Suchergebnisse für ‘Presserat’

Deisler geht gegen “Bild” vor

Wenn man “Bild” liest, könnte man glauben, Sebastian Deisler sei glücklich über die Art, wie die Zeitung über seine gesundheitlichen Probleme berichtet. Der Spieler des FC Bayern gibt ihr nicht nur ein Exklusiv-Interview (das bei genauerem Lesen allerdings eher wie ein Versuch wirkt, einen “Bild”-Reporter am Telefon höflich, aber schnell abzufertigen). Er weigert sich angeblich auch, seinen Fall öffentlich zu “vertuschen”:

BILD erfuhr: Bayern wollte zunächst alles vertuschen! Deisler sollte in Turin mittrainieren, dann eine Verletzung vortäuschen. Aber da machte der Nationalspieler nicht mit. Deisler wollte erneut offen mit seiner Erkrankung umgehen.

Der Vertuschungs-These, die “Bild” am Mittwoch sogar auf die Titelseite brachte, hat Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge inzwischen vehement widersprochen. Und auch die “Offenheit” Deislers hat Grenzen. Die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” berichtet heute, daß Deisler mehrere zehntausend Euro Schmerzensgeld von dem Blatt fordert, weil “Bild” am Mittwoch ein großes Bild von ihm, seiner Freundin und einem Arzt auf dem Gelände der Klinik zeigte, wo er behandelt wurde. Genau solche Veröffentlichungen aus der Geheimsphäre sind “Bild” jedoch ausdrücklich gerichtlich untersagt, seit Deisler gegen ein ganz ähnliches Foto vorgegangen ist, das “Bild” Anfang August von ihm zeigte. Der Axel Springer Verlag hatte das Urteil am 27. September anerkannt. “Bild” schaffte es nicht einmal drei Wochen, sich an das Verbot zu halten.

neu  

“Lust-Seuche” wieder ausgebrochen

Dieser Artikel auf “Bild”-Online stammt vom 14. Oktober des Jahres 2004. Er trägt folgende Überschrift:

Lust-Seuche besiegt? Forscher erfindet Creme gegen AIDS

Damit das klar ist: Es geht in dem Artikel nicht darum, dass AIDS auch nur ansatzweise besiegt ist, es besteht lediglich die Möglichkeit, dass ein Mittel gefunden wurde, das die Übertragung des Virus verhindert – zusätzlich zum Kondom.

Dass “Bild” es mit der Berichterstattung über die Immunschwächekrankheit AIDS zuweilen nicht so genau nimmt, wissen wir ja schon. Dass der Pressekodex in Ziffer 14 ganz spezielle Richtlinien für die Berichterstattung über medizinische Themen enthält, erwähnen wir nur der Vollständigkeit halber – Wie aber kommt “Bild” dazu, hier plötzlich den Begriff “Lust-Seuche” zu verwenden?

Nur zur Erinnerung: die Ansteckung mit HIV kann durch vier Körperflüssigkeiten erfolgen, das sind Samen- und Scheidenflüssigkeit sowie Blut und Muttermilch – ob man bei der Übertragung Lust empfindet oder nicht, ist gänzlich unerheblich.

We are the Champions X, Teil 2

“Bild” Frankfurt setzt da noch einen drauf, druckt das Bild von Seite 1 auf Seite 9 noch mal in groß, titelt: “BILD macht’s möglich: Donnerstag ist Bestsellertag”, schreibt drunter noch mal ausführlich auf, was “der berühmte Literaturkritiker Hellmuth Karasek” bei der “Bestseller”-Präsentation am gestrigen Morgen so alles erzählen durfte, und lässt “Prominente schwärmen: ‘Die BILD-Bibliothek ist Volksbildung’.” Über alldem steht: “Die Buchmesse in BILD Frankfurt”, obwohl “BILD in BILD Frankfurt” eigentlich ja besser gepasst hätte.

“Veröffentlichungen [müssen] so gestaltet sein, dass die Werbung für den Leser als Werbung erkennbar ist” bzw. “Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material sowie bei der Abfassung eigener redaktioneller Hinweise durch die Redaktionen”,

steht im Pressekodex.

Ach ja, übrigens: Auch die “Süddeutsche” wirbt heute für ihre “SZ-Bibliothek” – mit einer separaten Anzeige und dem netten Claim:

Jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit

Das ist jetzt etwas komplizierter. Deshalb der Reihe nach:

1. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ja des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil gefällt, das Fragen der Pressefreiheit betrifft (und hier in Kurzform nachgelesen werden kann). Das EU-Urteil ist umstritten, und bis zum 25.09.2004 hat die Bundesregierung Gelegenheit, die EU-Entscheidung anzufechten.

2. Aus diesem Grund wurde Gerhard Schröder kürzlich ein offener Brief überreicht und in der “Welt” abgedruckt, in dem u.a. Mathias Döpfner den Kanzler ersuchte, gegen das o.g. Urteil vorzugehen. Aber das nur nebenbei.

3. An diesem Wochenende nun erreichte den Kanzler noch ein weiterer offener Brief – diesmal unterschrieben von Kai Diekmann und Claus Strunz sowie weiteren 37 Chefredakteuren unterschiedlichster Provenienz.

Das Schreiben ist vergleichsweise jovial gehalten. Es werden darin sogar ein paar Berichterstattungsfälle aus der Vergangenheit herbeizitiert, die nach dem EU-Urteil “unzulässig” würden: die “private Adlon-Sause” des (offenbar vornamenlosen) Ernst Welteke beispielsweise oder “das wenig adelige Verhalten des Prinzen Ernst August von Hannover am türkischen Expo-Pavillon”. Und weiter heißt es:

“Wie sich diese Personen sonst verhalten, mit wem sie sich treffen, mit wem sie Geschäftskontakte haben oder von wem sie sich den Urlaub bezahlen lassen, darf dann nicht mehr berichtet werden.”

Wie die 39 Unterzeichner darauf kommen, dass dergleichen unzulässig werden könne, steht leider nicht in dem Brief. Muss ja auch nicht. Ist schließlich nur ein Brief.

In einer Zeitung allerdings, in einer ZEITUNG, wo für gewöhnlich eingeordnet, kommentiert, erklärt wird, sieht die ganze Sache dann schon ganz anders aus. Doch auch in der vom Co-Unterzeichner Strunz verantworteten “Bild am Sonntag”, die das Schreiben in ihrer heutigen Ausgabe quasi weltexklusiv im Wortlaut dokumentiert, fehlt jegliches Wieso-weshalb-warum. Genau so wie der Hinweis, dass das EU-Urteil für Publikationen über Politiker Ausnahmen zulassen will und sich ohnehin ausdrücklich (deshalb hier noch mal der dazugehörige Link) auf die Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos bezieht.

Stattdessen heißt es in Brief und “BamS” nur, es entstünde womöglich “ein Bild jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit”. Und das kann ja wirklich keiner wollen.

Information und (Ver-)Dichtung

Im Medienmagazin “Cover” (ab September erstmals auch am Kiosk zu kaufen) sagt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Frage, welche Bilder von “Leid und Grauen” als Folge des internationalen Terrorismus im Boulevard-Journalismus “prinzipiell gezeigt” werden dürfen und welche nicht:

“Grundsätzlich ist nach dem Pressecodex auf ‘unangemessen sensationelle’ Gewaltdarstellungen zu verzichten. (…) Entscheidend ist immer der Informations- und Verdichtungsgehalt eines Fotos. Deshalb haben wir vor kurzem auch kein Foto der toten Lady Di im Unfallwagen veröffentlicht, weil es weder Informations- noch Verdichtungsgehalt besaß.”

So? Na, dann ist ja wohl alles in Ordnung.

Okey-dokey, supi-dupi, alles easy

Natürlich kann eine Zeitung, wenn sie will, auf ihrer Titelseite eine Kooperationsaktion großflächig bewerben. Wenn sie dann sowas wie “Sommer-Knaller von LIDL und BILD: Heute Eis für alle! Eins kaufen, eins geschenkt!” dazuschreibt, ist dagegen nichts zu sagen.
Ganz hinten in der “In/Out”-List der “Bild” taucht am selben Tag allerdings auch folgende Empfehlung auf:

Schlecken, z.B. mit dem supi-dupi ‘Lidl’-zwei-für-ein-Eis-Angebot

Aber was heißt das? Nur weil die “Bild” auf der Titelseite groß Werbung in eigener Sache macht, darf der Hinweis auf die Kooperation im redaktionellen Teil weggelassen werden?! Befragen wir doch den Pressekodex (Ziffer 7):

“Verleger und Redakteure (…) achten auf ein klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken.”

Gut, dann wäre das geklärt.

40? 80? 160?

Ein Krankenpfleger hat gestanden, in einem Krankenhaus in Sonthofen zehn schwerkranke Patienten zu Tode gespritzt zu haben. Das ist erschütternd, aber möglicherweise nicht erschütternd genug. “40 Opfer?” fragte “Bild” groß am Mittwoch, aber irgendwie reichte das immer noch nicht. Am Donnerstag wuchsen noch einmal die Zahl und die Größe der Überschrift. “80 Opfer?”, lautete sie nun.

Jetzt zeichnet sich ab: Der Todespfleger mit den kräftigen Händen ist der größte Massenmörder seit Kriegsende!

Exakt das hatte sich für “Bild” schon am Tag zuvor abgezeichnet. Nach der eigenen Statistik könnte “Bild” den Pfleger längst zum “größten Massenmörder seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts” erklären, aber vielleicht sparen sie sich das für die nächsten Tage auf. (Mal abgesehen davon, dass in den Richtlinen des Presserates steht: “Auch wenn eine Täterschaft für die Öffentlichkeit offenkundig ist, darf der Betroffene bis zu einem Gerichtsurteil nicht als Schuldiger im Sinne eines Urteilsspruchs hingestellt werden.”)

Wie kommt “Bild” auf die Zahlen? Das Blatt zitiert den Staatsanwalt: “Ja, wir ermitteln jetzt schon in 80 Todesfällen in diesem Krankenhaus”. Bei dpa (und den anderen Nachrichtenagenturen) liest sich das etwas anders:

Staatsanwaltschaft und Kripo hätten weiterhin keine konkreten Hinweise auf weitere Opfer des in Untersuchungshaft sitzenden Mannes, wurde am Donnerstag mitgeteilt. Die Justiz untersucht insgesamt 80 Fälle. Es handelt sich dabei um alle Frauen und Männer, die während der Dienstzeit des Pflegers starben.

Im Klartext: Die Horror-Rechnung von “Bild” geht nur auf, wenn niemand, kein einziger Patient in diesem Krankenhaus, zwischen Mai 2003 und Juli 2004 während der Dienstzeiten des Pflegers eines natürlichen Todes gestorben wäre. Hinter die “Bild”-Frage “80 Opfer?” kann man also – nach allem, was man weiß – getrost ein “Nein” setzen.

Niemand musste müssen

Unter die Schlagzeile “1. Kandidatin in Psychiatrie” schreibt die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite:

“‘Big Brother’-Bewohnerin Ilkay (33) musste nach sechs Wochen im TV-Knast in die Psychiatrie eingewiesen werden.”

Und wenn das stimmen würde, wäre das vielleicht wirklich ‘n Ding! Immerhin gilt so eine Einweisung (auch Unterbringung genannt), wie sie die “Bild” beschreibt, hierzulande als Eingriff in die Freiheit der Person und ist deshalb laut PsychKG an allerlei Bedingungen geknüpft:

  1. Es muss eine erhebliche Gefährdung bestehen, die nicht anders abgewendet werden kann.
  2. Es muss eine Anordnung vom zuständigen Amtsgericht (wenn’s eilt, auch von der örtlichen Ordnungsbehörde) geben.
  3. Es muss ein ärztliches Zeugnis vorliegen.

Nur: Bei “‘Big Brother’-Ilkay” war das alles nicht der Fall. Sie hat ihre Teilnahme an der Show bloß freiwillig beendet und einige Tage in einer Nervenklinik verbracht. Weiter nichts. Und selbst wenn… In den Richtlinen des Presserates heißt es:

“Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten (…)”

PS: Nein, dass vor der “Bild” auch schon der “Focus” behauptet
hatte, die Kandidatin habe sich “in die Psychiatrie einweisen lassen” müssen, macht die Sache nicht besser…
.

Besondere Zurückhaltung

Was hat die 17-jährige Tochter von Uschi Glas getan, um gestern mit einem großen Foto neben den gewaltigen Worten “Drogen-Affäre” auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung zu landen? Sie hat sich möglicherweise eine Marihuana-Zigarette mit zwei Freundinnen geteilt. Möglicherweise, denn laut “Bild”-Text “vermutet” ein Polizist das nur wegen eines “süßlichen Geruchs”. Angeblich ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Soweit der Stand in der “Bild” vom Freitag: Große Schlagzeilen, bisschen dünne Faktenlage.

Am Samstag ist die “Bild” nicht schlauer. Im Gegenteil: Was Julia Glas konkret vorgeworfen wird, wird nicht mehr genannt. Unter der Schlagzeile “Hat Uschi Glas mit ihren Kindern etwas falsch gemacht?” ist die Rede vage von “Schlagzeilen”, von “gegenwärtigem Wirbel”, von “immer neuen Sorgen”. Darunter steht, wie zufällig, ein Artikel darüber, dass “jeder 4. deutsche Jugendliche schon Cannabis geraucht hat”. Jede Zeile, jedes Foto illustriert und wiederholt implizit den Vorwurf gegen die 17-jährige, ohne ihn ausdrücklich zu nennen. Weil er falsch war? Oder weil “Bild” ihn nicht hätte veröffentlichen dürfen? In den Richtlinen des Presserates heißt es:

Bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche […] soll die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben.

(Wird fortgesetzt.)

Blättern:  1 ... 53 54 55 56 57