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Presseratsrügen für “Bild” 2007

“Bild” macht aus schwererziehbaren Kinder “Gangster”
Verstoß gegen Ziffern 1, Ziffern 2, Ziffern 11 und Ziffern 12 (BK2-9/07)

In einer norddeutschen Kleinstadt soll ein Heim für schwererziehbare Jugendliche gebaut werden – was einigen Nachbarn nicht gefällt. “Bild” titelt: “Ein Dorf hat Angst” und: “Behörde will Heim für Kindergangster im friedlichen (…) eröffnen”. Die Gefahr durch die “Kindergangster” illustriert die Zeitung, indem sie neben Fotos von dem Haus und den Nachbarn einen mit einem Messer bewaffneten Jugendlichen zeigt, ohne zu erwähnen, dass es sich nicht um einen der zukünftigen Bewohner, sondern nur um ein Symbolfoto handelt.

Die Rechtsabteilung von “Bild” erklärt, es bestehe ein hohes öffentliches Interesse daran, über das Projekt und den Widerstand dagegen zu berichten. Die Nachbarn hätten Angst vor Verletzungen und um Hab und Gut, fürchteten sich vor Drogenbeschaffungs- und Gewaltkriminalität. Der Begriff “Kindergangster” für schwer erziehbare Jugendliche sei eine zulässige Verkürzung und ein gebräuchlicher Terminus. Und “Bild” hätte ja keinen von ihnen gezeigt, sondern nur ein Symbolfoto.

Das Urteil des Presserates ist vernichtend: Der Artikel verstoße gleich gegen vier Ziffern des Pressekodex, darunter die Pflicht zur Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde. Schwererziehbare seien nicht Kriminellen gleichzusetzen. Der Begriff “Kindergangster” sei unangemessen sensationell. Das Foto von dem bewaffneten Jugendlichen sei irreführend und hätte zudem als Symbolfoto gekennzeichnet werden müssen. Die Überschrift “Ein Dorf in Angst” sei unangemessen sensationell, diskriminiere die Jugendlichen und werde im Artikel durch nichts belegt. Die Berichterstattung sei einseitig, unangemessen und unwahrhaftig. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” macht Werbung für Aldi
Verstoß gegen Ziffer 7 (BK2-6/07)

“Bild” informiert seine Leser in einem Artikel darüber, welche Reisen man vom nächsten Tag bei Aldi kaufen kann. “BILD hat die besten Angebote jetzt schon recherchiert”, schreibt die Zeitung und nennt als “beste” Angebote sämtliche Angebote, die sich am folgenden Tag auch in einer ganzseitigen Anzeige in “Bild” fanden. “Bild” beschreibt genau die Angebote, nennt die Preise, gibt die Telefonnummern und eine Internetadresse von Aldi an, unter der die Reisen gebucht werden können.

Die Rechtsabteilung von “Bild” weist den Vorwurf zurück, dem großen Anzeigenkunden sei mit dem Artikel eine Gefälligkeit erwiesen worden. Der Anlass für den Artikel sei nicht werblich, sondern publizistisch gewesen: Erstmals sei ein Discounter ins Reisegeschäft eingestiegen, erklärt die Rechtsabteilung (wahrheitswidrig). An der Veröffentlichung habe es ein öffentliches Interesse gegeben; die Angabe von Telefonnummern und Internetseite sei zulässiger Service für die Leser.

Der Presserat widerspricht: Die Grenze zwischen zulässiger Information und unzulässiger Schleichwerbung sei eindeutig überschritten. Durch die detaillierten Angaben habe “Bild” den geschäftlichen Interessen des Anbieters Vorschub geleistet und ihm einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten verschafft. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” macht Khaled al-Masri zum Irren
Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-135/07 und BK1-136/07)


“Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren”, fragt “Bild” und meint mit “so einem” den vermutlich vom CIA verschleppten Khaled Al-Masri und mit “terrorisieren”, dass das Entführungsopfer Gerichte und Medien bemüht. “Bild” spielt seine Torturen herunter und nennt ihn u.a. “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” und “Querulanten”.

Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, die Berichterstatung sei zutreffend und die verwendeten Begriffe durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. An der Aufdeckung des Falles Al-Masri bestehe ebenso wie an seiner Person ein hohes Informationsinteresse.

Der Presserat bestreitet das öffentliche Interesse nicht. Es sei unstrittig, dass “Bild” sich mit Al-Masri beschäftigen dürfe – aber nicht in dieser Form. Psychische Erkrankungen fielen laut Pressekodex grundsätzlich in die Privatsphäre des Betroffenen. Ihn “irre” zu nennen und zu fragen, “Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren” gehe gerade im Hinblick auf Al-Masris Erkrankung eindeutig zu weit, sei unangemessen und verletze ihn in seiner Ehre. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” macht Jugendlichen zum “Verbrecher”
Verstoß gegen Ziffern 2 und 8 (BK1-194/06)

Ein 19-Jähriger steht vor Gericht, weil er an einer Schießerei beteiligt gewesen sein soll, bei der ein Mensch ums Leben kam. Das Gericht schließt die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus, um den Heranwachsenden zu schützen. “Bild” schreibt daraufhin: “Frau Richterin, warum schützen Sie diesen Verbrecher” und nennt auch den Namen des Angeklagten. Dessen Anwalt beschwert sich beim Presserat darüber, dass “Bild” seinen Mandanten trotz des bewussten Ausschlusses der Öffentlichkeit identifizierbar gemacht habe und ihn “Verbrecher” nannte, obwohl es noch kein Urteil gebe.

Die Rechtsabteilung von “Bild” erklärt, die Forderung des Pressekodex, sich bei der Berichterstattung über Straftaten Jugendlicher besonders zurückzuhalten, gelte hier nur eingeschränkt, weil der Angeklagte sich an der Schwelle zum Erwachsenenstrafrecht befinde. Deshalb dürfe man ihn auch identifizierbar machen. Die Tat sei in Art und Ausführung so erschreckend, dass man darüber berichten dürfe. Die Presse könne nicht akzeptieren, vom Verfahren ausgeschlossen zu werden, wie es die Richterin getan habe. Zudem sei der Mann weitgehend geständig.

Der Presserat spricht zunächst nur eine Missbilligung aus: “Bild” hätte sich bei der Berichterstattung zurückhalten müssen; den Namen des Angeklagten zu nennen, sei ethisch unangemessen. Die Bezeichnung “Verbrecher” sei aber zulässig, weil der Angeklagte die Verstrickung in das kriminelle Geschehen zugegeben habe.

Der Anwalt des Mannes widerspricht: Er habe, anders als die Rechtsabteilung “Bild” behaupte, kein Geständnis gegeben. Daraufhin revidiert der Presserat sein Urteil und rügt nun doch den “Bild”-Artikel und das Wort “Verbrecher”: Weil der Angeklagte weder ein Geständnis abgelegt noch die ihm zur Last gelegte Tat unzweifelhaft unter den Augen der Öffentlichkeit begangen habe, sei es unangemessen und eine Vorverurteilung, ihn als Täter darzustellen. (Nicht-öffentliche Rüge)

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“Bild” macht aus Selbsttötung detailreiche Geschichte
Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-57/07)

Unter der Überschrift “Todes-Drama um die schöne Anika (16)” berichtet “Bild” detailreich über einen Suizid. Die Zeitung zitiert wörtlich die Abschiedsnachricht des Mädchens, das auf eigenen Wunsch aus der psychiatrischen Behandlung entlassen worden sei, und schildert, wie die Schwester des Opfers vergeblich auf die S-Bahn gewartet habe, vor die sich das Mädchen geworfen hatte. Der Chef des Krankenhauses, in dem das Mädchen war, beschwert sich über den Artikel: Der Redakteur habe die Tatsachen trotz eindringlicher Hinweise falsch dargestellt.

Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, die Berichterstattung gehe auf Berichte der Eltern des Mädchens zurück. Der Artikel über die Selbsttötung sei einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.

Der Presserat kann sich diesem Urteil nicht anschließen. Wenn “Bild” beschreibe, wie die Schwester ausgerechnet auf die S-Bahn gewartet habe, von der das Mädchen überrollt wurde, verletzte die Zeitung die Pflicht, sich gerade mit der Schilderung solcher Begleitumstände bei Selbsttötungen zurückzuhalten. Es sei auch nicht zurückhaltend, der Öffentlichkeit die Krankheitsgeschichte des Mädchens zu schildern. (Nicht-öffentliche Rüge)

  

Presseratsrügen für “Bild”

Das Landgericht Berlin bescheinigte der “Bild”-Zeitung Ende 2002, es sei “gerichtsbekannt”, dass sie häufig persönlichkeitsrechtsverletzende Beiträge veröffentlicht”, die “oftmals sogar die Intimsphäre der Betroffenen” verletze. Die Richter unterstellten Chefredakteur Kai Diekmann und der Zeitung ein Kalkül hinter den Rechtsverletzungen: Sie suchten “bewusst einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung anderer”.

Zuständig für Beschwerden über Zeitungstexte ist — abgesehen vom Rechtsweg — der Presserat, die Freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien. Seine Möglichkeiten sind minimal: Er kann Hinweise, Missbilligungen, öffentliche und nicht-öffentliche Rügen aussprechen. Sie alle sind folgenlos. Öffentliche Rügen sollten allerdings vom gerügten Printmedium veröffentlicht werden. Tut es dies nicht, hat das allerdings keine Folgen.

Überdurchschnittlich häufig gerügt wird die “Bild”-Zeitung. Sie zieht offenbar aus den Rügen keine Konsequenzen und begeht viele Verstöße immer wieder.

Wir dokumentieren alle öffentlichen und nicht-öffentlichen Rügen der “Bild”-Zeitung von 2002 bis 2007:

Presserat missbilligt “Bild”-Berichte

Der Presserat hat aufgrund von Beschwerden von BILDblog zwei “Bild”-Berichte beanstandet.

  • “Bild” zeigte blutenden Tierpfleger

    "Löwe zerfleischt Pfleger"Am 13. Juli 2007 hatte die “Bild”-Zeitung unter der Überschrift “Löwe zerfleischt Pfleger” berichtet, dass ein Mann in Mashad im Iran Opfer eines Löwenangriffs geworden sei (siehe Ausriss) – und auf einer halben Zeitungsseite zum Teil blutige Bilder des Angriffs gezeigt, die aus einem mindestens drei Monate alten Privatvideo stammten (wir berichteten.). Eines der Fotos zeigte den am Boden liegenden Pfleger mit weit aufgerissenen Augen. In der Bildunterzeile hieß es: “Gerade noch rechtzeitig! Der schwer verletzte Pfleger kann vom Notarzt reanimiert werden.”

    Der Presserates sah die gesamte “Bild”-Berichterstattung als “unangemessen sensationell” an. Er monierte insbesondere den Abdruck des Bildes mit dem schwer verletzt und blutend am Boden liegenden Pfleger, weil er so “zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt” wurde. Indem “Bild” das Foto abdruckte, sei über einen “körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausreichenden Art und Weise” berichtet worden, wie es in Richtlinie 11.1 des Pressekodex heißt.

    Der Axel Springer Verlag hatte argumentiert, dass die Berichterstattung den Lesern die Gefährlichkeit von Raubtieren habe vor Augen führen sollen. Insbesondere, da “in den Medien” häufig der Eindruck erweckt würde, “Wildtiere wie Löwen, Eisbären etc.” seien “possierliche Weggefährten”.

    Diese “grundsätzliche Thematik” allerdings konnte der Presserat nicht erkennen. Selbst wenn es “Bild” darum gegangen wäre, so der Beschwerdeausschuss, hätte “diese Art der Bebilderung” und insbesondere das Bild mit dem am Boden liegenden Pfleger nicht erscheinen müssen.

    Der Presserat erkannte in der “Bild”-Veröffentlichung einen Verstoß gegen Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.
     

  • “Bild” druckte Interview mit Marco W. in Untersuchungshaft

    Laut Presserat hat die “Bild”-Zeitung unlautere Methoden angewandt, als sie am 26. und 27. Juni 2007 ein Interview mit dem 17-jährigen Marco W. abdruckte. Ein “Hurriyet”-Reporter hatte das in “Bild” veröffentlichte Gespräch – ohne Einverständnis seiner Eltern und seines Anwalts – geführt, als Marco W. wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer 13-Jährigen in einem türkischen Gefängnis in Untersuchungshaft saß (wir berichteten). Laut Presserat habe sich Marco W. jedoch “in einer seelischen Extremsituation” befunden, und für “Bild” hätte sein Schutzbedürfnis “einem derart detaillierten Interview entgegen gestanden”. Der Presserat:

    Gerade vor dem Hintergrund der politischen Dimension des Falles wäre eine erhöhte Sensibilität erforderlich gewesen. (…) Mit den Aussagen, die er in der Zeitung tätigte, konnte er nicht abschätzen, ob er sich vielleicht damit selbst belastet oder nicht.

    Außerdem hätte “Bild” laut Presserat “die Pflicht gehabt, die Umstände, unter denen das Interview mit dem türkischen Medienkollegen entstand, sorgfältiger zu prüfen”.

    Interessanterweise fühlt sich die “Bild”-Zeitung jedoch eigentlich gar nicht so richtig zuständig für das von ihr gedruckte Interview mit Marco. Schließlich hätte “Bild” in den Berichten doch “mehrfach deutlich herausgestellt”, dass das Interview von einem ‘Hürriyet’-Reporter geführt worden sei. Laut Presserat argumentierte die Axel Springer AG wie folgt:

    Wäre es tatsächlich eine Initiative und ein ausdrücklicher Auftrag von BILD gewesen, dann hätte BILD dies deutlich gemacht und hätte nicht mehrfach darauf verwiesen, dass es sich um einen Journalisten der ‘Hürriyet’ handelt.

    Deshalb sei es “unrichtig”, “dass das Interview mit Marco auf Veranlassung und im Auftrag von BILD geführt worden sei”.

    Das allerdings lässt für uns nur einen Schluss zu:

    "Für BILD war Dursun Gündogdu von der großen türkischen Tageszeitung Hürriyet vor Ort."
     
    A: Springer lügt.

    B: Springer kann nicht lesen.

    Oder C: “Bild” schreibt in einer Sprache, die nur so aussieht wie deutsch (siehe Ausriss).
     
     
     
    Der Presserat erkannte in dem “Bild”-Interview eine Verletzung von Richtlinie 13.3. (Straftaten Jugendlicher) sowie einen Verstoß gegen Ziffer 4 (Grenzen der Recherche) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

neu  

Presserat rügt teils frei erfundenen “Bild”-Bericht

Der Presserat hat aufgrund einer Beschwerde von BILDblog eine Rüge gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen. Der Artikel der “Bild Bremen” (Ausriss rechts) habe gegen das Persönlichkeitsrecht zweier Kinder, das Wahrheitsgebot und die Sorgfaltspflicht verstoßen.

Das Gremium erklärte:

BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. Die Veröffentlichung dieses Fotos verletzt die Persönlichkeitsrechte der Kinder nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Einen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot aus Ziffer 1 des Pressekodex sah der Ausschuss zudem im Einstieg des Beitrages, wonach in einer dunklen Hütte in Afrika bereits ein Medizinmann auf die Mädchen gewartet habe. Dies war offenbar frei erfunden.

Die Zeitung verletzte außerdem die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Als Quellen für den Bericht wurden neben der Polizeimeldung und den Aussagen des Vaters nicht auch die Aussagen der Mutter berücksichtigt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Mutter Beschneidungen ablehnt und ihre Kinder nicht zu diesem Zweck nach Afrika bringen wollte. Der Ausschuss hält es zwar für zulässig, dass die tagesaktuelle Berichterstattung im Wesentlichen auf der Polizeimeldung beruhte. Dies hätte jedoch für den Leser deutlich erkennbar sein müssen.

Aus Opferschutzgründen verzichtete der Ausschuss darauf, die Zeitung zum Abdruck der Rüge zu verpflichten.

Mehr über die gerügte “Bild”-Berichterstattung:

Der Presserat lebt!

Juli 2006. Erinnern Sie sich? Jens Lehmann war der Held des Landes, weil er gegen Argentinien zwei Elfmeter gehalten hatte, ein Amokfahrer raste in die Berliner Fanmeile, Susan Stahnke brachte ein Kind zur Welt, Jan Ullrich sagte überraschend die Teilnahme an der Tour de France ab, und der Reisechef der “Bild am Sonntag” schwärmte in ganzseitigen Artikeln für den Heide-Park Soltau und den Holiday Park Hassloch.

Es kommt einem vor, als wäre es erst gestern vorletztes Jahr gewesen.

Wir hatten im Juli 2006 an den Deutschen Presserat geschrieben und ihn gebeten, die “Bild am Sonntag” für die beiden Artikel zu rügen, die wir für Schleichwerbung hielten. Einige Wochen später antwortete uns der Presserat, unsere Beschwerde sei “offensichtlich unbegründet”: Es handele sich, wie der Geschäftsführer gemeinsam mit dem Vorsitzenden des zuständigen Beschwerdeausschusses kurzerhand entschied, “eindeutig” um werbliche Veröffentlichungen, die für den Leser “unzweideutig” als solche erkennbar seien. Im August 2006 baten wir den Presserat, uns seine Entscheidung erstens zu erläutern und zweitens noch einmal zu überprüfen: Wir hatten nämlich beim Sprecher der “Bild am Sonntag” nachgefragt, und der sagte, bei den Artikeln handele es sich — ganz im Gegenteil — eindeutig um redaktionelle, nicht-werbliche Berichterstattung (wir berichteten)

Der Herbst kam und ging; es wurde 2007. Im Januar erinnerten wir den Geschäftsführer des Presserates telefonisch an den Vorgang. Im Juni 2007 schrieben wir einen weiteren Brief und fragten, ob schon absehbar sei, wann wir mit einer Antwort rechnen könnten. Der Geschäftsführer schrieb zurück, dass ihm nicht klar gewesen sei, dass unsere Bitte im Sommer 2006, die Entscheidung noch einmal zu überprüfen, ein Einspruch gegen diese Entscheidung gewesen sei. Im Juli 2007 schickten wir daraufhin den Brief von damals noch einmal, diesmal sicherheitshalber groß überschrieben mit dem Wort “Einspruch”.

Der Herbst kam und ging; es wurde 2008. Und in dieser Woche nun teilt uns der Geschäftsführer des Presserates mit, der Beschwerdeausschuss habe unsere Beschwerde behandelt. Er habe sie bei einer Enthaltung einstimmig als unbegründet bewertet. Die Erklärung dafür lautet in voller Länge:

Nach Ansicht des Beschwerdeausschusses werden auch werbliche Bestandteile eines Blattes im Inhaltsverzeichnis aufgelistet. Bei den Beiträgen handele es sich für den Leser — und hierauf stellt der Presserat bei seiner Prüfung ab — erkennbar um eine gemeinsame Werbeaktion zwischen BILD AM SONNTAG und dem Heide-Park Soltau. Trotz der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einrede kann der Presserat hier nicht eindeutig Schleichwerbung erkennen.

Schön, dass wir das geklärt haben.

Allgemein  

Irrer Presserat terrorisiert “Bild” weiter

Der Presserat hat seine Meinung geändert. Gestern noch hatte er grundsätzlich nichts an der abstrusen Art und Weise auszusetzen,"Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters" mit der die “Bild”-Zeitung darüber berichtete, dass sie für ihre al-Masri-Berichterstattung gerügt worden war (siehe Ausriss). Das jedenfalls sagte uns Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns (wir berichteten). Heute indes hat man sich beim Presserat entschieden, eine Pressemitteilung herauszugeben, damit sich “Leser (…) ein korrektes Bild von der öffentlichen Rüge gegen BILD machen können”:

Aus der Berichterstattung der BILD-Zeitung vom 29.11.2007 (…) geht nicht hervor, weshalb der Deutsche Presserat — bereits im September — gegen BILD eine Rüge ausgesprochen hat. Deshalb stellt der Presserat allen interessierten Lesern die komplette Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 vom 11.09.2007 nachfolgend zur Verfügung: (…)

Leider ist nicht davon auszugehen, dass beispielsweise “Bild”-Leser Oliver B. zu diesen “interessierten Lesern” gehört. Oder die “Bild”-Leser Hans L., Günter E., Gert L., Hans-Jürgen N. oder P.M. Obwohl das wünschenswert wäre. Deren Leserbriefe an “Bild”, die das Blatt heute abdruckt, demonstrieren nämlich eindrucksvoll, dass sie die Entscheidung des Presserats genauso gut verstanden haben, wie “Bild” sie gestern erklärt hat:

Und angesichts der Stellungnahme des Axel Springer Verlags, die in der Entscheidung des Presserats dokumentiert ist, muss man sich ernsthaft fragen, ob “Bild” ihre Leser womöglich gar nicht bewusst falsch informiert hat. Denn Springers Rechtsabteilung geht ausführlich darauf ein, dass “an der Aufdeckung des Falles” al-Masri ein “hohes Informationsinteresse” bestehe, referiert ausführlich alte und neue Vorwürfe gegen al-Masri und schreibt, dass “nicht erst eine Traumatisierung durch seine Entführung ihn zu Gewalttätigkeiten veranlasst habe”.

Dass “Bild” jedoch einen psychisch Kranken herabsetzend als “irre” und als “durchgeknallten Schläger” bezeichnet hatte und damit seine Würde verletzt und eindeutig gegen Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstoßen hat, rechtfertigt Springer offenbar nur mit der dürftigen Behauptung, “Bild” bewege sich “mit den wertenden Bezeichnungen im Rahmen zulässiger Meinungsäußerung”.

Das erstaunt. Beim Presserat handelt sich schließlich um eine freiwillige Selbstkontrolle, bei der die Verlage sich selbst zum Pressekodex bekennen und dazu, “die von den zuständigen Gremien des Deutschen Presserats wegen des Verstoßes gegen den Pressekodex (…) ausgesprochenen Sanktionen zu befolgen” (Paragraph 10 der Satzung des Presserats).

Teil dieser Sanktionen war übrigens auch die Bitte des Presserats, die Rüge unter Beachtung des Grundsatzes abzudrucken, “dass die Persönlichkeitsrechte Betroffener durch den Abdruck nicht erneut verletzt werden”.

Allgemein  

Irrer Presserat terrorisiert “Bild”

Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.
(Ziffer 16, Pressekodex)

Es ist ja nicht so, als würde die “Bild”-Zeitung vom Presserat gegen sie ausgesprochene Rügen immer nur Monate später ganz verstohlen, möglichst unauffällig im Blatt platzieren. Heute zum Beispiel berichtet “Bild” ziemlich ausführlich und prominent auf der Seite 2 platziert darüber, dass sie vom Presserat wegen ihrer Berichterstattung über Khaled al-Masri gerügt wurde:

"Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters"

Zur Erinnerung: al-Masri (der übrigens für “Bild”-Chef Kai Diekmann persönlich ein Beispiel für den “großen Selbst-Betrug” der Deutschen ist, das ihn besonders erregt) soll vom amerikanischen Geheimdienst nach Afghanistan verschleppt, dort misshandelt und monatelang festgehalten worden sein. Nachdem der offensichtlich unter psychischen Problemen leidende al-Masri später in Deutschland einen Großmarkt angezündet hatte, wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. “Bild” nannte ihn mehrfach “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” (wir berichteten). Der Presserat sah darin eine Verletzung der Ziffern 8 und 9 des Pressekodex, weil “Bild” das Persönlichkeitsrecht “des offenkundig kranken al-Masri” verletzt und “in ehrverletzender Art und Weise” das Verhalten eines psychisch Kranken dargestellt habe (wir berichteten).

Und so berichtet “Bild” in ihrer heutigen Ausgabe über die Rüge:

Auch privat sorgte der Sozialhilfeempfänger [al-Masri] für Schlagzeilen: Einen Mitarbeiter der Dekra attackierte er, der Geschäftsführerin eines Elektromarkts spuckte er ins Gesicht. Später zertrümmerte er mit einem Beil die Eingangstür des Markts, goss Benzin aus und legte Feuer. Schaden: rund 500000 Euro. Anlass war ein Streit über einen defekten MP3-Player.

Wir haben darüber berichtet — unter der Überschrift “Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?”. Und gefragt, ob al-Masri noch ganz richtig im Kopf sei. Dafür wurden wir nun vom Presserat gerügt.

Wir stehen zu unserer Darstellung. Ein gewalttätiger, bei geringsten Anlässen ausrastender Brandstifter, der sich laut Verfassungsschutz nahe der islamistischen Szene bewegt, bleibt für uns ein gewalttätiger und durchgeknallter Brandstifter.

Wir werden unsere Berichterstattung nicht weichspülen — so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.

Wer sich selbst als “psychisches Wrack” bezeichnet, den deutsche Sozialbehörden “zu seinen Straftaten getrieben”* (!) hätten, muss es hinnehmen, dass wir fragen**, ob er irre ist.

Welchem ehrenwerten Staatsbürger der Presserat zur Seite springt, sei noch einmal kurz zusammengefasst: (…).

Tatsächlich wurde “Bild” nicht “nun” vom Presserat gerügt, sondern vor über zwei Monaten. Und abgesehen davon, dass hier die Auffassung durchscheint, der Pressekodex sollte nur für “ehrenwerte Staatsbürger” gelten, fragt man sich, ob “Bild” die Rüge und Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstanden hat. Dort heißt es:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn (…) soll die Presse in solchen Fällen (…) abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden.

Das Erstaunliche ist, dass der heutige “Bild”-Artikel nach Ansicht des Presserates der Pflicht zum Abdruck einer Rüge nach Ziffer 16 Pressekodex genügt. Das bestätigte uns der Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Man könne eine Zeitung schließlich nicht zwingen, der gleichen Meinung zu sein wie der Presserat. Und eine ausführliche Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Presserats sei ja auch sinnvoll.

Natürlich könnte man auch diesen “Bild”-Artikel jetzt wieder vom Presserat prüfen lassen; zum konkreten Beschwerdeverfahren sagt Tillmanns aber:

Dieser Fall ist für den Presserat erledigt.

*) “Bild” selbst hatte im Mai dieses Jahres geschrieben, al-Masris Anwalt Manfred Gnjidic habe sich so geäußert. Uns sagt Gnjidic jedoch, sowas habe er “mit Sicherheit nicht gesagt”.

**) “Fragen”?

Nachtrag, 30.11.2007: Auch die “Süddeutsche Zeitung” und die “taz” berichten heute über die Rügen-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung.

Allgemein  

Presserat rügt “Bild” für “irren” al-Masri

Der irre Deutsch-Libanese, der einen Supermarkt anzündete / Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?

Im Mai machte “Bild” Khaled al-Masri verächtlich, der vom amerikanischen Geheimdienst nach Afghanistan verschleppt, dort misshandelt und monatelang festgehalten worden sein soll. Für die Zeitung war er kein Opfer, sondern einer, der “als angebliches CIA-Folteropfer die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit terrorisierte”.

Der “Bild”-Artikel von Ulrike Brendlin und Hans-Jörg Vehlewald war in vielfacher Hinsicht schlimm (wir berichteten), auch der Presserat verurteilte ihn jetzt. Die Zeitung habe das Persönlichkeitsrecht “des offenkundig kranken al-Masri” verletzt und “in ehrverletzender Art und Weise” das Verhalten eines psychisch Kranken dargestellt. In Richtlinie 8.4 des Presskodex heißt es:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn (…) soll die Presse in solchen Fällen (…) abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden.

“Bild” nannte al-Masri schon in der Überschrift “irre”.

Der “Bild”-Artikel verstößt laut Presserat auch gegen Ziffer 9 des Presskodex, die schlicht lautet:

Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

Alle Rügen, die der Presserat 2002 bis 2006 gegen “Bild” ausgesprochen hat, haben wir hier dokumentiert.

Allgemein  

Presserat rügt “Bild” für “extreme Zurückhaltung”

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann im NDR, 9. Februar 2007:

Bei uns muss jede Berichterstattung über einen Selbstmord vom Chefredakteur abgesegnet werden, ob das zulässig ist oder nicht zulässig. Egal, ob das in einer Regional- oder einer Lokalausgabe ist. Das muss mit mir abgestimmt werden. Einfach um zu verhindern, das wir in diesem Bereich – weil wir das insgesamt in dem Pressekodex, den wir uns als Printmedium gegeben haben, sehr sehr eng sehen.

Kai Diekmann im Interview mit epd-Medien, 23. Mai 2007:

Was würden Sie heute nicht mehr so machen wie noch vor zehn Jahren?

Da haben sich in der Tat Dinge verändert. Manches haben wir früher wie selbstverständlich veröffentlicht. Das betrifft das Thema der Selbstmordberichterstattung. Heute wissen wir, dass die Berichterstattung über Selbstmorde labile Menschen möglicherweise zum Nacheifern veranlasst. Deswegen sind wir in diesem Bereich extrem zurückhaltend.

Pressemitteilung des Deutschen Presserates, 8. Juni 2007:

Eine nicht-öffentliche Rüge erhielt BILD (Hamburg) für die Berichterstattung über den Suizid einer Jugendlichen. Die Umstände und Hintergründe des Suizids wurden dabei ausführlich geschildert. Dies ist nach Richtlinie 8.5 des Pressekodex unzulässig.

Post vom Presserat (2)

In der “Bild”-Zeitung vom 7. August 2006 hieß es in der redaktionellen Rubrik “Blieswoods Lebensregeln” zum Thema “Sagen Sie ja!”:

Ja zum Gefühl Fußball! Ist Ihr Herz noch rund von der WM? Zeit, dass sich die Bundesliga dreht (nur noch 4-mal aufwachen!). Schenken Sie sich ein TV-Abo von “Arena”! Noch nie war Fußball so billig (14,90 Euro/Monat). Schwarz-Rot-Geil: Wir machen weiter! Olé, Olé, Olé!

Wir hielten das schon damals für Schleichwerbung — einen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodexes also, wonach Verleger und Redakteure “auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken achten” — und beschwerten uns deshalb beim Presserat (Originaldokument rechts).

Heute nun teilte uns der Presserat mit, dass er unsere Ansicht teilt:

Der Beschwerdeausschuss hält den Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodexes für so schwerwiegend, dass er (…) die Maßnahme der Missbilligung wählt.

Soweit das. (Eine “Missbilligung” ist für die Zeitung leider folgenlos).

Interessanter an der “Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 in der Beschwerdesache BK1-217/06” (Originaldokument rechts) ist, wie “Bild” beim Presserat auf unsere Beschwerde reagierte. Statt sich inhaltlich mit dem Schleichwerbevorwurf auseinanderzusetzten, beantragte die Rechtsabteilung der Axel Springer AG unsere Beschwerde “wegen offensichtlichen Missbrauchs nicht zu behandeln und zurückzuweisen”, weil BILDblog damit “journalistische Berichterstattung manipuliere”:

Man inszeniere die Wirklichkeit, die man zum Gegenstand der journalistischen Berichterstattung mache, und verstoße damit gegen journalistische Grundsätze wie Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. (…) Eine ernsthafte Absicht, mit den Beschwerden Antworten auf offene Fragen der Berufsethik zu erhalten, die der Klärung bedürften, liege nicht vor.

Dergleichen ist für uns nichts Neues — zumal sich der Presserat auch dieses Mal wieder nicht der Springer-Auffassung anschließen wollte. Nur der Springer-Vorwurf, dass wir “den Presserat mit einer Flut von kommerziell, also sachfremd, motivierten Beschwerden anriefen”, irritiert uns nachhaltig: In den zweieinhalb Jahren BILDblog waren es ungefähr acht.

Themawechsel: Wir suchen übrigens noch Leute, die sich bei Bedarf beim Presserat über “Bild” beschweren.

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