Nordkorea, einst von vielen gefürchtet, taucht in der Berichterstattung heutzutage vor allem in einer Rolle auf: als Lachnummer.
Womit wir auch gleich beim “Stern” wären.
Der macht nicht nur eine ähnliche Entwicklung durch, sondern trägt auch immer wieder dazu bei, dass das niederträchtige Regime Nordkoreas eben nicht gefürchtet oder verachtet wird, sondern belächelt. Mit Geschichten wie dieser:
So steht es seit gut einer Woche bei Stern.de*. Im Artikel feixt die Autorin:
Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. Der Vater von Nordkoreas Oberstem Führer Kim Jong-un soll eine Leckerei erfunden haben, deren Ursprung eigentlich in der mexikanischen Küche liegt und liebend gerne von den feindlichen US-Amerikanern verspeist wird – den Burrito.
Denn die nordkoreanische Propagandazeitung “Rodong Sinmun” habe laut Stern.de behauptet, der Burrito sei ursprünglich im Jahr 2011 von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il erfunden worden. Auch dessen Sohn, der amtierende Diktator Kim Jong-un, habe ein ausgeprägtes Interesse an der Spezialität.
Als Quellen für die Story gibt Stern.de die Boulevardblätter “New York Post” und “The Sun” an.
Tatsächlich waren es zunächst englischsprachige Medien, die behaupteten, nordkoreanische Medien hätten behauptet, der Burrito sei eine Erfindung ihres geliebten Führers:
Sie alle berufen sich auf das Propagandablatt “Rodong Sinmun”:
The Rodong Sinmun newspaper, seen as a government mouthpiece, reported that the burrito was thought up in 2011 by Kim Jong-il – the father of current supreme leader Kim Jong-un.
Die Geschichte zog sofort große Kreise und landete schnell auch in deutschen Medien, etwa bei Stern.de oder News.de. Die “Südwest Presse” und ihre regionalen Ableger widmeten ihr sogar einen Platz auf der Titelseite:
Inzwischen steht es, unter Berufung auf Stern.de und “Metro”, auch im Burrito-Wikipediaartikel:
Aber was ist dran an der Sache? Nun, auf der Internetseite von “Rodong Sinmun” findet man schnell den Originalartikel, auf den sich alle beziehen. Dort abgebildet: Ein nordkoreanischer Burrito-Stand im Winter, vor dem mehrere Menschen stehen (alle tragen eine Maske und scheinen darunter zu lächeln). Dazu heißt es:
An einem Stand kann man Menschen sehen, die mit Fleisch gefüllte Weizenkuchen essen, und Verkäuferinnen, die die Kunden freundlich über den Nährwert aufklären.
Diese harmonische Szene fügt ihrer Popularität Glanz hinzu.
Wann immer wir Zeuge solcher Szenen werden, erinnern wir uns mit tiefer Ergriffenheit an das Bild des Vorsitzenden Kim Jong Il, der sich bei seiner Führung durch die neu errichtete Werkstatt der Kumsong-Lebensmittelfabrik freute.
Als der Vorsitzende an einem mobilen Servicestand vorbeikam, wies er an, dass die Leute die gefüllten Weizenkuchen aufgewärmt servieren sollten.
Wir erinnern uns noch gut an seine Worte, dass es für unser Volk angenehmer wäre, im Sommer Mineralwasser und im Winter heißen Tee mit Weizenkuchen an den Ständen zu bekommen.
Der verehrte Generalsekretär Kim Jong Un, der die Geschichte der edlen Liebe des Vorsitzenden zum Volk weiterführt, hat ein ausgeprägtes Interesse für die Weizenkuchen, von der Herstellung bis zum Service, und ergriff entsprechende Maßnahmen.
In der Tat: Ein kleiner Stand für gefüllte Weizenkuchen ist mit der mütterlichen Liebe unserer Partei verbunden.
Allem Geschwurbel zum Trotz: Das Blatt behauptet nicht, dass Kim Jong-il 2011 den Burrito erfunden hat. Sondern dass er beim Besuch einer Lebensmittelfabrik (der 2011 stattfand) anwies, den Weizenkuchen lieber aufgewärmt zu servieren, vor allem im Winter.
Dass die amerikanischen und englischen Journalisten daraus etwas völlig anderes machen, und dass deutsche Journalisten den Quatsch einfach abschreiben und sogar auf die Titelseite packen, statt zwei Minuten zu recherchieren, ist aber keine Ausnahme, sondern eine liebgewonnene Tradition. Schauen wir nochmal in den einleitenden Absatz bei Stern.de:
Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. (…)
Nehmen wir die Einhörner, die das Regime laut Stern.de gefunden haben wolle. Eine Geschichte, die seit zehn Jahren immer wieder höhnisch erzählt wird. Dabei steckt dahinter, wie das Wissenschaftsblog “io9” bereits vor zehn Jahren berichtete, wohl schlicht ein Übersetzungsfehler:
Nein, die nordkoreanische Regierung hat nicht behauptet, Beweise für das Einhorn gefunden zu haben. (…) Die Behauptung bezieht sich stattdessen auf einen Ort namens Kiringul [der in Nordkoreas Mythologie eine bedeutende Rolle spielt]. Nordkorea hatte die Entdeckung bereits 2011 verkündet, aber erst vor Kurzem eine Meldung auf Englisch veröffentlicht. In dieser englischen Version wurde der Name des historischen Ortes, Kiringul, irrtümlich als “Einhorn-Höhle” übersetzt – ein sehr anregender Name für Leute aus dem Westen.
Ebenso anregend wie die “Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste”, die es bei News.de aktuell auch wieder in die Überschrift geschafft hat:
Im Artikel heißt es:
Bei seiner ersten Golfrunde soll Kim Jong-il, der verstorbene Vater des amtierenden Herrschers, gleich elf Hole-in-ones geschlagen haben. Eine wirklich besch***ene Idee war es wohl, zu behaupten, die Führer des Landes hätten keinen Stuhlgang. Dagegen ist die angebliche Entdeckung von Einhörnern doch direkt süß.
Ok. Also.
Zunächst der (Nicht-)Stuhlgang. Auch diese Behauptung hält sich seit vielen Jahren (nicht erst seit dem Film “The Interview”) hartnäckig in den Medien. Der älteste Artikel, den wir dazu finden konnten, erschien 2008 auf einer amerikanischen Listicle-Website, die sich auf Kim Jong-ils Wikipedia-Artikel berief. Dort fand sich tatsächlich mal eine (mittlerweile gelöschte) Passage, die lautete:
Überläufer werden mit der Aussage zitiert, dass nordkoreanische Schulen sowohl Vater als auch Sohn vergöttern, und lehren, dass sie nicht wie sterbliche Menschen urinieren oder defäkieren.
Als Quelle dafür wurde wiederum ein Buch angegeben, “The Aquariums of Pyongyang: Ten Years in the North Korean Gulag”, in dem ein nordkoreanischer Journalist sein Leben in einem Internierungslager beschreibt. Wirft man einen Blick in das Buch, stellt sich die Sache aber schnell ganz anders dar. Denn der Autor schreibt:
In meinen kindlichen Augen und denen aller meiner Freunde waren Kim Il-sung und Kim Jong-il perfekte Wesen, unbefleckt von jeder niederen menschlichen Funktion. Ich war wie wir alle davon überzeugt, dass keiner von ihnen urinierte oder defäkierte. Wer könnte sich so etwas bei Göttern vorstellen?
Das mit dem Stuhlgang ist also nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Umschreibung dafür, wie der Autor die scheinbare Göttlichkeit der Machthaber als Kind empfunden hat.
Dann die Geschichte mit dem perfekten Golfspiel, die Journalisten seit nunmehr fast 30 Jahren supergern erzählen, aber superungern überprüfen. Zurückzuführen ist sie auf einen 1994 im “International Herald Tribune” veröffentlichten Artikel. Dort schrieb der australische Reporter Eric Ellis über seine Reise nach Nordkorea und berichtete unter anderem von seiner (eigentlich eher nebensächlichen) Begegnung mit einem nordkoreanischen Golfer:
Mr. Park, der zugab, noch nie etwas von Arnold Palmer gehört zu haben, erklärte, dass der “Geliebte Führer” über 18 Löcher eine 34 spielte, darunter fünf Hole-in-Ones. “Er ist ein hervorragender Golfer”, sagte Mr. Park.
Im Laufe der Jahre wurde dieser Nebensatz von Journalisten immer weiter aufgeblasen – aus den fünf Hole-in-Ones wurden elf, irgendwann kamen noch 17 Bodyguards dazu, die dabeigewesen seien und alles bezeugen könnten, und vor allem wurden diese Aussagen nicht mehr irgendeinem Golfer zugeschrieben, sondern zu einer offiziellen Verlautbarung der nordkoreanischen Regierung erklärt.
“Ich bin verwirrt darüber, wie sich diese Geschichte verselbstständigt hat”, sagte Eric Ellis, der australische Reporter, im vergangenen Jahr in einem Interview. Eigentlich sei es ein “völlig unschuldiger, entwaffnender Moment” gewesen: Der nordkoreanische Golfer habe einfach Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen, darum habe er sich die absurde Geschichte mit den Hole-in-Ones ausgedacht.
Und knapp drei Jahrzehnte später wird sie immer noch erzählt – von kichernden Journalisten, die glauben, sie würden damit die Lachhaftigkeit der Nordkoreaner belegen, ohne zu merken, wen sie damit eigentlich entlarven.
Insbesondere bei Stern.de erscheinen immer wieder solche Geschichten. So behauptete das Portal 2014 zum Beispiel (neben vielen anderen Medien), dass männliche Studenten in Nordkorea laut staatlicher Verordnung nur noch eine einzige Frisur tragen dürften: die von Kim Jong-un (BILDblog berichtete). 2017 reisten zwei australische Studenten nach Nordkorea, um die Geschichte zu überprüfen. Sie kamen zum gleichen Ergebnis wie wir: völliger Quatsch. Doch bei Stern.de steht die Behauptung bis heute unverändert online.
Im Jahr darauf behauptete Stern.de, Nordkorea wolle den USA den Krieg erklären, sobald Windows 10 auf den Markt komme. Als wir die Redaktion fragten, ob es dafür irgendwelche Belege gebe, antwortete sie nicht. Aus gutem Grund: es gab keine. Denn auch diese Geschichte war völliger Quatsch.
Bei einer Sache hat der “Stern” aber Recht: Tatsächlich wird die Propagandamaschine weiterhin fleißig von Medien betrieben. Allerdings nicht nur von nordkoreanischen.
Nachtrag, 19. Januar: Im Burrito-Wikipediaartikel wurde die Passage gelöscht.
*Nachtrag, 20. Januar: Stern.de hat auf unsere Kritik reagiert und den Burrito-Artikel gestern offline genommen. Außerdem schrieb uns jemand aus der Redaktion, dass man “auch die älteren verlinkten Artikel noch einmal ansehen und in den nächsten Tagen offline nehmen” werde.