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“Bild” füttert rechte Hetzer mit “Sex-Mob”-Gerücht

Aktuell verspricht ein Medium nach dem anderen, etwas gegen “Fake News” machen zu wollen, erst gestern kündigte das “ZDF” den Start eines “crossmedialen Faktencheck-Projekts” an. Und tatsächlich könnten Medien eine wichtige Rolle spielen beim Versuch, rumgereichte Falschmeldungen in den Griff zu bekommen. Sie können bei dem Thema aber auch eine schreckliche Rolle spielen, so wie “Bild” vor etwas mehr als einer Woche:

Der Artikel erschien auch bei Bild.de, als kostenpflichtiger “Bild plus”-Beitrag:

So viel schon mal an dieser Stelle: Diesen “Sex-Mob” dürfte es, so der aktuelle Kenntnisstand, nie gegeben haben. Er könnte die Erfindung einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe sein, gut möglich, dass sie damit Stimmung gegen Flüchtlinge machen wollte. Die “Bild”-Medien haben die Geschichte jedenfalls dankbar aufgegriffen, haben sie verbreitet, ohne sie ausreichend zu überprüfen, haben sie selber sogar noch zugespitzt und sie haben mit ihrer Reichweite aus ihr eine Story gemacht, die von Rechten und Nochrechteren in Sozialen Netzwerken rumgereicht wurde, die von anderen Medien aufgegriffen wurde, die es sogar bis nach Großbritannien und zu “Breitbart” schaffte.

Doch dazu später mehr. Fangen wir vorne an.

Am 6. Februar schreibt die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung riesengroß:

Eines der “OPFER”, das “IHR SCHWEIGEN” bricht, ist die 27-jährige Irina A. Sie erzählt “Bild”-Reporter Stefan Schlagenhaufer von ihren angeblichen Erlebnissen an Silvester:

Sie schwiegen einen Monat lang, wollten die Vorfälle vergessen — doch jetzt platzt es aus den Opfern heraus: In der Silvesternacht kam es in der Frankfurter Restaurant- und Delikatess-Meile “Freßgass'” zu massiven sexuellen Übergriffen.

“Ich kann froh sein, dass ich eine Strumpfhose anhatte”, erzählt Irina A. (27), die Silvester in der City feierte. “Sie fassten mir unter den Rock, zwischen die Beine, an meine Brüste, überall hin. Mir und meinen Freundinnen. Immer mehr dieser Typen kamen. Ihre Hände waren überall.”

“Diese Typen” seien Araber gewesen, so Jan Mai, ein bekannter Frankfurter Gastronom, der auch die Bar betreibt, in der Irina A. Silvester gefeiert haben soll, und der nach eigener Angabe gegen 1 Uhr in seinen Laden kam:

“First-In”-Chef Jan Mai (49): “Als ich rein kam, war der ganze Laden voll mit einer Gruppe von rund 50 Arabern. Sie sprachen kein Deutsch, tranken den Gästen die Getränke weg, tanzten sie an. Die Frauen baten mich um Hilfe, weil sie angegrabscht werden. Die Stimmung kippte komplett.”

Einen Absatz später wird “Bild” noch konkreter — Nordafrikaner seien es gewesen:

Mai holt Personal aus seinem Restaurant um die Ecke. Ein marokkanischer Angestellter versucht, mit den Nordafrikanern zu sprechen: “Die waren hochaggressiv, es gab Geschrei, Handgemenge.”

Um 3 Uhr sei es dann noch einmal richtig losgegangen, erzählt Jan Mai “Bild”-Reporter Schlagenhaufer. Und der erzählt es seinen Lesern weiter:

Um 3 Uhr der nächste Höhepunkt. Mai: “Zwischenzeitlich drangen die Männer ins ‘Garibaldi’ und andere Läden ein — mit Pyrotechnik. Ich war gerade im ‘Gibson’, als ich angerufen wurde: ‘Wir haben wieder Probleme mit Massen an Flüchtlingen’. Ich rannte mit drei Türstehern auf die Freßgass’.”

Inzwischen also schon “Massen an Flüchtlingen.”

Irgendwann war die Silvesternacht auch rum. Und es passierte einige Wochen erstmal nichts, weil keiner der Beteiligten sich zu den vermeintlichen Vorfällen äußerte. Dann meldeten sich aber Jan Mai und Irina A., die Hauptzeugen in Stefan Schlagenhaufers Text. Dazu kommen zwei Angestellte von Mai. Und es gebe laut “Bild” noch “Informationen”, die alles unterstützen:

Nach BILD-Informationen waren 900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge mit dem Zug aus Mittelhessen nach Frankfurt gekommen. Als sie nicht in die Sicherheitszone am Mainufer kamen, zogen sie weiter — in die Freßgass’.

“900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge”. Meldungen von “massiven sexuellen Übergriffen”. Fertig ist für “Bild” die “Sex-Mob”-Geschichte. Auf seiner Facebook-Seite hatte Mai recht früh nach Erscheinen der Schlagzeile geschrieben: “Ich habe selbst nie von einem Sex Mob auf der gesamten Fressgass berichtet, sondern von sexuellen Belästigungen, Schlägereien und Diebstahl in meinem Lokal gesprochen.”

Dann ging es allerdings erst richtig los. Andere Medien berichteten. Das “Sat.1 Frühstücksfernsehen” griff das Thema einen Tag später auf und besuchte Irina A. und Jan Mai in Frankfurt. Titel des Beitrags: “Wieder sexuelle Übergriffe an Silvester!”

Mai erzählt in dem Video, es seinen “massiv Syrer hier drin” gewesen, die “Mädels belästigt haben, angefasst haben, sich an die Tische gesetzt haben, einfach mitgetrunken haben, sind ohne Jacke reingekommen, mit Jacke rausgelaufen, Jacken dann draußen versteckt, wieder reingekommen, haben wieder Jacken mitgenommen.”

Irina A. sagt, sie könne aus Angst abends immer noch nicht nach Hause laufen.

Die rechte “Junge Freiheit” berichtete mit Bezug auf den “Bild”-Artikel:

Die “Epoch Times” machte aus dem “Sex-Mob” von “Bild” “Sex-Attacken und Randale”:

Selbst in Großbritannien brachten Redaktionen Artikel über die angeblichen Vorkommnisse in der Frankfurter “Freßgass'”. express.co.uk zum Beispiel:

Und die UK-Ausgabe von “Breitbart”:

In den Sozialen Netzwerken haben rechte Gruppierungen und Hetzer die “Bild”-Geschichte zigmal geteilt. Bei Facebook beispielsweise einzelne “AfD”-Verbände, die “Junge Alternative”, Bürgerprotest-Gruppen, “Einzelfall”-Sammler, das ganze Spektrum:







Und auch bei Twitter drehte der Artikel dank Rechtspopulisten und eines “Bild”-Redakteurs eine ordentliche Runde:



In der Zwischenzeit legte die Frankfurter “Bild”-Redaktion noch einmal mit einem Artikel nach: “ein Sex-Mob tobte Sil­ves­ter in der Freß­gass’. Opfer schilderten ex­klu­siv in BILD FRANK­FURT die trau­ma­ti­sie­ren­de Nacht.” Das Blatt lässt einige Lokalpolitiker Stellung beziehen:

Zum Beispiel Chris­toph Schmitt, den si­cher­heits­po­li­ti­schen Spre­cher der CDU:

“Es darf nicht sein, dass Frauen sich so was gefallen lassen müssen. Wenn Schattenseiten der Flüchtlingspolitik Männer-Massen sind, die die Stadt unsicher machen, dann brauchen wir mehr Polizei auf den Straßen, mobile Videoüberwachung.”

Oder den unabhängigen Oberbürgermeisterkandidaten, Volker Stein:

“Während man um den Eisernen Steg ein hohes Aufgebot von Polizei verzeichnen konnte, wurde der Rest der Innenstadt den randalierenden Halbstarken überlassen. Wer sich in seinem Gastland so verhält, wie es die Berichte belegen, hat keinen Anspruch auf unsere Gastfreundschaft und sein Asylrecht verwirkt!”

“Männer-Massen”, “die die Stadt unsicher machen”. “Randalierende Halbstarke”. “Asylrecht verwirkt”. Und das alles, als noch überhaupt nichts belegt oder geklärt war, und die Polizei noch ermittelte.

Erste Zweifel, ob sich die Silvesternacht in der “Freßgass'” tatsächlich so abgespielt hat, wie von Irina A. und Jan Mai geschildert, kamen bereits am 7. Februar auf. Sebastian Eder schrieb bei FAZ.net über den “Sex-Mob, den keiner gesehen hat”. Eder hatte bei der Polizei angerufen und gefragt, ob Anzeigen zu der Nacht vorliegen, doch da gab es keine. Er wunderte sich, dass keine Videos oder Fotos von den Vorfällen in den Sozialen Netzwerken zu finden waren. Und er fragte bei anderen Gastronomen nach, ob sie an Silvester ähnliches beobachtet haben, wie ihr Kollege Jan Mai in seinem “First In”. Hat aber keiner.

Außerdem hat sich Sebastian Eder mal das Facebook-Profil von Mai angeschaut:

Weil das Thema so brisant ist, muss man auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen der “Bild”-Zeitung hinterfragen. Auf seiner privaten Facebook-Seite zeigte der “First In”-Chef bereits Sympathien für die AfD und schrieb zu Bildern “Herrenrunde und die Deutschen in Überzahl”. Außerdem teilte er im Dezember ein Video unter der Überschrift: “Merkel muss weg”. In dem Film marschiert der “Nationale Widerstand” durch Berlin, ruft “Lügenpresse” und “Hurensöhne”. In den Kommentaren steht auch mal “Deutschland, Deutschland über alles”. Veröffentlicht hat den Film Ignaz Bearth, ein Schweizer Politiker, der mal Mitglied einer rechtsextremen Partei und Sprecher von Pegida-Schweiz war.

Auf Eders Anfrage, ob er Sympathien für Rechte habe, antwortete Mai, dass das Unsinn sei, “aber ich bin mit der Einwanderungspolitik von Merkel nicht einverstanden und hoffe, dass der Erfolg der AfD dazu führt, dass die CDU das merkt.”

Einen weiteren Zeugen, den Jan Mai ihm nannte, rief Eder ebenfalls an. Der Mann, genauso wie Mai Gastronom auf der “Freßgass'”, berichtete von einer Massenschlägerei, er selbst habe eine Flasche über den Kopf bekommen. “Die Polizei hat die Identität eines Verdächtigen mittlerweile ermittelt: Es ist ein Georgier. Der andere Verdächtige, gegen den wegen einer Gewalttat auf der Freßgass an Silvester ermittelt wird, ist laut Polizei ein Deutscher”, schreibt Sebastian Eder.

Und auch die “Frankfurter Neue Presse” war recht schnell misstrauisch. Boris Tomic kommentierte dort, auch bereits am 7. Februar:

Die Berichte eines stadtbekannten Restaurantbetreibers über marodierende Banden arabischer Herkunft auf der Freßgass’ entbehren der Glaubwürdigkeit.

Der Titel vom Tomic’ Kommentar: “Fake-News gibt es wohl nicht nur im Internet”.

In “Bild” oder bei Bild.de ist von all diesen Zweifel in den vergangenen Tagen nichts zu lesen.

Am vergangenen Donnerstag fragten wir beim Polizeipräsidium Frankfurt nach, ob inzwischen Anzeigen eingetroffen sind. Ein Sprecher sagte uns, dass nichts vorliege. “FAZ”-Redakteur Sebastian Eder fragte gestern auch noch mal nach — noch immer lag keine einzige Anzeige vor.

Gestern Abend dann die große Wende bei Bild.de:

Die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtet heute ebenfalls, allerdings bedeutend kleiner als noch bei der Ursprungsgeschichte:

Das Blatt fragt, ob Jan Mai “alle belogen” habe. Zeugen seien im Verhör zurückgerudert — “es habe sich um eine normale Schlägerei gehandelt und nicht um sexuelle Übergriffe.” Die Polizei ermittle nun “wegen Vortäuschung einer Straftat” gegen den “Promi-Wirt”, so die “Bild”-Medien. Lediglich in einem Absatz schreiben sie, dass Mai den ganzen Mist bei ihnen behauptet hat. Ihre eigene Rolle — das Übernehmen eines Gerüchts, die “Sex-Mob”-Zuspitzung, das Nachlegen mit den Politiker-Statements — erwähnen sie nicht.

Die “Frankfurter Neue Presse” schreibt auch über die neuesten Entwicklungen:

Nach Informationen, die unserer Zeitung am Montagabend per Mail zugespielt wurden, konnten die Behauptungen von Mai und seiner Kollegin “nicht mal im Ansatz” verifiziert werden. Irina A., die behauptete, man habe ihr unter den Rock, zwischen die Beine und an die Brüste gefasst, soll über Silvester nicht einmal in Frankfurt, sondern in Belgrad gewesen sein. Die Polizei habe ihre Flugtickets sichergestellt und suche seit Tagen nach ihr, um sie zu vernehmen, heißt es in der Mail an unsere Zeitung. Auch zu all diesen Ausführungen sagte der Polizeisprecher auf Nachfrage, dass er “nicht widersprechen” könne.

Vermutlich werden die Versuche, das wirkliche Geschehen in der “Freßgass'” nachzuzeichnen, nicht annähernd so viele Leute erreichen wie die hysterischen “Sex-Mob”-Schlagzeilen von “Bild” und Bild.de.

Hätten die “Bild”-Medien von Anfang an sauberer recherchiert, nicht direkt alles geglaubt und verbreitet, was ihnen erzählt wird, hätte das alles vermieden werden können. So, mit all der Folgeberichterstattung und den geteilten Artikeln und Kommentaren in den Sozialen Netzwerken, ist die falsche Nachricht vom “Sex-Mob” in der Frankfurter Silvesternacht kaum noch einzufangen.

Mit Dank an Stefan K., Andreas L., Andrea, @BKD_Schu und @zukunftsheld für die Hinweise!

Nachtrag, 14:13 Uhr: Bild.de entschuldigt sich auf der Startseite für die falsche Berichterstattung:

Das Portal schreibt:

Die BILD-Redaktion entschuldigt sich ausdrücklich für die nicht wahrheitsgemäße Berichterstattung und die erhobenen Anschuldigungen gegen die Betroffenen. Diese Berichterstattung entspricht in keiner Weise den journalistischen Standards von BILD.

BILD wird intern klären, wie es dazu kommen konnte.

Wenn die Redaktion es mit dieser Ankündigung ernst meint, sollte sie auch klären, wie die “Sex-Mob”-Überschrift entstand. Denn der inzwischen beschuldigte Gastronom Jan Mai bestritt sehr früh, je von einem “Sex-Mob” gesprochen zu haben. In der gerade veröffentlichten Entschuldigung von Bild.de steht allerdings:

Die Zeugen (u.a. eine Kellnerin, ein Frankfurter Gastronom und zwei seiner Angestellten) berichteten gegenüber BILD von massiven mobartigen Übergriffen durch angetrunkene Ausländer.

Mit Dank an Mind und Mario für die Hinweise!

Nachtrag, 16. Februar: Bereits gestern veröffentlichte auch die Frankfurt-Redaktion der “Bild”-Zeitung eine “Entschuldigung in eigener Sache”:

Der Text ist identisch mit der “Entschuldigung in eigener Sache”, die Bild.de am Dienstag veröffentlicht hat.

Kopfloser Kopfab-Titel, Hoaxmap-Jubiläum, Trump Today

1. Wird Satire kopflos?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Nach dem “Spiegel” macht nun auch das Satireblatt “Charlie Hebdo” mit einem Kopf-ab-Cover auf. Angeblich aus Solidarität. “Tagesspiegel”-Autor Joachim Huber findet, die Kopf-ab-Solidaritäts-Satire sollte keine Schule machen. Weil es die Satiriker schwach zeige und schwach mache. “Ein zwei Mal erzählter Witz ist einmal zu viel erzählt.”

2. Ein Abschied
(twitter.com, Ismail Küpeli)
Das neue türkische Exil-Medium „Özgürüz“ sieht sich als Plattform für ungefilterte Nachrichten und investigative Berichte aus der Türkei. Das Online-Magazin wurde vom im deutschen Exil lebenden Journalist Can Dündar zusammen mit dem Recherchezentrum “Correctiv” gegründet und erscheint auf Türkisch und Deutsch. Nun hat einer der Mitstreiter, der Politikwissenschaftler & Journalist Ismail Küpeli in einem emotionalen Tweet seinen Rückzug von Twitter bekanntgegeben. Eine Kapitulation vor den Anhängern Erdogans, die ihm dort das Leben schwer machen würden.

3. Ein Jahr Hoaxmap
(blog.hoaxmap.org, Karolin Schwarz)
“Hoaxmap”, die Landkarte für Gerüchte und Fakenews über Asylsuchende feiert ihr einjähriges Jubiläum. Zu Beginn des Projekts versammelte die Karte 176 Gerüchte aus dem deutschsprachigen Raum samt ihren Widerlegungen, sortiert nach Themen, Datum, Ort und Land bzw. Bundesland. Am heutigen Tag sind es 455. Die Karte ist mittlerweile eine anerkannte Anlaufstelle für Interessierte, Wissbegierige und Medien geworden. BILDblog gratuliert!

4. Die Feier der „Journalisten des Jahres“
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Medienkolumnistin Ulrike Simon fand es schön auf der Feier der „Journalisten des Jahres“. Fast schon zu schön und vor allem zu harmonisch: “Mir lag an dem Abend zu viel Einsicht, Demut und Hinnahme in der Luft, dafür zu wenig Mut, Unnachgiebigkeit und Zorn. Ein paar von uns braucht es schon, die sagen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wer sich nur noch klein macht, wird übersehen, wer leise ist, überhört.”

5. Nicht mehr als Quelle zugelassen
(taz.de, Dinah Riese)
“taz”-Volontärin Dinah Riese berichtet über einen herben Schlag für die englische Boulevardzeitung “Daily Mail”: Die Community der englischsprachigen Wikipedia hat entschieden, die “Daily Mail” nicht mehr als Quelle für Wikipedia-Artikel zuzulassen. Darüber hinaus sollen die mehreren tausend bereits existierenden Artikel mit “Daily-Mail”-Bezug überprüft und die Quellen durch verlässlichere Nachweise ersetzt werden.

6. “Extra 3” präsentiert erstes Nachrichtenformat für #AlternativeFacts
(horizont.net, Marco Saal)
Die “Extra3”-Macher haben ein neues Fernsehformat vorgestellt: “Trump Today”.

Schumacher-Entschädigung, Flüchtlings-FAQ, Döpfner-Sorgen

1. „Was Wahrheit ist, definiert keine Regierung“
(welt.de, Antje Homburger & Esteban Engel)
Mathias Döpfner ist seit vielen Jahren Vorstandsvorsitzender bei “Axel Springer” und seit Oktober 2016 auch Präsident des “Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger” (BDZV). Im Gespräch mit der “Welt” mahnt er die Medien zu mehr Glaubwürdigkeit – auch im Kampf gegen „Fake News“. Aufgabe der Medien sei es, zu recherchieren und wahrhaftig zu berichten. Falsch sei es jedoch, dass professionelle Medien jetzt sozialen Medien helfen sollen, Fake News zu identifizieren und Fakten zu checken: “Wenn soziale Medien nicht mehr Technologieplattformen, sondern Medienunternehmen betreiben wollen, dann müssen sie Redakteure einstellen, die Kosten einrechnen und sich mit einer anderen Regulierung auseinandersetzen. Denn wenn ein Technologiemonopol fast zwei Milliarden Leser erreicht und die Inhalteauswahl kontrolliert, ist das das genaue Gegenteil von Vielfalt.”
Döpfner sieht sich aber auch als Opfer weiterer angeblicher Zumutungen wie dem aus seiner Sicht überzogenen Mindestlohn: “Die Politik sollte überlegen, wie sie uns Knüppel, etwa Überregulierung, weltfremden Datenschutz oder einen überzogenen Mindestlohn im Vertrieb, erspart.”

2. Funke Mediengruppe muss an Corinna Schumacher zahlen
(faz.net, Michael Hanfeld)
Das Oberlandesgericht in Hamburg hat es nun endgültig entschieden: Die “Funke Mediengruppe” muss an Corinna Schumacher eine Geldentschädigung von 60.000 Euro zahlen. Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung waren Bilder, die sie auf dem Weg ins Krankenhaus in Grenoble zeigen. Und die auch dann noch gedruckt worden seien, als bereits einstweilige Verfügungen und Unterlassungserklärungen vorlagen.

3. Flüchtlingsforschung gegen Mythen 5
(fluechtlingsforschung.net, Ulrike Krause)
Im fünften Teil der Serie “Flüchtlingsforschung gegen Mythen” kommentieren Mitglieder des “Netzwerks Flüchtlingsforschung” erneut typische Falschaussagen und Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte. Mit dabei ist auch die Antwort auf die Frauke-Petry-Forderung, das Asylrecht nach Artikel 16a abzuändern und in ein Gnadenrecht des Staates umzuwandeln. Kompetentes Factchecking von Experten (wie auch bei den bereits vorangegangenen Teile der Serie).

4. Wen verlinken die Bundestagsabgeordneten auf Twitter?
(bundestwitter.de)
Der “Bundestwitter”-Macher hat 2016 über einen Zeitraum von sechs Monaten alle Tweets und Retweets der Bundestagsabgeordneten aufgezeichnet und ausgewertet. Welche klassischen Medien werden am häufigsten verlinkt? Wie sieht die Verlinkung zu den sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Co. aus? Im Beitrag werden die entscheidenden Informationen übersichtlich und gut lesbar aufbereitet.

5. Merkel muss öffentlich Stellung beziehen
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” hat Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, bei ihrer heutigen Reise in die Türkei öffentlich Stellung zum Thema Pressefreiheit zu beziehen und die Freilassung von inhaftierten Journalisten zu fordern.

6. Und am Wochenende geht´s ins Frauenhaus!
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz hat früher selbst mal bei einer Regionalzeitung gearbeitet und ist deshalb vielleicht besonders offen, als ihn eine freundliche Dame im Supermarkt zu einem zweiwöchigen Probeabo einer Regionalzeitung überredet. Nach einer Woche Lektüre zieht er nun ein Zwischenresumee. Ohne zu viel spoilern zu wollen: Die Heimatzeitung sollte sich nicht allzu große Hoffnungen auf einen neuen Abonnenten machen.

“Einzelfall-Map”, tägliches Hitlerbild, Schweizer China-Propaganda

1. Kartenlegen mit kriminellen Ausländern
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Um zu zeigen, wie hoch die Ausländerkriminalität in Deutschland wirklich ist, verweisen rechte Politiker und Publizisten gerne auf die “Einzelfall-Map”. Mats Schönauer hat sich diese “beeindruckend gefüllte Karte bei Google-Maps, auf der Fälle von ‘Migranten-/Flüchtlingskriminalität’ gesammelt werden”, angeschaut und mehr als 600 zufällig ausgewählte Fälle überprüft: “Um es zusammenzufassen: Die ‘Einzelfall-Map’ bietet keinen objektiven Überblick über Ausländerkriminalität, sondern eine tendenziös kuratierte, unsauber recherchierte und auf bloße Masse abzielende Sammlung von Verdächtigungen gegen Menschen, die nicht aussehen wie Holger Badstuber.” Der Text steht schon etwas länger online, ist aber erst seit gestern für Nicht-“Übermedien”-Abonnenten komplett lesbar.

2. Reklame für Rechte
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Der Kampf um politische Deutungshoheit werde auch mit finanziellen Mitteln ausgetragen, schreibt Simon Hurtz und meint damit konkret: über Werbegelder. Momentan gibt es verschiedene Versuche, konservative und rechte Internetseiten zu schwächen, indem Firmen dazu angehalten werden, nicht bei ihnen zu werben. Ob das der richtige Weg ist? Ob er überhaupt zulässig ist? Zwei Juristen, mit denen Hurtz für seinen Text gesprochen hat, kommen zu zwei gänzlich unterschiedlichen Beurteilungen.

3. Und täglich grüßt das Hitlerbild: Zum Facebook-Nazi in 13 Tagen
(shz.de, Mira Nagar)
Knapp zwei Wochen hat Mira Nagar sich als “Christian M.” bei Facebook an “den rechten Rand des Netzwerks” getastet, um der Frage nachzugehen: “Kann Facebook radikalisieren helfen?” Der fiktive Christian schaute sich bei “Neumünster wehrt sich” um, freundete sich mit “Kameradinnen und Kameraden” an und fand “ein paar brüchige, widersprüchliche Personen”.

4. Bis zum letzten Tropfen Tinte
(taz.de, Nicola Glass)
Heute soll in Malaysia der Prozess gegen den Karikaturisten “Zunar” beginnen. Er ist wegen “Aufwiegelung” angeklagt, nachdem er mit seinen Zeichnungen ein Gerichtsurteil gegen einen malaysischen Oppositionsführer kommentiert hatte. Bei einer Verurteilung drohen “Zunar” bis zu 43 Jahre Gefängnis. Nicola Glass berichtet über seinen Fall und über die Lage der Pressefreiheit in Malaysia im Allgemeinen.

5. Wir haben die falschen Behauptungen des “Krone”-Kolumnisten korrigiert
(vice.com, Christoph Schattleitner)
Mit “Die Falschmeldungen” ist die aktuelle Kolumne von “Krone”-Autor und Rechtsanwalt Tassilo Wallentin überschrieben, in der er behauptet, die österreichische Regierung schöne Asylstatistiken und verheimliche den Bürgern die Wahrheit. Falsch sei aber vor allem das, was Wallentin da selber schreibt, so “Vice”-Redakteur Christoph Schattleitner: “Ausgerechnet er, der anderen Falschmeldungen vorwirft, macht in diesem Text so viele Fehler, dass es kaum auszuhalten ist.” Anhand von acht Korrekturpunkten zeigt Schattleitner, was bei Wallentins Text alles schiefgelaufen ist.

6. Martinas langer Marsch
(srf.ch, Pascal Nufer, Video, 22:01 Minuten)
Für die Schweizer Fernseh-Journalistin Martina Fuchs öffnen sich in China Türen, die für europäische Korrespondenten normalerweise verschlossen bleiben. Fuchs arbeitet aber auch nicht für einen Sender aus Europa, sondern für CCTV, das chinesische Staats- und Propaganda-TV. Pascal Nufer hat sie bei ihrer Arbeit begleitet und immer wieder den Satz gehört: “Ich arbeite für ein Wirtschaftsprogramm und habe mit Politik nichts am Hut.” Wer gerade keine 22 Minuten Zeit hat, um sich den interessanten Videobeitrag anzuschauen: Hier gibt es einen kurzen Artikel über Martina Fuchs und ihre Arbeit für Chinas Propagandaapparat.

Erst prüfen lassen

Es ist aber auch ein ziemliches Auf und Ab für die Kölner Polizei: In der Silvesternacht 2015/2016 warf man ihr noch komplettes Versagen vor, “alles falsch gemacht”, so die Kritiker. Ein Jahr später — also vor wenigen Wochen — galt das Verhalten der Polizisten am Hauptbahnhof als unangreifbar, “alles richtig gemacht”, so die Schulterklopfer. Und heute sind die Polizei Köln und ihr Präsident Jürgen Mathies bei “Bild” schon wieder “Verlierer” des Tages:

Grund für das erneute Ab sind Aussagen bei einer Pressekonferenz, bei der Mathies und seine Kollegen neue Zahlen zum Einsatz in der Silvesternacht präsentiert haben: Bei 425 der 674 Männer, die die Beamten im Umfeld des Kölner Hauptbahnhofs kontrolliert haben, habe man eine Nationalität feststellen können. Das Ergebnis unter anderem: 99 von ihnen seien Iraker gewesen, 94 Syrer, 48 Afghanen, 46 Deutsche, 17 Marokkaner, 13 Algerier — also nicht gerade Nordafrikaner in der deutlichen Mehrheit, wie erst von den Beamten behauptet. Die Zahlen stünden allerdings “unter dem Vorbehalt noch andauernder Ermittlungen”, wie die Kölner Polizei in einer späteren Pressemitteilung schrieb:

Viele dieser Personen haben sich mit Dokumenten und Bescheinigungen ausgewiesen, die nicht als sichere Dokumente im Sinne einer zweifelsfreien Bestimmung der Staatsangehörigkeit gelten.

Aus aktuellen Ermittlungsverfahren ist bekannt, dass sich insbesondere junge Männer, die nicht die Anforderungen für die Anerkennung als Asylsuchende erfüllen, als Kriegsflüchtlinge aus Syrien ausgeben. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich unter den 425 Personen noch eine größere Anzahl nordafrikanischer junger Männer befindet. Eine genaue Aussage lässt sich erst nach weiteren Ermittlungen klären.

Nimmt man mal den Extremfall, dass alle 94 Männer, die sich bei den Kontrollen als Syrer ausgegeben haben, gar keine Syrer sind, sondern aus Marokko oder Algerien oder Tunesien kommen, dann stammen von den 425 überprüften Personen, denen eine Nationalität zugewiesen werden konnte, 124 aus Nordafrika, knapp 29 Prozent.

“Erst prüfen, dann twittern”, empfiehlt “Bild” heute also. Ja, guter Vorschlag. Man könnte noch hinzufügen: “Erst prüfen lassen, dann so tun, als wüsste man genau Bescheid, was denn nun wirklich los war am Hauptbahnhof.” Denn nicht nur die Kölner Polizei und ihr Präsident Jürgen Mathies haben in den Tagen nach Silvester stets behauptet, dass vor allem Männer aus Nordafrika kontrolliert wurden, sondern auch viele Medien.

Bleiben wir mal bei “Bild” und Bild.de. Bereits am 2. Januar legte sich Franz Solms-Laubach bei seiner Beurteilung des Polizeieinsatzes in Köln klipp und klar fest:

Fakt ist je­doch: Die Po­li­zei in Köln hat an Silvester 2016 alles rich­tig gemacht!

Und die ein­ge­kes­sel­ten Mi­gran­ten vom Köl­ner Bahn­hof in 2016 waren fast ausschließ­lich Nordafrika­ner.

Durch die Zahlen, die die Kölner Polizei nun bei ihrer Pressekonferenz präsentiert hat, zeigt sich: Stimmte offenbar nicht.

Was noch schlimmer war: Solms-Laubach und seine “Bild”-Kollegen erklärten all diejenigen, die die Beurteilung des Einsatzes und die präsentierten Fakten hinterfragten, anzweifelten oder zumindest diskutieren wollten, zu Idioten. Eine Debatte wurde nicht zugelassen. Wer es mindestens merkwürdig fand, dass die Polizei vor allem aufgrund des Aussehens entschied, wen sie kontrolliert und wen nicht, und nach der Prämisse handelte “jeder, der in etwa so aussieht wie ein Täter des vergangenen Jahres, ist in diesem Jahr ein potentieller Täter” (ein Polizeisprecher sagte später: “Wie ein Nordafrikaner grundsätzlich aussieht, das weiß man.”), wurde angefeindet. Zum Beispiel Simone Peter. Die Vorsitzende der “Grünen” sagte der “Rheinischen Post”, dass das Polizei-Großaufgebot Übergriffe zwar deutlich begrenzt habe:

“Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden.”

“Bild” erklärte Peter daraufhin zur “GRÜFRI”, zur “GRÜn-Fundamentalistisch-Realitätsfremden Intensivschwätzerin”. Sie sei der Superlativ von “dumm”:

Eine der Grundlagen für die harsche “Bild”-Kritik an Simone Peter ist auch hier die anscheinend falsche Annahme, dass es sich bei den kontrollierten Personen in der Silversternacht zum Großteil um Männer aus den nordafrikanischen Staaten handelte.

Mit Dank an Adib E. K. und @WernerHinzpeter für die Hinweise!

Sandsäcke, Silvesternacht, Kristallkugel

1. Sandsäcke gegen pseudo-psychologisches Blabla
(schräglage.org, Peter Teuschel)
Auf der rechtslastigen Seite “Tichys Einblick” erschien ein Artikel, der für breites Entsetzen und Empörung sorgte. Die “psychopathologisch gestörten grün-linken Gutmenschen”, so die Schmähung des Autors, seien Kranke, mit denen man nicht reden solle. Auf Twitter kündigten daraufhin viele Nutzer an, ihre Xing-Mitgliedschaften zu kündigen (Roland Tichy ist dort Herausgeber der News). Mittlerweile ist der Artikel auf dem Tichy-Portal zwar gelöscht, wegen der Brisanz des Vorgangs lohnt dennoch ein Blick in die Erwiderung von Peter Teuschel. Und auch Blogger stefanolix hat sich den Beitrag näher angeschaut und stellt am Ende die Frage: “Wie kann ein Mann so viele wunderbare Fachgebiete (inklusive Philosophie und Ethik!) studieren und dann so eine Scheiße schreiben?”

2. „Wir wissen nichts. Alles ist möglich“
(taz.de, Malte Göbel)
“Herr Kachelmann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie im Spiegel lesen, dass dem Noch-Herausgeber der Bild-Gruppe Kai Diekmann von einer Springer-Mitarbeiterin vorgeworfen wird, sie im Sommer beim Baden belästigt zu haben?” Die “taz” hat mit dem Meteorologen Jörg Kachelmann über die Causa Diekmann gesprochen.

3. Warum wir über Racial Profiling reden müssen
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Der Jurist Thomas Stadler hat sich mit den Kontrollen der Kölner Polizei in der Silvesternacht beschäftigt. “Das Verhalten der Kölner Polizei rüttelt an den Grundfesten unserer Verfassung. Wenn wir den Gleichheitssatz unseres Grundgesetzes ernst nehmen, dürfen wir derartige polizeiliche Maßnahmen nicht dulden.” Auch der Jurist Heinrich Schmitz findet bei den Kolumnisten, dass Fragen zum Verhalten der Polizei erlaubt seien.

4. Bunte-Nachbarschaft.de: „Man konnte Wahrheit und Lüge kaum noch unterscheiden“
(flurfunk-dresden.de)
Anfang 2015 startete Jan Pötzscher einen Nachbarschaftsblog, ein “Tagebuch über meine persönlichen Erfahrungen zum Vorhaben der Einrichtung eines Asylbewerberheims, zu den Diskussionen mit Politik und Behörden und dem Für und Wider der Unterbringung von Asylbewerbern – so wertfrei und objektiv wie möglich!” Im Interview mit “Flurfunk” berichtet er über seine Erfahrungen, die Reaktion der Nachbarn, Höhe- und Tiefpunkte und zieht eine persönliche Bilanz.

5. Drei Jahre Moscow Times – sowas wie ein Fazit
(kscheib.de, Katrin Scheib)
Fünf Jahre will Journalistin Katrin Scheib in Moskau arbeiten. Die ersten drei Jahre hat sie bei der “Moscow Times” verbracht. Nun zieht sie ein Zwischenfazit, das neugierig auf das Weiter macht. Aber auch der Blick zurück lohnt: Auf ihrem Blog gibt es viele interessante Beiträge über ihr Leben als Journalistin in Russland.

6. Was Social-Media-Experten von 2017 erwarten
(joca.me, Jörgen Camrath)
Jörgen Camrath hat Social-Media-Experten um einen Blick in die Kristallkugel gebeten und sie gefragt, was uns im neuen Jahr in Bezug auf die sozialen Medien erwartet. Die Antworten gehen erfreulicherweise oft über die üblichen Allgemeinplätze hinaus. Und einer der Befragten hat das Ganze etwas getrollt. Aber auch das liest sich ganz nett.

Weihnachtsmärchen von den “Lügenpresse”-Rufern

Wenn “Bild”, wie vor einigen Tagen, 32 Zeilen darüber schreibt, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden, ist das keinesfalls nur in der Theorie Futter für rechte Hetze.

Das “Compact”-Magazin hat in seiner Dezember-Ausgabe auf drei Seiten eine ganz ähnliche Geschichte zum Thema veröffentlicht. Weil der Grundton von “Compact” aber noch ein bisschen hysterischer ist als der von “Bild”, schreibt man dort über einen angeblichen “Krieg gegen Weihnachten”:

Martin Müller-Mertens, Chef vom Dienst bei “Compact”, probiert sich als Science-Fiction-Autor und denkt sich für seinen Artikeleinstieg folgende Weihnachtsgeschichte im Berlin des Jahres 2030 aus:

Leise rieselt der Schnee auf die dunklen Straßen. Eilig hasten Menschen nach Hause. Die Zeit der Weihnachtsbescherung ist längst angebrochen. Doch seit die Bundesregierung den Heiligen Abend im Austausch für das islamische Zuckerfest zum vollen Arbeitstag erklärte, bleibt kaum mehr Muße für die einst besinnlichen Stunden. Nur die allgegenwärtigen Wintermärkte lassen erahnen, was der Tag früher bedeutete. Doch an diesem Abend kommen kaum Besucher zu den Buden mit türkischem Tee und Halal-Speisen. Der Schein des Mondes wirft den Schatten eines Minaretts auf einsam wachende Märchenfiguren aus Tausendundeiner Nacht.

Er findet das wohl selbst etwas übertrieben und schreibt, seine Geschichte lese sich “heute noch wie eine Dystopie pessimistischer Untergangspropheten”. Ein seltener Moment der Selbsterkenntnis des “Compact”-Autoren, der ihn aber nicht daran hindert, gleich prophetisch weiterzumachen: In einigen Jahren könne sein Szenario ernsthaft diskutiert werden, es laufe schließlich ein “Feldzug gegen das Christuskind”. Und das auch noch im Verborgenen. Bei “Compact” mag man Verschwörungstheorien.

Die vermeintliche Heimlichtuerei der politisch Korrekten, die “per Salamitaktik” Weihnachten “aus den Kinderherzen vertreiben” wollten, hindert den Autoren nicht daran, lauter Fälle zur Unterstützung seiner These zu finden, die in der Presse öffentlich geworden sind. Da wären:

  • Die Wiener Kindergärtnerin

Eine Kindergärtnerin aus Wien soll entlassen worden sein, weil sie Kinder über “die Bedeutung des christlichen Weihnachtsfests aufgeklärt” habe. Die Geschichte geht auf einen Bericht der “Kronen Zeitung” zurück, des größten österreichischen Boulevardblatts.

“Kobuk”, das lesenswerte Medienwatchblog des Publizistikinstituts der Uni Wien, hat die Geschichte bereits vor über einem Jahr nachrecherchiert. Ergebnis: Die “Kronen Zeitung” zeige ein verzerrtes Bild, indem sie nur einen kleinen Ausschnitt eines Protokolls zitiere, das insgesamt nahelege, dass die Frau eine allgemein unkooperativ arbeitende Missionarin gewesen sei.

  • Hausverbot für den Nikolaus

Da Wien nun als garstiger Grinch etabliert ist, behauptet “Compact”, dass es dort auch noch ein Besuchsverbot für den Nikolaus in Kindergärten gebe.

Richtig ist, dass 2006 der damalige Vizebürgermeister keine Nikolaus-Agenturen mehr beauftragen wollte, da diese die Kinder teils erschreckt haben sollen. Stattdessen sollten die Pädagogen oder die Kindergartenkinder selbst in die Rolle des Nikolaus’ schlüpfen. News.at hat bereits 2013 darauf hingewiesen, dass seit einiger Zeit alle Jahre wieder das gleiche Weihnachtsspiel in Wien aufgeführt werde: Die FPÖ behauptet, die Stadtregierung wolle Weihnachten verbieten; die regierende SPÖ antwortet, dass es kein Verbot der Nikolausfeiern gebe. Das geht bis heute so. Hier die aktuelle Antwort im Blog des SPÖ-Parlamentsklubs.

  • Kita in Kassel

Irgendwie muss Martin Müller-Mertens ja noch die Brücke zu seiner Wahnidee eines weihnachtslosen Deutschlands schlagen. Darum ein Ortswechsel von Wien zur städtischen Kindertagesstätte Sara-Nussbaum-Haus in Kassel.

Dort solle es laut Müller-Mertens kein Weihnachtsfest geben, der Grund sei “offensichtlich vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Islam.” Allerdings stimmt die Meldung, die auch “Bild” verbreitet, so nicht. An Weihnachten hat die Kita immer geschlossen, Nikolaus wurde gefeiert.

  • Schulen in Breisgau-Hochschwarzwald

Der “Compact”-Autor zieht auch andere Kleinigkeiten für seine falsche Beweisführung heran: Etwa dass das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald 2014 aus Brandschutzgründen seinen Schulen verboten hatte, Weihnachtsbäume aufzustellen.

Ein kurzer Anruf bei der Pressestelle des Landratsamts genügt, um zu erfahren, dass man in den entsprechenden Schulen nach wie vor Weihnachten feiere und es auch keine weiteren Verbote von weihnachtlicher Dekoration gebe, etwa von Adventskränzen. Den ziemlich harmlosen Kontext hätte Martin Müller-Mertens aber auch einfach nachlesen können: Lokale Medien berichteten sehr ausführlich über die Provinzposse.

  • Wintermarkt in Berlin-Kreuzberg

Der “Compact”-CvD erzählt dann noch das alte Weihnachtsmärchen, das BILDBlog-Leser schon lange kennen:

Auch aus dem öffentlichen Raum soll die Feier von Christi Geburt verdrängt werden — selbst dort, wo sie weitgehend zum säkularen Freizeitspaß geworden ist. Den Vorreiter gab der Berliner Multikulti-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Auf öffentlichem Raum untersagte eine Mehrheit aus Grünen, Linken und Piraten 2013 Feste mit christlichem Bezug.

Nein, das haben die Parteien nicht. “Compact” ist auf eine drei Jahre alte falsche Schlagzeile aus der “B.Z.” reingefallen, die das Magazin selbst auch noch einmal abdruckt:

Wir haben über die Geschichte bereits gebloggt, als sie vor zwei Jahren erneut von “Bild am Sonntag” aufgegriffen wurde: Dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war schon damals völlig egal, wie die Veranstalter ihre Weihnachts-, Winter- oder Wasauchimmermärkte nennen. Auf eine erneute Nachfrage von uns antwortete der zuständige Stadtrat, dass “das Bezirksamt stets offen für alle Religionen” sei. Es habe auch keine Anweisung seitens des Amtes gegeben, “die Weihnachtsmärkte im Bezirk in ‘Wintermärkte’ umzubenennen”.

“Bild” hatte diese Ente ebenfalls kürzlich wieder aufgegriffen. Wie schon bei der falschen Meldung der “Kronen Zeitung” kehrt der Unsinn, den Boulevardmedien irgendwann mal in aufregende Schlagzeilen umwandelten, nun bei “Compact” als faktenresistenter Zombie zurück. “Compact” widmet dieser Stimmungsmache gegen “Islamisierer und linksgrüne Kirchenhasser” allerdings nicht, wie die Boulevardblätter, nur ein paar Zeilen und eine große Überschrift, sondern steigert sich auf drei Seiten in eine Verschwörungstheorie hinein.

Das Magazin liefert auch gleich die Bilder und Bräuche mit, die es zu erhalten gelte. In der Rubrik “Leben”, in der “Compact” regelmäßig rechte Lifestyle-Geschichten präsentiert, schreibt Klaus Faißner romantisch verklärt über den Krampus im ländlichen Österreich. Dort könne man “noch richtig deutsche Bräuche” erleben, “leichter als bei uns” sogar:

Von wem angeblich Gefahr ausgehe, sagt “Compact” auch hier:

Probleme hat der Nikolaus nur in Städten mit hohem Ausländeranteil und sozialistischen Bürgermeistern.

Dass es innerhalb des Christentums durchaus unterschiedliche Traditionen zur Weihnachtszeit gibt, die sich im Lauf der langen Geschichte auch schon verändert haben, kann für das Magazin jedenfalls keine Erklärung sein. Das ganze Geschreibe vom Nikolaus und von der Christlichkeit ist für “Compact” aber ohnehin nur ein Feigenblatt. Im nächsten Artikel geht es nämlich schon um eine “Germanische Weihnacht”:

Pia Lobmeyer schlägt den Bogen von heidnischen Wintersonnenwende-Ritualen zu Weihnachtsbräuchen, die erst viel später entstanden sind. Vor allem hat es ihr der Weihnachtsbaum angetan, der erst im 18. Jahrhundert richtig populär wurde, als sich der christliche Glaube im Gebiet des heutigen Deutschlands schon längst ausgebreitet hatte.

Aber noch einmal zurück zu Martin Müller-Mertens’ Märchen über den angeblichen “Krieg gegen Weihnachten”. Der Artikel wird unter anderem mit dem Nürnberger Christkind bebildert, das in einem Kindergarten Geschichten vorliest:

Bildunterschrift: “Immer mehr Kindergärten verzichten im Advent auf christliche Lieder und Bräuche.”

Das sieht zunächst nur nach einer widersprüchlichen Text-Bild-Schere aus, weil das Christkind auf dem Foto ja genau das tut, was es laut Bildzeile nicht mehr geben soll. Die Fotowahl ist aber, wohl eher unfreiwillig, aus noch einem anderen Grund interessant: Das Christkind an sich ist ursprünglich eine protestantische Erfindung. Das Nürnberger Christkind gibt es aber erst seit 1933. Es ist keine alte christliche Tradition — es ist eine Erfindung der Nazis. Und ein gutes Beispiel dafür, wie völkische Erzählungen einer Bedrohung des Weihnachtsfestes damals wie heute funktionieren.

In einem Prolog, den in der Zeit des Nationalsozialismus eine Schauspielerin im Engelskostüm bei einer auf sakral aufgemachten Inszenierung vortrug, behauptet das Christkind, es sei aus der Stadt vertrieben worden. Aber jetzt, da Deutschland “erwacht” sei — gemeint ist: jetzt, nachdem Hitler an der Macht ist –, da sei der alte Brauch wieder zurückgekehrt und die Kinder könnten sich wieder freuen, wie sie sich früher einmal gefreut hätten.

Später wurde dieser Prolog politisch entschärft. Enthalten sind aber bereits die Elemente, mit denen Boulevardzeitungen heute reißerische Schlagzeilen machen, und mit denen die Neue Rechte auch heute wieder Weihnachten in ihrem Sinne politisieren will.

RTL  

Thilo Sarrazins falsche Fakten über Flüchtlinge

Ich schüre keine Ängste, sondern ich bringe Fakten.

Das hat Thilo Sarrazin gesagt, als er vorgestern bei “RTL” auf dem “heißen Stuhl” saß.

Die Show “Der heiße Stuhl” gab es vor vielen Jahren schon mal, zuletzt 1994, jetzt hat “RTL” eine Neuauflage gewagt. Das recht simple Prinzip damals wie heute: Ein Mensch mit steiler These präsentiert seine steile These, andere Menschen mit ebenfalls klarer Meinung dürfen dagegenhalten. Und dieser Mensch mit steiler These war nun eben “der umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin”.

Das Thema der Folge (Video, 42:13 Minuten) lautete: “Ein Jahr nach Köln — wie sicher ist Deutschland?” Sarrazin hatte eine wenig überraschende Antwort auf diese Frage: so gar nicht sicher. Angst wolle er damit aber nicht machen, nein, nein, sondern einfach mal Fakten nennen. Auffallend häufig betonte der frühere Berliner Finanzsenator, dass er dasunddas in Statistiken gelesen habe und dass niemand etwas gegen dieunddie Fakten sagen könne. In der Regel handelte es sich dabei um Fakten und Statistiken, die seine These vom sich abschaffenden Deutschland unterstützen.

Ein zentraler Punkt dabei: der Anteil junger muslimischer Männer unter den Flüchtlingen hier in Deutschland. Sarrazin sagte zu Beginn der Sendung:

Ich kann nur sagen, was man sehen kann aus den Fakten und aus dem, was man weiß, und den Statistiken. Und es ist erstmal sowieso ein Problem, unabhängig davon, ob jemand muslimisch ist oder nicht, wenn man jung ist, ist man jung, und wenn man jung ist und Mann, möchte man gerne auch was haben mit Mädchen und mit Frauen. Und wenn also eine Million junge Männer ins Land kommen, ohne Zugang zu Mädchen und Frauen, ist das schon sowieso ein Problem. Und es ist ein besonders großes Problem, wenn sie Muslime sind, denn sie haben ja keinen Zugang zu muslimischen Frauen. Sie können sich also nur an sogenannte “ungläubige Frauen” halten.

Mal den ganzen Quatsch vom “wenn man jung ist, ist man jung” beiseite: eine Million junge Männer seien laut Sarrazin als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Wenig später sagte er in Richtung des Grünen-Politikers Kai Gehring, der ihn kritisiert hatte:

Herr Gehring, sie wollen doch einfach die Fakten nicht wissen. Erstmal, von denen, die kamen: Es sind bis jetzt in diesem Jahr 1,3 Millionen. Von denen sind 70 Prozent junge Männer.

70 Prozent von 1,3 Millionen Flüchtlingen sind 910.000. Nun also: 910.00 junge Männer seien laut Sarrazin 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Dass der Zeitraum nicht so ganz stimmt, merkte er kurz darauf und korrigierte sich:

Es kamen ab dem Anfang vergangenen Jahres bis jetzt 1,3 Millionen, davon 890.000 im letzten Jahr. Und davon 70 Prozent junge Männer.

Jetzt aber: 910.000 junge Männer seien laut Fakten-Narr Sarrazin seit 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Ende September dieses Jahres verkündete Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass 2015 rund 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Er sagte auch, dass vom 1. Januar bis zum 21. September 2016 knapp 210.000 neue Flüchtlinge gezählt wurden. Rechnet man diese Zahl aufs komplette Jahr hoch, dürften 2016 in etwa 290.000 Flüchtlinge hergekommen sein. Insgesamt, für 2015 und 2016 zusammen, also 1,18 Millionen. Die “1,3 Millionen” kann man Thilo Sarrazin schon durchgehen lassen.

Und davon sollen “70 Prozent junge Männer” sein? Ach, Du liebes bisschen!

Aus welcher Statistik Thilo Sarrazin diese Zahl hat? Das hat er auf dem “heißen Stuhl” nicht verraten. Gut möglich aber, dass er sie von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und/oder “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer übernommen hat. Die beiden haben sie nämlich vor etwas über einem Jahr in die Welt gesetzt. Neuköllns früherer Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat sie nachgeplappert. So viel vorweg: Sie stimmt nicht.

Ein Blick auf offizielle Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigt: Der Anteil junger Männer ist deutlich geringer als von Palmer, Fleischhauer, Buschkowsky und Sarrazin behauptet. So verteilten sich die Asylerstanträge 2015 auf Männer und Frauen, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen (PDF; schon klar, die Asylantragssteller sind nicht komplett deckungsgleich mit den nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen. Da die Zahl der Asylanträge aber inzwischen sehr hoch ist, glauben wir, dass sie auch Aufschluss über die Zusammensetzung der hier lebenden Flüchtlinge geben kann):

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 64.475 52.533
16 bis unter 18 16.253 4.218
18 bis unter 25 88.121 21.551
25 bis unter 30 50.828 16.430
30 bis unter 35 32.923 13.775
35 bis unter 40 21.216 10.023
40 bis unter 45 13.704 6.490
45 bis unter 50 8.557 4.291
50 bis unter 55 4.711 2.778
55 bis unter 60 2.386 1.859
60 bis unter 65 1.294 1.088
65 und älter 1.116 1.279
Gesamt 305.584 136.315

Der Anteil der “jungen Männer” (18 bis einschließlich 34 Jahre) liegt für 2015 nicht bei 70, sondern bei 39 Prozent. Und selbst wenn man die Gruppe großzügiger fasst (16 bis einschließlich 39 Jahre), landet man nur bei einem Anteil von 47 Prozent.

Die BAMF-Zahlen für 2016 (Januar bis einschließlich November) haben wir uns ebenfalls besorgt (PDF):

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 116.981 95.435
16 bis unter 18 32.873 8.076
18 bis unter 25 125.669 39.681
25 bis unter 30 70.148 28.832
30 bis unter 35 44.568 23.075
35 bis unter 40 28.482 15.961
40 bis unter 45 17.345 10.159
45 bis unter 50 11.370 7.211
50 bis unter 55 6.532 4.875
55 bis unter 60 3.782 3.138
60 bis unter 65 2.275 2.039
65 und älter 1.834 2.151
Gesamt 461.859 240.633

Hier liegt der Anteil der “jungen Männer” (18 bis einschließlich 34 Jahre) bei 34 Prozent. Erweitert man die Gruppe (16 bis einschließlich 39 Jahre), kommt man auf 43 Prozent.

Für 2015 und 2016 (bis einschließlich November) zusammen ergibt das einen Anteil von 36 Prozent (18 bis einschließlich 34 Jahre) beziehungsweise 45 Prozent (16 bis einschließlich 39 Jahre).

Es ist richtig, dass Männer den deutlich größeren Teil der 1,144 Millionen Menschen bilden, die seit 2015 hier einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. Sie machen etwa 67 Prozent aus — oder in absoluten Zahlen: rund 767.000. Dazu zählen allerdings auch knapp 181.000 Jungs, die jünger als 16 Jahre sind. 412.000 sind 18 bis einschließlich 34 Jahre alt. Zur Erinnerung: Sarrazin sprach von 910.000 “jungen Männern”.

Nun geht es Thilo Sarrazin dabei ja nicht um “junge Männer” im Allgemeinen, sondern ganz speziell um junge muslimische Männer, weil er diese wohl für besonders gefährlich hält. Im Jahr 2015 waren 73,1 Prozent aller Personen, die einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben, Angehörige des Islam (PDF, Seite 25). Nimmt man an, dass sich dieser Wert in 2016 nicht sonderlich geändert hat, sind 301.000 junge muslimische Männer seit Anfang 2015 nach Deutschland gekommen.

Im Verlauf der “RTL”-Sendung sagte Sarrazin zu seinen Kontrahenten: “Sie wollen die Basisfakten leugnen, damit Sie weiter in Ihrer Scheinwelt leben können.” Er selbst leugnet Basisfakten nicht, sondern bringt falsche ins Spiel, um weiter in seiner eigenen Scheinwelt leben zu können. In Kombination mit seiner zweiten zentralen Behauptung, dass junge muslimische Männer gewalttätiger sind als andere, baut er seine Drohkulisse auf: Es sind unglaublich viele von denen hergekommen, und die sind auch noch alle irre kriminell. Sarrazin betreibt pure Agitation und nutzt dafür falsche Zahlen.

Polizeigewerkschaftler Arnold Plickert, der sich gegen Sarrazins Thesen positionierte, sagte ganz am Ende von “Der heiße Stuhl”:

Das stört mich immer an Statistiken: Die kann man jetzt hier in den Raum werfen, und dann können die Menschen das hier glauben oder nicht glauben.

Sarrazin antwortete darauf:

Ja, mir sollen sie besser glauben.

Nein, Thilo Sarrazin, das sollte die Menschen auf gar keinen Fall!

Mit großem Dank an Martin S. für den Hinweis!

Journalisten in Haft, Mafia-Berichte, Projekt “Schmalbart”

1. Justiz muss führende Journalisten freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Seit über zwei Wochen sitzen die myanmarischen Journalisten Than Htut Aung und Wai Phyo in Untersuchungshaft. Sie hatten in einem Kommentar Korruptionsvorwürfe gegen einen Politiker der regierenden “Nationalen Liga für Demokratie” angedeutet. Die “Reporter ohne Grenzen” fordern ihre sofortige Freilassung und berichten in ihrem Appell über die aktuelle Situation der Pressefreiheit in Myanmar, das auf der “Rangliste der Pressefreiheit” auf Platz 143 von 180 Staaten liegt.

2. Flüchtlinge — Presserat bietet “Checkliste” für Berichterstattung
(derstandard.at)
Der Presserat in Österreich hat eine Checkliste zum “verantwortungsvollen Journalismus in der Flüchtlingsberichterstattung” veröffentlicht. Zehn Fragen sollen dabei helfen, sachlich über das Thema zu berichten, das “in der Bevölkerung, aber auch in den Medien ’emotional und kontrovers’ diskutiert” werde. Kostprobe: “Würde ich über ein Fehlverhalten auch dann berichten, wenn es nicht von einem Ausländer/Asylwerber/Migranten gesetzt worden wäre?” oder “Bin ich mir im Klaren darüber, welche Absichten meine Hinweisgeber/ Recherchequellen verfolgen?”

3. “Ich gewinne leider nie”
(taz.de, Ambros Waibel)
Claudio Cordova hat vor vier Jahren die Webzeitung “il dispaccio” gegründet, die über die Mafia und das Beziehungsgeflecht der Ndrangheta berichtet. Im Interview mit “taz”-Redakteur Ambros Waibel erzählt er von investigativer Arbeit im Umfeld der organisierten Kriminalität, einer Million Euro Schadenersatz und das Problem mit Werbekunden, die zur Mafia gehören könnten.

4. Staunen über eine Nachricht zur ARD-Struktur: Wenn “Bild” medienpolitisch aktiv wird
(medienkorrespondenz.de, Dietrich Leder)
Vergangene Woche meldeten die “Bild”-Medien, es gebe einen Fusionsplan für die “ARD”: Statt den bisher neun Anstalten könnte es bald nur noch vier geben. Das Presseteam der “ARD” sagte ziemlich schnell, dass das “blanker Unsinn” sei. Dietrich Leder erkennt in der steten Diskussion “um etwaige oder reale Reformpläne des öffentlich-rechtlichen Systems” Interessen der Zeitungsverlage: “Die Zeitungsverleger haben sich mit der Existenz dieses nicht-privatwirtschaftlichen Mediensystems bis heute nicht abfinden können und delegieren deshalb an dieses öffentlich-rechtliche System permanent die Ursachen ihres eigenen Versagens, etwa was ihre Situation im Internet betrifft.”

5. Wie geht das genau mit dem Gegenlesen?
(tagesanzeiger.ch, Philipp Loser)
“Nun sag, wie hast du’s mit dem Gegenlesen?” Philipp Loser erklärt, wie der “Tages-Anzeiger” es mit dem Autorisieren von Interviews, Zitaten und ganzen Texten hält. Er hofft auf mehr Politiker, Verwaltungsangestellte, Funktionäre, die souverän aufs Gegenlesen verzichten, auch im Sinne eins guten Journalismus: “Wer von Anfang weiss, dass der Politiker nicht mehr draufschauen wird, formuliert exakter, wortgetreuer.”

6. Projekt “Schmalbart” — eine Einladung
(christophkappes.de)
Die Ankündigung von “Breitbart”, bald auch in Deutschland einen Ableger der “Alt-Right”-“Nachrichten”-Seite aufzubauen, führte bei einigen Leuten zur gleichen Reaktion: “Dagegen muss man doch was tun!” Auch bei Christoph Kappes. Damit auch wirklich was dagegen getan wird, hat er ein schon ziemlich detailliertes Konzept entwickelt für das “Projekt ‘Schmalbart'”. Mitstreiter sind sehr willkommen.

Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome

Kritische Fragen? Ja, doch, die seien schon wichtig, findet Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. Kritische Fragen seien sogar ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie, sagte er Anfang des Monats bei einer Lesung in Dresden (Audio, 1:53 Minuten).

Knapp einen Monat zuvor hat Jakob Buhre von der Interview-Plattform “Planet Interview” Nikolaus Blome einige Fragen zum Buch “Links oder rechts?” gestellt, das “Bild”-Journalist Blome zusammen mit Jakob Augstein veröffentlicht hat. Darunter waren auch einige kritische Fragen zur “Bild”-Berichterstattung. Blome antwortete auf diese Fragen, am Ende des Autorisierungsprozesses wollte er aber mehrmals nicht, dass das, was er Buhre gesagt hat, veröffentlicht wird. Er hat Antworten komplett rausgestrichen. Und zwar nicht nur ein paar — nach Angaben von “Planet Interview” sind letztlich nur 59 Prozent von Blomes Antworten übrig geblieben.

Kritische Fragen seien ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie. Aber das Veröffentlichen von Antworten auf kritische Fragen? Nun ja.

Viele der gestrichenen Blome-Aussagen betreffen konkrete “Bild”-Berichte. Einige davon hatten wir auch hier im BILDblog kritisiert: die “Bild”-Darstellung des vermeintlichen Umgangs der Kieler Polizei mit Straftaten von Flüchtlingen, die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität, die Berichte über die Verdauungsprobleme des Gehers Yohann Diniz bei den Olympischen Spielen in Rio. “Die nachträgliche Streichung mehrerer Antworten begründete Herr Blome damit, dass er nur ein Interview zu seinem Buch geben wollte”, schreibt “Planet Interview”. Die Begründung ist in der Tat bemerkenswert, denn in Blomes und Augsteins Buch geht es auch ganz konkret um Journalismus, um den “Lügenpresse”-Vorwurf, um die publizistische Macht von “Bild”. Dort heißt es zum Beispiel: “BILD kann, als Massen- und Leitmedium, in einer speziellen Situation wahrscheinlich einen Bankrun auslösen. Darüber denken Sie besser drei Mal nach.” Fragen zu “Bild” und “Bild”-Berichten kann man also durchaus auch als Fragen zum Buch sehen.

Als Protest gegen die vielen Streichungen durch Nikolaus Blome hat das Team von “Planet Interview” die eigene Seite heute fast komplett vom Netz genommen*:

Wir schließen für zwei Tage unsere Website, um auf ein Problem hinzuweisen: Das Streichen von kritischen Fragen.

Lediglich das Blome-Interview mitsamt der nun unbeantworteten Fragen sind dort momentan zu lesen.

***

Schade, dass Nikolaus Blome so viele seiner Antworten nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat. Zum Glück kann unser Autor Lorenz Meyer nicht nur über lange Distanzen Gedanken lesen, er kennt sich auch mit Realitätsverzerrung, Wahrheitsverdrehung, inhaltsleerem Gefasel und Marketingsprech aus und hat die Antworten mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Formel (der sogenannten “Blome-Gleichung”) extrapoliert.

1. Planet Interview: Ein Beispiel: Die BILD schrieb im Januar 2016, dass die Polizei in Kiel “vor Flüchtlingskriminalität kapituliert!”. Grundlage war ein Papier vom Oktober 2015 der Polizeidirektion Kiel, in dem es heißt dass “ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung” bei “einfachen/niedrigschwelligen Delikten … regelmäßig ausscheidet”. Der BILD-Bericht wurde von der Polizei umgehend dementiert.

Blomes erster Antwortgedanke: Nichts gegen die Kieler Polizei, aber wenn hier jemand etwas “regelmäßig ausscheidet”, dann immer noch wir von der BILD. Ich würde sogar behaupten, dass wir Deutschlands größtes Ausscheidungsorgan sind!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ihre Frage beinhaltet bereits die Antwort: Anscheinend enthielt das uns zugespielte Papier der Kieler Polizei unangenehme Fakten, die nicht nach außen dringen sollten. Als grundgesetzlich verankertes Presseorgan sehen wir es als unsere Pflicht an, der Exekutive auf die Finger zu schauen. Auch, wenn uns dies verschiedentlich negativ ausgelegt wird. So wie im vorliegenden Fall …

2. Die Kieler Polizei gab aufgrund der Berichterstattung eine Pressekonferenz und erklärte, dass Strafanzeigen “in jedem Einzelfall” erstattet wurden, und dass “in keinem Fall eine andere Behandlung zur Maßgabe erklärt wurde wie bei deutschen Tatverdächtigen auch”.

Blomes erster Antwortgedanke: Das klingt alles recht alkoholisiert. Vielleicht hat sich die Kieler Polizei von ihren Kollegen aus dem Süden inspirieren lassen. Die verstehen unter einer “Maßgabe” nämlich etwas anderes, höhöhö.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich finde es bedauerlich, dass die Kieler Polizei augenscheinlich dem politischen Druck nachgegeben hat und sich so geäußert hat, wie sie sich geäußert hat. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

3. Ein anderes Beispiel: BILD veröffentlichte einen Auszug aus dem Buch “Soko Asyl” des Leiters der Braunschweiger Kripo Ulf Küch. Dieser schreibt darin u.a. “Diejenigen (Flüchtlinge), die wir verfolgen, sind eine winzige Minderheit, deren Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt” und “es darf nicht sein, dass die große Mehrheit der dankbaren und friedlichen Flüchtlinge mit diesen Personen über einen Kamm geschoren wird und am Ende unter deren Aktivitäten leiden muss.” Der BILD-Artikel trug die Überschrift “Polizist packt über Flüchtlingskriminalität aus: Manche Banden klauen auf Bestellung”. Nochmal die Frage: Kann es sein, dass Sie mit solchen Artikeln zu den Ressentiments gegenüber Flüchtlingen beitragen?

Blomes erster Antwortgedanke: Meine Güte … Nennen Sie mir ein einziges Wort in der Überschrift, das gelogen war … Aber für begriffsstutzige Ethik- und Moral-Mimosen wie Sie können wir ja nochmal ‘nen Hinweis anbringen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Der von Ihnen genannte Autor hatte keineswegs nur die von Ihnen zitierten Aussagen getätigt, sondern auch Dinge gesagt, die vollkommen andere Rückschlüsse zulassen. Trotzdem haben wir auf seinen Wunsch hin in einer späteren Ausgabe einen entsprechenden Hinweis veröffentlicht.

4. Und diesen Hinweis bringen Sie als große Headline?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja, in Fontsize=1.000 und quer über das Brandenburger Tor gespannt. Das hätten Sie wohl gerne, Sie Gutjournalist!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stellen Sie diese Frage in vergleichbaren Fällen auch anderen Medien? Wohl kaum. Das muss als Antwort reichen.

5. Doch die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität fällt in BILD größer aus als in anderen Medien, wo berichtet wird, dass sich die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge rechtskonform verhält.

Blomes erster Antwortgedanke: Ist ein Skandal, dass wir skandalisieren, oder? Merkste selber, McFly, oder?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Wir haben uns in einer Zeit für Flüchtlinge engagiert, da haben sich weite Teile der deutschen Presselandschaft noch bedeckt gehalten. Ich erinnere nur an die große BILD-Aktion “Wir helfen-#refugeeswelcome”. Das hat uns viel Kritik eingebracht, die nicht immer einfach auszuhalten war, uns aber nicht von unserem Weg abgebracht hat. Wir sind jedoch nicht einäugig. Und wenn es wie beim Silvester-Geschehen in Köln zu Übergriffen kommt, kehren wir das nicht unter den Teppich, sondern berichten darüber. Wir sind da nämlich ganz altmodisch und fühlen uns nur der Wahrheit verpflichtet.

6. “Die meisten Hauseinbrüche werden von Deutschen begangen.” Könnte das eine “Bild”-Schlagzeile sein?

Blomes erster Antwortgedanke: Klar, könnte das ‘ne Überschrift sein! Natürlich werden die meisten Hauseinbrüche von Deutschen begangen. Und zwar, weil Flüchtlinge ihnen den Schlüssel geklaut haben und sie wieder in ihr Haus zurück wollen. Alle anderen Medien verschweigen das. Wir berichten darüber!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Veröffentlichung des Offensichtlichen und von naheliegenden Belanglosigkeiten überbelassen wir unserer Konkurrenz. Wir bei BILD wollen unseren Informationsvorsprung nutzen und unseren Leser über Dinge unterrichten, die er vorher noch nicht wusste. Insofern lautet die Antwort: Nein.

7. Viele Leser haben (z.B. auf Facebook) kritisiert, wie BILD über einen Sportler berichtet hat, der tatsächlich hingefallen ist: Ein Geher brach bei den Olympischen Spielen in Rio über die 50km-Distanz mehrfach zusammen, hatte Verdauungsprobleme, konnte seinen Durchfall nicht zurückhalten und verlor zeitweise die Orientierung. Bild zeigte Fotos davon und kommentierte u.a. mit “Dieser Gang ging in die Hose.” Wie kann es sein, dass BILD sich über so etwas lustig macht?

Blomes erster Antwortgedanke: Wenn ich mich nie mit Dünnpfiff beschäftigen würde, gäb’s dieses Interview nicht, Sie investigatives Abführmittel!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Unsere Leser haben einen Anspruch auf eine vollumfängliche Sportberichterstattung. Und dazu gehören bei Olympia die großen Medaillenkämpfe, aber auch die kleinen Dramen im olympischen Sportbetrieb. Wir haben über das kleine Malheur in einer lockeren und augenzwinkernden Form berichtet. Wenn Sie das stört, ist das Ihr Problem und nicht unseres.

8. Aber Witze wie “Er war kurz davor, aus Sch**** Gold zu machen. Doch dann läuft’s beim 50-km-Geher Yohann Diniz — so richtig” oder “Dieser Gang ging in die Hose.” Warum muss das in Ihre Zeitung?

Blomes erster Antwortgedanke: Weil Scheiße zu Scheiße passt. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Nochmal: Wenn Sie zu verkrampft sind, etwas über ein allzu menschliches Geschehen zu lesen, sagt das mehr über Sie aus als über uns.

9. Auf den anderen Seiten dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen. Warum geht da nicht mehr Politik?

Blomes erster Antwortgedanke: Geben Sie Bescheid, wenn Sarah Lombardi Bundeskanzlerin wird. Dann machen wir sofort mehr über Politik.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich habe heute morgen “Spiegel Online” aufgerufen. Und was soll ich sagen: Auf der Startseite “dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen”, um es mit Ihren Worten zu sagen. Ich kann den Kollegen Augstein aber gerne fragen, warum da nicht mehr Politik vorkommt. Der fühlt sich dem Haus ja immer noch sehr verbunden.

10. Interessieren Sie sich persönlich für die Skandale, Unfälle, Voyeurismus etc. auf den anderen Seiten?

Blomes erster Antwortgedanke: Nö, die hab’ ich ja meist schon irgendwo in der Originalfassung gelesen und für die Veröffentlichung bei uns vom Praktikanten per “Google Translator” übersetzen lassen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: In der Frage schwingt eine abwertende Unterstellung, die ich ablehne. Ich habe Sie auch nicht gefragt, wann Sie aufgehört haben, ihre Frau zu schlagen.

11. Hellmuth Karasek sagte bei uns im Interview: “Ich würde nie eine politische Entscheidung aufgrund der BILD-Lektüre treffen”.

Blomes erster Antwortgedanke: Gegenfrage: Würden Sie eine Kaufentscheidung aufgrund eines Rabatts auf ein Karasek-Buch treffen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: (lacht) Wollte Herr Karasek von BILD wissen, wo er bei der Bundestagswahl sein Kreuzchen setzen soll?

12. Ja, zum Beispiel.

Blomes erster Antwortgedanke: In einem kalten Winter und mit ‘ner Ofenheizung mag das in Ordnung gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Das traue ich dem Kollegen Karasek auch ohne unsere Mithilfe zu.

13. Aber Sie wollen doch vermutlich die Leute zum Denken anregen, wollen ihnen Informationen mitgeben, so dass sie am Wahltag informiert sind über die politische Lage. Wie würden Sie Karasek, wenn er noch unter uns wäre, vom Gegenteil überzeugen?

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, der Karasek … Soll lieber literarisches Quartett im Himmel spielen und dort dem Reich-Ranicki mit seiner Wahlentscheidung auf die Nüsse gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich würde ihm sagen, er soll bei seiner Wahlentscheidung nicht nur seinem Bauchgefühl, sondern seinem Verstand folgen. Und wenn er dafür Unterstützung braucht, findet er die bei BILD.

14. Und es reicht in dieser Verkürzung für eine Wahlentscheidung?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ja.

15. Nun stehe ich aber vor diesem Gegensatz: Ich sehe zwei Hochintellektuelle, Sie und Herrn Karasek, und der eine sagt über die Arbeit des anderen: “Die BILD ist ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme.” Können Sie mir helfen, diesen Gegensatz aufzulösen?

Blomes erster Antwortgedanke: Medium nehm’ ich nur mein Steak. Außerdem sehe ich in Ihrer Aufzählung nur einen Hochintellektuellen, Sie lästiger Frageonkel. Und das ist, ich sag’s Ihnen durch die Blome, weder der Kollege Karasek noch Stefan Raab.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stefan Raab zeichnet sich durch einen hohen Grad an Professionalität aus, insofern kann mich der Vergleich nicht treffen. Außerdem führt uns der ewige Weg über Gegensätze nicht weiter. Fragen Sie doch mal nach Verbindendem. Da wüsste ich einiges zu berichten. Auch Dinge, die Herrn Karasek betreffen.

16. Sie schreiben es ja selbst, in Ihrem Buch.

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, das Buch … Weiß der Geier, was ich da reingekrakelt habe. Weiß ja noch nicht mal, ob ich da überhaupt was reingeschrieben habe. Wenn der Kollege Augstein ‘nen schizophrenen Anfall hat, übernimmt der gerne mal meinen Part und kotzt sich die neoliberale Zweitseele aus dem Leib.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Dann haben Sie ein anderes Buch gelesen. In meinem steht das nicht.

17. Die Otto Brenner Stiftung schrieb 2012 in einer Studie, BILD praktiziere Journalismus nur “vorübergehend”. Ist Ihnen das nicht zu wenig?

Blomes erster Antwortgedanke: Das Wort “praktiziere” in Zusammenhang mit “Journalismus” lehne ich ab. Das setzt ja voraus, dass wir wüssten, was wir da machen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Otto Brenner Stiftung sollte sich als Tochter der IG Metall lieber mit Dingen beschäftigen, bei denen sie sich auskennt. Zum Beispiel mit der Verschwendung von Gewerkschaftsgeldern.

18. Die Stiftung hat viele BILD-Artikel analysiert, Interviews mit Experten geführt, verweist auf Quellen, Literatur …

Blomes erster Antwortgedanke: Ich sage es mal mit den Worten, die oft dem früheren britischen Premierminister Sir Winston Churchill zugeschrieben werden: “Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.” Fälschlicherweise zugeschrieben, aber das werden Sie als kritischer Journalist ja bestimmt schon selbst in Erfahrung gebracht haben.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Axel-Springer-Stiftung kommt in ihrer Studie zum postfaktischen Zeitalter zu ganz anderen Ergebnissen, Sie Argumentationswunder! Und als Springer-Journalist akzeptiere ich nur eine Quelle: Die Einnahmequelle!

*Nachtrag, 16. November: Inzwischen ist der Zwei-Tage-Protest vorbei und die Seite wieder komplett online.

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