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Die Lümmel von der Bank

Es sieht nicht so aus, als ob sie sich bei “Welt Online” überhaupt Gedanken darüber hätten, ob sie die Angeklagten, die da im Ausland vor Gericht standen, anonymisieren sollten: Das Aufmacherfoto zeigt den Hauptangeklagten “beim Verlassen des Gerichts” bzw. beim nicht wirklich geglückten Versuch, sein Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Unter dem Foto steht sein Name, der im Artikel noch weitere Male auftaucht, ebenso wie sein ehemaliger Arbeitgeber, sein Alter und die Namen, Altersangaben und Berufe der Mitangeklagten.

“Welt Online” schrieb im vergangenen August nicht über ein brutales Kapitalverbrechen, wo das Medium die identifizierende Berichterstattung noch mit dem immensen “öffentlichen Interesse” an dem Fall hätte rechtfertigen können, sondern über einen vergleichsweise unspektakulären Fall von “white collar crime” — Wirtschaftskriminalität, über die kaum ein anderes deutschsprachiges Medium berichtet hat.

Ein Leser des Artikels beschwerte sich beim Deutschen Presserat über die identifizierende Berichterstattung. Die Chefredaktion von “Welt Online” erklärte in ihrer Stellungnahme, “dass die Berichterstattung nicht die Intim-, Geheim- und Privatsphäre berühre, sondern allein die Sphären des Wirtschafts- und Berufslebens”. Die Berichterstattung betreffe “ausschließlich die Sozialsphäre”, in der das Persönlichkeitsrecht hinter dem Berichterstattungsinteresse der Öffentlichkeit (außer in Ausnahmefällen) zurückstehen müsse.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Beschwerdeausschuss wollte sich dieser Meinung nicht anschließen: Zwar bestehe “ohne Zweifel” ein öffentliches Interesse daran, über die im Ausland erhobenen Vorwürfe gegen eine Frau und einen Mann aus Deutschland zu berichten. Im konkreten Fall finde die Berichterstattung jedoch ihre Grenzen in den Persönlichkeitsrechten der Angeklagten. Zur vollständigen und verständlichen Unterrichtung der Öffentlichkeit über die im Raum stehenden Vorwürfe seien die identifizierende Abbildung des Mannes und die Erwähnung beider Namen nicht notwendig gewesen. Mit Blick auf die Sozialsphäre und das persönliche Umfeld, welches die Angeklagten in Deutschland hätten, hätte “Welt Online” anonymisiert berichten müssen.

Insgesamt sah der Presserat den Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex durch “Welt Online” als so schwerwiegend an, dass er eine “Missbilligung” (s. Kasten) aussprach.

Mutter, der Kurier mit der Strafe ist da (2)

In Deutschland gelten sogenannte Gesetze. Die regeln z.B., dass ein Mann, der alkoholisiert einen Autounfall verursacht und dann vom Tatort flieht, eine bestimmte Strafe bekommt. Diese wird auf Grundlage der Gesetze von einem Gericht verhängt.

Zugegeben: Das haben wir schon mal geschrieben. Es war im August, als der “Berliner Kurier” sich zu dieser Kombination von Foto und Überschrift hinreißen ließ.

Alkohol-Crash: Zur Strafe zeigt der KURIER den Suffkopf mit heruntergelassener Hose

Wir haben uns über diese Berichterstattung beim Deutschen Presserat beschwert, weil wir darin eine Verletzung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte des Unfallfahrers sahen und der “Berliner Kurier” sich unserer Ansicht nach in der Überschrift als strafende Instanz inszenierte.

Die Rechtsabteilung des Kuriers erklärte in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Presserat, sie könne keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte erkennen, da das Gesicht des Mannes nicht zu erkennen und der Name vollständig geändert worden sei.

Auch werde durch das Foto nicht die Menschenwürde verletzt, da die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem ein Mann mit heruntergelassener Hose zu sehen sei, “nicht a priori als menschenverachtend zu bewerten” sei.

Besonders kreativ reagierten die Juristen des “Kurier” auf unseren Vorwurf, die Zeitung geriere sich als “strafende Instanz”, den sie als unbegründet zurückwiesen: Die Formulierung “Zur Strafe zeigt der Kurier den Suffkopf mit heruntergelassener Hose” lasse verschiedene Deutungen zu. Der “verständige Leser” würde sie so auffassen, dass darin keine Anmaßung der Ausübung von Befugnissen der Strafjustiz zu sehen sein, sondern eine “soziale Ächtung von Trunkenheit im Straßenverkehr” zum Ausdruck kommen solle. Der Ton des Artikels sei durch die Verwendung von Wörtern wie “Suffkopp” und “bedröppelt” “eher milde gehalten”. Der Artikel bringe demnach insgesamt zum Ausdruck, dass “Trunkenheit am Steuer gesellschaftlich nicht zu billigen” sei, und stelle insofern “einen Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins für Normen und gesellschaftliche Werte” dar und trage “zur öffentlichen Meinungsbildung” bei.

(Falls demnächst irgendeine Bürgerinitiative die Wiedereinführung von Prangern auf deutschen Marktplätzen fordern wollen sollte, möchten wir ihr jetzt schon die Formulierungen der “Kurier”-Rechtsabteilung als Argumentationshilfe ans Herz legen.)

Bei den vermeintlichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schloss sich der Beschwerdeausschuss des Presserats der Meinung des “Kuriers” an und erklärte, dass der Mann nicht identifizierbar sei. Wohl aber werde der unbekannte Mann durch die Abbildung in seiner Menschenwürde verletzt. Auch wenn er offensichtlich Fahrerflucht begangen habe, sei es nicht gerechtfertigt, ihn “in dieser herabwürdigenden Situation” abzubilden.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Deutlicher wurde der Beschwerdeausschuss noch im Bezug auf die Überschrift, die er in Kombination mit dem Foto für geeignet hält, “das Ansehen der Presse in Gefahr” zu bringen. Es sei zwar Aufgabe der Zeitungen, ihre Leser über solche Vorkommnisse zu informieren, allerdings müsse dies “in einer sachlichen Art und Weise” geschehen. Im vorliegenden Fall trete die Redaktion jedoch quasi “als strafende Institution” auf, die den Betroffenen an den Pranger stelle. Dies sei mit dem Ansehen der Presse nicht vereinbar.

Insgesamt wertete der Beschwerdeausschuss den “Verstoß gegen die publizistischen Grundsätze” als so schwerwiegend, dass er eine “Missbilligung” aussprach (s. Kasten). Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen zu veröffentlichen. Als Ausdruck fairer Berichterstattung “empfiehlt” der Beschwerdeausschuss jedoch die Veröffentlichung.

Bazillus, Frank Schirrmacher, Spiegel Online

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zeitungs-Zensur: Schüler verklagt den Freistaat”
(merkur-online.de, Patrick Wehner)
Der zwölfjährige Stephan Albrecht erwirkt beim Bayerischen Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung, damit die von ihm verantwortete Schülerzeitung “Bazillus” verteilt werden kann. “Die Oberstudiendirektorin untersagte den ‘Bazillus’-Redakteuren – zwölf Kindern aus der sechsten und siebten Klasse – ihre Zeitung auf dem Schulgelände zu verteilen.”

2. “Das eingeschnappte Lebensgefühl”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente denkt nach über das Deutschland-Bild von “Bild”: “Das Deutschland, das uns die berühmte Tageszeitung abbildet, es ist wehleidig, weinerlich, strotzt vor Selbstmitleid. Aber es zieht sich nicht zurück, es bläst zum Gegenangriff, schreit die Ungerechtigkeit laut hinaus.”

3. “Rückt die FAZ nach links? Oder gibt das Feuilleton nur den Klassen-Clown?”
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal bemerkt einen Linkskurs von Frank Schirrmacher in der FAZ: “Bislang tolerieren die anderen Ressorts, von ein paar Sticheleien abgesehen, Schirrmachers Eskapaden generös – so lange er im Rahmen der Leser-Blatt-Bindung eine wichtige Zielgruppe im Netz erschließt, die in 20 Jahren treue und brave FAZ-Abonnenten auf dem iPad sein sollen.”

4. “Rahmstorf im Zerrspiegel”
(scilogs.de/wblogs, Markus Pössel)
Der Artikel “Eklat um Klimaberater der Bundesregierung” auf “Spiegel Online” in der eingehenden Analyse von Markus Pössel.

5. “Toter Gaddafi darf gezeigt werden – Platzierung und Größe der Darstellung jedoch ausschlaggebend”
(presserat.info)
Der deutsche Presserat spricht eine “Missbilligung” gegen zwei Boulevardzeitungen aus, die “ein Foto des blutverschmierten Gesichts des toten Gaddafi, gezoomt und vergrößert, auf der Titelseite über dem Bruch veröffentlicht” hatten. “Selbstverständlich ist der Anblick eines getöteten Menschen kein Anblick, dem sich ein Leser oder Internet-User in der Regel gerne stellt. Dennoch gehört es zu den Aufgaben der Presse, auch solche Informationen in Wort und Bild zu vermitteln, die Gewalt, Krieg und Sterben beinhalten.”

6. “Das ist der Tag…”
(ignant.de)
“Das ist der Tag, von dem ihr noch euern Enkelkindern erzählen werdet” – “eine Transkription der Pro7-Fernsehshow ‘Germany’s next Topmodel 2011 – Das Finale'”.

Bild  

Schlechte Gewinner

Wenn der Presserat eine Rüge gegen “Bild” ausspricht, dann berichtet die Zeitung in den meisten Fällen nicht darüber, obwohl sie es laut §15 der Beschwerdeordnung eigentlich müsste. Wenn der Presserat aber dann doch einmal eine Beschwerde zurückweist, sieht das ganz anders aus. Dann macht “Bild” denjenigen, der sich beschwert hat, einfach zum “Verlierer”:

Als Chef von "Studi-VZ" konnte Clemens Riedl (40) offensichtlich ganz schlecht mit Konkurrenz umgehen: Beim Deutschen Presserat beschwerte er sich über die BILD-Serie "So machen Sie bei Facebook mit". Vorwurf: Schleichwerbung. Jetzt wies der Presserat die Beschwerde zurück, Riedl ist inzwischen gefeuert. BILD meint: Recht so!

Übrigens: Dass Riedl inzwischen nicht mehr bei StudiVZ arbeitet, hat natürlich nichts mit der abgelehnten Beschwerde beim Presserat zu tun. Er hat das Unternehmen am 11. Oktober “auf eigenen Wunsch” verlassen und steht “in der nächsten Zeit noch für einen reibungslosen Übergang zur Verfügung”, weswegen er auch immer noch im Impressum der VZ-Netzwerke genannt wird.

Mit Dank an Christian M.

Guttenberg, Schuhbeck, Kämmerer

6 vor 9

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1. “Zehn Jahre indirekter freistoss – auch mein Jubiläum”
(indirekter-freistoss.de, Oliver Fritsch)
Die “Presseschau für den kritischen Fußballfreund” feiert das zehnjährige Jubiläum: “Gegründet habe ich den indirekten freistoss, um den seriösen Stimmen mehr Gewicht zu geben. Meinung gemacht wird ja nach wie vor woanders: bei Bild und im Fernsehen. Vielleicht ist deren Macht im Fußball im letzten Jahrzehnt ein wenig geringer geworden, ich kann mich aber auch täuschen.”

2. “Ein gefährlicher Mann”
(faz.net, Volker Zastrow)
Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht als reuiger Sünder zurückgekehrt, “sondern gepanzert mit Rechtfertigungen, bewaffnet mit Drohungen”. “Die unerzählte Geschichte geht so: Guttenberg hat es geschafft, fast in alle wichtigen Redaktionen dieses Landes belastbare Beziehungen aufzubauen, mit ungeheurem Charme. Das hat in einigen Häusern dazu geführt, dass Berichterstatter nicht so geschrieben haben, wie sie dachten. Die Redaktionen wurden auf Linie gebracht, soweit sie sich nicht ganz von selbst drauf brachten, längst vor der Affäre.”

3. “Mediale Steigbügelhalter”
(dradio.de, Bettina Schmieding)
Hat Guttenberg eine PR-Agentur beauftragt? “Wenn ja, dann hätte er das Geld echt besser ausgeben können. Schließlich gibt es genug Steigbügelhalter für den Baron in der deutschen Presse und die machen das total unentgeltlich.”

4. “Der scheinheilige Herr Schuhbeck”
(buggisch.wordpress.com)
Christian Buggisch schreibt über Fernsehkoch Alfons Schuhbeck, der “Gesundheit predigt und das Gegenteil verkauft”.

5. “So arbeiten Journalisten fair”
(ratgeber.presserat.ch)
Der neue Ratgeber “Was Medienschaffende wissen müssen” des Schweizer Presserats.

6. “Kurz vor Schluss”
(zeit.de, Roland Kirbach)
Die finanzielle Situation deutscher Kommunen: “Nachdem Cross Border Leasing unattraktiv geworden war, weil die Steuervorteile in den USA entfallen waren, wurden deutsche Kämmerer aus Verzweiflung zu Zockern. Gelockt von cleveren Bankern, schlossen sie mit Finanzinstituten Wetten auf die künftige Zinsentwicklung ab. Reihenweise haben die Städte verloren.”

Lynchvorlage (2)

Im Juli hatte “Bild” groß über einen Mann berichtet, der ein siebenjähriges Mädchen in Thüringen sexuell missbraucht und getötet hatte. Im Rahmen ihrer Berichterstattung bezeichnete die Zeitung den geständigen mutmaßlichen Täter als “Schwein” und zitierte einen BKA-Beamten mit den Worten “Wenn er sich nicht selbst etwas antut, gäbe es im Knast genügend andere, die das gerne übernehmen würden.”

Wie um es den genügend Anderen im Knast einfacher zu machen, hatte “Bild” den Fall mit einem großen, unverfremdeten Foto des Mannes illustriert (BILDblog berichtete):

Das ist Mary-Janes Mörder: Er hat sie missbraucht, gewürgt und warf sie lebend in den Bach

Wir haben uns beim Deutschen Presserat über die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de beschwert. Wie in solchen Fällen üblich nahm die Abteilung Verlagsrecht der Axel Springer AG dazu Stellung und erklärte unter anderem, es entspräche der ständigen Spruchpraxis des Deutschen Presserats, dass bei vorliegendem Geständnis auch identifizierend über Tatverdächtige berichtet werden dürfe. (Der Presserat merkt dazu an, dass sich das Justiziariat dabei “auf den einzigen Fall mit diesem Tenor” berufe.)

Die Bezeichnung “Schwein” drücke nach Ansicht der Axel Springer AG aus, was der “weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung” über den Mann und die ihm zur Last gelegten Taten denke. Wer das Vertrauen und die Unterlegenheit eines Kindes ausnutze, um es sexuell zu misshandeln und es dann qualvoll umzubringen, sei nach herrschender Ansicht als “Schwein” zu bezeichnen. Auch die Einordnung als “beruflich und privat ein ewiger Verlierer” sei zulässig, da der mutmaßliche Täter sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich sein Leben nicht “auf die Reihe” bekommen habe, wie der Verlag weiter ausführte.

Den Abdruck des Fotos rechtfertigten die Springer-Juristen so:

Schon die Tatsache, dass jemand ein siebenjähriges Mädchen sexuell misshandele und sie danach ermorde, sei so außergewöhnlich, dass damit eine Fotoveröffentlichung gegen den Willen des Abgebildeten gerechtfertigt sei. Ein Großteil der deutschen Tagespresse haben über den Fall Mary-Jane berichtet.

Auszüge aus dem Pressekodex:

Ziffer 8 – Persönlichkeitsrechte

Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Richtlinie 8.1 – Nennung von Namen/Abbildungen

(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz. Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.

Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats ließ sich von dieser Begründung nicht beeindrucken und kam zu der Überzeugung, dass die Beiträge von “Bild” und Bild.de die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten verletzten und damit gegen Ziffer 8 in Verbindung mit Richtlinie 8.1 (s. Kasten) des Pressekodex verstoße.

Die identifizierbare Abbildung des Täters ist aus Sicht des Beschwerdeausschusses “ethisch nicht vertretbar”. Ein Tatverdächtiger könne ausnahmsweise abgebildet werden, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liege oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen werde. Eine solche Ausnahme sei im konkreten Fall aber nicht gegeben, “Bild” hätte auch ohne Abbildung der Person oder mit ausreichend unkenntlich gemachten Bildern umfassend über den Fall berichten können.

Einen Verstoß gegen Ziffer 1 des Pressekodex, die zur Achtung der Menschenwürde mahnt, konnte der Beschwerdeausschuss jedoch nicht feststellen. Durch die Verwendung der Bezeichnung “Schwein” werde deutlich, “dass die Tat von der Redaktion als Schweinerei verstanden werde”. Sie bringe mit “bildhafter Sprache” eine zulässige Bewertung zum Ausdruck.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Die letzten Ausführungen sind bemerkenswert, hatte der Presserat den Begriff “Schwein” (anders als etwa den Begriff “Bestie”) oder “Dreckschwein” doch bisher meist als Verletzung der Menschenwürde angesehen.

Insgesamt wertete der Beschwerdeausschuss den Verstoß gegen Ziffer 8 aber als so schwerwiegend, dass er eine “Missbilligung” aussprach (s. Kasten). Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen zu veröffentlichen. Als Ausdruck fairer Berichterstattung “empfiehlt” der Beschwerdeausschuss jedoch die Veröffentlichung.

Charlie Hebdo, Petarden, Bushido

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Charlie Hebdo: Brandsatz gegen Satire”
(ndr.de, Video, 5:38 Minuten)
Ein Besuch in der Redaktion der Satirezeitschrift “Charlie Hebdo”, die nach einem Brandanschlag bei der Zeitung “Libération” Asyl gefunden hat. “Allein die katholische Kirche hat 14 Prozesse gegen die Zeitung geführt – alle hat sie verloren.”

2. “Gefühle als Vorwand”
(jungle-world.com, Frederik Stjernfelt)
Frederik Stjernfelt schreibt über die Rezeption des Brandanschlags: “Das niederträchtige Argument, ein Brandanschlag sei nicht weniger verwerflich als einige, wenn auch etwas geschmacklose Witze, entstammt einer Haltung, die sich unter vielen westlichen Intellektuellen und Kommentatoren in den vergangenen Jahren verbreitet hat, nämlich aus dem Verständnis für die vermeintlich ‘verletzten Gefühle der Muslime'”.

3. “Die ‘Petarden-Trottel’-Kampagne – ein Fall für den Presserat?”
(philippe-wampfler.com)
Beim Fußballspiel Lazio Rom gegen den FC Zürich explodiert einem mitgereisten Anhänger der Zürcher eine Petarde in der Hand. “Doch das hindert Benny Epstein nicht daran, den Mann an den Pranger zu stellen, Photos von ihm zu publizieren und seinen Arbeitgeber und seine Eltern zu belästigen”.

4. “Mediale Hysterie hat deutlich zugenommen”
(meedia.de, Alexander Becker)
Ein Interview mit Rainer Schäfer über den Druck von Journalisten auf Fußballer. “Es ist naiv zu glauben, dass eine Art Selbstverpflichtung der Medien funktionieren könnte. Es wäre aber schon viel erreicht, wenn alle ein wenig Druck aus der Berichterstattung nehmen könnten, wenn Kritik weniger polemisch und diskreditierend geäußert würde.”

5. “All die ganzen Schlageraffen dürfen da singen”
(juliane-wiedemeier.de)
Wie oft die RBB-Abendschau über ein kommerzielles Musical berichtet.

6. “Hass und Diskriminierung: Was Burda für preiswürdig hält”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Bushido soll heute Abend den Medienpreis Bambi in der Kategorie Integration erhalten (Begründungen der Jury). “Geehrt wird der Bushido, dessen Marketingstrategie für den Moment die Rolle des ‘good guy’ vorsieht.”

Sterben live

Vor zwei Jahren wurde “Bild” vom Presserat wegen “unangemessen sensationeller” Berichterstattung zum Tod von Michael Jackson gerügt. Zu der Überschrift “Hier verliert er den Kampf um sein Leben” zeigte die Zeitung damals ein riesiges Foto, auf dem Jackson auf einer Trage liegend und an Beatmungsgeräte angeschlossen zu sehen war. Da dadurch bei Lesern der Eindruck entstehe, einem Menschen unmittelbar beim Sterben zuzusehen, sah der Beschwerdeausschuss darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde (BILDblog berichtete).

Hat die Rüge gefruchtet? Nun, das mit dem “beim Sterben zusehen” scheint immer noch spannend genug zu sein, um es auf der Startseite von Bild.de so anzuteasern:

FEUER IM FLUCHTMOBIL Hier verbrennen zwei Bankräuber

Im gut bebilderten Artikel heißt es:

Das Feuer lodert aus dem Dach des Wohnmobils, im Innenraum liegen zwei Bankräuber. Unklar, ob die beiden Männer schon tot sind, als das Feuer ausbricht, oder ob sie Opfer der Flammen werden.

Fehlen nur noch Chips und Bier …

Mit Dank an Christian S.

Schade, Maskerade

Scheinbar inspiriert durch Halloween fand es “Bild”-Reporterin Angela Wittig angebracht, in der Leipziger Regionalausgabe über dieses Phänomen zu berichten:

Maskenball im Amtsgericht

Dazu zeigt “Bild” fünf verschiedene Angeklagte, die sich wahlweise hinter einer Kindermatratze, der sächsischen Verfassung oder anderen Gegenständen verbergen, und garniert diese Aufnahmen mit Bemerkungen wie:

MODELL MIEZEKATZE
Tarnung: Fellkapuze und Kätzchen-Notizbuch
Dahinter: Bäcker Oliver Q. (42)
Er nahm 19 Geiseln bei “H&M” (…). Galt aber zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig, bekam vom Landgericht fünf Monate auf Bewährung.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitung, die regelmäßig vom Presserat gerügt wird, weil sie ebenso regelmäßig darauf pfeift, die Identität von Angeklagten zu schützen, zeigt reihenweise Angeklagte, die versuchen, eben nicht in Zeitungen wie “Bild” zu erscheinen, und verspottet sie auch noch.

Interessanterweise scheint Frau Wittig zwei verschiedene Versionen ihres Artikels verfasst zu haben. So behauptet sie online:

(…) Darf man als Angeklagter kostümiert zum Prozess erscheinen?

Eigentlich nicht, denn man muss vor den ehrwürdigen Richtern aufstehen, wenn sie den Saal betreten, um ihnen Respekt zu zollen.

Das ist so nicht richtig. Laut § 178 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) “kann” gegen “Beschuldigte (…), die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen” zwar “ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden”, dies liegt aber im Ermessen des Richters.

In der gedruckten “Bild” heißt es daher auch korrekterweise:

Ausdrücklich verboten ist die Maskerade übrigens nicht. Laut Prozessordnung müssen die Angeklagten zwar aufstehen, wenn der Richter den Saal betritt. Solange aber die Fotografen und Kameraleute im Prozess sind, toleriert das Gericht die Maskerade. Erst danach müssen die Verkleidungen abgelegt werden.

Übrigens müsste ausgerechnet Angela Wittig am besten wissen, warum es sogar ratsam ist, sich nicht von “Bild” fotografieren zu lassen. Sie selbst war es nämlich, die vor gut zweieinhalb Jahren einen unschuldigen Mann zum Kinderschänder erklärte (BILDblog berichtete). Erst acht Monate später, nachdem BILDblog eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatte, war “Bild” bereit, diesen Fehler einzuräumen (BILDblog berichtete).

Mit Dank an Philipp E.

Rügen, Theater, Tom Kummer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie viel Prozent der Rügen des Presserats waren für Bild?”
(netzjournalismus.de, Fiete Stegers)
Fiete Stegers wertet Rügen durch den Deutschen Presserat seit 1997 aus (Datengrundlage auf docs.google.com).

2. “Nepper, Schlepper, Bauernfänger: Die künstliche Empörung über die BSF-Knebelverträge”
(couchfunk.de, Christoph)
“Bei ‘Bauer sucht Frau’ stinkt’s zum Himmel!” lautete die “Bild”-Titelgeschichte vom vergangenen Samstag. “Wirklich anrüchig und platt ist der ‘Bild’-Bericht aber, weil gerade die Regenbogenpresse doch überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass Casting-Opfer zu sprichwörtlich gewordenen Witzfiguren, Hassobjekten oder asozialen Monstern werden konnten. Wenn die ‘Bild’ also Empörung heucheln will, dann doch bitte in Form einer Aufklärungskampagne, die ihren Lesern einen Monat lang das Fremdschäm-Fernsehen austreibt und Begriffe wie Anstand und Menschenwürde zumindest mal wieder in Erinnerung ruft. Denn wenn etwas die Casting- und Verächtlichkeitsmachungswelle stoppen kann, dann höchstens massiv sinkende Einschaltquoten.”

3. “Pervers gutes oder einfach nur perverses Theater?”
(technoarm.de, Martin Böttcher)
Gleich zwei “Bild”-Mitarbeiter zeichnen eine Kritik des Theaterstücks “John Gabriel Borkman” von Henrik Ibsen. “Die Richtung ihrer Kritik und die krassen inhaltlichen Fehler, die in ihrem Text auftauchen, lassen eigentlich nur drei Schlüsse zu: Sie waren nicht da. Oder sie haben von Theater keine Ahnung. Oder sie waren nicht da und haben von Theater keine Ahnung.”

4. “Brigitte MOM”
(dasnuf.de)
Das Nuf liest “Brigitte Mom”: “Tatsächlich habe ich hier nichts gelesen, was mich irgendwie tief bewegt oder mich an irgendeiner Stelle zusätzlich informiert hat. Aber das muss gar nicht sein. Manchmal genügt es eine Zeitschrift zu haben, die man immer mal wieder in die Hand nimmt und kurz dem Alltag entflieht.”

5. “Bad Boy Kummer”
(arte.tv, Video, 90 Minuten)
Noch einige Tage auf “arte” zu sehen: Miklós Gimes porträtiert Interviewfälscher Tom Kummer und seine Weggefährten. Ulf Poschardt, Christian Kämmerling und Roger Köppel wollten beim Film nicht mitmachen. Mit dabei sind dafür Andreas Lebert, Alexander Osang, Markus Peichl oder André Müller.

6. “Surprise, Surprise.”
(floriansteglich.com)
Florian Steglich notiert sich Erkenntnisse nach der Lektüre des Artikels “Mein armes Amerika” im “Zeit Magazin”.

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