Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Prozessjournalismus und Ägypten: Deutschsprachige Onlinemedien enttäuschen” (datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat vergleicht die Ägypten-Berichterstattung von “Spiegel Online” und “Welt Online” mit englischsprachigen Angeboten. Und findet keinen einzigen Link auf Quellen ausserhalb ihres eigenen Angebots. “Soziale Medienkanäle, wie Twitter, YouTube oder Flickr werden gänzlich ignoriert. Nur klassische Nachrichtenagenturen und etablierte Sender wie die BBC gelten als verlässliche Quellen.”
(Anmerkung, 9:55 Uhr: Wegen Serverproblemen auf datenjournalist.de verweist der Link derzeit auf onlinejournalismus.de.)
2. “Copy&Paste Journalismus” (reticon.de, Martin Ragg)
Martin Ragg zeigt auf, wie eine Pressemitteilung der Zeitschrift “Forschung & Lehre” Eingang in die Online-Portale findet. “Ich habe ja nichts gegen das Weiterverbreiten von Nachrichten – aber die meisten erwecken hier den Anschein als finde dort ‘redaktionelle Arbeit’ statt. Gebt den Rechnern noch etwas Zeit, dann macht das ein Algorithmus.”
4. “Tagesanzeiger klaut Bilder von iFrick.ch” (ifrick.ch, Jean-Claude Frick)
Tagesanzeiger.ch verwendet ein Bild von Jean-Claude Frick, ohne die Quelle anzugeben oder vorher anzufragen. “Witzigerweise passt das Bild gar nicht zum Inhalt, da es im Artikel um das Original weisse iPhone 4 geht, welches ja anders aussieht als meines.”
5. “Zweiklassen-Anonymisierung bei ‘Österreich’ und ‘Krone'” (kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
“Krone” und “Österreich” wenden im gleichen Artikel zwei verschiedene Arten der Anonymisierung an. Für Hans Kirchmeyr ist das weder mit Unwissenheit noch mit uneinheitlichen Vorgaben erklärbar. “Hier wird erkennbar unterteilt in schutzwürdige und weniger schutzwürdige Personen. Journalistische Willkür der grauslicheren Art.”
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1. “Westerwelle ist zurückgetreten” (tagesspiegel.de, Elisa Georgi und Florian Wessel)
Tagesspiegel.de erinnert sich an den Fall “Bluewater” (BILDblogberichtete), der am 10. September 2009 den Puls in der Redaktion ansteigen liess. Elisa Georgi und Florian Wessel bezweifeln, “dass durch diese Art der falschen Berichterstattung die Welt wirklich verbessert werden kann”. “Statt über die ‘Blödheit’ einiger Journalisten zu lachen und von nun an kritisch an das zu gehen, was man täglich in der Zeitung liest, führen ‘Fakenews’ eher zu einer Verunsicherung der Leser, welche so schon in der Nachrichtenflut ertrinken.”
2. Interview mit Matthias Matussek (meedia.de, Christopher Lesko)
Teil 1 eines langen Gesprächs mit Matthias Matussek: “Schauen Sie doch auf Nixon, Tony Blair, Clinton: Lügen verschaffen vielleicht einen kurzen, strategischen Vorteil. Letztlich zahlen sie sich nicht aus und werden von der Wahrheit eingeholt. Dauerhafter sind da schon Wahrheits-Sager wie Ghandi oder Martin Luther King.”
3. “Darf ich vorstellen: Der Embedded Advertiser” (juliane-wiedemeier.de)
“I♥KR” steht auf dem T-Shirt einer der Kandidatinnen in der Sat.1-Sendung “Deutschlands Meisterkoch”. Juliane Wiedemeier fragt sich, ob KR ihr Freund ist oder ob es sich um eine “Liebesbekundung für das chemische Element Krypton im Speziellen oder Kommerzienräte im Allgemeinen” handelt.
4. “‘Heute’ sabbert sich ein Nacktbild von Sibel Kekilli” (kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Die Gratiszeitung “Heute” illustriert ein Zitat des Gerichts, dass es Sibel Kekilli nicht mehr zu dulden hat, dass das Fernsehen “nach so vielen Jahren” Szenen aus einem Porno, in dem sie mal mitgespielt hat, ausstrahlt, “ausgerechnet mit einer Nacktszene aus besagtem Porno”.
5. “Unter Linken – Die Links” (scienceblogs.de/primaklima, Georg Hoffmann, Videos)
Georg Hoffmann fand den Film “Unter Linken” von Jan Fleischhauer “exzellent und sehr lustig und manchmal auch sehr wahr”. Michael Angele auf freitag.de dagegen: “Das Problem ist, dass Fleischhauer in seinem Film nur am Rande als Satiriker auftritt. Er ist auch nicht erkennbar ein Aufklärer.”
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1. “Fake TV: Reklame statt Recherche” (ndr.de, Video, 7:48 Minuten)
Wie Bildmaterial, das im Auftrag von Firmen hergestellt wurde, seinen Weg in den Nachrichtenteil des Fernsehprogramms findet.
2. “Angriff ist die beste Verteidigung” (medienspiegel.ch, Ugugu)
10 Tipps für von der Entlassung bedrohte Journalisten. Punkt 6: “Maximalforderungen aufstellen: Mehr Personal, 7 Wochen Ferien, mehr Mitarbeiterbeteiligung, mehr Weiterbildung. Je unrealistischer, desto besser. Minimalforderungen bereithalten: Keine Entlassungen, Teilzeitpensen, akzeptable Sozialpläne für freiwillige Ausreisser”.
Die Axel Springer AG behält sich das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten. Das kann man aus einer Stellungnahme folgern, die die Rechtsabteilung des Verlages gegenüber dem Presserat abgegeben hat.
Es geht um die Art, wie die “Bild am Sonntag” im vergangenen Bundestagswahlkampf die Steuerpläne der Parteien darstellte (wir berichteten). In einer Übersicht zum Ausschneiden und Aufheben stellte sie scheinbar die unterschiedlichen Positionen der Parteien dar. Bei der Linken fanden sich — als einziger Partei — ausschließlich Pläne für Steuererhöhungen. In seinem auf der nächsten Seite stehenden Leitartikel bestätigte der “stellvertretene (sic!) Chefredakteur” Michael Backhaus den Eindruck: “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen.” Das war angesichts des Wahlprogramms, das Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen vorsah, objektiv falsch …
… nach Ansicht der Abteilung Verlagsrecht der Axel Springer AG jedoch absolut zulässig. Sie erklärte gegenüber dem Presserat, bei dem wir uns über die Berichterstattung der “Bild am Sonntag” beschwert hatten, dass der Presserat selbst schon 1990 festgestellt habe, dass es nicht zu kritisieren sei, wenn eine Zeitung lediglich über einen bestimmten Ausschnitt aus einem Wahlprogramm berichte. Die Richtlinie 1.2 im Pressekodex, die sich mit der Wahlkampfberichterstattung beschäftigt, sei bloß eine “Kann-Bestimmung”.
Zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, dass die Presse in der Wahlkampfberichterstattung auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt.
Ob eine Zeitung dieser Empfehlung folgen wolle, müsse ihr selbst überlassen bleiben, argumentiert Springer. Der Verlag beharrt zudem darauf, dass der von uns bemängelte Kasten die Forderungen der Linkspartei korrekt wieder gegeben habe — die Erhöhung des Steueraufkommens sei ein zentraler Bestandteil des Wahlprogramms.
Der Beschwerdeausschuss des Presserates widersprach:
Zwar kann eine Redaktion selbst entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzt, wenn sie über Wahlprogramme berichtet und ist nicht gezwungen, jeweils alle Details zu nennen. Insbesondere in Kombination mit dem Kommentar-Satz “Die Linke denkt nur ans Erhöhen” wird jedoch der Eindruck erweckt (…), es gebe keinerlei Steuersenkungs-Pläne im Programm. Die Darstellung ist irreführend, da nicht mitgeteilt wird, dass DIE LINKEN für etliche Gruppen die Steuern senken wollen. Im Sinne einer umfassenden Information des Lesers wäre es notwendig gewesen, auch das zumindest zu erwähnen. Das hätte die Sorgfaltspflicht erfordert.
Der Presserat erteilte “Bild” deshalb einen “Hinweis”, die Schwächste der drei (allesamt folgenlosen) Beanstandungs-Formen des Gremiums.
Nicht bemängelt wurde vom Presserat, dass die “Bild am Sonntag” einer Gegendarstellung, in der Oskar Lafontaine später den falschen Behauptungen der Zeitung widersprach, den Satz hinzufügte, sie sei zu deren Abdruck “unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt” verpflichtet — und so den falschen Eindruck erweckte, Lafontaines Äußerungen seien unwahr.
Ernst Cramer, der 96-jährige Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer-Stiftung, hat für “Bild” einen Artikel über den “Teufels-Pakt” zwischen Hitler und Stalin geschrieben. Die Zeitung hat ihn auch online veröffentlicht und, wie üblich bei Bild.de, einzelne Wörter im Text mit früheren Artikeln verlinkt, um auf diese Weise die Klick-Zahlen in die Höhe zu treiben.
Diese Geschichte ist schon ein paar Wochen alt. Aber da der Wahlkampf ja nicht vorbei ist, lohnt es sich vielleicht trotzdem, sie noch zu erzählen.
Ende Juni hatte die “Bild am Sonntag” schon auf dem Titel eine tolle Nachricht für ihre Leser. CDU, CSU und FDP hätten “versprochen, dass sie die Mehrwertsteuer unter keinen Umständen erhöhen werden”.
Und was von so einem Wahlversprechen zu halten ist, erklärte die “Bild am Sonntag” auch gleich: total viel! “Nie gekannte Klarheit” attestierte der “stellvertretene” Chefredakteur Michael Backhaus den drei Parteien: “Sie garantieren den Bürgern einen Verzicht auf höhere Steuern überhaupt”.
SPD und Grüne wollten zwar anscheinend den “Steuer-Schwur” der “Bild am Sonntag” nicht leisten; Backhaus fand in ihren Programmen aber immerhin “Steuersenkungsversprechen für Geringverdiener”. Nur die Linkspartei…
Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen.
Das deckte sich mit der kleinen Übersicht, die die “Bild am Sonntag” auf der gegenüberliegenden Seite über die “Positionen der Parteien zur Steuerpolitik” zum Ausschneiden und Aufheben angefertigt hatte. Bei der Linken fanden sich — als einziger Partei — ausschließlich Pläne für Steuererhöhungen.
Das war, wie gesagt, Ende Juni. Fünf Wochen später erschien in der “Bild am Sonntag” folgende Gegendarstellung:
Lafontaine hat Recht. Der Eindruck, den die “Bild am Sonntag” erweckt, dass das Wahlprogramm der Linken nur Steuererhöhungen enthält, ist unzweifelhaft und nachweisbar objektiv falsch.
Die “Bild am Sonntag” aber schrieb unter die Gegendarstellung:
Nachdem die Potsdamer Staatsanwaltschaft am Dienstag vergangener Woche bekannt gegeben hatte, dass eine junge Frau tot aufgefunden wurde und gegen einen Mann wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werde, berichtete auch “Bild” – und zwar…
… am Mittwoch vergangener Woche, am Donnerstag vergangener Woche, am Freitag vergangener Woche, am Samstag vergangener Woche sowie am Montag dieser Woche und am Dienstag dieser Woche.
Alle diese Berichte, verfasst u.a. von “Bild”-Reporter Jörg Bergmann, waren illustriert mit allerlei Fotos, die “Bild” offenbar aus Internetseiten zusammengesucht hatte: “Bild” jedenfalls nannte als Quelle einfach nur “Web”. Und ab Tag 2 der Berichterstattung zeigten alle diese Fotos das Opfer (das mit der Preisgabe privater Daten im Internet – StudiVZ, MySpace etc. – leider nicht zimperlich gewesen ist) ohne jede Unkenntlichmachung. Wollten wir indes die vielen “Bild”-Berichte ohne irgendeine Urheber- und Persönlichkeitsrechtsverletzung zeigen, bliebe davon wohl nicht mehr viel übrig (siehe Beispielausriss).
Heute nun berichtet “Bild” wieder über den Fall, wieder fast seitenfüllend. Aber anders als bisher wird der heutige Bericht nicht mit Fotos des Opfers illustriert. Anders als bisher wird die junge Frau heute auch nicht mehr bei ihrem richtigen Vornamen und abgekürzten Nachnamen genannt, sondern plötzlich:
Und bei Bild.de sind die bisherigen Veröffentlichungen zum Thema (außer ein paar, in deren URL die, ähm, unbeachtete Aufforderung “ACHTUNG… PIXELN” steht) vollständig aus dem Angebot entfernt.
Erfahrungsgemäß machen “Bild” und Bild.de sowas nicht freiwillig.
Und dass “Bild” nach einer Woche täglicher Berichterstattung auf einmal von selber zur Besinnung gekommen wäre, ist unwahrscheinlich: Über den Mann, gegen den im Zusammenhang mit dem Todesfall ermittelt wird, berichtet “Bild” auch heute wieder ausführlich, vorverurteilend und identifizierbar — und (seit gegen ihn auch wegen Mordes ermittelt wird) auch ohne schwarze Balken oder sonstige Unkenntlichmachung.
Peinlich, was der ARD da am Samstag in den “Tagesthemen” passiert ist. Sehr peinlich sogar: Sie blendete eine falsche Deutschlandfahne ein, die statt schwarz-rot-gold, rot-schwarz-gold war. In “Bild” ist dieser “Fahnen-Flop” heute Titelschlagzeile (siehe Ausriss).
Bild.de berichtet schon seit gestern in einem kurzen Text darüber. Und weil “die entsprechende Passage” aus der ARD-Mediathek “bereits verschwunden” sei, verlinkte Bild.de auf ein YouTube-Video:
Das verlinkte Video wurde von einem Benutzer bei YouTube eingestellt, der sich den Namen “Volkwarth” gegeben hat. Es ist nicht sein einziges Video.
In “Volkwarths” Profil finden sich neben den deutschen Spielfilmen “Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies” (1940) oder “Bismarck” (1940) beispielsweise auch Mitschnitte von TV-Dokumentationen zum Thema Ausländerkriminalität. Zudem gibt es Videos von NPD-Kundgebungen und -Reden. Martin Walsers umstrittene Rede in der Paulskirche ist dort zu finden und ein “Privatgespräch Hitler Mannerheim”. Zudem zeigen diverse Videos Mitschnitte von Fernsehsendungen, deren Thema auf die ein oder andere Art der “jüdische Einfluß” auf Politik und Gesellschaft ist: “Jüdischer Einfluß – Die Israel-Lobby”, “Senta Bergers Erlebnisse im jüdischen Hollywood”, “Holocaust Konferenz und jüdischer Einfluß / demaskieren”
Kurz gesagt: “Volkwarths” YouTube-Videos beschäftigen sich primär mit Ausländerkriminalität, der NPD und den Juden. Diese Themenauswahl sollte einen vielleicht zweimal nachdenken lassen, ob es sinnvoll ist, dorthin zu verlinken – insbesondere, wenn man, wie Bild.de, täglich mehrere Millionen Leser hat.
Nichts mehr zu überlegen gibt es, wenn man sich einige Kommentare durchliest, die “Volkwarth” unter seinen Videos abgegeben hat:
Nachdem also ausgerechnet ein Internet-Angebot der Axel Springer AG zu einem YouTube-Nutzer mit offensichtlich rechtsradikalen und antisemitischen Ansichten verlinkt, wollten wir von der “Bild”-Pressestelle wissen, ob das Absicht war, und ob auf Bild.de verlinkte Seiten vorab redaktionell überprüft werden. Bisher haben wir zwar noch keine Antwort erhalten, aber der Link, der seit gestern Nachmittag online war, wurde kurz nach unserer Anfrage aus dem Artikel entfernt.
Mit Dank an Frank T. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 15.29 Uhr: Auch “Spiegel Online” verlinkt das YouTube-Video von “Volkwarth”. Allerdings direkt auf der eigenen Seite eingebunden. Ebenso wie Netzeitung.de.
Nachtrag, 15.50 Uhr: Die “Bild”-Pressestelle hat sich mittlerweile für den “Hinweis” bedankt, unsere Fragen jedoch unbeantwortet gelassen.
Es ist schwer zu sagen, wo die Enttäuschung über das Wahlergebnis am Sonntagabend größer war: beim Wahlkampfteam der hessischen CDU oder in den Redaktionsräumen von “Bild”. Die ganze Mühe war umsonst gewesen, der ganze Populismus und die ganzen Kampagnen.
In ihrer, ähm, Wut (und vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, bei denen nach Meinungsumfragen die Linke ebenso wie in Hessen und Niedersachsen die Fünf-Prozent-Hürde schaffen könnte) schießt sich “Bild” seit gestern auf die Linkspartei ein.
Gysi und Lafontaine von der Linkspartei — Warum sind diese beiden so gefährlich?
Die Erfahrung mit “Bild”-Überschriften lehrt, dass diese Frage im Text natürlich nicht direkt beantwortet wird. Dafür beguckt sich “Bild” die Linkspartei von allen Seiten und “analysiert” u.a.:
Die Linkspartei behauptet: Unsere Politik ist finanzierbar. Wir halten das, was wir versprechen!
Wahr ist: Die von der Linkspartei gewollte Erhöhung von Rente, Grundeinkommen und Arbeitslosengeld kostet Milliarden. Woher sie kommen sollen? Der Steuerzahler zahlt! Jährlich etwa 150 Milliarden Euro. Der Rentenkassenbeitrag von jedem, der heute arbeitet, müsste drastisch steigen. Hunderttausende Jobs wären in Gefahr.
Was die “Bild”-Zeitung ihren Lesern verschweigt: Die Zahlen, die sie als “Wahrheit” verkauft, stammen nicht von irgendeinem unabhängigen Institut, sondern von der SPD-Bundestagsfraktion (pdf). Im vergangenen August wurden sie ausdrücklich für die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz im Wahlkampf verteilt. Die Berechnungen sind mindestens umstritten — “Bild” gibt nicht einmal ihre Quelle an.
“Bild” weiter:
Die Linkspartei behauptet: Wo wir regieren, geht es den Menschen besser.
Wahr ist: Berlin (SPD/Linke seit 2001) liegt bei der Arbeitslosenrate auf dem drittletzten Platz (14,2 %, Dez. 2007) der 16 Bundesländer. Mecklenburg-Vorpommern lag unter der rot-roten Regierung (1998 bis 2006) stets auf einem der letzten Plätze, ebenso wie bei der Kaufkraft pro Kopf (2006). Berlin liegt hier auf Platz 9.
Wahr ist auch, dass die Arbeitslosenquote in Berlin von 1997 bis 2001 unter Eberhard Diepgen (CDU) fast stagnierte, während sie in der gesamten Bundesrepublik zurückging. Unter der großen Koalition aus SPD und CDU lag Mecklenburg-Vorpommern im Dezember 2007 nicht mehr auf “einem der letzten Plätze” bei der Arbeitslosenrate, sondern auf dem letzten. Auf Platz 15 und damit noch hinter Berlin: Sachsen-Anhalt, regiert von einer weiteren großen Koalition unter CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer.
Aber die Argumentation mit ostdeutschen Bundesländern ist ohnehin unfair, da die Unterschiede zu den sog. alten Bundesländern auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung teils noch erheblich sind. (Mal ganz abgesehen davon, dass es sein könnte, dass die Arbeitslosigkeit dort, wo die Linkspartei mitregiert, auch deshalb sehr hoch ist, weil die Menschen dort, wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, dazu neigen, in ihrer Enttäuschung über die anderen Parteien die Linke zu wählen.)
Aber weiter im “Bild”-Text, denn es kommt noch besser:
Die Linkspartei behauptet: Hartz IV muss weg.
Wahr ist: Im Bundesrat stimmte 2003 das rot-rote Berlin für die Hartz-Gesetze, die damalige rot-rote Regierung von Mecklenburg-Vorpommern enthielt sich.
Wahr ist das nicht! Mal abgesehen davon, dass “Bild” die Sache mit den Enthaltungen im Bundesrat offenbar immer noch nicht verstanden hat, hat sich (wie uns die Berliner Linke und der Berliner Senat auf Nachfrage bestätigen) 2003 bei der Abstimmung über die Hartz-Gesetze nicht nur Mecklenburg-Vorpommern enthalten, sondern auch “das rot-rote Berlin”. Und was noch wichtiger ist: Auch 2004, als im Bundesrat tatsächlich konkret über Hartz IV abgestimmt wurde, enthielt sich Berlin ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern — und zwar genau wie die nicht rot-rot regierten Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen Anhalt und Thüringen.
Schließlich heißt es in “Bild” noch:
Lafontaine behauptet: Die Linkspartei und nicht die SPD ist der wahre Anwalt der kleinen Leute.
Wahr ist: Nach Ansicht vieler, die ihn kennen, will Lafontaine vor allem persönlich Rache an Ex-Kanzler Schröder und der SPD nehmen, deren Vorsitzender er von 1995 bis 1999 war.
Inwieweit diese “Wahrheit” Lafontaines “Behauptung” widerlegen soll, wissen vermutlich nur die “Bild”-Autoren.
Mit Dank auch an Ilo.
Nachtrag, 31.1.2008: Was an einem Tag “wahr ist”, kann am nächsten schon “falsch” sein? In “Bild” schon. Dort heißt es heute in der Korrekturspalte:
In der BILD-Ausgabe vom 30. Januar hieß es, die Berliner Landesregierung aus SPD und Linkspartei habe 2003 im Bundesrat den Hartz-Gesetzen zugestimmt. Das ist falsch. Sie hat sich enthalten.
Tja. Wie viele Fotos hätte der Bild.de-Autor noch in der Fotogalerie gebraucht, um nicht zu behaupten, an diesem getunten VW Passat Variant (siehe Ausrisse) seien keine Außenspiegel zu sehen?
Nachtrag, 19. Februar. Nach drei Tagen hat auch Bild.de sie entdeckt.