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Neoliberal-Battle, Kopp-Kongress, Böhmermann-Verlautbarung

1. Oskars Rage
(taz.de, Georg Löwisch)
Oskar Lafontaine hat auf Facebook geschimpft, die “taz” gehöre zu einer „neoliberalen Kampfpresse“. Er hatte sich über einen “taz”-Artikel geärgert, in dem es um das Doppel-Interview der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Sahra Wagenknecht und der AfD-Chefin Frauke Petry ging. Das kann und will Chefredakteur Georg Löwisch nicht auf sich sitzen lassen und antwortet in einem Kommentar: “Den taz-Artikel, den Lafontaine als Ergebnis neoliberaler Kampfpresse schmäht, hat ausgerechnet Ulrike Herrmann geschrieben: unsere wirtschaftspolitische Korrespondentin, die kundig wie keine andere im Land neoliberale Politik auseinandernimmt. Bizarr, ausgerechnet diese Korrespondentin greift er an. Es ist ein Detail, aber es gehört zur Tragik dieses Mannes, der einmal die Courage selbst war und dem nun nur noch die Rage geblieben ist.”

2. Nicolaus Fest zieht es zur AfD
(tagesspiegel.de, Fabian Leber)
Die Berliner AfD freut sich über einen prominenten Neuzugang. Dabei soll es sich um den Ex-Springer-Journalisten Nicolaus Fest handeln. Fest war ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der “Bild am Sonntag” und Sohn des früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest. Ende 2014 hatte er auf eigenen Wunsch die “Bild am Sonntag” verlassen. Dem vorausgegangen war ein islamkritischer Beitrag von Fest, der viel Kritik und eine Rüge des Presserats auslöste. “BamS”-Chefredakteurin Marion Horn und “Bild”-Chefredakteur und “BamS”-Herausgeber Kai Diekmann hatten sich danach von dem Kommentar distanziert und auf mehreren Seiten eine Entschuldigung abgedruckt.

3. Wenn die Grossen bei den Kleinen klauen
(presseverein.ch, Janosch Tröhler)
Dem Online-Magazin “Negative White” ist zum wiederholten Male ein Foto gemopst und ohne Erlaubnis veröffentlicht worden. Übeltäter soll “20min.ch” gewesen sein, das größte Newsportal der Schweiz. Entsprechend sauer und frustriert fällt die Reaktion der beklauten Seite aus: “Wir könnten theoretisch mal eine dieser Abmahn-Agenturen für Nachforschungen anfragen. Doch – wie gesagt – arbeiten alle bei Negative White auf freiwilliger Basis. Wir verdienen etwas an Werbung und Partnerschaften, aber davon gibt’s knapp ein kühles Blondes, nachdem wir alle Rechnungen bezahlt haben. Und das ist es, was mich an der Sache so wütend macht. Die Leute bei Negative White arbeiten aus Leidenschaft, opfern ihre Freizeit und nehmen sogar Ferien, um der Leserschaft etwas bieten zu können. Eine unerlaubte Verwendung ihrer Arbeit ist nicht nur illegal, sondern man spuckt ihnen geradezu vor die Füße.”

4. Der kleine Mann beim Kongress des Kopp-Verlags
(ndr.de, Jakob Leube & Tobias Döll)
Am Wochenende fand in Stuttgart der Kopp-Kongress statt. Pressevertreter waren bei der Versammlung der Lügenpresse-Ankläger und Verschwörungstheoretiker nicht zugelassen. “Extra 3” hat dennoch einen Reporter entsandt, der zumindest einige der am Einlass wartenden Besucher befragen konnte, was faul im Staate ist. Ohne zu viel spoilern zu wollen: Genannt wurden die Rothschilds, die Illuminati, Obama und Marionetten…
Wer umfangreichere Kongressberichte lesen will: Moritz Tschermak war für “Übermedien” vor Ort, Anja Rützel für den “Spiegel” (Bezahllinks). Beiden sei von dieser Stelle aus gute Genesung gewünscht!

5. Can Dündar will Medienprojekt in Deutschland starten
(persoenlich.com)
Der im Exil lebende Ex-Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung “Cumhuriyet”, Can Dündar, will in Berlin ein neues Medienprojekt starten. Er wird mit den Worten zitiert: “Ich möchte hier das tun, was wir in der Türkei mit gefesselten Händen und Füssen zu machen versucht haben.”

6. Böhmermann-Affäre: Persönliche Stellungnahme von Jan Böhmermann zur Sache.
(youtube.com, Jan Böhmermann, Video: 7:09 Min.)
Jan Böhmermann gibt eine persönliche Stellungnahme zur Einstellung des Schmähgedicht-Verfahrens ab. Böhmermann steht, wie er sagt, zu 100 Prozent zum ZDF und leitet dann zum Inhaltlichen über: “Im Vergleich zu dem, was kritische Journalisten, Satiriker oder Oppositionelle damals und auch jetzt gerade durchmachen, ist dieses ganze Theater um die “Böhmermann-Affäre” schon wieder ein guter, trauriger Witz für sich, der sich leider völlig außerhalb meiner professionellen Qualitätskontrolle befindet.”

Erdogan, Putin, Lierhaus

1. Türkische Regierung schließt Fernsehsender
(tagesschau.de)
Die türkische Regierung hat den Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert und verfolgt weiterhin ihr unbequem erscheinende kritische Medien und Journalisten. Nun stürmten Polizisten in Istanbul die Redaktion des prokurdischen Senders “İMC TV” und stoppten den Betrieb. Als Grund sei der Verdacht der Verbindung zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK genannt worden. Die Journalisten sollen vor Abschaltung des Senders noch “Ihr werdet niemals die freie Presse zum Schweigen bringen” gerufen haben.

2. „What’s the story?“ – NPR-Moderatorin Kelly McEvers über einen guten Podcast
(blogs.deutschlandradio.de, Boris Bittner)
Beim “MIZ Radio Innovation Day 2016” in Potsdam gab es prominenten Besuch: Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin Kelly McEvers erzählte, was eine gute Sendung ausmacht. Boris Bittner vom Deutschlandradio hat die wichtigsten Erkenntnisse ihres Vortrags zusammengefasst.

3. Moskau muss ukrainischen Journalisten freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der Frankreich-Korrespondent der ukrainischen Nachrichtenagentur “Ukrinform” Roman Suschtschenko ist während eines privaten Aufenthalts in Russland festgenommen worden. Er wurde im Schnellverfahren wegen angeblicher Spionage zu zwei Monaten Untersuchungshaft im Moskauer Lefortowo-Gefängnis verurteilt. Der Journalist durfte bisher nicht mit seinem Anwalt sprechen. “Reporter ohne Grenzen” fordert die russischen Behörden auf, Suschtschenko unverzüglich freizulassen.

4. “Frontal21”-Doku Dienstag um 21 Uhr zu “Putins geheimes Netzwerk”: Wie Russland den Westen spalten will
(kress.de, Bülend Ürük)
Gestern lief im “ZDF” die “Frontal21”-Doku “Putins geheimes Netzwerk – Wie Russland den Westen spaltet”. Im Gespräch mit “kress.de” erklärt einer der Doku-Autoren, wie russische Internet-Trolle in Deutschland und Europa Meinung machen und Angst schüren. Hintergrund der Sendung ist ein Leak von 10.000 Nachrichten aus dem E-Mail-Account der Informationsministerin in Donezk: “Bei der Auswertung der E-Mails ist klar erkennbar geworden, dass die Administration der Separatisten weisungsabhängig von den russischen Beratern ist. Aus dem Kommunikationsverlauf lässt sich entnehmen, dass sie gemeinsame Projekte von Geheimdienst, Rebellenarmee und lokalen Medien organisieren.”

5. Ethik-Untersuchung und neuer Kodex für die PR-Branche in Österreich
(netzwerk-medienethik.de, Alexander Filipovic)
Der österreichische PR-Ethik-Rat hat in einer Studie die ethischen Probleme der Kommunikationsbranche herausgearbeitet. Dazu hat man 16 PR-PraktikerInnen in sogenannten Tiefeninterviews befragt sowie im Vorfeld Gespräche mit ExpertInnen aus Medienethik und Branche geführt. Die Studie „Ethik im Alltag. Qualitative Befragung und Analyse über ethische Herausforderungen, Dilemmata und Probleme österreichischer PR PraktikerInnen“ (Gabriele Faber-Wiener, Sabine Einwiller) sowie der „Kodex des Österreichischen Ethik-Rats für Public Relations ‚Ethik in der Digitalen Kommunikation‘“ sind verlinkt und herunterladbar.

6. RTL führt Monica Lierhaus als bloßes Opfer vor
(welt.de, Antje Hildebrandt)
Sieben Jahre ist es her, dass bei Sportmoderatorin Monica Lierhaus während eines Routineeingriffs ein Aneurysma im Gehirn platzte. Nach vier Monaten im Koma erwachte Lierhaus als Pflegefall und musste alles wieder neu lernen. Nun hat RTL eine Doku über Lierhaus gedreht, in der sie regelrecht vorgeführt wurde, wie Antje Hildebrandt in der “Welt” schreibt: “Man kann Monica Lierhaus nur wünschen, dass dies der letzte Rückschlag auf ihrem Weg zurück ins Leben war. RTL „Exclusiv“ ist zwar ein Starmagazin und nicht das Magazin der Aktion Mensch. Und Frauke Ludowig ist eine abgebrühte Quotenjägerin und nicht Mutter Teresa. Aber gibt das dem Fernsehen das Recht, eine schwerbehinderte Heldin als Opfer zu verkaufen?”

Transparenzwahn, Nichtstun, Seriendesaster

1. «Als Journalist muss ich sagen: Das ist faszinierend!»
(schweizamsonntag.ch, Yannick Nock & Christof Moser)
Alan Rusbridger war von 1995 bis 2015 Chefredakteur der renommierten britischen Tageszeitung “The Guardian”. Im Interview wird er mit unangenehmen Fragen zu Gegenwart und Zukunft konfrontiert: Der “Guardian” habe heute weltweit 100 Millionen Online-Nutzer und trotzdem kein funktionierendes Geschäftsmodell. Im vergangenen Jahr seien 60 Millionen Euro Verlust aufgelaufen, mehr als 200 Stellen sollen gestrichen werden. In den Antworten schimmert viel Rat- und Hilflosigkeit durch. Eine Chance auf Monetarisierung sieht er im Mix: “Zum Beispiel auf ein Publikum setzen, das sich als Mitglied einer Community zahlungsbereit zeigt. Oder Native Advertising als Einnahmequelle. Vielleicht setzt sich auch stiftungsfinanzierter Journalismus durch. Oder Live-Events, um Erlöse zu generieren. Wahrscheinlich ist, dass eine Vielzahl von Einnahmequellen den Journalismus finanzieren muss.”

2. Transparenz ohne Wert
(medienwoche.ch, Lothar Struck)
Recherche als Selbstzweck und ohne Erkenntnisgewinn, nennt Lothar Struck die Offenlegung des Pseudonyms der italienischen Bestsellerautorin Elena Ferrante. Der betreffende Journalist hätte das Pseudonym und die dahinterstehende Person respektieren müssen. Alles andere seien Ausreden: “In Wirklichkeit dürfte es ihm weder um die Literatur Ferrantes noch um das Informationsbedürfnis eines Publikums gegangen sein. Die Aktion dient einzig dazu, seinen Ruhm zu steigern. Das Recht auf Anonymität, auf Privatsphäre, das ansonsten jedem Verbrecher zugestanden wird, wird eigenmächtig und nonchalant eines pervertierten Transparenzwahns wegen außer Kraft gesetzt.”

3. «Ich weiss nicht, was ich wäre, wenn ich nicht Geschichte studiert hätte.»
(etue.ch, Valentin Rubin & Lisa Gnirss)
Monika Bolliger arbeitet von Beirut aus als Nahostkorrespondentin für die “NZZ”. Im Interview mit der HistorikerInnen-Zeitschrift “etü” erzählte sie vom Umgang mit Gefahr in Gaza und Syrien, von Journalismus mit schwieriger Quellenlage und von ihrem Geschichtsstudium an der Universität Zürich.

4. Die Tagesschau ist nicht das Problem
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz spöttelt über die mittlerweile vorliegende Entscheidung zum Streit um die Tagesschau-App: “Man könnte auch darüber sinnieren, wie lebensecht ein Urteil über ein Digital-Angebot ist, das ein Gericht auf der Basis seiner ausgedruckten (!) Version erlässt. Ebenso könnte man sich lange darüber auslassen, wie realitätsnah ein Urteil ist, das ernsthaft definieren will, was im hypermedialen Netz als „Presse“ zu bezeichnen wäre.” Doch der Streit um die Tagesschau-App lenke nur von den eigentlichen Problemen ab. Und die liegen nach Jakubetz unter anderem darin, dass die analoge Generation nicht loslasse und es der Branche alles in allem immer noch zu gut ginge. (Für einen Kommentar zum Urteil siehe auch Hans Hoffs Beitrag Wie sich die Tagesschau-App verändern muss in der “SZ”)

5. Die Hassmaschine
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
Für Jan Fleischhauer ist ein Besuch bei Facebook wie ein Gang durchs Strafgesetzbuch. Beleidigung, Nötigung, Verherrlichung des Nationalsozialismus, Leugnung des Holocaust, Volksverhetzung. Alles sei möglich! Fleischhauer geht in seiner Kolumne der Frage nach, warum Facebook nicht stärker eingreife und kommt zum Schluss: “Es tut nicht mehr, weil sich das Nichtstun auszahlt. Kompetente Leute einzustellen, kostet Geld. Die Beamten, mit denen ich im Justizministerium in Berlin gesprochen habe, gehen davon aus, dass in der Europazentrale des Unternehmens in Dublin nicht mehr als eine Handvoll Mitarbeiter so gut deutsch sprechen, dass sie eine Verleumdung von einem Witz unterscheiden können. Außerdem hält die Leute nichts so verlässlich bei der Stange wie Wut. Für einen Konzern, der davon lebt, dass die Menschen möglichst viel Zeit auf seinen Seiten verbringen, kann es nichts Besseres geben.”

6. Amazon kann alles – sogar große Flops
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath hat sich die seit Freitag verfügbare Amazon-Produktion „Crisis in Six Scenes“ angeschaut und ist einigermaßen entsetzt. Die Episodenreihe würde wie ein gestreckter, zerstückelter und noch dazu schlechter Woody-Allen-Film wirken. Doch Lückerath kann dem Seriendesaster auch Gutes abgewinnen: “Ein so prominenter Flop für Amazon tut gut – selbst Amazon. Es ist das Ventil für den ins Unermessliche gestiegenen Erwartungsdruck. Gut ist dieser Flop aber auch für jene, die den neuen SVoD-Anbietern eine grundsätzliche Überlegenheit bescheinigen sowie denen, die der Meinung waren: Wer Film für die große Leinwand kann, schafft Fernsehen doch mal eben mit links. Woody Allen weiß nun, dass dem nicht so ist. In so vielerlei Hinsicht ist „Crisis in Six Scenes“ also gar nicht so schlecht. Nur gucken braucht man es deshalb noch lange nicht.”

Was für eine Katastrophe

Puh, noch mal Glück gehabt:

Drohnen kommen Flugzeugen immer häufiger gefährlich nahe. Nun ist es beinahe zu einer Kollision über der Nürnberger Burg gekommen.

Bei Facebook und Twitter klang das alles noch etwas dramatischer — dort schrieben die “Nürnberger Nachrichten” gestern von einer “Katastrophe”, die es am 3. September “fast” gegeben hätte:


Im verlinkten Text steht:

Am 3. September kam ein ferngesteuertes Flugobjekt in 1300 Metern Höhe gleich bei der Nürnberger Kaiserburg einem Kleinflugzeug bedrohlich nahe. Der Fall endete glimpflich: Der Pilot konnte abdrehen und meldete den Vorfall der Deutschen Flugsicherung. Die Polizei leitete Ermittlungen ein, konnte den Betreiber aber nicht identifizieren.

Passiert ist diesmal nichts, doch schon öfter wäre es beinahe zu Katastrophen gekommen.

Also mal bei der “Deutschen Flugsicherung” nachgefragt. Ja, die Meldung aus Nürnberg habe es gegeben. Das müsse aber nichts bedeuten, schließlich ermittle man nach einer solchen Meldung nicht, welche Gefahr von einer Situation ausgeht.

Anruf beim Polizeipräsidium Mittelfranken. Ja, am 3. September sei eine Meldung über eine Drohne eigegangen. Der Pilot einer kleinen Maschine, vermutlich eines Sportflugzeugs, sei am Nürnberger Flughafen gestartet und habe eine Drohne westlich der Burg in ungewöhnlicher Höhe gesehen. Das habe er sicherheitshalber dem Tower gemeldet, als ungewöhnliche Beobachtung. Zwischen Flughafen und Burg lägen etwas über vier Kilometer, “bedrohlich nahe” seien sich Drohne und Flugzeug also wahrlich nicht gekommen. Zu keinem Zeitpunkt habe es irgendeine Gefährdung gegeben. Von einer möglichen Katastrophe könne man nun wirklich nicht sprechen. Das habe man vor einigen Tagen so auch einem Journalisten der “Nürnberger Nachrichten” auf dessen Nachfrage mitgeteilt.

Mit Dank an Roland B. für den Hinweis!

Funk-Echo, Oettinger, Podcasts

1. Kleines Medien-Echo zu “Funk”, dem neuen Jugendprogramm von ARD & ZDF
(Links in der folgenden Zusammenfassung)
Am Samstag, dem 1. Oktober startet “Funk”, das junge Digitalangebot von ARD und ZDF, das mit Webvideos die 14- bis 29-jährigen Zuschauer zurückgewinnen will.
Christian Meier fragt in der “Welt”, ob so die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen aussehe. Meier hat mit den “Funk”-Machern gesprochen, erzählt die Geschichte hinter der Idee und bilanziert zum Schluss: “Der Beweis steht noch aus, dass es einen tatsächlichen Bedarf an öffentlich-rechtlichen Web-Videos gibt. Was aber den Ansatz angeht, die Inhalte freizugeben, statt in ein Senderkorsett zu zwängen – das ist schon radikal. Aber es ist auch klar, dass ARD und ZDF dieses nur auf einer Spielwiese zulassen und ansonsten weiter daran arbeiten, ihre Beitragsmilliarden in den permanenten Ausbau des Status quo zu investieren.”
“Zeit”-Autorin Jana Gioia Baurmann hat “Funk” einen Brief geschrieben: “Dass es Dich gibt, ist schon sinnvoll, aber die erste Zeit, sorry, dass ich das so sage, wird nicht einfach werden für Dich. Weil Du diesen Spagat hinbekommen musst. Und auch wenn Helikoptereltern nerven können: Ich hoffe, dass ARD und ZDF – trotz YouTube-Hype – nicht vergessen, was ihr Auftrag ist.”
Stefan Niggemeier war für “Übermedien” bei der Programmvorstellung in Berlin zugegen und sieht allerhand auf uns zukommen, was Anlass zu Kritik geben wird, aber eben auch die Chancen: “Doch bei der Vorstellung lag, dank der entsprechend euphorisierten „Creators“, ein Gefühl im Raum, dass ARD und ZDF hier etwas möglich machen, das es sonst nicht geben würde. Und wenn es gelingt, dass sich der unübersehbare Spaß der Macher an der Arbeit in Relevanz und Kreativität übersetzt, hat „Funk“ vieles richtig gemacht.”
Und bei “Broadmark” gibt es schließlich ein Interview mit Florian Hager, dem “Funk”-Programmgeschäftsführer.

2. Leistungsschutzrecht: Günther Oettinger twittert sich um Kopf und Kragen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Gestern twitterte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger allerhand zum Thema Leistungsschutzrecht für Verleger, und viele Mitleser wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. Vor kurzem war Oettinger noch mit seiner Forderung aufgefallen, kritische Journalisten auf Linie zu bringen, nun twitterte er sich mit allerlei schiefen Vergleichen und kruden Argumenten regelrecht um Kopf und Kragen. Markus Reuter von “Netzpolitik.org” hat die Causa aufbereitet und kommentiert die Argumentationslinien des Kommissars.

3. kontertext: Marktschreier
(infosperber.ch, Heinrich Vogler)
Heinrich Vogler greift einen Essay des Schweizer Kabarettisten und Satirikers Andreas Thiel in der “NZZ” auf, in der dieser das Hohe Lied des Marktliberalismus predige. Vogler kritisiert: “Der Autor ernennt sich selbst zum Freiheitshelden. Indem er sich der Freiheit an die Brust wirft. Er assortiert Versatzstücke aus der Mottenkiste des Marktliberalismus. Und gibt sich der gängigen reinen Lehre hin, wonach jeder ausschliesslich seines eigenen Glückes Schmied ist, als hätte es nie so etwas wie die Soziale Marktwirtschaft gegeben.”

4. Eine Kampfansage
(fr-online.de, Peter Rutkowski)
Peter Rutkowski, Politik-Redakteur der “Frankfurter Rundschau”, fordert zum Abschluss der FR-Serie “Die Mythen der Rechten” mehr Selbstkritik der Medien und mehr persönlichen Einsatz und Haltung der Journalisten: “Die „vierte Gewalt“ der Demokratie bietet zu wenig Antworten auf die brennenden Fragen der Zeit an. Manche Journalisten haben ihren moralischen Kompass eingetauscht gegen privates Glück und clevere Pensionspläne. Nichts gegen Familie und einen gesicherten Lebensabend, aber zum Journalismus sollte man aus einem Drang nach Aufklärung streben, gemäß dem nachkriegsdeutschen Medienmythos. Nicht, weil man „irgendwas mit Medien machen“ will. Auch nicht, weil es „die Hölle ist, aber immer noch besser als Arbeiten“.”

5. Podcasts als Frischzellenkur für Audio
(radioszene.de, Bernt von zur Mühlen)
Podcasts werden immer beliebter, sowohl in den USA als auch hier in Europa. Bernt von zur Mühlen schreibt fachkundig und unter Hinzuziehung von Beispielen und Zahlen über Entwicklung und aktuellen Stand des Mediums: “Jahrzehntelang schien es so, dass in der Audiowelt Musik das Primat hatte. Und Radio dazu verdammt war, ein Begleitmedium zu werden. Also nur für Musik taugte. Das dreht sich jetzt. Weil das Hören on-demand, das Storytelling, die Personality, die Show, das Hintergründige wieder nach vorne holt. Die Omnipräsenz von Smartphones als Ausspielgeräte, die Verbreitung über Social Media hat den Podcast vollständig mobil gemacht.”

6. „Zeit“-Unterschiede in der Flüchtlingsfrage
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon fragt sich in ihrer neuesten Kolumne, wie grün sich “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo und sein Vize Bernd Ulrich noch seien. Anlass sind die widerstreitenden Positionen der prominenten “Zeit”-Macher in der Flüchtlingsdebatte.

Informationsunfreiheit, Oettinger, Hugh Grant

1. Zehn Jahre Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene – Zeit für eine Weiterentwicklung.
(netzwerkrecherche.org, Manfred Redelfs)
Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundesebene bleibt viel zu tun, so Manfred Redelfs vom “Netzwerk Recherche”. Von Anfang an habe es sich um ein eher ungeliebtes Kompromissgesetz gehandelt, mit vielen Ausnahmeklauseln, langen Antwortfristen und Kostenrisiken. Ein Fazit der letzten zehn Jahre liefere die Analyse des Gesetzes, die von der Otto-Brenner-Stiftung zusammen mit der Initiative „Frag den Staat“ durchgeführt wurde. Und auch andere Erfahrungsberichte würden belegen, wie mühsam es für Journalisten immer noch ist, vom Staat Informationen zu erhalten.

2. Aleppo: Sind die Youtube-Filme aus dem Kriegsgebiet authentisch?
(blog.tagesschau.de, Christoph Tanneberger)
Im Blog der “Tagesschau” zeigt Christoph Tanneberger wie aufwändig die Verifikation von Videomaterial sein kann, besonders wenn es aus schwer zugänglichen Kriegs- und Krisengebieten kommt, wie in diesem Fall dem syrischen Aleppo.

3. Oettinger: Verleger sollen kritische Journalisten auf Linie bringen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
EU-Kommissar Günther Oettinger, in der Kommission unter anderem für digitale Wirtschaft zuständig, sprach am Montag auf dem Zeitungskongress vor den deutschen Verlegern. Ziemlich unverblümt forderte er sie auf, ihre Macht zu nutzen (bzw. zu missbrauchen), öffentlich Stimmung für ein Gesetz in eigener Sache zu machen: das sogenannte Leistungsschutzrecht. Stefan Niggemeier kommentiert den Vorgang auf “Übermedien” und kommt zum Schluss: “Oettinger will, dass die Verleger ihre Redaktionen auf Linie bringen, und dass er behauptet, es gehe selbstverständlich nicht darum, die „Redaktionsfreiheit“ einzuschränken, oder „Zensur“ zu betreiben, zeigt nur, dass er genau weiß, dass er hier gegen innere Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in den Redaktionen argumentiert und Propaganda statt Journalismus fordert.”

4. Nach Anschlägen in Dresden: Droht Sachsen der linke Terror?
(patrick-gensing.info)
Patrick Gensing schreibt über die Legende vom linken Terror in Sachsen: Nach den Anschlägen in Dresden hätte nach Angaben des sächsischen Innenministers Markus Ulbig ein Bekennerschreiben vorgelegen, veröffentlicht auf der Internetseite “linksunten.indymedia.org”. Wer sich in dem Schreiben bekannt haben soll, hätte der Minister im ZDF nicht gesagt. Er hätte auch nicht erwähnte, dass die angeblichen Urheber das Schreiben bereits als Fälschung bezeichnet hatten. Nun mache die Nachricht die Runde, die Anschläge könnten von Linksradikalen verübt worden sein.

5. „vorwärts“ und nicht vergessen?
(carta.info, Klaus Vater)
Am 1. Oktober wird der “vorwärts” 140 Jahre alt. Der Politologe, Journalist und ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Klaus Vater hat sich das “Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands” (Untertitel der Erstausgabe vom 1.10.1876) angeschaut und lässt die letzten Jahrzehnte Revue passieren.

6. Ich mach seit 20 Jahren Interviews. Keins war so ein Desaster wie das mit Hugh Grant
(watson.ch, Simone Meier)
Simone Meier hat sich ihr Interview mit dem englischen Schauspieler Hugh Grant so schön ausgemalt, doch dann kommt alles anders.

Recherchieren? “An einem Sonntag ein bissl schwierig”

Auf der Facebookseite des Wiener Nachtclubs “Grelle Forelle” ist gerade ordentlich Rambazamba. Grund dafür ist ein Artikel des Gratis-Boulevardblatts “Heute” aus Österreich:

Der Text hat bei den Betreibern des “Grelle Forelle” für ziemlichen Unmut gesorgt. Denn irgendwie schien da so einiges nicht zu stimmen:


Dieser Facebook-Post verbreitete sich in den vergangen Stunden irre schnell — aktuell über 9400 Likes, mehr als 2400 Mal geteilt, über 350 Kommentare. Da konnte auch die “Heute”-Redaktion nicht anders als zu reagieren:

Und die Reaktion des “Grelle Forelle”-Teams darauf:

Weil der Fall etwas komplizierter ist, und in den Sozialen Netzwerken einiges zum Thema durcheinandergebracht wird, mal der Reihe nach: Völlig falsch dürfte der “Heute”-Artikel nicht sein. Es gab in der Nacht von Freitag auf Samstag tatsächlich einen Diebstahl im Backstage-Bereich eines Wiener Clubs. Und auch die Adresse stimmt. Nur sitzt dort nicht nur die “Grelle Forelle”, sondern auch “Das Werk”. Und dort war eben dieser Vorfall. In der “Grelle Forelle” kann es tatsächlich nicht gewesen sein, weil dort erst am kommenden Samstag nach mehrwöchiger Pause das Programm wieder startet.

Es gibt da aber noch weitere Probleme beim “Heute”-Artikel. Zum Beispiel das Foto der Sängerin Alison Lewis. Das zeigt tatsächlich eine Frau, die Alison Lewis heißt und mit ihrer Band “String of Ponies” auch tatsächlich Musik macht. Doch das ist nicht die Australierin Alison Lewis, die am vergangenen Wochenende in Wien aufgetreten ist, sondern irgendeine US-Sängerin aus Detroit, Michigan. Die richtige Alison Lewis hat sich bei Facebook inzwischen zu Wort gemeldet. Sie betreibt dort ein Profil unter ihrem Künstlernamen “Zanias” und schreibt unter anderem:

I was indeed robbed on Friday night in Vienna. While I was on stage someone snuck into the backstage, went through my bag and took my phone and wallet. However…
– As anyone reading what I post on this page probably knows, that photo is not of me.
– The club was Das Werk not Grelle Forelle.
– My wallet contained no Australian notes, no cash at all.

Womit wir schon beim nächsten Problem des “Heute”-Artikels sind: Der australische Fünf-Dollar-Schein, durch den der Dieb aufgeflogen sein soll. Aus Alison Lewis’ Portemonnaie konnte er ihn jedenfalls nicht haben, weil die Sängerin, wie sie selbst schreibt, gar kein Geld dabeihatte — und erst recht kein australisches, schließlich lebt sie in Berlin. In einer Polizeimeldung ist allerdings auch von diesem Fünf-Dollar-Schein aus Australien die Rede.

Dann ist da noch die Uhrzeit, zu der der Dieb zugeschlagen haben soll. “Heute” gibt sie mit “gegen 5 Uhr Früh” an. Da stand Alison Lewis beziehungsweise “Zanias” aber gar nicht auf der Bühne, sondern zwischen 2 und 3 Uhr. Der “Das Werk”-Betreiber bestätigte uns auf Nachfrage, dass der Diebstahl zu dieser Uhrzeit stattgefunden haben muss.

In den Kommentaren unter dem Facebook-Post des “Grelle Forelle”-Teams wird noch ein weiterer Aspekt des Artikels heftig kritisiert: die Nennung der Nationalität des Diebes. Der Vorwurf ist in diesem Fall nicht, dass die Information falsch ist, sondern dass sie überhaupt im Artikel steht. Auch aus unserer Sicht macht es keinen Sinn, das Herkunftsland eines Handy-Diebes in einem Nachtclub zu nennen. Die beklaute Alison Lewis schreibt ebenfalls: “Why the fuck is his nationality even relevant to the story?” In der Polizei-Meldung ist von der Nationalität nichts zu lesen. Der Vorwurf vieler Kommentatoren lautet, dass “Heute” hier nur gegen Ausländer hetzen will.

Eine Frau in der Kommentarspalte gibt sich übrigens als Autorin des Artikels aus, und in ihrem Facebook-Profil steht tatsächlich “Heute” als Arbeitgeber — gut möglich also, dass ihre Angabe stimmt. Sie entschuldigt sich bei den Mitarbeiter der “Grelle Forelle” und versichert, dass sie sich die Geschichte nicht ausgedacht hat. Auf die Nachfrage, warum sie denn nicht wenigstens etwas recherchiert und mal bei der “Grelle Forelle” angerufen hat, antwortet sie:

An einem Sonntag ein bissl schwierig…

Mit Dank an Sander und @KaiOliverKraft für die Hinweise!

“Wir helfen” – beim rechten Verwirrspiel

Anfang des Monats, am 5. September, feierten die “Bild”-Redaktionen ein Jubiläum: “Ein Jahr ‘Wir helfen'”. Was als Reaktion auf die positive Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den ankommenden Geflüchteten im Spätsommer 2015 begann und schnell zur “Bild”Werbekampagne mit prominenter Unterstützung aus Showbusiness, Politik und Fußballbundesliga wurde, fand nach einigen Monaten überhaupt nicht mehr statt. Die “Wir helfen”-Badges verschwanden aus den Twitter-Profilbildern der “Bild”-Mitarbeiter, der Ton in der Berichterstattung über Geflüchtete und Asylbewerber und Migranten wurde wieder rauer.

Heute kann man gut sehen, dass “Bild” zu alten Mustern zurückgekehrt ist. Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe steht es riesengroß:

Der Artikel von Zahlenverdreher Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach basiert auf Daten der Bundesregierung, die damit auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet hatte. Zusammengefasst sagt der Artikel: In Deutschland leben — Stand Ende Juni 2016 — 549.209 abgelehnte Asylbewerber. 406.065 davon sind seit mehr als sechs Jahren hier. Von den knapp 549.209 abgelehnten Asylbewerbern haben 46,6 Prozent ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Von diesen Zahlen unabhängig leben 168.212 Ausländer mit einer Duldung in Deutschland. Die Gründe dafür, dass sie nicht abgeschoben werden, sind sehr unterschiedlich: Manche haben keinen Pass (37.020), bei anderen ist die Situation im Heimatland zu unsicher (10.620), wieder andere können nicht ausreisen, weil hier gegen sie aktuell ein Strafverfahren läuft (440).

Schaut man sich die 60-seitige Antwort der Bundesregierung (PDF) mal genauer an, wird einem recht schnell klar, dass eine differenzierte Betrachtung der Zahlen zwingend nötig ist, um dem Thema gerecht zu werden. Denn hinter den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern stecken Hunderttausende persönliche Schicksale und Geschichten, die völlig unterschiedlich sind. Das schafft der “Bild”-Artikel in weiten Teilen nicht.

Ein Beispiel: Zu den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern zählt die Statistik auch 12.727 Polen. Die haben ihre Asylanträge natürlich nicht vor ein paar Monaten gestellt, sondern zu einer Zeit, in der Polen noch kein Mitglied der Europäischen Union war. Heute können diese 12.727 Menschen als EU-Bürger völlig legal hier leben. Ihr abgelehnter Asylantrag von damals hat heute keine Relevanz mehr, an eine Abschiebung ist nicht zu denken. Über diese Fälle verliert der “Bild”-Artikel kein Wort.

Ein anderes Beispiel: Ein großer Teil der 549.209 abgelehnten Asylbewerber lebt nicht nur seit “mehr als 6 Jahren” in Deutschland, wie “Bild” schreibt, sondern teilweise seit Jahrzehnten. Ihre Asylanträge stammen mitunter aus den 1980er-Jahren (4150). 170.166 von ihnen haben ihren Asylantrag noch im vergangenen Jahrtausend gestellt. Sie leben also schon über 16 Jahre in Deutschland. Auch darauf gehen die “Bild”-Autoren nicht detailliert ein.

Der “Bild”-Text erwähnt zwar die 46,6 Prozent abgelehnter Asylbewerber, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen. Was er aber nicht erwähnt: Daneben gibt es auch noch 34,8 Prozent mit einem befristeten Aufenthaltsrecht. Das heißt: 81,4 Prozent beziehungsweise 447.056 der 549.209 in Deutschland lebenden abgelehnten Asylbewerber haben ein Bleiberecht. Sie halten sich völlig legal in Deutschland auf und können rein rechtlich nicht abgeschoben werden. Unter den restlichen 102.153 abgelehnten Asylbewerbern (18,6 Prozent) gibt es einige mit einer Duldung, weil sie sich mitten in einer Ausbildung befinden oder krank sind oder einen Angehörigen pflegen und so weiter. Auch sie können aufgrund ihrer derzeitigen Situation nicht abgeschoben werden. Und so bleiben nicht mehr viele abgelehnte Asylbewerber übrig, die derzeit als “ausreisepflichtig” gelten. In der Statistik der Bundesregierung ist von 52.870 “ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung” die Rede, allerdings müssen nicht alle von ihnen abgelehnte Asylbewerber sein. Trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl schreibt “Bild” vom “Neuen Irrsinn bei der Abschiebung”.

Was an dem “Irrsinn” so richtig “neu” sein soll, ist ebenfalls nicht ganz klar. Die Linksfraktion stellt ihre Kleine Anfrage jedes Jahr aufs Neue an die Bundesregierung. Vergangenes Jahr — Stand Ende Juni 2015, also vor der großen Zuwanderung durch Geflüchtete — lebten 538.057 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland (PDF). Das sind gerade mal 11.152 weniger als 2016.

Dass die Abschiebungen aus Deutschland in den vergangenen Jahren stetig angestiegen sind, erwähnen Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach nicht. 2012 waren es knapp 8000 Menschen, die abgeschoben wurden, 2013 knapp 10.000, 2014 knapp 11.000, 2015 knapp 21.000. “Bild” nennt lediglich die Zahl aus diesem Jahr — ohne Vergleichswerte, dafür im Zusammenhang mit den abgelehnten Asylbewerbern:

Exakt 13 134 Ausländer haben die deutschten Behörden von Januar bis Ende Juli abgeschoben. Aber Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin in Deutschland!

Die “Bild”-Titelgeschichte drehte heute eine ordentliche Runde in der deutschen Medienlandschaft. Eine ganze Reihe von Redaktionen griffen die Geschichte auf …


(faz.net)

(“Focus Online”)

(“RP Online”)

… wohl auch, weil die “dpa” und andere Agenturen früh morgens eine Meldung dazu herausgaben. Inzwischen hat die “dpa” zwei deutlich differenziertere Stücke veröffentlicht. Die meisten Redaktionen haben die erste kurze Meldung durch einen der längeren Texte ersetzt.

Und auch von Politikern und Polizeigewerkschaftern gab es Reaktionen. Zum Abschluss des “Bild”-Artikels durfte sich Redaktionsliebling Rainer Wendt, Chef der “Deutschen Polizeigewerkschaft”, äußern (“Es gibt eine regelrechte Abschiebeverhinderungsindustrie. Das muss sich dringend ändern.”). Und auch CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich durfte was sagen (“Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.”).

Im Büro der Linken-Politikerin Ulla Jelpke hat die “Bild”-Zeitung natürlich kein Statement für ihren Artikel eingeholt. Dabei ist die Bundestagsabgeordnete federführend bei der jährlichen Kleinen Anfrage der Linksfraktion, auf die sich “Bild” stützt. Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach hätten Jelpke zum Beispiel hiermit zitieren können:

Seit Jahren ist aufgrund regelmäßiger Anfragen der Linksfraktion bekannt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit welchem Status leben. Dass auch viele abgelehnte Asylsuchende gute Gründe für einen Verbleib in Deutschland haben können und später eine befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, ist deshalb nichts Neues. Zum Beispiel können humanitäre oder medizinische Abschiebungshindernisse vorliegen. Unter den Abgelehnten sind auch Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder den Irak, die aus guten Gründen nicht abgeschoben werden. Nicht wenige Ablehnungen werden durch Verwaltungsgerichte aufgehoben. Das zu skandalisieren zeigt, wie verroht und vergiftet die Asyldebatte mittlerweile geführt wird.

Wie gefährlich der unsaubere Umgang mit Zahlen in der Flüchtlings-, Asyl- und Abschiebungsdebatte durch “Bild” sein kann, zeigt die Reaktion der AfD. Bundesvorstandsmitglied Georg Pazderski schrieb mit Bezug auf den Artikel in einer Presseerklärung:

Mehr als eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin unrechtmäßig in Deutschland, die große Mehrheit davon schon seit über sechs Jahren. Viele besitzen noch nicht einmal einen Pass.

Dass das “unrechtmäßig” inhaltlich völlig falsch ist, dringt wohl kaum bis zu den johlenden AfD-Anhängern durch. “Wir helfen”, “Bild”? Ja, den Rechtspopulisten bei ihrem Verwirrspiel.

Im Innern der Zeitung titelt “Bild” übrigens:

Noch einen “fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen” dazu gedacht — und schon ist man gefährlich nah am Populismus eines Andreas Scheuer.

Verfassungsschutz, Beschlagnahme, Symbolfoto

1. kontertext: Sautreiben.
(infosperber.ch, Felix Schneider)
In der “kontertext”-Kolumne hat Felix Schneider die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern zum Anlass genommen, an die Symbiose zwischen Politik und Medien zu erinnern. Die AfD hätte mit drei Themen gepunktet: Migration, Islam, Merkel. Alle drei seien tendenziell auch Hauptthemen in den Medien. Manchmal wäre es jedoch besser zu schweigen, so Schneider: “Wir brauchen einen Journalistenpreis, der nicht geschriebene Artikel und nicht gesendete Beiträge auszeichnet. Belohnt werden müsste, wer sich an der Burka-Debatte nicht beteiligt, wer Merkel nicht anschwärzt, wer nicht von der Flüchtlingskrise spricht. Das wäre, angesichts des ökonomischen und politischen Drucks, der auf den Medien lastet, schon viel, denn im Journalismus hat sich eine Ethik des Mitmachens etabliert: Dabei sein ist alles!”

2. DIE WELT begeistert durch schlagfertige Posts im Netz
(netzpiloten.de, Jennifer Eilitz)
Die Social-Media-Redaktion der “Welt” ist für ihren gewitzten und schlagfertigen Umgang mit Trollen und Hetzkommentaren bekannt. Im Interview erklärt Niddal Salah-Eldin (Head of Social Media) wie die “Welt” in Sachen Community-Management vorgeht: “Wir wollten Rassisten, Hetzern und Trollen nicht das Feld überlassen, sondern den Bereich zurückerobern. Wenn man Nutzer, die nur zündeln, provozieren und hetzen wollen, nicht Grenzen aufzeigt, vergiften sie das gesamte Klima. Das wollten wir nicht zulassen. Es ist nun mal so: Eine positive und vitale Community bekommt man nicht geschenkt, man kann sie auch nirgendwo kaufen – man muss sie sich verdienen. Jeder bekommt die Community, die er sich erarbeitet.”

3. Marilys Liste
(taz.de, Kaija Kutter)
Wie sich jetzt herausstellt, wurde die “taz”-Fotografin Marily Stroux 28 Jahre lang vom Hamburger Verfassungsschutz observiert. Woher man das weiß? Nun, sie hat über einen Anwalt nachfragen lassen, ob es beim Hamburger Verfassungsschutz eine Akte über sie gibt. Drei Jahre hat die Behörde gebraucht, um ihre Anfrage zu bearbeiten. Nun ist die Antwort da. Laut Verfassungsschutz sei Marily Stroux eine „bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene“. Stroux findet das gleichzeitig zum Lachen und zum Fürchten: „Das macht was mit mir. Ich fühle mich verfolgt.“

4. “Zeit Magazin Mann” haut opulent auf den Putz.
(turi2.de, Jens Twiehaus)
Jens Twiehaus hat sich den neuen Magazinableger der “Zeit” angeschaut. “Mann” heißt das Ganze und soll für 8,50 Euro je Exemplar mit einer Auflage von 60.000 Stück ans gleichnamige Zielobjekt gebracht werden. Der Luxus triefe auf allen Seiten, so Twiehaus: ““Mann” positioniert sich als Magazin, das bei seinen Lesern untenrum mit dem Sexappeal des Geldes für Bewegung sorgt.”

5. Türkische Behörden konfiszieren Deutsche Welle-Videomaterial
(dw.com, Martin Muno )
Die “Deutsche Welle” hat den türkischen Minister für Jugend und Sport in dessen Ministeriumsräumen interviewt. Dabei stellte Interviewer Michel Friedman auch Fragen zum vereitelten Putschversuch im Juli, zu den danach erfolgten Massenentlassungen und Verhaftungen, zur prekären Lage der Presse in der Türkei sowie zur Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft. Unmittelbar nach der Aufzeichnung des TV-Interviews hat ein Mitarbeiter des Ministeriums das Material beschlagnahmt. DW-Intendant Peter Limbourg dazu: “Das stellt einen neuen eklatanten Verstoß gegen die Pressefreiheit in der Türkei dar. Was wir hier erleben, erfüllt den Tatbestand der Nötigung durch die türkische Führung. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts mehr zu tun. Es darf nicht sein, dass ein Minister bereitwillig ein Interview gibt und dann auf derartige Weise dessen Ausstrahlung verhindern will, weil ihm die Fragen nicht gepasst haben. Wir fordern die türkische Seite zur unverzüglichen Herausgabe unseres Videomaterials auf. Zudem prüfen wir mögliche rechtliche Schritte.”

6. Fake-Foto bringt Stader AfD in Erklärungsnot
(ndr.de)
Die AfD Stade hat die Wahlkampfbroschüre zum Thema “Innere Sicherheit” mit einem schockierenden Bild illustriert. Darauf ist ein schwarzgekleideter Mann zu sehen, der mit dem massiven Holzstiel einer Fahne auf einen zu Boden stürzenden Polizist eindrischt. Die Jacke des Schlägers trägt den Schriftzug “Antifaschistische Aktion”. Die AfD Stade hat das Bild mit “Rechtsstaat am Boden” beschriftet. Wie sich nun erweist, stammt das Bild nicht von einem Polizeieinsatz in Stade, es stammt noch nicht einmal aus Deutschland. Das Foto zeigt Ausschreitungen bei Protesten in Griechenland und das Logo der “Antifaschistischen Aktion” wurde nachträglich per Photoshop ins Bild montiert. Darauf angesprochen argumentiert die AfD Stade, bei dem Bild habe es sich lediglich um ein “Symbolfoto” gehandelt.

Falsches über die Fälscher

Im Internet gibt es momentan ein wenig Aufruhr wegen eines Fotos, das die AfD in einem Flyer zum Thema “Innere Sicherheit im Landkreis Stade” veröffentlicht hat. Es zeigt eine Person, die gerade dabei ist, mit einer Fahne auf einen auf den Boden fallenden Polizisten einzuprügeln. Was das Foto besonders pikant macht — und vermutlich auch der Grund sein dürfte, warum die AfD es ausgesucht hat: Auf dem Rücken des Prüglers prangt das Logo der “Antifaschistischen Aktion”. Zum Foto schreibt die AfD Stade: “Rechtsstaat am Boden” und wirbt so für ihre rechtspopulistischen Positionen in Sicherheitsfragen. Eine Quellenangabe für das Bild gibt es nicht.

Nun kann man relativ schnell erkennen, dass es sich dabei um eine schlecht ausgeführte Bildmanipulation handelt und das “Antifa”-Logo lediglich reinmontiert ist. Und mit etwas mehr Aufwand findet man auch heraus, dass die Originalaufnahme (natürlich ohne “Antifa”-Logo) nicht von heute und nicht aus der Region um Stade stammt, sondern aus dem Jahr 2009 und bei Demonstrationen in Griechenland entstand. Urheber ist der Fotograf Milos Bicanski. Die Facebookseite “Hooligans Gegen Satzbau” hat sich diese Recherchemühe gemacht.

Die durchaus berechtigten Reaktionen im Internet lauten nun in etwa: “Ha, die ‘Lügenpresse’-Schreier von der AfD nutzen ein manipuliertes Foto, um Stimmung zu machen.” Medien nahmen sich den Fall ebenfalls vor. Das “Stader Tageblatt” berichtete sehr früh:

Stern.de sprang auf:

Mopo.de titelte:

Und die “taz” schrieb auf ihrer Internetseite dazu:

Für die “taz” ist klar, wer hinter der Bildmanipulation steckt: Lars Seemann, stellvertretender Vorsitzender der AfD Stade:

Auf dem Rücken des Schwarzgekleideten prangt ein Antifa-Logo. Nur, dass das Antifa-Logo da gar nicht hingehört — Seemann hat es per Bildbearbeitung in das Bild geschummelt.

Und damit verstoße die AfD “gleich gegen drei Paragrafen des Urheberrechts”:

Sie verschwieg den Namen des Urhebers, vervielfältigte das Foto ohne das Einverständnis des Künstlers und veränderte es ohne dessen Zustimmung.

Den Namen des Urhebers verschwiegen — völlig korrekt.
Das Foto ohne dessen Zustimmung vervielfältigt — ebenfalls korrekt.
Das Bild verändert — leider falsch.

Denn die “Antifa”-Manipulation ist schon älter als der AfD-Flyer und bereits auf anderen rechten Seiten aufgetaucht (auf eine Verlinkung zu den Knallköpfen verzichten wir bewusst). In einer Stellungnahme auf ihrer Homepage schreibt die AfD Stade, dass es sich bei dem Foto auf dem Flyer um ein “seit Jahren im Weltnetz” befindliches Bild handele. Wir würden zwar eher “Internet” dazu sagen, aber im Grunde stimmt die Aussage. Der NDR schreibt:

Tatsächlich stammt die Bildmanipulation nicht von der AfD, sondern wurde schon zuvor von rechtsgerichteten Web-Auftritten verbreitet.

Das ändert natürlich nichts daran, dass die AfD hier gegen Urheberrecht verstößt. Und es ändert auch nichts daran, dass sie auf dubiose Weise ein gefälschtes Foto für ihre populistischen Zwecke einsetzt. Aber es bringt in der nötigen kritischen Auseinandersetzung mit der AfD auch nichts zu behaupten, dass die “Lügenpresse”-Schreihälse ein Foto fälschen, damit selber falschzuliegen und diesen Leuten dadurch neues Futter für eine vermeintliche Medienverschwörung gegen ihre Partei zu liefern.

Mit Dank an Bernd für den Hinweis!

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