Suchergebnisse für ‘Presserat’

Staatliche Pressetrojaner, Herkunftsnennung, RTL2-Rekruten

1. Schutz vor staatlichen Hackerangriffen
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” wendet sich gegen den geplanten Einsatz von Staatstrojanern. Da keine Schutzrechte für Journalisten geplant seien, könnten Ermittler über eingeschleuste Trojaner vertrauliche Gespräche und Chats von Journalisten mit Informanten abfangen. Die Organisation dazu: „Journalisten sind auf Verschlüsselung angewiesen, um sich vertraulich mit Kollegen und Informanten auszutauschen. Die Pläne von Heiko Maas bewirken, dass es in Deutschland kein digitales Kommunikationsmittel mehr gibt, mit denen Journalisten zweifelsfrei vor Überwachung geschützt sind. Die Große Koalition muss im Gesetz klarstellen, dass Journalisten bei ihrer Arbeit nicht abgehört werden dürfen. Ein Staatstrojaner hat auf dem Handy eines Journalisten nichts verloren.“
Link zur ausführlichen Stellungnahme zur Einführung der Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung (PDF)

2. Ist die Herkunft von Tätern und Verdächtigen wirklich von öffentlichem Interesse?
(sueddeutsche.de, David Denk)
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Medien bei Straftaten die Herkunft des Täters nennen dürfen beziehungsweise sollen. Der Presserat hat dazu nun Leitsätze mit aktuellen Beispielen formuliert, die für schnellere und bessere Entscheidungen im Redaktionsalltag führen sollen. Ergänzend führt der Presserat aus, dass weder “Neugier” oder “Gruppeninteressen”, noch die “Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Quellen, etwa durch Behörden” die Redaktionen von ihrer “eigenständigen presseethischen Verantwortung” entbinde.
Die Praxisleitlinie (Richtlinie 12.1 des Pressekodex) kann beim Presserat eingesehen werden (PDF).

3. Eine ganz andere Sicht
(taz.de, Volkan Agar)
“taz”-Autor Volkan Agar stellt in einem Überblicksartikel die wichtigsten linken Medien der Vergangenheit und Gegenwart vor. Mit dabei sind der Liebling der Sponti-Szene “Pflasterstrand”, die teilweise massiv verfolgte und beschlagnahmte “Agit 883”, die autonome, feministische Zeitschrift “Courage”, das Magazin “konkret”, “analyse & kritik”, die anarchistische “Graswurzelrevolution”, das linksradikale und antifaschistische Newsportal “Indymedia”, die linke Wochenzeitung “Jungle World” und die linksalternative, österreichische Zeitschrift “malmoe”.

4. Hatespeech ist nicht, wenn Journalisten mit Kritikern skypen
(broadly.vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Was hat die “Tagesschau” mit ihrer Aktion “Sag’s mir ins Gesicht – für eine bessere Diskussionskultur im Netz” erreicht? Live wollte man sich von den Zuschauern die Meinung sagen lassen und für das Thema Hass im Netz sensibilisieren. Doch auf Hater und Trolle wartete man vergeblich, der Großteil der Anrufer trat höflich bis freundlich auf. Nicht überraschend wie Yasmina Banaszczuk im Gespräch mit Social-Media-Profis herausgefunden hat. “Ich glaube, die wahren Trolle, die wirklichen Hater, sind nirgendwo zu Wort gekommen, weil das gar nicht das ist, was sie wollen.”, befand die Journalistin Katrin Weßling. Ähnlich sah es die Autorin Ninia LaGrande. Und der Blogger Ali Schwarzer störte sich bereits an der Grundidee: “Als hätten Trolle und Hater nicht schon genug Raum, bekommen sie jetzt auch noch ein weiteres Podium.”

5. „Unsere Denkweise war ganz simpel“
(verguetungsregeln.wordpress.com, Martin Schreier)
Vor einigen Tagen hat der Journalist Martin Schreier mit einem Vertreter des “Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger” (BDZV) über die Kündigung der Gemeinsamen Vergütungsregeln für hauptberuflich freie Journalisten an Tageszeitungen gesprochen (6vor9 berichtete). Mittlerweile hat er weitere Stellungnahme-Interviews geführt und zwar mit dem Justitiar des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Benno Pöppelmann, dem dju-Tarif-Sekretär Matthias von Fintel und der Vorstandsvorsitzenden der Freischreiber Carola Dorner.

6. RTL2 will Werbefilme für Bundeswehr senden
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Sebastian Wellendorf)
Die von der Bundeswehr für die Verteilung über Youtube produzierte Werbereihe “Die Rekruten” hat mittlerweile mehr als 44 Millionen Views. Nun hat sich “RTL2” die Fernsehrechte an der 90-teiligen Bundeswehr-Reality-Soap gesichert. Das könnte ein Fall für die Medienaufsicht werden. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz kritisiert im Deutschlandfunkgespräch, dass Grenzen zwischen Berichterstattung und PR verschwimmen, wenn der Gegenstand der Berichterstattung selbst zum Berichterstatter wird. Im Zweifel müsse es eine Einblendung geben, die anzeigt, dass es sich um eine Art Sonderwerbeform handelt.

Unpopuläre Populisten, Arte-fiziell, Menschenfleisch

1. Unpopuläre Populisten
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
In den USA zeichnet sich ein neuer Trend ab: Die Nutzerzahlen von “Breitbart” und anderen rechtspopulistischen Webseiten wie “National Review Online”, “Infowars” und “Drudge Report” sind rückläufig. Jürgen Schmieder hat nach den Gründen für diese Entwicklung gesucht und ist auf mehrere Dinge gestoßen: Die “Rebellen” seien nun Teil des Systems. Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey am 9. Mai hätte eine Zäsur bedeutet und zahlreiche interne Skandale wie die Pädophilieverharmlosung der Breitbart-Galionsfigur Milo Yiannopoulos hätten das Übrige dazu beigetragen, dass Klicks und Einschaltquoten sinken würden.

2. Die „FAZ“ hat Archiv-Angst
(taz.de, Christian Rath)
Unlängst hat die “FAZ” einen offenen Brief als Eigenanzeige veröffentlicht, in dem sich das Verlagshaus gegen das von der Bundesregierung geplante neue Urheberrecht wendet. In Frankfurt sieht man vor allem das Archivgeschäft bedroht und spricht von jährlichen Verlusten in Millionenhöhe. An den FAZ-Vorwürfen sei allerdings nicht viel dran, findet der rechtspolitische Korrespondent der “taz” Christian Rath. Die Befürchtung, dass die Deutsche Nationalbibliothek alle FAZ-Texte aufnimmt und unentgeltlich zur Verfügung stellt, sei beispielsweise unbegründet.
Die Regelung gelte nur, „wenn Inhalte nicht dauerhaft zugänglich sind, wie etwa Blogeinträge“. Presseerzeugnisse seien aber typischerweise dauerhaft verfügbar, etwa in Archiven der Verlage – auch wenn der Zugang hierzu kostenpflichtig ist. Die DNB dürfe sie also nicht online stellen, so das Ministerium.

3. “Wenn es Arte nicht schon gäbe, dann müsste man ihn jetzt erfinden”
(deutschlandfunk.de, Bernd Mütter & Brigitte Baetz)
Der deutsch-französische Kulturkanal “Arte” feiert seinen 25. Geburtstag. Der Deutschlandfunk hat sich mit dem stellvertretenden Programmleiter über Gegenwart und Zukunft des Senders unterhalten. Eine Art persönliche Liebeserklärung hat Holger Kreitling auf “welt.de” verfasst. “Bei Arte geht es um Geschmack, immer. Sofort, noch mit der Fernbedienung in der Hand, erfasst einen ein „Gefühl bedeutsamer Weitläufigkeit“ (Thomas Mann). Es ist das Distinktionswerkzeug des Kulturbürgers, der sinistre Pate des Senders heißt von Beginn an Pierre Bourdieu, nirgendwo sind die feinen Unterschiede im Fernsehverhalten so sichtbar wie hier.”
Kritik kommt von Regisseur und Produzent Arne Birkenstock, der sich in einem Gastbeitrag auf “taz.de” darüber beklagt, dass der Sender seine Identität verliere, weil er am großen Dokumentarfilm spare.

4. Die Welt: Den Redakteursjob vergessen??
(klima-luegendetektor.de)
Die “Welt” hat einen Biologen zu Wort kommen lassen, der behauptet, die globale Temperatur sei seit fünfzehn Jahren nicht mehr angestiegen. Und der fordert, dass man darüber reden dürfe, ohne “verunglimpft” zu werden. Die Betreiber des “Klima-Lügendetektors” haben sich die Behauptungen im Detail angeschaut und sind entsetzt: Der betrachtete Zeitraum sei zu kurz, und selbst wenn man dies außer Acht lasse, sei die Aussage schlicht falsch. Eine Pause bei der Erderwärmung habe es ebenfalls nicht gegeben. Zum Schluss erinnern die Lügendetektoren die Redakteure der “Welt” daran, dass die journalistische Sorgfaltspflicht laut Deutschem Presserat auch für Meinungsbeiträge gelte.

5. Was ist neu an Fake News?
(derstandard.at, Liriam Sponholz)
Liriam Sponholz hat sich als Wissenschaftlerin mit dem Begriff “Fake News” auseinandergesetzt und die nötigen Abgrenzungen unternommen. So seien “Fake News” kein “Fehlverhalten”, sondern ein Geschäftsmodell und das Resultat einer Click Economy: “Fake News sind weder mit Propaganda noch mit tendenziöser Berichterstattung gleichzusetzen. Im Kern handelt es sich um die systematische Produktion von Meldungen, die einen Realitätsbezug vorgeben, aber wissentlich von der Wirklichkeit abweichen. Es handelt sich um keine Bias, weil eine tendenziöse Berichterstattung ohne Erfindungen auskommt. Fake News lassen sich aber auch nicht mit Propaganda gleichsetzen, weil die Absichten der Produzenten vielfältiger sind und die Produktion nicht alleinig, oftmals sogar gar nicht politisch motiviert ist.”

6. Lokal durch Fake-Story über Menschenfleisch fast ruiniert
(futurezone.at, Florian Christof)
Ein Fake-News-Artikel hätte beinahe ein indisches Restaurant in London in den Ruin getrieben. Über eine Prank-Seite, auf der man seine Freunde mit Falschmeldungen reinlegen soll, war das Gerücht in Umlauf gebracht worden, dass das Lokal schließen müsse, weil dort angeblich Menschenfleisch auf der Speisekarte stand.

“Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist”

Morgen jährt sich zum zweiten Mal der Absturz des “Germanwings”-Flugs 4U9525. 150 Menschen sind damals in den französischen Alpen ums Leben gekommen, darunter auch Co-Pilot Andreas Lubitz, der die Maschine bewusst zum Absturz gebracht haben soll. Während viele der Hinterbliebenen sich treffen und gemeinsam trauern werden, werden Lubitz’ Eltern in Berlin bei einer eigens organisierten Pressekonferenz sitzen. Sie wollen ein Gutachten präsentieren, in dem es um Zweifel an den offiziellen Ermittlungen zur Absturzursache gehen soll.

In der “Zeit” von heute ist ein lesenswertes Stück von Petra Sorge zum Thema erschienen (hier eine Zusammenfassung von “Zeit Online”). Sie hat sich mit Günter Lubitz, dem Vater von Andreas, getroffen und mit ihm über verschiedene Gutachten, Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, seine Motivation gesprochen:


Der Text handelt auch von der Berichterstattung rund um den “Germanwings”-Absturz. Es geht um ein brennendes Grab, um herumschleichende Reporter, um möglicherweise erfundene Interviewaussagen. Es geht vor allem um die “Springer”-Blätter “Bild” und “Welt am Sonntag”.

***

Da ist zum Beispiel der “Bild”-Bericht über das Grab von Andreas Lubitz. In der Print-Ausgabe und online hatten die “Bild”-Redaktionen Ende Juni 2015 groß auf der Titel- beziehungsweise Startseite über die Beerdigung des “Germanwings”-Co-Piloten berichtet …


… und dabei auch dessen Grab, niedergelegte Kränze, letzte Grüße von Freunden gezeigt.

Petra Sorge schreibt in ihrem “Zeit”-Artikel:

Kurz nach der Beerdigung von Andreas Lubitz gelangte ein Reporter auf den Friedhof. Er fotografierte das Grab: Kränze, die letzte Widmung der Familie. Bild veröffentlichte das Foto. Kurze zeit später setzte jemand das Grab in Brand. Der Brandstifter wurde nie gefunden.

Wegen der Veröffentlichung des Fotos folgte ein Gerichtsverfahren, das noch immer nicht endgültig entschieden ist. Inzwischen liegt der Fall beim Bundesgerichtshof:

Das Kammergericht Berlin untersagte den Abdruck des Fotos schließlich, mit der Begründung, die Berichterstattung stelle “einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte” der Kläger dar. Der Springer-Verlag hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Über die Frage von Pietät, Persönlichkeitsrecht und Grenzen der Pressefreiheit muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.

Nun kann man über einen direkten Zusammenhang von Bericht und Feuer nur mutmaßen. Die Tatsache aber, dass “Bild” und Bild.de trotz des Brandes und der möglichen Gefahr einer weiteren Brandstiftung im vergangenen August wieder mit großen Fotos über das Grab von Andreas Lubitz und den neuen Grabstein dort berichtet haben, wird vor diesem Hintergrund noch ekliger als es eh schon ist.

***

Direkt im Anschluss schreibt Petra Sorge:

Günter Lubitz hat lange überlegt, ob er mit der ZEIT sprechen soll. Mehrmals stand das Treffen auf der Kippe, besonders nachdem im Februar zwei Journalisten nahe dem Haus waren und danach behauptet hatten, die Familie habe sich erstmals öffentlich geäußert. Diese aus dem Zusammenhang gerissene “Äußerung” stammte aus einem Antwortschreiben, mit dem Günter Lubitz schon im November 2016 auf die Bitte um ein Interview reagiert hatte.

Bei den “zwei Journalisten” dürfte es sich um Mitarbeiter der “Welt am Sonntag” handeln. Die Wochenzeitung hatte vor gut einem Monat, am 26. Februar, vier Seiten über den “Germanwings”-Absturz veröffentlicht. In dem langen Text findet sich auch diese Passage:

Erstmals überhaupt haben sich die Eltern nun zu Wort gemeldet. Auf Anfrage der “Welt am Sonntag” schrieben sie: “Zum Absturz des Germanwings-Fluges 9525 ergeben sich auch für uns noch viele unbeantwortete Fragen, merkwürdige Sachverhalte und Zweifel am bisher kommunizierten Unfallhergang. Wir sind momentan selber noch am Recherchieren.” Zu dem “völlig falsch gezeichneten Bild” ihres Sohnes wollen sie sich momentan aber noch nicht äußern.

Ein “Unfallhergang”? Ein “völlig falsch gezeichnetes Bild” ihres Sohnes?

Aus einer E-Mail-Absage auf eine Interview-Anfrage vom November 2016 macht die “Welt am Sonntag” im Februar 2017 also die exklusive Nachricht, dass Lubitz’ Eltern sich “erstmals überhaupt” geäußert hätten.

“Bild” und Bild.de griffen das Thema direkt auf:


Franz Josef Wagner schrieb einen Brief an die Eltern von Andreas Lubitz.

***

Der dritte Abschnitt im “Zeit”-Artikel zur Berichterstattung über die “Germanwings”-Katastrophe ist der brisanteste. Es geht um ein Interview von “Bild”-Reporter John Puthenpurackal aus dem März 2015:



Die Aussagen der angeblichen “Ex-Freundin” über Lubitz’ angebliche Ausraster und seine angeblichen Ankündigungen waren nur wenige Tage nach dem Unglück entscheidende Bausteine bei der medialen Konstruktion eines Psychogramms.

“Bild” schreibt in dem Artikel:

Die Stewardess Maria W. (26) war eine zeitlang die Freundin von Todes-Pilot Andreas Lubitz (27).

Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.

BILD-Reporter John Puthenpurackal hat ihre Identität überprüft. Er ließ sich u.a. ein Foto zeigen, das die Stewardess und den Amok-Piloten bei einem Flug in derselben Crew zeigt.

Wir haben den Namen auf ihren Wunsch geändert, sie so fotografiert, dass sie nicht erkannt werden kann. In BILD spricht jetzt die Frau, die diesem Mann sehr, sehr nah war.

Trotz Identitätsprüfung durch Reporter Puthenpurackal und Foto-zeigen-lassen glaubt Staatsanwalt Christoph Kumpa laut “Zeit” inzwischen, dass die Aussagen in dem “Bild”-Artikel erfunden seien. Petra Sorge schreibt:

Und dann ist da die Sache mit der angeblichen Ex-Freundin seines Sohnes, der Stewardess Maria W. Bild druckte im März 2015 ein Interview mit ihr, wonach Andreas Lubitz angekündigt haben soll: “Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.” Maria W. habe sich wegen seiner Probleme von ihm getrennt: “Er ist in Gesprächen plötzlich ausgerastet und schrie mich an. Ich hatte Angst. Er hat sich einmal sogar für längere Zeit im Badezimmer eingesperrt.” Das Interview schien genau jenes Puzzleteilchen zu liefern, das noch fehlte zum Bild eines Wahnsinnigen. Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.”

“Bild” wehrt sich im “Zeit”-Artikel gegen diesen Vorwurf.

Verschlimmbesserung, Treppenlift-Spiegel, US-Comedy-Boom

1. Der Pressekodex öffnet sich für die „Lügenpresse“-Verschwörer
(udostiehl.wordpress.com)
Der Deutsche Presserat hat den sogenannten Pressekodex überarbeitet. Konkret ging es um die vieldiskutierte Richtlinie 12.1, welche die Berichterstattung über Straftaten und die Erwähnung von ethnischen, religiösen und anderen Zugehörigkeiten der mutmaßlichen Täter behandelt. Udo Stiehl vergleicht die Formulierungen der neuen mit der alten Richtlinie. Mit der Änderung bzw. Aufweichung dieser Richtlinie wollte man wohl dem von Lügenpresse-Rufern und Besorgtbürgern oft geäußerten Vorwurf begegnen, die Presse verschweige bewusst Angaben zur Herkunft von Tätern. Stiehls Resümee: “Die Richtlinie 12.1 ist in ihrer neuen Form unkonkreter und öffnet damit genau jenen Provokateuren neue Möglichkeiten, die Presseberichterstattung ohnehin gezielt diskreditieren wollen.”

2. Berichterstattung über dubiose Anbieter: Kanzlei droht Journalisten
(test.de)
Die Stiftung Warentest berichtet immer wieder über schwarze Schafe im Finanzbereich. Um Anleger vor dubiosen Angeboten zu schützen, muss natürlich der Name des Anbieters genannt werden. Die Kanzlei Höcker Rechtsanwälte aus Köln wolle das oft verbieten. Sie versuche Journalisten einzuschüchtern, indem sie bereits vor einer Veröffentlichung mit rechtlichen Schritten gegen die Berichterstattung drohe. Das sei ein Angriff auf die Pressefreiheit, so die Stiftung. Zwei konkrete Beispiele machen deutlich, wie seitens der Kanzlei mit Warnschreiben und unverhohlenen Drohungen operiert wird.

3. Facebook führt Anfechtungstool für Falschmeldungen ein
(zeit.de, Jan Aleksander Karon)
Vorerst nur in den USA führt Facebook ein Anfechtungstool für Falschmeldungen ein: Ein rotes Warndreieck soll darauf hinweisen, dass ein Beitrag unter Fake-News-Verdacht steht. Wer einen derartigen Artikel auf Facebook teilen will, bekommt einen Warnhinweis und weitere Informationen eingeblendet.

4. Fast ohne Treppenlift
(taz.de, René Martens)
René Martens hat sich den neuen “Spiegel Classic” angeschaut, den „Spiegel“-Spin-off für die Generation 50+. Große Begeisterungsstürme hat ihm das Heft nicht abgerungen: “Das Magazin für sehr erwachsene Erwachsene liefert zwar Eins-a-Qualitätsjournalismus, wirkt aber allzu gediegen, um nicht zu sagen: verschnarcht. Ironie? Witz? Schwer auszumachen. Spiegel Classic mutet so berechenbar an wie der Set eines Ü50-Party-DJs.”

5. Twitter-Transparenzbericht: Frankreich und Türkei stellen die meisten Löschanfragen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Im Twitter-Transparenzbericht für das zweite Halbjahr 2016 ist die Türkei weltweit führend, was die Anzahl der Löschversuche angeht. Weltweit seien 13 Prozent mehr Löschanfragen gestellt worden als im Vorhalbjahr. Die meisten dieser Ersuchen seien keine Folgen von Gerichtsurteilen, sondern Anfragen von Regierungsstellen und Polizeien. 88 Anfragen hätten sich gegen verifizierte Journalisten oder Medien, fast 90 Prozent dieser Anfragen seien aus der Türkei gekommen.

6. Die besten Witze kommen aus Washington
(faz.net, Christiane Heil)
Christiane Heil berichtet aus Los Angeles über den Aufschwung der amerikanischen Comedians seit Trumps Machtübernahme im Weißen Haus. Die Comedy-Show „Saturday Night Live“ (SNL) hatte unlängst die höchsten Einschaltquoten der letzten 20 Jahre. Der sogenannte „Trump bump“ treibe aber auch auf die Einschaltquoten anderer Sendungen in die Höhe.

7. Offener Brief anlässlich des “Bild”-Beitrags “Darf man Sie Mongo nennen?”
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Als siebter und damit zusätzlicher Link ein Hinweis auf den offenen Brief von 6-vor-9-Kurator Lorenz Meyer (also von mir) an die “Bild”-Redaktion. Diese hatte am Tag des Down-Syndroms geschlagzeilt: “Darf man Sie Mongo nennen?”, überschrieben mit “Bild fragt Fragen, die sich keiner zu stellen traut”.
Der Beginn meiner Botschaft an die Kollegen: “Ich könnte es mir natürlich leicht machen und Euch im Gegenzug fragen, ob ich Euch “Arschlöcher” nennen darf? Aber ich will mir mal die Mühe machen und Euch erklären, was an Eurer Schlagzeile falsch und schlecht ist.”

Bild  

Aus Fanboy wurde Ernst. Ernst ist jetzt Ombudsmann.

Als es Ende Oktober 2010 mal wieder eng wurde für “Bild”, war Ernst Elitz direkt zur Stelle. Damals verurteilte das Amtsgericht München einen früheren Redakteur des Blatts zur Zahlung von 14.400 Euro an den Schauspieler Ottfried Fischer. Der Mann, zu der Zeit noch “Bild”-Mitarbeiter, hatte ein illegal aufgenommenes Video gekauft, das Fischer beim Sex zeigen sollte. Er meldete sich bei Fischers PR-Agentin, erwähnte das Sextape und bekam ein Exklusiv-Interview mit dem Schauspieler. Fischer wehrte sich später, sprach von Nötigung. Und das Münchner Amtsgericht gab ihm Recht. Es sah in der Erwähnung des Videos eine konkludente Drohung des “Bild”-Mitarbeiters; eine explizite Drohung, dass man die Aufnahmen anderenfalls veröffentliche könne, sei nicht nötig gewesen.

Zwei Tage später äußerte sich Ernst Elitz zu dem Urteil. Der einstige “Deutschlandradio”-Intendant kommentierte damals schon seit einiger Zeit alles Mögliche in “Bild”. Für das Urteil aus München hatte er überhaupt kein Verständnis:

Elitz schrieb:

Darf ein Journalist mit keinem mehr sprechen, über den er mehr weiß, als dem Angesprochenen lieb sein kann? Das ist bei jeder professionellen Recherche so. Das verletzt keine Grenze.

Und:

Auch mit diesem Urteil wurden Grenzen verletzt. Ein Journalist, der Betroffene mit Recherche-Ergebnissen konfrontiert, nötigt nicht. Er schafft klare Verhältnisse. Unabhängig davon, ob es um einen groß angelegten Betrugsfall oder um ein Sexvideo geht.

Der Ankauf von illegalen Aufnahmen aus dem höchstpersönlichen Bereich und das Unterdrucksetzen mit diesen Aufnahmen sei also “Profi-Recherche”, schrieb Ernst Elitz über die Methoden eines “Bild”-Mitarbeiters in “Bild”.

Zwei Jahre zuvor verteidigte Elitz schon einmal die Arbeitsweise des Boulevardblatts. Damals war er noch Intendant des “Deutschlandradios”, seine regelmäßigen “Bild”-Kommentare gab es noch nicht. Der Deutsche Presserat rügte im Dezember 2008 die “Bild”-Berichterstattung über einen Flugzeugabsturz in Nepal. Auf der Titelseite waren “verkohlte Leichen” zu sehen, im Innenteil unverfremdete Fotos von sechs der zwölf deutschen Opfer.

Ernst Elitz war zufällig Blattkritiker an dem Tag, als “Bild” über den Absturz berichtete. Damals nannte er die Aufmachung “eine akzeptable Lösung”. Als der Presserat dann die Rüge aussprach, äußerte er sich, zusammen mit Kai Diekmann, in einer Pressemitteilung des Axel-Springer-Verlags kritisch zu dieser Entscheidung und verteidigte “Bild”.

Und auch sonst gab sich Elitz stets Mühe, alles super zu finden, was die “Bild”-Zeitung so macht, und ihre Schweinereien als ganz normalen Journalismus zu bezeichnen: Die Griechenland-Hetze der Redaktion war für ihn “keine Griechenland-Hetze”, ein juristischer Sieg für “Bild” war gleich ein “Sieg für die Pressefreiheit”.

Dieser Mann, der sich gern mal an falsche oder einseitige Berichte dranhängt und wiederholt null Verständnis für Kritik an “Bild”-Methoden zeigte, ist neuerdings Ombudsmann bei der “Bild”-Zeitung. Das verkünden das Blatt …

und Bild.de

… heute stolz.

In seiner neuen Rolle soll Elitz die Schnittstelle zwischen Redaktion und Lesern sein, schreiben “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch und “Bild”-Oberchefredakteur Julian Reichelt:

Wir schaffen die Stelle des Ombudsmannes. Ernst Elitz ist ab sofort Ansprechpartner für Sie! (…)

Sie können ihn kontaktieren, wenn Sie Ihre politische Ansicht oder eine Debatte falsch oder verzerrt dargestellt finden. Aber auch, wenn Sie Zweifel an Fakten haben oder Fragen zu unserer Quellenlage. Er darf in Ihrem Auftrag bei uns in der Chefredaktion recherchieren, ob wir falsch gelegen haben. Wir werden keinen Einfluss auf sein Urteil nehmen und es veröffentlichen, wann immer er es von uns verlangt.

Ja, “wann immer er es von uns verlangt.” Aber dafür müsste erstmal ein Wille da sein, “Bild” kritisch zu betrachten. Zumindest bei der Nötigung von Ottfried Fischer und den “verkohlten Leichen” aus Nepal wären die Zuschriften aus Ernst Elitz’ Posteingang vermutlich direkt in den Papierkorb gewandert — war schließlich alles tiptop.

Dazu auch:

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

Die ungeschriebenen Gesetze des Journalismus – nun aufgeschrieben

Der Pressekodex sieht vor, dass Journalisten die Wahrheit achten, die Menschenwürde wahren und die Öffentlichkeit wahrhaftig informieren. Das steht ganz am Anfang des Regel-Katalogs. Alles weitere wird unter 16 Ziffern in aller Ausführlichkeit erklärt. Und dann gibt es noch ein paar ungeschriebene Gesetze, die man eigentlich auch noch anfügen wollte, aus zwei Gründen aber doch weggelassen hat. Zum einen dachten die Verfasser: Diese Regeln kennt ja nun wirklich eh jeder Journalist. Zum anderen war es schon Freitag und gerade 14 Uhr durch.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Inzwischen gibt es Zweifel daran, ob diese Entscheidung richtig war. Heute würden viele Menschen lieber einem mehrfach vorbestraften Trickbetrüger ihre gesamten Ersparnisse anvertrauen als einem Journalisten eine wichtige Information. Um das Vertrauen zurückzugewinnen, müssen Journalisten die Regeln, nach denen sie arbeiten, transparent machen. Und weil alle anderen Kollegen gerade mit “wichtigen Recherchen” beschäftigt sind, blieb am Ende nur ich für diese undankbare Aufgabe.

Leider kenne ich selbst gar nicht alle ungeschriebenen Gesetz und auch nicht die richtige Reihenfolge. Daher kann ich hier nur einige vorstellen. Aber ein Kollege sagte mir: Vieles kann man sich herleiten, wenn man nur einfach mal hinsieht. Und das stimmt. Diese Regel hier ist nun ziemlich offensichtlich:

Leser sind grundsätzlich nicht in der Lage, die Qualität des vor ihnen liegenden Produkts selbst zu erkennen. Deswegen muss man sie auf vorhandene Qualität hinweisen, wo immer es möglich ist. Wichtig: Vorhandene Qualität ist keine Voraussetzung für den Hinweis. Und: Der Hinweis kann auf unterschiedliche Weise erfolgen:

a) durch vom eigenen Haus, Berufsverbände oder andere Institutionen in Auftrag gegebene Studien, die absichtlich oder zufällig zu dem Ergebnis kommen, dass Print-Produkte sich weiterhin größter Glaubwürdigkeit und Beliebtheit erfreuen. Bei Studien mit einem gegenteiligen Ergebnis ist im Sinne des Pressewesens von der Veröffentlichung abzusehen.

b) durch den Hinweis auf Exklusivität. Wenn Journalisten früher als andere an eine Information gelangen, sollten sie das unabhängig von der Wichtigkeit der Information deutlich hervorheben. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Leser den Hinweis erst bei der dritten Erwähnung wahrnehmen. Daher sollte sichergestellt sein, dass im Text ausreichend oft auf die Exklusivität hingewiesen wird.

Man muss allerdings dazusagen: Dieses Forschungsergebnis ist höchst umstritten. Viele Journalisten wissen das und beschränken sich daher in ihren Artikeln nicht auf die empfohlenen drei Erwähnungen.

Neben diesem sehr allgemeinen ehemals ungeschriebenen Gesetz gibt es aber auch sehr spezielle Regeln. Zum Beispiel diese hier:

Wenn ein Pressesprecher, der mit vollem Namen im Text erscheint, während des Gesprächs den Satz gesagt hat “Aber das haben Sie jetzt nicht von mir”, dann ist der Journalist dazu angehalten, die nach dem Satz gesagte Information im Artikel unterzubringen, und zwar unter Verweis auf “Insider-Kreise”.

Das ist aus gleich mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen liegt diese Erwähnung im Interesse des Verlages, denn durch den Eindruck, der Journalist hätte die Fakten in einer umfangreichen Recherche bei top-geheimen Quellen verifiziert, gewinnt sein Artikel an Glaubwürdigkeit. Und das bei gleichbleibenden Kosten. Das sichert die Existenz des Unternehmens und damit auch die des im Interesse des Gemeinwohls stehenden Pressewesens.

Gleichzeitig — und das darf man hier auch ruhig erwähnen — hat es angenehme Nebeneffekte für den Journalisten. Sein Ansehen unter Lesern und Kollegen wächst. Und das bei gleichbleibender Arbeitszeit. Die Kollegen, die wirklich mit top-geheimen Quellen sprechen, bringen ihre Informationen nämlich auf die gleiche Weise in ihren Artikeln unter, gehen aber zwei Stunden später nach Hause. Das wiederum schadet dem Verlag, denn früher oder später fallen sie mit der Diagnose Burnout für mehrere Wochen aus, während ihre Bezüge weiter fällig werden.

Vor allem diese Regel macht deutlich, dass Journalisten heute auch wirtschaftliche Verantwortung tragen. In ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit sind sie dazu verpflichtet, sich selbst zu einer Marke zu transformieren. Darauf zielt das folgende in diesem Augenblick noch ungeschriebene Gesetz ab:

Mit der Nominierung zu einem Journalistenpreis, dem Beginn eines Buchprojekts oder der schriftlichen Zusage für ein beliebiges Stipendium (möglichst im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit) tritt unverzüglich die zeitgeschichtliche Bedeutung des Journalisten ein. Dadurch ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit eines eigenen “Wikipedia”-Eintrags. Wenn sich niemand dazu bereiterklärt, einen solchen zu verfassen, ist der Journalist selbst dazu verpflichtet, dies zu übernehmen. Im Falle von bedeutsamen Ereignissen (Auslandsaufenthalte, weitere Nominierungen, kontroverse Meinungen zu irgendwelchen Themen) hat der Journalist die Pflicht, seinen Eintrag innerhalb eines Tages zu aktualisieren.

Die erschreckend geringe Anzahl von Journalisten mit eigenem Wikipedia-Eintrag zeigt, dass einige der ungeschriebenen Gesetze, anders als von den Verfassern des Pressekodexes angenommen, noch immer erstaunlich unbekannt sind.

Andere dagegen haben sich erfreulicherweise etabliert, ohne je niedergeschrieben worden zu sein. Zum Beispiel das heute in nahezu jeder Redaktion bekannte Gesetz vom Texteinstieg bei einem vertrauten Ereignis:



Die goldene Regel zur Ereignissimulation in statischen Gesprächssituationen:




Und, vielleicht am bekanntesten von allen bis gerade noch ungeschriebenen Gesetzen: das Gebot vom ersten Satz einer Ärgernis-Berichterstattung in Verbindung mit dem Geheiß einer nachgestellten Verstärkung.









Verkehrte Welt

Zwei Tage nach Bekanntwerden der Strafanzeige gegen Kai Diekmann wegen eines möglichen sexuellen Übergriffs hat “Springer”-Vorstandschef Mathias Döpfner die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre des “Bild”-Herausgebers zu respektieren. Anlass dazu war ein Vorfall am Samstagabend in Potsdam: Zwei Personen hatten Kai Diekmann vor seinem Privathaus aufgelauert, ihn fotografiert und die Bilder anschließend ins Internet gestellt.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In einer auf Bild.de veröffentlichten Videobotschaft nannte Döpfner den Vorfall “schändlich und niederträchtig”. Er sprach von einer “regelrechten Hetzjagd” auf Diekmann, die man so nicht hinnehmen werde. “Wir sollten nicht vergessen, dass in Deutschland auch weiterhin die Unschuldsvermutung gilt”, sagte Döpfner. Ein schwerwiegender Vorwurf, wie der hier im Raum stehende, bleibe “in irgendeiner Weise immer am Beschuldigten hängen”, sagte er. Daher gebiete es schon der Anstand, sich in einer solchen Situation mit entsprechenden Veröffentlichungen zurückzuhalten, bis geklärt sei, was wirklich passiert ist.

Kai Diekmann soll im Sommer vergangenen Jahres nach einer Klausur-Tagung in Potsdam eine Mitarbeiterin beim Baden sexuell belästigt haben. Er selbst bestreitet das. Der “Spiegel” hatte den Vorwurf am Freitag öffentlich gemacht.
Am Wochenende gerieten die “Bild”-Medien selbst wegen ihrer zurückhaltenden Berichterstattung über die Ermittlungen in die Kritik. Sie hatten sowohl bei Bild.de als auch in der Zeitung nur eine knappe “dpa”-Meldung veröffentlicht. Politiker und Journalisten kritisierten das.

“Grünen”-Chefin Simone Peter warf der Zeitung in einem Radio-Interview vor, sich unbequemen Wahrheiten zu verschließen. “Wir dürfen nicht vergessen, dass zum ganzen Bild auch die Dinge gehören, die nicht in unser Weltbild passen”, sagte sie.

“Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke bezichtigte “Bild” in einem Blog-Beitrag für tagesschau.de des “Tendenz-Journalismus” und attestierte der Redaktion “falsche Correctness”: “Wenn ein derartiger Vorwurf in der Welt ist, ist es die Aufgabe von Journalisten, alle zur Verfügung stehenden Informationen öffentlich zu machen — und nicht, sie unter den Teppich zu kehren”, schrieb er.

Lediglich der Presserat nahm die Zeitung in Schutz: “Wir sind der Auffassung, dass die ‘Bild’-Zeitung hier absolut richtig handelt, wenn sie darauf verzichtet, einen Verdächtigen unnötig an den Pranger zu stellen”, hieß es in einer Mitteilung des Gremiums. Man hoffe, diese Entscheidung werde auch wegweisend für die Zukunft sein.

Bei Twitter fielen die Reaktionen auf die Anschuldigungen verhalten aus. “Erst mal abwarten, was die Ermittlungen bringen #Diekmann”, schrieb @krawallzwerg1314. Der Nutzer @anarchoklaus78 kommentierte: “Es ist einfach noch zu früh, um dazu irgendetwas zu sagen. #Diekmann #Ruhigbleiben #Abwarten.” Die beiden Tweets blieben die einzigen Einträge zum Thema.

Chefredakteure und Intendanten dagegen überschütteten Kai Diekmann mit Spott und Häme. “Sicherlich nur Umkleide-Kabinen-Gefummel”, schrieb Heribert Prantl von der “Süddeutschen Zeitung”. “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo veröffentlichte bei Facebook ein Foto, das einen kopulierenden Esel zeigt, auf dessen Hals Diekmanns Kopf montiert ist. “FAZ”-Herausgeber Jürgen Kaube kommentierte: “Hahaha! Genau mein Humor!!!1111“.

“AfD”-Chefin Frauke Petry warnte indes vor Schnellschüssen. “Wir dürfen einen Menschen nicht nur aufgrund seiner beruflichen Herkunft vorverurteilen”, sagte sie und mahnte zur Besonnenheit. In die gleiche Richtung verlief eine Diskussion unter einem Facebook-Posting des “Kopp”-Verlags. Der Tenor dort: Die Behörden werden die Wahrheit schon ans Licht bringen.

Kai Diekmann selbst hatte sich gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe öffentlich geäußert. Bei einer Pressekonferenz in der 19. Etage des “Springer”-Hochhauses bezeichnete er die Berichte als “Kampagnen-Journalismus der übelsten Art” und beteuerte seine Unschuld.

“Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort — ich wiederhole: mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind”, sagte er. Nachfragen ließ er nicht zu. Nach der Pressekonferenz verschwand Diekmann wortlos. Mit einer “Bild”-Zeitung in der Hand fuhr er nach unten — im gleichen Fahrstuhl, in dem er gekommen war.

(Nur zur Sicherheit: Abgesehen von der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Kai Diekmann ermittelt, und von der zurückhaltenden “Bild”-Berichterstattung über den Fall, ist all das hier erfunden.)

RT deutsch, Lauers Antwort, Admiral Tamm

1. Russische Propaganda für deutsche Zuschauer
(correctiv.org, Camilla Kohrs)
Camilla Kohrs von “Correctiv” hat mehrere Monate über die Medien der Neuen Rechten recherchiert und eine lesenswerte achtteilige Artikelserie vorgelegt. Im aktuellen und letzten Teil der Serie geht es um den russischen Auslandssender “RT deutsch”. Das Besondere bei der Plattform: “RT Deutsch” biete europakritischen Politikern von ganz links und ganz rechts eine Bühne – Hauptsache die Interviewten seien Merkel- und europakritisch.

2. Bedrohter Politiker outet Sparkassen-Mitarbeiter als AfD-Fan
(waz.de, Lars Wienand)
Darf man eine Mail veröffentlichen, samt Foto und Namen des Absenders, auch wenn diese besonders kritisch war und man vielleicht schon durch andere unschöne Nachrichten vorsensibilisiert war? Das ist die Frage, die sich im Falle des Politikers Christopher Lauer (ehemals Piratenpartei, jetzt SPD) stellt, der genau dies bei einem Kritiker getan hat. Dieser hatte für einen Leserbrief an Lauer, wahrscheinlich versehentlich, eine Mailadresse seines Arbeitgebers, einer Kreissparkasse, verwendet. Daraufhin hatte Lauer die Mail öffentlich gemacht. Ein Vorgehen, bei dem es zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit gibt, so ein hinzugezogener Rechtsanwalt.

3. 25 Beschwerden beim Presserat
(taz.de)
Nach dem Terroranschlag von Berlin gingen beim Deutschen Presserat 25 Beschwerden über die Berichterstattung ein. Hauptsächlich ging es dabei um die unverpixelte Darstellung des getöteten Lkw-Fahrers und Bilder der Leiche des mutmaßlichen Attentäters. Insgesamt seien es deutlich weniger Beschwerden als nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015.

4. Software überlistet: US-Bibliothekare erfinden Kunden, um Bücher zu bewahren
(heise.de, Martin Holland)
In einer Bücherei in Florida sortiert eine Bibliothekssoftware vollautomatisch all die Bücher aus, die länger nicht mehr ausgeliehen wurden. Um dies zu verhindern, erfanden Bibliothekare den fiktiven Kunden “Chuck Finley” und ließen ihn in einem Zeitraum von neun Monaten 2.361 Bücher ausleihen. Um finanzielle Vorteile ging es dabei ausdrücklich nicht, trotzdem ist der dafür verantwortliche Mitarbeiter beurlaubt worden.

5. Zum Tod von Peter Tamm: Im Blutmeer
(konkret-magazin.de, Kay Sokolowsky)
Der Journalist, Manager und Verleger Peter Tamm (lange Jahre Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages) ist Ende des Jahres im Alter von 88 Jahren verstorben. Ihm zu Gedenken hat “konkret” einen älteren, aber dennoch zeitlosen Artikel aus dem Archiv gekramt. Darin geht es um das, was der sich selbst angeblich “Admiral” nennende Mann, der Welt hinterlässt: ein Marine-Museum. Kay Sokolowsky hat sich das Ganze seinerzeit angeschaut: “Gelegentlich empfindet man beim Rundgang fast Mitleid für den »Admiral«: Welch ungeheure Leere muss ausfüllen, wer so megaloman Nippes auf Nippes häuft? Was ist schiefgelaufen in einem Leben, das dermaßen von Fetischen beherrscht wird?”

6. Krimi, Krimi, Krimi – und das Publikum ist begeistert
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber vom “Tagesspiegel” hat über das Fernsehprogramm der ersten Tage des Jahrs geschaut und hat jetzt schon genug von all den Krimis und der seichten Unterhaltung: “Breaking-News-Momente – woher, warum, von wem, wieso? Da wird es viel Ahnungslosigkeit, viel Schulterzucken geben im weiten Rund der TV-Maniacs, auf jeden Fall einen Überschuss an Überraschung, dass die Fiktion des Fernsehens und die Faktizität der Nachrichten so sehr auseinanderfallen. Und weil so was von so was kommt, ist die Massivität der Krimiunterhaltung ein Fehler. 2017 muss ein Jahr der Information sein.”

BILDblog hält Winterschlaf (11)

Zack — schon wieder ist ein Jahr (fast) vorbei. Wie schon in der Vergangenheit, machen wir hier jetzt für ein paar Tage Pause. Im Januar 2017 sind wir mit neuen Beiträgen wieder für Sie da!

Ein großer Dank geht an alle Leser! Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten, ein paar schöne freie Tage und einen guten Start ins neue Jahr. Ein besonders großer Dank geht an all jene, die uns in diesem Jahr mit Hinweisen versorgt haben. Leider schaffen wir es zeitlich nie, allen nachzugehen. Vielen aber schon. Und deswegen geht ein ganz besonders großer Dank an diese Personen, deren Hinweise zu Blogeinträgen geführt haben:

@19Rhyno04, @Alyama1, @BalderHelix, @coralandmauve, @dienetzpilotin, @diet_mar, @EFCRODGAU1999, @gabrielvetter, @griboe, @Hasi_Goreng, @herrnkoenig, @HoechDominik, @i_am_fabs, @im_fo, @JimmyRuppa, @KaiOliverKraft, @levinuzz, @macerarius, @mir70, @moethe, @Pertsch, @Pilzeintopf, @ralfheimann, @SteffiinneSonne, @StrohhutPirat, @TanteEla74, @TypischerTyp,@vierzueinser, @VM_83, @Wasserbanane, Alex, Alexander B., Alexander K., Alexander M., Arnd Z., Axel B., Bas Tian, basti, Ben F., Ben, Bernd, Bernhard W., Boris R., C. F., Carsten N., Chris H., Christian H., Conny S., Daniel N., Daniel, David S., Dominik H., Dominik N., Eiko M., Eugen F., Fab, Fabian S., Florian G., Florian, flurfunk-dresden.de, Gabriel M., Gero D., Götz M., Hanuš G., Hauke H., Helena, henry, Herma R., Ingolf L., Jan H., Janna H., Jannis C., Jens L., Johanna, Johannes K., Johannes R., Jonas J., Jonas, Jörn J., Julian H., Julius A., Kai, Katja, Lars B., Lennart, Lukas H., Lutz K., Marcus D., Markus E., Markus M., Martin S., Martin, Matthias K., Matthias M., Michael H., Michael W., Michel M., Micky B., Moritz D., Moritz K., nikita, Nold, Ole, Pascal S., Patrick B., Peter U., Philip W., Philipp S., pwco, Ralf H., Roland B., Rosemarie H., Samuel G., Sander, Sascha K., Sebastian M., Sebastian S., Sebastian, Sinisa M., Sisi T., Stefan K., Stefan N.,Stefan W., Susanne G., Thomas N., Thomas R., Thomas S., Thorsten H., Tobias N., Torben W., Totte, Uwe K., Volker S., Yannik S.

Sollte es in der Zwischenzeit irgendwo medial richtig knallen, unterbrechen wir natürlich unseren Winterschlaf. Außerdem präsentieren wir Ihnen nach Weihnachten jeden Tag ein Best-of aus zwölfeinhalb Jahren BILDblog.

Und damit Ihnen der Lesestoff auf keinen Fall ausgeht, haben wir eine Übersicht mit all unseren Beiträgen aus diesem Jahr zusammengestellt. Klicken Sie sich doch mal durch:

» Terror-Alarm ohne Gewehr
» Nicht alles, was hitler ist, ist verboten (3)
» Heinz Hermann Thiele trinkt keine Entschlackungstees
» Verzettelte Drohungen
» SO kannst Du vortäuschen, dass Du ein journalistisches Portal bist
» Wer hat’s gemunkelt?
» Gute Vorsätze
» Die Opfer der „Bild“-Zeitung
» “Ich dachte, es gibt ethische Grenzen
» Sag mal Klettergerüst
» Wie der „Focus“ jahrelang über kriminelle Ausländer geschwiegen hat
» Die „Welt“ verheimlicht, dass nichts verheimlicht wurde
» Linke Nummer mit Mutti
» Das muss man sich mal vorstellen
» Presserat billigt nacherzählten Terror-Fehlalarm
» “BILD wird jede Chance nutzen, um mir zu schaden”
» “Bild”-Online-Chef: “BILDblog marschiert für Pegida”
» Das Schweigerkartell
» Bei Schwarzarbeit macht den Griechen keiner was vor
» “Ebenso böswillig wie falsch”
» Sie helfen
» So viel Klartext muss sein
» Medien ermitteln: Es war menschliches Versagen!
» Katastrophenjournalismus heute — eine Anleitung
» Aber der Sportteil!
» Journalismus-Irrsinn: Berichten mit Augenmaß!
» Wie gemein! Wer setzt solche Gerüchte in die Welt?
» Foto: Privat
» Völker, klaut die Signale
» Opferfotos bei Facebook klauen — was hält Mark Zuckerberg davon?
» Geier Sturzflug (2)
» “Blick” macht 15-Jährigen zum Dopingsünder
» Peter Lustig war kein Kinderhasser
» Persönlichkeitsrechte? Ehrensache!
» Sein Wort in ihren Ohren
» Der Minister, die Schauspielerin und die Medien
» Bei „Yahoo“ kann man noch ungestört „Todesstrafe für Ausländer“ fordern
» Sehen alle gleich aus (12)
» Gestreckter Stoff mit Hitler
» „Bild“ macht friedliche Moslems zu radikalen Islamisten
» Wenn die „Bild“-Zeitung erscheint, stirbt ein Promi
» 1+1+1+1+1=2
» Bild dir dein Frauenbild
» Der ehrenhafte Julian Reichelt und die grausamen Fotos aus Syrien
» „Der allergrößte Teil der Medien hat sich sehr gut verhalten“
» Wie gut ist „Bild“ wirklich?
» Clickbait aus Leidenschaft
» Die Anschläge von Brüssel im Breaking-News-Modus
» Schnell, schneller, „Focus Online“
» Heute anonym XXVI
» So sieht Journalismus heute aus
» Presserat hält „Galgenmann“-Fotos für unzulässig
» Medien tappen in gigantische Superrattenfalle
» Die grausame Wahrheit über die „Huffington Post“
» „Eigentlich ist es noch viel krasser“
» Nazi-Skandal Reloaded
» Jeder zehnte Journalist berichtet falsch über kriminelle Flüchtlinge
» Bild.de befördert Edward Snowden zum Russen-Spion
» Der Tod eines Toreros in Zeitlupe
» „Focus Online“ fällt auf einen 85 Jahre alten Witz rein
» „Focus Online“ klaut einen erfundenen Asteroiden
» „Extrem drastisches Video“, munter retweetet
» Wie „Bild“ mit „Sex-Mob-Alarm“ Vorlagen für rechte Hetzer liefert
» Die bigotten Hüter des Urheberrechts
» Falsches Spiel des Jahres
» Genies unter sich
» Das besondere „Bild“-Mitgefühl
» „6 vor 9“-Sonderausgabe: Amoklauf in München
» Das Attentat von München und die Medien
» „The European“ wärmt den „Sex-Mob-Alarm“ auf
» Foto-Tumult im Freibad
» Bild.de macht den Deutschen Angst
» Mit gefälschten Tweets zum Schweinsteiger-Wechsel
» Hinterher ist Bild.de immer schlauer
» Dirk Hoerens halbe Hartz-Wahrheit über Ausländer
» Kokain im alten Zopf
» Dirk Hoerens nächste halbe Hartz-Wahrheit über Ausländer
» Verfahrene Verbotsfantasien
» Was, wenn Bild.de den Flüchtlingsdeal platzen lässt?
» Wolf, Du hast die Gans gestohlen
» „500 Euro Bild-Zeitung-Leserreporter? Hör auf jetzt!“
» Überschriften sind kein Kinderspiel
» Heinz Buschkowsky und das falsche „Pokémon“-No-Go im Islam
» Burgerjournalismus beim „Express“
» „Bild“ sucht den verschwundenen Chinesen. Wir suchen mit.
» Und wer denkt mal an uns?
» Bild.de und die offizielle Nominierung für den Friedensnobelpreis
» „Bild“ urlaubt mit Rainer Wendt in sicheren Herkunftsländern
» „Bild“ schon wieder am Grab von Andreas L.
» Das Phantom der Burka
» 25 lesenswerte Medienreflexionen zu #Rio2016
» Es war nicht ihr Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandburkini
» Den Papageien zum Kolumnisten machen
» Durchfall! Kollaps! Schenkelklopfer!
» Der „Express“ erklärt Köln zum Kriegsgebiet
» Herbert Grönemeyer hat keine 28-Jährige geheiratet
» „Blitz-Heilungen“ kann nicht mal „Bild“ voraussehen
» Das ist doch wohl ein schlechter Witz
» Hallöchen Voyeurchen
» Völlig versemmelt
» Und arbeitslos ist er auch noch
» Mit Bindestrich und ohne Würde
» Falsches über die Fälscher
» Bei Anruf Witwenschütteln
» Lach- und Unsachgeschichten
» Auch mal die andere Seite zeigen
» Telling Lies
» Die nackte Halbwahrheit
» Des Kaisers neuer Name
» Ob rot, ob braun, Bild.de schreibt nur über blonde Frau’n
» Diagnose: eine ernst zu nehmenden Computerspielwerbesucht
» Die Rügen-Könige aus dem Axel-Springer-Hochhaus
» „So wird aus positiv plötzlich negativ“
» „Pixel-Irrsinn“-Irrsinn bei Bild.de
» Einen wichtigen Punkt vergessen
» Das falsche Senegalesen-Zitat von Andreas Scheuer und die Medien
» Zum „Sex-Killer“ erklärt
» „Bild“ zeigt private Fotos von getöteten Menschen
» „Wir helfen“ – beim rechten Verwirrspiel
» Besondere Aufmerksamkeit
» „Die Moral der Moralapostel“
» Das Oktoberfest in den Medien
» Linke Nummer mit der/die ComputerIn
» Recherchieren? „An einem Sonntag ein bissl schwierig“
» „Bild“ wühlt in Gerwald Claus-Brunners In­tim­sphä­re
» „Focus Online“ fällt auf Simpsons-Wiesn-Witz mit Schwarzenegger rein
» Krankgeschrieben
» Was für eine Katastrophe
» Aus dem Gerichtssaal auf die Titelseite
» Heute beginnt das Kandidatinnen-Vergessen
» „Das war noch nicht die Pointe“
» „Völlig absurd!“
» Gabor Steingart und „Bild“ pöbeln im Geistersupermarkt gegen die EU
» Uwe Böhnhardts DNA war nicht an Peggys Skelett
» „Österreich“ sprach mit Bob Dylan, als es die Zeitung noch gar nicht gab
» Tatsachsenbehauptung
» Die Horror-Clown-PR-Kampagne von Bild.de
» „Spiegel Online“ widerlegt Propaganda-Vorwurf mit Propaganda
» Mit „Bild mobil“ jetzt nicht das Mindeste bekommen
» So eine Erde kann man schon mal übersehen
» Bild.de schiebt Wladimir Putin ein britisches Kriegsschiff unter
» Bild.de wärmt einen Grusel-Clown in altem Frittenfett auf
» „6 vor 9“-Sonderausgabe: US-Wahl
» We are BILDblog. And we don’t approve this message.
» Prinz Harry wehrt sich gegen den britischen Boulevard
» D’oh!
» Wie haben die Fake-Promis reagiert?
» Atomkoffer! Trump! Apokalypse!
» Donald Trump will weiter einen Einreisestopp für Muslime
» Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome
» Spannerfotos von Kindern? Das wird man ja wohl noch andeuten dürfen
» Lob im Tarnanzug
» Hohe Fehlerquote
» „Die Sensation liegt in der Luft“
» „Bild“ spricht Reisewarnung für Bochum aus
» Schlecht, schlechter, Geschlechtertrennung
» ARD-Fusions-Irrsinn bei „Bild“
» Opfer bringen
» Ein Einschub voller Verachtung
» Alfred Draxlers 84 Cent zu den „Zwangsgebühren“
» ÜBER
» „Bild“ beschneidet Foto und Urheberrecht
» Herbert Grönemeyer wurde immer noch nicht auf „La Fabrique“ getraut
» Im Westen leider viel Neues
» „Bild“ bietet Rainer Wendt Plattform für Generalverdacht
» Die Fotobeschaffer von Hameln
» „Bild“ der Frau
» Warum neu recherchieren, wenn’s anderswo schon falsch steht?
» Stilecht ohne Recherche
» Nichts ist so alt wie die falsche Burkini-Meldung von vor vier Monaten
» Thilo Sarrazins falsche Fakten über Flüchtlinge
» Fehlierer des Tages
» „Merry Christmas“ über Aleppo
» Wo ein Kläger, da eine Unterlassungserklärung
» „Bild“ liefert falsches Futter für Islamhasser und rechte Hetzer
» Der Anschlag von Berlin und die Medien
» Absage von Wagner
» „6 vor 9“-Sonderausgabe: Anschlag in Berlin

Alle Ausgaben unserer werktäglichen “6 vor 9”-Linkliste finden Sie hier. Die Arbeitsnachweise unserer Clickbait-Taskforce hier. Die “Perlen des Lokaljournalismus” hier. Benedikt Franks Kolumne “Mut zur Wirrheit” über das “Compact”-Magazin hier. Johannes Krams Kolumne “Politically Correct!” hier. Ralf Heimanns Kolumne “Im Abseits” hier. Und Leo Fischers “Bildbetrachtung” hier.

Viel Spaß damit!

Der Stammbaum des Verbrechens

Der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat vor ein paar Tagen den Vorschlag gemacht, den Pressekodex zu ändern. Er möchte, dass Journalisten nicht länger verschweigen, aus welchem Land Straftäter kommen. Bislang verzichten sie auf derartige Angaben, weil der Pressekodex sie dazu auffordert, die Herkunft von Tätern nur dann zu erwähnen, wenn diese Information für das Verständnis der Tat von Bedeutung ist — wenn also zum Beispiel ein Wohnwagen-Gespann einen Fußgänger überfährt und sich im Nachhinein herausstellt: Es war ein Holländer.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Ich hoffe, ich hab’ das richtig verstanden.

Die Richtlinie 12.1 im Pressekodex lautet:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Diese Richtlinie soll verhindern, dass Minderheiten diskriminiert werden. Und nachdem man sie gelesen hat, sieht man schon: Wenn wir sie streichen, müssen wir auch konsequent sein. Wir können uns schlecht darauf beschränken, nur die Nationalität zu nennen. Wir müssen alle Minderheiten gleich behandeln. Deswegen müssen wir auch alle erwähnen. In den Nachrichten würde das dann in etwa so klingen:

Ein kleinwüchsiger Wallone aus Lüttich hat am Mittwochmittag in Bochum einen Auffahr-Unfall verursacht. Der Mann ist Veganer.

Oder:

Eine 36-jährige Diabetikerin aus Hof hat am Dienstag eine Sparkasse in Nürnberg überfallen. Bei der Täterin handelt es sich um eine fettleibige Atheistin.

Oder vielleicht auch:

Ein koptischer Christ aus Kirgisistan ist vom Landgericht Stuttgart wegen Geldwäsche zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Mann leidet an einer Hausstaubmilben-Allergie und ist Anhänger von RB Leipzig.

Ja, das müsste man der Vollständigkeit halber dazusagen.

Wobei man ja schon bei der Herkunft nicht so recht wüsste, wo man am besten die Grenze zieht. Wenn ein in Berlin lebender Brite in einer Münchener Kneipe die Zeche prellt, wäre dann von Bedeutung, ob er aus England kommt oder aus Schottland? Und wäre es ein weiterer Hinweis, wenn er nicht in Berlin-Mitte leben würde, sondern im schwäbischen Teil von Kreuzberg? Und was, wenn er zwar Brite ist, aber in Zypern geboren wurde? Kann man das einfach so verschweigen?

Da müsste man vielleicht mal Andreas Scheuer fragen. In dem Fall wäre ja vielleicht sogar von Bedeutung, auf welchem Teil der Insel er zur Welt gekommen ist: auf dem türkischen oder dem griechischen? Wahrscheinlich dann wohl auf dem griechischen. Die haben ja die Probleme mit dem Geld. So war das doch, oder? Und dann kann man sich auch schon denken, was das für einer ist. Die Zeche geprellt in München. Und das mit dieser Vorgeschichte. Unglaublich.

Mal angenommen, es gäbe jetzt noch einen Großvater aus Russland. Was wäre dann? Wäre das nicht auch eine interessante Information? Die Affinität zu Hochprozentigem läge nähe. Und das könnte eine Erklärung für die Tat sein.

Überhaupt sind Eltern und Großeltern doch eigentlich ein viel wichtigeres Indiz, wenn es um Straftaten geht. So eine Staatsbürgerschaft kann ja auch Zufall sein: Man war halt gerade in Los Angeles, als man geboren wurde. Aber beide Eltern Libanesen. In der Zeitung stand nur: “Der Dreifach-Mörder war US-Amerikaner.” Tja, so entsteht fälschlicherweise schnell ein vertrauenserweckender Eindruck.

Bei der Nachbarin im dritten Stock hört man die italienischen Wurzeln sogar noch durch die gedämmten Innenwände heraus. Das ist jedenfalls mein Empfinden. Der dumpfe Knall neulich, das war sicher ein Nudelholz, und wenn die mal im falschen Moment ein Messer in die Hand bekäme — ich würde für nichts mehr garantieren.

Aber kann man das wirklich alles berücksichtigen? Wie sähe dann die Berichterstattung aus?

Bei einem Familienstreit in Münster ist am Samstagmorgen ein 55-jähriger Mann erstochen worden. Die 53-jährige Täterin hat eine belgische Mutter und einen norwegischen Vater. Wichtig dürfte in diesem Zusammenhang aber vor allem der sizilianische Großvater sein. Nach Polizeiangaben ging es in dem Streit um Drogen. Der getötete Mann war Jamaikaner.

Dann ist ja alles klar. Aber kurz darauf stellt sich heraus: Die Großmutter der Täterin war Schwedin, was in der Sache vielleicht auch nicht ganz unwichtig ist. Um zu sehen, was bei denen verbrechenstechnisch so los ist, muss man ja im Prinzip nur einmal durch eine Buchhandlung laufen. Und dann meldet die Polizei zwei Tage später: Die Frau war auf Speed, aber der Mann hatte überhaupt nichts genommen. Die totale Verwirrung.

Es ist alles sehr kompliziert. Aber wenn wir nichts verschweigen wollen, müssen wir uns die Mühe machen, dann müssen wir alle bekannten Fakten nennen. Nur dann müssen wir auch konsequent sein. Und wenn kurz nach Weihnachten am Düsseldorfer Rheinufer ein Flüchtling von einem Betrunkenen zusammengeschlagen wird, müssen wir, wenn die Fakten eben so sind, in der Polizei-Meldung auch dazuschreiben: “Bei dem betrunkenen Täter handelte es sich um ein CSU-Mitglied. Der Mann stammte aus Bayern.”

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