Suchergebnisse für ‘Presserat’

“Bild TV” ohne 20 Millionen, Fonds für Pressefreiheit, Browser Ballett im TV

1. Presserat rügt SZ
(sueddeutsche.de)
Der Presserat hat einen Online-Text der “Süddeutschen” über den Mord an fünf Kindern in Solingen gerügt, in dem zunächst Zitate aus einem Whatsapp-Chat des sechsten Kindes zu lesen waren. Später hatte die Redaktion diese Zitate gelöscht, ist nun jedoch für die Ursprungsversion gerügt worden. Anstatt das unangenehme Thema zu ignorieren, reagiert die “SZ”, wie man es sich von manch anderem gerügten Medium wünschen würde: “Die Chefredaktion der SZ hält die Rüge für gerechtfertigt und bedauert den Fehler.”

2. Renner: Springer verweigert “Bild TV” zusätzliche Gelder.
(turi2.de, Andreas Grieß)
Laut einem Bericht der “Berliner Zeitung” (Bezahlartikel) hatte “Bild”-Chef Julian Reichelt fest damit gerechnet, weitere 20 Millionen Euro für den Ausbau von “Bild TV” zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Springer-Aufsichtsrat habe ihm die Mittel jedoch verweigert. Ein Grund: Die größtenteils kläglichen Zuschauerzahlen. Bei der Verleihung des Axel-Springer-Awards an Tesla-Chef Elon Musk hätten beispielsweise nur 260 Menschen zugeschaut.
Nachtrag: Die “Berliner Zeitung” musste ihren Artikel um folgenden Hinweis ergänzen: “In einer vorherigen Version schrieben wir, am 17. November habe der Springer-Aufsichtsrat beschlossen, ‘Mittel in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro für Bild Live’, würden ‘nicht fließen’. Inzwischen teilte Axel Springer mit, dass am 17. November in einer Vorstandssitzung ‘für das Jahr 2021 für Bild Live ein Investitionsvolumen von ca. 22 Millionen Euro bestätigt worden’ sei. Zudem ist uns im ursprünglichen Text eine Verwechslung unterlaufen: Nicht die Verleihung des Axel-Springer-Awards sahen bei Bild Live im Schnitt 260 Zuschauer. Tatsächlich hatte diese Quote ein Interview mit dem Tesla-Chef im Vorfeld der Preisverleihung.”

3. Die Top-Listen 2020 der besten Videos des Jahres stehen fest
(blog.youtube)
Youtube hat seine Bestenlisten für Deutschland veröffentlicht: die “Top Trending Videos”, die “Top-Musikvideos”, die “Top Creator” und die “Breakout Creator” (größte Durchstarter des Jahres) des Jahres 2020. In der Video-Bestenliste wurden keine Musikvideos, Trailer und Kindervideos einbezogen. Sie wird angeführt vom Corona-Video der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, einem Video über die Belästigung von Frauen (“Männerwelten” von Joko und Klaas) und Bibis Haus-Tour. Wer sein Medien-Universum erweitern oder einfach nur erfahren will, was derzeit so angesagt ist, bekommt hier eine gute Übersicht.

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4. Twitter will mehr Gruppen vor »Entmenschlichung« schützen
(spiegel.de)
Twitter hat seine “Richtlinie zu Hass schürendem Verhalten” überarbeitet. Verboten ist nun auch die “Entmenschlichung einer Gruppe” aufgrund von “Kaste”, “nationaler Herkunft” oder “ethnischer Zugehörigkeit”. Inwieweit sich die überarbeiteten Regeln in der Praxis auswirken werden, ist noch unklar. Ähnlich unklar wie die Konsequenzen bei Verstößen gegen die Twitter-Richtlinie, die vom Einzelfall anhängen würden. Arisha Michelle von der US-Menschenrechtsorganisation Color of Change sagt, die Ankündigung falle in die “wachsende Kategorie von zu unbedeutenden, zu späten PR-Stunts”.

5. Ein Fonds für die Pressefreiheit
(verdi.de, Sarah Schäfer)
Beim jüngsten Medien-Meeting der Gewerkschaft dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) ging es um den Druck, der durch Klagen auf Redaktionen ausgeübt wird. Dass juristische Mittel eingesetzt werden, um eine ungewünschte Berichterstattung zu beeinflussen oder zu verhindern, sei längst keine Ausnahme mehr. In dem Beitrag geht es auch um den “Prinzenfonds”, der Menschen unterstützt, die wegen Aussagen über das Haus Hohenzollern abgemahnt oder verklagt werden.

6. Browser Ballett
(ardmediathek.de, Video: 29:38 Minuten)
Auf Youtube hat der Satire-Kanal “Browser Ballett” etwa 300.000 Abonnenten gewinnen können. Das öffentlich-rechtliche Format aus der Funk-Familie hat nun den Sprung aus dem Internet ins klassische ARD-Programm geschafft. Highlight der Sendung aus unserer Sicht: Ein satirischer Einblick in den “Bild”-Redaktionsalltag mit Julian-Reichelt- und Paul-Ronzheimer-Doubles, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die geschilderten Szenen scheinen bei aller Überzeichnung durchaus vorstellbar (ab Minute 1:20).
Weiterer Lesehinweis: Nur mit indirektem Medienbezug, aber sehr lesenswert: Der Bericht “Ich war in der Psychiatrie und es war die beste Zeit meines Lebens” vom “Browser Ballett”-Gründer Schlecky Silberstein.

Fotoscheue “Querdenker”, Kirsten Boies VDS-Absage, Durchgestochen

1. Polizei soll Presse unterstützen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Sascha Borowski, Audio: 5:55 Minuten)
Bei den “Querdenker”-Demos wollen viele Teilnehmende nicht gefilmt oder fotografiert werden. Da wird gepöbelt, geschubst, gespuckt und geschlagen. Das Recht ist jedoch auf Seiten der Medien: Bilder von Demonstrationen dürfen auch ohne Einwilligung der Betroffenen veröffentlicht werden, solang es um die Darstellung des Geschehens geht und die Aufnahmen nicht aus dem Kontext gerissen werden. Medienverbände fordern von der Polizei, die Pressefreiheit entschiedener durchzusetzen. Der Deutsche Presserat hat dazu einen Entwurf mit Verhaltensgrundsätzen für Medien und Polizei (PDF) veröffentlicht – “zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung”.

2. Warum werden so viele Interna aus den Corona-Runden publik?
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Immer wieder beraten die Kanzlerin und die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder über die Anpassung der Corona-Maßnahmen. Und immer wieder dringen vertrauliche Zwischenstände aus den Beratungen an die Öffentlichkeit. Florian Gathmann ist Korrespondent im “Spiegel”-Hauptstadtbüro und kennt das Geschäft mit den durchgestochenen Informationen: “Wenn Akteure im politischen Raum nicht ohne Hirn agieren – und davon sollte man immer ausgehen -, dann ist mit dem Durchstechen von Informationen grundsätzlich ein Interesse verbunden.” Auffällig oft würden die “Bild”-Medien Zugang zu Infos über den Fortschritt der Verhandlungen haben und die Zwischenstände über ihre Kanäle verbreiten.

3. “Barack Obama Book”: Mit simplem SEO und Fake Reviews zu Tausenden von Amazon-Buch-Sales
(omr.com, Roland Eisenbrand)
Der erste Teil der Autobiografie von Barack Obama dürfte sich zum weltweiten Bestseller entwickeln. Allein die Startauflage in den USA beträgt drei Millionen Exemplare. Entsprechend hoch ist die Medienaufmerksamkeit, was wiederum die Verkäufe fördert … Ein dubioser Verlag hat sich an den Erfolg des Originals angehängt und, vermutlich auf Verwechslung spekulierend, eine inoffizielle Biografie auf den Markt gebracht, die gerade mal 61 Seiten lang ist. Dabei hat der Schmu-Publisher wahrscheinlich allerlei Suchmaschinentricks und gefälschte Bewertungen verwendet, wie Roland Eisenbrand erklärt.

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4. Grundbuchamt nennt Kaufpreis für Spahns Millionen-Villa in Berlin-Dahlem
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Das Berliner Amtsgericht Schöneberg hat dem “Tagesspiegel” Informationen über den Erwerb einer Villa durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dessen Ehemann zukommen lassen und dabei auch den Preis der Immobilie genannt. Dennoch wehrt sich Spahn mit Unterlassungsklagen gegen die Nennung des Preises in Medien. Für Jost Müller-Neuhof kommen dafür verschiedene Gründe in Betracht.

5. Urheberrechtsreform: Künstler laufen Sturm gegen freie Inhalte-Schnipsel
(heise.de, Stefan Krempl)
Der Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Urheberrechtsreform führt zu einem klassischen Konflikt verschiedener Interessen: Auf der einen Seite eine Allianz von Künstlerinnen und Künstlern, die sich per Brief gegen die geplante Bagatellausnahme für nicht-kommerzielle Nutzungen wehren. Auf der anderen Seite Youtuber, Social-Media-Größen und Verbraucherschützer, die gegen Uploadfilter zu Felde ziehen.

6. Kirsten Boie lehnt Preis des Vereins Deutsche Sprache ab
(zeit.de)
Kirsten Boie ist eine herausragende Autorin von Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat rund 100 Bücher veröffentlicht, von denen viele in diverse Sprachen übersetzt wurden. Nun wollte der Hamburger Landesverband des Vereins Deutsche Sprache (VDS) sie mit einem Preis auszeichnen, doch Boie lehnte ab. Sie störe sich an den rechtspopulistischen Äußerungen des VDS-Bundesvorsitzenden Walter Krämer. In ihrer Absage heißt es weiter: “Aber mehr noch als die verkürzte und realitätsfremde Vorstellung von Sprache, die sich in vielen Äußerungen zeigt, erschreckt mich, wie genau sie sich ausgerechnet in einer Zeit, in der wir mit Sorge einen Rechtsruck in Teilen der Bevölkerung beobachten müssen, in deren Argumentationsgänge einfügt”.

Digitale Gewalt vertreibt Mädchen, Burdas Lügen-Embryo, Insta-Birthday

1. Digitale Gewalt vertreibt Mädchen aus sozialen Medien
(sueddeutsche.de)
Laut einer Umfrage des Kinderhilfswerks Plan International erfährt eine deutliche Mehrheit der Mädchen und jungen Frauen im Internet Formen von digitaler Gewalt. In Deutschland hätten 70 Prozent von ihnen Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen erlebt. Die Folge davon sei oft der Rückzug aus den Sozialen Medien. In einem Offenen Brief bittet das Hilfswerk die Plattformbetreiber um mehr Unterstützung: “Wir Mädchen und junge Frauen in all unserer Diversität müssen uns darauf verlassen können, dass wir uns immer an Sie wenden können, wenn wir digitale Gewalt erleben und dass Sie etwas dagegen tun.”

2. Viel Lob – wenig Geld für Fachjournalisten
(mmm.verdi.de, Bärbel Röben)
Selten wurde Wissenschaftsjournalismus so geschätzt wie in den heutigen Corona-Zeiten. Das ist die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit ist, dass im Wissenschaftsjournalismus tätige Menschen oftmals frei und zunehmend prekär arbeiten. Kann womöglich eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus helfen? Bärbel Röben berichtet über die schwierige Lage der Wissenschaftserklärung zwischen Bundesverdienstkreuz und Verarmung.

3. Burda-Verlag ließ falschen Embryo von Diana durchrutschen
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Die Regenbogen-Postille “Freizeit Spaß” aus dem Verlag Burda hatte eine frei erfundene Geschichte des US-Magazins “Globe” über Prinzessin Diana übernommen und als wahr dargestellt: Ein Arzt hätte Diana vor vielen Jahren einen Embryo entnommen, seiner eigenen Frau eingepflanzt und das Kind dann heimlich aufgezogen. Mats Schönauer hat sich daraufhin beim Deutschen Presserat beschwert – der Startpunkt für ein weiteres unwürdiges Schauspiel der “Freizeit Spaß”-Verantwortlichen.

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4. «Ich begann, mich zunehmend zu hinterfragen»
(persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Der Medienjournalist Rainer Stadler hat seinen Job bei der “NZZ” an den Nagel gehängt. Das ist bemerkenswert, da Stadler mehr als 30 Jahre für die Schweizer Zeitung tätig war und dort die Medienseite verantwortete. Sein Abgang ist nicht ganz freiwillig, wie er im Interview berichtet: “Es ist für Verlage schwierig geworden, Meinungen zu tragen, die der Unternehmensmeinung nicht entsprechen. Es ist kein Zufall, dass bei allen anderen Zeitungen die Stellen der Medienjournalisten schon längst gestrichen worden sind.”

5. Politische PR an der Grenze zur Medienarbeit
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Lange Zeit waren Podcasts ein mediales Nischenprodukt, doch mittlerweile hat selbst die Politik das Medium für sich entdeckt. Ob Parteien, Fraktionen oder gar die Bundesregierung, alle wollen ihre Botschaften hinaus in die Welt senden und haben damit erstaunlich oft Erfolg. Viele klassische Medien übernehmen die Inhalte und damit gelegentlich auch unhinterfragt die Agenda der podcastenden Politiker und Politikerinnen. Daniel Bouhs berichtet über ein Medienformat zwischen informierender Aufklärung und politischer PR.

6. 10 Jahre Instagram: Die Welt als Werbefoto
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Instagram feiert am heutigen 6. Oktober seinen zehnten Geburtstag. Matthias Schwarzer zeichnet die Entwicklung des Dienstes nach, von der reinen Fotoplattform bis hin zum audiovisuellen Riesennetzwerk.
Weiterer Lesehinweis: Das sind die erfolgreichsten Instagram-Posts aller Zeiten (rnd.de).

Bild.de zeigt Vergewaltigungsopfer

Die “Bild”-Redaktion zeigt alles, ohne Rücksicht auf irgendwas oder Empathie für irgendwen: Sie zeigt Tatverdächtige unverpixelt, Täter unverpixelt, falsche Täter unverpixelt, Opfer unverpixelt, falsche Opfer unverpixelt, getötete Kinder unverpixelt, den WhatsApp-Chat eines Elfjährigen, der gerade erfahren hat, dass seine fünf Geschwister getötet wurden, unverpixelt; sie zeigt auch ein Foto, auf dem eine Frau zu sehen ist, die kurz zuvor vergewaltigt wurde, unverpixelt.

Vor etwa zwei Wochen hat der Deutsche Presserat wieder einen Schwung Rügen verteilt. Insgesamt 15 Stück, sechs davon gingen an “Bild” beziehungsweise Bild.de (eine davon übrigens für die Berichterstattung, um die es oben bei “falsche Täter unverpixelt” geht). Vor allem über eine Rüge berichteten mehrere Medien: die zum “Bild”-Artikel “Fragwürdige Methoden: Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch” über den Virologen Christian Drosten. Eine andere Rüge, die der Presserat gegen Bild.de aussprach, wird in der Berichterstattung hingegen nur nebenbei erwähnt, wenn überhaupt. Dabei war das Vorgehen von Bild.de ausgesprochen skrupellos: “Redaktion zeigt Vergewaltigungsopfer”, schreibt der Presserat dazu. Den Fall wollen wir hier nachträglich noch einmal dokumentieren.

Am 23. März auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Plötzlich bricht eine Welt zusammen - Mein Papa hat mir gesagt, dass er ein Vergewaltiger ist
(Unkenntlichmachung der Augen des Jungen durch Bild.de, weitere Verpixelung durch uns.)

Ein Junge habe seinen Vater im Gefängnis besucht. Der 43-jährige Mann habe seinem neunjährigen Sohn bei diesem Besuch erzählt, dass er “ein Vergewaltiger und ein ­Mörder, ein versuchter Mörder” sei, so der Junge laut Bild.de. Daher die Überschrift.

Im dazugehörigen Artikel zeigt Bild.de auch ein Foto, auf dem ein Polizeiauto, ein Rettungswagen, Polizisten und eine Frau zu sehen sind. Die Frau ist in eine Decke eingewickelt. In der Bildunterschrift steht:

Am Morgen des 12. Oktober 2019 wurde eine Studentin (20) gefesselt in einem Gebüsch gefunden. Sie wurde sofort ins Krankenhaus gebracht

Die Studentin wurde entführt, vergewaltigt, ausgesetzt und nur per Zufall von einem Mann entdeckt, der anschließend die Polizei rief. Auf dem Foto, das den Polizeieinsatz zeigt und das Bild.de veröffentlichte, ist das Opfer zu erkennen. Der Presserat schreibt dazu:

BILD.DE erhielt eine Rüge für die Berichterstattung “Mein Papa, hat mir gesagt, dass er ein Vergewaltiger ist”. In der Berichterstattung zeigte die Redaktion das unverpixelte Fotos eines Vergewaltigungsopfers kurz nach seinem Auffinden durch die Polizei. Der Ausschuss sieht in der erkennbaren Abbildung einen schweren Verstoß gegen den Opferschutz nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex.

Am vergangenen Freitag veröffentlichte der Presserat eine detailliertere Dokumentation zu der Rüge (hier zu finden unter dem Aktenzeichen 0311/20/2). Demnach reagierte die “Bild”-Redaktion erst überhaupt nicht auf die Aufforderung, zu der Beschwerde Stellung zu nehmen; nach erneuter Aufforderung antwortete die Rechtsabteilung des Springer-Verlags, dass die Veröffentlichung des Fotos zulässig sei, da die Frau bei der vorhandenen Bildauflösung überhaupt nicht zu erkennen sei.

Das sah der Beschwerdeausschuss des Presserats anders:

Anders als die Zeitung ist der Ausschuss der Meinung, dass die Frau auf einem der beiden Fotos erkennbar abgebildet worden ist. Die Abbildung eines Opfers unmittelbar nach der Straftat stellt einen schweren Verstoß gegen dessen Persönlichkeitsschutz dar. Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Nur weil jemand zufällig Opfer eines Verbrechens wird, darf er nicht automatisch identifizierbar in den Medien gezeigt werden. Die Frau ist keine Person des öffentlichen Lebens. Die Redaktion kann auch keine Einwilligung vorlegen, die eine Ausnahme von Richtlinie 8.2 begründen könnte.

Inzwischen ist das Gesicht der Frau bei Bild.de verpixelt.

Ein Teil der Beschwerde richtete sich auch gegen die Abbildung des Neunjährigen auf der Bild.de-Startseite und im Artikel. Seine Augen wurden von der Redaktion zwar etwas verpixelt, aber erstens ist die Verpixelung so klein, dass ihn viele, die ihn ab und zu mal sehen, auf dem Foto wiedererkennen dürften. Zweitens wird sein Vorname genannt, der abgekürzte Nachname, Bild.de schreibt, in welche Klasse er geht, nennt den Vornamen des Vaters und den Vornamen der Mutter. Und drittens ist die Mutter auf dem Foto unverpixelt zu sehen, wodurch jede Person, die die Mutter kennt, auch weiß, um welches Kind es sich handelt. Dennoch gab es dafür keine Rüge, da der Redaktion eine Erlaubnis der Mutter vorlag. Der Presserat bewerte “die Abbildung des Sohnes durchaus kritisch”, …

… sieht jedoch keinen Anlass dafür, die Selbstbestimmung der Mutter und deren Entscheidung zur Einwilligung in Frage zu stellen.

Bleibt die Frage, ob eine Redaktion unbedingt alles machen muss, was sie darf.

Mit Dank an Horst W. für den Hinweis!

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Beratungsresistenter Minister, Ehrungen, Merkbefreite Männer

1. Das eigene Haus zweifelte am Strafanzeigen-Plan des Innenministers
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Interne Dokumente des Bundesinnenministeriums zur umstrittenen polizeikritischen “taz”-Kolumne (“All cops are berufsunfähig”) zeigen, dass die Ministerialbeamten nicht an den Erfolg einer Klage glaubten: “Aus hiesiger Sicht dürfte eine strafrechtliche Verurteilung unverhältnismäßig sein”. Innenminister Horst Seehofer ließ sich davon wenig beeindrucken, änderte jedoch seine Vorgehensweise. Jost Müller-Neuhof dröselt den Vorgang auf, der für Seehofer wahrlich kein Ruhmesblatt ist.

2. Sie merken es einfach nicht
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Anlässlich der Diskussionen um den Somuncu-Podcast und Christian Lindners sexistische Witzchen beschäftigt sich Margarete Stokowski mit dem toxischen Humorverständnis mancher Männer: “Wir alle kennen diese Männer. Sie sagen in Diskussionen gern ‘ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli…’, und dann sagen sie exakt das, was sie eh sagen würden, fühlen sich aber dabei als Vertreter einer höheren Macht. Sehr unangenehm. Üblicherweise wird empfohlen, so etwas einfach auszuhalten, aber erstens: Wer hält das aus? Und zweitens: Es geht davon nicht weg. Die einzige Lösung ist, diese Typen aufzuhalten, denn sie vermehren sich und halten an ihren Posten fest, und sie merken nicht von allein, wo das Problem ist.”

3. Presserat: Funkes Clickbaiting-Portal bedroht Ansehen der Presse
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich beim Presserat über drei Artikel beziehungsweise deren Überschriften beschwert, mit denen “Der Westen” seine Leserinnen und Leser auf eine besonders unangenehme und dramatische Weise in die Irre führte. Die Artikel wurden vom Presserat gerügt und von “Der Westen” offenbar auch gelöscht. Niggemeier musste sich jedoch zuvor allerlei Unterstellungen der Gegenseite anhören.

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4. “Als Frau wird man noch mal anders herabgesetzt”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz & Michael Borgers, Audio: 7:27 Minuten)
Trotz wiederholter Versprechen versage Twitter noch immer beim Schutz von Frauen vor Online-Gewalt, so das Ergebnis einer neuen Untersuchung von Amnesty International (PDF, englisch). Der Deutschlandfunk hat sich mit der ZDF-Journalistin Nicole Diekmann über ihre Social-Media-Erfahrungen unterhalten und bei ihr nachgefragt, wie sie mit Herabsetzungen und Hass umgeht.

5. Wie groß ist Facebooks Macht im Wahlkampf?
(zeit.de, Eike Kühl)
In wenigen Wochen finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Facebook wolle sich dieses Mal stärker gegen Desinformationen und Wahlbeeinflussung stemmen. Ob die ergriffenen Maßnahmen erfolgreich sind, sei jedoch eine andere Frage. Facebook bleibe vor der Wahl am 3. November die große Unbekannte, so Eike Kühl in seiner Analyse: “Ob und wie groß der Einfluss des Netzwerks auf den Ausgang der Wahl, auf die Stimmenabgabe und Mobilisierung von Wählerinnen sein wird, bleibt wie schon 2016 schwer zu sagen und noch schwieriger zu belegen.”

6. Bundesverdienstkreuz für Drosten, Hitzlsperger und Levit
(rnd.de)
Am 1. Oktober wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 15 Menschen mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen. Unter den Personen, die die Ehrung erhalten sollen, sind die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, der Virologe Christian Drosten und der Pianist Igor Levit.

Ego-Masturbator, Allgegenwärtiger Lauterbach, Nackte auf dem Mond

1. Ist die Aufregung berechtigt?
(radioeins.de, Stefan Niggemeier, Audio: 4:52 Minuten)
“Hast Du Dir die drei Stunden komplett angehört?” Eine Frage, die man gelegentlich hört, wenn es um den umstrittenen Podcast mit Florian Schröder und Serdar Somuncu geht. Eine Frage, die andeuten will, dass Somuncus misogyne, rassistische und sexistische Eruptionen in einem “satirischen Kontext” gefallen seien – ausgesprochen von der Bühnenfigur Somuncu und nicht dem Privatmann. Auch Medienkritiker Stefan Niggemeier bekam diese Frage bei radioeins als Erstes gestellt, und ja, er habe sich die drei Stunden komplett angehört. Sein Fazit: “Somuncu und Schröder und letztlich auch radioeins haben sich in eine Beteuerung geflüchtet: Ihr müsst doch wissen, dass wir das nicht so meinen und dass wir nicht wirklich sexistisch sind. Das reicht nicht. Und bei Somuncu habe ich sogar Zweifel, ob es überhaupt stimmt.”
Weiterer Guckhinweis: Die Satirikerin Sarah Bosetti hat eine direkte Botschaft an ihren Kollegen Serdar Somuncu: “… dann hast du keine Empörungsdynamiken unserer Gesellschaft entlarvt, du hast nur Menschen einen berechtigten Grund zur Empörung gegeben und dabei kräftig auf dein Ego masturbiert.” (youtube.com, 3:15 Minuten)

2. Aufklärung oder Panikmache?
(tagesschau.de, Andrej Reisin)
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist einer der gefragtesten Gäste in öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows (laut Statista-Zahlen vom Mai der gefragteste Gast) und einer der Top-Twitterer in Deutschland (aktuell auf Platz 16 im Nindo-Twitterranking). Einige seiner Tweets seien jedoch ungenau oder würden bestimmte Aspekte unter den Tisch fallen lassen, so die Kritik von Andrej Reisin. Lauterbach neige zu selektivem Zitieren und korrigiere sich bei Fehlern eher selten.

3. “Komm, die hängen wir ab!”
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Lea Deuber berichtet über ihr schwieriges Korrespondentinnenleben in China: “Egal, wo man hinreist, werden die Passnummer gespeichert, das Gesicht gescannt, Bewegungsdaten aufgezeichnet. Vielerorts warten die Aufpasser schon, wenn man aus dem Zug steigt. Sie wissen, wohin man fliegt und an welchen Geschichten man arbeitet. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als im Hotelzimmer das Telefonkabel aus der Wand zu ziehen und eine Kommode vor die Tür zu schieben, wenn man wenigstens für ein paar Stunden Ruhe haben will vor den ungebetenen Besuchern.”

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4. Ausfallfonds II: Produzenten appellieren an Sender
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Bei Covid-19-bedingten Produktionsstörungen im Filmbereich springt ein 50 Millionen Euro schwerer Ausfallfonds ein. Der gilt jedoch nur für Kinofilme und High-End-Serien. Klassische TV- und Auftragsproduktionen gehen leer aus. Das soll sich nun ändern: Die Produzentenallianz wünsche sich bei einem Auftragsvolumen von geschätzt zwei Milliarden Euro zumindest einen rund 100 Millionen Euro schweren Rettungstopf.

5. Presserat: “Bild” erneut Rügen-König
(verdi.de, Monique Hofmann)
Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats hat erneut getagt. Von den 15 öffentlichen Rügen gehen allein sechs auf das Konto von “Bild” oder Bild.de. Damit bleibe die Redaktion weiterhin unangefochtener All-Time-Spitzenreiter im Rügen-Ranking.
Weiterer Lesehinweis: “Mathias Döpfner, Chef des Axel Springer Verlags, gesteht öffentlich Fehler in der Solingen-Berichterstattung der ‘Bild’ ein. Glaubhaft ist das nicht.” Steffen Grimberg schreibt in der “taz” über die kalkulierten Grenzüberschreitungen der “Bild”-Medien.

6. Geburtsstunde der “Fake News”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Vor 185 Jahren machte die “New York Sun” mit einer für damalige Verhältnisse spektakulären Lügengeschichte auf sich aufmerksam. In insgesamt sechs Teilen berichtete das Blatt von geflügelten und nackten Menschen, die auf dem Mond leben. Es war nicht nur die Geburtsstunde des “Great Moon Hoax”, es war auch die Geburtsstunde der “Fake News”.

Drohende Diskursverschiebung, Der ewige Döpfner, Südtirols Pestizide

1. Warnung vor der Diskursverschiebung
(deutschlandfunkkultur.de, Dieter Kassel, Audio: 10:46 Minuten)
Ein Kommentar einer Deutschlandfunk-Korrespondentin zur Situation im Flüchtlingslager Moria sorgte in den vergangenen Tagen für viel Empörung. Silke Hasselmann hatte unter anderem gesagt: “Nun gehen Fotos von Kindern um die Welt, die nach dem Brand des Lagers Moria auf dem Straßenasphalt schlafen. Doch zumindest solange der begründete Verdacht im Raum steht, dass einige Lagerbewohner nicht nur die Löscharbeiten behindert, sondern die Feuer selbst gelegt haben, darf Deutschland niemanden von dort herholen.” Im Deutschlandfunk hat sich der zuständige Abteilungsleiter Friedbert Meurer hinter seine Korrespondentin gestellt: Man wolle die Meinungsvielfalt wiedergeben. Der Historiker Jürgen Zimmerer hält dies für ein schwaches Argument und warnt vor einer Diskursverschiebung. Zehn Hörminuten, die sich für die Einordnung des Falls unbedingt lohnen. Hinweis in eigener Sache: Der “6 vor 9”-Kurator hat diese Textpassage bereits bei Twitter analysiert und kommentiert.
Weiterer Hinweis: Mittlerweile hat auch Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien Stellung bezogen und das Vorgehen des Senders verteidigt. Auf Twitter kommentiert “FAZ”-Journalist Patrick Bahners in einem Thread: “Unglaublich, aber wahr: Nach einem Tag interner Generaldebatte lautet das Fazit von Chefredakteurin Birgit Wentzien: Es soll im Interesse des ‘Clashs’ der Meinungen noch mehr Kommentare geben, an denen sich Hörer ‘reiben’, mehr Kommentare wie den von Silke Hasselmann.”

2. Wiederwahl: Mathias Döpfner bleibt BDZV-Präsident
(dwdl.de, Alexander Krei)
Trotz verlagsübergreifender Empörung über die menschenverachtende Berichterstattung aus Solingen der “Bild”-Redaktion und einer öffentlichen Rüge des Presserats für den Artikel über eine vermeintlich “grob falsche” Corona-Studie wurde Springer-Chef Mathias Döpfner für weitere vier Jahre zum Präsidenten des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger gewählt. “Übermedien”-Mitbetreiber Boris Rosenkranz kommentiert auf Twitter mit einer Prise Sarkasmus: “Die Zeitungsverleger*innen in Deutschland sind so sauer auf ‘Bild’ und wie die da so arbeiten, dass sie heute den Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner erneut zum Präsidenten ihres Verbands gewählt haben. Einstimmig.”

3. Die Reise als Medium
(journalist.de, Kristina Wollseifen)
Das freiberufliche Reporterpaar Theresa Leisgang und Raphael Thelen hat sich Gewaltiges vorgenommen: einmal um die ganze Welt und dabei über die Klimakrise berichten. Ein kühner Plan, der einiges an logistischer Vorausplanung und finanziellen Reserven erfordert. Und ein Vorhaben, das durch das Coronavirus wahrlich nicht einfacher wird. Doch die beiden lassen sich nicht von ihrem Vorhaben abhalten, wie man auf Instagram sehen kann.
Weiterer Lesehinweis: In der Rubrik “Floskel des Monats” geht es beim Fachmagazin “journalist” um das berühmt-berüchtigte “Wetterchaos”.
Weiterer Hörhinweis: Im Podcast “Was mit Medien” sprechen Daniel Fiene und Sebastian Pähler mit dem Wettermoderator der ARD: Karsten Schwanke, wie können Medien besser über das Klima berichten? (Audio: 51:16 Minuten)
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4. Dilemma bei Tchibo
(taz.de, Svenja Bergt)
Die Bedingungen bei der Produktion von Smartphones bieten vielerlei Ansätze für Kritik – was die ökologischen Aspekte anbelangt, aber auch was die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse bei der Beschaffung der Rohstoffe sowie bei der Herstellung betrifft. Nun bringt ein großer deutscher Kaffeeröster ein fair produzierte Smartphone in die Läden. Svenja Bergt erklärt, was daran aus ihrer Sicht gut ist und was weniger gut.

5. Können Umweltschützer in Europa künftig Missstände anprangern und ihre Meinung frei äußern?
(twitter.com/BR_quer, Video: 5:04 Minuten)
Die Provinz Südtirol ist für ihre spektakuläre Landschaft bekannt und auch für ihre ausgedehnten Apfelplantagen. Diese werden nach Meinung von Umweltschützern mit viel zu viel Pestiziden behandelt. Nun habe Südtirol zwei Kritiker des übermäßigen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln verklagt, einen bayrischen Journalisten und einen Umweltexperten. “Niemand legt sich mit den Bauern an. Und wer dies doch tut, kann danach auswandern”, so das bittere Fazit eines der beiden Angeklagten.
Passend dazu ein Gespräch mit dem Agrarreferenten des Vereins Umweltinstitut München aus dem Jahr 2019, der den Pestizideinsatz als einen “Beitrag zum Insektensterben” kritisiert (deutschlandfunk.de, Britta Frecke, Audio: 4:24 Minuten).

6. “Mittwoch ist ein ganz normales Wort”
(spiegel.de, Stefanie Witterauf)
Noch den heutigen Tag über lässt ein großer deutscher Wörterbuchverlag über das “Jugendwort des Jahres” 2020 abstimmen. Zur Auswahl stehen Begriffe wie “lost”, “Digga” und “cringe”, aber auch einfach nur “Mittwoch”. Warum sollte ausgerechnet ein Wochentag zum “Jugendwort des Jahres” gekürt werden? Und was hat ein Frosch damit zu tun? Der “Spiegel” hat sich mit dem Einreicher des Vorschlags unterhalten, der auch für das Meme-Projekt “Stramme Memes” verantwortlich ist.

Döpfner absetzen, Zeitungssterben, Polizeilicher Korpsgeist kommt zu Fall

1. Döpfner beim Wort nehmen – und absetzen
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
In seinem Kommentar zur unethischen Solingen-Berichterstattung von “Bild” und RTL lenkt Jürn Kruse den Blick auf das große Ganze. Dazu gehört der Mann, der der Zeitungsbranche als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) vorsteht: der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. “Wenn der Rest der Branche wirklich so empört ist über das, was ‘Bild’ unter Reichelt treibt, dann sollten die Kolleg*innen nicht die Verantwortung nach unten delegieren, auf die Reporter*innen, sondern nach oben. Sie sollten Döpfner beim Wort nehmen, auf die eigenen Verlegerinnen und Verleger einwirken, dass sie Verantwortung übernehmen – und sich einen neuen BDZV-Präsidenten suchen.”

2. Brauchen wir eine zentrale Medien-Beschwerdestelle?
(radioeins.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:02 Minuten)
Beim Presserat seien mittlerweile mehr als 160 Beschwerden wegen der Solingen-Berichterstattung der “Bild”-Redaktion eingegangen, zur Berichterstattung von RTL seien beim zuständigen Kontrollorgan hingegen gar keine eingegangen (Update: inzwischen sollen es zwei sein). Wie ist das zu erklären? Und brauchen wir vielleicht eine zentrale Medien-Beschwerdestelle? Medienjournalist Daniel Bouhs sieht akuten Handlungsbedarf: “Damit wir alle mit Beschwerden helfen können, dass Medien gut kontrolliert und gerügt werden, wenn sie so in die Schüssel greifen wie jetzt BILD und RTL, braucht es eine und vor allem auch eine sichtbare Beschwerde-Zentrale für unsere Medienlandschaft.”

3. Bauer setzt schachmatt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Das Zeitungssterben hat beängstigende Auswirkungen: Gerade in strukturschwachen Räumen gebe es oftmals “Einzeitungskreise” – das sind Regionen, die von einer einzigen Zeitung mit Nachrichten beliefert werden. In bestimmten Regionen würden sogar “Keine-Zeitung-Kreise” drohen. Steffen Grimberg berichtet über die bedenkliche Marktkonzentration und Marktaufteilung durch Verlagskooperationen und Aufkäufe.

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4. Aktivisten fordern neues Format vor der “Tagesschau”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:04 Minuten)
In einer Petition samt Crowdfunding setzt sich die Projektgruppe “#Klima vor 8” für mehr Klimaberichterstattung ein: “Wir fordern, in den fünf Minuten vor der Tagesschau abwechselnd zu ‘Börse vor 8’ eine Sendung auszustrahlen, die sich den Themen Umwelt-, Klimaschutz und Nachhaltigkeit widmet – wir fordern #Klima vor 8!” Nachdem das notwendige Geld eingesammelt wurde, sollen nun Pilotfolgen gedreht werden, die man dem Sender vorlegen wolle. Der Deutschlandfunk hat sich umgehört, wie die Aktion bei Experten und Senderverantwortlichen ankommt.

5. “Wir müssen den Leuten zuhören”
(journalist.de, Ute Korinth)
Ute Korinth hat sich mit dem US-amerikanischen Medien-Experten Jeff Jarvis unterhalten. In dem Interview geht es vor allem um die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Journalismus. Von staatlichen Subventionen für die angeschlagene Medienbranche hält Jarvis wenig: “Ich glaube, das ist gefährlich. Und hier muss ich nochmal auf die Unterschiede bezüglich des Marktes, der Regierung und der Kultur zu sprechen kommen. In den vergangenen Jahren, als die Leute gesagt haben, der Staat sollte die Medien hier in Amerika unterstützen, habe ich darauf eine Zwei-Wort-Antwort gegeben: Donald Trump. Es läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter, wenn ich daran denke, dass er die Kontrolle über das Geld und das Schicksal von Medien hat. Als Antwort für meine europäischen Freunde, die sagen, wir haben ZDF und BBC, habe ich zwei Worte: Boris Johnson.”

6. Fotograf bringt mit seinen Aufnahmen Polizisten in Bedrängnis
(berliner-zeitung.de, Alexander Schmalz)
Der Foto- und Videograf Julian Stähle erlitt gleich doppeltes polizeiliches Unrecht: Zunächst wurde er während seiner Arbeit von Polizisten verletzt und danach wegen angeblichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Sein Glück, dass die Speicherkarte seiner (zerstörten) Kamera die ihn entlastenden Beweisbilder konserviert hatte. So konnten die Aufnahmen vor Gericht gezeigt werden – mit drastischen Konsequenzen für den Fortgang der Verhandlung: “Als die Bilder im Gericht gezeigt wurden, soll bei den Polizisten sofort die Stimmung gekippt sein, berichteten Zeugen. Als Stähles Anwalt daraufhin kritische Fragen stellte, brach der Beamte, der seinen Kollegen gedeckt hatte, im Zeugenstand zusammen. Der Polizist musste mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Der Fotograf wurde freigesprochen.”

Nuhr Einsicht oder Nuhr eingeknickt?, Hayali-Dreh, “Rolling Stone”-Cover

1. Dunja Hayali bricht ZDF-Dreh bei Demo gegen Corona-Regeln ab
(tagesspiegel.de)
Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali hat sich für einen Dreh unter die Demonstrierenden gegen die Corona-Maßnahmen gemischt, brach die Dreharbeiten jedoch wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig ab (die gesamten 37 Minuten des Drehs gibt es bei Instagram). Der Deutsche Presserat kritisiert den Vorfall auf Twitter: “Es ist absolut unakzeptabel, wenn Journalisten ihre Arbeit nicht machen können, weil sie beschimpft und bedroht werden. Der Schutz von Journalisten muss dringend verbessert werden!” Es gibt jedoch auch andere Sichtweisen auf den Vorfall. Autor und Journalist Franz Sommerfeld kritisiert Hayalis Vorgehen: “Sie versteht sich als journalistische Aktivistin. Sie will einzelne Demonstranten überzeugen, wenn das nicht gelingt, sie zumindest wegen der Absurdität ihrer Vorstellungen bloss stellen. Sie meint es gut. Aber das misslingt natürlich. Und nun zeigt sich Dunja Hayali in ihrem Schlusskommentar beleidigt und gekränkt, weil jeder ihr etwas anderes vorhält, und freut sich noch einmal auf ihren ‘schmutzigen’ Hund. Das wäre zu vermeiden gewesen, wenn die Journalistin professionelle Distanz gewahrt hätte. Damit hätte sie ihrem Anliegen mehr gedient.”

2. Kanzel Culture
(hellojed.de, Moritz Hoffmann)
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wirbt zu ihrem 100-jährigen Bestehen für die Wissenschaft und setzt dazu verschiedene prominente Fürsprecherinnen und Fürsprecher ein. Eines der Testimonials stammt von Komiker Dieter Nuhr, dem Kritiker ein gebrochenes Verhältnis zur Wissenschaft vorwerfen – sie lehnen ihn als Werbegesicht für die Kampagne ab. Moritz Hoffmann kommentiert: “Das eigentliche Thema muss die DFG sein. Sie hat Nuhr angefragt, sie hat Nuhr abgenommen, sie hat Nuhr veröffentlicht, sie hat Nuhr auf den sozialen Netzwerken beworben und sie hat nach ein paar Stunden kritischem Gegenwind beschlossen, ohne weitere Erklärungen eine Kehrtwende zu vollziehen. Das alles spricht nicht für besonders viel Denkaufwand, es spricht für wenig Souveränität und für einen bemerkenswerten Mangel an Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Arten, auf denen im Jahr 2020 in Deutschland Sachverhalte ausverhandelt werden.”
Weiterer Lesehinweis: Auch von anderer Seite wird Kritik an die DFG herangetragen. Diesmal jedoch nicht wegen des Testimonials von Dieter Nuhr, sondern wegen des vermeintlichen “Einknickens” der Forschungsgemeinschaft: “Damit gibt die DFG auf erbärmliche Weise ihre Prinzipien preis. Sie leistet als Wissenschaftsorganisation einen Offenbarungseid.” (faz.net, Michael Hanfeld)

3. Bewusst exponiert
(taz.de, Peter Weissenburger)
Die österreichische Journalistin Natascha Strobl schreibt bevorzugt über Rechtsextremismus und gerät damit immer wieder in den Fokus eines rechtsradikalen Mobs, der sie beschimpft und bedroht. Nach einem Beitrag eines “Welt”-Kolumnisten mit dem Namen “Don Alphonso” erlebt sie eine besonders stark ausgeprägte Hasswelle.
Weiterer Lesehinweis: In der “Frankfurter Rundschau” spricht Strobl über die massiven Drohungen, die ihr gegenüber ausgesprochen werden, und über ihren Widersacher “Don Alphonso”: “Ich bin da nicht die erste und werde nicht die letzte Frau sein, die er so angeht. Und das zweite ist, dass er ein sehr großes Problem mit eher links stehenden Menschen hat. Da geht es nicht um Meinungsaustausch, er will sie einfach persönlich zerstören. Das ist alles ganz offensichtlich durch persönliche Motivation getrieben, aber es ist auch ein Geschäftsmodell.”

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4. Lässt sich TikTok überhaupt verbieten?
(zeit.de, Anna-Lena Schlitt)
US-Präsident Donald Trump will die chinesische Videoplattform TikTok – zumindest in den USA – verbieten. Als Grund dafür wird die Befürchtung genannt, die App könne heimlich die Daten der Nutzerinnen und Nutzer an China weitergeben. Ist ein derartiges Verbot überhaupt möglich? Und wie könnte es umgesetzt werden? Gibt es bereits TikTok-Verbote? Und könnte TikTok verkauft werden? Anna-Lena Schlitt gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

5. Die perfekte Welle
(journalist.de, Jennifer Garic & Olaf Wittrock)
Wie leicht nachzuvollziehen ist, bestimmt die Corona-Pandemie seit Monaten die Berichterstattung, doch die Nachrichtenflut ebbe langsam ab. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennten darin ein wellenförmiges Muster: Nach spätestens drei Monaten träten Gewöhnungs- und Ermüdungseffekte ein, das mediale Interesse lasse nach. Jennifer Garic und Olaf Wittrock von der Wirtschaftsredaktion “Wortwert” haben sich die Wellenbildung anhand der bisherigen Corona-Berichterstattung angeschaut.

6. Wie es einmal fast zwei Frauen aufs Cover des “Rolling Stone” schafften
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In der Musik-Zeitschrift “Rolling Stone” ist ein längeres Interview erschienen, in dem die Soulsängerin Joy Denalane und die Rockmusikerin Ilgen-Nur über Rassismus, Sexismus und Homophobie in der Musikindustrie sprechen. Beide Künstlerinnen gingen davon aus, dass ihr Gespräch die Cover-Geschichte des Heftes werden würde, es habe auch ein entsprechendes Cover-Shooting gegeben. Schlussendlich sei das Magazin jedoch den vermeintlich sicheren Weg gegangen und habe Altrocker Bruce Springsteen aufs Cover gehoben. Stefan Niggemeier kommentiert: “Während das amerikanische Schwesterblatt politischer und diverser geworden ist, will der deutsche Ableger lieber nicht riskieren, seine Stammleser mit nicht-weißen Frauen auf dem Cover zu verschrecken, nicht einmal, wenn der Sexismus und Rassismus der Branche Thema im Heft ist. Es hätte ein kleines Statement werden können in Zeiten, in denen einiges in Bewegung gerät, dass man sich mitbewegt.”

Papas Impfverschwörung, Zoombombing, Blackouttuesday

1. Hilfe, Papa glaubt an die Impfverschwörung!
(zeit.de, Pia Lamberty & Katharina Nocun)
Vor wenigen Tagen erschien das Buch “Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen” des Autorinnen-Duos Lamberty und Nocun. Beide bringen die notwendige Expertise mit: Pia Lamberty als Psychologin und Katharina Nocun als Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin. Für “Zeit Online” haben sie in einem Gastbeitrag zehn Tipps aufgeschrieben, wie man mit Verschwörungsgläubigen in der Bekanntschaft und Verwandtschaft umgehen kann.

2. “Vertraut eurem Publikum!”
(journalist.de, Sophie Burkhardt)
Seit mittlerweile fünf Jahren ist Sophie Burkhardt Programmgeschäftsführerin von Funk, dem Contentnetzwerk von ARD und ZDF. Damit ist sie mitverantwortlich für erfolgreiche Wissenskanäle wie “Dinge erklärt – Kurzgesagt”, “MaiLab” oder “MrWissen2Go” sowie für Reportageformate wie “Y-Kollektiv” oder “Follow me.reports” (manche dieser Formate gab es allerdings auch schon, bevor es Funk gab). In “Mein Blick auf den Journalismus” erzählt sie in angenehmer Offenheit von der Arbeit für die junge Zielgruppe, einem Publikum, dem man durchaus mit Vertrauen begegnen könne: “Die digitale Welt macht es noch leichter, vor allem die verzerrte und hasserfüllte Fratze des ‘Lesers’ zu sehen. Ihn vor allem für ein potenzielles Opfer von Verschwörungstheorien zu halten. Das hat auch mit uns Journalist*innen etwas gemacht. Es hat uns müde gemacht, mürbe, passiv-aggressiv oder an manchen Tagen zynisch, sarkastisch, auch oberlehrerhaft. Gerade die Arbeit mit einem sehr jungen Publikum hat mir aber gezeigt, dass es oft sehr viel weniger Grund zum Misstrauen gibt, als wir denken.”
Weiterer Lesehinweis: Am Ende des Beitrags sind die weiteren Folgen der “journalist”-Serie “Mein Blick auf den Journalismus” aufgeführt, die allesamt die Lektüre wert sind.

3. Zwischen Titelstory und Trauerbewältigung
(hessenschau.de, Bodo Weissenborn)
Mit dem Hashtag #100tagehanau erinnerte der Hessische Rundfunk (hr) an den Terroranschlag, bei dem ein Täter aus rassistischen Gründen neun Menschen (und anschließend seine Mutter und sich selbst) erschoss. “Hessenschau”-Reporter Bodo Weissenborn war am Tag nach dem Anschlag für den hr in Hanau. “Dieser
Einsatz hat mich noch länger beschäftigt, nicht nur wegen des Ereignisses an sich, sondern auch, weil ich den Eindruck hatte, als Journalist Teil einer problematischen Konstellation vor Ort geworden zu sein.” Es sind einige sehr persönliche und nachdenklich machende Beobachtungen, die Weissenborn aufgeschrieben hat.

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4. So attackieren Zoom-Bomber private Videokonferenzen mit Kinderpornografie
(vice.com, Sebastian Meineck & Paul Schwenn)
In Zeiten von Social Distancing und Home-Office finden viele Besprechungen als Videokonferenzen statt. Dabei wird oft die Software Zoom Meetings verwendet, ein Dienst, mit dem sich Nutzerinnen und Nutzer via App oder Web zusammenschalten. Leider wurden einige dieser digitalen Treffen in der Vergangenheit von sogenannten “Zoombombern” angegriffen, die fremde Videokonferenzen kapern und dort teilweise kinderpornografisches Material hinterlassen. “Vice” ist dem Thema nachgegangen: “Unsere Recherchen zeigen, wie Trolle die technischen Schwächen von Zoom ausnutzen, um massenhaft ungeschützte Videokonferenzen zu attackieren. In versteckten Foren feiern Hunderte von ihnen ihre Erfolge. Einige radikalisieren sich dabei in rechtsextremen Chat-Kanälen.”

5. @rezomusik erwähnt die Ethikstandards im #Pressekodex …
(twitter.com/PresseratDE)
Der Deutsche Presserat twitterte in einer Antwort auf das jüngste medienkritische Video des Youtubers Rezo: “@rezomusik erwähnt die Ethikstandards im #Pressekodex und Verstöße dagegen. Zur Wahrheit gehört auch, dass der überwiegende Teil der Berichte in Zeitungen u. Zeitschriften presseethisch einwandfrei ist: Von 2175 Beschwerden waren 2019 nur 233 begründet.” Medienkritiker Stefan Niggemeier entgegnete darauf mit einiger Berechtigung: “Hurra! Die Mehrheit der Berichte in Zeitungen und Zeitschriften ist presseethisch einwandfrei. (Im Ernst: Wie niedrig will man die Latte denn legen?)”
Weiterer Lesehinweis: Hier gibt es eine Übersicht zur Presserat-Statistik für 2019.
Weiterer Gucktipp: Markus Beckedahl von netzpolitik.org hatte sich bei der virtuellen re:publica mit Rezo zum Videogespräch getroffen. Im ersten Teil (Mitte Mai veröffentlicht) geht es unter anderem um Rezos Selbstverständnis als Künstler und seine Motivation, im zweiten Teil (gestern veröffentlicht) vor allem um netzpolitische Themen.

6. #Blackouttuesday: Das Social Web setzt ein Zeichen gegen Rassismus
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Wer am gestrigen Dienstag durch Instagram scrollte, sah viele schwarze Bildtafeln mit dem Hashtag #Blackouttuesday. Viele Nutzer und Nutzerinnen wollten anlässlich der Geschehnisse in den USA ein Zeichen gegen Rassismus setzen und verzichteten auf das Veröffentlichen der üblichen Bilder und Selfies. An der Aktion beteiligten sich auch einige Weltstars der Popmusik – von Ariana Grande über Rihanna bis zu Taylor Swift.

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