Keine Krähen, Abgang verpasst, Geld von Belgien, Schleichwerbung.
Der Schweizer Textkünstler Christoph Geiser (“kein morgen | kein wind | keine krähen | in den ästen | wartet laub | den mond | vergass ich | zwischen den gittern wächst | frost | die steine waren noch warm | als ich starb”, Zuger Tagblatt, 2. Juni 1971) blitzte vor dem Presserat ab mit einer Beschwerde gegen einen Artikel aus dem inzwischen eingestellten Facts. Die implizite Unterstellung, er benütze seine sexuelle Orientierung zur Beschaffung von Fördermitteln, entbehre jeglicher tatsächlichen Grundlage. Der Text von Daniel Arnet nannte sich “Die Subventionskünstler” und nannte die Schweizer Literaturförderung ein dunkles Kapitel. Wer ein Gesuch schreiben könne und Modethemen verwurste, habe alle Chancen, Steuergelder abzusahnen. Talent brauche es kaum.
Der Ringier-Verlag baute einige wenige Stellen ab (“Es besteht ein grosszügiger Sozialplan. Wenn immer möglich werden den Betroffenen intern Stellen angeboten.”) und will ab Februar nicht mehr mit dem Karikaturisten des hauseigenen Boulevardblatts Blick zusammenarbeiten. Der “geniale”, aber “schon beim Tagi völlig überbezahlte Nico mit seinen horrenden Lohnforderungen” habe “wohl den Abgang verpasst” (persoenlich.com Kommentare).
Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:
Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.
TODESANGST!
So steht’s im Pressekodex
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.
(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.
(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.
(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.
Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.
Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.
Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.
Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”
Uneinigkeit über Amy Winehouse, Loriot, Blocher im Internet.
Früher wunderte man sich, wenn man an einem Konzert war und darauf in zwei Zeitungen zwei komplett gegensätzliche Kritiken las. War es nun sehenswert das Konzert oder nicht? Naja, dachte man sich – so ist es nun mal, wenn es dem einen gefällt, dem anderen nicht. Mit guten Begründungen gespickt könnten sogar beide Texte lesenswert sein.
Heute aber ist es anders: Da spielt Amy Winehouse in Zürich und 20 Minuten schreibt in der Bildergalerie zuerst “Am 25. Oktober 2007 begeisterte die britische Soul-Sängerin Amy Winehouse im Zürcher Volkshaus” und aktualisiert dann in “Ihr gestriges Konzert war ein einziges Debakel”. Genauso unentschlossen ist der Blick. Die Printausgabe: “Amy in Bestform! Die Britin bestätigt bravourös: Ihre Stimme wird in die Geschichte eingehen!”. Online aber: “Nach knapp einer Stunde Horror-Show mussten die armen Musiker dann sogar die Zugabe ohne ihre Amy über die Bühne bringen – so kaputt war das Sorgenkind?”. Zusammengetragen hat diesen durchaus bedenklichen Fall benkoe.ch. Boulevard-Journalismus ist ja ganz nett, aber ohne Koordination und Hintergrund einfach peinlich.
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hat der Schweizer “Weltwoche” ein Interview gegeben. Es ist so mittelinteressant, aber auf die Frage, warum Diekmann im Jahr 2002 die vermeintlichen Enthüllungen über eine Sex-Affäre des damaligen Schweizer Botschafters Thomas Borer mit der Parfümverkäuferin Djamile Rowe abgelehnt habe, antwortet der “Bild”-Chef bloß:
Die Geschichte betraf Vorgänge, die ausschliesslich zwischen dem Botschafter und seiner Frau zu diskutieren waren.
Mehr hat Diekmann dazu nicht zu sagen.
Diekmann sagt nicht, dass — nachdem der Schweizer “Sonntags-Blick” am 31. März 2002 die angebliche Affäre Borers enthüllt hatte — auch “Bild” und “Bild am Sonntag” detailliert und groß berichteten (u.a. am 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 11., 12., 13., 14., 15., 17., 25., 28. und 29 April). Diekmann sagt nicht, dass “Bild” immer wieder “Freunde” des Botschafterpaars zitiert und z.B. einen “BILD-Medizinexperten” zu einer mutmaßlichen Fehlgeburt von Borers Ehefrau Shawne Borer-Fielding befragt hat. Diekmann sagt nichts über “Bild”-Schlagzeilen wie “Botschafter-Affäre! Jetzt spricht die schöne Gattin” (“Martin S. Lambeck störte sie beim Urlaub auf Mauritius”) oder darüber, dass die “BamS” anschließend schrieb: “Als BamS Thomas Borer kurz nach seiner Ankunft zu Hause auf dem Handy erreichte, wirkte er resigniert.”
Und Diekmann sagt nichts über Alexandra Würzbach. Wir schon:
Schließlich ist Alexandra Würzbach die Autorin des Artikels im “Sonntags-Blick”, der die vermeintliche Sex-Affäre öffentlich machte (siehe Ausriss) — und den die “NZZ” später als ein “mit perfidem ‘Textdesign’ und skrupellosen Verhörmethoden” angerichtetes “Schmierenstück” bezeichnen sollte. Aber der Reihe nach…
Würzbach hatte, wie übrigens auch ihr Mann Ralph Große-Bley, zuvor bei Axel Springer gearbeitet: Große-Bley bei “Bild”, Würzbach bei der Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.”, wo sie vom damaligen Chefredakteur Franz Josef Wagner den Auftrag hatte, die Ehefrau des schweizer Botschafters “zur Society-Königin von Berlin hochzuschreiben”, wie es der heutige “BILD-Royal”-Kolumnist Alexander von Schönburg damals für die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” formulierte. 2002 dann arbeiteten beide für den “Sonntags-Blick”: Große-Bley als stellvertretender Chefredakteur, Würzbach als Berlin-Korrespondentin. (Von Schönburg schrieb: “Das Ehepaar Borer-Fielding war eigentlich das einzige Thema, über das sie nach Zürich berichtete.”)
Und vielleicht erinnern wir uns kurz, dass die “Sex-Affäre” im Juli 2002 eine, nun ja, überraschende Wende nahm: Djamile Rowe, inzwischen zum “Botschaftsluder” avanciert, widerrief vor Gericht ihre Affären-Behauptung komplett und behauptete stattdessen, “Sonntags-Blick”-Reporterin Würzbach habe ihr “ständig ein solches Verhältnis einzureden” versucht (“Sie skizzierte für mich ein Horrorszenario, wenn ich eine sexuelle Beziehung in Abrede stellen werde.”) und viel Geld geboten, was anschließend wiederum Würzbach bestritt. (Mehr dazu siehe Kasten.)
Die “Bild”-Zeitung zitierte am 8. Juli 2002 unter der Überschrift “Alles Lüge” aus einer Eidesstattlichen Versicherung Rowes und drückte bereits fünf Tage später eine “Gegendarstellung” Würzbachs, in der es hieß:
“Richtig ist, dass ich nicht versucht habe, Frau Rowe ein Verhältnis mit Dr. Borer einzureden. Ich habe keinen psychischen Druck auf Frau Rowe ausgeübt und ihr auch keinen hohen Geldbetrag dafür angeboten.”
“Bild” kommentierte die Gegendarstellung damals mit den Worten:
“Das Presserecht verpflichtet uns zum Abdruck dieser Gegendarstellung. Egal, ob sie wahr oder unwahr ist.”
Übrig blieb von Würzbachs “Sex-Skandal” schließlich nur das öffentliche Eingeständnis des Ringier-Verlags, dass Würzbach mit Rowe ein “Informationshonorar” von 10.000 Euro ausgehandelt habe — und das Ende von Würzbachs Karriere beim “Sonntags-Blick”. Im Juli 2002 bat sie um Entlassung aus ihrem Arbeitsverhältnis. Denn “psychischer Druck” und “Informationshonorar” waren nicht die einzigen Vorwürfe gegen die Journalistin. Ringier gab außerdem zu, dass Würzbach sich einige Nacktfotos von Rowe, die zehn Jahre zuvor in der “Super-Illu” zu sehen waren, widerrechtlich (offenbar unter dem Vorwand, für eine Reportage über Ostdeutschland zu recherchieren) im “Super-Illu”-Archiv besorgt bzw. zur Bebilderung ihrer vermeintlichen Enthüllungen abfotografiert habe. Dem “Sonntags-Blick” habe sie jedoch anschließend gesagt, die Frage der Rechte der Bilder sei geklärt.
Und weiter? Weiter nichts: Anschließend bekam Alexandra Würzbach (wie übrigens auch ihr Mann Große-Bley) einen Job bei “Bild”.
Schon im Januar 2003 erschienen wieder Artikel unter ihrem Namen in “Bild”, Artikel mit Überschriften wie “Meine Nacht mit Paris Hilton: BILD-Reporterin Alexandra Würzbach feierte mit dem Party-Girl in Cannes” oder “Hat Paris Hilton ein Kleid von Berliner Mode-Designer geklaut?” Besonders beeindruckt hat uns jedoch auch diese kleine Fortsetzungsgeschichte aus dem vergangenen Jahr. Da berichtete Würzbach zunächst über “Deutschlands schönste Knast-Wärterin” und schrieb neben ein großes Nacktfoto von Nicole G., dass sich männliche Häftlinge vor ihr exhibitionieren, weibliche sie hingegen als “Nutte, Schlampe, Lesbe” beschimpfen würden, denn:
Seit 11 Jahren ist sie hinter Gittern. Aber jetzt packt sie aus!
(…) Nicole ist “Misses Schleswig-Holstein”, zeigt ihren Körper gern: “Ich will zeigen, dass auch ‘normale’ Frauen nach der Schwangerschaft wieder eine Top-Figur… [usw. usf.]
Elf Jahre hinter Gittern, das reicht. Deutschlands schönste Knastwärterin will endlich raus. Nicole G. (33) wandert aus.
Am Dienstag entblätterte sich die zweifache Mutter in BILD, berichtete von ihrem Arbeitsalltag als Justizvollzugsbeamtin im Hamburger Untersuchungsgefängnis. Nun packt sie die Koffer. “Ich ziehe nach Neuseeland, ans schönste Ende der Welt. (…) Ich habe meinen Arbeitgeber um Freistellung, also unbezahlten Urlaub, für sechs Jahre gebeten”, erklärt Nicole. “Ich (…) war lange genug der Prügelknabe für alle. Viele Insassen behandeln einen schlecht, beschimpfen die Wärter (…). Auf Dauer macht mich das krank.”
Vielleicht kommt Nicole G. mit der Auswanderung auch einer Kündigung zuvor. Denn: “Die Justizbehörde ist von solchermaßen geschaffenen ,nackten Tatsachen nicht begeistert. (…)
Aber worum ging’s noch mal eigentlich? Ach ja, darum, dass Diekmann im “Weltwoche”-Interview auf die Frage, warum er damals die Borer-Story ablehnt habe, nicht geantwortet hat:
Im Grunde hatten wir Glück. Die Geschichte betraf Vorgänge, die ausschliesslich zwischen dem Botschafter und seiner Frau zu diskutieren waren (lacht). Aber wir haben das Ganze ja auch so in aller gebotenen Ausführlichkeit begleitet und konnten uns, als sich die Sache als fatale Falschmeldung herausstellte, sogar guten Gewissens weit aus dem Fenster lehnen. Anschließend haben wir dann übrigens die für das Fiasko verantwortliche Autorin bei “Bild” eingestellt. Erst kürzlich ist sie ja mit mir ins indische Dharamsala gefahren, um den Dalai Lama zum BILD-Exklusiv-Interview zu treffen.
Aber vermutlich hätte das den Rahmen des “Weltwoche”-Interviews gesprengt. Schließlich geht’s darin ja eigentlich um Diekmanns neues Buch. Es trägt den Titel “Der große Selbstbetrug”.
Du bist Standort (taz.de, Klaus Raab) Nach der Musikquote im Radio fordern Politiker nun eine Deutschquote für Serien. Denn für die Sender sind US-Importe nicht nur günstiger, sondern auch erfolgreicher.
Senderchefs zur schönen neuen Medienwelt (Werbewoche.ch, Carole Scheidegger) Im Kongressteil der Screen-up & Congress vom Mittwoch diskutierten in einer «Elefantenrunde» die Senderchefs und –chefinnen von SF, RTL, Sat.1, MTV und 3+ in einem Podiumsgespräch zum Thema Digitalisierung.
Ein Ungetüm, dem niemand entkommt (sueddeutsche.de, Simon Feldmer)
Vier neue Modelle und viel Geld: In Wiesbaden geht es um Alternativen zur GEZ. Eine Bestandsaufnahme der Behörde, der etliche Kritiker Ähnlichkeit mit der Stasi bescheinigen.
Polens Regierung greift die deutsche Presse an (faz.net, Konrad Schuller) Der eine Kaczynski wurde schon einmal mit einer Kartoffel verglichen und der andere allgemeinem Gelächter preisgegeben: Eine polnische Broschüre erklärt, warum deutsche Journalisten kein gutes Haar an Polen lassen.
“Alles ist eine wirksamere Kontrolle als der Presserat” (Stefan Niggemeier im Tagesschau-Chat)
Am gefährlichsten ist wohl so eine Art Seilschaft unter den führenden Medien im Land, wo die Chefredakteure gegenseitig eine Art Nichtangriffspakt geschlossen haben. Medienkritik hat es seit ein paar Jahren – seit der großen Zeitungskrise mit vielen Entlassungen – besonders schwer.
Wegen Kino-Klassiker ins Gefängnis? (Radio DRS, Sennhausers Filmblog) Wer Horrorklassiker wie Wes Cravens “The Last House on the Left” (1972) über einen ausländischen DVD-Versand bestellt, riskiert eine Anklage, wenn das Paket am Post-Zoll von übereifrigen, filmgeschichtlich unbewanderten Zöllnern geöffnet wird.
Bevor der Presserat vor einem Vierteljahr “Bild” dafür rügte, mit ihrer Berichterstattung über Aldi-Reisen die Grenze zwischen zulässiger Information und unzulässiger Werbung überschritten zu haben, hatte die Zeitung sich gegenüber dem Gremium ja damit gerechtfertigt, dass es einen “publizistischen Anlass” gegeben habe: Erstmals sei ein Discounter ins Reisegeschäft eingestiegen.
Das stimmte zwar nicht, aber “Bild” war auch nach der Rüge nachhaltig unzufrieden mit der Entscheidung des Presserates.
Und fand am vergangenen Freitag einen neuen “publizistischen Anlass” für detaillierte Berichterstattung über ein neues Produkt: Vermutlich erstmals ist eine deutsche Boulevardzeitung ins Sportdrinkgeschäft eingestiegen. “Bild”, äh: informierteexklusiv und auf Seite 1:
Kalte Fakten aus dem Knast (sueddeutsche.de, Gunnar Herrmann)
Schweden hat einen TV-Skandal: Ein Reporter, bekannt für das Aufdecken von Justizirrtümern, soll Straftätern Berichterstattung versprochen haben – gegen Geld.
Wahrheitssuche statt Wahrheitsdiktat (medienspiegel.ch, Peter Studer)
Der Präsident des Schweizer Presserats beleuchtet das “Schreiben, was ist”-Motto der Weltwoche.
?Google ist wie ein guter Freund? (politik-digital.de) Am 04. September2007 war Stefan Zwierlein vom Google Watch Blog zu Gast in der Blogsprechstunde von politik-digital.de und den Blogpiloten. Im Chat sprach er über die Beeinflussung von Lesern, die Angst vor Datenmissbrauch und kommende Dienste von Google.
Berliner Orgie (plastikmaedchen.net)
In seinen ursprünglich für die Boulevardzeitung B.Z. verfassten Bordell-Tests entpuppt sich Thomas Brussig nicht nur als talentfreier Autor, sondern auch als rassistischer Sexist.
“Das ist ein gut gemachter Spot, natürlich haben wir auch darüber gelacht. Er lebt aber von dem alten Vorurteil, BILD würde lügen — was durch eine witzige Wiederholung jedoch auch nicht wahrer wird.”
Als Service für Herrn Meyer-Bosse (und unsere Leser) haben wir eine kleine, unvollständige Auswahl von “Bild”-Lügen aus den vergangenen zwei Jahren zusammengestellt, der Übersicht halber grob in zehn Kategorien unterteilt:
Wie weit Neugierde und Darstellung gehen dürfen, ist keine Frage von Boulevard-Journalismus. sondern jeder Berichterstattung. Und die Antwort lautet: So weit wie nötig — nötig, um den Leser zu grundlegenden Entscheidungen zu befähigen, um ihm die Möglichkeit der Einschätzung (…) zu geben.
Das jedenfalls behauptet “Bild”-Chef Kai Diekmann in einem Beitrag für das unlängst erschienene, aktuelle “Jahrbuch” des Presserats. Und was “Bild” unter “so weit wie nötig” versteht, wird ebenfalls aus der Veröffentlichung des Presserats deutlich: häufig zu weit nämlich. Schließlich ist “Bild” wieder einmal das meistgerügte Medium.
Inwiefern eine unzulässige Vorverurteilung dem “Bild”-Leser “die Möglichkeit der Einschätzung” gibt oder warum für “Bild” ein einfacher Landarzt “eine Person von herausragender öffentlicher Funktion und gesellschaftlicher Stellung” ist, zeigt unsere Übersicht der “Bild”-Presseratsrügen 2006.
In einem Beitrag für das Jahrbuch 2007 des Deutschen Presserates schreibt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann unter dem Titel “Boulevard und Persönlichkeitsrechte — wie weit darf die Neugierde gehen?” unter anderem über einen Fall wie den von Horst Seehofer:
Wenn ein Minister der Partei für freie Liebe ein außereheliches Verhältnis hat, liegt das im Rahmen des Programm- wie Lebensentwurfs, ist stimmig und allein seine Angelegenheit; wenn der Minister allerdings einer Partei angehört, die sich ausdrücklich zum christlichen Familienbild bekennt, ist die Verletzung eines Sakraments von ganz anderer Qualität, wenn auch allein nicht notwendig ausreichend, um die Publizierung zu rechtfertigen.
Kommt jedoch hinzu, dass jener Politiker sein vordem mustergültiges Eheleben zu Wahlen plakatiert, das weniger dauerhafte Familienglück der politischen Gegner als Ausweis charakterlicher Defizite bespöttelt, darf schon aus Gründen der Waffengleichheit die öffentliche Neugier sehr weit gehen1) — zumal wenn sich der Minister um den Vorsitz eben jener christlichen Partei bewirbt.2)
Die entgegengesetzte Ansicht, wonach Privatangelegenheiten grundsätzlich nichts in den Medien zu suchen hätten, muss die Frage beantworten, ob nicht gerade dieser Weg zu einer Verfälschung des Wählerwillens führt, wenn dem Wähler die Integrität des Kandidaten wichtiger ist als irgendein Parteiprogramm. Dass Voten auf der Grundlage charakterlicher Profile darüber hinaus weitaus lebensklüger sind als nach programmatischen Vorgaben, ist zudem offensichtlich. (…) Auch dies ist ein Grund, nicht allzu hochmütig auf Homestories3) und Familienportraits herabzublicken, die Aufschluss über den wahren persönlichen Wertekanon geben. Für das Votum des Wählers, dessen souveräne Entscheidung auch hinsichtlich seiner Informationsquellen ohne Dünkel geachtet werden sollte, ist dieses Genre der Berichterstattung vermutlich wichtiger als politische Analysen.
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Anmerkungen von uns:
1) Erstaunlicherweise nannte die “Bild”-Zeitung die Enthüllungen über Seehofers Privatleben, die nach Ansicht des Chefredakteurs geradezu staatsbürgerliche Pflicht waren, zunächst “schmutzig”:
2) Notfalls finden sich aber offenbar auch andere Vorwände Gründe, um über das Privatleben von Politikern zu berichten. So berichtete die “Bild am Sonntag”, deren Herausgeber Diekmann ist, am 12. August in großer Aufmachung darüber, dass ein führender SPD-Politiker von seiner Frau getrennt lebe und die Scheidung laufe; mit einer anderen Frau habe er vor einigen Monaten ein Kind bekommen. Der “BamS”-Artikel rechtfertigte die Veröffentlichung damit, dass auf der offiziellen Homepage des Bundestages nicht die richtige Zahl der Kinder des Politikers angegeben gewesen sei.
3) Ob damit Diekmanns frühere Selbstverpflichtung hinfällig ist, vor dem Hintergrund des sogenannten Caroline-Urteils in Zukunft auf Homestorys über Politiker zu verzichten, um sich nicht den Vorwurf der “Hofberichterstattung” auszusetzen, wissen wir nicht.