Archiv für Privates

“BamS”-Reporter sind (…)

Ding-Dong. Oder um’s mit der “Bild am Sonntag” zu sagen:

ÜBERMORGEN BEGINNT DER PROZESS GEGEN MARCO IN DER TÜRKEI (…) Vergangene Woche begab sich BILD am SONNTAG erneut auf Spurensuche in England: (…) Die BamS-Reporter klingeln an dem kleinen Einfamilienhaus von Charlottes Vater Graham M. (…) Als auf das Türklingeln niemand öffnet, hinterlassen die BamS-Reporter einen Brief, fragen den Vater nach dem Zustand seiner Tochter und zu den Ereignissen des vergangenen Jahres.
(Auslassungen von uns.)

“Zwei Stunden später”, so steht es anschließend in der heutigen “BamS”, habe Charlottes Vater den Reportern eine SMS geschickt, die von der “BamS” dokumentiert und wie folgt übersetzt wird:

“Meine Familie und ich haben mehr durchgemacht, als ich es mir hätte jemals vorstellen können. Charlotte ist ein Kind, welches sich wohl nie wieder erholen wird. Wir müssen jetzt für uns bleiben und versuchen, endlich unseren Frieden zu finden (…). Marco wird diesen Frieden auch finden müssen. Ich hoffe, er und seine Familie finden ihn auch.
(Auslassung von “Bild am Sonntag”.)

An der Stelle, an der sich in der “BamS”-Übersetzung die drei Auslassungspunkte finden, stehen im Original vier Worte:

Please respect our peace.

Warum die “BamS” ihren Leser die Übersetzung dieses kurzen Satzes vorenthält, wissen wir nicht. Ein Übersetzungsproblem wird es nicht gewesen sein. Aber vielleicht haben ihn die Reporter Shila Behjat und Jürgen Damsch trotzdem nicht verstanden. Schließlich handelt es sich dabei um die ausdrückliche Bitte, die Privatsphäre zu respektieren.

Mit Dank an Georg H., Kai B. sowie Florian und Annette Z.

Germany’s Next Toplessmodel (5)

Jetzt ist es also vorbei mit Germany’s Next Toplessmodel (wir berichteten): Am vergangenen Donnerstag (und damit bereits eine Woche früher als – wie “Bild” behauptet hatte – “BILD erfuhr”) musste Kandidatin Aline die ProSieben-Show verlassen. Dafür, dass “angeblich (…) die Nacktfotos der Hauptgrund” gewesen seien, wie “Bild” behauptet hatte, lassen sich in der Sendung selbst keinerlei Indizien finden.*

Ebenfalls kein Hinweis findet sich in der Show auch zu den “bitteren Tränen”, mit denen Bild.de Alines Ausscheiden illustriert:

Was aber vielleicht kein Wunder ist, denn es handelt sich dabei um ein Symbolfoto. Aline sah zu diesem Zeitpunkt längst so aus:


Immerhin: “Bild” zitiert sie im Nachhinein mit den Worten: “Ich gehe trotzdem meinen Weg!” Und wohin der führt, hat “Bild” in Großbuchstaben schon mal oben drüber geschrieben:

NACKT-MODEL ALINE (20)

So heißen in “Bild” Frauen wie Kader Loth, Djamila Rowe, “BILD-Girl Claudia”, “Sarah Jane, das neue Boxen-Luder” und Micaela Schäfer.

*) Bild.de beantwortet die fettgedruckte Frage, ob “die Entscheidung auch was mit dem Nacktfoto-Skandal der vergangenen Tage zu tun” habe, übrigens wie folgt: “Die Topmodel-Kandidatin hatte sich für das Männermagazin ‘Penthouse’ schon vor einem Jahr in erotischen Posen gezeigt. Diese Bilder tauchten kürzlich wieder auf und sorgten für mächtig Wirbel…” [Hier endet die Bild.de-Meldung.]

“Bild” schlachtet das Internet aus

Es wird ja immer wieder davor gewarnt, persönliche Infos im Internet zu hinterlassen. Konkret stapelt sich so eine Warnung heute an deutschen Zeitungskiosken – und sieht folgendermaßen aus:

Auch wenn “Bild” die Titelseite heute mit einem Foto der “schönen Co-Pilotin” schmückt, das sie “beim Foto-Termin mit BILD kurz nach dem Beinahe-Crash auf dem Hamburger Flughafen” zeigt, bleibt fraglich, inwieweit überhaupt ein Interesse daran besteht, ihr “trauriges Geheimnis” (während ihrer Ausbildung kam vor zwei Jahren eine Kameradin bei einem Unfall ums Leben) öffentlich zu machen. Doch beschränkte sich die dazugehörige Recherche für “Bild” quasi ausschließlich auf folgende Fundstücke:

  • zwei Privatfotos der Pilotin, die “Bild” unerlaubt aus einer Community-Website und StudiVZ kopiert hat. (“Bild” nennt als Quelle: “Lufthansa” und… “Internet”!)
  • zwei Sätze aus dem Vorwort einer Internetseite mit Beileidsbekundungen, die “Bild” mit den Worten ankündigt: “Der Tod von J. schockte M. [Namen von uns gekürzt]. Gemeinsam mit ihren Kameraden schrieb sie in einem Kondolenzbuch: (…)”
  • sowie ein gutes Dutzend Angaben, die “die schöne Pilotin” im Internet hinterließ: der Ort, aus dem sie stammt, das Jahr, in dem sie ihr Abitur gemacht hat — und unter dem Stichwort Interessen beispielsweise die vier Wörter “Cheerleading, Fitness, Freunde, Party” (siehe Screenshot). Dort findet sich auch die folgende lapidare Aussage:
    "Jetzt mal ehrlich...Airbus oder Boeing? egal, hauptsache fliegen"

In “Bild” liest sich das dann so:

M. stammt aus gutem Hause, treibt gerne Sport, war als Cheerleaderin aktiv, Freunde waren ihr immer wichtig. [Bei ihrer Ausbildung zur Pilotin] lernte sie J. kennen. (…) Sie lernten zusammen, wurden Freundinnen. Doch das Schicksal sollte sie für immer trennen… (…) M. ist noch im Dienst. Und das ist auch das Wichtigste für sie. Denn auf die Frage, welches Flugzeug sie bevorzuge, sagte [!] M. einmal: “Egal, Hauptsache fliegen…”

Um ihre Titelgeschichte zu schreiben, musste die “Bild”-Zeitung also nicht mal Paparazzi losschicken, sich an Wohnungstüren abwimmeln lassen oder jemanden unter Druck setzen. Mühelos ließen sich im Internet alle Zutaten zusammensuchen für eine Story, die letztlich niemanden was angeht.

Ach ja: Nach unseren Informationen veröffentlichte “Bild” den Artikel ohne Beteiligung und ohne Einverständnis der Pilotin.

Unverbesserlich III

Nein, es vergeht in der Tat kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht irgendjemandes Persönlichkeitsrechte verletzt. (Der Verlag, in dem “Bild” erscheint, hat sich zwar u.a. verpflichtet, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten und in der Regel keine Informationen in Wort und Bild zu veröffentlichen, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Darum, ob diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt wird, kümmert sich verlagsintern aber offenbar niemand.) Nahezu täglich zeigt “Bild” beispielsweise Fotos, die unzulässigerweise eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen. Und immer wieder mag sich (insbesondere für Boulevardjournalisten) natürlich die Frage stellen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht doch überwiegt.

Aber es gibt Fälle, da ist diese Frage schon beantwortet.

So hatte der Presserat die “Bild”-Zeitung beispielsweise 2004 öffentlich gerügt, weil sie das Foto einer jungen Frau zeigte, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte “Bild” abermals das Foto einer Frau, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Der Presserat missbilligte das: “Bild” hätte “auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen” (wir berichteten).

Und heute?

Heute zeigt “Bild” wieder das Foto einer Frau, die verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kindes getötet zu haben. Die Veröffentlichung unterscheidet sich nur insofern von den anderen beiden, vom Presserat beanstandeten, als “Bild” dort die Betroffenen ebenso halbherzig wie unzureichend anonymisiert hatte — wohingegen “Bild” sich heute sogar diese Mühe spart (siehe Ausriss, Unkenntlichmachung von uns).

Der zugehörige “Bild”-Artikel beginnt mit dem Wort:

"Warum?"

Im vergangenen Jahr hatte “Bild” die identifizierende Berichterstattung im Nachhinein u.a. damit zu rechtfertigen versucht, dass der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen sei…

Hauptsache, das Nummernschild ist verpixelt

Erfahrene Fotografen machen am Tatort häufig auch solche Fotos, die keine Persönlichkeitsrechte verletzten und – ohne allzu große Bedenken und sogar ohne Unkenntlichmachung – von Medien veröffentlicht werden können.

Bünde, Rohrbombe, Amtsgericht, Scharfschützen, SEKLaienfotografen hingegen…

…knipsen drauflos und schicken ihre Fotos anschließend als “BILD-Leser-Reporter” an “Bild”. Und bei Bild.de werden die dann veröffentlicht – offenbar ebenfalls ohne allzu große Bedenken, vor allem aber (vom Nummerschild abgesehen!) ohne Unkenntlichmachung (siehe Ausrisse).

Laut Pressekodex* allerdings (der sich als “Leitfaden für die journalistische Arbeit” versteht) soll, wenn Anhaltspunkte für die mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters vorliegen, eine “Abbildung unterbleiben”.

Und da der hier abgebildete Mann schon vor seiner Tat in psychiatrischer Behandlung gewesen ist und, wie sogar Bild.de selbst schreibt, nach seiner Tat “in die Psychiatrie” gebracht wurde, spricht wohl alles dafür, dass Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit des Täters vorliegen.

Gut möglich, dass der Laienfotograf das nicht wusste – und diesen komischen Pressekodex gar nicht kennt. Aber er hat die Fotos ja auch nicht veröffentlicht.

*) Für Verstöße gegen den Pressekodex in Online-Angeboten sieht sich der Presserat nur dann zuständig, wenn sie “von Zeitungs-, Zeitschriftenverlagen und Pressediensten in digitaler Form verbreitet wurden und zeitungs- oder zeitschriftenidentisch sind”. Das ist beim Bild.de-Bericht über den abgebildeten Mann nicht der Fall, denn die gedruckte “Bild” berichtete anders. Der Presserat hat zwar kürzlich angekündigt, dass der Pressekodex in Zukunft auch für die Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften gelten soll. Ob das irgendwas ändert, ist fraglich. Schließlich sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen wie die oben geschilderte nicht deshalb verantwortungslos, weil man damit riskiert, sich eine Rüge des Presserats einzufangen, sondern weil sie die Persönlichkeitsrechte verletzen.

“Bild” will Christian Wulff nicht mit der SPD teilen

Bunte: Aber Ministerpräsident Wulff ist äußerst beliebt, hat das “Schwiegersohn”-Image…

Jüttner-Hötker: […] aber wie Herr Wulff sich zum Teil politisch und privat verhält, da bin ich froh, dass er nicht mein Schwiegersohn ist!

Jüttner: Da gilt auch das Prinzip: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Er hat sich für seine Wahlniederlagen gegen Gerhard Schröder damit gerächt, dass er Schröders Trennung von Ehefrau Hilu hämisch kommentierte: “Die Wähler werden sich über Schröders persönliche und politische Unzuverlässigkeit Gedanken machen.”

Bunte: Jetzt hat er sich selbst von seiner Ehefrau getrennt.

Jüttner-Hötker: Ja, für sich setzt er nun andere Maßstäbe. Er hat kein Problem, sich von seiner Frau “Knall auf Fall” zu trennen und gleichzeitig eine neue Frau zu präsentieren – die jetzt ein Kind erwartet, obwohl er nicht geschieden ist. Persönlich fand ich es auch unangemessen, wenige Tage nach der Trennung schon mit der neuen Lebensgefährtin zum Galaempfang der Ministerpräsidentenkonferenz einzuladen.

Marion Jüttner-Hötker, die Ehefrau des SPD-Spitzenkandidaten in Niedersachsen, hat sich in der “Bunten” über den CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff geäußert (siehe Kasten rechts). Sie kritisierte unter anderem, dass Wulff ein Kind mit seiner neuen Freundin erwartet, von seiner Frau aber noch nicht geschieden ist.

Die “Bild”-Zeitung ist empört, sieht darin einen Angriff unter der Gürtellinie und einen Widerspruch zu Jüttners Versprechen, einen “fairen Wahlkampf” zu führen. Bild.de spricht gar von einer “Schmutzkampagne”, einem “Schmutz-Wahlkampf” und einem “Tiefschlag” und fasst den Skandal in einem Satz zusammen:

Zehn Tage vor der Landtagswahl hat SPD-Kandidat Wolfgang Jüttner das Privatleben von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in die Öffentlichkeit gezerrt.

Das ist ja ungeheuerlich.

“Bild” will Gaby Kösters Privatsphäre zurück

Noch einmal zum Mitschreiben:

  • Die Komikerin Gaby Köster ist erkrankt.
  • Und “Bild” berichtet.
  • Gaby Köster bittet darum, von weiterer derartiger Berichterstattung Abstand zu nehmen.
  • Aber “Bild” berichtet erneut.
  • Ein Gericht erklärt die “Bild”-Berichterstattung für rechtswidrig und Gaby Köster bittet erneut, von entsprechender Berichterstattung Abstand zu nehmen.
  • “Bild” löscht die bisherigen Berichte aus dem Online-Angebot, veröffentlicht aber einen neuen (“Fans beten für Gaby Köster”), der u.a. dadurch besonders perfide erscheint, dass “Bild” selbst nur noch vage von einer “schweren Erkrankung” schreibt, aber auch einen Genesungswunsch zitiert, der dann doch detaillierter auf die Erkrankung eingeht…

Anders gesagt: Warum lässt “Bild” Köster nicht einfach in Ruhe?!

Wem würde es schaden, wenn “Bild” Kösters Wunsch respektieren würde? Die Frau ist krank und möchte nicht, dass darüber berichtet wird. Das ist ihr gutes Recht, das “Bild” ohne Not missachtet. Nach der gestrigen Titelschlagzeile sagte Kösters Anwalt dem Fachdienst epd, “Bild” versuche mit Artikeln über ein persönliches Schicksal Auflage zu machen. Für den vergleichsweise kleinen “Fans beten”-Artikel heute kann das kaum noch gelten. Warum also steht er überhaupt in “Bild”? Aus Trotz? — Kösters Anwalt jedenfalls will auch dagegen juristisch vorgehen.

Gaby Kösters Privatsphäre gehört nicht “Bild”

Irgendwo im Pressekodex steht:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen.

Und grundsätzlich heißt: Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Erkrankungen nicht in die Geheimsphäre des Betroffenen fallen — etwa, wenn der Betroffene selbst damit einverstanden ist, dass über seine Erkrankung berichtet wird. Soll’s ja geben. Und deshalb heißt es im Pressekodex auch noch:

Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (…).

Die Komikerin Gaby Köster hat dieses Recht für sich in Anspruch genommen. Unmittelbar nachdem die “Bild”-Zeitung am vergangenen Samstag u.a. auf der Titelseite über eine Erkrankung Kösters berichtet hatte, hieß es in einer Pressemitteilung ihrer Anwälte:

Der Sachverhalt der heute Gegenstand der Berichterstattung in BILD ist, betrifft ausschließlich die Privatsphäre von Gaby Köster.

Außerdem wurden die Medien aufgefordert, “von weiterer derartiger Berichterstattung Abstand zu nehmen”.

Doch anders als die meisten Medien folgte die “Bild”-Zeitung dieser Aufforderung, indem sie Kösters Recht auf informationelle Selbstbestimmung ignorierte, ihre Privat- bzw. Geheimsphäre am Montag erneut verletzte und abermals detailliert über ihre Erkrankung berichtete.

Das hat (wie Kösters Anwälte heute mitteilen) das Landgericht Berlin “als rechtswidrig erachtet” — und gestern zwei einstweilige Verfügungen gegen die Axel Springer AG erlassen, “die es der BILD-Zeitung (…) verbieten, mit der Berichterstattung fortzufahren”.*

Und quasi zur selben Zeit, als das Gericht gestern entschied, saß die “Bild”-Redaktion bereits an einer weiteren Fortsetzung. Sie enthält so gut wie keine neue Info über Köster, sondern wiederholt bloß detailliert, was “Bild” schon zuvor berichtet hatte — und findet sich heute größer als bisher auf der Titelseite (siehe Ausriss).

Nachtrag, 16.22 Uhr: Bild.de hat inzwischen alle Berichte über Kösters Erkrankung aus dem Angebot entfernt.

Nachtrag, 17.1.2008: In einer Art Korrektur ihrer gestrigen Pressemitteilung weisen Kösters Anwälte darauf hin, dass sich nur eine der beiden einstweiligen Verfügungen gegen “Bild” richtet, die zweite jedoch gegen Bild.de.

Witwenschütteln 2.0

Was Journalisten mit “Witwenschütteln” meinen, kann vielleicht am besten jemand erklären, der fachkundig ist. Der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Udo Röbel zum Beispiel. Dem “Tagesspiegel” sagte er 2002:

Hatte man etwa bei einem Unglück die Adresse von Hinterbliebenen herausgefunden, ist man sofort hingefahren, klar. Beim Abschied aber hat man die Klingelschilder an der Tür heimlich ausgetauscht, um die Konkurrenz zu verwirren. Ich war damals oft mit dem selben Fotografen unterwegs, wir hatten eine perfekte Rollenaufteilung. Er hatte eine Stimme wie ein Pastor und begrüßte die Leute mit einem doppelten Händedruck, herzliches Beileid, Herr… Ich musste dann nur noch zuhören. So kamen wir an die besten Fotos aus den Familienalben.

Die “Bild”-Zeitung ist ohne Frage ganz besonders erfolgreich darin, Fotos von Opfern zu besorgen, mit denen sie ihre Artikel bebildern zu müssen glaubt, und es spricht einiges dafür, dass ihre Mitarbeiter ganz besonders wenig Hemmungen bei diesem Teil ihrer Arbeit haben. Dazu gehört zum Beispiel auch, bei einer Frau zu klingeln, deren Mann gerade mit seinem Auto tödlich verunglückt ist, und sie mit dem Hinweis um die Herausgabe eines Fotos zur Veröffentlichung zu bitten, dass sie doch sicher ein schöneres Bild von ihrem Mann habe als das, was man gerade am Unfallort gemacht habe.

Das sogenannte Web 2.0 hat die Arbeit der Fotobeschaffer von “Bild” zweifellos einfacher gemacht. Vor allem in Netzwerken wie StudiVZ lassen sich schon mit Angaben wie Name und Studienort private Fotos von Opfern von Unfällen oder Verbrechen finden — und unter Missachtung von Urheber- und Persönlichkeitsrecht verwenden. Und jeden Tag kann man in der Zeitung sehen, dass “Bild” nicht einmal ein besonderes öffentliches Interesse voraussetzt, um sich das Recht zu nehmen, die Opfer ohne jegliche Unkenntlichmachung abzubilden.

Ein typischer Fall war der Unfall zweier junger Studentinnen im April 2007, deren Wagen auf der Autobahn in die Leitplanke fuhr und die durch ein nachfolgendes Fahrzeug getötet wurden: “Bild” zeigte die Gesichter beider Toten — mindestens eines der Fotos stammte aus ihren StudiVZ-Profilen. Ob die schockierten Eltern damals eine Genehmigung dafür gaben, wissen wir nicht.

Heute nun berichtet “Bild am Sonntag” über den tragischen Tod eines Mädchens, das nach einem Zusammenstoß auf der Skipiste starb. Sie hatte sowohl bei StudiVZ als auch bei SchülerVZ ein Profil. “Bild am Sonntag” hat nicht nur die Angaben dort zur Recherche genutzt, beschreibt das Mädchen aufgrund ihrer verlinkten Kontakte als “sehr beliebt”, nennt ihr Lieblings- und ihr Hassfach. Die Zeitung hat sich auch eines der auf SchuelerVZ befindlichen Fotos bedient — deutlich zu erkennen an der typischen Markierung im Bild (siehe Ausriss rechts).

Gut, wir können natürlich nicht völlig ausschließen, dass ein “Bild”-Reporter bei den Angehörigen des Mädchens mit der Stimme eines Pastors und doppeltem Händedruck vorbeischaute, um ein Foto aus dem Familienalbum bat und die Antwort bekam: “Nee, das ist uns nicht recht. Aber melden Sie sich doch einfach mal als Schüler bei SchülerVZ an, da hatte unsere Tochter ein Profil mit vielen privaten Fotos von sich und ihren Freunden. Können Sie sich gerne bedienen.”

Mit Dank an Bastian P., Jan K., Dirk S., Christoph, Micha Z., Daniele, Jan, Johannes K., Alexander B., Daniel F. und Philipp W.!

Angst und Ambition (2)

Während die “Bild”-Zeitung heute berichtet, was der “Geliebte” der (Noch-)Ehefrau von Günther Oettinger der Zeitschrift “Bunte” erzählt hat, und mit weiteren privaten Details (“BILD erfuhr”) anreichert, greift die “Süddeutsche Zeitung” die Frage auf, ob Oettinger von “Bild” gedrängt wurde, sein “Liebes-Aus” öffentlich zu machen. Wie berichtet hatte Oettinger den “Stuttgarter Nachrichten” dazu gesagt:

“Das werde ich später mal beantworten.”

Für die “Süddeutsche” “übersetzt” Hans Leyendecker Oettingers Antwort kurz mit:

“Ja.”

Aber Leyendecker schreibt auch auf, was “Bild”-Chef Kai Diekmann dazu zu sagen hat:

(…) “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wehrt sich heftig gegen den von einer Zeitung publizierten Vorwurf, das Boulevard-Blatt habe seine “Folterwerkzeuge ausgepackt”, und dann habe der Ministerpräsident über seine Ehe gesprochen: “Unsinn”. Das Verhalten der Oettingers habe ihn an das Verhalten der Sarkozys in Frankreich erinnert, und als “Bild” den Bericht über Deutschlands seltsamstes Politiker-Ehepaar machte, sei es um einen “öffentlichen Vorgang” gegangen.

Frau Oettinger habe eine Adventsgesellschaft in der baden-württembergischen Landesvertretung zu Berlin einfach sitzen lassen, sei nicht erschienen. Steuergelder seien verschwendet worden. Die Stuttgarter Staatskanzlei, sagt Diekmann, habe ihn gefragt, ob darüber wirklich berichtet werden müsse, und seine Antwort sei klar gewesen: Ja. Das weitere Vorgehen falle unter “Recherche”. (…)

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