Suchergebnisse für ‘anonym’

Darauf muss man erst mal kommen

Unsere Eltern hatten uns immer gewarnt: Es schädige das Rückenmark, verursache Pickel und mache blind. “Tausend Schuss, dann ist Schluss”, haben sie gesagt.

Und jetzt das:

Medien berichten: Junge (16) onanierte sich zu Tode

“In Brasilien”, also an einem angenehm weit entfernten Ort, “soll”, so Bild.de, sich ein Junge zu Tode onaniert haben. Das berichte das englische Onlinemagazin “The Morning Star”.

Angeblich soll sich der Jugendliche aus dem Dorf Rubiato im Bundesstaat Goias unglaubliche 42mal selbst befriedigt haben. In einer Nacht. Hintereinander.

Schulfreunde behaupten, er hätte sie sogar zu seinem nächtlichen Samenerguss-Marathon eingeladen. Alles live via Webcam.

Nun heißt das englische Onlinemagazin eigentlich “The Morning Starr”, hat ein irritierend martialisches Logo und bringt sonst Meldungen wie “Die fetteste Frau der Welt”, “Alkoholiker festgenommen, weil er eine Schlange gebissen hat” und “Großmutter findet beim Aufwachen einen Fuchs in ihrem Bett”. Klar, dass sich Bild.de-Redakteure dort auf der Suche nach Meldungen rumtreiben.

Zum angeblichen Tod des Schülers schreibt die Website ziemlich genau das, was Bild.de dort abgeschrieben hat.

Nur: “The Morning Starr” hatte es auch abgeschrieben — bei der brasilianischen Website “G17”, wo die Meldung seit Juni steht. Dort heißt es zu dem Fall unter anderem, auf dem Computer des Teenager seien ungefähr 17 Millionen erotische Videos und 600 Millionen Fotos gefunden worden. Dafür bräuchte er eine verdammt große Festplatte. Das Bild, mit dem “G17” den Artikel bebildert hat, stammt aus einer polnischen Party-Bildergalerie.

Auf der Startseite von “G17” stehen Meldungen wie “Senat billigt automatischen Freispruch für korrupte Politiker” oder “Justin Bieber verspricht, in Brasilien die Windeln auf die Fans zu werfen”. Was ist das für eine Website, die noch bizarrere Artikel bringt, als Bild.de und “The Morning Starr” zusammen?

Nun, das kann man auch ohne größere Portugiesisch-Kenntnisse verstehen:

G17 é um site de humor que satiriza os portais de notícias com conteúdo fictício.

Eine Humor-Website, die mit frei erfundenen Inhalten News-Portale verhöhnt.

Mit Dank an Anonym, Matthias B., Nicole H. und nothing.

Nachtrag, 19.40 Uhr: Bild.de hat’s auch gemerkt und unauffällig einen Nachtrag angefügt:

PS. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Geschichte (nicht nur für den Jungen) glücklicherweise um eine Satire, die sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitet. Ob häufiges Onanieren wirklich tödliche Folgen haben kann, lesen Sie hier.

Und “hier” hat Bild.de tatsächlich einen Mediziner befragt: “Kann man sich wirklich zu Tode onanieren?”

Bild  

Aus großer Kraft folgt große Verantwortung

Wenn ein Taxifahrer einen weiblichen Fahrgast gewaltsam in den Kofferraum seines Wagens packt, dann kreuz und quer durch Hamburg fährt, schließlich vor dem eigenen Haus parkt und sich schlafen legt, während das Opfer erst nach insgesamt sechs Stunden von aufmerksamen Nachbarn befreit wird, dann könnte man unter Umständen annehmen, dass der mutmaßliche Täter nicht ganz bei Trost ist — oder es zumindest vorübergehend nicht war.

Diese Beweisführung reicht “Bild Hamburg” nicht aus. Stattdessen durften zwei Reporter im Privatleben des mutmaßlichen Täters und seiner Familie herumschnüffeln. “BILD auf Spurensuche” nennt sich das dann.

Und das Ergebnis sieht so aus:

BILD auf Spurensuche Die irre Welt des Taxi-Entführers +++ Er hielt sich für Spiderman +++ Er wohnte mit 57 noch bei Mama +++ Er wollte Pfand für leere Wodka-Flaschen

Taxi-Entführer [R.], der eine Frau sechs Stunden im Kofferraum seines Wagens gefangen hielt – langsam kommt zu Tage, wie durchgeknallt er ist.

Die Beweisführung dafür, “wie durchgeknallt” der “Taxi-Entführer” ist, klingt dabei arg an den Haaren herbeigezogen. Und fast schon im Vorbeigehen verletzt “Bild” die Persönlichkeitsrechte des mutmaßlichen Täters und seiner Familie:

Er ist 57 Jahre alt, lebt aber immer noch bei seinen Eltern, auf einem Hof bei Norderstedt. Unten wohnen Mutter […] und Vater […], den ersten Stock teilen sich [der mutmaßliche Täter], seine […] Schwester, sein […] Bruder und dessen Ehefrau.

Abgesehen davon, dass eine solche Wohnsituation auch wohlwollend als Mehrfamilienhaus mit verschiedenen Generationen unter einem Dach bezeichnet werden könnte, nennt “Bild” nicht nur das Alter jedes einzelnen Familienmitglieds, sondern zeigt auch noch ein Foto des Hofs inklusive Ortsangabe.

Nächster Beleg für die “Durchgeknalltheit” des mutmaßlichen Täters:

Er hielt sich für Spiderman. Ein Foto des Spinnenmannes mit dem einmontierten Gesicht von […] hängt bei einem früheren Arbeitgeber an der Wand.

Es ist noch nicht mal klar, ob der mutmaßliche Täter diese Montage selbst angefertigt hat. Ihm allein deshalb unterstellen, er halte sich für Spiderman, ist perfide. Dann müsste sich auch Kai Diekmann für eine gigantische Statue mit einer goldenen Gurke in der Hand halten.

Müssen wir noch erwähnen, dass das Gesicht des Taxifahrers in der Spiderman-Montage bei “Bild” nicht anonymisiert ist?

Und die “Bild”-Spurensucher fanden noch mehr heraus:

Er wollte Pfand für Wodka-Flaschen! Am 9. Juni tauchte Ralph B. mit seinem Taxi bei einer Tankstelle auf und wollte die leeren Fusel-Pullen abgeben.

Das muss man sich mal vorstellen: Pfand für Wodkaflaschen als Indiz für Wahnsinn! Wenn jeder, der das deutsche Flaschenpfandsystem nicht ganz durchblickt, “durchgeknallt” ist oder in einer “irren Welt” lebt, dann haben wir ein Problem.

Sollte “Bild” trotz dieser lausigen Beweise richtig liegen, was die Frage nach der geistigen Gesundheit des mutmaßlichen Täters angeht, dann hätten die beiden Reporter (neben der o.g. Verletzungen der Persönlichkeitsrechte) ironischerweise auch noch gegen diese Richtlinie des Pressekodexes verstoßen:

Richtlinie 4.2 – Recherche bei schutzbedürftigen Personen
Bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen ist besondere Zurückhaltung geboten. Dies betrifft vor allem Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen […] Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind […]. Die eingeschränkte Willenskraft oder die besondere Lage solcher Personen darf nicht gezielt zur Informationsbeschaffung ausgenutzt werden.

Mit Dank an Leo.

Bild  

Kodex-Exegese

Der Pressekodex, jenes Regelwerk, zu dessen Einhaltung sich die deutschen Print- und Onlinemedien selbst verpflichtet haben (und dessen Nicht-Einhaltung für sie quasi folgenlos ist), gibt eine eher freudlose Lektüre ab. Wie richtige Gesetzestexte auch, ist der Kodex recht trocken gehalten.

Was soll man sich zum Beispiel unter der Richtlinie 12.1 vorstellen?

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Und Ziffer 1 ist dann vielleicht doch ein bisschen allgemein formuliert:

Ziffer 1 – Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. (…)

Grau ist alle Theorie, schön bunt ist die “Bild”-Zeitung — und die zeigt heute auf ihrer Seite 3 gleich an mehreren Stellen recht anschaulich, wie der Pressekodex gemeint sein könnte:

Rumänische Geldautomaten-Bande in Dortmund geschnappt - Läuft in Remscheid ein Sex-Schwein frei herum?
Immerhin haben sie es geschafft, die Gesichter notdürftig zu anonymisieren.

Bild  

Ohne Gesicht kein Bericht

Bei “Bild” können sie es selbst nicht fassen, was sie da schreiben (müssen):

“Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”

Ja, liebe Leser, Sie haben richtig gelesen: “Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”, sagt der Deutsche Presserat, der oberste Sittenwächter der Presse – und kritisiert aus diesem Grund immer wieder die BILD-Zeitung. Weil wir ganz anderer Meinung sind. Weil wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen. Und wir deshalb Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder auch zeigen.

Mit diesen zwei Absätzen ist eigentlich alles gesagt, denn natürlich handelt es sich beim Schutz der Identität nicht um irgendeine hippiemäßige Meinung des Presserats, sondern um ein Recht, das sich aus den Grund- und Menschenrechten ableitet und für alle Menschen gilt. Dieses Recht muss im Einzelfall immer gegen das Interesse der Öffentlichkeit abgewogen werden.

Deswegen lautet die Aussage des Presserates vollständig auch:

Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines mutmaßlichen Täters in der Berichterstattung preisgegeben werden. Dabei ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(“Grundsätzlich” ist hier also nicht im Sinne von “immer”, sondern im Sinne von “in aller Regel” gemeint.)

“Bild” glaubt offensichtlich nicht nur, “dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen”, sondern auch, wie ein Kindesentführer aussieht: Im Februar hatte die Zeitung über eine Kindesentführung in der Nähe von Berlin berichtet. Für ihre Form der Berichterstattung erhielt “Bild” vom Presserat eine “nicht-öffentliche Rüge”, über die die Zeitung schreibt:

Grund: Das Persönlichkeitsrecht des Täters, also sein Recht auf Anonymität, verbiete die Namensnennung und Abbildung. “Aus der Schwere der Tat”, so der Presserat, “könne nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.”

“Bild” hatte in der Berichterstattung allerdings nicht nur ein Foto des mutmaßlichen Täters gezeigt und dessen (abgekürzten) Namen genannt, sondern auch dessen Lebensumfeld sehr genau beschrieben.

Der Presserat beschreibt die “Erwägungen des Beschwerdeausschusses” unter anderem so:

Aus der Schwere der Tat könne hier jedoch nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen überwiege. Es müssten weitere Umstände hinzukommen, die für eine Abbildung sprächen. Entgegen der Argumentation des Beschwerdegegners rechtfertige auch das Geständnis die identifizierende Berichterstattung nicht. Gleiches gelte für Aspekte wie das genaue Planen der Tat, die familiäre Situation des mutmaßlichen Täters und seine berufliche Stellung. Diese seien möglicherweise strafrechtlich, jedoch nicht pressethisch von Bedeutung.

“Bild” verkürzt diese Abwägungen zu einer allgemeingültigen Frage:

Ist also der Schutz des Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat?

Wir finden Nein und finden uns mit der Rüge des Presserates auch nicht ab. Deshalb zeigen wir auch heute ein Bild von Carolinas Entführer – und zwar aus dem Gerichtssaal.

Den letzten Satz hat “Bild” natürlich nicht einfach so dahin geschrieben:

Diesen Entführer soll BILD nicht mehr zeigen dürfen

Auch die eigenen Leser will “Bild” mal wieder mobilisieren:

Ist der Schutz eines Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat? Sagen Sie dem Presserat Ihre Meinung: Deutscher Presserat, Fritschestraße 27/28, 10585 Berlin, Tel: 030 / 36 70 07-0, Fax 030 / 36 70 07-20, Email: info@presserat.de

Bis zum Mittag seien “einige Hundert Anrufe, einige Hundert E-Mails und ein paar Faxe” eingegangen, wie uns der Presserat auf Anfrage erklärt. Drei Viertel der Menschen seien für “Bild” gewesen, ein Viertel habe sich differenziert geäußert — auch mehrere Beschwerden über den heutigen Artikel seien auch schon dabei gewesen. Am Nachmittag sei das Verhältnis schon bei zwei Dritteln zu einem Drittel gewesen.

Dabei könnte “Bild” auf derlei populistische Aktionen verzichten: Der Presserat wird von Verlegerverbänden und Journalistengewerkschaften getragen, das heißt die Axel Springer AG, bei der “Bild” erscheint, könnte sich für eine Änderung des Pressekodex in diesem Punkt einsetzen. Das hat sie laut Presserat bisher noch nie versucht.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber! (Ihr könnt jetzt aufhören!)

Blau und Weiß, wie lieb ich Dich

Was macht man als Online-Portal der “Pforzheimer Zeitung”, wenn man für einen Artikel über Fans des Karlsruher SC ein Bild braucht, aber (aus was für Gründen auch immer) keines zur Hand hat?

Man zeigt natürlich je einen Fan von Borussia Dortmund und Schalke 04 und anonymisiert das Ganze ein bisschen:

KSC-Fans (Symboldbild) wehren sich - bislang - erfolgreich gegen ein Gesichtserkennungsprojekt, das die Gesichter der Besucher des Wildparkstadions aufgenommen hätte.

(Originalbild z.B. bei der “Augsburger Allgemeinen”.)

Mit Dank an Jonathan O.

Nachtrag, 29. Juli: pz-news.de hat die Bildunterschrift geändert:

Automatisierte Gesichtserkennung in deutschen Fußballstadien? Noch müssen dies der Dortmund- und Schalke-Fan auf diesem Symbolbild nicht fürchten, auf die Fans des Karlsruher SC könnte solch ein Projekt im Wildparkstadion bald zukommen.

Offensichtlich ist in Pforzheim tatsächlich kein Foto von Karlsruher Fans verfügbar.

Süddeutsche Zeitung, nytimes.com, Apple Store

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Was geht uns Mr. Murdochs Skandal an?”
(falter.at, Armin Thurnher)
“So mies sind unsere Medien” titelt das Wiener Stadtmagazin “Falter”. “Möglicherweise werden bei uns keine Handys gehackt, aber die Sitten der Medien, der Politik und auch der Polizei im Umgang miteinander sind offenkundig verrottet. Die Zitierten sind anonym gemacht, denn sie haben Angst, geklagt zu werden oder ihre Geschäftsbasis, also ihr Amt zu verlieren, wenn sie offen über die medialen Zustände sprechen. Sie erzählen von Erpressung und offener Drohung, wenn sie nicht Geschichten liefern. Sie reden von gekauften Geschichten und korrupten Praktiken.”

2. “Geplante BILDstörung”
(fr-online.de, Ulrike Simon und Joachim Frank)
Eine angeblich geplante “Bild”-Serie zur ARD und eine angeblich geplante Gegenkampagne lösen bei einigen Journalisten Aufregung und Spekulationen aus. “Nun ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich ARD-Programme mit Bild-Machenschaften beschäftigen. Anders liegt der Fall, wenn es sich dabei um von oben verordnete Krisen-PR handelt, die als Journalismus getarnt daherkommt.”

3. “Was aus dem gekündigten SZ-Abo wurde!”
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene)
Dennis Horn kündigt sein Abo der “Süddeutschen Zeitung”. Der Verlag nimmt die Kündigung zwar an, liefert sie aber unverlangt einen Monat weiter, “um Ihnen noch einmal die vielen Vorzüge der Süddeutschen Zeitung aufzuzeigen”.

4. “Horrible Bosses – Fox News Won’t Dumpster Dive”
(thedailyshow.com, Video, 4:14 Minuten, englisch)
Wie “Fox News” (News Corp.) über die Abhörmethoden von “News of the World” (News Corp.) berichtet. Ab 3:50 Minuten ein Interview von “Fox News” mit Rupert Murdoch von 2009.

5. “The nytimes they are a-changin'”
(okayfail.com, Video, 5:36 Minuten, englisch)
Die Frontseite von nytimes.com im Zeitraffer. “Having worked with and developed on a number of content management systems I can tell you that as a rule of thumb no one is storing their frontpage layout data. It’s all gone, and once newspapers shutter their physical distribution operations I get this feeling that we’re no longer going to have a comprehensive archive of how our news-sources of note looked on a daily basis.”

6. “Are you listening, Steve Jobs?”
(birdabroad.wordpress.com, englisch)
Ein Besuch in einem Laden in Kunming, der sich “Apple Store” nennt. “Apple never writes ‘Apple Store’ on it’s signs – it just puts up the glowing, iconic fruit.”

Bild  

Lynchvorlage

Ende Juni kam die siebenjährige Mary-Jane aus dem thüringischen Zella-Mehlis nach der Schule nicht nach Hause, am nächsten Tag fanden Spaziergänger ihre Leiche. Zwei Wochen später, am vergangenen Freitag, nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest, am Samstag hat er gestanden, das Mädchen sexuell missbraucht und dann getötet zu haben.

Auch “Bild” berichtet heute groß über das Geständnis und bedient sich dabei einer inzwischen liebgewonnenen Formulierung:

SIE HABEN DAS SCHWEIN!

Tino L. (37), ein vorbestrafter Metzger, ermordete das Kind aus Zella-Mehlis (Thüringen). Er war nur auf Bewährung in Freiheit!

Man kann das so verstehen, dass der mutmaßliche Täter schon einmal ein ähnliches Verbrechen begangen hat und die deutsche Justiz (die “Bild” und ihren Lesern immer viel zu lax durchgreift) wieder mal versagt hat. Tatsächlich war er wegen Betäubungsmittel- und Straßenverkehrsdelikten vorbestraft und auf Bewährung frei.

Doch der Mann ist für Europas größte Boulevardzeitung nicht nur ein vorbestraftes “Schwein”, er ist noch mehr:

Wer ist der Mörder, der Mary-Jane das angetan hat? Beruflich und privat ein ewiger Verlierer.

“Bild” belegt diese Behauptung damit, dass der Mann zuletzt in einer Reinigungsfirma gejobbt habe, nachdem er bei seinem vorherigen Arbeitgeber rausgeflogen sei, und er zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen habe, die er (“Bekannte berichten”), auf Wunsch der Mütter nicht sehen dürfe.

Der Artikel endet mit diesen Worten:

Der Killer sitzt jetzt in einer Einzelzelle, wird dauerhaft überwacht. Ein LKA-Beamter: “Wenn er sich nicht selbst etwas antut, gäbe es im Knast genügend andere, die das gerne übernehmen würden.”

Insofern fällt dieser “Bild”-Artikel vermutlich unter “Servicejournalismus”:

Das ist Mary-Janes Mörder: Er hat sie missbraucht, gewürgt und warf sie lebend in den Bach
Mit Dank an Therese.

Fortsetzung vor dem Presserat hier.

Herr Admin und Frau Backup_user

Es gibt Meldungen, die wiederholen sich so oft, dass man versucht ist, sie einfach als Vorlage im Redaktionssystem stehen zu lassen. So haben sich die Einbrüche bei namhaften IT-Unternehmen in den letzten Monaten so gehäuft, dass es sich einfach nicht mehr lohnt neue Nachrichten zu schreiben. Man setzt einfach betroffene Firma, Anzahl der gestohlenen Datensätze und den Namen der anonymen Hacker-Gruppe ein — fertig sind Meldung und Schlagzeile.

So meldete Reuters am Montagabend:

Hacker greifen Apple an - Einige Kundendaten veröffentlicht

Dicht gefolgt von “RP Online”:

Kundendaten veröffentlicht Hacker attackieren Apple

Und schließlich berichtete auch krone.at:
Hacker stellen Daten von Apple-Kunden ins Internet

Doch die Macht der Gewohnheit war hier kein guter Ratgeber. Die vorgeblichen Kundendaten lesen sich nämlich etwas seltsam: Die veröffentlichte Liste von 27 Usernamen umfasst so merkwürdige Namen wie “admin”, “backup_user” und “process_super”.

Tatsächlich waren auf dem Server nach dem aktuellen Informationsstand keine Daten von Apple-Kunden abgespeichert. Die Hacker haben stattdessen eine Liste interner Kennwörter der IT-Abteilung von Apple erbeutet. Das ist zwar peinlich genug für Apple und spricht nicht für die IT-Sicherheit des Unternehmens, aber “Kundendaten”, wie einige Medien schreiben, wurden bisher keine veröffentlicht.

Mit Dank an David D.

Get The Party Started

Sie können es nicht lassen. Sie wollen ihren Spaß. Sie wollen provozieren.

Oder, wie Bild.de selber schreibt:

Sie können es nicht lassen. Sie wollen ihren Spaß. Sie wollen provozieren.

Nachdem “Bild” in der vergangenen Woche schon so emsig die Werbetrommel für sogenannte Facebook-Partys gerührt hatte (BILDblog berichtete), geht der Irrsinn ungerührt weiter: Schon letzten Donnerstag berichtete “Bild” in Hamburg über “mehr als 19 000 (!) ‘Facebook’-Mitglieder”, die sich schon für eine Party in Hamburger U- und S-Bahnen angemeldet hätten — und nannte natürlich Datum, Uhrzeit und den Titel, unter dem man die Veranstaltung bei Facebook finden kann.

Gestern Abend dann machte Bild.de groß mit diesem Veranstaltungstipp auf:

Bochum zittert vor Party mit 50000 Facebook-Fans: Sie wollen "Feiern, Flirten, Trinken" - und den Rekord.

Natürlich nennt Bild.de das geplante Datum und den geplanten Ort. Den “Veranstalter” (also jene noch anonyme Person, die die Veranstaltung bei Facebook angelegt hatte), dessen erklärtes Ziel es ist, “50.000 Menschen zusammen zu bekommen”, zitiert das Onlineportal mit den anstachelnden Worten:

“Andere Städte haben es schon vorgemacht, doch diese Party wird alles übertreffen.”

Bild.de weiter:

Bislang gibt es 2381 Zusagen, aber das kann sich über Nacht vervielfachen.

Die Zahl der Zusagen lag heute um 15 Uhr bei 6.200, inzwischen ist die Veranstaltung bei Facebook verschwunden.

Die Pressestelle der Stadt Bochum zeigte sich auf unsere Anfrage hin eher unglücklich über die Berichterstattung der Medien. Der Pressesprecher sagte, er appelliere an alle Journalisten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein, und im Vorfeld auch auf Panikmache zu verzichten.

Mit Dank auch an Sebastian K. und Hainz M.

Amina Arraf, Paula Brooks, kino.to

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Der weiße Mann und die Mär
(taz.de, Natalie Tenberg)
Amina Arraf, lesbische Bloggerin aus Syrien, die über die dortige Revolution berichtete, ist in Wahrheit ein amerikanischer Mann. Oder, wie Natalie Tenberg schreibt, ein “pfuschender Wichtigtuer, der die Sympathien der Welt ausnutzte”, etwa indem er das Foto einer unbeteiligten Frau von Facebook klaute (dazu auch: Der “Guardian” entschuldigt sich für die Verwendung des Fotos und kündigt an, zukünftig bei Internetquellen dem Leser den “Grad der Verifizierung” mitteilen zu wollen).

2. ‘Paula Brooks,’ editor of ‘Lez Get Real,’ also a man
(washingtonpost.com, Elizabeth Flock & Melissa Bell, Englisch)
Auch die lesbische Bloggerin, auf deren Website die angebliche Amina Arraf zunächst ihre Texte veröffentlicht hatte, ist in Wirklichkeit ein Mann.

3. Ehec: Alarm im Jenseits
(politplatschquatsch.com, PPQ)
“650 Quellen melden laut dpa: Viele Ehec-Tote werden nie mehr ganz gesund”

4. Wozu Städte-Ratings?
(matthiasdaum.ch, Matthias Daum)
Ein Plädoyer wider die Städte-Rankings von Wirtschafts- und Style-Magazinen.

5. Audacity of Streaming
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
kino.to ist Geschichte. Und nun? Wird die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen die Nutzer belangen — und falls ja: in welcher Höhe wären ihre Forderungen gerechtfertigt? Und lassen sich legale von illegalen Streaming-Diensten unterscheiden?

6. Die Sprüche von Prinz Philip (90) und die unterschiedlichen Übersetzungen in den deutsch(sprachig)en Medien
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Die Sprüche von Prinz Philip sind legendär. Aber was genau hat er eigentlich gesagt?

Blättern:  1 ... 31 32 33 ... 49