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Sarg die Wahrheit!

Was für eine Tragödie!

“Bild”-Reporter John Puthenpurackal scheint ehrlich erschüttert: Die Schauspielerin Hanna Köhler, die in der ARD-Serie “Marienhof” in “1600 Folgen (!)” mitgespielt hatte, ist tot. Doch Angehörige sind nicht aufzutreiben.

Jetzt steht ihr Sarg verlassen in einer Bestattungshalle, kein Angehöriger hat sich bisher gemeldet.

Am 17. März starb die Darstellerin mit 67 Jahren in der Seniorenresidenz Friedrichsau bei Ulm. Sie hatte Probleme mit dem Herzen, musste mehrfach operiert werden.

Was keiner wusste: Der Sarg mit der Leiche steht seit ihrem Tod einsam in einer Bestattungshalle des Zentralfriedhofs Ulm. Das bestätigte eine Sprecherin der Stadt: “Wir erreichen keine Verwandten, bei uns hat sich auch niemand gemeldet.”

All das schrieb Puthenpurackal am 6. April, dem vergangenen Mittwoch. Und jeder, der Formulierungen wie “jetzt” oder “seit ihrem Tod” wörtlich nimmt, musste annehmen, dass da seit rund drei Wochen ein Sarg in einer Bestattungshalle rumsteht, was für den Ablauf anderer Trauerfeiern mindestens unpraktisch und für den Zustand der Leiche extrem unschön wäre.

Doch all diese Schreckensszenarien verblassen etwas, wenn man in die “Südwest Presse” vom vergangenen Freitag schaut. Demnach stellt sich die Situation deutlich anders dar:

Wie Friedhofs-Abteilungschef Jüstl auf Anfrage mitteilte, war ein Bild-Reporter bereits am 23. März – fünf Tage nach Köhlers Tod – auf dem Ulmer Friedhof. Auf seine Bitte hin habe man den Sarg in die Bestattungshalle gefahren, damit der Journalist ein Foto machen könne. Warum der Bericht erst zwei Wochen später publiziert wurde, ist auch Jüstl ein Rätsel.

Mit Dank an Sebastian.

Fortsetzung vor dem Presserat hier.

Waldspaziergang, Stockfotografie, Stipe

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Zuvielisation”
(freitag.de, Peter Glaser)
Peter Glaser schreibt über die Überforderung mit dem digitalen Medienfluss: “Es gibt verschiedene Möglichkeiten einen Waldspaziergang zu beschreiben. Man kann sich von der Wahrnehmung einer Unzahl von Blättern und Tannennadeln überfordert sehen und eine Rückkehr zur humanistischen Gehölzwahrnehmungstechnologie fordern. Man kann aber auch einen Spaziergang durch einen Wald machen und erholt wieder nach Haus kommen.”

2. “Die Last der Kommunikation: Was ein Journalist in Libyen alles dabei hat”
(blogs.taz.de/arabesken, Karim El-Gawhary)
Karim El-Gawhary präsentiert seine Kommunikations-Ausrüstung für Libyen.

3. “Sehr geehrte Frau Schwarzer…”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz schreibt an Alice Schwarzer, die für “Bild” den Prozess gegen Jörg Kachelmann begleitet: “Sie betreiben eine unerträgliche Vorverurteilung, die der Presserat jedem Provinz-Gerichtsreporter um die Ohren hauen würde.”

4. “60 Completely Unusable Stock Photos”
(buzzfeed.com)
Unerklärliche, schlechte Werke aus der Stockfotografie, mit Bildern von awkwardstockphotos.com.

5. “Stunde der Heuchler”
(sueddeutsche.de, Johan Schloemann)
Johan Schloemann sieht im Siegeszug der Grünen die Widersprüche des westlichen Menschen: “Wird nun der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der im Wahlkampf eine grünere Automobilindustrie gefordert hat, hingehen und die Porsche-Werke von einem auf den anderen Tag schließen lassen? Konsequent wäre es.”

6. “99 Fragen an Michael Stipe”
(zeit.de, Moritz von Uslar)
Moritz von Uslar befragt Musiker Michael Stipe: “Meine Verkleidung ist, dass ich mich nicht verkleide. Und wenn ich Fahrrad fahre, dann immer mit Helm – damit die Leute mich erkennen. Hallo, Berlin! Ich bin der, der den hässlichen Fahrradhelm auf dem Kopf trägt.”

Bild  

Die verlorene Ehre des Abu A.

Am Samstag berichtete die Münchner Ausgabe von “Bild” über die Freilassung eines Imams nach 80 Tagen U-Haft:

Nach den schweren Prügel-Vorwürfen Münchner Imam ist wieder frei!

Er war über zwei Monate in U-Haft. Wurde von einer seiner drei Frauen schwer belastet. Doch jetzt hat Shaza H. (31) überraschend ihre Aussage widerrufen! Und Imam Abu A. (40) ist wieder ein freier Mann. Kuriose Wendung einer von Beginn an rätselhaften Geschichte…

Die Formulierung “kuriose Wendung einer von Beginn an rätselhaften Geschichte” ist vielleicht der klägliche Versuch einer Erklärung, warum “Bild” bei der Berichterstattung über diesen Fall in den letzten Monaten die Unschuldsvermutung, die gelten muss, solange die Schuld eines mutmaßlichen Täters nicht bewiesen ist, nicht nur missachtet, sondern mit Füßen getreten hat.

Alles begann am 2. Dezember 2010, als “Bild” titelte: “Islamischer Friedens-Prediger bricht seiner Dritt-Frau die Knochen – Mitten in Deutschland!”. Auf Bild.de sah das so aus:

Ehefrau verprügelt Imam bricht seiner Dritt-Frau die Knochen Islamischer Friedens-Prediger als böser Knochenbrecher in U-Haft

Da Islam-Bashing zu der Zeit im Zuge der Sarrazin-Nachwehen ohnehin noch besonders en vogue war, las sich der dazugehörige Artikel so:

“Die Frauen, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet, ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie.”
(Koran, 4. Sure, Vers 34)

München – Tiefe dunkle Augen, langer Bart, Kopfbedeckung, weites Gewand. Der Münchner Imam Abu A. (40) sieht aus wie Massenmörder Osama bin Laden. Doch Abu A. gilt als “schillernde, friedliebende Figur” und gern gesehener Gast bei Integrationsrunden.

JETZT SITZT DER VORZEIGE-IMAM IM KNAST! VERHAFTET ALS MUTMASSLICHER FRAUENSCHLÄGER!

Von diesem Zeitpunkt an war Abu A. bei “Bild” nur noch der “Prügel-Prediger”. Und dann waren da ja auch noch die alles andere als klassischen Familienverhältnisse des Imams: Am 3. Dezember berichtete “Bild” München, als wäre es in Deutschland verboten, zehn Kinder zu haben und dafür Kindergeld zu beziehen:

10 Nachkommen! Abu A. (40) hat Anspruch auf 1900 Euro Kindergeld Die Akte des Prügel-Predigers

Abu A. lebt mit seinen drei Frauen und zehn Kindern zusammen, für sie kassiert er fast 1900 Euro monatlich.

Am 4. Dezember war Abu A. nicht mehr nur “Prügel-Imam”, sondern sogar der “Prügel-Imam!” mit Ausrufezeichen:

Prügel-Imam! Zoff mit Frau um die Kinder Die Eltern stritten sich um das Sorgerecht

Das mutmaßliche Opfer hingegen war bei “Bild” einfach nur “sein Opfer”:

Sein Opfer ist mit den beiden Kindern an einem geheimen Ort abgetaucht.

Nach einem weiteren Artikel vom 15. Dezember mit dem Titel “Prügel-Imam: Abu A. muss weiter in Haft bleiben” holte “Bild” kurz vor Jahresende noch einmal zum Schlag aus:

Jetzt fordert er Freilassung aus dem Gefängnis: Opfer des Prügel-Imam flüchtet aus München! München - Seine Brutalität und Gewalt gegenüber einer seiner drei Frauen brachten Imam Abu A. (40) vor einem Monat in die JVA Stadelheim.

Damit es sich die Gomolkas, Arbingers, Kiewels, Kürthys, Wittmanns und wie sie bei “Bild” alle heißen, ein für allemal hinter die Ohren schreiben können, hier noch einmal Ziffer 13, Pressekodex:

Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.

Und die Richtlinie 13.1:

(…) Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. (…) Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines “Medien-Prangers” sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

Das Ermittlungsverfahren gegen Abu A. läuft noch, doch ein dringender Tatverdacht besteht nicht mehr. Egal, wie es juristisch noch weitergeht: “Bild” hat gegen den Pressekodex verstoßen und billigend in Kauf genommen, den Ruf eines Unschuldigen zu zerstören.

Es wäre nicht das erste Mal.

Anonymisierung, Türkenbanden, Tahrir-Platz

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wer bei bild.de anonymisiert wird, den kennt bald die ganze Welt”
(lampmann-behn.de/lbr-blog)
Das Blog der Kölner Rechtsanwälte Lampmann, Behn & Rosenbaum zeigt an einem konkreten Beispiel auf, welchen Schutz eine Anonymisierung bei bild.de bieten kann.

2. “Wie die Krone die Angst vor ‘Türkenbanden’ schürt”
(kobuk.at, Yilmaz Gülüm)
Yilmaz Gülüm fragt anlässlich eines Artikels in der “Kronen Zeitung” über einen Überfall bei der Polizeidirektion Wien nach, ob es sich bei den Tätern tatsächlich um eine “skrupellose” Bande von “Türken” handelt, deren Taten “mittlerweile zur Tagesordnung” gehören.

3. “Bericht aus dem Gericht: Die ethnische Zugehörigkeit des Angeklagten tut hier nichts zur Sache”
(mainpost.de, Anton Sahlender)
Anton Sahlender, Leseranwalt der “Mainpost”, entschuldigt sich nach einer Beschwerde beim Presserat, dass seine Zeitung die ethnische Zugehörigkeit eines Angeklagten ohne “begründeten Sachbezug” nannte. “Es lässt sich leider nicht ausschließen, dass mit den Informationen im Beitrag Vorurteile gegen jene Minderheit geschürt werden konnten oder entstanden sind.”

4. “Im Würgegriff der Exklusivität”
(pushthebutton.de, Hardy Prothmann)
“Aus Kairo berichtet Matthias Gebauer” steht über einem Artikel von “Spiegel Online”. Hardy Prothmann analysiert den Text und vergleicht ihn mit anderen Quellen.

5. “Assange oder Die Zurichtung einer Kanaille”
(carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal über das Bild, dass “Bild” von Julian Assange pflegt: “Dessen schillernder Charakter ist der ideale Transmissionsriemen für Abrechnung & Auflage.”

6. “How Many People Are in Tahrir Square? Here’s How to Tell”
(wired.com/dangerroom, 1. Februar, englisch)
Wie viele Millionen Menschen passen eigentlich auf den Tahrir-Platz in Kairo?

Bundeswehr, Wagner, Dauerlaberer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die große Schweigerin”
(fr-online.de, Antonia Rados)
Fernsehjournalistin Antonia Rados zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr: “Wenn ich es dann einmal wage, nach dem Mittagsmenü eine harmlose Frage zu stellen, verfolgen mich die Presse-Offiziere mit misstrauischen Blicken. Als wolle ich den Soldaten zwischen Haupt- und Nachspeise Staatsgeheimnisse entlocken. Ich könnte den Taliban ja verraten, dass deutsche Brötchen keine Wurfgeschosse sind.”

2. “Holpriger Start für den Österreichischen Presserat”
(diepresse.com, Anna-Maria Wallner)
Österreich hat einen neu gegründeten Presserat, der sich allerdings nur um Mitglieder kümmert. “Kritik an dem neu gegründeten Presserat löst in erster Linie die Verfahrensordnung aus, die nicht erlaubt, Entscheidungen gegen Nichtmitglieder zu veröffentlichen. Ebenfalls kritisch gesehen wird der Klagsverzicht: Wer sich an den Presserat wendet, schließt den ordentlichen Gerichtsweg aus.”

3. “Bild-Zeitung schreibt die Leiharbeit schön”
(heise.de/tp, Silvio Duwe)
“Die Fachberatung zum Artikel stammt von einem Lobbyverband.”

4. “Call In infiltriert”
(fernsehkritik.tv, Video, insgesamt 48:14 Minuten)
Fernsehkritik.tv hat Teile des Videos, das ein Team der belgischen Satiresendung “Basta” zeigt, wie sie einen eigenen Moderator in eine Call-In-Sendung einschleusen, mit Untertiteln versehen (ab 10:50 Minuten).

5. “Man erzieht die Leute zu Dauerlaberern”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein kritisiert, dass die sogenannte “mündliche Mitarbeit” in der Notengebung mit 50 Prozent bewertet wird. “Die von unserem System diskriminierten schüchternen, zurückhaltenden oder zur Selbstdarstellung unbegabten Menschen können durchaus etwas leisten, sie sind oft recht intelligent. Sie sind nachdenklich. Bevor sie sprechen, denken sie nach, und wenn sie mit dem Denken fertig sind, ist es zu spät. Das ist ihr Problem.”

6. Interview mit Franz Josef Wagner
(ardmediathek.de, Video, 29:56 Minuten)
“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner erklärt, was zu seinen Gunsten vorliegt (ab 8:30 Minuten): “Ich kann fantastisch mit der deutschen Sprache umgehen (…) mal, und mal dann wieder nicht. Eine Kolumne ist mal schlecht, dann schäm ich mich auch zu Tode, mal gelingt eine. Ich bin schon froh, wenn eine glitzert und funkelt.” Zu seinen Ungunsten: “Es gibt Geschichten und Schlagzeilen, für die ich mich schämen muss.”

Bravo  

Rache ist ein Kinderspiel (2)

Erinnern Sie sich an die Tipps, die die “Bravo” im vergangenen Sommer ihren pubertierenden Lesern gegeben hat, wie sie sich an ihren Ex-Freundinnen oder Freunden rächen können? In der bunten “Hot-List” fanden sich Punkte wie:

  • Du stellst eine geöffnete Flasche Cola auf seinen Schreibtisch — in die Du vorher Abführmittel gekippt hast.
  • Du läufst gegen einen Pfosten und erzählst nachher, die blauen Flecken stammten von ihr!

Mit den meisten vorgestellten Formen der Rache hätte man sich strafbar gemacht (BILDblog berichtete).

Der Bauer-Verlag, in dem die “Bravo” erscheint, meint, dass die Zeitschrift die Rache-Ideen gar nicht empfiehlt, sondern im Gegenteil vor ihnen warnt. Es handele sich nämlich um Satire, teilte die Staabsstelle Medienrecht dem Presserat mit, der ihre Stellungnahme so zusammenfasst:

Bekanntermaßen geschehe bei Satire die Sichtbarmachung von Missständen (z.B. “Mein Partner trennt sich von mir”) durch Stilmittel, die eine Verfremdung zur Folge hätten, da der Text von dem normalerweise zu erwartenden abweiche. Folglich setze die Satire als Stilmittel unter anderem die Verdrehungen ein: Gefährliches werde als harmlos dargestellt.

Vor diesem Hintergrund mache die “Hot-List” deutlich, dass jemand, der von seinem Partner verlassen wird, eben gerade bestimmte Rachepläne nicht umsetzen sollte.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates war nicht ganz überzeugt:

Mit einigen der Tipps [wie zum Beispiel den beiden oben zitierten] wird die Grenze zwischen einem noch zulässigen Streich hin zu einem Straftatbestand überschritten. Eine auch für die Leserinnen und Leser klar erkennbare satirische Diktion sah der Ausschuss nicht. Die Redaktion ist hier eindeutig zu weit gegangen. Insbesondere im Hinblick auf die jugendliche Leserschaft von BRAVO ist es ethisch nicht akzeptabel, wenn solche Empfehlungen gegeben werden.

Der Presserat urteilte (schon im vergangenen Herbst), “Bravo” habe gegen die Ziffer 11 des Pressekodex (Jugendschutz) verstoßen, und gab der Redaktion einen entsprechenden “Hinweis”.

Mit Dank an Stefan W.!

Einnehmen leicht gemacht

Was ein Glück! Kurz nach den Feiertagen fand sich auf der Startseite von stern.de genau das Richtige für Leser, die sich bei all den Plätzchen, Festtagsbraten und mit Plätzchen gefüllten Festtagsbraten nicht zurückhalten konnten:

Kampf den Kilos Nach Weihnachten sollen die Pfunde purzeln. Viele nehmen sich Jahr für Jahr vor, ihre überflüssigen Kilos loszuwerden, aber die wenigsten schaffen es. Der stern-abnehm-Coach zeigt, wie es geht. Von Nicole Simon

Wer dem Link in Richtung “Kampf den Kilos” folgt, landet bei einem stern.de-Artikel:

Der stern-Abnehm-Coach hilft und erklärt, wie man sein Gewicht dauerhaft reduziert.

Wissenshungrige können alle Fakten und Neuigkeiten zum Thema Übergewicht im stern-Abnehm-Coach nachlesen. (…)

Der Coach basiert auf dem aktuellen Stand der Ernährungs- und Sportwissenschaften und orientiert sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). (…)

Per Mausklick zur Wunschfigur

Dass hier neben dem Wunsch nach schlanken Lesern auch kommerzielles Interesse mitschwingt, zeigt sich im letzten Absatz:

Wenn es um gesunde Ernährung und Sport geht, kommt immer wieder die Geldfrage auf. Fitnessstudios sind teuer, gute Ernährungsberater erst recht. Nicht hier: Der stern-Ernährungscoach ist professionell und kostet weniger als 15 Euro im Monat.

>>> Hier geht’s zum stern-Abnehm-Coach

Der Link führt auf die Domain stern-abnehm-coach.de. Die aber gehört nicht, wie man denken könnte, dem “Stern”, stern.de oder dem Verlag Gruner + Jahr. Sie gehört der Berliner Firma xx-well.com AG.

Der “Stern-Abnehm-Coach” ist eine umlackierte Version des “Abnehm-Coaches” der Firma xx-well.com. Wer sich für den “Stern-Abnehm-Coach” anmeldet, bewegt sich dabei zwar die ganze Zeit auf Seiten, die aussehen wie die von stern.de. Er schließt aber einen Vertrag mit der Firma xx-well.com AG.

Man ahnt das nicht, wenn man nicht die Allgemeinen Geschäftsbedingungen liest, denn stern.de schreibt bloß davon, das Angebot werde “in Kooperation mit xx-well.com” gemacht.

Wenn stern.de für den “Stern-Abnehm-Coach” wirbt, wirbt es für das Angebot eines externen Unternehmens. Und stern.de wirbt wie verrückt: In vielen, vielen, vielen, vielen redaktionellen Artikeln.

Auch der gedruckte “Stern” wirbt in seinem vermeintlich redaktionellen Teil immer wieder für das kommerzielle Angebot. Im Mai 2008 hieß es etwa: “Per Mausklick schlanker werden: Der neue Abnehm Coach des stern macht das Leben leichter (…)”. Auch im aktuellen Heft 2/2011 stehen wieder ein paar Zeilen, unter der Überschrift:
“Persönlicher Helfer im Kampf gegen die Weihnachtspfunde”.

Damit verstoßen “Stern” und stern.de klar gegen Ziffer 7 des Pressekodex, wo es heißt:

Verleger und Redakteure (…) achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Vermutlich bekommt stern.de Provision von xx-well.com für den stern.de-Leser, der auf diese Weise zum xx-well.com Kunden wird. Die Firma bietet jedem Online-Medium ein entsprechendes “Partnerprogramm” an, das mit Provisionen zwischen 4 und 35 Euro pro vermittelten Kunden lockt — stern.de könnte als spezieller Partner auch eigene Konditionen ausgehandelt haben.

Auch die Diät-Coaches der Zeitschriften “Brigitte”, “Men’s Health”, der Portale web.de und gmx.de und vieler weiterer Medien basieren auf dem Angebot des “Experten für Online-Coaching”.

Es scheint ein gutes Geschäft zu sein — nur nicht unbedingt für die Leser.

Worauf stern.de nämlich nicht hinweist: Wer das “Coaching”-Angebot direkt von xx-well.com abonniert, zahlt deutlich weniger als bei der “Stern”-Variante — und das, obwohl sich die beiden Angebote laut Marketingabteilung von xx-well.com nur in Nuancen (etwa einzelne Rezepte) unterscheiden:

Abnehm Coach Ganz flexibel - Ihr Abonnement

Und dabei hatte stern.de auf der Hauptseite des “Stern-Abnehm-Coaches” neben “weniger Pfunde” und “mehr Aktivität” auch “faire Preise” versprochen:

Programm und Preis Der stern-Abnehm-Coach ist als Abonnement erhältlich. Entscheiden Sie selbst, in welchen Abständen die Zahlungen vorgenommen werden sollen. Je größer Sie das Zahlungsintervall wählen, desto günstiger wird Ihr Coach.

Mit großem Dank an Kevin R.

Nachtrag, 11. Januar: Ein aufmerksamer Leser hat uns darauf hingewiesen, dass das Verlagshaus Gruner + Jahr, zu dessen Publikationen unter anderem “Stern” und “Brigitte” gehören, bereits seit 2007 die Aktienmehrheit von xx-well.com hält und seine Anteile 2010 auf 95 Prozent erhöht hat. Damit geht es beim “Stern-Abnehm-Coach” nicht nur um Provisionen, wie wir zuerst mutmaßten, sondern um ganz konkrete Einnahmen.

Wie ein Werbetext für den Suizid

Für Jugendzeitschriften sind wir BILDblogger alle zu alt bzw. zu kinderlos. Die “Bravo Girl” haben wohl die wenigsten von uns jemals in den Händen gehalten. Dabei hat dieses bunte Mädchenmagazin im vergangenen Jahr fast unbemerkt den Deutschen Presserat beschäftigt.

In einer Ausgabe hatte “Bravo Girl” über eine 15-jährige Schülerin berichtet, die sich nach anhaltendem Mobbing ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler das Leben genommen hatte.

Doch was heißt da “berichtet”? In schönste Suizid-Prosa gegossen hatten die Redakteure den Selbstmord:

Wie ferngesteuert geht Phoebe rauf in ihr Zimmer, greift sich einen langen, bunten Schal. Vorsichtig bindet sie ihn zu einer Schlinge. Ihre schmale Finger zittern. Unendlich traurig fällt ihr Blick noch ein letztes Mal in ihr Mädchenzimmer. Tränen tropfen von ihren blassen Wangen. Phoebe seufzt. Dann erhängt sie sich. Phoebe wollte sterben, weil sie zu hübsch war.

Die Schilderungen sind nicht nur wahnsinnig detailliert angesichts der Tatsache, dass es keine Zeugen gab, sie sind auch falsch: Phoebe erhängte sich im Treppenhaus.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat sah in dem Artikel einen Verstoß gegen die Ziffer 8 und Ziffer 11 und kritisierte vor allem die extrem ausführliche Darstellung des Suizids. Nach Richtlinie 8.5 ist bei der Berichterstattung über Selbstmorde aus guten Gründen besondere Zurückhaltung geboten. Diese Regel habe die Redaktion völlig außer Acht gelassen. Außerdem habe sie mit ihrer “unangemessen sensationellen” Berichterstattung gegen Ziffer 11 des Pressekodex verstoßen.

Gegenüber dem Beschwerdeausschuss des Presserats begründete die Rechtsvertretung der Bauer Media Group das Vorgehen damit, dass der Suizid des Mädchens eine einzigartige Sonderstellung einnehme: Neben den besonderen Umständen, die zur Selbsttötung des Mädchens geführt und die weltweit Bestürzung hervorgerufen hätten, sei der Fall anschließend vor einem US-Gericht verhandelt worden und hätte zu einer Gesetzesänderung geführt.

Der Presserat störte sich besonders an der “absurden Feststellung” (die der Komplexität des Falles schwerlich gerecht wird), “Phoebe wollte sterben, weil sie zu hübsch war”, mit der die Redaktion die Grenze des Zulässigen überschritten habe.

In der Veröffentlichung von Namen und Fotos des toten Mädchens und der mobbenden Mitschüler sah der Presserat ein Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Sinne der Richtlinie 8.1 des Pressekodex. Gerade im Hinblick auf das jugendliche Alter der Beteiligten wäre eine strenge Anonymisierung erforderlich gewesen.

Die Rechtsvertretung von Bauer erklärte dazu, der Fall könne in aller Ausführlichkeit in der Wikipedia nachgelesen werden und die Eltern des Mädchens hätten die Privatsphäre freiwillig relativiert, um einen Beitrag zur Prävention zu leisten. Der kritisierte Artikel sei alles andere als unethisch. Er beschreibe in einer emotionalen, aber zurückgenommenen (sic) Erzählform die Geschehnisse und räume mit dem Vorurteil auf, dass hübsche Mädchen sowieso nicht gemobbt würden.

Doch auch hier blieb der Presserat hart: Die in den USA übliche identifizierende Berichterstattung rechtfertige nicht die von der Redaktion gewählte Darstellungsform. Die Regeln für deutsche Presseerzeugnisse werde nicht dadurch aufgehoben, dass “in anderen Ländern im Hinblick auf Presseveröffentlichungen andere ethische Standards bestehen”.

Der Presserat entschied sich schließlich für seine “härteste” Maßnahme und sprach eine öffentliche Rüge gegen “Bravo Girl” aus.

Ungarn, APA, Tatort

6 vor 9

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1. “Julian Assange, Bradley Manning, Alvar Freude und Rolf Schälike”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Peter Mühlbauer erklärt, warum diese vier für ihn “die Männer des Jahres aus Sicht der Presse-, Rede- und Informationsfreiheit” sind.

2. “Gleichschaltung durch die Fidesz-Regierung”
(nzz.ch, Charles E. Ritterband)
Das ungarische Parlament beschliesst ein neues Mediengesetz: “Die Redaktionen der öffentlichrechtlichen elektronischen Medien werden weitgehend aufgelöst. Zugleich wurde eine ‘Medienverfassung’ erlassen, welche private Medien – auch Printmedien und Internetforen – an die Kandare nimmt und sie zu ‘ausgewogener’ Berichterstattung und ‘politischer Unparteilichkeit’ verpflichtet. Im Falle von Verstössen kann die Medienbehörde Geldbussen in Höhe von umgerechnet bis zu 90 000 Euro verhängen oder Zeitungen und Sendestationen schliessen lassen.”

3. “Presserat missbilligt BILD-Berichterstattung”
(truckonline.de)
Eine Klage über die Berichterstattung von “Bild” beim Presserat hat eine Missbilligung zur Folge. “Der Beschwerdeausschuss 1 gelangt zu dem Ergebnis, dass die BILD – Zeitung mit Ihrer Berichterstattung unter der Überschrift ‘Brummifahrer tot im Bordell’ auf der Titelseite, sowie der fortgesetzten Berichterstattung unter der Überschrift ‘Als diese Hure sich auszog, kippte der Trucker um’ im Innenteil der Ausgabe gegen die Ziffer 8, Richtlinie 8.1 verstoßen hat.”

4. “Traditionelle Journalisten recherchieren ‘besser'”
(markuskienast.com)
Markus Kienast sieht einen Text der Nachrichtenagentur APA über einen “Guardian”-Artikel zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Julian Assange falsch zusammengefasst. “Es wird hier suggeriert, es hätten nach dem ersten konsensualen Sex, weitere nicht konsensuale Sexualakte mit Frau A stattgefunden.”

5. “Tatort: Nie wieder frei sein.”
(nerdcore.de, René)
René empfiehlt mit Nachdruck den Tatort “Nie wieder frei sein” (ardmediathek.de, Video, 88 Minuten) vom vergangenen Sonntag.

6. “Cyrano 2.0”
(volkerstruebing.wordpress.com)
Volker Strübing mag sich nicht ärgern über wetterbedingte Zugverspätungen: “Der Mann von Welt macht es wie ich: Ich habe mich auf zwei Stunden Verspätung eingestellt und die Bahn hat es in anderthalb Stunden Verspätung geschafft. Da habe ich mich gefreut.”

Debattenkünstler, Abendblatt, Schneechaos

6 vor 9

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1. “Die Studio-Hocker”
(tagesspiegel.de, Bernd Gäbler)
“Ungefähr 30 Debattenkünstler der ersten Garnitur” und “etwa 80 bis 90 weitere aus der zweiten Liga” stehen in den Talkshows stellvertretend für die gesellschaftliche Debatte. Bei der Auswahl der Diskutanten herrsche lähmende Orthodoxie, stellt Bernd Gäbler fest. “Kenntnisreiche Politiker aus der zweiten Reihe des Bundestages, populäre Bürgermeister großer Städte wie Nürnberg oder Gelsenkirchen, gar Kultur-Menschen werden dem Publikum nicht zugemutet. Vielleicht zwingt demnächst ja einfach die Vielzahl der Runden zu Originalität.”

2. “Gute Rezensionen garantiert: Bücher von Journalisten”
(blog.dummy-magazin.de, Oliver Gehrs)
Viele Journalisten schreiben Bücher. Die von anderen Journalisten oft positiv rezensiert werden. “Neulich wurde z.B. das Yoga-Buch einer Autorin, die auch für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt, in eben dieser Zeitung fast halbseitig gelobt. Hemmungen gibt es in dieser Hinsicht schon lange nicht mehr.”

3. “Im Zweifel für oder gegen den Angeklagten”
(faz.net, David Klaubert)
David Klaubert hält die Medienvertreter im Fall Jörg Kachelmann nicht für “unbeteiligte Beobachter”. “In kaum einen Prozess in Deutschland haben sich die Medien so früh und derart verbissen eingemischt wie in diesen ‘Prozess des Jahres'”. Zur Rolle von Medienanwalt Ralf Höcker siehe die Beiträge von Roland Binz im Krisenblog und von Georg Altrogge auf meedia.de.

4. “Presserat missbilligt ‘Bild’-Artikel über Karlsruher Computerspiel”
(ka-news.de)
Der Presserat missbilligt den im September von Bild.de publizierten Artikel “Widerwärtig! DDR-Todesstreifen als Ballerspiel” (BILDblog berichtete).

5. “Vorbildliche Trennung von Anzeigen und journalistischem Inhalt im Abendblatt”
(claushesseling.de, Screenshot)
Der Hamburger Versandhändler “Otto” auf der Website des “Hamburger Abendblatts”.

6. “Das Schneechaos der ARD”
(faz-community.faz.net, Stefan Niggemeier, Video, 7:53 Minuten)

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