Suchergebnisse für ‘anonym’

F.

Nach wie vor haben wir nicht geschafft herauszufinden, nach welchen Kriterien die “Bild”-Zeitung entscheidet, einen Verdächtigen, einen Täter oder ein Opfer nicht beim vollen Namen zu nennen.

Vielleicht ist das aber auch egal — denn “Bild” schafft es nach wie vor nicht, eine solche Anonymisierung überhaupt durchzuhalten.

Manchmal nicht einmal einen einzigen Artikel lang.

Unter der etwas irreführenden Überschrift “Darf ein Polizist mit seiner Pistole tanzen?” nannte “Bild Thüringen” am 22. Februar einen Polizisten, gegen den ermittelt wird, weil er bei einem privaten Besuch in einer Bar seine Dienstwaffe gezogen haben soll, immerhin viermal “Thomas F.”. Und zweimal beim vollen Namen (siehe Ausrisse, gelbe Balken von uns).

Danke an Maik B. für den Hinweis.

J.

Angela M. (51)?
Joschka F. (57)?
Boris B. (38)?
Hugo M.-V. (58)?

Nein, irgendeinen Sinn wird es schon haben, dass “Bild” nicht jeden Namen, den sie in die Zeitung druckt, abkürzt. Schließlich ist so eine Abkürzung ein halbwegs probates Mittel zur Anonymisierung von Personen (meist Privatpersonen) zum Schutz vor unangemessen viel Öffentlichkeit — auch, wenn das im Hause “Bild” nicht immer anstandslos gelingt.

Im Fall der Schülerin “Jacqueline K. (17)” allerdings, die ihren Lehrer offenbar wüst beschimpft hatte und dafür nun von einem Gericht zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit in einem Altenheim “verdonnert” wurde, hat “Bild” sich die Mühe gemacht und Jacquelines Nachnamen verschwiegen. Auch Jaquelines Lehrer heißt in “Bild” nur “Lehrer Achim J. (45)”, “Klassenlehrer Achim J. (45)”, “Herr J.” oder “beleidigter Pauker” — außer in der von “Bild” am Samstag dokumentierten “Anklageschrift”. Dort nämlich wurden zwar der Nachname der Schülerin, ihr Wohnort und der Nachname ihrer gesetzlichen Vertreter unkenntlich gemacht, der Nachname des “beleidigten Paukers” allerdings steht gut lesbar und unverfremdet dort…

PS: Auch bei Bild.de gab es noch bis gestern Nacht ein Faksimile der Anklageschrift “zum Großklicken” (siehe Ausriss). Nachdem wir die Bild.de-Redaktion auf die Tatsache der unterlassenen Verfremdung des Lehrernamens aufmerksam gemacht hatten, bekamen wir zwar keine Antwort, der “Zum Großklicken”-Link ist jedoch mittlerweile aus dem Bild.de-Text entfernt.

Mit Dank für die zahlreichen Hinweisgeber.

Symbolfoto XXIII

Hinweis: Der folgende Eintrag wirft “Bild” nichts vor. “Bild” hat, soweit wir das erkennen können, alles richtig gemacht. Kein handwerklichen Fehler, keine falschen Behauptungen, nüscht!
 
Zur Zeit geht eine Meldung durch die Medien, dass ein 17 Monate alter Junge unter anderem mit Rotkohl so brutal gefüttert worden sei, dass er am vergangenen Mittwoch nach elftägigem Todeskampf an “Hirnversagen durch Sauerstoffmangel” starb.

Und natürlich steht diese Meldung heute auch in “Bild”.

Anders als in anderen Medien hat “Bild” die Meldung aber nicht nur mit einem RotkohlRotkohlFoto illustriert. Nein, “Bild” zeigt — neben der Schlagzeile “Mit Rotkohl erstickt!” — auch das Foto eines blonden Jungen. Daneben steht:

“Das Kind hatte unter anderem Schwellungen, Schürfwunden und eine Hirnschaden
Fotos: Getty Images, Stock Food

Das Foto selbst hat “Bild” stark verfremdet, wie es Medien gelegentlich zur Anonymisierung von Tätern, Zeugen oder Opfern tun, um ihre Identität zu schützen: das Gesicht verpixelt, das Foto nur als Negativ abgedruckt (siehe Ausriss).

Grafisch bearbeitet sieht die Meldung übrigens ungefähr so aus:

Und dann kann man gut erkennen, dass es sich bei dem Foto nur um ein x-beliebiges, stark verfremdetes Kleinkindporträt aus einem Symbolfoto-Archiv handelt (siehe hier), wie heute ganz bestimmt jedem der über 11 Millionen “Bild”-Leser auf Anhieb klar gewesen sein dürfte, zumal “Bild” ja auch nirgends ausdrücklich behauptet, dass es sich bei dem abgebildeten Kind in der Meldung um das Kind aus der Meldung handelt…

Mit Dank an Robert B. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” entdeckt die alte Zahl des Satans neu

Guten Tag, hier spricht der Teufel. Vielen Dank für Ihren Anruf. Meine Nummer hat sich geändert. Wählen Sie bitte in Zukunft statt der 666 die Durchwahl 616. Vielen Dank und auf Wiederhören. Piep.

616 - Die neue Zahl des Satans

Jawohl, in großer Aufmachung auf Seite 1 und mit der Ortsmarke “Vatikan” informiert die “Bild”-Zeitung heute ihre Leser über eine “Neuigkeit”. Andreas Englisch, der “Vatikan-Experte” von “Bild” hat herausgefunden:

Nicht 666, sondern 616 ist die Zahl des Satans!

Im 2. Jahrhundert schrieben Theologen die 666 dem Teufel zu. (…) Die Theologen beriefen sich auf das “Buch der Apokalypse” des Evangelisten Johannes. Wie sich jetzt herausstellte, ein Übersetzungs- und Abschreibfehler!

Forscher fanden nun im griechischen Originaltext die richtige Satanszahl: Es ist die 616 und nicht die in jeder Bibel genannte 666!

Wir haben keine Ahnung, wie “Bild” jetzt auf diese Geschichte kommt. In der britischen Tageszeitung “The Independent” erschien bereits am 1. Mai 2005 ein Artikel mit der Überschrift: “Revelation! 666 is not the number of the beast (it’s a devilish 616)” Ein entsprechendes Papyrus-Fragment aus dem 3. Jahrhundert ist bereits 1999 veröffentlicht worden. Am 4. Mai 2005 berichtete “Die Zeit” über technische Fortschritte bei der Entschlüsselung der Papyrus-Fragmente aus Oxyrhynchus und erzählte auch die 616/666-Geschichte.

Schon vor über 120 Jahren diskutierte ein gewisser Friedrich Engels, wie man die “sehr alte Lesart” der Offenbarung/Apokalypse des Johannes erklären könne, wonach 616 die “Zahl des Tiers” sei. Und schon vor über 1800 Jahren wusste Irenäus von Lyon, dass in vielen Schriften statt der 666 die 616 zu lesen war — nur entschied er sich damals, die 616 für einen Schreibfehler zu halten und nicht die 666.

Genau umgekeht entschied sich übrigens der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli. Deshalb steht auch nicht “in jeder Bibel” die 666 als Satanszahl, wie “Bild” behauptet, sondern in der auf Zwingli zurückgehenden “Zürcher Bibel” die Zahl 616.

Tja. Und nun? Fragen wir Andreas Englisch, und der hat anonymen “Vatikan-Experten” die bahnbrechende Zusage entlockt:

“Wenn die Zahl 666 falsch ist, wird das in den kommenden Bibelausgaben geändert.”

Unsere Prognose aber lautet: Wenn diese ganze Geschichte Humbug ist, wird “Bild” das nie zugeben.

Vom Schweigen

Man könnte natürlich einfach sagen, dass es weder uns, noch die “Bild”-Zeitung irgendetwas angeht, ob Rudi Carrell krank ist und wie krank er ist. Interessanterweise sagt das Gesetz genau das Gleiche:

Die Intimsphäre bildet den engsten Persönlichkeitsbereich und genießt den stärksten Schutz vor öffentlichen Einblicken. Grundsätzlich vor Öffentlichkeit geschützt ist der Sexualbereich des Menschen, und sein körperliches Befinden, wozu auch medizinische Untersuchungen gehören.
(Dorothee Bölke: Presserecht für Journalisten.)

(…) selbst bei Personen der Zeitgeschichte bleibt die Art einer Erkrankung regelmäßig in der Geheimsphäre, es sei denn, die Betroffenen gehen mit dieser Information selbst in die Öffentlichkeit.
(Deutscher Presserat: Umgang mit Krankheiten.)

Bis zum 24. November 2005 hatte Rudi Carrell öffentlich nicht über seine Krankheit gesprochen. Das hatte “Bild” nicht vom Spekulieren abgehalten: “Wie schlimm steht es um Rudi Carrell”, fragte die Zeitung am 15. November in großen Buchstaben und berichtete:

Der Showmaster ist abgemagert, leidet an Haarausfall. (…)

Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten. Sein Assistent Sören Haensell: “Es gibt von uns keine Auskunft zu diesem Thema.”

Erst, wie gesagt, neun Tage später äußerte sich Carrell öffentlich, in der “Bunten”. Man kann argumentieren, dass “Bild” seitdem das Recht habe, über Carrells Krebserkrankung zu berichten. Aber stimmen muss es natürlich.

Krebskranker Carrell: Stummer Abschied im TVEs spricht wenig dafür, dass das stimmt, was “Bild”-Reporter Daniel Cremer in seinem Artikel über den Auftritt Carrells bei der Aufzeichnung der letzten Ausgabe von “Sieben Tage, sieben Köpfe” suggeriert: dass Carrell nicht mehr sprechen kann. “Ist der Holländer mit dem unverwechselbaren Akzent für immer verstummt?”, fragt “Bild” und zitiert zur Antwort einen anonymen “langjährigen Kollegen”: “Rudi kann nicht mehr sprechen.” Cremer behandelt diese Aussage, als sei sie eine Tatsache, zitiert einen Arzt, der das Phänomen einer “Stimmbandlähmung” erklärte, und behauptet vielsagend: Carrell “kommuniziert über E-Mail”.

Wenige Tage später liest sich das in der “Bild am Sonntag” ganz anders. Cremers Kollegin Angelika Hellemann hat von Bernd Stelter erfahren, dass Carrell das Team “zusammengestaucht” habe, und zitiert Stelter mit dem Satz:

Er darf seine Stimme zwar nicht überanstrengen, kann aber ganz normal mit uns reden.

Und wir merken uns: Wenn “Bild” sorglos über die Krankheit von Menschen berichtet, kann immer auch das Gegenteil stimmen.

Danke an Michael M. für den Hinweis!

K.

Dies ist die Geschichte von Christoph K. In “Bild” trägt sie die Überschrift: “Ich wurde krank gemobbt”, aber sie könnte genauso gut heißen: “Diese Deppen haben einfach meinen Namen genannt”.

Die Geschichte geht laut “Bild” so: Christoph K. war Beamter. Als ein Kollege im Dienst private Geschäfte erledigte, erstattete K. Anzeige beim Arbeitsamt und bat um Vertraulichkeit. Doch das Arbeitsamt schrieb an seine Dienststelle und nannte seinen Namen. Und Christoph K. wurde gemobbt, erkrankte, wurde aus dem Staatsdienst entlassen. “Heute lebt er allein und ohne Perspektive”, schreibt “Bild”.

Jetzt hat er sich offenbar gegenüber “Bild” geäußert. Die Zeitung zeigt ihn groß im Bild, nennt ihn aber immer nur Christoph K. Wir wissen nicht, warum sie das tut. Ob das rechtliche Hintergründe hat. Oder ob er ausdrücklich darum gebeten hat. Aber wenn es etwas gibt, in dem “Bild” ganz besonders schlecht ist, dann ist es bekanntlich, Namen nicht zu nennen.

“Bild” dokumentiert in Auszügen den Brief, in dem sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz dafür entschuldigt, dass der Name von Herrn K. bekannt gemacht wurde. In dem großen Ausriss, den “Bild” zeigt, steht gleich zweimal der Nachname von Herrn K.: komplett, nicht abgekürzt und in keiner Weise unkenntlich gemacht.

Man könnte sagen, dass keine Fehler so schlimm sind wie mangelhafte Anonymisierungen von Opfern oder Beteiligten — weil sie nicht korrigiert werden können. Man könnte deshalb annehmen, dass Redaktionen sich besondere Mühe geben, diese Art von Fehlern zu vermeiden. Bei “Bild” gibt es keine Anzeichen für solche Sorgfalt, im Gegenteil.

Vorgestern berichtete die Zeitung über einen anderen Fall: Ein Mann mit tragischem Schicksal hat sich das Leben genommen. Auch bei Bild.de erschien der Artikel. Anscheinend zum Schutz der Angehörigen war der Nachname des Mannes abgekürzt, der Vorname seiner Freundin “von der Redaktion geändert”, ihr Gesicht auf einem gemeinsamen Foto unkenntlich gemacht. Und mitten in diesen Artikel setzte Bild.de einen Kasten, der dazu aufforderte, einen neun Monate alten Text aus dem Bild.de-Archiv zu lesen. Und darin steht auch jetzt noch alles: Der Nachname, der richtige Vorname der Freundin, dasselbe Foto von den beiden zusammen, nur ohne jede Verfremdung.

Danke an Torsten W. für Hinweis und Scan!

Allgemein  

Drei Rügen für “Bild”

Der Presserat hat abermals sieben Rügen ausgesprochen. Drei davon gehen an “Bild”*.

So hatte “Bild” über einen Verkehrsunfall berichtet, bei dem u.a. der dafür verantwortliche Fahrer starb. Laut Presserat habe “Bild” den Fahrer durch den Abdruck “negativer Aussagen ausschließlich anonymer Quellen (…) in ein schlechtes Licht gerückt” und ein identifizierbares Foto veröffentlicht, was als “Ehrverletzung” ein Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex ist.

Außerdem hatte “Bild” nach dem Selbstmord eines Polizisten ein identifizierbares und “unangemessen sensationelles” Foto veröffentlicht, was der Presserat als Verstoß gegen Richtlinie 8.5 des Pressekodex wertet.

Einen Bericht über den Tod zweier Menschen bei einem Friedhofsbesuch hatte “Bild” mit dem Foto eines der Toten illustriert. Laut Presserat (der in diesem Fall eine “nicht-öffentliche” Rüge aussprach) sei das Foto jedoch “nicht ausreichend gepixelt”, der Tote also identifizierbar gewesen. Zudem sei die zweite Tote durch den Nachnamen, der auf dem Grabkreuz eines Angehörigen lesbar war, ebenfalls erkennbar gewesen.

“Bild” wurde damit in diesem Jahr insgesamt sechs Mal gerügt. Das sind weniger Rügen als in den vergangenen Jahren (2004: zwölf; 2003: neun, 2002: elf), aber abermals mehr, als gegen jedes andere Medium ausgesprochen wurden.

PS: Zu der öffentlich bereits heftig kritisierten “Bild”-Schlagzeile vom 30. November (“Wird sie geköpft?”) teilt der Presserat mit, es seien dazu bislang “rund 30 Beschwerden” eingegangen.

*) Auch “Bild” ist den “journalistischen Leitlinien” der Axel Springer AG verpflichtet, die sich ausdrücklich auf die “publizistischen Grundsätze des Pressekodex” berufen.

Allgemein  

F.

Es gibt Dinge, die beherrschen sie bei der “Bild”-Zeitung. Das Anonymisieren von Personen gehört nicht dazu.

Diese beiden Sätze schrieben wir vor gut einem Jahr. Inzwischen könnte man einen dritten hinzufügen: Es wird auch nicht besser.

Heute zum Beispiel hält der Vorsatz, den Nachnamen des in Afghanistan getöteten deutschen Soldaten nicht auszuschreiben, gerade einmal einen Satz lang:


(Roter Balken von uns.)

Danke an Simon R. für den Hinweis.

Nachtrag, 17. November, 12 Uhr: Bild.de hat den ausgeschriebenen Nachnamen heute vormittag entfernt.

Was aus der “kleinen Elisabeth” wurde

Es war ein Versehen. Also, genau genommen, waren es drei Versehen. Dreimal innerhalb einer Woche hat “Bild” Fotos von der kleinen Tochter der “Todes-Mutter”, die neun ihrer Kinder getötet haben soll, gezeigt, ohne das Gesicht des kleinen Kindes zu verfremden. Jedesmal versehentlich.

So lautet jedenfalls die Erklärung von “Bild” für ihre Berichterstattung, aufgrund derer wir am 16. August eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatten. Genau sechs Wochen, nachdem der Presserat entschieden hat, “Bild” dafür nicht zu rügen, aber zu missbilligen*, erhielten wir gestern die Begründung dieser Entscheidung.

Darin heißt es:

Die Rechtsabteilung des Axel Springer Verlages weist den Vorwurf, BILD zeige mit “großer Konsequenz” immer wieder Fotos von der einjährigen Elisabeth, zurück. Im Zusammenhang mit diesem Fall wurde ca. 15 Mal berichtet. Während die Fotos in den Veröffentlichungen zwischen dem 03.08. und 26.08.2005 entsprechend verfremdet wurden, war der Abdruck am 09.08.2005 so nicht beabsichtigt. Es handele sich um einen “Ausreißer”, den der Verlag nicht rechtfertigen will.

In den Ausgaben vom 10. und 11.08.2005 [gemeint ist offenbar 15.08.2005, Anm. von uns] erschien ein Bild, das die Mutter mit Elisabeth kurz nach der Geburt des Babys zeigt. Das Kind trägt eine Mütze und ist unscharf im Profil zu erkennen. Obwohl dieses Foto bereits mehrfach zuvor verfremdet gedruckt worden sei, sei diese Verfremdung in den genannten zwei Ausgaben unterblieben. “Das Gesicht der kleinen Elisabeth ist auf dem Bild so unscharf, dass der Layouter offenbar nicht erkannte, dass er die unverfremdete Version des Fotos auf die Seite geladen hat.”

Der Verlag weist darauf hin, dass die verfremdete Version des Fotos auch im Redaktionssystem stehe, da diese Version zuvor bereits mehrfach gedruckt worden sei. Der Verlag hat den Vorfall zum Anlass genommen, die Sicherheitsvorkerhrungen vor dem Einladen von unverfremdeten Bildern zu verstärken.

Was den “Ausreißer” vom 09.08. angeht, sieht der Presserat in dem Abdruck des Fotos tatsächlich einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex in Verbindung mit den Richtlinien 8.1 und 8.3. Dadurch, dass “Bild” gleich zweimal das andere Foto unverfremdet druckte, habe die Zeitung aber nicht gegen den Pressekodex verstoßen. Warum nicht? Weil es “irrtümlich” geschah. Bei den übrigen Beiträgen habe “Bild” eine “entsprechende Anonymisierung” vorgenommen, so der Presserat. Er entschied sich deshalb, “Bild” nicht zu rügen, sondern nur zu missbilligen.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”.

Eine Rüge durch den Presserat ist für die gerügte Zeitung ebenfalls folgenlos. Die gerügte Zeitung ist zwar laut Pressekodex “verpflichtet”, die Rüge abzudrucken. Tut sie das nicht, verstößt sie damit aber nur gegen den Pressekodex, wofür sie gerügt werden könnte, was sie abdrucken müsste und so weiter und so fort.

Offener Brief an Dr. Mathias Döpfner

Berlin, den 10. Oktober 2005

Herrn Dr. Mathias Döpfner
Axel Springer AG
Axel-Springer-Straße 65
10888 Berlin

Sehr geehrter Herr Dr. Döpfner,

in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa haben Sie in der vergangenen Woche die Vermischung kommerzieller und redaktioneller Inhalte “brandgefährlich” genannt. Sie sagten, Medien, die die Grenzen aufweichten, drohten sich damit selbst den Ast abzusägen. Sie plädierten für eine “sehr strikte” Trennung.

Herr Döpfner, kennen Sie das Internetangebot von Bild.T-Online? Es handelt sich dabei um ein Joint Venture, an dem das von Ihnen geführte Unternehmen Axel Springer 63 Prozent der Anteile hält. Es gibt dort eine Rubrik namens “Erotik”, die sich in ihrer Aufmachung in keiner Weise von Rubriken wie “Nachrichten” oder “Sport” unterscheidet. Die einzelnen Menüpunkte sind wie redaktionelle Menüpunkte gestaltet; die einzelnen Teaser in diesem Ressort sehen exakt so aus wie Teaser, die in anderen Ressorts zu redaktionellen Beiträgen führen.

Der “Aufmacher” im Ressort Erotik heißt aktuell (10. Oktober, 21 Uhr): “Richtig dicke Möpse! Dicke HUPEN”. Ein Klick führt zum gleichnamigen Angebot der Firma Telecall unter der Adresse “sexdate.de”, das unter anderem “heißen Livesex” verspricht.

Der im Stil eines Artikelanreißers gestaltete Teaser daneben zeigt eine Frau, die unter der Überschrift “Das Privatcam-Portal” verspricht: “Ich schenk’ Dir bis zu 40 Euro!” Ein Klick führt zum Angebot “Sex and the Web” der Schweizer Firma Aximus, die unter anderem “aufwendig produzierte Erotikfilme in der Hardcore-Version: ungeschnitten und unzensiert” verkauft.

Der scheinbar redaktionelle Teaser darunter lockt mit einer “Neuen Erotik-Videothek: XXX-Movies — 40.000 Filme online”. Er führt zu einem kostenpflichtigen Angebot von Telecall.
Wer auf den Teaser “Nur ein Klick zum Seitensprung” klickt, bleibt zunächst auf den Seiten von Bild.T-Online. In der Aufmachung eines redaktionellen Artikels heißt es dort: “Weil’s so schön anonym ist… Seitensprung bei Bild.T-Online! (…) Mit dem neuen Seitensprung-Service auf Bild.T-Online geht’s jetzt ganz einfach, sicher und unbemerkt!” Das Wort “Werbung” oder “Anzeige” steht nicht auf dieser Seite. Auch nicht über dem Link, mit dem man “zu deinem Seitensprung” kommt. Er führt zum kostenpflichtigen Angebot flirtpub.de der Firma Bosner Onlineservice.

Der Teaser mit den Worten “Neue Reality-Serie: Frauen ab 30 wollen mehr” führt zur “Babeslounge.de” mit kostenpflichtigen Videos. Wer auf “Brandaktuell: Bundesweite Kontaktanzeigen” klickt, gelangt zur “Erotik-Online-Zeitung” “Ladies.de”, deren “Topmeldung” aktuell lautet: “Am 11. Oktober Gang-Bang mit Kyra Shade”.

Die weiteren “Überschriften”, die im redaktionellen “Erotik”-Ressort von Bild.T-Online zu finden sind, führen unter anderem zu den sämtlich kostenpflichtigen Angeboten “stripfun.com”, “Lesbenspecial Chrissy & Mia” (Beate Uhse), “Sex Trainingskamp” und “videodevil.de”. Die redaktionell wirkende “Seitensprung-Suche”, bei der der Nutzer eingeben kann, ob er männlich oder weiblich ist, einen Mann oder eine Frau sucht und er Wert auf ein Bild legt — sie führt ebenfalls zu flirtpub.de.

Keiner der genannten Teaser und Artikel ist an irgendeiner Stelle auf Bild.T-Online mit den Worten “Anzeige”, “Werbung”, “Shop” o.ä. gekennzeichnet. Es gibt bei Bild.T-Online keine Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten. Einige Werbelinks sind zwar mit dem Wort “Anzeige” gekennzeichnet. Das führt allerdings dazu, dass die vielen Werbelinks, die nicht mit dem Wort “Anzeige” gekennzeichnet sind, in ihrer Gestaltung noch irreführender sind.

Beim “Erotik”-Ressort handelt es sich übrigens, anders als bei der Rubrik “Shopping”, nicht um ein reines Werbeportal. Einige der redaktionell gestalteten Teaser führen nicht zu kommerziellen Angeboten, sondern tatsächlich zu redaktionellen Texten, etwa über Themen wie “Welche Sex-Pille soll man(n) nehmen?” oder: “Was Männer im Bett wirklich wollen”. Ähnlich vollständig ist die Vermischung im Ressort “Singles”, das gerade eine redaktionell gestaltete “neue Serie” über “Sexy Singles” begonnen hat, hinter der sich in Wahrheit Werbung für “Friendscout24” verbirgt. Auch hier gibt es keine Möglichkeit, Werbung und Redaktion voneinander zu unterscheiden.

Auf den Seiten, mit denen der “Verband Deutscher Zeitschriftenverleger” (VDZ) für “Crossmedia”-Werbung wirbt, finden sich unter anderem die Kampagnen “Kochbuch für Deutschland” und “Küche für Deutschland” von Bild.T-Online mit jeweils einem Werbepartner. Dort wird als einer der Vorteile dieser Aktionen genannt:

“Aktionen für Deutschland” werden im Stil redaktioneller Beiträge erklärt und beworben.

In der “Animation der Kampagnenmechanik” wird die Grenzen verwischende Technik detailliert demonstriert. Zum Angebot gehört ein “Online-Special mit eigener Subnavigation” — gemeint ist ein Menüpunkt in der Seitennavigation, der nicht als Anzeige gekennzeichnet ist, sondern wie ein Menüpunkt aussieht, der zu redaktionellen Angeboten führt. Als Teil der Werbekampagne führte Bild.de (im redaktionellen Teil) ein “Gewinnspiel” durch, bei dem die Bild.T-Online-Leser in einem “großen Foto-Wettbewerb” “Deutschlands schönstes Küchengirl” wählten.

In der Demonstration, wie für das “Kochbuch für Deutschland” geworben werden konnte, ist von der “Anbindung an redaktionell gestaltete, werbliche Artikel zum Thema” die Rede. Das Internetportal Bild.T-Online verwischt also nicht nur die Grenzen zwischen redaktionellen und werblichen Artikeln, sondern wirbt auch noch damit, dass und wie es die Grenzen verwischt.

Herr Döpfner, weil wir gerne glauben wollen, dass es sich bei Ihren Aussagen vergangene Woche gegenüber dpa nicht nur um wohlfeile Worte handelt, die keine Bedeutung für die tatsächliche Arbeit in der Axel Springer AG haben, möchten wir Sie fragen:

  • Gilt der Trennungsgrundsatz von Werbung und Redaktion, der auch in den “journalistischen Leitlinien” von Axel Springer festgelegt ist, nicht für Online-Angebote?
  • Inwiefern entsprechen die oben geschilderten Beispiele Ihrer Vorstellung davon, wie Werbung und Redaktion “sehr strikt” getrennt werden?
  • Wie lässt es sich mit Ihren Vorgaben vereinbaren, dass bei Bild.T-Online nicht nur einzelne Werbebotschaften nicht als Werbung gekennzeichnet sind, sondern anscheinend ganze Bereiche des Angebotes auf einer systematischen Verwechselbarkeit von werblichen und redaktionellen Botschaften aufgebaut sind?

Mit freundlichen Grüßen
BILDblog.de

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