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Sternestunden des Journalismus

Kennen Sie das “Burj al Arab” in Dubai?

Sicher kennen Sie:

Ein grosser Hafen, eine internationale Airline und das weltweit einzige Sieben-Sterne-Hotel Burj Al Arab waren Ausdruck der Vision und sind teilweise wirtschaftliche Erfolgsgeschichten.
(“NZZ am Sonntag”, 29. November 2009)

Binnen weniger Jahre mauserte sich die Berichterstattung über seine künstlichen Inseln, die glitzernden Hochhaustürme (darunter selbstverständlich das demnächst höchste Gebäude der Welt) und natürlich ganz besonders das welterste “Sieben-Stern-Hotel” zu so etwas wie einem eigenständigen journalistischen Topos.
(“Kurier”, 28. November 2009)

[A]n Dubais Topstrand also, nicht viel mehr als einen Wasserpistolen-pumpstoß entfernt vom bisherigen Wahrzeichen des Emirats, dem weißen, segelförmigen Siebensternehotel Burj al Arab, das gerade zehn Jahre alt geworden und schon ein Mythos ist und höher aus dem Wasser ragt, als es der Eiffelturm tun würde.
(“Die Presse”, 27. November 2009)

Pünktlich zur Jahrtausendwende wurde in Dubai mit dem “Burj al Arab” das erste Sieben-Sterne-Hotel der Welt eröffnet;
(“Süddeutsche Zeitung”, 14. Oktober 2009)

Das Fotoprojekt von Lamya Gargash dokumentiert die Ein-Sterne-Hotels eines Landes, das vor allem für das Burj al Arab bekannt ist: das einzige Sieben-Sterne-Hotel der Welt.
(“Spiegel Online”, 15. Juni 2009)

Im berühmten 7-Sterne-Hotel Burj al Arab gab es am Montagabend einen Empfang für die deutschen Gäste. Vielleicht trösten Glanz und Pracht des Bauwerks ein wenig über die Strapazen der Reise hinweg.
(stern.de, 2. Juni 2009)

Jetzt ist es raus: Der 96 m hohe gläserne Hotelturm im Palais Quartier wird ein Juwel. Gepachtet und gemanagt von der Luxushotelgruppe Jumeirah. Die betreibt auch das Burj Al Arab in Frankfurts Partnerstadt Dubai, das einzige 7-Sterne-Hotel der Welt.
(“Bild”, 30. April 2009)

Aber wissen Sie auch, wie viele Sterne das “Burj al Arab” in Dubai hat?

Der General Manager verrät es Ihnen gerne in einem Werbetext, den die Deutsche Presseagentur anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Hotels verbreitet hat (und unter anderem bei n-tv.de, “RP Online”, “Welt Online” und Sueddeutsche.de veröffentlicht wurde):

“Das Hotel hat einen eigenen Mythos. Wir haben nie behauptet, dass wir ein Sieben-Sterne Hotel sind. Das hat man uns nachgesagt”, erzählt Heinrich Morio, der General Manager des “Burj Al Arab”.

Nun könnte man natürlich sagen, dass so ein bisschen Understatement den ganzen Luxus des Hotels noch mal ein bisschen mehr strahlen lässt. Andererseits gibt es aber tatsächlich ein “weltweit einziges” und “welterstes” Sieben-Sterne-Hotel.

Das Schweizer Zertifizierungsunternehmen SGS hat im März 2007 eine neue Klasse eingeführt und die “Town House Galleria” in Mailand im darauf folgenden Dezember mit sieben Sternen ausgezeichnet.

Zumindest bei “Spiegel Online” und Bild.de hätte man das wissen können — zumal man dort bereits im Oktober 2008 berichtete, dass sich “mehr und mehr Luxushotels” mit sieben Sternen schmückten.

Damals schrieb Bild.de übrigens:

Weltweit gibt es offiziell nur einen bis fünf Sterne.

Diese Aussage ist weder falsch noch richtig, denn “weltweit” gibt es gar keine weder eine zentrale Sternvergabestelle noch einheitliche Qualitätskriterien. Letzteres hat die Welt der Hotels mit der des Journalismus gemein.

Mit Dank an Mario Z.!

PR, Tagesschau, Greenpeace

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die PR-Branche und ihre Tricks”
(ndr.de, Video, 8:32 Minuten)
Wie Bürgerinitiativen von Politikern initiiert und von PR-Büros organisiert werden, wie die PR-Beauftragte der Deutschen Bahn in Foren als Kommentatoren aktiv sind und wie Ursula von der Leyen einen Preis für PR-Leistungen kriegte.

2. “Zehn Jahre sind genug!”
(georgholzer.at)
“Dies hier ist ein öffentliches Posting, in dem ich von ALLEN Presseverteilern dieser Welt gelöscht werden will. Ein Link zu diesem Blogpost geht als Auto-Reply an alle, die mir künftig Presseaussendungen zukommen lassen.”

3. “Tagesschau: So macht man Politik mit Schaubildern”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht vergleicht von der ARD-Tagesschau gezeigte Grafiken zum Fall Brender und sieht darin “eine deutlich geschönte Darstellung der Verhältnisse im ZDF-Verwaltungsrat”.

4. “Greenpeace jetzt für Gentechnik?”
(blogs.taz.de/saveourseeds)
Der taz-Blogger saveourseeds kauft sich aufgrund der Pressemitteilung “Neuer Greenpeace-Chef kündigt Strategiewechsel an” den “Spiegel”, sieht das dann aber aufgrund des konkreten Interviews nicht bestätigt – “von Strategiewechsel (ausser dass er jetzt öfter mal hungerstreiken will) ist wenig zu erkennen”.

5. “Der Glückliche”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Michael Hanfeld glaubt, dass “Bild”-Chef Kai Diekmann mit seinem Blog “Ihr alle seid ‘Bild'” aufzeigen will – und damit auch teilweise Erfolg hat, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der “taz”: “Die Posse mag noch so peinlich scheinen, sie erschüttert die linke ‘taz’ in ihren Grundfesten. So humorlos, dumm und selbstgefällig erschien sie lange nicht. Den ‘taz’lern hätte Böses vielleicht schwanen sollen, als ihr Intimfeind Diekmann im Mai Anteile der Genossenschaft kaufte.”

6. “Themenpark: Meinungsmacher”
(dctp.tv, Videos)
Stefan Niggemeier, Sascha Lobo, Markus Beckedahl, Johnny Häusler und Jakob Augstein im Gespräch.

Bild  

Ein exklusiver Entführungsfall

In Frankfurt am Main ist in der Nacht zum vergangenen Samstag ein 22-jähriger Amerikaner verschwunden. Weil “Bild” ihn für den “Sohn eines vermögenden Top-Bankers” (“und somit ein lohnendes Entführungsopfer”) hält, fragt die Zeitung heute in ihrer Regionalausgabe und online:

Seit 7 Tagen ist Devon Hollahan spurlos verschwunden: Sohn eines US-Bankers in Frankfurt entführt?

Kidnapping, Unglücksfall oder gar Mord? Seit 7 Tagen fehlt vom US-Millionärssohn Devon Hollahan (22), der in Frankfurt das Pink-Konzert besuchte, jede Spur. Im Polizeipräsidium klingeln alle Alarmglocken!

Der Artikel ist derart merkwürdig, dass wir am Besten mit einer (vermeintlichen) Kleinigkeit beginnen: Devon Hollahan war nicht beim Pink-Konzert. Er hatte auch nie vor, das Pink-Konzert zu besuchen, denn er war in Frankfurt, um sich die amerikanische Rockband “Portugal. The Man” anzusehen. Die Band beteiligt sich bei Facebook an der Suche nach Devon und fügt hinzu, dass sie beim Konzert in Frankfurt noch mit ihm “rumgehangen” habe.

Das mag ein unwichtiges Detail sein, bedeutet aber auch, dass Devon nicht in der Festhalle am Messegelände war, wie “Bild” schreibt (und der Hessische Rundfunk abschreibt), sondern in der “Batschkapp” im Stadtteil Eschersheim — was ja doch einen Unterschied macht, wenn es etwa um Zeugen geht, die ihn gesehen haben könnten.

Kommen wir nun zu den “Alarmglocken” im Polizeipräsidium:

Mittlerweile scheint aus dem “normalen Vermisstenfall” ein Kriminalfall zu werden!

Diese Meldung scheint “Bild” mal wieder weltexklusiv zu haben, denn uns sagte die Polizei, was sie auch der dpa (die “Bild” im Bezug auf das Pink-Konzert blind glaubt) erzählt hatte: Man behandle die Suche “wie einen normalen Vermisstenfall”.

Aber “Bild” weiß noch mehr:

“Morgan Stanley”-First Vice President Jeffrey Hollahan ist bereits in Frankfurt gelandet, sucht selbst nach seinem Sohn

Sagen wir es so: Es gibt Gründe zu bezweifeln, dass Jeffrey Hollahan tatsächlich einen derart hohen Posten bekleidet, wie “Bild” seine Lesern glauben lassen will. Zwar bezeichnet er sich auf seiner Profilseite beim Geschäftsnetzwerk Linkedin als “VP at Morgan Stanley”, aber schon ein Klick auf das Unternehmensprofil deutet an, dass es bei der US-Bank (auf deren offizieller Website der Name Hollahan nicht einmal auftaucht) viele, viele “Vice Presidents” gibt.

Oder, wie die Wikipedia schreibt:

In großen Brokerunternehmen und Investmentbanken gibt es üblicherweise mehrere Vice Presidents in jeder örtlichen Zweigstelle, der Titel ist dann eher eine Absatzmethode für Kunden als die Bezeichnung für eine tatsächliche leitende Position innerhalb des Unternehmens.
(Übersetzung von uns)

Die Frankfurter Polizei wollte die berufliche Position des Vaters weder dementieren noch bestätigen, aber er selbst wird von der Nachrichtenwebsite “The Local” mit den Worten zitiert, er sei kein berühmter Banker oder Manager, sondern Finanzberater. All das hielt die Deutsche Presseagentur freilich nicht davon ab, in einer Meldung zu schreiben:

Laut “Bild”-Zeitung handelt es sich bei dem Vermissten um den Sohn eines Top-Managers der US-amerikanischen Bank Morgan-Stanley. Die Polizei wollte das nicht bestätigen.

Auch die Behauptung von “Bild”, Jeffrey Hollahan sei bereits in Frankfurt, wollte die dortige Polizei nicht kommentieren. Allerdings berichtet ein lokaler Fernsehsender (dessen Website die “Bild”-Redakteure besucht haben, um an ein Bild des Vaters zu kommen), dass er erst am Sonntag nach Deutschland aufbrechen wolle, wenn Devon nicht bald gefunden werde.

Noch mehr Exklusivmeldungen aus “Bild”?

Die hohe Brisanz des Falles zeigt, dass sogar die US-Bundespolizei “FBI” im “Fall Devon” ermittelt, die Hessen-Landesregierung eingeschaltet ist und über die Ermittlungen informiert wird.

Das FBI ist nach Auskunft der Polizei Frankfurt zwar noch nicht eingeschaltet, aber die luxemburgische Zeitung “L’Essentiel”, die französische Nachrichtenagentur “AFP” und der US-Finanznachrichtendienst Bloomberg scheint der deutschen Boulevardzeitung voll zu vertrauen:

Die deutsche Zeitung “Bild”, die zuvor über den Fall berichtet hatte, sagt, dass das FBI das Verschwinden ebenfalls untersuche.
(Übersetzung von uns)

Nun könnte man natürlich auch noch einwenden, dass es schon recht präziser Planung bedürfe, den Sohn eines “vermögenden Top-Bankers” (oder eines einfachen Finanzberaters), der für einen Tag von seinem Wohnort Prag nach Frankfurt gereist ist, um drei Uhr nachts in der dortigen Innenstadt zu entführen. Aber das wäre vielleicht zu vernünftig.

Ach, und dann ist da noch das Foto, von dem man glauben könnte, dass es zeigt, wie Kripo und FBI in der Taunusanlage ermitteln:

Interessanterweise scheinen dieselben Beamten in denselben Klamotten und mit demselben Wagen an derselben Stelle vor einem Monat schon in einem anderen Fall ermittelt zu haben:

Mit Dank an Matthias F.

Nachtrag, 23. Dezember: Nachdem “Bild” zunächst noch nach den vermeintlichen Entführern gefahndet hatte, ist jetzt klar, dass Devon Hollahans Leiche vergangene Woche in Boppard aus dem Rhein geborgen wurde.

Die Frankfurter Polizei stellt dazu fest:

Hinweise auf ein Gewaltverbrechen wurden im Rahmen der Obduktion nicht gefunden, so dass die Vermisstenstelle der Frankfurter Kriminalpolizei davon ausgeht, dass Devon Hollahan in den Morgenstunden des 21.11.2009 unter Alkoholeinfluss in den Main gestürzt und ertrunken ist.

Dönhoff, Newsroom, Wagner

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Thema: Marion Dönhoff”
(zeit.de)
Ein Dossier von Zeit.de zum 100. Geburtstag von Marion Gräfin Dönhoff.

2. “Merkwürdige Verzweiflungsfotos”
(internetausdrucker.wordpress.com)
Der Internetausdrucker denkt nach über die “Verzweiflungsfotos”, die derzeit neben Minister Franz Josef Jung abgebildet werden: “Sie sind Momentaufnahmen aus anderen Situationen, sie können Wochen und Monate alt sein.”

3. “Der Newsroom als Alarmzentrale einer panischen Gesellschaft”
(woz.ch, Kaspar Surber)
Über 10 Milllionen Franken (ca. 7 Millionen Euro) kostet der neue Newsroom der “Blick”-Gruppe. “Im oberen Stock wird in der Mitte ein ‘Decision Place’ zu liegen kommen. Hier werden die Chefredaktoren arbeiten. Gleich anschliessend sitzen auf der einen Seite die RessortleiterInnen, dann folgt ein ‘Content Place’ mit den JournalistInnen.'” Projektkoordinator Edi Estermann: “Je weiter weg einer vom Zentrum sitzt, desto eher ist er ein Praktikant.”

4. Interview mit Peter Kruse
(sueddeutsche.de, Johannes Kuhn)
Psychologe Peter Kruse zum neuen Buch von FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher über die von ihm erlebte Überforderung mit der Informationsflut im Internet: “Mit seinem Buch outet sich Herr Schirrmacher als fremdelnder Netzwerk-Besucher, als Zaungast, der einer wilden Party gleichermaßen neugierig wie irritiert aus der Ferne zuschaut.”

5. “Das Geheimnis F. J. W.”
(kaidiekmann.de, Video, 7:51 Minuten)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann besucht den “Bild”-Kolumnisten Franz Josef Wagner, der es bedauert, ungekämmt zu sein und seine Zeilen zwar noch schreibt, aber nicht mehr in der Zeitung liest. Verfasst wird die tägliche Kolumne auf einem “Laptop” (so nennt Diekmann Wagners Computer) – und von dort abgelesen wird sie wohl, wie 2006 und 2009 berichtet, der Redaktion telefonisch durchgegeben.

6. “(NZZ-)Online-User bringen nur Peanuts ein”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Albert P. Stäheli, CEO der NZZ, sagt, wie tief der Graben der Einnahmen zwischen Online- und Printwerbung ist: “Jährl. Werbeumsatz pro Print-Leser: Fr. 175.-. Jährl. Werbeumsatz pro Online-User: Fr. 6.50”.

Savelberg, Kochsendungen, Federer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Rob Savelberg
(blogsprache.de, Torben Friedrich)
Journalist Rob Savelberg spricht über die Auswirkungen einer Frage an einer Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag. “Die Qualität meiner Frage war ganz normal. Es fiel mir nur auf, dass von 300 Journalisten in der Bundespressekonferenz niemand nach der Personalie Schäuble weitergefragt hat. Den Spendenskandal hat niemand vergessen, aber danach fragen, öffentlich, bei der ‘feierlichen’ Präsentation des neuen Koalitionsvertrag, das hat keiner gemacht.”

2. “Die Risiken der Risiko-Berichterstattung”
(tagesschau.de, Fiete Stegers)
Eine Zusammenstellung von weiterführenden Links zur “krass überzogenen” Berichterstattung vieler Medien zur Schweinegrippe.

3. “Veröffentlichte Namen im Wettskandal”
(ndr.de, Video, 5:14 Minuten)
Fußball: Obwohl noch nicht klar ist, wer vom Wettskandal betroffen ist, nennen “Welt Online” und “Bild” Namen.

4. “10 Kochsendungen zum Kotzen”
(fernsehkritik.tv, Video, ca. 15 Minuten)
Fernsehkritik-TV kümmert sich um die inflationär ausgestrahlten Kochsendungen am Fernsehen. Zitat aus dem Beitrag: “Früher hat das ZDF am Nachmittag niveauvolles Kinderfernsehen gezeigt. Heute gibt es dort niveauloses Erwachsenenfernsehen. Denn das hier dürfte sogar Kindern wahrlich zu blöd sein.”

5. “Text jetzt, Dessous später”
(woz.ch, Susan Boos)
Susan Boos schreibt über die sich zunehmend auflösenden Grenzen zwischen Journalismus und PR – “sechzig Prozent aller Beiträge in den Medien sind auf Pressekonferenzen oder -mitteilungen zurückzuführen” – “Die Medienschaffenden haben immer weniger Zeit, in der Folge kommen sie oft unvorbereitet an Interviews und kennen ihre Dossiers nur ungenügend oder gar nicht. So können die PR-Beauftragten sie mit Informationen füttern. Und sie nehmen das Futter dankbar an.”

6. “Roger Federer Behind Scenes CNN Interview”
(youtube.com, Video, 4:54 Minuten, englisch und spanisch)
CNN bittet den Tennisspieler Roger Federer zum Interview. Aufgezeichnet werden auch spanische Fragen, die sich Federer mit ernster Miene anhören soll.

Bild  

Erinnerungslücken

Es geht um Terror. Nein, nicht um den Raucher-Terror und auch nicht um die schöne Terror-Anwältin. In der Berliner Brunnenstraße wurde gestern ein Haus geräumt, das vor 16 Jahren besetzt wurde und in dem “Bild” ein linkes Terror-Nest vermutete.

Eine Woche zuvor hatte die Zeitung die Räumung eben dieses Hauses gefordert und dabei an eine alte Bekannte erinnert:

Nach BILD-Informationen wohnte der mutmaßliche Auto-Brandstifter Tobias P., dessen Vater für "Die Linke" in der BVV Lichtenberg sitzt, dort mit Alexandra R. (21) zusammen. Zur Erinnerung: Sie saß fünf Monate in U-Haft, weil sie ein Auto angesteckt haben soll. Anfang November war sie trotz vieler Indizien freigesprochen worden.

Diese Interpretation darf “Bild” exklusiv für sich beanspruchen.

Zur Erinnerung: Alexandra R. wurde Anfang November freigesprochen, weil es nach Ansicht des Amtsgerichts “durchgreifende Zweifel” an ihrer Schuld gab. Die Richter sagten, am “sicheren Wiedererkennen” der Angeklagten durch den Hauptzeugen gäbe es Zweifel. Und bei Alexandra R. seien keinerlei Spuren festgestellt worden, “die etwas mit Grillanzünder zu tun haben”.

Zum damaligen Richtersspruch schrieb der “Tagesspiegel”:

Innerhalb der Justiz wird unter der Hand zugestanden, dass die Festnahmen nach zwei Jahren ohne jeden Ermittlungserfolg die “erste Chance” waren – und die sollte genutzt werden. Möglichst harte Strafen sollten vor dem nächsten 1. Mai die Krawalllust dämpfen, Presse, Öffentlichkeit und Opposition hatten schließlich reichlich Druck gemacht.

Aber die Realität kann “Bild” nicht viel anhaben — die Deutungshoheit über die Schuld von Angeklagten gibt die Zeitung nicht her.

Nowottny, Netbooks, Schirrmacher

6 vor 9

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1. “Das ist ein jämmerliches Schauspiel”
(dradio.de, Gerd Breker)
Ex-WDR-Intendant Friedrich Nowottny äußert sich zum Fall Nikolaus Brender und findet es an der Zeit, “dass man über die gesetzlichen Grundlagen des ZDF nachdenkt”. “Die Parteien leiten doch ihren Anspruch zur Mitsprache davon ab, dass ihnen das Bundesverfassungsgericht attestiert hat, jedenfalls den Ländern, dass sie die Träger der Rundfunkhoheit sind, und das nutzen die nach Gutsherrenart aus – jedenfalls im ZDF.”

2. “Qualitaetsprobleme bei Netbooks oder deutschen IT-Journalisten!?”
(netbooknews.de, Sascha)
Sascha zweifelt am Gehalt einer Studie, die als Grundlage für Artikel bei Golem.de, Bild.de und anderen dient.

3. “1999 – 2009”
(blog-cj.de/blog, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz zieht sein persönliches Fazit zu 10 Jahren Journalismus im Internet: “Um noch einmal auf das ZDF zurückzukommen: 1999 existierte dort eine Zuschauerredaktion, die routiniert Fragen beantwortete und Kritiker halbwegs ruhigstellte. Wäre man böse, man würde sagen: eine Kommunikationsattrappe. Heute kann sich kein ernst zu nehmendes Medium und kein Journalist mehr erlauben, nicht mehr zu kommunizieren.”

4. “Sparen, wo es am wenigsten schmerzt”
(kleinreport.ch)
Der Kleinreport hat sich das ab 2010 geltende Spesenreglement des Ringier-Verlags angesehen. Die Vergütung von Tagespauschalen im Zusammenhang mit der Verpflegung entfallen, es werden nur “die effektiven Kosten vergütet” – “Aufwendungen für Raucherwaren, Digéstifs und Ähnliches” gehen zulasten des Mitarbeiters.

5. “Swine Flu Deaths”
(media.mercola.com, Bild, englisch)
Zahlen verschiedener Todesarten im Vergleich, unter anderem auch dabei: die Schweinegrippe.

6. Die Deutschen, das Internet und Frank Schirrmacher
(ichwerdeeinberliner.com, Wash Echte, englisch)
“As it was established before, German people quickly feel uncomfortable when there is nothing to be offended or worried about. If they currently have no personal reason to be offended or worried about anything, they will go to a bookstore to buy a book written by what they consider to be a much more intelligent person, who happens to be altruistic and kind enough to lecture them about recent developments that they should better be offended or worried about, and that person, more often than not, is Frank Schirrmacher.”

Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund

Mit Twitter geht es zu Ende.

Die aktuellen Meldungen lassen keinen Zweifel: Der Kurznachrichtendienst (von den Medien im Synonymrausch auch gerne “Zwitscherdienst”, “Zwitscher-Plattform” und “Zwitscher-Zone” genannt) hat seinen Höhepunkt überschritten. Von nun an geht’s bergab.

“Spiegel Online” berichtet:

Je höher man fliegt, desto tiefer fällt man auch. US-Marktstudien zufolge hat der hippe Kurznachrichtendienst Twitter mit einem massiven Rückgang der Nutzerzahlen zu kämpfen.

Das Online-Angebot der “Wirtschaftswoche” fragt: “Ist Twitter out?” und schreibt:

Die Besucherzahlen des Kurznachrichtendiensts Twitter brechen ein.

Und die österreichische “Presse” behauptet unter der Überschrift “Ausgezwitschert?”:

Die Zahlen sinken seit Sommer konstant. Der Microblogging-Dienst Twitter kämpft derzeit mit schwindenden Besucherzahlen. (…) Die Massen-SMS im Internet ist weit nicht mehr so beliebt wie noch vor wenigen Monaten.

Kleiner Haken an der Sache: Niemand weiß, ob das stimmt. Viel spricht dafür, dass es nicht stimmt.

Grundlage für die Negativ-Schlagzeilen sind die Angaben von verschiedenen Marktforschungs-Unternehmen, die gravierend unterschiedliche Zahlen melden, aber eines gemein haben: Sie erfassen allein die Zugriffe auf die Seite twitter.com über das Internet.

Twitter wird aber zunehmend über Programme genutzt, die direkt auf die Funktionen des Dienstes zugreifen, ohne über die Internet-Seite zu gehen, und deshalb in die genannten Statistiken nicht eingehen. Nach Angaben von “TweetStat” wird aktuell nur ein Drittel aller Tweets direkt über das Netz eingegeben. Anderen Angaben zufolge haben im August über 40 Prozent der Nutzer angegeben, zum Twittern zumindest teilweise solche Programme zu verwenden, ein Fünftel twittert auch per SMS — was ebenfalls durch die Web-Statistiken nicht erfasst würde.

Nach einer Untersuchung des Medienberaters Thomas Pfeiffer wurde im vergangenen Monat in Deutschland nur jeder dritte Tweet über die Web-Oberfläche eingestellt; fast die Hälfte der Twitterer habe die Seite Twitter.com gar nicht benutzt.

Nichts spricht also dafür, dass der Mediendienst “Meedia” Recht hat, der behauptet, die “Zwitscher-Hilfen” seien “noch immer solch ein Nischenmarkt, dass sie nicht annähernd das Besucher-Minus von Twitter erklären können”. Im Gegenteil: Die Marktforscher von “eMarketer”, auf die sich “Spiegel Online” und die meisten anderen Medien in ihren Endzeitszenarien für Twitter berufen, halten trotz des Rückgangs der Seitenzugriffe ausdrücklich an ihrer Prognose fest, dass die Zahl der Twitter-Nutzer in den Vereinigten Staaten weiter wachsen wird: von sechs Millionen 2008 auf 18 Millionen in diesem Jahr auf 26 Millionen 2010.

Aber das entspräche ja nicht dem Rhythmus der Massenmedien, die alles, was sie zum Hype hochgeschrieben haben, hinterher auch als erste wieder herunterschreiben wollen. Twitter geht es da nicht anders als Ute Lemper.

Wachhunde, Steinbrück, Sonneborn

6 vor 9

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1. “Auch kleine Wachhunde können beissen”
(nzz.ch, ras.)
Für die NZZ führen die Medienblogger die klassische Medienkritik weiter, “während sich die gedruckten Titel zusehends auf News, Skandale, Klatsch und Häme spezialisiert haben”. “Jene, die den Niedergang der Medienkritik beklagen oder die geringe Wirkung ihrer kritischen Tätigkeit beklagen, könnten von den Internet-Aktivisten einiges lernen. Sie sollten ebenfalls die grossen Potenziale des Internets nutzen. Wenig ergiebig wäre es, weitere medienkritische Symposien durchzuführen.”

2. “Steinbrück über Medien”
(evangelisch.de)
Ex-Finanzminister Peer Steinbrück beobachtet Politiker, die “mediale Zwänge bis in die Privatsphäre hinein” befolgen. Die Medien hingegen würden die Stimmung nicht nur beschrieben, sondern sie erzeugen und damit selbst “zunehmend zu politisch Handelnden” werden. Steinbrück: “Es geht vor allem darum, Einfluss zu nehmen auf die Bundesliga der politischen Köpfe. Wer gewinnt, wer verliert?”

3. Im Test: niiu
(streim.de, Andreas Streim)
Andreas Streim hat sich die individuelle Tageszeitung niiu mal angesehen: “Auf mich wirkt ‘niiu’ nicht wie eine neue Zeitung, sondern eher wie ein Pressespiegel für alle. Ob sich das bei Normalzeitungslesern durchsetzen wird, wage ich zu bezweifeln, vor allem wegen der ersten Schwachstelle, der Artikel, die nirgendwo fortgesetzt werden.”

4. “Bürgerschreck mit Kaufmannslehre”
(faz.net, Sven Astheimer)
Martin Sonneborn war auch mal sowas wie ein Praktikant: “1989 wandte sich Sonneborn an ‘Eulenspiegel’, das einzige zu DDR-Zeiten geduldete Satire-Magazin, welches nun sein gesamtdeutsches Publikum suchte. Ihm imponierte, dass der Verlag vom Osten in den Westen ging und den Preis verdoppelte, deshalb fragte er um ein Praktikum nach. ‘Die wussten nicht, was das ist, und ich eigentlich auch nicht.’ Man fand trotzdem zusammen.”

5. “Futur 3.0”
(epd.de, Sylvia Meise)
“Das Ellbogengedrängel am Medienkalender hat die Zeitpunkte unscharf werden lassen. Jubiläen wurden erst ein, dann zwei Monate, jetzt schon mal ein Jahr und mehr vorgefeiert: Erster! Manchen Verlag grämt’s. Darwins Geburtstag im Februar war schon im Dezember des Vorjahres verwurstet. Wer wollte dann noch Bücher dazu haben?”

6. “Was ist ein Bratwurstjournalist?”
(blog.nz-online.de/vipraum)
Hardy Prothmann gibt jenen, deren “muntere Zeilen” die Umblätterer in lobenswerter Form sammeln, einen Namen. Bratwurstjournalist. “Der typische Bratwurstjournalist schreibt immer dieselben blöden, langweiligen, ausgelutschten Formulierungen, wie man sie täglich in fast jeder Lokalzeitung lesen kann.”

Auf Werbegag aus der Hölle hereingefallen

Mal ehrlich: Inzwischen gibt es doch nix mehr, was man nicht auch irgendwie virtuell machen kann. Was spräche also dagegen, auch den Gottesdienst virtuell zu absolvieren? Und wäre es nicht nachgerade ein bestechender Gedanke, gäbe man in Zeiten sich allmählich leerender Kirchen einem Gottesdienst eine, sagen wir, etwas spielerische Komponente? So mit Gnadenpunkten, die man sammeln kann? Und mit Kirchenglocken, die man im Videospiel selber läutet? Virtueller Weihrauch, den man gemeinsam im Wohnzimmer ausbringen kann, ein paar Kruzifixe zum Schwingen, also im Prinzip: Wii Sports, nur sakral sozusagen.

Bei Bild.de hingegen findet man diesen Gedanken gar nicht so naheliegend: “Das kann nur ein Witz sein”, brummelt während dieses Videos hier eine Männerstimme, während sie erstaunt anhand der Orginalbilder aus dem Werbetrailer für den virtuellen Gottesdienst beschreibt, welche Features das Spiel so bietet. “Angeblich soll es 2010 auf den Markt kommen — Amen”, beendet der Bild.de-Sprecher seinen Text, vermutlich ohne zu ahnen, dass er mit dem ersten und dem letzten Satz seines Textes der Realität schon ziemlich nahegekommen ist.

Zu bekommen ist das (Sie ahnen es: vermeintliche) Spiel scheinbar auf einer Seite namens “Mass: We Pray” (Messe: Wir beten). Hätten sich die Leute von Bild.de nicht einfach nur das Videomaterial des Trailers gezogen, sondern sich womöglich noch die Mühe gemacht, irgendeinen Link auf der Seite anzuklicken (schon um zu wissen, was das Spiel denn kosten soll — was man halt sonst so “Recherche” nennt), sie wären auf eine ganz erstaunliche Weiterleitung gestoßen:

Denn tatsächlich verbirgt sich hinter dem angeblichen Sakralspiel ein profaner Teaser für ein Videospiel namens “Dante’s Inferno”, das 2010 erscheint — und selbst wenn man das Spiel nicht kennt, hätte man womöglich am Trailer erkennen können, dass dieses Spiel nur so mittelgut für den virtuellen Gottesdienst zuhause verwendbar ist. Es wirbt mit dem Slogan “Go to Hell”, der Spieler kämpft sich “durch die neun Zirkel der Hölle: Vorhölle, Wollust, Ketzerei, Habgier, Zorn, Völlerei, Gewalt, Betrug und Verrat” — frei ab 18.

Mit Dank an Jan M. und Jochen K.!

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