Die Macher von “RP Online”, dem Webauftritt der “Rheinischen Post” und Marktführer bei den Online-Portalen regionaler Tageszeitungen, lassen keine Zweifel daran, was sie vom sogenannten “Balconing” halten: Ein “Urlaubswahnsinn” sei es, sich vom Balkon, Fenster oder Dach eines Hotels in den Swimming Pool zu stürzen, ein “gefährliches Spiel”, ein “gefährlicher Trend”.
Wer dennoch so waghalsig, lebensmüde oder schlicht bekloppt ist, diesen Unfug nachzumachen, ist gut beraten, wenn er sich dabei filmen lässt und das Video auf YouTube stellt. Denn vielleicht zeigt “RP Online” seinen Lesern schon bald den zweiten Teil seines Videos “Irre Balkon-Springer auf Mallorca”, in dem die waghalsigsten, lebensmüdesten oder schlicht beklopptesten Sprünge in Hotelpools teils in Zeitlupenwiederholung zu sehen sind:
Mit Dank an Höpp.
Nachtrag, 26. August: Unser Leser Matthias M. weist uns darauf hin, dass Bild.de bereits Mitte August über den “gefährlichen Urlaubsspaß” berichtete — natürlich ebenfalls mit Video.
Bekanntlich ist keine Bild.de-Meldung zu blöd, um nicht vom Online-Ableger der “Rheinischen Post” besinnungslos abgeschrieben zu werden.
Nachdem Bild.de also heute Nacht auf Basis einer einzigen Jurywertung erklärt hatte, dass Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest mit einem noch größeren Vorsprung gewonnen hätte, wenn nur das Publikum hätte abstimmen dürfen (BILDblog berichtete), wusste “RP Online” heute Mittag nachzulegen:
Der Artikel ist im Großen und Ganzen eine eher halbherzige Paraphrasierung der Bild.de-Geschichte, doch im Vorspann wird die Unfugs-Schraube noch etwas fester angezogen:
Obwohl “Lovely Lena” mit ihrem Song “Satellite” auch den Großteil der Jurys der jeweiligen Länder überzeugen konnte, haben vor allem die Anrufe der Fernsehzuschauer zu Lenas Sieg in Oslo beigetragen.
Mit Dank an Basti.
Nachtrag, 17.25 Uhr: “RP Online” hat den gesamten Artikel offline genommen.
2. Nachtrag, 21.25 Uhr: Bei “tonight”, dem Nightlife-Portal von “RP Online”, existiert der Artikel weiterhin.
3. Nachtrag, 5. Juni: Jetzt ist der Artikel auch bei “tonight” offline.
Die in jeder Hinsicht billigste Art, Schlagzeilen zu generieren, ist: sich ganz dumm stellen. Bei Bild.de ist das quasi Routine, und weil Lena Meyer-Landrut, die diesjährige deutsche Vertreterin beim Eurovision Song Contest, sich ohnehin weigert, mit der “Bild”-Zeitung zu sprechen, ein Vergnügen ohne Reue.
Und so kann Bild.de aus Ahnungslosigkeit einen Aufmacher machen:
Lena Meyer Landruts Gaga-Proben in Oslo
(…) Knapp eine Woche vor dem Eurovision Song Contest wirkt Lena Meyer-Landrut (19) ganz durcheinander: Mit zwei verschiedenen Schuhen übte sie jetzt für ihren Auftritt am kommenden Samstag.
Abitur, Pressetermine, Geburtstagsfeier und immer wieder Proben, Proben, Proben – da kann man schnell mal vergessen, wo der passende Schuh liegt. (…)
Solange “Unser Star für Oslo” beim Finale-Auftritt nicht den Text ihres Hits “Satellite” vergisst, verzeihen wir gerne noch einen weiteren Schuh-Fauxpas.
Beim Betexten einer Bildergalerie kommt der diensthabende Lena-Lästerer dann richtig in Fahrt:
In der Tat: Lena ist gestern bei ihrer ersten Probe mit zwei verschiedenen Schuhen aufgetreten. Weil sie ausprobieren wollte, welcher von beiden besser aussieht.
Das erklärte sie den Reportern von eurovision.de und eurovision.tv — auf letzterer Seite ist das entsprechende Video sogar schon seit gestern online.
Das ist die ganze Geschichte. Aber das ist natürlich keine Geschichte.
Nachtrag, 24. Mai. Aber keine Bild.de-Meldung ist zu blöd, um nicht vom Online-Ableger der “Rheinischen Post” besinnungslos abgeschrieben zu werden:
(…) Auffälliges Detail: Lena trug zwei verschiedene Schuhe. Ob es sich dabei um einen Mode-Gag oder einen Styling-Faux-Pas handelte, ist noch unklar.
Nachtrag, 17.50 Uhr. “RP-Online” hat den Fauxpas zurückgenommen.
Man könnte Sebastian Dalkowski sogar glauben, dass seine Begeisterung für eine bestimmte, “überwiegend in großen Supermärkten” aber auch “im Fabrikverkauf des Herstellers” erhältliche Keksmarke echt ist und er diese nur halb ironisch übersteigert niedergeschrieben hat:
Der beste Keks der Welt heißt Prinzenrolle Mehrkorn. Ja, Mehrkorn. Was nach dem Biss in eine bröselige Betonplatte klingt, ist in Wirklichkeit die beste mit Schokocreme denkbare Kombination. Ist die normale Prinzenrolle bereits fast uneinholbar großartig, lässt der Mehrkorn die Schokocreme noch mehr nach Schokocreme schmecken. Das ist wie Ribery und Robben. Alleine schon eine Klasse für sich, sind sie im Verbund nicht aufzuhalten.
Man könnte sich aber auch fragen, wie sich solche Produkthymnen, die auch direkt aus der PR-Abteilung des Herstellers kommen könnten, mit der kritischen Grundausrichtung eines Nachrichtenportals vertragen.
Hier feiert die Herzrasen-Redaktion alles ab, was ihr gefällt: Filme, Platten, Klamotten, Bücher, Lebensmittel und alle anderen Dinge, denen die Autoren im Alltag begegnen und die sie begeistern. Dabei geht es nicht um ausgewogene Rezensionen und nüchterne Betrachtung, sondern um gnaden- und rücksichtslose Hymnen.
Doch was bei Kulturgütern wie Filmen, Platten und Büchern noch durchgehen mag, wirkt bei konkreten Produkten gleich wie schlecht getarnte Schleichwerbung.
“RP Online” erklärt uns dazu auf Anfrage:
Den Herzrasen-Text “Der beste Keks der Welt” kann man sicherlich in der Kategorie “gnaden- und rücksichtslose Hymnen” einordnen. Er spiegelt eindeutig die persönliche Meinung unseres Kolumnisten Sebastian Dalkowski wider.
Selbstverständlich gibt es zu diesem Produkt keine Werbung bei RP ONLINE oder andere finanzielle Zuwendungen für die Nennung.
Während der Kekshersteller die persönliche Meinung des Kolumnisten also unter unbezahlter Werbung verbuchen kann, setzt “RP Online” seine Reputation aufs Spiel für Produktloblieder, von denen das Nachrichtenportal noch nicht einmal einen finanziellen Nutzen hat.
Der Domino Day am vergangenen Freitag war ein voller Erfolg für RTL. Immerhin sorgten die fleißigen Steineaufsteller auch in diesem Jahr für einen neuen Weltrekord und gute Einschaltquoten. Ob dieser
Weltrekord allerdings zukünftig noch übertroffen werden kann, ist fraglich. Zumindest dann, wenn man den Berichten einiger großer Online-Nachrichtenportale Glauben schenkt, die sich allesamt auf die offizielle Presseerklärung von RTL stützen.
“Von den 4,8 Millionen aufgebauten Steinen” kippten also fantastische “4.491.863 Millionen Dominos” um. Das ergäbe zwar sage und schreibe 4.491.863.000.000, also knapp 4,5 Billionen, anstelle der tatsächlichen knapp 4,5 Millionen gefallenen Dominosteine, aber um das zu bemerken, hätte man wohl mal einen Blick auf das werfen müssen, was man da weiterverbreitet.
Dazu passt auch, dass bei “Welt Online” bereits seit heute, 11:33 Uhr in einem Kommentar erfolglos auf den Fehler hingewiesen wird. Aber Menschen scheinen an der Produktion der Inhalte ohnehin nicht mehr beteiligt zu sein.
Mit Dank an Jebbe E.
Nachtrag, 16. November: “Welt Online” und t-online.de haben den Fehler inzwischen unauffällig korrigiert.
Dass Michael Jackson am gestrigen Donnerstag im Alter von 50 Jahren verstorben ist, dürfte inzwischen jeder mitbekommen haben, der sich heute nur in der Nähe eines Computers, Radios oder eines anderen Menschen aufgehalten hat.
In der Nacht war die Nachrichtenlage noch deutlich unübersichtlicher: Der Onlinedienst TMZ.com war sich ganz sicher (wie der diensthabende Redakteur der “LA Times” erzählte), als er um 23:44 Uhr deutscher Zeit verkündete, Jackson sei tot. Aber war der Nachricht auch zu trauen?
Was folgte, ist ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie Journalismus im Jahr 2009 funktioniert — immer getrieben von den teils unvereinbaren Wünschen, möglichst der Erste zu sein und möglichst nichts falsches zu berichten:
Bild.de um 23:59 Uhr:*
Bild.de um 00:01 Uhr:
Bild.de um 00:14 Uhr:
Bild.de um 00:30 Uhr:
Bild.de um 00:50 Uhr:
Bild.de um 01:09 Uhr:
Aber auch bei anderen Medien gab es ein gewisses Chaos, bis schließlich Gewissheit herrschte. So konnte man um 00:34 Uhr bei “RP Online” diese Überschrift lesen:
Unter dem Artikel aber stand ein Kommentar von 00:01 Uhr, der nahelegt, dass Überschrift und Aussage des Artikels zu diesem Zeitpunkt etwas anders ausgesehen hatten:
Um 00:44 Uhr stand dann auch für “RP Online” fest:
Zum gleichen Zeitpunkt gab sich die britische “Sun” noch außergewöhnlich distanziert:
Doch nicht alle Online-Redaktionen konnten zu dieser Nachtschlafenden Zeit schnell reagieren. Um 00:56 Uhr lauteten die Top-Stories bei stern.de und sueddeutsche.de noch
beziehungsweise
Um etwa 01:20 Uhr wäre man dann aber auch bei diesen beiden Seiten zumindest grob informiert gewesen.
Während MTV in den USA sein Programm umstellte und Michael-Jackson-Videos zeigte, liefen bei den deutschen Musiksendern in der Nacht noch die vorbereiteten Clips. Die Startseite von mtv.de aber sieht seit seit mindestens ein Uhr schlicht und ergreifend so aus:
Sämtliche Die meisten gedruckten Zeitungen von heute waren damit natürlich vergleichsweise uninteressant …
Mit Dank auch an Jochen K.
*) Diesen Screenshot haben wir um 16:15 Uhr nachgetragen. Wir verdanken ihn unserem Leser Thorsten K.
Seit Barack Obama mit dem (von Bob dem Baumeister geklauten) Slogan “Yes we can!” die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, sind diese drei Worte Allgemeingut geworden. Unzählige Trittbrettfahrer, Nachahmer und Mitläufer haben sich schon daran vergriffen und die Fälle, die ich in meinem extra zu diesem Zweck eingerichteten Blog “No You Can’t” sammle, sind sicher nur die Spitze des Eisbergs.
Dass dieses Plakat dennoch ein Fall für BILDblog für alle ist, hat einen einfachen Grund: Es ist Teil eines großen Missverständnisses, das seit dem gestrigen Wahlkampfauftakt der SPD durch die Medien geistert.
Wie es dazu kam, erklären am besten die, die dafür verantwortlich sind — die Macher der NDR-Satiresendung “Extra 3”:
“Spiegel Online” hatte ein Foto des Plakats nämlich zunächst mit den Worten untertitelt
Nicht nur mit dem Zitat “Yes, he can Kanzler!” erinnert die Kampagne für Frank-Walter Steinmeier an den erfolgreichen Wahlkampf von US-Präsident Barack Obama. Auch für die Kommunikationsstrategie haben sich die Parteistrategen einiges bei den amerikanischen Demokraten abgeschaut.
dies aber im Laufe des Vormittags korrigiert und mit einem Hinweis auf die Korrektur versehen.
Im “Extra 3”-Blog wird aber auch noch auf einen Artikel bei “RP Online” hingewiesen, der (bis vor wenigen Augenblicken) mit einem Foto des Fake-Plakats aufmachte …
… und in dem es hieß:
“Spiegel Online” und “RP Online” waren mit ihrer Annahme, dass es sich um offizielle SPD-Plakate handele, aber nicht alleine.
Der “Berliner Kurier” schrieb:
N24 erzählte in einem Beitrag:
“Yes, he can Kanzler.” Während draußen Unterstützer den Obama-Faktor beschwören, betreten drinnen FW Steinmeier und seine Frau das Podium.
Und die “Tagesschau” sagte zwar nichts zu den Plakaten, schnitt sie aber so in einen Beitrag hinein, dass man sie für offizielle SPD-Plakate halten musste.
dpa waren die Plakate sogar eine eigene Meldung wert, die wir gerne in vollem Umfang zitieren:
(Zitat)
“Yes, he can Kanzler.”
(“Ja, er kann Kanzler” – Aufschrift auf SPD-Plakaten zum Wahlkampfauftakt mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am Sonntag in Berlin. Der Spruch ist eine Abwandlung des Wahlkampfmottos “Yes, we can” von US-Präsident Barack Obama.)
Dass man nicht auf die Satire-Aktion reinfallen musste, beweist übrigens die “Stuttgarter Zeitung”, die heute in ihrer gedruckten Ausgabe schreibt:
Die Bühne kreisrund in der Mitte, drum herum jubelnde Genossen, draußen ein paar Spaßvögel, die von Frank-Walter Steinmeier behaupten: “Yes, he can Kanzler.”
Mit Dank an Höpp.
Nachtrag, 18:10 Uhr: Die “Extra 3”-Macher weisen uns darauf hin, dass auch “Der Freitag” nicht auf die Satire hereingefallen ist. Der dortige Artikel erklärt außerdem ganz anschaulich, warum das hätte passieren können und warum es dann doch nicht passiert ist.