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Bedingungslos

Machen wir’s kurz:

8.52 Uhr: Viele Journalisten und Fotografen warten darauf, dass die angeklagten Geschwister in den Gerichtssaal geführt werden. Vor dem Beginn der Verhandlung darf für einige Minuten fotografiert werden. Einzige Bedingung, die Gesichter der Angeklagten müssen vor Veröffentlichung in den Medien unkenntlich gemacht werden.

So berichtete eine Reporterin der “Lippischen Landes-Zeitung” am Mittwoch von der Gerichtsverhandlung im Fall Arzu Ö.

Und so (also ohne die gelben Kleckse, die sind von uns) berichtet die “Bild”-Zeitung heute über den Prozess:

P.S.: Außer “Bild” (und Bild.de natürlich) ist uns kein anderes Medium untergekommen*, das sich nicht an die Bedingung des Gerichts gehalten hätte.

Mit Dank an Martin V.!

*) Nachtrag, 16.18 Uhr (mit Dank an Tim): Während das ZDF am Mittwoch in der “drehscheibe deutschland” die Angeklagten noch unkenntlich gemacht hatte, verzichtete der Sender darauf in späteren Sendungen ebenfalls.

Selbsterkenntnis wäre der erste Schritt …

Bei einem sogenannten Spiegeltest wird überprüft, ob ein Lebewesen sich in seinem Spiegelbild selbst erkennt. Damit soll die Existenz eines Selbstbewusstseins nachgewiesen werden. Menschenaffen und Delfine bestehen diesen Test beispielsweise, Menschenkinder erkennen sich üblicherweise im zweiten Lebensjahr.

Es ist mindestens zweifelhaft, dass alle Mitarbeiter von “Bild” oder Bild.de den Spiegeltest bestehen würden. Nur so kann man anprangern, dass “Google Street View” wildfremde Menschen für jeden erkennbar im Internet zeigt, indem man diese wildfremden Menschen für jeden erkennbar im Internet zeigt. Nur so kann man seiner Empörung darüber, dass Menschen im Fernsehen gedemütigt werden, Ausdruck verleihen, indem man Videos davon zeigt.

In der heutigen “Bild am Sonntag” und auf Bild.de gibt es das Foto einer “dramatischen Rettungsaktion in der chinesischen Stadt Changsha”. Es zeigt eine Frau, die “aus dem 33. Stock eines Wohnblocks springen will”, und sechs Chinesen, die “sofort zur Stelle” sind, “um die lebensmüde Dame zu retten”.

Mit Ziffern auf dem Foto erklärt “Bild am Sonntag”, wer darauf genau zu sehen ist, und welche Funktion diese Menschen ausüben.

Und so geht unsere letzte Geschichte heute gut aus: Die Frau wird gerettet.

Natürlich hat ein Roman auch immer einen Bösewicht: Diese Rolle übernimmt ein Zuschauer (5), der nicht hilft, sondern die Szene lediglich mit dem Handy fotografiert.

Welche Rolle oder Bezeichnung die Person verdient hat, die die Situation von einer anderen Position aus fotografiert und die Bilder an Nachrichtenagenturen (und letztlich auch an “Bild am Sonntag”) verkauft hat, schreibt die Zeitung leider nicht. Häufig nennt sie Leute, die ähnliches machen, aber schlicht “Leser-Reporter”.

Mit Dank an Robert W., Andreas H., Vuffi R. und Heinz B.

Rücksicht – keiner hat das Wort gekannt

Mit “Stylebook” (“Powered by Bild.de”) versucht die Axel Springer AG, am Erfolg von Fashionblogs und Modewebsites teilzuhaben. Die Verlinkungen auf der Startseite von Bild.de dürften ordentlich Klicks bringen, zum Beispiel bei dieser Geschichte:

Iris, die elfjährige Tochter von Schauspieler Jude Law (39) und Sadie Frost (46), sorgte jetzt auf der Londoner Fashion Week für Entsetzen. Grund: Zu einer Show trug sie ein Kleid mit makaberen Sprüchen: “fall tot um”, “trink Gift”, “iss Schei***”. Mama Frost will von nichts gewusst haben, obwohl sie daneben saß.

Den Eltern des Kindes war das offenbar sehr unangenehm:

Iris’ Mutter, Schauspielerin Sadie Frost, schien nicht bemerkt zu haben, was für ein Kleid ihre Tochter anhatte. Sie twitterte:

“Ich scheine Leute aufgeregt zu haben. Ich bin selbst schockiert über das Kleid, das Iris trug. Es war ein Geschenk.”

Und:

Auch Iris’ Vater, Schauspieler Jude Law (39), reagierte. Laut “Daily Mail” soll er die Zeitung gebeten haben, in ihrer Berichterstattung Rücksicht zu nehmen. Er soll gebeten haben, Iris’ Gesicht auf den Fotos, auf denen sie das entsprechende Kleid trägt, zu pixeln. Die Zeitung kam der Aufforderung nach.

Tatsächlich hat die “Daily Mail” ihrer Berichterstattung folgenden Hinweis vorausgestellt:

HINWEIS: Es ist nicht die übliche Verfahrensweise von MailOnline, die Gesichter von Prominentenkindern zu anonymisieren, wenn diese in Begleitung ihrer Eltern öffentliche Veranstaltungen besuchen, wo sie erwarten müssen, fotografiert zu werden, wie etwa in der ersten Reihe bei einer Modenschau.

Trotzdem haben wir uns entschieden, Iris Laws Gesicht zu verpixeln, angesichts der für ein junges Mädchen peinlichen Art des Vorfalls, wir folgen damit einer höflichen Anfrage ihres Vaters, Jude Law.

(Übersetzung von uns.)

Aber das ist die “Daily Mail” in England.

Bei Axel Springer hingegen:

Keine Verpixelungen.

(Überschriftenerklärung.)

Mit Dank an Simon, Daniel, Anticlimbpaint und Leo.

Nachtrag, 18.45 Uhr: “Stylebook” hat die Fotos verpixelt und folgenden Hinweis in den Artikel eingefügt:

(Nachtrag der Redaktion, 16.30 Uhr: Sorry, lieber Jude Law, das ist uns zunächst durch die Lappen gegangen. Deiner Bitte kommen wir natürlich auch nach.)

Einar Koch will Claudia Roth an die Wäsche

Bei manchen Artikeln ist man sich ziemlich sicher, herauslesen zu können, wie sie entstanden sind.

AirBerlin-Flug 6187 von Tegel nach München: Im gelben Mantel rauschte die Ober-Grüne dieser Tage an der Warteschlange beim Security-Check vorbei – ohne Handgepäckkontrolle und Abtasten. Ein Passagier empörte sich: “Hat die hier etwa Sonderrechte? Die hat ja nicht einmal Franz Beckenbauer!”

Gut denkbar, dass Einar Koch ebenfalls in der Warteschlange stand. Nicht auszuschließen, dass er auch “ein Passagier” war, der sich über Claudia Roth empörte.

In jedem Fall hat er die Anekdote genutzt, um investigative Recherchen zu betreiben. So hat Koch herausgefunden, dass “einem geheimen Erlass” zufolge (“Anlage M zum Nationalen Luftsicherheitsplan”) “Persönlichkeiten des politischen Lebens der Bundesrepublik Deutschland” von Luftsicherheitskontrollen befreit seien.

Und weiter:

Nach Informationen von BILD.de fallen unter diese Sonderregelung nicht nur der Bundespräsident, die Kanzlerin und Bundesminister. Auch die Parteivorsitzenden und Fraktionschefs der im Bundestag vertretenen Parteien haben VIP-Status bei der Sicherheit. Ebenso der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter sowie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und die Ministerpräsidenten.

Die Regelung gilt also für eine ganze Reihe von Spitzenpolitikern. Der kleine Mann von der Straße in der Warteschlange mag das empörenswert finden oder nicht, interessant und berichtenswert ist die Regelung allemal.

Kommt halt nur ein bisschen drauf an, wie man sie verpackt:

Flugkontrollen: Grünen-Chefin lässt  sich nicht abtasten! Beim Einchecken am Flughafen sind alle gleich – manche gleicher! Zum Beispiel die schrille Grünen-Chefin Claudia Roth (56). mehr...

Kleiner Trost für Frau Roth: Sie ist nicht die einzige “Bild”-Intimfeindin, die in diesem Artikel vorkommt.

Als Oskar Lafontaine noch Linke-Fraktionschef war und am Frankfurter Flughafen kontrolliert werden sollte, hatte der sich einmal sogar schriftlich beschwert.

Mit Dank auch an Robert W. und Andreas M.

Nachtrag, 16. Februar: Und so sieht das heute in der gedruckten “Bild” aus:

Warum dürfen Politiker ohne Kontrolle ins Flugzeug

Hypo Real Estate, Mely Kiyak, Schäferhund

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wen kümmern 50 Milliarden Euro?”
(stern.de/blogs, Hans-Martin Tillack)
Hans-Martin Tillack liefert Hintergründe, wie über Geldbeträge der verstaatlichten Bank Hypo Real Estate informiert wird und wie Journalisten diese Informationen aufnehmen und verarbeiten. Siehe dazu auch “Verrechnet – Milliarden und die HRE” (ndr.de, Video, 5:30 Minuten).

2. “Ui, Mely Kiyak!”
(titanic-magazin.de)
“Titanic” antwortet auf eine Kolumne von Mely Kiyak in der “Frankfurter Rundschau”, in der sie Mitglieder der Piratenpartei als “eine Ansammlung von zotteligen Typen” beschreibt. Sie schrieb damals: “Schwammige Figuren, ungesunder Teint, hässlich, mein Gott, da ist ja nix dabei! Man roch die vermieften T-Shirts regelrecht. Kein Wunder, dass keine Mädchen bei denen mitmachen. Ich verstehe jetzt auch, warum die Piraten keinen Wahlkampf mit Fotos veranstalteten – das Auge wählt schließlich mit.”

3. “Polizistenmord: Wie der Bayerische Rundfunk auf den Hund kam”
(augsburger-allgemeine.de, sbo)
Br.de illustriert eine Nachricht mit einem bearbeiteten dpa-Bild. Nebel wurde “durch ein diffuses Sonnenlicht ersetzt”, ein Schäferhund mitten in eine Gruppe von Bereitschaftspolizisten montiert. “Der Bayerische Rundfunk erklärt den Vorfall mir gegenüber mit einer internen Panne. Bei der Bildmontage handle es sich um eine Titelgrafik aus der Rundschau-Sendung im BR-Fernsehen.”

4. “Niveaulosigkeit”
(nullsummenspiel.tumblr.com, Pascal Paukner)
Pascal Paukner ärgert sich, wie Chris Köver in der Zeitschrift “Zeit Campus” über Jürgen Habermas beschreibt.

5. “Wir waren beim Fußball – und haben es überlebt”
(schwatzgelb.de, Sascha und Arne)
“Wer den Fußball komplett befrieden will, muss ihn seine Brisanz berauben – und damit auch all dem, was seine Faszination begründet”, schreiben Sascha und Arne in einem langen Artikel über Fußball und Gewalt. “Wenn sich Fangruppierungen auch abseits der Spiele bekriegen und jungen Fans auf dem Schulweg oder am Bahnhof aufgelauert wird, und wenn Täter in der Gruppe den unterlegenen Opfern die Fanutensilien rauben, dann ist das zweifelsohne bedenklich – seltsamerweise interessieren sich aber weder Polizei, noch Vereine, noch Medienvertreter für diese Ereignisse. Vielleicht sind sie einfach nicht spektakulär und medienwirksam genug?”

6. “Eine Frage des Geschmacks”
(karolinakuszyk.blogspot.com)
Karolina Kuszyk fragt ihre Freundinnen: “Was für Weisheiten haben euch eure Mütter mit auf den Weg gegeben?”

Nichts für schwache Nerven

Es ist “Hamburgs brutalste Ausstellung”, so die “Hamburger Morgenpost”. “Vom Tatort ins Labor – Rechtsmediziner decken auf” heißt sie und im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erwartet die Besucher etwa Folgendes:

Mit Drähten umwickelte Handgelenke, eine strangulierte Person auf dem Dachboden, oder blasse, aufgeschwemmte Körper von Wasserleiche: Vieles, was Rechtsmediziner am Tatort zu sehen bekommen, ist nichts für schwache Nerven.

Die Redakteure von mopo.de halten die Bilder für so hart, dass sie die Klickstrecke extra mit einem Warnhinweis versehen haben:

Achtung: Die folgenden Fotos sind nur für Benutzer ab 16 Jahren geeignet

Das ist womöglich gut gemeint, bringt aber im Zweifelsfall wenig, wenn die Startseite von mopo.de so aussieht:

Aus diesem Rohr zogen sie Gaddafi: Die letzten Stunden des Diktators

Mit Dank an Torben K.

“Bild” darf Christian Klar wieder nicht zeigen

Seit der frühere RAF-Terrorist Christian Klar im Dezember 2008 aus dem Gefängnis entlassen wurde, druckt “Bild” immer wieder aktuelle Fotos des Mannes, deren Veröffentlichung der Zeitung immer wieder von den Gerichten untersagt werden (BILDblog berichtete etwa hier, hier, hier, hier und hier).

Insofern dürfte der gestrige Termin vor dem Berliner Landgericht durchaus als “Folklore” und “Brauchtum” durchgehen: Klar war gegen die Veröffentlichung mehrerer Fotos in “Bild” und auf Bild.de vorgegangen und konnte gestern eine Einstweilige Verfügung erwirken.

Unter Androhung eines Ordnungsgeldes (traditionell festgesetzt als “bis zu 250.000,00 EUR”) oder Ordnungshaft wurde “Bild” untersagt, “ein Bildnis, das Christian Klar zeigt auf dem Fahrrad” noch einmal zu drucken. Bild.de muss “ein Bildnis, das Christian Klar zeigt auf dem Fahrrad” und “ein Bildnis, das Christian Klar zeigt mit offenem Antlitz und nicht unkenntlich gemacht” offline nehmen.

Aufhänger, die aktuellen Bildnisse von Klar zu zeigen, war seine Ladung als Zeuge im Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker in Stuttgart, der vorgeworfen wird, 1977 am Mord am damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt gewesen zu sein.

Dazu zeigte “Bild” am 15. September unter der Überschrift “Hier radelt der Ex-Terrorist durch Berlin” auf Seite 2 der Bundesausgabe ein Foto von Klar auf einem Fahrrad. Das Foto war laut Klars Anwalt Johannes Eisenberg zwischen Anfang Juli und Mitte August in Berlin-Kreuzberg entstanden und hat “nichts mit Stuttgart-Stammheim oder der Zeugenladung zu tun”. Der Fotograf habe Klar “aufgelauert” und das Bild “heimlich erbeutet”.

Zu Fotos, die Klar im Stuttgarter Gerichtsgebäude zeigen, erklärt Eisenberg:

Der Antragsteller [Klar] hat versucht, sein Antlitz zu verbergen und sich ständig eine Zeitung vor das Gesicht gehalten. Es gab ein Gedrängel am Gerichtseingang, vermutlich wurde der Antragsteller absichtsvoll bedrängt, um ihn zu zwingen, die Zeitung herunter zu nehmen. Er war dort als Zeuge und hat seiner Zeugenpflicht genügt, bei Gericht zu erscheinen. Er hat damit keinen aktuellen Anlass gegeben, ihn zu fotografieren. Die Antragsgegnerin [Bild.de] zeigt selbst weitere Bilder, die den Versuch des Antragstellers zeigen, sich unsichtbar zu machen.

Klar hatte von der Axel Springer AG und Bild.de zunächst Unterlassungserklärungen gefordert und war dann, als diese ausblieben, vor Gericht gezogen. Springer und Bild.de können gegen die Einstweilige Verfügung vorgehen und wir wären ehrlich gesagt überrascht, wenn sie es nicht täten.

Journalismus in den Seilen

17 Stunden saßen die Leute, denen Franz Josef Wagner gestern seine “Post” widmete, am Wochenende in der Gondel einer Seilbahn in Schwangau im Allgäu fest. Erst am Samstagmorgen ab 6 Uhr konnten die 19 Fahrgäste und der Gondelführer gerettet werden.

Bei dapd mussten die Eingeschlossenen allerdings nicht so lange ausharren. Schon am Freitag um 18.44 Uhr vermeldete die Nachrichtenagentur ihre Rettung:

45 Bergbahnfahrgäste mit Hubschraubern geborgen

Nach der Kollision eines Tandemgleitschirms mit einem Bergbahntragseil sind am Freitag in Schwangau im Allgäu zwei Gondeln evakuiert worden. 45 Fahrgäste und die beiden Gleitschirmflieger mussten mit mehreren Hubschraubern geborgen werden, wie die Polizei mitteilte.

Erst nach Mitternacht vermeldete dapd, dass zu diesem Zeitpunkt immer noch fast die Hälfte der ursprünglich 45 Menschen in der oberen Gondel festsaßen.

Auch dpa hatte am frühen Freitagabend eine mindestens irreführende Meldung abgesetzt:

Gleitschirm legt Seilbahn lahm – 45 Fahrgäste steckten fest

Schwangau (dpa) – Ein Gleitschirm hat sich am Freitag in Schwangau im Allgäu in einer Seilbahn verfangen und sie damit stundenlang lahmgelegt. 45 Fahrgäste in den Gondeln mussten mit mehreren Hubschraubern geborgen werden.

In der Überschrift der Zusammenfassung von 20 Uhr war aus “45 Fahrgäste steckten fest” überraschend “45 Fahrgäste stecken fest” geworden, aber ansonsten legte der Text den Schluss nahe, dass die Rettungsaktion bereits erfolgreich abgeschlossen war:

Ein Gleitschirm hat sich am Freitag in Schwangau im Allgäu in einer Seilbahn verfangen und sie damit stundenlang lahmgelegt. 45 Fahrgäste in den Gondeln der Tegelbergbahn mussten mit Hubschraubern geborgen werden.

Die Rettungsaktion dauerte bis in den Abend an.

Die dpa erklärte uns auf Anfrage, dass diese Meldungen für die Tageszeitungen des Samstags gedacht waren, die bereits am Abend Redaktionsschluss haben. Es handle sich dabei um einen “Kunstgriff”, die Redaktionen würden meist selbst dazuschreiben, dass die Entwicklung bei Redaktionsschluss noch nicht zu abgeschlossen gewesen sei. (Aus der Meldung selbst ergibt sich das allerdings nicht.)

Anders als dapd setzte dpa seine Berichterstattung am Abend aber fort und meldete so etwa um 22.04 Uhr:

Ein Ausflug in die Berge nahe dem Schloss Neuschwanstein hat für zahlreiche Menschen eine dramatische Wende genommen. Nach einem Unfall steht die Seilbahn still. 45 Menschen sitzen in luftiger Höhe fest.

Da stimmte dann nur die Zahl nicht mehr.

Doch auch nach der erfolgreichen Rettung aller eingeschlossenen ließen die journalistischen Merkwürdigkeiten nicht nach — sie fingen bei Bild.de erst richtig an.

Sonntagmittag vermeldete das Portal:

Er brachte 50 Menschen in Lebensgefahr: Gleitschirm-Pilot auf der Flucht

Und schrieb:

UNFASSBAR, DER GLEITSCHITM-PILOT IST AUF DER FLUCHT!

Der Mann aus dem schweizerischen Kanton Zürich hat sich direkt nach der Bergung in die Schweiz abgesetzt.

Unfassbar und ziemlicher Quatsch — den “Welt Online” gerne übernommen hat:

17 Stunden Angst. Autor: Antje Hildebrandt. Gleitschirmflieger von Gondel-Drama auf der Flucht. Die Situation in der Gondel am Tegelberg war kritischer als bisher angenommen. Der mutmaßliche Schuldige ist in die Schweiz geflüchtet.

Das “Füssener Blatt” hat heute ein Interview mit dem Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten, Christian Owsinski, abgedruckt. Darin heißt es unter anderem:

Der Gleitschirmpilot, der einen Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks in Gurt hatte, hat sich angeblich in die Schweiz abgesetzt. Stimmt das?

Owsinski: Die Formulierung “abgesetzt” ist irritierend, denn der Mann hat sich dem Zugriff der Behörden nicht entzogen. Der Deutsche mit Wohnsitz in der Schweiz ist nach dem Vorfall am Tegelberg in die Schweiz abgereist. Das ist nicht zu beanstanden.

Mit Dank an Norbert P., Murry, Jens und Michael W.

Four Lions, Frankfurter Rundschau, Fußnägel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wer sticht wen”
(zeit.de, Matthias Kalle und Tanja Stelzer)
Das Magazin der “Zeit” widmet sich diese Woche der Frage, “was Journalisten anrichten”. Es geht unter anderem um die Methoden des Boulevard: “Man ruft grundsätzlich ohne Nummernkennung an. Man überrumpelt Verwandte von Prominenten, man schickt junge Reporter zu Partys, die am Buffet die Prominenten in ein Gespräch verwickeln.”

2. “Four Lions: Wir erfinden uns eine Zensurdebatte”
(buttkickingbabes.de, Rochus Wolff)
“Spiegel Online” (“CSU will Islamistensatire verbieten”) und andere Medien deuten eine Aussage eines CSU-Politikers zur Filmkomödie “Four Lions” als Aufruf zur Zensur: “Die CSU hat nie etwas in Bezug auf Four Lions gefordert, und auch Stephan Meyer hat weder von Zensur noch von Verbot gesprochen.”

3. “Aus der Redaktion – Heute: schwatzgelb, Nuri und der Boulevard”
(schwatzgelb.de)
Wie das Borussia-Dortmund-Fanzine schwatzgelb.de seit 2009 versucht, sich “Bild”-frei zu halten.

4. “WAZ muss für Schleichwerbung kein Bußgeld zahlen”
(blogs.taz.de/rechercheblog, Sebastian Heiser)
Sebastian Heiser schreibt, wieso die WAZ trotz Gesetz kein Bußgeld für Schleichwerbung bezahlt. “Das Landespressegesetz sieht vor, dass Schleichwerbung mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 DM geahndet werden kann (ja, in dem Gesetz steht wirklich noch ‘Deutsche Mark’).

5. “Ihr Charme, ihr Drama”
(freitag.de, Ina Hartwig)
Ina Hartwig erinnert an die guten Zeiten der “Frankfurter Rundschau”: “Überhaupt, das Rauchen und Trinken! Der ältere Kollege, nachdem er den ganzen Tag leidenschaftlich telefoniert (und geraucht) hatte oder mit der Schreibmaschine Briefe zusammengehackt, öffnete abends seinen Schrank, wo eine Selektion von Rotweinflaschen mehr über seine Einstellung zum Leben und Arbeiten aussagte, als es die heutigen aseptischen, mit Energiesparlicht abgetöteten Arbeitsplätze im Großraumbüro vermögen.”

6. “Toemageddon 2011 – This Little Piggy Went to Hell”
(thedailyshow.com, Video, 6:11 Minuten)
US-Medien beschäftigen sich mit den pink bemalten Fußnägeln eines fünfjährigen Jungen.

Heute anonym XXV

Die These, dass die Anonymisierungsversuche bei Bild.de irgendeiner (wenn auch sehr speziellen) Logik folgen könnten, haben wir schon vor einigen Jahren verworfen.

Und doch überrascht die Seite immer wieder mit neuen, kreativen Spielarten:

Ja: Die haben wirklich verschiedene Startseiten-Teaser gebaut, auf denen jeweils rechts ein anonymisiertes Foto aus dem Gerichtssaal zu sehen ist und links eine unbearbeitete Porträtaufnahme des Angeklagten.

Eine Art Erklärungsversuch hätten wir dann aber doch noch: Die aktuellen Fotos aus dem Gerichtssaal kamen bereits verpixelt von den Agenturen — das ältere Bild des Angeklagten liegt Bild.de jedoch offenbar unbearbeitet vor.

Mit Dank an Dirk T.

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