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“Bild” wird gerügt und nicht gerügt

Der Deutsche Presserat hat die “Bild”-Zeitung für mehrere Artikel über einen Mann gerügt, den sie als “Attentäter” bezeichnete, obwohl er nach allem, was man weiß, kein Attentäter war. Er war zwar in der Türkei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden — aber nach Erkenntnissen des Presserates nur wegen der Teilnahme an einer Demonstration, an deren Ende es zu einem tödlichen Brandanschlag kam. Wegen eines Tötungsdelikt sei er nicht angeklagt worden. Die Berichterstattung der Rhein-Neckar-Ausgabe von “Bild” sei “falsch und vorverurteilend” gewesen, befand die zweite Beschwerdekammer des Presserates, und habe gegen die Ziffern 2 und 13 des Pressekodex verstoßen.

Presseethisch nicht zu beanstanden war nach Ansicht des Gremiums dagegen die vielfach kritisierte Aufmacher-Schlagzeile “Wird sie geköpft” unter einem Foto der entführten Susanne Osthoff im vergangenen Herbst: “Die Mitglieder äußerten Verständnis für die von Emotionen geprägten Beschwerden beim Presserat, gleichzeitig weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die Zeitung hier eine reale Gefahr in Worten abgebildet hat. Auch grausame Realitäten zu schildern und darüber zu berichten, gehört zu den Aufgaben der Presse.”

Ungeprüft übernommen (1)

Okay, eigentlich ist es wohl ein Fehler der Nachrichtenagentur AFP. Deren deutschsprachiger Dienst berichtete nämlich am Dienstag über die (notwendige) “Entrümplung” britischer Gesetze. Einen aktuellen Anlass für die Meldung gab es nicht. Britische Medien hatten vor knapp einem Jahr über das 40-jährige Bestehen der für die “Entrümplung” zuständigen Law Commission berichtet und vor knapp zwei Monaten über eine sachdienliche Ausstellung der Law Society.

Dennoch übernahmen verschiedene deutschsprachige Medien die AFP-Meldung. Und darin heißt es u.a. (und mit Verweis auf das 2004 erschienene Buch “The Strange Laws of Old England” von Nigel Cawthorne) über den so genannten “Town Police Clauses Act”:

“Er verbietet es, Wäsche auf der Straße auszubreiten, Teppiche auszuschlagen, anzügliche Lieder zu singen, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen, im Garten zu zündeln, Drachen steigen zu lassen, auf dem Eis zu laufen, ständig an der Türe anderer Leute zu klingeln oder öffentliche Lampen auszumachen.”

Und das ist so nicht ganz richtig. Denn der Act (von dem AFP zudem behauptet, er sei “von 1872”, obwohl er eigentlich aus dem Jahr 1847 stammt) verbietet nirgends, “ohne Grund die Feuerwehr zu rufen”, sondern Schusswaffen abzufeuern (wie vor drei Wochen auch noch die französische AFP korrekt zu berichten wusste).

Heute aber, mit drei Tagen Verspätung, findet sich das alles auch im Angebot von Bild.de wieder — in redaktionell bearbeiteter Form, also unter Verzicht auf jegliche Quellenangabe (und den Cawthorne-Verweis). Stattdessen behauptet Bild.de in der Rubrik “Zum Ablachen” über “Gesetze, die die Welt nicht braucht”:

Verrückte Gesetze der Briten -- Es ist ebenfalls untersagt, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen. („Town Police Clauses Act“ von 1872)

Aber wer weiß: Womöglich liegen Bild.de-Redakteure auch bei der Lektüre von §145 StGB unterm Tisch und kriegen sich nicht ein vor Lachen.

Mit Dank an Beate T. und Nikolai S. für die Hinweise.

Nachtrag, 11.3.2006: Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass heute, einen Tag nach der verzögerten, fehlerhaften Berichterstattung bei Bild.de, auch Spiegel Online die fehlerhafte AFP-Meldung ungeprüft übernommen* hat.

*) Nur zur Info: Der Presserat ist der Ansicht, dass eine Zeitung darauf vertrauen können müsse, “dass das, was eine Nachrichtenagentur verbreitet, auch inhaltlich richtig ist. Die pressegemäße Sorgfalt verlangt demnach keine eigene Überprüfung des Wahrheitsgehaltes mehr.”

Jedes gruselige Detail

Am 24. Juli 2003 machte die Illustrierte “Stern” mit dem Titel “Der Kannibale” auf. Im Inneren schilderte sie auf vielen Seiten außerordentlich detailliert, wie Armin Meiwes im März 2001 einen Mann auf dessen Wunsch hin verstümmelte, tötete und später Teile der Leiche aß. Der Deutsche Presserat missbilligte zwei Monate später diesen Bericht und erklärte:

Die detaillierte Schilderung der Zubereitung und des Essens von Körperteilen geht nach Meinung des Gremiums über ein begründbares Informationsinteresse der Öffentlichkeit deutlich hinaus.

Armin Meiwes steht zur Zeit wieder wegen seiner Tat vor Gericht. “Bild”-Reporter Marco Schwarz ist vor Ort und beginnt seinen Bericht* vom vierten Prozesstag mit den Sätzen:

Er beschreibt jedes gruselige Detail. Geht’s nicht noch ein bißchen genauer? Noch ein bißchen ekliger?

Vierter Verhandlungstag gegen den Kannibalen von Rotenburg und die Frage: Wie halten das Zuschauer, Richter und Anwälte bloß aus?

Ja, und wie die Leser einer großen Boulevardzeitung? Das lässt sich doch herausfinden. Im Rest des Artikels gibt der “Bild”-Reporter die kaum auszuhaltenden Schilderungen über den genauen Ablauf der Tat ausführlich und wörtlich wieder. Er beschreibt jedes gruselige Detail. Und falls sich herausstellen sollte, dass es doch noch ein bisschen genauer, noch ein bisschen ekliger ging — “Bild” wird es ausführlich dokumentieren.

*) Der Artikel ist auch online. Verlinken wollen wir ihn nicht.

Nachtrag, 7.2.2006:
Bereits seit einigen Tagen ist der Artikel aus dem Angebot von Bild.de gelöscht. Ebenfalls seit einigen Tagen steht eine Antwort von Bild.de-Chef Oliver Eckert (auf unsere Frage nach dem Grund dafür) aus.

…auch wenn “Bild” das Gegenteil behauptet

Der Presserat hat eine Missbilligung gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen, weil sie im vergangenen Juli ein Foto zeigte, auf dem zwei junge Männer zu sehen sind, während sie gehenkt werden. Nach Ansicht des Presserates war die Veröffentlichung “unangemessen sensationell”.

Nichts zu beanstanden hatte der Presserat daran, dass “Bild” behauptete, hier würden zwei Kinderschänder hingerichtet. Tatsächlich wurde den Jugendlichen aber wohl nur ihre Homosexualität zum Verhängnis. In ihrer Rechtfertigung vor dem Presserat berief sich die “Bild”-Zeitung darauf, dass die Kinderschänder-Version, die der iranischen Propaganda entspricht, von der französischen Nachrichtenagentur AFP verbreitet worden sei. Aus dieser Meldung sei auch nicht hervorgegangen, dass es sich bei den Hingerichteten um Minderjährige gehandelt habe.

Der Presserat meint, eine Zeitung müsse die Meldung einer Nachrichtenagentur nicht mehr nachrecherchieren. Und der Axel-Springer-Konzern findet das auch. Allerdings gab das Justiziariat des Verlages in dem Verfahren an, dass sich “Bild” ganz besonders viel Mühe gegeben habe. Der Presserat gibt die Stellungnahme von Springer so wieder:

Dennoch hätte sich der zuständige Redakteur bemüht, über den Agenturserver weitere Informationen zu diesem Fall zu erhalten. Es habe jedoch keine einzige weitere Agenturmeldung gegeben.

Das ist schwer zu glauben. Es gab an jenem Tag eine weitere Agenturmeldung über den Fall. Die Katholische Nachrichtenagentur KNA verbreitete am 26. Juli 2005 um 14.45 Uhr folgende Meldung:

EU-Protest gegen Hinrichtung von Jugendlichen im Iran

Brüssel (KNA) Die EU hat gegen die Hinrichtung zweier Jugendlicher im Iran protestiert. Einer der Hingerichteten sei sowohl zur Tatzeit als auch bei der Vollstreckung des Todesurteils jünger als 18 Jahre gewesen, klagte die britische EU-Präsidentschaft in einer am Dienstag in Brüssel veröffentlichten Erklärung. Die EU warf dem Iran vor, mit den vollstreckten Todesurteilen gegen die Internationale Konvention für bürgerliche und politische Rechte und die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen zu haben.

(…) Die beiden Jugendlichen waren laut Medienberichten vor einer Woche in der Stadt Mashad wegen Raubes, Alkoholkonsums und homosexueller Übergriffe öffentlich hingerichtet worden.

Die “Bild”-Zeitung ist Kunde der KNA und hätte also im Voraus wissen können, dass ihre Veröffentlichung problematisch ist. Auch wenn das Springer-Justiziariat gegenüber dem Presserat das Gegenteil behauptet.

“Bild” will Ausländerin aus dem Land jagen

Die “Bild”-Zeitung kann die niederländische RTL-Moderatorin Tooske Ragas nicht ausstehen. Sie hält sie für langweilig, unansehnlich, schwer verständlich und inkompetent.

Es ist das gute Recht der “Bild”-Zeitung, Tooske Ragas für ihr angeblich fehlendes Talent zu kritisieren. Allerdings gibt es Grenzen für die Form dieser Kritik. Sie sind zurückzuführen auf einen Gedanken im Grundgesetz, Artikel 1. Dort heißt es: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”

“Bild” nennt Ragas “Käse-Tussi” und “Gouda-Tooske” und macht in diesem Zusammenhang gleichzeitig alles Holländische verächtlich, vom Bier (“fad und nüchtern”) bis zur Fußball-Nationalmannschaft (“Ihr werdet im Leben nicht mehr Weltmeister”). In einem “offenen Brief” an die Moderatorin (unterschrieben mit “Deine BILD Zeitung”) klingt das heute so:

Käse-Tussi, hops in deinen Wohnwagen und roll zurück Richtung Campingplatz! Ins Land, wo die Menschen ihr eigenes Gras rauchen — und auf’m Rasen spucken, statt Fußball zu spielen.

Wahrscheinlich würde die “Bild”-Zeitung Schwarze, die sie nicht mag, nie als “Nigger” beschimpfen und über Juden, die sie für untalentiert hält, nie Judenwitze reißen. Aber sowohl im Grundgesetz als auch im Pressekodex steht: “Niemand darf wegen (…) seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, (…) oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.” Da steht nicht: “außer die lustigen Holländer und andere harmlose Völker, die ja deswegen nicht gleich von Neo-Nazis zusammengetreten werden”.

Eigentlich weiß “Bild” das auch. Als Karl Moik im “Musikantenstadl” von “Spaghettifressern” sprach, war das der “Bild”-Zeitung am 19. April 2004 eine Seite-1-Schlagzeile wert: “Karl Moik beleidigt alle Italiener”, schrieb sie, fragte: “Was hat er sich dabei bloß gedacht” und sprach von “Ausfällen” Moiks.

Die “Bild”-Beleidigungen von Tooske Ragas aber sind Teil einer Eskalationsstrategie. Zunächst fragte die Zeitung: “Sind wir Deutsche nicht mehr gut genug?”. Seit vielen Wochen schon steigert “Bild” die persönlichen Beleidigungen und anti-holländischen Ressentiments. Anstand und Wahrhaftigkeit sind dabei längst unter die Räder geraten. Die Überschrift des Artikels, der den “Offenen Brief” einrahmt, lautet:

RTL will Michelle Hunziker wieder ins Programm nehmen
Muß die Käse-Tussi jetzt zurück nach Holland?

Kein deutscher Moderator wäre je einer solchen “Bild”-Überschrift ausgesetzt. Bei keinem Deutschen ließe sich ja auch auf eine solche Art andeuten, dass er nur ein Gastrecht in diesem Land hat, das jederzeit entzogen werden kann, wenn er nicht gut genug moderiert. Natürlich weiß “Bild”, dass Ragas nicht “nach Holland zurück muss”, egal was RTL entscheidet. Aber das Spiel mit ausländerfeindlichen Reflexen macht die Schmähung und Verunglimpfung Ragas noch wirkungsvoller.

Die Überschrift suggeriert darüber hinaus noch einen Zusammenhang, den es nicht gibt. Hunziker soll die Ko-Moderation der Nachfolgesendung von “Deutschland sucht den Superstar” (DSDS) übernehmen. “Bild” lässt offen, welchen Einfluss das auf die Moderation von “DSDS” selbst haben soll — beendet den Artikel über Ragas aber mit den Worten:

(…) sie kann zur Heimfahrt ruhig schon mal den Wohnwagen aus der Garage holen!

“Bild” schreibt, Ragas moderiere “glücklos”, ohne zu erklären, woran das zu messen ist. An den Quoten jedenfalls nicht, die liegen über der zweiten Staffel mit Michelle Hunziker, für deren Rückkehr “Bild” kämpft. Über jene Michelle, die “Bild” heute einen “Engel” nennt, hatte “Bild” am 25. Oktober 2003 geschrieben:

Quoten-Katastrophe bei RTL-Show — Michelle Hunziker droht der Rausschmiss

Jetzt wird’s eng für Michelle Hunziker (26). Ihr Sender RTL hat ihre ständigen Eskapaden endgültig satt. Und die Zuschauer wenden sich von der schönen Moderatorin ab. Der Quotenverfall ist dramatisch. (…)

Mitarbeiter beschweren sich über die schöne Blondine: “Michelle Hunziker sagt ständig Proben und Sendungen ab. Außerdem bringt sie das ganze Team durcheinander. So kann es nicht weitergehen.”

Am 18. Juni 2005 erklärte “Bild” demgegenüber die Vorteile von Tooske Ragas:

Kann tanzen und singen. Und — anders als Michelle — auch frei moderieren.

Aber auch damals schon hieß es in “Bild”:

Was kann Tooske besser als unsere Michelle?
(Hervorhebung von uns.)

Dass Michelle Hunziker Schweizerin ist und eine holländische Mutter hat, erwähnt “Bild” zwar, aber es spielt keine Rolle. Die Nationalität wird erst relevant, wenn man jemanden nicht mag. So ist das mit der Ausländerfeindlichkeit.

Vom Schweigen

Man könnte natürlich einfach sagen, dass es weder uns, noch die “Bild”-Zeitung irgendetwas angeht, ob Rudi Carrell krank ist und wie krank er ist. Interessanterweise sagt das Gesetz genau das Gleiche:

Die Intimsphäre bildet den engsten Persönlichkeitsbereich und genießt den stärksten Schutz vor öffentlichen Einblicken. Grundsätzlich vor Öffentlichkeit geschützt ist der Sexualbereich des Menschen, und sein körperliches Befinden, wozu auch medizinische Untersuchungen gehören.
(Dorothee Bölke: Presserecht für Journalisten.)

(…) selbst bei Personen der Zeitgeschichte bleibt die Art einer Erkrankung regelmäßig in der Geheimsphäre, es sei denn, die Betroffenen gehen mit dieser Information selbst in die Öffentlichkeit.
(Deutscher Presserat: Umgang mit Krankheiten.)

Bis zum 24. November 2005 hatte Rudi Carrell öffentlich nicht über seine Krankheit gesprochen. Das hatte “Bild” nicht vom Spekulieren abgehalten: “Wie schlimm steht es um Rudi Carrell”, fragte die Zeitung am 15. November in großen Buchstaben und berichtete:

Der Showmaster ist abgemagert, leidet an Haarausfall. (…)

Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten. Sein Assistent Sören Haensell: “Es gibt von uns keine Auskunft zu diesem Thema.”

Erst, wie gesagt, neun Tage später äußerte sich Carrell öffentlich, in der “Bunten”. Man kann argumentieren, dass “Bild” seitdem das Recht habe, über Carrells Krebserkrankung zu berichten. Aber stimmen muss es natürlich.

Krebskranker Carrell: Stummer Abschied im TVEs spricht wenig dafür, dass das stimmt, was “Bild”-Reporter Daniel Cremer in seinem Artikel über den Auftritt Carrells bei der Aufzeichnung der letzten Ausgabe von “Sieben Tage, sieben Köpfe” suggeriert: dass Carrell nicht mehr sprechen kann. “Ist der Holländer mit dem unverwechselbaren Akzent für immer verstummt?”, fragt “Bild” und zitiert zur Antwort einen anonymen “langjährigen Kollegen”: “Rudi kann nicht mehr sprechen.” Cremer behandelt diese Aussage, als sei sie eine Tatsache, zitiert einen Arzt, der das Phänomen einer “Stimmbandlähmung” erklärte, und behauptet vielsagend: Carrell “kommuniziert über E-Mail”.

Wenige Tage später liest sich das in der “Bild am Sonntag” ganz anders. Cremers Kollegin Angelika Hellemann hat von Bernd Stelter erfahren, dass Carrell das Team “zusammengestaucht” habe, und zitiert Stelter mit dem Satz:

Er darf seine Stimme zwar nicht überanstrengen, kann aber ganz normal mit uns reden.

Und wir merken uns: Wenn “Bild” sorglos über die Krankheit von Menschen berichtet, kann immer auch das Gegenteil stimmen.

Danke an Michael M. für den Hinweis!

Allgemein  

Drei Rügen für “Bild”

Der Presserat hat abermals sieben Rügen ausgesprochen. Drei davon gehen an “Bild”*.

So hatte “Bild” über einen Verkehrsunfall berichtet, bei dem u.a. der dafür verantwortliche Fahrer starb. Laut Presserat habe “Bild” den Fahrer durch den Abdruck “negativer Aussagen ausschließlich anonymer Quellen (…) in ein schlechtes Licht gerückt” und ein identifizierbares Foto veröffentlicht, was als “Ehrverletzung” ein Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex ist.

Außerdem hatte “Bild” nach dem Selbstmord eines Polizisten ein identifizierbares und “unangemessen sensationelles” Foto veröffentlicht, was der Presserat als Verstoß gegen Richtlinie 8.5 des Pressekodex wertet.

Einen Bericht über den Tod zweier Menschen bei einem Friedhofsbesuch hatte “Bild” mit dem Foto eines der Toten illustriert. Laut Presserat (der in diesem Fall eine “nicht-öffentliche” Rüge aussprach) sei das Foto jedoch “nicht ausreichend gepixelt”, der Tote also identifizierbar gewesen. Zudem sei die zweite Tote durch den Nachnamen, der auf dem Grabkreuz eines Angehörigen lesbar war, ebenfalls erkennbar gewesen.

“Bild” wurde damit in diesem Jahr insgesamt sechs Mal gerügt. Das sind weniger Rügen als in den vergangenen Jahren (2004: zwölf; 2003: neun, 2002: elf), aber abermals mehr, als gegen jedes andere Medium ausgesprochen wurden.

PS: Zu der öffentlich bereits heftig kritisierten “Bild”-Schlagzeile vom 30. November (“Wird sie geköpft?”) teilt der Presserat mit, es seien dazu bislang “rund 30 Beschwerden” eingegangen.

*) Auch “Bild” ist den “journalistischen Leitlinien” der Axel Springer AG verpflichtet, die sich ausdrücklich auf die “publizistischen Grundsätze des Pressekodex” berufen.

Was “Bild” die “Sprache der Wahrheit” nennt

“Mit über 12 Millionen Lesern täglich ist uns auch die Verbreitung der christlichen Glaubensbotschaft ein ernstes Anliegen.”
(“Bild”-Chef Kai Diekmann zu Johannes Paul II. und in “Bild”)

“Wir sind Papst!” schrieb “Bild” vor gar nicht allzulanger Zeit. Und zuvor war “Bild” selbst beim Papst, hatte eine Volks-Bibel verkauft usw.

Gestern lautete die “Bild”-Schlagzeile anders: “Wird sie geköpft?” nämlich (was ja schon den Herausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, Michael Naumann, zu drastischen Worten greifen ließ).

Heute nun hat sich auch die Katholische Kirche, genauer gesagt, der Diözesanrat der Erzdiözese München und Freising als höchstes Laiengremium der Erzdiözese mit deutlichen Worten gegen den “Wird sie geköpft?”-Titel (anlässlich der Entführung der deutschen Archäologin Susanne Osthoff im Irak) gewandt. Das Gremium wirft den Verantwortlichen der “Bild”-Zeitung vor, “unter bewusster Missachtung der Menschenwürde die Auflage steigern” zu wollen, “mit sprachlicher Brutalität Schicksal gespielt” und die Pressefreiheit “missbraucht” zu haben.

PS: Bei Spiegel Online heißt es zudem, es seien inzwischen sechs Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen. Dort wird auch auf die Nachrichtenagentur ddp verwiesen, wonach die Mutter der Geisel “geschockt” sei über den “Wahnsinn” einiger Medien, das Schicksal ihrer Tochter so auszuschlachten.

PPS: Bei “Bild” sieht man die Sache natürlich offenbar anders. Laut dpa sagte ein “Bild”-Sprecher, es gehe der Zeitung “allein darum, mit der Sprache der Wahrheit diesen abscheulichen und widerlichen Akt des Terrors, nämlich einen angekündigten Mord, deutlich beim Namen zu nennen, auch wenn dies schrecklich sei”.

Mit Dank an Roland B. und andere für die Hinweise.

Die schärfste Sanktion

Im Juni dieses Jahres hatte “Bild” in der Überschrift zu einem Artikel geschrieben, “Kannibale grillte seine Cousine im Backofen”. Gut drei Monate später ging der Presserat bis zum Äußersten: Er rügte “Bild” öffentlich deswegen, und griff damit zur schärfsten Sanktion, die ihm zur Verfügung steht.

Und heute nun kommt “Bild” der Verpflichtung, die Rüge abzudrucken auf Seite zwölf nach — schließlich entspricht es laut Ziffer 16 des Pressekodex ja “fairer Berichterstattung”, öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken:

P.S.: Damit Sie etwas leichter fündig werden: Die Rüge ist der kleine Text unter der handelsüblichen Streichholzschachtel, die wir zur Verdeutlichung dazu gelegt haben. Dort steht:

Presserat rügt
Wegen der Berichterstattung in der BILD vom 10.06.2005 unter der Überschrift “Kannibale grillte seine Cousine im Backofen” hat der Deutsche Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 8 und Ziffer 13 des Pressekodex festgestellt und gerügt.

Nachtrag, 24.11.05:
Die gerügte Meldung findet sich nach wie vor unverändert bei Bild.de.

Was aus der “kleinen Elisabeth” wurde

Es war ein Versehen. Also, genau genommen, waren es drei Versehen. Dreimal innerhalb einer Woche hat “Bild” Fotos von der kleinen Tochter der “Todes-Mutter”, die neun ihrer Kinder getötet haben soll, gezeigt, ohne das Gesicht des kleinen Kindes zu verfremden. Jedesmal versehentlich.

So lautet jedenfalls die Erklärung von “Bild” für ihre Berichterstattung, aufgrund derer wir am 16. August eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatten. Genau sechs Wochen, nachdem der Presserat entschieden hat, “Bild” dafür nicht zu rügen, aber zu missbilligen*, erhielten wir gestern die Begründung dieser Entscheidung.

Darin heißt es:

Die Rechtsabteilung des Axel Springer Verlages weist den Vorwurf, BILD zeige mit “großer Konsequenz” immer wieder Fotos von der einjährigen Elisabeth, zurück. Im Zusammenhang mit diesem Fall wurde ca. 15 Mal berichtet. Während die Fotos in den Veröffentlichungen zwischen dem 03.08. und 26.08.2005 entsprechend verfremdet wurden, war der Abdruck am 09.08.2005 so nicht beabsichtigt. Es handele sich um einen “Ausreißer”, den der Verlag nicht rechtfertigen will.

In den Ausgaben vom 10. und 11.08.2005 [gemeint ist offenbar 15.08.2005, Anm. von uns] erschien ein Bild, das die Mutter mit Elisabeth kurz nach der Geburt des Babys zeigt. Das Kind trägt eine Mütze und ist unscharf im Profil zu erkennen. Obwohl dieses Foto bereits mehrfach zuvor verfremdet gedruckt worden sei, sei diese Verfremdung in den genannten zwei Ausgaben unterblieben. “Das Gesicht der kleinen Elisabeth ist auf dem Bild so unscharf, dass der Layouter offenbar nicht erkannte, dass er die unverfremdete Version des Fotos auf die Seite geladen hat.”

Der Verlag weist darauf hin, dass die verfremdete Version des Fotos auch im Redaktionssystem stehe, da diese Version zuvor bereits mehrfach gedruckt worden sei. Der Verlag hat den Vorfall zum Anlass genommen, die Sicherheitsvorkerhrungen vor dem Einladen von unverfremdeten Bildern zu verstärken.

Was den “Ausreißer” vom 09.08. angeht, sieht der Presserat in dem Abdruck des Fotos tatsächlich einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex in Verbindung mit den Richtlinien 8.1 und 8.3. Dadurch, dass “Bild” gleich zweimal das andere Foto unverfremdet druckte, habe die Zeitung aber nicht gegen den Pressekodex verstoßen. Warum nicht? Weil es “irrtümlich” geschah. Bei den übrigen Beiträgen habe “Bild” eine “entsprechende Anonymisierung” vorgenommen, so der Presserat. Er entschied sich deshalb, “Bild” nicht zu rügen, sondern nur zu missbilligen.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”.

Eine Rüge durch den Presserat ist für die gerügte Zeitung ebenfalls folgenlos. Die gerügte Zeitung ist zwar laut Pressekodex “verpflichtet”, die Rüge abzudrucken. Tut sie das nicht, verstößt sie damit aber nur gegen den Pressekodex, wofür sie gerügt werden könnte, was sie abdrucken müsste und so weiter und so fort.

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