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medienlese – der Wochenrückblick

KleinBloggersdorfer, Patenkind Nirmala, Facebook-Sperre bei CS.

Teile der deutschsprachigen Bloggerszene hegten publizistische Gedanken, die über das Schreiben eines privaten Blogs hinausgingen. Jochen Hoff, am 12.03.2008: “Virtuell und als Wochenzeitung im Print. Dienstag ist der Tag der ‘Virtuell Times’ oder meinetwegen auch jeder andere Wochentag. Das Biest kann meinetwegen auch KleinBloggerdorfer Anzeiger heißen. Aber anfangen sollten wir. Mit dem Denken zuerst und dem sammeln von Menschen. Im Herbst sollte die Idee rund sein, im Winter die Technik rund gemacht werden und dann den ersten Januar als Starttag. Das wäre machbar.” Und Don Alphonso, am 07.03.2008: “Wisst ihr, Freunde der Blasmusik, ich trage mich ja selber ab und an mit dem Gedanken, was aufzuziehen. Ich hätte das Medium, die Zielgruppe, den Markt und die Region. Und ich denke mir immer: Ach ne, warum, muss eigentlich nicht sein, ich kann auch anders. Obwohl mir viele Leute in den Ohren liegen, es zu probieren. (…)”
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Wie “Bild” Ronald Schills Weste weißte

Die Liste derjenigen, bei denen sich die “Bild”-Zeitung entschuldigen sollte, ist vermutlich so lang, dass sie nicht ausgedruckt werden kann, ohne eine Explosion des Papier-Preises zu verursachen. Vergangene Woche ist sie wieder um ein paar Namen länger geworden.

Denn in der vergangenen Woche hat “Bild” ein Video veröffentlicht, das angeblich zeigt, wie der frühere Hamburger Richter und Innensenator Ronald Schill Kokain schnupft und erklärt, wie er die Öffentlichkeit mithilfe eines Haartests über seinen Drogenkonsum getäuscht habe. Das ist insofern überraschend, als sich “Bild” vor sechs Jahren, nachdem Schill diesen Test gemacht hatte, ganz außerordentlich sicher war. “Bild” Hamburg titelte am 19. Februar 2002:

Schill nahm nie Kokain

Diese Schlagzeile scheint nicht nur aus heutiger Sicht falsch zu sein — sie war auch aus damaliger Sicht schon falsch, nämlich durch nichts gedeckt. “Bild” wusste genau, dass die Aussagekraft des Haartestes, den Schill hatte machen lassen, nicht weiter als knapp eineinhalb Jahre zurückreichte. Und “Bild” selbst schrieb, die Mediziner hätten “sporadische Einnahmen” von Kokain als “unwahrscheinlich” bezeichnet — also nicht ausgeschlossen.

Der Name des Autors über dem “Bild”-Artikel vom vergangenen Samstag (“Ein deutscher Politiker schnupft ungeniert Kokain!”) ist übrigens derselbe, der über dem “Bild”-Artikel von 2002 (“Schill nahm nie Kokain”) stand: Christian Kersting. — Lustig.

Jedenfalls behauptete “Bild” 2002, die Münchner Rechtsmedizin, die die Probe damals untersuchte, habe “die genauestmögliche Messmethode angewandt, die es gibt”. Dabei hatte der Toxikologe Hans Sachs laut “Bild” bloß gesagt: “Das war die genaueste Analyse, die je an diesem Haus durchgeführt wurde.” Wolfgang Eisenmenger, der Vorstand des Instituts, erklärte jetzt gegenüber morgenpost.de, andere Labors hätte empfindlichere Tests durchführen können — Schill habe das aber abgelehnt.

Das wusste man damals noch nicht; bekannt war aber, wie begrenzt die Aussagekraft dieser Untersuchung war. Am selben Tag, an dem “Bild” titelte: “Schill nahm nie Kokain”, berichtete z.B. die “taz”:

Die Aussagekraft der Haarprobe war im Vorfeld allerdings selbst vom durchführenden Toxikologen Prof. Hans Sachs in Frage gestellt worden. Auch sein Frankfurter Kollege Gerold Kauert betonte, dass “nur relevanter Drogenkonsum nachgewiesen werden kann, so bei einem Menschen, der jedes Wochenende Drogen nimmt”. Ähnlich hatte sich auch der Leiter des Institutes für pharmazeutische Forschung in Nürnberg, Prof. Fritz Sörgel, geäußert.

Ähnlich berichtete damals auch “Spiegel Online”.

Schill ignorierte diese wichtigen Einschränkungen natürlich — und seine Freunde von “Bild” auch. Für die Zeitung, die den “Richter Gnadenlos” in Hamburg in den Monaten zuvor maßgeblich groß gemacht und zum einsamen, durchgreifenden Kämpfer gegen Kriminelle hochstilisiert hatte, blieb nicht der Hauch eines Zweifels.

“Bild” über “Panorama”

“Bild”, 12.2.2002:
Hamburgs Innensenator Ronald Schill (43) will ein für alle Mal die unglaublichen Kokain-Vorwürfe gegen sich aus der Welt schaffen! Als erster Politiker unterzog er sich gestern im Gerichtsmedizinischen Institut München einem Haartest.
Schill reagierte mit seinem aufsehenerregenden Schritt auf unbewiesene Vorhaltungen des NDR-Magazins “Panorama”. In der TV-Sendung hatte ein angeblicher Zeuge behauptet, Schill habe sich bei einer Wahlparty am 23. September 2001 in Hamburg mit dem Finger “weißes Pulver” auf das Zahnfleisch gerieben. Laut “Panorama” eine gängige Methode, um Kokain zu konsumieren.

“Bild”, 21.2.2002:
Verlierer
Das TV-Magazin “Panorama” (NDR) hat vor dem Landgericht Hamburg eine schwere Niederlage erlitten. Das Polit-Magazin darf nicht mehr behaupten, dass Hamburgs Innensenator Schill Kokain genommen hat. Sonst droht ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro. BILD meint: Bitte nicht von unseren Rundfunkgebühren…

Zur Untersuchung der Haarprobe sah sich Schill gezwungen, nachdem das ARD-Magazin “Panorama” am 7. Februar 2002 einen unkenntlich gemachten Zeugen präsentiert hatte, der angab, Schill beim offenkundigen Kokain-Konsum gesehen zu haben. (Entsprechende Gerüchte waren schon vorher aufgetaucht.) “Bild” listete deshalb am 22. Februar 2002 unter der Überschrift “Wer sich bei Schill entschuldigen sollte” unter anderem auf:

Jobst Plog, NDR-Intendant. Er ist der oberste Chef und verantwortlich für den Bericht. Gegen ihn erwirkte Schill eine einstweilige Verfügung.

Kuno Haberbusch, Panorama-Chefredakteur. Sein Magazin präsentierte den offenbar falschen Zeugen und montierte angeblich widersprüchliche Aussagen Schills aneinander.

Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem, Bundesverfassungsrichter. Er hatte in einem offenen Brief Schill aufgefordert, sich zu den Kokain-Vorwürfen zu äußern. Scheinheilig dozierte er dabei, er sei nur um das Ansehen des Amtes besorgt.

Bei wem sich die “Bild”-Zeitung nun ihrerseits entschuldigt hat (unser erster Vorschlag: die Leser), ist unbekannt.

 
PS: Auch den “Bild”-Kolumnisten Franz Josef Wagner beschäftigte der Fall. Am 12. Februar 2002 schrieb er an Schill einen Brief:

Lieber Innensenator Schill,

obwohl ich Ihr Law-and-Order-Gedöns überhaupt nicht mag, finde ich mich plötzlich unter denen, die Sie verteidigen. “Panorama” hat einen anonymen Zeugen auftreten lassen, der behauptete, Sie hätten sich auf einer Party weißes Pulver auf Ihr Zahnfleisch gerieben. Von da an standen Sie unter dem Anfangsverdacht zu koksen. (…)

Ich finde die “Panorama”-Sendung beschämend. Genauso könnte “Panorama” per anonymen Zeugen verbreiten, ich, Franz Josef Wagner, Kolumnist der BILD-Zeitung, hätte Sex mit Kindern. Was um Gottes willen kann ich dann machen? Selbstmord? (…)

“Anonym” war der Zeuge zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr. Schon zwei Tage nach der “Panorama”-Sendung wurde er als Funktionär der Schill-Partei und namentlich “enttarnt”. Von “Bild”.

Mehr zum Thema in der “Süddeutschen Zeitung”, bei “Panorama” und bei “Zapp”.

6 vor 9

Journalisten, umarmt die Blogger!
(fr-online.de, René Martens)
“Manche Experten sind angesichts des fortschreitenden Umbruchs auf dem Zeitschriften- und Zeitungsmarkt der Ansicht, ein paar Visionäre stünden der Branche nicht schlecht zu Gesicht.”

Wolfgang Büchner, Spiegel Online
(turi-2.blog.de, Video, 5:58 Minuten)
Ein Interview mit Wolfgang Büchner, seit Januar 2003 stellvertretender Chefredakteur von Spiegel Online.

Die Schweiz in 660 560 000 000 Pixeln
(nzz.ch, Kurt Haupt)
Jedes Stückchen Schweiz wird alle drei Jahre aus der Luft neu fotografiert. Internet-Firmen wie Search.ch oder Google nutzen diese Bilder für vielfältige Auskunftsdienste. Bei einer Flughöhe von zwei Kilometern lassen sich auch noch fussballgrosse Objekte erkennen.

Dürfen die das?
(zeit.de, Christian Fuchs und Judith Scholter)
Auf dem Internetportal spickmich.de bewerten Schüler ihre Lehrer – anonym. Manche Lehrer fühlen sich an den Pranger gestellt und klagen gegen die Webseite. Der nächste Gerichtstermin ist am 12. März. Vorher bat die ZEIT zum Streitgespräch.

Ärzte und Kliniken im Internet angeprangert
(welt.de, Claudia Liebram)
Im Internet können Nutzer Ärzte und Kliniken bewerten. Die sind nicht immer begeistert. “Arzt-Bewertungsportale halten oft nicht, was sie versprechen”, meint die Stiftung Gesundheit. Die Geschmähten lassen das nicht auf sich sitzen. Ein Portal zur Beurteilung von Kliniken fand sich jüngst vor Gericht wieder.

Keeping your job in journalism
(ojr.org, Robert Niles)
Competition is back in journalism, and many reporters are losing their jobs in the confusion. Here are some tips to help you avoid that end.

Allgemein  

Alle an den Pranger!

Wir haben den Eindruck, es ist schlimmer geworden. Als wolle die “Bild”-Zeitung immer seltener darauf verzichten, all das, was ihre eifrigen Reporter so anschleppen, auch herzuzeigen. Überall dort, wo wir die folgenden Abbildungen von “Bild”-Zeitungsseiten aus der vergangenen Woche mit roter Farbe übermalt haben, sind Menschen zu sehen, die (unter z.T. tragischen Umständen) Straftaten begangen haben oder begangen haben könnten.

Die Fotos, auf denen die Abgebildeten allesamt gut zu erkennen sind, wurden zum Teil von Paparazzi angefertigt oder aus privaten Fotoalben besorgt. Und wir wollen nicht ausschließen, dass es ein (womöglich weit verbreitetes) Bedürfnis gibt, solche Bilder zu sehen.

Aber: Es gibt nicht nur keine Notwendigkeit, all diese Menschen Millionen anderen Menschen in der Zeitung zu zeigen. Es käme Journalisten, die sich journalistischen Mindestanforderungen (wie sie beispielsweise der Pressekodex festschreibt) und dem Persönlichkeitsrecht verpflichtet fühlen, auch gar nicht in den Sinn, diese Fotos zeigen zu wollen.

Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich z.B. eine junge Frau, die gerade wegen des Verdachts, ihr eigenes Baby getötet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt, juristisch gegen die Veröffentlichung eines Fotos von ihr zur Wehr setzt, für “Bild” ebenso überschaubar, wie es die aus einem eventuellen Gerichtsprozess resultierenden Schmerzensgeldforderungen sind.

(Und wenn sich niemand die Mühe macht, sich darüber beim Presserat zu beschweren, besteht nicht einmal die Möglichkeit, dass “Bild” dafür eine Presseratsrüge kassiert, die für “Bild” ohnehin quasi folgenlos bliebe.)

P.S.: Das Foto neben der Schlagzeile “Eltern jagen Killer ihres Sohnes” (oben rechts) zeigt einen Mann, der z.Zt. in Untersuchungshaft sitzt. Er soll vor über zwei Jahren im Streit einen Kollegen getötet haben. Doch was damals wirklich passierte, ist bis heute nicht geklärt. Außer für die “Bild”-Zeitung. Sie zeigt den Mann heute und nennt ihn schlicht:
"Der Täter"

Unverbesserlich III

Nein, es vergeht in der Tat kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht irgendjemandes Persönlichkeitsrechte verletzt. (Der Verlag, in dem “Bild” erscheint, hat sich zwar u.a. verpflichtet, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten und in der Regel keine Informationen in Wort und Bild zu veröffentlichen, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Darum, ob diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt wird, kümmert sich verlagsintern aber offenbar niemand.) Nahezu täglich zeigt “Bild” beispielsweise Fotos, die unzulässigerweise eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen. Und immer wieder mag sich (insbesondere für Boulevardjournalisten) natürlich die Frage stellen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht doch überwiegt.

Aber es gibt Fälle, da ist diese Frage schon beantwortet.

So hatte der Presserat die “Bild”-Zeitung beispielsweise 2004 öffentlich gerügt, weil sie das Foto einer jungen Frau zeigte, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte “Bild” abermals das Foto einer Frau, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Der Presserat missbilligte das: “Bild” hätte “auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen” (wir berichteten).

Und heute?

Heute zeigt “Bild” wieder das Foto einer Frau, die verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kindes getötet zu haben. Die Veröffentlichung unterscheidet sich nur insofern von den anderen beiden, vom Presserat beanstandeten, als “Bild” dort die Betroffenen ebenso halbherzig wie unzureichend anonymisiert hatte — wohingegen “Bild” sich heute sogar diese Mühe spart (siehe Ausriss, Unkenntlichmachung von uns).

Der zugehörige “Bild”-Artikel beginnt mit dem Wort:

"Warum?"

Im vergangenen Jahr hatte “Bild” die identifizierende Berichterstattung im Nachhinein u.a. damit zu rechtfertigen versucht, dass der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen sei…

Allgemein  

Unter Ausschluss der “Bild”-Zeitung (2)

Vergangene Woche hatte das Bremer Landgericht, das derzeit über den Tod des zweijährigen Kevin verhandelt, angekündigt, zu prüfen, ob “Bild” von dem Prozess ausgeschlossen werden soll. “Bild” hatte nämlich im Dezember trotz der ausdrücklichen Aufforderung des Gerichts, die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu achten, im Dezember ein unverfremdetes Foto des Angeklagten abgedruckt (wir berichteten).

Ganz so schlimm ist es für “Bild” nun doch nicht gekommen. “Bild”-Mitarbeiter dürfen weiter bei dem Prozess dabei sein. Allerdings untersagte der Vorsitzende ihnen “weiter Bild-Aufnahmen anzufertigen”, und sie dürfen auch, anders als Vertreter anderer Medien, “keine Bild-Aufnahmegeräte mit sich führen”, wie es in dem heute verkündeten Beschluss heißt. Das gilt für alle, die für “Bild” tätig sind, also auch für freie Mitarbeiter.

Der Vorsitzende hat davon Abstand genommen, auch Wortredakteure auszuschließen, um nicht den Eindruck zu erwecken, ein Medium werde wegen unliebsamer Berichterstattung “abgestraft”.

In der Begründung (die laut einer Sprecherin des Bremer Landgerichts “ungewöhnlich ausführlich” ausfiel) betont der Richter, dass er zu Beginn des Prozesses “in teils drastischen Worten” auf die Anonymisierungspflicht hingewiesen habe. Dagegen habe “Bild” außerdem in ähnlich gelagerten Fällen schon zwei mal verstoßen.

Eine bloße Entschuldigung für das “technische Versehen” (“Bild”) reichte dem Vorsitzenden nicht aus.

medienlese – der Wochenrückblick

Poschi auf der Flucht, Presseschau statt Morgengebete, Brüste in der Schwangerschaft.

Ulf Poschardt, leidenschaftlicher Autofahrer und Verachter von VW-Käfer-fahrenden Klimamoralisten, hatte eine schlechte Woche. Zuerst wurde er als Chefredakteur der Zeitschrift Vanity Fair, für die für gut ein Jahr geleitet hatte, gefeuert freiwillig gegangen, dann schüttete eine Rapperin ihm in einer Fernsehsendung überraschend ein Glas Wasser ins Gesicht, nachdem er sie zuvor offenbar Nervensäge genannt hatte. Poschardt verliess darauf die Sendung, nicht ohne einen Knicks zu machen. Ein Handgemenge wäre wohl angemessener gewesen.

Der Perlentaucher staunte über die Süddeutsche Zeitung. Willi Winkler schrieb dort: “Auch der von einigen anstelle eines Morgengebets aufgesuchte InternetDigest Perlentaucher ist unterkomplex, wie es die menschliche Software erlaubt: die anonymen Bergwerker, die im Morgengrauen die Feuilletons ausweiden und dabei auch noch gewichten sollen, sie können die Artikel im besten Fall kurz beriechen, aber in dem dafür vorgesehenen Halbsatz nur selten angemessen wiedergeben.” Der Perlentaucher dazu: “(Und wir dachten immer, die SZ verklagt uns, weil wir zu viel von ihrem Inhalt wiedergeben!)”
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Woher bei “Bild” der Wind in die Segel weht

Ein 21-jähriger Türke hat am vergangenen Mittwoch versehentlich ein jahrzehntelang von linken Gutmenschen kunstvoll aufgeschichtetes Lügengebäude zum Einsturz gebracht, indem er in der Gesprächssendung “Hart aber fair” nicht “Deutschland” die Schuld daran gab, dass er kriminell wurde. Dass er sich so offen und wahrheitsgemäß äußerte, war nämlich ein dramatischer Fehler: SPD, Grüne oder der WDR hatten versäumt, den Gast vor der Show zu “briefen”, wie es sonst immer üblich ist: den Türken also zu sagen, dass sie in den Medien gefälligst die mangelnden Möglichkeiten in diesem Land anprangern müssen.

Das klingt nicht sehr plausibel, meinen Sie? Das ist aber, leicht zugespitzt, der “schlimme Verdacht”, den die “Bild”-Zeitung heute äußert:

Es geht um Alaattin Kaymak, einen 21-jährigen Türken, der früher gewalttätig war. Moderator Frank Plasberg fragte ihn in seiner Sendung, was “der Staat Deutschland” für ihn persönlich hätte besser machen können. Kaymak musste lange überlegen, offenbar war er auf die Frage nicht vorbereitet. Es entstand eine Pause, dann sagte er:

“Da fällt mir jetzt eigentlich nicht viel zu ein, weil es ist hier eigentlich alles gegeben an Möglichkeiten — man muss sie auch ein bisschen selber suchen.”

Unmittelbar darauf flüsterte der Grünen-Politiker Özcan Mutlu der neben ihm sitzenden Justizministerin Brigitte Zypries zu: “Wurde der gar nicht gebrieft?”, worauf sie antwortete: “Doch!”

“Bild” fragt:

Hat Zypries und Mutlu diese Antwort nicht gefallen? (…)

Gibt es bei Plasberg Absprachen mit Gästen über ihre Antworten? Einen Tag nach der Sendung gab es Riesenwirbel. So gab es bei “FAZ-online” und anderen Internetforen den Verdacht, dass hinter dem Rücken der Zuschauer manipuliert wurde.

FAZ.net hat diesen Verdacht keineswegs. Der “FAZ”-Redakteur nennt ihn im Gegenteil eine “Verschwörungstheorie”, denn “die Erklärung” für den Vorfall sei, wie Özcan Mutlu der “FAZ” gesagt habe, “ganz einfach”:

Weil er erst in letzter Sekunde ins Studio gekommen war und die Gespräche, die Plasberg vor Sendebeginn mit den einzelnen führte, nicht mitbekam, habe ihn gewundert, warum der junge Mann bei dieser Frage so ins Stottern kam.

Es gibt aber tatsächlich ein “Internetforum”, das den Verdacht der Manipulation verbreitet: die Seite “Politically Incorrect”, ein erfolgreiches islamfeindliches Blog, das immer wieder durch Falschinformationen und rassistische Kommentare bis hin zu Morddrohungen auffällt. Es verbreitete bereits gestern Vormittag die Behauptung, bei dem “Flüsterdialog” handele es sich um einen “unfassbaren Skandal im deutschen Fernsehen und der deutschen Politik”.

Der anonyme Autor von “Politically Incorrect” behauptet, die Tatsache, dass einem jungen Türken keine Antwort auf die Frage einfiel, was Deutschland denn besser hätte machen können, sei von wegweisender Bedeutung und nennt Kaymaks Satz:

Eine Aussage, die gerade der üblichen Argumentation, Deutschland würde den Migrantenkindern nicht genug bieten und sich nicht genügend um Integration bemühen, vollkommen den Wind aus den Segeln nimmt.

Das klingt doch arg überinterpretiert, würde bedeuten, dass wir fortan nicht einmal mehr über Mängel bei der Integration reden müssten, sondern wirklich nur noch übers Wegsperren und Ausweisen, aber es handelt sich ja auch um ein für diese und andere extremen Meinungen bekanntes Blog. “Bild” dagegen nennt Kaymaks Satz:

Eine Ansicht, die der häufigen Argumentation, dass mehr für die Integration von Migrantenkindern getan werden muss, den Wind aus den Segeln nahm.

Na sowas.

Vielen Dank an Sven D.!

6 vor 9

“Datenschutz ist antiquiert”
(zeit.de, Kai Biermann)
Daten werden zwangsläufig überall gesammelt, sagt der Zukunftsforscher Bernd Flessner. Wir sollten deswegen nicht aufhören, gegen die “Observosphäre” zu kämpfen – aber auch lernen, mit ihr zu leben.

“Es ist immer anstrengend, Neues auf die Beine zu stellen”
(persoenlich.com, David Vonplon)
Im November hat die Senderfamilie von Radio DRS mit dem Nonstop-Nachrichtenkanal DRS 4 News Zuwachs erhalten. Laut Medienberichten sorgt das jüngste Kind redaktionsintern für Unruhe: Von Überlastung, Missstimmung und Kündigungen ist die Rede. Im Interview mit “persoenlich.com” räumt Chefredaktor Rudolf Matter strukturelle Probleme in der Abteilung Information ein, spricht aber trotzdem von einem gelungenen Start von DRS 4 News.

Kein Werbeverbot im Kinderprogramm
(taz.de, Reinhard Wolff)
In Schweden darf sich Fernsehwerbung nicht an Konsumenten unter zwölf Jahren richten. Die EU will das ändern. Ein Rechtsstreit ist programmiert.

Comeback eines Moguls
(sueddeutsche.de, Rupert Murdoch)
Rupert Murdoch kauft und kauft. Nach dem Wall Street Journal tätigt er eine Akquisition in Deutschland. Der amerikanische Medienherrscher wird Großgesellschafter im deutschen Fernsehen – bei Premiere.

?Ich glaube noch an Aliens?
(tagesspiegel.de, Torben Waleczek)
Mitte der 1970er Jahre begeisterte er das deutsche Publikum mit Löffel verbiegen durch angeblich übersinnliche Kräfte. Mit dem Tagesspiegel spricht Uri Geller über Wunder, Kritiker, Reichtum und sein Comeback im Fernsehen.

Gute Vorsätze
(moritzleuenberger.blueblog.ch)
“Die anonyme Verfasserin des gestrigen Seitenhiebes in der NZZ am Sonntag (ich ‘missbrauche den Bundescomputer für einen privaten Blog’) sieht korrekte bundesrätliche Arbeit offenbar einzig im Dossierwühlen, jedenfalls nicht in öffentlicher Kommunikation (ausser natürlich wenn es um ein Interview im eigenen Blatt geht).”

  

Wunschzettel an die “Bild”-Redaktion


Sebastian Walther, 25, ist BILDblog-Leser. Nach eigenen Angaben hat der freiberuflicher Journalist und Discjockey “das Gefühl, dass er mit zunehmendem Alter mit seinen Wunschzetteln immer später dran ist. Zu seinen Auftraggebern zählt auch der Axel-Springer-Verlag. Er ist schon gespannt, was das neue Jahr in dieser Hinsicht bringt. An den Weihnachtsmann glaubt der Braunschweiger schon lange nicht mehr, wohl aber das Wunder der Weihnacht. Mit besonders viel Freude würde er also im Januar einen BILDblog-Eintrag über seinen erfüllten Wunschzettel (nebenstehend) lesen. Falls es damit nichts wird: Mit seiner Liste für Ostern hat er bereits begonnen.”

Von Sebastian Walther

Geschätzte Kollegen am Axel-Springer-Platz,

ich weiß, Ihr habt nichts zu verschenken. Außer vielleicht, man heißt Dieter Bohlen. Aber umsonst scheint es bei “Bild” nichts zu geben. In vier Tagen ist Weihnachten, ich möchte es trotzdem versuchen. Vielleicht bin ich damit bereits zu spät, vielleicht auch längst zu alt, aber auch ich habe einen Wunschzettel.

Eine Titelseite wünsche ich mir. Eine Überschrift, die schreit. Etwas Markerschütterndes, das die Schuhe auszieht und die Socken gleich mit. Ist doch sonst auch kein Problem. Wie wäre es mit dem “Bild”-Lieblingsthema: Soziale Gerechtigkeit kübelweise, der erhobene Zeigefinger in dicken, fetten Lettern. Zum Fest in hellem Grün bitteschön. Etwa “510 Millionen verpulvert” könnte er lauten, “Arbeiten und trotzdem arm” würde auch passen oder “9.000 ohne Job”. Nicht packend genug? Es fehlen Witz und Esprit? Wie wäre es stattdessen mit:

"Ich PIN dann mal weg"
Einen packenden Aufmacher zum Niedergang der “grünen Post”, wie Ihr den Briefdienstleister PIN AG heute nennt, das hätte ich mir gewünscht. Nach einer knappen Kurzmeldung gestern, gibt es in der heutigen Ausgabe immerhin einen Bericht dazu. Nur mündet der wieder, man hat es geahnt, im bösen Buben Mindestlohn. Das der “Stern” in seiner aktuellen Ausgabe jedoch von Zustellern berichtet, die für 40 Stunden pro Woche mit monatlich gerade mal 400 Euro entlohnt werden, ist Euch keinen Buchstaben wert. Sieht so der Kampf im Dienst des kleinen Mannes aus? Was jedoch schreit da heute stattdessen von Seite 1: die kleine Schwester von Britney Spears ist schwanger. Mit 16! Und nur wenige Zeilen darunter, räkelt sich Miriam im Wasser. Bedeckt durch eine “klitzekleine Hürde”.

Wenn wir also schon dabei sind, liebe Redaktion, nutzt doch bitte die besinnliche Zeit, um die moralische Wünschelrute wieder neu zu justieren. Irgendwie will das kein stimmiges Bild ergeben: Miriam im Bikini auf dem Titel, “knisternde Verbindung” auf Seite 14: “Direkt + ohne Vorspiel” geht es dort zur Sache, mit dabei ist “Resi (69)”. Und auf den anderen Seiten weidet man sich genüsslich an vermeintlichen Schändern, Sadisten oder Perversen. Wo genau hängt denn nun das Gewissen — Keller oder Parterre? Die “sexhungrige Nachbarin verführt Jungen” auf Seite 6. Bei soviel Schweinkram kann man getrost auf eine Anonymisierung verzichten. Hat sie ja auch nicht besser verdient.

Einen dritten Wunsch, den kann ich mir zum Schluss nicht verkneifen. Sicher, es ist immer wieder beeindruckend mit wie vielen Superstars Welt- und Lebemann Körzdorfer (hat der Mann eigentlich keinen Vornamen?) per Du ist. In der heutigen Ausgabe darf Comedian Atze Schröder in eurem Blatt Imagepflege betreiben. “Der bekannteste TV-Pudel” gewährt wahrlich Einblicke in sein Leben. Endlich erfahre ich, dass er “Bücherwurm”, “DVD-Freak” und “Windsurfer” ist. Kein Wort jedoch, zum gerichtlichen Namensstreit des Atze Schröder, der untersagen ließ, dass man diesen Mann des öffentlichen Interesses mit seinem richtigen Namen nennt. Überhaupt scheint Körzdorfer seine “Begegnungen” generell in Samthandschuhen zu tippen. Das ist gelebte Nächstenliebe, der Geist der Weihnacht weht über den Axel-Springer-Platz.

 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Jens Weinreich.

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