Wenn die AfD-Fraktionen inhaltlich schon nichts in den Landtagen und im Bundestag beizutragen haben, wollen sie wenigstens durch sinnlose Kleine Anfragen an die jeweiligen Regierungen den Apparat ein bisschen lahmlegen. Sie fragen dann zum Beispiel nach Vergewaltigungen in Parks, die gar nicht existieren (PDF), oder nach einer angeblichen “militanten Szene der Veganer in NRW” (PDF) . Eine der peinlichsten Anfragen auf Bundesebene dürfte jene nach dem Einsatz von “Visagisten, Stilberatern und Friseuren” bei “der Bundeskanzlerin, den Bundesministern, den Staatsministern oder anderen hochrangigen Regierungsvertretern” sein (PDF).
Die (bereits zwei Wochen alte) Antwort darauf (PDF) könnte unspektakulärer nicht ausfallen: Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz nahm im Zusammenhang mit ihren beruflichen Aufgaben zweimal die Dienste eines Visagisten in Anspruch, Finanzminister Olaf Scholz einmal, genauso Außenminister Heiko Maas, Umweltministerin Svenja Schulze viermal, Bildungsminist …
… Pardon, wir sind kurz eingenickt …
… Bildungsministerin Anja Karliczek einmal und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner “in Einzelfällen”.
Joar.
Wer diese ganze Sache nicht spätestens jetzt wegen Bedeutungslosigkeit ignoriert, dem ist nicht mehr zu helfen. Oder er arbeitet bei “Bild”. Oder beides. Florian Kain gestern in der “Bild”-Zeitung:
Es folgt dann lediglich noch die Aufzählung aus der Antwort der Bundesregierung. Sonst nichts weiter. Keine Einordnung, keine weiteren Gedanken, nichts. Wobei, nicht ganz — es gibt noch eine Quellenangabe ganz am Ende des Artikels:
“Bild” und andere Medien des Axel-Springer-Verlags akzeptieren grundsätzlich keine Anzeigen der AfD. Aber das ist letztlich auch gar nicht nötig — der Nonsens der Partei landet ja auch so ungefiltert im Blatt.
Herzlich Willkommen zu unserer spannenden Entdeckungsreise durch die Rotlichtmilieus der deutschen Klick-Industrie! Wir gehen an die Orte, an denen für Klicks alles gemacht wird. Nach einigen Abstechern in den Westen verschlägt es uns heute mal in den Süden. Genauer: nach München.
Merkur.de, die Online-Seite des “Münchner Merkur”, ist eines der erfolgreichsten News-Portale des Landes. Gut 70 Millionen Visits verzeichnet die Seite pro Monat, damit gehört sie zu den Top 10 der besucherstärksten Nachrichtenportale, liegt oft sogar vor Seiten wie Süddeutsche.de, Stern.de, RTL.de oder FAZ.net:
Wie Merkur.de das schafft, wollen wir an zwei Beispielen vom Wochenende zeigen. (Wir haben sie willkürlich rausgepickt, man könnte auch so gut wie jeden anderen Artikel nehmen.)
Am Samstag, genau drei Monate nach dem Verschwinden der 15-jährigen Rebecca aus Berlin, lockte Merkur.de mit einer “Sensation” auf die Seite:
Seit genau drei Monaten fehlt von der 15-jährigen Rebecca aus Berlin jede Spur. Nun veröffentlichte ihre Familie einen bewegenden Brief über RTL. Darin beschreiben die Eltern ihren unvorstellbaren Schmerz. “Wir sind verloren in unserer Angst und jeden Tag schwindet die Hoffnung, dich jemals wiederzusehen. Wir sind erstarrt in unserer Trauer, alles verhärtet sich innerlich in uns und doch funktionieren wir jeden Tag”, zitiert der TV-Sender die Eltern des vermissten Mädchens. Obwohl Bernd und Brigitte Reusch von Anfang an die Öffentlichkeit nutzten, um die Suche nach ihrer Tochter am Leben zu erhalten, berichten sie nun von dramatische Erlebnissen mit Unbekannten.
“Wir stehen am Fenster starren hinaus und denken jetzt… jetzt musst du doch kommen, doch stattdessen fahren die Autos ganz langsam an unserem Haus vorbei und schauen zu uns rüber… rüber zu Eltern, die trauern. Was für eine Sensation!”
Die Eltern schreiben also, dass ihnen die Sensationalisierung ihrer Trauer zu viel wird. Und daraus — daraus — wird die Überschrift:
Eltern veröffentlichen trauriges Statement – “Was für eine Sensation”
Das ist auf so vielen Ebenen gemein, da hätte selbst “Bild” Mühe mitzuhalten.
Bemerkenswert ist auch die schiere Masse. Der Rebecca-Artikel ist nur einer von etlichen; seit Monaten führt Merkur.de zu dem Fall einen “Nachrichten”-Ticker, für den jeder Instagram-Post von Angehörigen, jedes Gerücht und jede Spekulation mit einem eigenen Beitrag gewürdigt wird. Kleiner Auszug der vergangenen Wochen:
Fast täglich lockt Merkur.de so mit neuen Sensationsüberschriften auf seinen Rebecca-“News”-Ticker, und oft gehören die Artikel dann tagelang zu den meistgeklickten des Ressorts.
Ich finde ‘Clickbait’-Überschriften super. Journalisten, die es schaffen, mit guten Zeilen Leser in ihre Texte zu ziehen, beherrschen ihr Handwerk. Was aber nie passieren darf, ist eine Produktenttäuschung: Die Erwartung, die ich in Überschriften wecke, muss im Text auch erfüllt werden. Wird die Erwartungshaltung erfüllt, spricht nichts dagegen, dass Autoren einen Spannungsbogen aufbauen, der im Leser das Gefühl weckt, unbedingt diesen Text lesen zu müssen.
Okay, schauen wir uns einen anderen Artikel an, ebenfalls am Wochenende erschienen:
Verheerend. Drama. Wahnsinn. Welche Erwartung wird da geweckt? Verletzte? Tote? Explosionen? Vielleicht werden wir aus dem Teaser schlauer:
“Für einen” der beiden endete es also “im Unglück”. Also ein Toter? Schwerverletzter? Lesen wir weiter:
Uh, jetzt aber! Ach nee, zuerst noch ein Link zum Schwesterportal:
Verheerend. Drama. Weil sich das Auto drehte und gegen ein anderes Auto stieß. Wahnsinn. Und am Ende einfach noch den Kehle-Durchschneider rein, ist ja eh alles egal.
Und damit beenden wir unsere kleine Reise in den klickgeilen Süden, schaut auch nächstes Mal wieder rein, wenn es heißt: Es sah aus wie Journalismus, aber was dann geschah, hat uns tief getroffen.
1. “Prahlerisch wie ein Teenager” – Jetzt erst recht! (arminwolf.at)
Der österreichische Journalist und Moderator Armin Wolf kennt den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache bereits seit dem August 2005. In dieser Zeit führte er mit Strache das sogenannte Sommergespräch, das zu Straches erstem großen medialen Auftritt wurde. In Vorbereitung auf die Sendung schaute sich Wolf die Homepage seines Interviewpartners an und stolperte dort über eine Kurzrezension eines Ernst-Jünger-Bandes. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei Straches angeblicher Jünger-Rezension um eine gekürzte Version eines Textes einer rechtsextremen “Heimatseite”. Dies ist nur eine der vielen interessanten Aspekte des lesenswerten Berichts über den Menschen und Politiker Strache.
2. Wenn Journalisten angegriffen werden, sind wir alle das Ziel (fr.de, Bascha Mika)
Bei einer Gedenkfeier von kroatischen Nationalisten im österreichischen Bleiburg wurde Danijel Majic, Reporter bei der “Frankfurter Rundschau”, beschimpft, bespuckt, geschlagen und getreten. “FR”-Chefredakteurin Bascha Mika kommentiert: “In wenigen Tagen ist die Europa Wahl. Wenn, was sich abzeichnet, die Nationalisten und Rechtsextremen stärker werden, können wir uns ausrechnen, was daraus folgt. Nicht nur für den kritischen Journalismus.”
Zum Hintergrund: Angriff von rechtsextremem Moderator — Keine Anzeige gegen FR-Reporter (fr.de).
3. Seltsamer “Tagesschau”-Bericht: Beherrscht die AfD das halbe Internet? (vice.com, Sebastian Meineck)
Als “mathematischen Clusterfuck” bezeichnet Sebastian Meineck die Berichterstattung der “Tagesschau” über die angebliche AfD-Dominanz in den Sozialen Medien (war hier auch bei uns in den “6 vor 9” verlinkt). Die Schlussfolgerungen seien stark vereinfacht und würden ein irreführendes Bild zeichnen. Sein Resümee, nachdem er mit dem Team der Analyse-Firma gesprochen hat, auf deren Daten der “Tagesschau”-Bericht basiert: “[W]as Alto Data Analytics herausgefunden hat, ist einfach zu speziell, um es im Stil der Tagesschau zu vereinfachen. Das Kuchendiagramm der Tagesschau erweckt den Anschein, als würde in sozialen Medien jede zweite politische Äußerung über die AfD getätigt werden — eine zu stark vereinfachte Nachricht, über die sich vor allem die AfD freuen dürfte.”
4. “Das Urheberrecht verteilt Vermögen von den Lebenden zu den Toten” (sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Martin Kretschmer leitet an der Universität Glasgow das Forschungszentrum CREATe für Urheberrecht und Kreativwirtschaft und ist ein profunder Kenner der EU-Urheberrechtsreform. Im Interview spricht er über Spielräume bei der Umsetzung, die berühmt-berüchtigten Upload-Filter und den Einfluss von Unternehmen auf das Gesetz. So richtig optimistisch ist der Experte nicht, was die Zukunft angeht. Doch eine Sache könne Mut machen: “Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass öffentlicher Druck hilft. Die SPD hat nachweislich anders verhandelt, weil der Widerstand in Deutschland so laut und deutlich wurde. Der Koalitionsvertrag schließt verpflichtende Upload-Filter aus. Es ist wichtig, die Parteien beim Wort zu nehmen. Es ist noch so viel Spielraum bei der Umsetzung vorhanden, dass sich die Mühe lohnt.”
5. 23 Milliarden für Flüchtlinge? Die Geschichte einer Zahl (zdf.de, Florian Neuhann)
Alice Weidel (AfD) ließ ihrer Empörung freien Lauf: Im Jahr 2018 seien 23 Milliarden Euro Asylkosten aufgelaufen. Auch die “Bild”-Zeitung schrieb von einem Rekord: “Flüchtlingskosten 2018 hoch wie nie”. Das Problem: Die Zahl stammt zwar aus dem Finanzministerium, fasse jedoch Positionen zusammen, die nicht dorthin gehören würden, so Florian Neuhann. Für das ZDF hat er näher hingeschaut und siehe da: “Bei genauerem Betrachten schrumpft die ursprüngliche Rekordzahl immer weiter in sich zusammen.”
6. Journalistische Verantwortung am Beispiel Bubble Tea (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer führt drei Beispiele für schlampige bis verantwortungslose Berichterstattung an: die Berichte über Angela Merkels angeblichen Wechsel auf eine EU-Position, die bereits etwas zurückliegende Berichterstattung zu angeblich giftigem Bubble-Tea und die mindestens irreführende Überschrift über ein angebliches Aufeinandertreffen von Verena Bahlsen und Kevin Kühnert. Knüwers Kommentar: “Früher waren solche Halb- und Unwahrheiten dem Boulevard und den Klatschblättern vorbehalten — heute darf jeder mal, weil er glaubt, dass sich alles versendet.”
1. Poschardts “Welt” macht Volkswagen den Autohof (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Wer sich am Dienstag die “Welt” kaufte, rieb sich verwundert die Augen. Wesentliche Teile der Zeitung bestanden aus VW-PR. Im Impressum tauchte sogar der Name des VW-Vorstandsvorsitzenden als “Welt”-Chefredakteur auf. Stefan Niggemeier kommentiert: “Axel Springer hat VW mit der “Welt”-Sonderausgabe ein Geschenk gemacht, das ungleich größer ist, als wenn man dem Unternehmen kostenlos alle Seiten für Anzeigen zur Verfügung gestellt hätte. Gerade die scheinjournalistische Inszenierung der VW-Botschaften im redaktionellen Umfeld einer Tageszeitung verschafft ihnen eine besondere Wirkung.”
2. Farbanschlag auf Redaktion in Zürich (persoenlich.com)
Roger Köppels “Weltwoche” ist Opfer eines Farbanschlags geworden. Zuvor war bereits “Weltwoche”-Redakteur Alex Baur bei einer Feier zum 1. Mai angegriffen worden.
3. Solitär auf allen Kanälen (kontextwochenzeitung.de, Moritz Osswald)
Ein angehender Medienschaffender berichtet von seinem Besuch im Hauptquartier der Südwestdeutschen Medienholding, dem Pressehaus. Dort “kämpft man ums Überleben”. Entsprechend machen sich beim Besucher gemischte Gefühle breit.
4. Alle mal herschauen (sueddeutsche.de, Jaqueline Lang)
Die Onlinetalkshow “Black Rock Talk” wendet sich vornehmlich an Menschen mit Migrationshintergrund. Ohne nennenswertes Budget produziert Esra Karakaya alle paar Wochen ihre Sendung in den Räumlichkeiten des Communitysenders Alex Berlin. Es gehe hauptsächlich um Rassismus und Diskriminierung. “Ich will, dass wir über Schmerzhaftes sprechen, aber mit popkulturellem Aufhänger”, so die Moderatorin.
5. Massenhafter Ausfall von Internetradios (heise.de, Michael Link)
Seit Anfang Mai funktionieren viele Internetradios nicht mehr, da ein Dienstleister für die Senderdatenbank seine Arbeit eingestellt hat. Die Umstellung auf einen anderen Anbieter ist lästig und geht zu Lasten des Komforts.
6. 20 deutsche Influencer in der Türkei abgezockt: Kein Hotel, Reisepässe weg (maz-online.de)
20 deutsche Influencer sollen von einem falschen Reisebüro in die Türkei gelockt und dort beklaut worden sein. Angeblich sollen es die Diebe nur auf die Reisepässe der ReiseteilnehmerInnen abgesehen haben. Die derart bestohlenen Influencer blieben auf den Kosten für Übernachtung und Rückflug sitzen.
Vor allem bei “Bild”: “WIE VIEL DDR STECKT IN DER SPD?” fragt die Redaktion heute im Blatt. Bereits gestern schrieb “Bild”-Chefreporter Peter Tiede so verquere Sätze wie:
Kevin Kühnert ist so alt, wie der real existierende Sozialismus auf deutschem Boden tot ist: knapp 30 Jahre.
… und kam bemerkenswert schnell von Kühnerts Aussage, es sei ihm “weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ‘staatlicher Automobilbetrieb’ steht oder ‘genossenschaftlicher Automobilbetrieb’ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht”, zu Schießbefehlen, Schützengraben und Klassenkampf:
Ein Land [die DDR] mit Schießbefehl gegen die eigenen Bürger. Und nun liegt Kevin Kühnert im Schützengraben und träumt vom neuen Klassenkampf
Ralf Schuler, der bei “Bild” das Parlamentsbüro leitet, schrieb einen …
Und auch Franz Josef Wagner hat dem Juso-Vorsitzenden geschrieben:
Es ist schon ein bisschen lustig, dass gerade Wagner Kühnert als “Universitäts-Lusche” ohne Studienabschluss, die “noch nichts zu Ende gebracht hat”, “lächerlich” findet. 2008 schrieb der “Bild”-Briefonkel über sich selbst:
Liebe Lehrer, liebe Eltern,
ich mische mich als Schulschwänzer in die Debatte um das Turbo-Gymnasium (G 8) ein. Statt 9 Jahre 8 Jahre zum Abitur. Ich habe die Wellen-Theorie des Lichts, das Huygenssche Prinzip nicht mitbekommen. Wenn wir Physik hatten, dann ging ich ins Kino. Mit 13 sah ich James Dean. Meine offizielle Erziehung endete mit 18, als ich durchs Abitur flog. Danach wurde ich ein glücklicher Mann.
1. Serie: Wie Web-Reportagen entstehen (journalist-magazin.de, Stefan Heijnk)
Journalistik-Studierende der Hochschule Hannover haben sich in 17 Werkstatt-Beiträgen die Produktion von aufwändigen Web-Reportagen angeschaut. Journalismus-Professor Stefan Heijnk gibt einen Überblick über die (verlinkten und nachlesbaren) Beiträge und weist auf einige interessante Details und Entwicklungen hin.
2. Darf’s ein bisschen rechtsextremer sein? (uebermedien.de, Juliane Wiedemeier)
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat ihre “Mitte Studie” über die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen veröffentlicht und dabei einiges vermasselt. Juliane Wiedemeier rekonstruiert den Fall und die Folgen: “Eine Studie, die voreingenommen an ihr Thema herangeht und ihren Fragebogen unglücklich formuliert. Medien, die aus anderen Medien abschreiben, statt die Original-Quelle selbständig auszuwerten, und die bereitwillig den Alarmismus der Autor:innen übernehmen. Eine Reaktion, die dann wiederum übertrieben die deutsche Bevölkerung vor jedem Vorwurf des Ressentiments in Schutz nimmt.”
3. Nazidenke, verpixelt (taz.de, Peter Weissenburger)
In Neuseeland steht demnächst der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Christchurch an. Im Vorfeld haben sich die fünf größten Nachrichtenmedien des Landes auf einen Pressekodex verständigt: Man werde den Attentäter nur äußerst beschränkt zitieren und rechtsextreme Symbole wie Handzeichen nicht zeigen oder zumindest verpixeln.
4. Über 30 Journalisten erstatten Anzeige (deutschlandfunk.de, Margit Hillmann)
In Frankreich häufen sich die Beschwerden von Journalistinnen und Journalisten, die in Zusammenhang mit den Gelbwesten-Protesten über Behinderungen ihrer Arbeit, Einsatz von Gewalt und willkürliche Festnahmen durch die Polizei berichten. Der Journalistengewerkschaft SNJ seien seit November über 80 derartige Fälle gemeldet. Gewerkschaftsvorstand Dominique Pradalié: “Wir haben noch nie eine solche Repression gegen Journalisten in unserem Land gesehen. Und ich bin schon sehr lange Journalistin und Gewerkschafterin. Das hat es so noch nie gegeben.”
5. Wikileaks-Gründer Julian Assange zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt (heise.de, Detlef Borchers)
WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist wegen des Verstoßes gegen die Kautionsauflagen von einem britischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe von 50 Wochen verurteilt worden. Er war 2012 in die Botschaft Ecuadors in London geflüchtet, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Außerdem muss Assange die Auslieferung an die USA befürchten.
1. “Bamf-Skandal” schrumpft weiter (taz.de, Stefan Simon)
Im Frühjahr 2018 erschütterte der sogenannte Bremer Bamf-Skandal die Republik: Von mehr als 1.200 Asyl-Betrugsfällen war die Rede. Die Zahl ist mittlerweile auf einen Bruchteil zusammengeschrumpft: Es geht derzeit um gerade mal 50 strittige Asylentscheidungen. Obwohl nicht eine Entscheidung rechtskräftig aufgehoben worden sei, würde die Bremer Staatsanwaltschaft unverdrossen nach angeblichen Missständen im Bremer Flüchtlingsamt forschen.
2. Ein-Mann-Show (deutschlandfunk.de, Isabelle Klein)
Bei der Europawahl wird indirekt auch über das Amt des neuen EU-Kommissionspräsidenten entschieden. Während Kandidaten wie Margrethe Vestager, Frans Timmermans oder Ska Keller wenig mediale Beachtung finden, stehe der Spitzenkandidat des konservativen Parteienbündnisses Manfred Weber oft im Fokus der Berichterstattung. “SZ”-Redakteur Alexander Hagelüken spekuliert über die Gründe und ordnet die Zusammenhänge ein.
3. Facebook ist ein schwarzes Loch (blog.clickomania.ch, Matthias Schüssler)
Der Journalist und Blogger Matthias Schüssler hat einen interessanten Vorschlag, wie man verhindern könne, dass Facebook die Aufmerksamkeit von verlinkten Originalquellen abzieht: “Man könnte Facebook zum Beispiel schlicht verbieten, Diskussionen zu Beiträgen von Newsplattformen und Blogs abzuhalten: Wer sich darüber auslassen will, muss sich wohl oder übel auf die Originalplattform bemühen. Nur dort wird kommentiert — und sonst nirgendwo. Das hätte nebenbei auch zur Folge, dass viele Debatten gesitteter stattfinden würden.”
4. Angesagte Teenie-App TikTok: Deutsche Publisher experimentieren – doch es fehlt ein Geschäftsmodell (meedia.de, Robert Tusch)
An den sensationellen Erfolg der Video-Clip-App TikTok wollen sich nun auch deutsche Publisher und Marken hängen und experimentieren mit Inhalten und Communities. Die Aussichten sind derzeit völlig unklar, wie Robert Tusch für “Meedia” berichtet: Keiner wisse, wie lange der Hype anhalte und wie damit Geld verdient werden könne. Zudem sei die Plattform anfällig für Mobbing und Hass.
5. Neue Sicht auf die Dinge (sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Immer mehr Fernsehsender sparen sich Kamerateams und statten ihre Reporter mit Smartphones aus. Kritiker finden den Trend bedenklich. Es bleibe all das auf der Strecke, was die Kunst eines jahrelang ausgebildeten Kameramannes oder einer jahrelang ausgebildeten Kamerafrau ausmache. Hans Hoff wägt Vor- und Nachteile der neuen Technik gegeneinander ab und lässt Bedenkenträger und Fürsprecher zu Wort kommen.
6. Hey Siri, wie viele Menschen hören mich ab? (vice.com, Sebastian Meineck)
Es ist fast ein wenig lustig, mit wie viel Worten man nichts sagen kann. Die Unternehmen Apple, Microsoft, Google und Amazon beherrschen diese Kunst meisterlich, wie “Motherboard”-Chefredakteur Sebastian Meineck mit nur einer einzigen Frage herausgefunden hat: Meineck wollte wissen, wie viele Menschen im Zusammenhang mit Sprach-Assistenten wie Siri die Audio-Aufzeichnungen ihrer Nutzerinnen und Nutzer abhören.
Vor zwei Monaten verkündete die “Bild”-Zeitung eine “Weltsensation”, die jedoch gar keine war — und die sich zu einem wissenschaftlichen und journalistischen Skandal entwickelte, zu dem inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt. Beteiligte, unter anderem: die Uniklinik Heidelberg und ein chinesisches Pharmaunternehmen. Auch Ex-“Bild”-Chef Kai Diekmann spielt bei der Geschichte eine Rolle.
Eine Chronik.
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21. Februar 2019: Exklusiv bejubelt die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite eine “Weltsensation aus Deutschland”:
Es sei “ein echter Durchbruch”, heißt es da, eine “medizinische Sensation”:
Seit vielen Jahren wird daran geforscht, Krebs im Blut zu erkennen. Ärzte der Universitätsklinik Heidelberg erreichten jetzt revolutionäre Ergebnisse: Sie weisen mit einem Test Brustkrebs im Blut nach. Und zwar mit einer Treffsicherheit, die vergleichbar ist mit der einer Mammografie! Wie BILD exklusiv erfuhr, soll der Bluttest noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.
Im Innenteil: ein großes Interview mit Christof Sohn, dem Geschäftsführenden Ärztlichen Direktor der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg.
Darin darf er den Bluttest ausführlich bewerben: viel sicherer als bisherige Tests, hohe Treffsicherheit, besonders gut für Risikopatientiennen, und so weiter und so fort.
Am selben Tag gibt die Uniklinik eine Pressemitteilung heraus, in der sie die “neue, revolutionäre Möglichkeit” des Bluttests noch einmal selbst feiert: “Dies ist ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik”, schreibt sie.
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21. bis 27. Februar 2019: Andere Medien greifen die Geschichte auf. Dabei melden einige schon Zweifel an, etwa “Spiegel Online” oder die “Zeit”. Viele aber, etwa “Focus Online” oder “DerWesten”, verlassen sich blind auf “Bild” und bezeichnen den Bluttest ihrerseits als “Sensation”, “Durchbruch” oder “Revolution”.
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27. Februar 2019: Sieben renommierte Verbände, von der Deutschen Krebsgesellschaft über die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bis zur Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, geben eine gemeinsame Stellungnahme heraus, in der sie die Berichterstattung kritisieren:
Eine Berichterstattung, die ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen weckt, ist aus unserer Sicht kritisch zu bewerten und entspricht nicht den von uns vertretenen Grundsätzen medizin-ethischer Verantwortung.
Es sei einfach noch zu früh für Jubelstimmung, so die Experten: Die Studie sei “noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse sind nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert und der Test noch nicht zugelassen”. Daher “halten wir Schlussfolgerungen über die Validität und den klinischen Nutzen für verfrüht und raten ausdrücklich davon ab, diagnostische oder therapeutische Entscheidungen basierend auf Blutuntersuchungen zu treffen, die nicht von nationalen oder internationalen Leitlinien empfohlen werden.”
In den nächsten Tagen häuft sich die Kritik an der “Bild”-Berichterstattung, aber auch am Vorgehen der Heidelberger Forscher. So schreibt etwa Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:
Nach üblichen wissenschaftlichen Standards veröffentlichen Forscher zuerst eine Studie in einer Fachzeitschrift, die dort begutachtet wird, und gehen erst dann an die Presse. Beim Bluttest wurde dieser Standard nicht eingehalten. Die Heidelberger Forscher sind zuerst medienwirksam zur BILD-Zeitung gegangen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung liegt nicht vor.
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8. März 2019: Der Journalist Jan-Martin Wiarda berichtet in seinem Blog und bei den “Riffreportern” ausführlich über den Fall und deckt weitere Merkwürdigkeiten auf. “Welche Rolle spielt das Joint Venture mit einem chinesischen Pharma-Unternehmen?”, fragt er unter anderem, denn: Partner der Uniklinik sei ein chinesisches Pharmaunternehmen, dessen Aktienkurs seit einigen Tagen, insbesondere seit der gehypten Berichterstattung über den Bluttest, einen steilen Anstieg zeige.
Erstmals äußert sich auch Christof Sohn, der Geschäftsführende Ärztliche Direktor der Universitäts-Frauenklinik, der von “Bild” groß interviewt wurde, zur Formulierung “Weltsensation”: Diese Schlagzeile sei nicht angebracht gewesen, er habe sie vor Veröffentlichung auch nicht gekannt, und er und seine Kollegen hätten sie “in dieser Form” nicht mitgetragen.
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20. März 2019: Die “Rhein-Neckar-Zeitung” (“RNZ”) steigt in die Berichterstattung ein und leistet in den darauffolgenden Wochen ausgezeichnete journalistische Arbeit; ihre zahlreichen Artikel sind unter rnz.de/heiscreen nachzulesen.
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22. März 2019: Der Aktienkurs des chinesischen Pharmaunternehmens erreicht den höchsten Stand seit acht Monaten. Seit dem 21. Februar, dem Erscheinungstag des “Bild”-Artikels und der Pressemitteilung der Uniklinik, ist der Kurs um fast 60 Prozent gestiegen:
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23. bis 29. März 2019: Die Kritik reißt nicht ab. Das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg erklärt in der “RNZ”, dass die “verfrühte Kommunikation nicht den hohen Ansprüchen an eine verantwortungsvolle Wissenschaftskommunikation entspreche”. Gerade im medizinischen Bereich, “der für die Betroffenen mit so viel Ängsten und großer Hoffnung verbunden ist, darf es keine Effekthascherei geben”. Auch die Heidelberger Universität teilt mit, dass sie “eine umfassende Klärung der Vorgänge für zwingend erforderlich” halte.
Die Uniklinik ist derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Sie “bedauert, dass es zu Irritationen gekommen ist” und verkündet die Gründung einer internen Arbeitsgruppe und einer externen Expertenkommission, die die Vorgänge aufarbeiten sollen.
Außerdem distanziert sie sich von der PR-Strategie zum Bluttest: Die Medienbegleitung habe die Heiscreen GmbH verantwortet, sagt die Kliniksprecherin der dpa. (Die Heiscreen GmbH wurde 2017 gegründet und soll den Bluttest in Deutschland vermarkten. Hauptanteilseigner ist eine Tochterfirma der Uniklinik, weitere Anteile hält über eine Beteiligungsgesellschaft der schillernde Unternehmer Jürgen Harder. Auch der von “Bild” interviewte Christof Sohn und eine weitere Ärztin der Uniklinik sind an der Heiscreen GmbH beteiligt.)
Wie die angebliche Weltsensation am Ende genau in der “Bild”-Zeitung landete, ist zwar nur schwer nachzuvollziehen. Fest steht aber: Ohne Zustimmung vonseiten des Universitätsklinikums ist dies nicht geschehen. Auch ein weiterer Bekannter Harders war daran offenbar beteiligt: Ex-“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der sich dazu nicht äußern will. Aber was wäre der Mann für ein Journalist, wenn er sich nicht dafür einsetzen würde, dass ein Thema, das ihm am Herzen liegt, in seine alte Zeitung kommt?
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4. April 2019: Die Uniklinik erstattet Anzeige gegen Unbekannt — warum genau, wird allerdings nicht klar. In einer Pressemitteilung teilt sie lediglich mit, dass sie sich “aufgrund der Anzeichen eines unlauteren Vorgehens bei der Entwicklung und Ankündigung” des Bluttests zu diesem Schritt veranlasst sehe. Der Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft erklärt in der “RNZ”, in der eingegangenen Anzeige stünden “weder der vermutete Tatbestand, noch weitere Hintergründe zum Sachverhalt, noch Personen, gegen die sich die Strafanzeige richtet.” Das sei sehr ungewöhnlich. Sollte sich jedoch ein Anfangsverdacht ergeben, werde die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen.
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6. April 2019: Die “RNZ” berichtet, dass Vorstand und Pressestelle des Klinikums “sehr frühzeitig in die unseriöse PR-Kampagne eingeweiht” waren. So sei das “Bild”-Interview …
sowohl von der Pressestelle der Uniklinik als auch von zwei Vorständen gegengelesen worden. Achtete die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich auf inhaltliche Korrekturen, so freute sich der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, über die wissenschaftliche Korrektheit: “Präziser, als ich es ‘Bild’ zugetraut hätte”.
Auch die Pressemitteilung der Klinik sei “in großer Runde abgesprochen” worden. Der Entwurf sei unter anderem an Kai Diekmann geschickt worden.
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11. April 2019: Die “RNZ” geht genauer auf die Rolle Diekmanns ein:
Kai Diekmann war von 2001 bis 2015 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. 2018 startete er mit dem Investmentbanker Lenny Fischer den “Zukunftsfonds”. Die Markenstrategie für diesen Kapitalanlagefonds entwickelte die Digitalagentur “diesdas.digital” — die auch für die Heiscreen GmbH den Internetauftritt machte. Diekmann war “bei mehreren Treffen” in Sachen Brustkrebstest dabei, wie er der RNZ sagte, “aus Interesse”. Finanziell beteiligt sei er aber nicht. Jürgen Harder bezeichnet er gegenüber der RNZ als “persönlichen Freund”.
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11. April 2019: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen auf. Genauer: die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim. Die Anweisung dazu habe die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erteilt, schreibt die “RNZ”:
Hintergrund der Ermittlungen soll unter anderem der Verdacht auf Kursmanipulation und Insiderhandel mit Aktien sein. Die “Bild”-Schlagzeile “Weltsensation aus Heidelberg” könnte in diesem Szenario eine gewichtige Rolle spielen, weil sie womöglich den Kurs einer Aktie in China beflügelt hat. Zwar gibt man sich bei der Justiz bedeckt und verweist lediglich auf erste Erkenntnisse durch die Berichterstattung der RNZ — ermittelt wird schließlich “in allen rechtlichen Belangen”. Dennoch kam schnell der Verdacht auf, dass hinter dem “Bluttest-Skandal” im Grunde ein Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz stecken könnte.
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14. April 2019: In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (“FAS”) kritisiert die Leitende Ärztliche Direktorin des Klinikums, Annette Grüters-Kieslich, die Wortwahl der “Bild”-Zeitung:
“Die Schlagzeile einer Boulevardzeitung, die von einer Weltsensation in diesem Zusammenhang sprach, hat mich betroffen gemacht. Als Ärztin und Wissenschaftlerin hätte ich niemals von einer Weltsensation gesprochen; ich habe eine solche Wertung stets als vollkommen irreführend angesehen.” Man sei damit befasst, die Verantwortlichkeiten zu klären und werde die Öffentlichkeit so schnell wie möglich informieren.
Zudem deckt die “FAS” neue Details auf. So sei für die PR-Kampagne unter anderem Christina Afting zuständig gewesen — die frühere Büroleiterin von Kai Diekmann bei “Bild”. Mit der “Bild”-Berichterstattung, so Afting, habe sie jedoch nichts zu tun gehabt. Laut “FAS” soll die PR-Kampagne etwa 80.000 Euro gekostet haben.
Neben den Staatsanwälten aus Mannheim würden sich demnächst auch Spezialermittler des Landeskriminalamtes mit dem Fall befassen, schreibt die “FAS”.
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Heute: Noch sind eine Menge Fragen offen. Fest steht aber: Viele Details wären ohne die hartnäckige Arbeit einiger Journalisten, vor allem von “Riffreporter” Jan-Martin Wiarda und den Journalisten der “Rhein-Neckar-Zeitung”, wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt. Und: Obwohl die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung, insbesondere die Bezeichnung als “Weltsensation”, von Experten als verantwortungslos und selbst von der Klinikleitung als “vollkommen irreführend” gewertet wird, steht sie auch heute noch unverändertonline.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
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Nachtrag, 26. April: Wir haben die Überschrift und den ersten Absatz geändert, weil der Eindruck entstehen konnte, dass die Staatsanwaltschaft in der Sache gegen Kai Diekmann ermittelt. Dem ist nicht so.
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Nachtrag 2, 26. April: Inzwischen liegt der “RNZ” die Rechnung für die PR-Kampagne vor, die die Düsseldorfer Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors an die Heiscreen GmbH geschickt hat:
79.420,78 Euro rechnen die Berater ab. Sie übernahmen das gesamte Projektmanagement rund um die PR-Kampagne: das Kommunikationskonzept, die Pressemitteilung, die Pressekonferenz am 21. Februar auf einem Kongress in Düsseldorf sowie die Beantwortung und Koordination von Medienanfragen.
Besonders intensiv abgestimmt wurde die Kampagne offenbar in den zehn Tagen vor dem großen Aufschlag am 21. Februar. “Tägliche Telefonkonferenzen zwischen dem 12. und 22. Februar 2019”, listet die Agentur auf. In Rechnung gestellt werden “enge telefonische Abstimmungen und Rücksprachen” unter anderen mit dem früheren “Bild”-Chef Kai Diekmann, Heiscreen-Geschäftsführer Dirk Hessel, den Bluttest-Erfindern Sarah Schott und Christof Sohn, Harders Anwalt Thomas Dörmer sowie Doris Rübsam-Brodkorb, der Pressesprecherin des Universitätsklinikums.
Bemerkenswert ist die enge Abstimmung mit Kai Diekmann, dem Ex-Chefredakteur der “Bild”-Zeitung und persönlichen Freund von Jürgen Harder. Dazu passt: Die Rechnung hat Christina Afting geschickt. Sie ist “Managing Director” bei der Agentur — und leitete früher das Büro Diekmann bei der “Bild”.
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23.Mai: Das Blog “Medwatch” berichtet, dass der Test “anders als bislang kommuniziert nicht nur nicht marktreif ist — sondern eigentlich wertlos.” Das gehe aus Unterlagen hervor, die “Medwatch” von der Pressestelle der Uniklinik erhielt.
Demnach erhält fast jede zweite gesunde Frau einen falsch positiven Befund — was bislang öffentlich nicht thematisiert wurde. Bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind, ist der Wert etwas besser: Bei diesen erhält gut jede vierte gesunde Frau einen falschen Krebsbefund, doch übersieht der Test bei zwei von fünf Brustkrebspatientinnen über 50 den Tumor.
Als besonders vielversprechend bezeichnete die Uniklinik den Test für Frauen bis 50, sowie für Hochrisikopatientinnen mit genetischen Mutationen. Dabei schlägt der Test bei der jüngeren Gruppe von Brustkrebspatientinnen zwar in 86 Prozent aller Fälle korrekt an, doch liegt hier die Spezifität bei nur 45 Prozent: Der Test liefert also bei 55 Prozent der gesunden Frauen einen falsch positiven Befund. Bei Hochrisikopatientinnen liegt die Sensitivität bei 90 Prozent, doch wiederum erhält mehr als jede zweite gesunde Frau einen falschen Krebsbefund. Dies hieße, dass ein Großteil aller Frauen, die über den Bluttest einen Krebs-Befund erhalten, in Wahrheit gesund sind.
“Medwatch” kritisiert auch die Berichterstattung verschiedener Medien, etwa die des “Focus”, der auch noch einen Monat nach Lautwerden der Zweifel titelte: “Die Sensation aus Heidelberg: Mit Bluttest Brustkrebs erkennen”.
Die “Bild”-Zeitung habe ihre Leser “bislang noch nicht über die weiteren Entwicklungen” informiert, schreibt “Medwatch”. Auf “mehrere Fragen zur Berichterstattung über den Bluttest” habe der Axel-Springer-Verlag geantwortet: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir redaktionelle Prozesse und Entscheidungen grundsätzlich nicht kommentieren.”
Nach intensiver Überprüfung und Anhörung aller beteiligten Parteien hat der Deutsche Rat für Public Relations dem Vorstand des Universitätsklinikums Heidelberg und der HeiScreen GmbH eine Rüge wegen bewusster Falschbehauptung und Täuschung der Öffentlichkeit ausgesprochen. (…)
Der Rat hatte sich zur Prüfung des Falles entschieden und sieht es als erwiesen an, dass beide Parteien bei der Vorstellung des „neuen“ Verfahrens zur Diagnose von Brustkrebs eine öffentliche Produktvorstellung zugelassen und begleitet haben, die weder in Wortwahl, Zeitpunkt und Format angemessen, noch im Hinblick auf abgeschlossene Studien und die angekündigte Marktreife der Wahrheit entsprochen hat.
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29. August: Nach mehrfacher Beschwerde beim “Ombudsmann” hat “Bild” nun eine Anmerkung unter den Artikeln veröffentlicht (Links im Original):
Aktualisierung – August 2019
Die Uniklinik Heidelberg hat mittlerweile zurückgenommen, dass der oben beschriebene Bluttest zur Erkennung von Brustkrebs noch dieses Jahr auf den Markt kommen wird.
Eine unabhängige Prüfkommission hat als Zwischenergebnis unter anderem veröffentlicht, dass der Test zu früh der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, es „Führungsversagen“ und „Machtmissbrauch“ an der Universitätsklinik gab.
Inzwischen sind der Medizin-Dekan der Heidelberger Uniklinik sowie zwei Mitglieder des Vorstandes zurückgetreten. Außerdem wurde dem Direktor der Unifrauenklinik für drei Monate die Lehr- und Forschungserlaubnis entzogen.
BILD veröffentlichte am 21. Februar 2019 einen Artikel über den neuen Bluttest. Der Text basierte auf einer offiziellen Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg, in der der neue Test als „revolutionäre Möglichkeit“ und als „Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik“ bezeichnet wurde, sowie auf einem autorisierten Interview. Der Test wurde am 21.2. außerdem auf dem Gynäkologen-Kongress in Düsseldorf vorgestellt.
Wie geht es mit dem Test nun weiter? Das ist im Moment unklar. Abzuwarten bleibt, was die angekündigten größeren Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit des Tests ergeben. Dass diese noch ausstehen, hatte Bild direkt zu Anfang geschrieben (siehe hier). Die Ergebnisse lassen aber weiterhin auf sich warten.
BILD informiert, sobald es neue, fundierte Angaben zum Test gibt.
Sonst hat sich aber nichts geändert. Überschrift, weiterhin: “Warum dieser Test eine Weltsensation ist”.
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13. September: Nun wurde die Berichterstattung auch vom Deutschen Presserat gerügt:
Eine Rüge erhielt BILD.DE für die Veröffentlichung einer Exklusiv-Geschichte unter der Überschrift „Erster Blut-Test erkennt zuverlässig Brustkrebs“ über einen von Heidelberger Forschern entwickelten Brustkrebs-Test. Der Beschwerdeausschuss stellte Verstöße gegen die gebotene Sorgfalt in der Medizin-Berichterstattung (Ziffern 2 und 14 des Pressekodex) fest. Der Artikel über das als „medizinische Sensation“ beschriebene Testverfahren beruhte allein auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums und Aussagen der beteiligten Forscher und war geeignet, unberechtigte Hoffnungen bei Betroffenen zu wecken. Wie sich später herausstellte, hatten die Forscher den Stand des Testverfahrens positiver dargestellt, als es dem Forschungsstand entsprach. Die Redaktion hatte bei ihrer exklusiven Berichterstattung versäumt, die gemachten Angaben durch weitere Quellen zu überprüfen.
1. Hetze gegen Medienschaffende (reporter-ohne-grenzen.de)
Die “Reporter ohne Grenzen” haben eine neue Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Am stärksten verschlechtert habe sich die Lage auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Aber auch in Europa habe sich vieles verschlechtert. Deutschland ist um zwei Plätze nach oben auf Rang 13 gerückt, doch das ist kein Grund, stolz zu sein: Bei uns gab es einen Anstieg der tätlichen Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten, die Pressefreiheit in anderen Ländern nahm jedoch noch stärker ab.
Weiterführender Link: “Rangliste der Pressefreiheit 2019” samt Rang und Vorjahresrang als PDF (reporter-ohne-grenzen.de).
2. Farbattacke auf Heidelberger Fotografen (swr.de)
In Heidelberg kam es zu einem Farbanschlag gegen einen Fotografen. Eine symbolische Blutspur führt von der Eingangstür fast um das ganze Haus. An einer Wand steht der Name des Kindes des Fotografen, darunter der Satz: “Dein Papa tötet Dich.” Der Verdacht richtet such momentan auf eine politisch motivierte Straftat — der Fotograf war auf Demonstrationen bereits mehrfach von Rechtspopulisten bedroht worden. Laut der Polizei Mannheim habe sich die Kriminalität aus dem rechten Milieu in der Region von 2017 auf 2018 um gut ein Drittel erhöht.
3. Ich will der Frage nicht ausweichen, aber… (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Der Programmchef der ARD Volker Herres spricht im Interview über den rückläufigen Frauen-Anteil unter Drehbuchautoren, weibliche “Tatort”-Regisseure, Geschlechtergerechtigkeit — und bricht dann das Gespräch nach acht Minuten ab. Mehr sei angeblich nicht vereinbart worden. Ärgerlich für den freien Journalisten Jakob Buhre, der extra dafür von Berlin nach Hamburg gereist war. Zu den vielen Merkwürdigkeiten von Gespräch und Veranstaltung kommt die Frage, warum ein Fernsehsender seine eigene Pressekonferenz nicht per Live-Stream anbieten kann.
4. “Glaubwürdigkeit ist was für Weicheier” (deutschlandfunk.de, Matthias Dell)
“Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche”, sprach dereinst der Lyriker, Zeichner und Satiriker F.W. Bernstein. Eben jenen Spruch könnte man auf den “Zeit”-Journalisten Jochen Bittner anwenden. Dieser plädiert in einem Text gegen den sogenannten Haltungsjournalismus für mehr Objektivität im Journalismus, obwohl er selbst schon ein Beispiel für mangelnde Distanz zur Politik war, wie sich Matthias Dell im “Deutschlandfunk” erinnert.
5. Am Tisch mit der politischen Macht (kontextwochenzeitung.de, Arno Luik)
Der langjährige “Stern”-Autor und ehemalige “taz”-Chefredakteur Arno Luik hat beim Demokratiekongress der Anstifter eine Rede gehalten, die es in sich hat. Unter anderem ordnet er das Vorgehen des damaligen Burda-Vorstands und Hardliners Jürgen Todenhöfer ein, dem es damals darum gegangen sei, die Politmagazine, “Panorama”, “Monitor” zu zerstören (“… das Angriffsmittel waren Shows, Erotikshows, Quizshows, Krawallshows, Unterhaltungsfilme, Sport, Sport und nochmals Sport.). Auch Harald Schmidt habe bei der Verdummung mitgeholfen: “Sein Auftrag war, das Kabarett, das als prinzipiell linksverdächtig galt, also Hildebrandt & Co, nicht nur zu entschärfen, und als “Gutmenschentum” zu verhöhnen, sondern das Kabarett strukturell in etwas zu verwandeln, das nicht mehr der Aufklärung verpflichtet ist, sondern, etwas platt ausgedrückt: der Verdummung. Harald Schmidt änderte den Charakter des Kabaretts, er machte sich lustig über Minderheiten, verspottete Schwache, machte Polenwitze. Mit dieser rücksichtslosen Enttabuisierung half er mit, dass dieses Land (sozial)-politisch verrohte.”
6. Vor zwei Wochen verhandelten wir einen Fall vor dem Amtsgericht Dresden. (facebook.com, Rechtsanwaltskanzlei Kasek)
Das Amtsgericht Dresden hat entschieden, dass die Bezeichnung des Pressesprechers der AfD-Fraktion im sächsischen Landtag als “Neonazi” (genauer Wortlaut: “lupenreiner Neonazi”) im politischen Diskurs zulässig und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Wie die beteiligte Rechtsanwaltskanzlei ebenfalls mitteilt, habe das Landgericht Dresden entschieden, dass auch die Bezeichnung des sächsischen AfD-Vorsitzenden als “Nazi” im politischen Diskurs zulässig und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Im vergangenen Monat hat der Verfassungsschutz eine Broschüre zum Thema “Antisemitismus im Islamismus” herausgebracht. Darin wird unter anderem erläutert, dass im Jahr 2017 in Deutschland mehr als 100 antisemitische Vorfälle mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund registriert wurden.
Inzwischen hat auch “Bild” die Broschüre entdeckt — und ihr heute einen prominent platzierten Artikel auf Seite 2 gewidmet:
Wenn es um Gewalt und Hetze gegen Juden geht, ist die Empörung — zurecht — gleich immer groß bei den “Bild”-Medien. Wenn es um Gewalt und Hetze gegen Muslime geht, hält sie sich dagegen in Grenzen. Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass 2017 in Deutschland mehr als 950 islamfeindliche Vorfälle registriert wurden, war das der “Bild”-Zeitung nur eine Randnotiz wert:
Eine Relation mit Tradition: Über Judenhass regen sich die “Bild”-Leute auch sonst viel mehr auf als über Moslemhass. Und am meisten regen sie sich auf, wenn Juden die Opfer sind und Muslime die Täter. Erst gestern schrieb Michael Wolffsohn in einem “Bild”-Kommentar, in dem es eigentlich darum geht, dass ein Gemälde von Emil Nolde wegen dessen Vergangenheit im Nationalsozialismus aus dem Kanzerlamt entfernt wurde:
Streiten kann und muss man über die Frage, ob, wo – gar im Kanzleramt? – und wie in einer Demokratie „belastete Kunst“ gezeigt werden solle. Unbestreitbar wollte Frau Merkel auch (neudeutsch) ein „Zeichen“ gegen Antisemitismus setzen.
Gegen Zeichen dieser Art ist — Merkel-Lob — weniger als nichts einzuwenden.
Es wäre freilich überzeugender, wäre diese Entscheidung zu einem weniger politisch überkorrekten (um nicht zu sagen: opportunistisch) gewählten Zeitpunkt getroffen worden. Erst recht überzeugender würde die wirkliche First Lady Deutschlands handeln, wenn ihre Regierung es nicht bei wohlfeilen Lippenbekenntnissen und leeren Gesten beließe.
Sie sollte den in Deutschland dominanten islamischen Antisemitismus wort- und tatenreich bekämpfen. Stattdessen beteiligt sich Deutschland unter ihrer Regie, gemeinsam mit Außenminister Heiko Maas an maßlos antiisraelischen und teils antijüdischen UNO-Entschließungen. Auf diese Weise werden Legenden zu Völkerrecht umfunktioniert.
So schnell gelangt man bei “Bild” von der Vergangenheit eines deutschen Malers zum “in Deutschland dominanten islamischen Antisemitismus” von heute.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir finden es richtig, groß über Antisemitismus jeder Art zu berichten. Aber warum nicht ähnlich groß über Islamfeindlichkeit?