverbände entsetzt! Erste Tankstellen verlangen Geld für LUFT! Abgezapft bis zum letzten Tropfen – das kannten Deutschlands Autofahrer bisher nur vom Benzin-Tanken. Jetzt sollen sie auch noch für LUFT zahlen. Verbraucherverbände sind entsetzt.

Die “neueste Abzocke” an deutschen Tankstellen ist dann ganz so neu aber auch nicht mehr.

Schon im März 2010 hatte sich Bild.de darüber echauffiert:

5 Minuten kosten 1 Euro: Tankstellen nehmen jetzt schon Geld für Luft

Mit Dank an Christian P. und Steffen S.

Norwegen, EHEC, CSD

6 vor 9

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1. “Ein Täter darf nicht abgebildet werden”
(wuv.de, Jochen Kalka)
Jochen Kalka betrachtet die Berichterstattung zu den Anschlägen in Norwegen und zieht Vergleiche zum Amoklauf von Winnenden: “Den Medien sind die Opfer egal. Für sie ist der Täter Opfer. Die Medien suchen nach Antworten, wie es zu der Tat kommen konnte. Der Täter als Opfer der Gesellschaft. Immer die gleiche Debatte.”

2. “The news coverage of the Norway mass-killings was fact-free conjecture”
(guardian.co.uk, Charlie Brooker, englisch)
Auch Charlie Brooker widmet sich der Berichterstattung zum Anschlag. Er erklärt, warum er den Täter nicht beim Namen nennt. “Presumably he wanted to make a name for himself, which is why I won’t identify him. His name deserves to be forgotten. Discarded. Deleted. Labels like ‘madman’, ‘monster’, or ‘maniac’ won’t do, either. There’s a perverse glorification in terms like that. If the media’s going to call him anything, it should call him pathetic; a nothing.”

3. “Elmar Theveßen und der ‘saubere Journalismus’ der Terrorismusexperten”
(faz-community.faz.net, Stefan Niggemeier)
Wie sollte ein Terrorismusexperte auf drängende Fragen von Journalisten antworten, wenn die Umstände eines Ereignisses noch nicht einzuschätzen sind? So: “Nein, Frau Illner, man kann das wirklich noch nicht sagen / Es ist zu früh dafür / Wir wissen es noch nicht / Seriös lässt sich das nicht beantworten / Lassen Sie uns da nicht spekulieren.”

4. “Gurken, Keime, Kolportagen”
(message-online.com, Michael Haller)
“Warum deutsche Medien dem EHEC-Fieber verfielen” ist die aktuelle Titelgeschichte der Zeitschrift “message” (Leseprobe als PDF-Datei). Michael Haller kommentiert: “Statt nachzufragen, haben die Journalisten auch der tonangebenden Medien nur kolportiert. Und sich immer neue Aufhänger für Panikgeschichten ausgedacht.”

5. “Angemessene Staatsferne und Praxis”
(ksta.de, Jan-Philipp Hein)
Die Besetzung des Programmdirektors des Deutschlandfunks steht an. “Medienpolitik ist auch Personalpolitik. Die geht zwischen CDU und SPD meist nach dem Prinzip ‘Einen für euch, einen für uns'”.

6. “Wie schwul hätten Sie’s denn gerne?”
(alexandervonbeyme.net)
Am Wochenende finden mehrere Christopher-Street-Days in Deutschland statt. Alexander von Beyme denkt nach über das Inszenieren der eigenen Sexualität: “Heterosexuelle Männer tragen ihre Orientierung auch vor sich her, wenn sie ungefragt von ihrer Frau erzählen. Neulich habe ich auf der Straße einen Mann und eine Frau gesehen – und sie hatten tatsächlich ein Kind dabei, als biologischen Beweis, dass sich die beiden auch im Schlafzimmer gut verstehen!”

Ein verlorener Tag

Es war ein “verpfuschtes”, ein “kaputtes Leben”, das da am Samstag endete, da ist sich “Bild” sicher. Amy Winehouse, der “tragische Superstar”, ist tot und “Bild” macht heute pflichtschuldig das, was man als Boulevardzeitung eben so macht, wenn mal wieder ein Mensch “tragisch und viel zu früh aus dem Leben” geschieden ist und es noch keine Obduktionsergebnisse zu vermelden gibt: “Bild” protokolliert also “die letzten Tage”.

Die letzten Tage der Amy Winehouse (†27)

Am Mittwoch habe Winehouse im Londoner “Roundhouse” zum letzten Mal auf einer Bühne gestanden, berichtet die Zeitung.* “Am nächsten Tag” (demnach der Donnerstag) habe sich die Sängerin dann mit ihrer Mutter getroffen.

Und “Bild” war anscheinend dabei:

Was Janis Winehouse zu sehen bekam, war besorgniserregend: “Sie war neben der Spur.” Trost geben ihrer Mutter da nur die letzten Worte. “Ich liebe dich, Mum”, sagte Amy zum Abschied.

Nach dem Treffen mit ihrer Mutter ging die Sängerin angeblich Drogen kaufen. Gegen 22.30 Uhr wurde sie mit einem Dealer gesehen, kaufte Heroin, Kokain, Ecstasy und das Pferdebetäubungsmittel Ketamin. Nur Stunden später hören Nachbarn Schreie aus Amys Haus. Als die Sanitäter kommen, zeigt sie noch Lebenszeichen. Um 16.05 Uhr ist Amy Winehouse tot.

Noch mal zum Mitdenken: Donnerstag Abend ging Winehouse “angeblich Drogen kaufen”, “nur Stunden später” werden die Sanitäter gerufen und die Sängerin wird für tot erklärt. Es müssten mehr als 24 Stunden gewesen sein, denn Winehouse starb erst am Samstag.

Diese offensichtliche Diskrepanz muss auch den Leuten bei “Bild” aufgefallen sein: In einer zweiten Version der “letzten Stunden ihres tragischen Lebens” auf Bild.de fand das Treffen zwischen Mutter und Tochter plötzlich am “Freitagvormittag” statt.

Den eigenen Berichten, wonach Winehouse beim Eintreffen der Sanitäter “noch Lebenszeichen” gezeigt habe, hatte Bild.de schon heute Morgen eine gegenteilige Schilderung entgegengesetzt:

Etwa sechs Stunden soll Amy Winehouse († 27) schon tot gewesen sein, als man sie fand. Laut Informationen ihres Sprechers Chris Goodman starb die britische Soul-Sängerin am Samstag allein in ihrem Bett.

Mit Dank an Stefan W.

*) Nachtrag, 21.45 Uhr: Wie verwirrend: In der gedruckten “Bild”-Ausgabe (die wir oben zeigen) stand Amy Winehouse am Donnerstag das letzte Mal auf der Bühne — das ist zwar faktisch falsch, dafür passt dann das Mittagessen am “nächsten Tag”. Bei Bild.de stimmt dann der Tag (Mittwoch), aber der “nächste Tag” ist Quatsch.

Mit Dank an Benjamin W.

Super!, Urs Meier, Elmar Theveßen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie BILD am SONNTAG aus Fehlern Profit schlägt”
(danielbroeckerhoff.de, Tina Schober)
Tina Schober beleuchtet die Hintergründe zu einem in der “Bild am Sonntag” abgedruckten Foto eines siebenjährigen Mädchens aus Thüringen, das ermordet wurde. “Die Redaktion entschuldigt sich also für ein falsch abgedrucktes Foto – und belohnt sich mit einem Exklusiv-Bild.”

2. “Ein Schweizer Opfer packt aus”
(sonntagonline.ch, Nadja Pastega)
Ex-Fußballschiedsrichter Urs Meier erzählt, was ihm widerfuhr, nachdem er 2004 England ein Tor aberkannte. “Britische Journalisten haben in Portugal recherchiert, ob ich dort eine Ferienwohnung oder ein Haus besitze. Sie wollten mir nachweisen, dass ich mal Geld genommen habe oder korrupt war. Meiner Ex-Frau haben sie 30000 Pfund geboten, weil sie eine Story machen und mich in die Pfanne hauen wollten. Meinem damals 14-jährigen Sohn haben sie auf dem Schulweg abgepasst. Sie wollten wissen, von welcher englischen Mannschaft er Fan sei. Wenn er über seinen Vater rede, würden sie organisieren, dass er zu einem Spiel seiner Lieblingsmannschaft gegen Manchester United eingeladen werde.”

3. “Die Macht der Boulevard-Zeitungen”
(echo-online.de, Klaus Thomas Heck)
Klaus Thomas Heck erinnert an die Boulevardzeitung “Super!”, die Anfang der 1990er-Jahre in Ostdeutschland erschien: “Ein Jahr lang kübelt die Zeitung, die im englischen Tabloid-Format erscheint, eine widerliche Mischung aus Übertreibungen und Halbwahrheiten aufs Papier, dann endet die Ära von ‘Super!’ am 24. Juli 1992 wegen sinkender Auflagen. Doch viele ihrer Redakteure landen später problemlos bei anderen Medien. Franz Josef Wagner ist heute Kolummnist für ‘Bild’. Und auch die Verleger von ‘Super!’ haben ihr ostdeutsches Abenteuer gut überstanden. Sie hießen Hubert Burda – und Rupert Murdoch.”

4. “Plädoyer zur Abschaffung des Terrorexperten. Selten waren so viele so schnell auf dem Holzweg”
(blogs.taz.de/arabesken, Karim El-Gawhary)
Die ersten Spekulationen von Terrorexperten nach den Anschlägen in Norwegen befassen sich mit möglichen islamischen Tätern, obwohl es dafür keine konkreten Anhaltspunkte gibt (BILDblog berichtete, siehe dazu auch Stefan Niggemeier).

5. “BILD.de vs. Elmar Theveßen: die fragwürdige Degradierung eines renommierten Journalisten zum Möchtegern-Experten”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Für “Bild” ist ZDF-Journalist Elmar Theveßen ein “Möchtegern-Experte” und darum “Verlierer des Tages”. Ralf Marder: “Ich meine, dass man hier zu weit über das Ziel hinausgeschossen ist und sich vielleicht auch mal an die eigene Nase fassen sollte.” Siehe dazu auch die Stellungnahme von Elmar Theveßen im ZDF-Blog.

6. “Der ZEIT-Online-Totenrechner: 1500 deutsche Opfer in Norwegen”
(blog.dummy-magazin.de)
“Auf Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen umgerechnet, würde dies fast 1500 Tote in einer Nacht bedeuten”, schreibt Christoph Bertram auf zeit.de zu den Opfern in Norwegen. Das dummyblog erweitert die Umrechnung: “Wieso bei der Umrechnung der Opfer auf Deutschland aufhören? Viel eindrucksvollere Ergebnisse verspricht der Vergleich mit China. 90 Norweger entsprechen 24000 Chinesen!”

Vorzeitiger Mutmaßungserguss

Auf der Online-Hetzplattform “Politically Incorrect” stand gestern naturgemäß schnell fest, wer hinter dem Bombenattentat in Oslo und dem Amoklauf auf der Insel Utøya steckt:

Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo? Sieben Tote sind bisher beim Anschlag in Oslo heute bestätigt. Zugegebenermaßen steht (21.40 Uhr) noch gar nicht fest, ob es der Islam war, der heute in Oslo und Umgebung gebombt und geschossen hat, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch.

Doch die Islamhasser von “PI” sind leider nicht die einzigen, die voreilig Islamisten hinter den Anschlägen vermuteten. Obwohl gestern abend – abgesehen von einigen obligatorischen Jubelmeldungen in irgendwelchen islamistischen Foren – nichts auf einen solchen Hintergrund hinwies, setzte ein beispielloses Mutmaßungswettrennen ein.

Als erstes spekulierte “Spiegel Online” fröhlich drauf los:

Sollte es sich tatsächlich um einen Terroranschlag handeln, dürfte der Verdacht auf al-Qaida oder von dem Terrornetzwerk inspirierte Täter fallen. Die norwegischen Sicherheitsbehörden sind sich seit Jahren bewusst, dass das Land zum Ziel von Terroristen werden könnte; erst vor wenigen Wochen wurde die Einschätzung erneuert, dass Anschläge im Land möglich seien.

(…)

Wenn die Explosion vom Freitag tatsächlich auf al-Qaidas Konto geht, wäre es der erste Anschlag im Westen seit den Bomben in der Londoner U-Bahn 2005 – und der erste seit dem Tod Osama Bin Ladens. Noch hat sich jedoch niemand zu der Tat bekannt.

Nicht viel später erschien auf Welt.de dieser Artikel:

Terrorismus Drucken Bewerten Autor: Florian Flade| 22.07.2011 Norwegen ist Zielscheibe für Islamisten Al-Qaida und andere Terrror-Organisationen haben Norwegen längst ins Visier genommen. Schlüsselfigur könnte ein kurdischer Islamisten-Führer sein.

Als immer offensichtlicher wurde, dass wohl kein islamistischer Hintergrund vorlag, wurde der Artikel von der Welt.de-Startseite entfernt.

Bild.de fragte gestern um 19:58 Uhr zwar, was hinter dem Anschlag steckt, aber die möglichen Antworten drehten sich nur darum, wie der islamistische Hintergrund der Tat genau aussieht:

Terror in Skandinavien Was steckt hinter dem Terror-Anschlag in Oslo? Motiv-Suche: Norwegen ist an den Militär-Operationen in Afghanistan und Libyen beteiligt - Zeitungen haben die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt

Dabei bemerkt Bild.de selbst, dass Norwegen nicht unbedingt als wahrscheinlichster Ort für einen islamistischen Anschlag in Frage kommt:

Norwegens Mitte-Links-Regierung von Regierungs-Chef Jens Stoltenberg setzt auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern.

Provozierende politische Entscheidungen, die Islamisten gereizt haben könnten, hat es in der jüngsten Vergangenheit nicht gegeben.

Bild.de kann die eigenen Bedenken dann aber doch zerstreuen:

Allerdings: Norwegen ist in der Nato und beteiligt sich an den Militär-Operation in Afghanistan und Libyen.

MOTIV AFGHANISTAN? (…) MOTIV LIBYEN? (…) MOTIV 9/11? (…) MOTIV KARIKATUREN?

oe24.at wartete gestern abend mit dieser Überschrift auf (man beachte die “doppelt spaßige” Werbeeinblendung über “Terror in Oslo”):

Al-Qaida unter Verdacht

Zumindest die norwegischen Behörden äußerten zu keinem Zeitpunkt einen solchen Verdacht.

Und selbst in der gestrigen Tagesschau mutmaßt “ARD-Terrorismus-Experte” Rainald Becker (ab 4:40):

Insgesamt spricht Vieles bei dem Anschlag in Oslo für einen islamistischen Hintergrund, eine Bestätigung dafür gibt es aber noch nicht.

Die “B.Z.” wiederum behauptet sogar noch in ihrer heutigen Ausgabe, der Terror sei zurück in Europa:

Der Terror ist zurück in Europa

Diese Formulierung ergibt nur einen Sinn, wenn man den Angriff als Teil des internationalen (islamistischen) Terrorismus versteht.

Vielleicht sollten all die Terrorismus-Experten und Instinktjournalisten einmal den erhellenden Kommentar “Der Moslem war’s!” auf derStandard.at lesen. Er endet mit diesen Worten:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Am späten Abend wird diese Haltung bestätigt: Die norwegische Polizei gibt bekannt, internationale Zusammenhänge als Hintergrund für die Anschläge auszuschließen und bestätigt die Verhaftung eines Verdächtigen: ein Norweger, der sich im rechtsextremen Milieu bewegt.

Eine Überraschung sollte das nicht sein: von 249 Terroranschlägen in der EU im Jahr 2010 wurden lediglich drei von Islamisten begangen. Dass alle diejenigen, die bei jeder Gelegenheit Muslime als Schuldige für alles Schlechte in der Welt zur Hand haben, nun für einen Moment innehalten und ihre Vorurteile überdenken, das darf freilich bezweifelt werden.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 22:39 Uhr: Bereits gestern hat Manfred Schermer für den Online-Auftritt der “Fuldaer Zeitung” einen unfassbaren Kommentar verfasst, in dem er behauptet, vieles würde auf einen islamistischen Hintergrund hindeuten. Er macht nicht nur die “liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Einwandern” durch Norwegen als Ursache für den vermeintlich islamistischen Anschlag aus, sondern fordert auch gleich die Beschneidung von Freiheiten.

Mehr dazu bei Stefan Niggemeier:

Bild  

Über 9,3 Brücken musst Du gehen

Am Mittwoch haben sie bei “Bild” den Goldrausch ausgerufen:

Die Ersten schürfen schon in unseren Flüssen! Wo finde ich in Deutschland noch Gold?

Die naheliegende Erklärung dafür lieferte die Zeitung natürlich gleich mit:

Hintergrund: Die Angst vor der Euro-Schuldenkrise und der Wettlauf gegen die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten treibt immer mehr Anleger zu dem krisensicheren Edelmetall.

Gestern legte “Bild” dann nach und berichtete von ersten Erfolgen:

Mehrere winzige Krümel bleiben hängen. Schade strahlt, sagt: “Und das gleich beim ersten Versuch!“ 1,5 Miligramm hat er gefunden: 32 Karat (92 bis 96 Prozent Goldgehalt), Schade: “Das sind Goldflitterchen.” Wert: 4 Cent.

Nun hat Karat eine 24er-Teilung, das heißt, Gold von 24 Karat gilt als (nahezu) reines Gold oder “Feingold”. Gold von 32 Karat wäre also 133-prozentiges Gold.

Mit Dank an Roland W.

Holzquadrat vor der Hütte

Wenn das mit der Globalisierung und der weltweiten Vernetzung so weitergehen soll, müssen wir uns dringend auf international gültige Standards einigen. mph und km/h, die Bezeichnung “billion” und “Milliarde” für den gleichen Zahlenwert, unterschiedliche Währungen — all das verwirrt die Menschen nur unnötig. Vor allem aber die Journalisten.

Im Blog “Grüne Geschäfte” auf “Zeit Online” werden sogenannte “Tiny Houses” vorgestellt, winzige Häuser, die nicht viel kosten und fast überall aufgestellt werden können.

Da hätten wir zum Beispiel dieses Modell:

Auf dem Foto links ist ein Haus von Tumbleweed zu sehen, 27 Quadratmeter für ca. 32.000 Euro (oder ca. 600 Euro für die Baupläne für Selbstbauer).

Oder dieses hier:

Jetzt will Tata billiges und kleines Wohnen anbieten. In nur einer Woche soll das etwa 65 Quadratmeter große Häuschen aufgestellt sein, die Wände sind aus Kokosnuss- oder Jutefasern.

Sieht man sich das “Foto links” genauer an, erscheinen 27 Quadratmeter etwas unwahrscheinlich:

Achtung: Kein Tata, sondern ein Tumbleweed House. Copyright: Tumbleweedhouses

Und 65 Quadratmeter erscheinen auch recht groß für so ein Kleinsthaus.

Tatsächlich ist das Haus von Tumbleweed mit “89 square feet” angegeben, das Haus von Tata mit “215 square foot”.

Und damit kommen wir zu den unterschiedlichen Maßeinheiten zurück: Will man eine Strecke von feet (Fuß) in Meter umrechnen, muss man den Wert durch 3,28 teilen. So erklären sich die Werte bei “Zeit Online” (89/3,28=27; 215/3,28=65).

Für eine Fläche muss man den Wert in square feet durch 10,76 (3,28×3,28 — “square” oder “zum Quadrat” eben) teilen, um den Quadratmeter-Wert zu erhalten. Die beiden Häuser sind demnach etwa 8,2 bzw. 20 Quadratmeter groß. Oder in dem Fall: klein.

Mit Dank an Lukas.

Nachtrag, 25. Juli: “Zeit Online” hat sich transparent korrigiert.

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